Tatort Mainz - 2000 Jahre Gewaltverbrechen
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Tatort Mainz - 2000 Jahre Gewaltverbrechen
Kostenfrei und werbegesponsert PDF drucken und direkt per E-Mail versenden >Test it free www.pdfmailer.de PDFMAILER.DE www.pdfmailer.de Tatort Mainz 2000 Jahre Gewaltverbrechen Ein Rundgang mit Herrn Helmut Lehr „KulturGenuss“ 7. April 2011 Im Rahmen des "KulturGenuss" hat sich unsere Leiterin, Frau Ingeborg Schmahl, wieder etwas Besonderes überlegt und vorbereitet. Kurz vor drei Uhr am Nachmittag des 7. April 2011 stürmen mit ihr die Marienborner den Bus Linie 70. Wir sind auf dem Weg zum Dom, wo uns schon der allseits bekannte Stadtführer Hans Lehr erwartet. Das Thema des heutigen Rundganges durch die Innenstadt, "Tatort Mainz - 2000 Jahre Gewaltverbrechen", verheißt nichts Gutes, denn gleich zu Beginn fragt er uns, wie tief wir in die Materie einsteigen wollen, nur bis zum "eingeschlagenen Schädel" oder gar soweit, dass wir "die weiß hervorquellende Hirnmasse" vor Augen geführt haben möchten. Wir sagen weder ja noch nein und er fasst es so auf, als ob wir alles ganz genau wissen möchten. Er schaut noch einmal in den blauen Himmel und versichert uns, dass er gestern Abend noch eine Extra-Kerze mit dem Wunsch für schönes Wetter anzündete. Wir werden von literarischen, legendären und realen Kapitalverbrechen erfahren und wenden uns gleich dem Dom zu, denn dieser hat von allen Drei etwas zu bieten. Die früheste von Mainz bekannte Gewalttat spielte sich 235 n. Chr. ab, allerdings außerhalb des noch nicht existierenden Doms. Severus Alexander wurde nach der Ermordung seines Vetters mit Hilfe seiner Mutter und Großmutter mit 13 Jahren zum Kaiser erhoben, aber die Mutter zog im Hintergrund die Fäden. Beide eilten gerade vom letzten Kriegsschauplatz in Persien nach Mogontiacum zurück, da die Germanen aufmüpfig wurden. Die hiesigen römischen Truppen waren inzwischen sauer, da die äußerst sparsame Mutter - der Sohn hatte ja nichts zu vermelden - den Sold nicht erhöhte, wie es bei früheren Kaisern üblich war, zudem respektierten sie den inzwischen sechsundzwanzigjährigen Severus nicht. Der Offizier Maximus Thrax versprach dagegen seinen Soldaten eine Verdoppelung der Entlohnung für den Fall, dass er Kaiser würde. Das gefiel den Tatort Mainz 1 Soldaten und ermordeten Severus und auch gleich die verhasste Mutter in der Nähe der Stadt, im „Vico britanniae“. Übrigens überlebte Thrax, der erste von den folgenden vielen Soldatenkaisern, nicht den Weg nach Rom, auch er wurde drei Jahre später ermordet. Historiker versuchten, dieses „vico britanniae“ ausfindig zu machen und zur Fasnachtszeit 2002 erklärten sie, dass dafür nur Bretzenheim in Frage kommen würde. Die stolzen Bretzenheimer brachten sogleich eine von Kurt Wenz gestiftete Gedenktafel gegenüber dem alten Rathaus an, beließen sie auch an diesem Ort, als vier Jahre später diese Annahme widerlegt wurde. Denn andere Historiker beflügelt nichts mehr, als bestehende Theorien zu widerlegen. Die Begründung in diesem Fall war, dass dieser Ort im 8. Jahrhundert "vico britannorum“hieß, übersetzt als "Lager der Briten", aber das wird in Bretzenheim nicht gern gehört. Nun gut, das ist noch römische Geschichte, aber jetzt erfahren wir von einer wahren Moritat mit christlichem Hintergrund. Wir stehen im Dom vor der Michaelis-Kapelle: um 1400 wurden die Außenmauern des Domes durchbrochen und auf der Nord- und Süd-Seite je eine Kapellenreihe mit Grabstätten errichtet, vor denen nun Priester meist allein Messen für die Verstorbenen hielten. Nach dem 2. Weltkrieg lag alles in Trümmern und als neue, schmucklose Fenster eingebaut wurden, fügte man am unteren Rand die Namen, Wappen und Regierungszeiten aller bisherigen Bischöfe und Erzbischöfe ein. Wir stehen vor dem Wappen auf blutrotem Hintergrund des Erzbischofes Arnold von Selenhofen, der von 1153 bis 1160 hier regierte. Gleich taucht die Frage auf, ob der rote Hintergrund wegen seiner Ermordung ausgewählt wurde, aber nein, die rote Farbe wiederholt sich bei weiteren Geistlichen, die eines natürlichen Todes starben. Was war in der damaligen Zeit los? Es herrschte ein stetiger Machtkampf zwischen Papst und Kaiser, der Investiturstreit endete gerade 1122 mit einem Kompromiss im Wormser Konkordat. Der Staufer Friedrich I. Barbarossa setzte den ihm unbequemen Erzbischof ab und ernannte dafür, ohne den Mainzer Klerus zu fragen, seinen Reichskanzler Arnold von Selenhofen. Nun standen sich zwei Parteien immer wieder gegenüber, die papsttreuen Kleriker und der kaisertreue Erzbischof. Jeder hatte seine Tatort Mainz 2 Kostenfrei und werbegesponsert PDF drucken und direkt per E-Mail versenden >Test it free www.pdfmailer.de PDFMAILER.DE www.pdfmailer.de speziellen Druckmittel, der Papst konnte Kirchenstrafen verhängen wie ein Predigtverbot, eine Suspension, die Exkommunikation oder gar ein Lokalinterdikt, bei letzterem wurden über ein ganzes Gebiet christlichen Aktivitäten verboten, d. h. Kirchen geschlossen, Läuten der Glocken untersagt, keine christlichen Bestattungen vorgenommen, der Kaiser besaß die weltliche Macht durch sein Heer. Mainz und damit der Erzbischof war für die Königswahl und damit dem König/Kaiser besonders wichtig, dagegen hätte sich Mainz als reichste Stadt des Reiches am liebsten selbst regiert oder zumindest den Erzbischof gewählt. Und nun kam wieder ein vom König eingesetzter Erzbischof, der neben seinem Dünkel auch noch jähzornig war. Das Verhängnis nahm seinen Lauf. Arnold musste Friedrich I. Barbarossa auf dessen 2. Italienfeldzug begleiten und vor allem mit Rittern und Geld unterstützen, das fehlende Geld wollte er nun von der Mainzer Bevölkerung durch eine neue Steuer eintreiben. Das verstieß aber gegen die vom früheren Erzbischof erworbenen Rechte, die seinerzeit auf die Bronzetore des Doms eingemeißelt wurden: sie brauchten keinen Gerichtsaufgeboten (z. B. Steuern) von Herrschern außerhalb der Stadtmauern Folge zu leisten. Als Arnold aus dem Italien-Feldzug zurückkehrte, wollte er nun mit Gewalt die neuen Steuern holen, nahm die Stadt gewaltsam ein und glaubte, dass nun Ruhe eingekehrt sei, verließ die Stadt noch einmal, aber da gab es schon neue Unruhen gegen ihn. Mit Verstärkung kehrte er zurück, alles schien sich wieder beruhigt zu haben und weil sein erzbischöflischer Palast inzwischen zerstört war, übernachtete er im Kloster auf dem Jakobsberg, dem Gebiet der heutigen Zitadelle. Es ist der 24. Juni 1160, Johannisfest, und die Mainzer haben sicherlich wieder einmal zuviel getrunken, jedenfalls rotteten sie sich zusammen und stürmten zum Kloster, der papstfreundliche Abt öffnete ihnen das Tor und zeigte still zum Kirchturm der Kapelle, in den Arnold flüchtete. Die Menge rannte in den Turm und als sie endlich mit dem Erzbischof wieder nach unten kamen, war dieser schon tot. Der Leichnam lag dann drei Tage auf dem freien Feld nackt und bloß, denn Landstreicher waren sofort da und fledderten ihn. Bettelmönche nahmen sich seiner später an und begruben ihn in der LiebfrauenKirche. Tatort Mainz 3 Kaiser Friedrich rächte sich nicht sofort, aber dann, zwei Jahre später, ließ er Stadttürme und Stadtmauern einreißen und die übrigen Zinnen abschlagen, verbannte Rädelsführer und exkommunizierte die Mainzer. Das war ein Schlag, von dem Mainz sich lange mehr nicht erholte. Die Mainzer waren jetzt sehr kleinlaut geworden und haben keinen mehr umgebracht. Unerklärlich ist, das Friedrich I. Barbarossa 24 Jahre später sein riesiges Hoffest auf der Maaraue im Angesicht der gedemütigten Stadt feierte, allein 40.000 Ritter waren dabei, als die Söhne Friedrichs die Schwertleite empfingen. 1188 kam Friedrich noch einmal nach Mainz zu dem von ihm einberufenen Hoftag „Jesu Christi“, auf dem ein weiterer Kreuzzug, der dritte, beschlossen wurde. Von diesem kehrte er nicht zurück, 1190 ertrank er im türkischen Fluss Saleph. Sein Herz und die Eingeweide wurden in Tarsos/Türkei, sein Körper gekocht und die Knochen in der Kathedrale von Tyros/Libanon und das Fleisch in der Peterskirche in Antiochia/antikes Syrien beigesetzt. Und nun der zweite, diesmal literarische Mord im Dom. Wir stehen in der Nordost-Ecke des Domes, an der zweiten Seitenkapelle von hinten, wir schauen auf das jetzt geschlossene Frauenportal, das zum LiebfrauenPlatz führt. Hier begann Carl Zuckmayers Fasnachtsbeichte, die er 1959 schrieb. Es ist der Fastnachtssamstag 1913. Wir hören eine knappe Zusammenfassung dieses Ereignisses: das Frauenportal öffnet sich einen Spalt, der Lärm von Trommelschlag und Pfeifengeschrill dringt in den kühlen Dom. Ein Dragoner eilt mit merkwürdig kurzen, steifen Schritten auf den leeren Beichtstuhl zu, in dem der Domkapitular Dr. Henrici gerade davon träumt, keinen Beichtwilligen mehr vorzufinden, um rascher zu seiner unterbrochenen Lektüre in der bischöflichen Bibliothek zurückkehren zu können. Er öffnet dem Soldaten den Beichtstuhl, der seine Beichte beginnt und sofort verstummt. Dr. Henrici eilt mit größter Hast aus dem Beichtstuhl heraus hin zu den Domschweizern, gemeinsam heben sie den zusammengebrochenen Dragoner aus dem Beichtstuhl – er ist tot! Im Rücken steckt bis zum Anschlag ein Dolch! Tatort Mainz 4 Kostenfrei und werbegesponsert PDF drucken und direkt per E-Mail versenden >Test it free www.pdfmailer.de PDFMAILER.DE www.pdfmailer.de Bewegt von dieser Erzählung wenden wir uns dem Kreuzgang zu, die Sonne wirft die Schatten der kunstvollen Fensterkreuze auf die gegenüberliegende Wand. Herr Lehr empfiehlt, zu etwas späterer Stunde noch einmal zu kommen, denn dann ist dieses Schattenbild vollkommen. Es fehlt uns jetzt aber noch der dritte, der legendäre Mordfall. Und da stehen wir auch schon vor der Statue des St. Alban, des Heiligen St. Alban, wie ihn die Mainzer in ihrer doppeltgemoppelten Mundart nennen. Er hält seinen Kopf in beiden Händen, das noch tropfende Blut ist deutlich herausgearbeitet. In der kalten Neujahrsnacht 406/407 stürmten die Vandalen und andere germanische Stämme über den zugefrorenen Rhein und eroberten die Stadt, sie erschlugen den legendären Bischof Aureus. Dann rannten sie auch zum Dom, wo sich ihnen Alban mit den Worten "Halt! Das ist das Haus Gottes" in den Weg stellte. Aber die Germanen holten mit einer ihrer berüchtigten Doppeläxte aus und schon hatte er einen „abbenen“Kopf, er hob ihn auf und lief bis zu einem Hügel, wo er zusammenbrach. Das war das göttliche Zeichen, hier ein Kloster zu errichten, in dem er auch begraben wurde. Wie es damals üblich war, wurden die Märtyrer mit ihren Folterwerkzeugen oder der Art ihres Todes dargestellt, hier also mit dem abgeschlagen Kopf. Heute noch findet eine jährliche große Wallfahrt nach Bodenheim statt, denn dort besaß das Mainzer Kloster St. Alban große Ländereien, und hier wird der beste Wein anlässlich des St. Alban-Festes geopfert. Diese Legende mit dem kopflosen Weiterlaufen wiederholte sich später beim Störtebecker, der darum bat, nach seiner Enthauptung an seinen Kameraden vorbeigehen zu dürfen und diejenigen zu begnadigen, die er noch passieren konnte. Wir verlassen den Dom und gehen durch das "Kalte Loch". Dieser Name existierte offiziell bis etwa 1850, aber dann hatten die Domgeistlichen, die hier wohnten, genug von ihrer Adresse "Kaltes Loch Nr. 8“und bestanden auf einer Umbenennung, so avancierte dieser kleine Fußweg zur Domstraße! Aber noch heute verwenden die alten Mainzer den ursprünglichen Namen. Tatort Mainz 5 Wir stehen in der Heiliggrabgasse Nr. 12 vor dem Weinhaus „Spiegel“am Eingang in das Bockshöfchen. In der Augustinerstraße, die übrigens erst am Kirschgarten beginnt, wohnte der Zores von Mainz, lag noch bis 1975 Holzpflaster vor dem Frankfurter Hof. Hier war alles möglich, die Wäsche hing über der Straße, aus dem Küchenfenster im Hinterhof rief die Frau zur nächsten Kneipe hinüber: "Schorsch, das Essen ist fertig!“ Es ist das Jahr 1966, bei den Fußballern bekannt durch das fragwürdige Wembley-Tor. Die Fußballfans wetteten schon einmal und wenn dann das Geld mal nicht reichte, war der Weg zum Pfandhaus nicht weit. Und so eins stand an der Ecke Heiliggrabgasse/Bockshöfchen, heute verkauft in dem Haus ein Türke seinen Kebab. Herr Riegel, der Pfandleiher, wohnte in Weisenau. Abends um halb sieben machte er regelmäßig seine Kasse, dann dauerte es noch bis gegen halb acht, bis er zu Hause war. Aber eines Abends kam er nicht nach Hause, eine Stunde verging, noch eine weitere. Seine Frau rief eine Bekannte hier in der Nähe an und bat sie, doch einmal nachzuschauen. Sie stellte nichts fest, das Licht brannte nicht, die Tür war geschlossen. Nachts um halb zwölf informierte sie die Polizei, diese drang durch die Hintertür in den Laden und fand Herrn Riegel, er lag unmittelbar hinter der Tür, erschossen, erschlagen und dazu noch erstochen! Mehrere Schüsse in den Brustbereich, Messerstiche an Brust und Bauch, der Kopf eingeschlagen. Das Geld fehlte, ein Raubmord der schlimmsten Art. Eine sofort eingeleitete Ringfahndung brachte keinen Erfolg. Die Untersuchungen gingen ins Detail. Im Bereich der Außenbezirke wurde ein in München gestohlenes Fahrzeug gefunden, ein Mainzer Auto entwendet. Gab es hier einen Zusammenhang, fuhren der oder die Täter mit einem fremden Auto zum Tatort? Die Untersuchungen verliefen im Sand, dieser Mord landete bei den unerledigten Fällen. Der Kommissar Zufall kam zu Hilfe: eineinhalb Jahre später missglückte in Nürnberg ein Überfall und die Täter wurden gefasst. Bald stellte sich heraus, dass sie auch diesen Mord hier in Mainz verübten. Sie verwendeten eine durchgebohrte Gaspistole. Die Täter wohnten im nahen Ingelheim! Tatort Mainz 6 Kostenfrei und werbegesponsert PDF drucken und direkt per E-Mail versenden >Test it free www.pdfmailer.de PDFMAILER.DE www.pdfmailer.de Wir stehen inzwischen ganz hinten im Hof des Bockshöfchens, hier geht es nicht weiter. In das quer stehende Haus ist 1666 ein jetzt zugemauerter klassischer Torbogen eingebaut, die Ranzengarde befestigte dort im Angedenken an ihren Mitbegründer Johann Kertell eine Plakette. Wir drehen uns wieder um, hinter dem Pfandhaus wurde später ein weiteres kleines, aber hohes Fachwerkhaus angebaut, über der Tür steht die Jahreszahl 1540, das Pfandhaus ist also deutlich älter. Herrn Lehr hat es sich inzwischen hinter einer Mülltonne bequem gemacht und seinen Stapel mit diversen Mordakten abgelegt. Und nun zum einem weiteren Mordfall, der dagegen bis heute nicht geklärt werden konnte: es war die Fasnachtszeit 1979. Eine Italienerin arbeitete im Crazy Sexy am Bahnhof. Ihr Mann brachte sie jeden Abend dorthin und holte sie am nächsten Morgen ab. Auch so am Morgen des 13. Februar 1979, der Mann wartete unten, aber sie kam nicht. Kein Mensch war mehr im Haus, aber irgendwie verschaffte er sich Zutritt zu ihrem „Arbeitszimmer“. Er fand sie in schwarzer Lederkleidung auf der Erde liegend, es gibt immer wieder Kunden mit besonderen Wünschen. Aber sie wurde erdrosselt. Herr Lehr geht nicht weiter auf die vielen Taxi-Morde ein, die die amerikanischen Soldaten verübten. Von ihren Garnisonen ließen sie sich in die Frankfurter Vergnügungsviertel fahren, gaben dort wir Geld aus und fuhren wieder zurück. Aber anstatt ihre - inzwischen leere - Brieftasche zu zücken, nahmen sie ihr Messer und stachen zu. Da sich die Zusammenarbeit zwischen deutscher Polizei und der Militärpolizei noch nicht reibungslos gestaltete, verliefen viele der Untersuchungen im Sand. Der nächste Tatort befindet sich der Augustinerkirche! Die Kirche wurde ursprünglich von den Bettelmönchen des Augustiner-Ordens gebaut, die auch viel Geld für die Unterstützung der Armen brauchten, das dann für den Unterhalt der Kirche nicht mehr reichte. Im 18. Jahrhundert war die Kirche baufällig und nun entstand hier die schönste Rokoko-Kirche am Mittelrhein. Wir sind jetzt in der Zeit des Kulturkampfes, besonders enga- Tatort Mainz 7 gierte sich auf der Seite der katholischen Kirche der Bischof Ketteler. Bei Umzügen, besonders mit katholischen Jugendlichen, gab es immer wieder tätliche Angriffe von radikalen Gegnern. Und eines Tages wurde sogar der Priester während seiner Predigt in der Augustinerkirche niedergestochen. Wegen dieser Bluttat musste die Kirche neu konsekriert werden. Bischof Ketteler nahm dies persönlich vor, er trug eine Hostie vom Dom in die Augustinerkirche unter großer Anteilnahme der Mainzer Bürger. Ortswechsel, wir stehen vor dem Kartäuser Hof. Es war der Fasnachtmontag 1853, viele Fremde strömten in die Stadt und versuchten, Trinkbares in den Wirtschaften oder an einer der 520 Zapfstellen aufzutreiben, Mainz hatte zu der Zeit etwa 50.000 Einwohner. Der Kartäuser Hof war eine echte Weinstube, eingerichtet in einem oder zwei Wohnzimmern. Einer der Gäste, ein 23-jähriger Schiffer, stand am Eingang und belästigte die Gäste. Der Wirt kam auf ihn zu, eine schwierige Unterhaltung, der Wirt schlug vor, dass der Schiffer am nächsten Tag noch einmal kommen solle und dann könne er so viel trinken wie er wolle, nur soll er jetzt weitergehen. Der Schiffer trollte sich davon und der Wirt atmete auf, aber nun pöbelte der Störenfried die Gäste vor dem Wirtshaus an. Der Wirt eilte hinaus und nun wurde die Diskussion heftiger, der Schiffer provozierte den Wirt, der ging auf ihn zu. In diesem Moment zog der Schiffer sein langes, rasiermesserscharfes Schiffermesser, mit dem sonst die Fische ausgeweidet werden, und stieß es ihm zweimal in den Unterleib. Der Täter rannte weg und warf dabei sein Messer fort. Aber er wurde gefasst. Eine der Wunden des Wirtes war schwer, die andere tödlich, aber es dauerte einen Tag, bis er qualvoll gestorben ist. In der folgenden Gerichtsverhandlung erhielt der Schiffer nur 14 Jahre Gefängnis in Anbetracht seines jungen Alters, eigentlich hätte er durch die Guillotine sterben müssen. Vielleicht wirkten auch die Ereignisse der 1848er Jahren strafmildernd auf das Urteil. Ein interessanter aktueller Bezug kam für Herrn Lehr unverhofft zum Vorschein, als er einer Gruppe mit Migrantenhintergrund diese Moritat erzählte. Da wurde keine Abscheu empfunden, nur wegen einer Beleidigung Tatort Mainz 8 Kostenfrei und werbegesponsert PDF drucken und direkt per E-Mail versenden >Test it free www.pdfmailer.de PDFMAILER.DE www.pdfmailer.de einen Mord zu begehen, im Gegenteil, das wäre doch eine natürliche Reaktion! Da gibt es wohl noch einiges zu tun... Quer über die Augustinerstraße verschwinden wir direkt neben dem Priesterseminar im schmalen Augustinergässchen, das sich dann hofartig erweitert. Hier oben in einer der kleinen Wohnungen lebte ein 63jähriger Mann, psychisch schwer erkrankt, mit seiner Muter zusammen, die er versorgte. Die Nachbarn hörten oft, wie sie sich stritten, meist in der Wohnküche, aber eines Tages war es still, verdächtig still, auch am nächsten Tag noch. Sie verständigten die Polizei. Da lag die Mutter im Nebenraum mit dem Gesicht nach unten auf ihrem Bett, der Schädel eingeschlagen, der Anblick der herausgequollenen weißen Gehirnmasse einfach schrecklich. Wahrscheinlich wurde mit der blutverschmierten, am Boden liegenden Rohrzange auf sie eingeschlagen. Nachdem die Polizeibeamten sich von diesem Anblick mühsam erholten, drehten sie die Frau auf den Rücken. Sie sahen nur einen riesigen, geronnenen Blutfleck mitten im Gesicht, die Nase war vollkommen verstümmelt. Sie fragten den in einer Ecke hockenden Mann und der sagte nur: „Sie hatte eine hässliche Warze auf der Nase und die habe ich mit der Zange abgezwickt..." Das war für uns schon eine böse Geschichte und wir wurden nachdenklich. Wir schlängeln uns weiter bis vor den Leininger Hof, der allerdings mit keiner solch üblen Tat zu tun hatte. Bisher hörten wir nur, dass Männer zu solchen Taten fähig sind. Aber Herr Lehr las einmal im „Spiegel“, dass es genauso viele Mörderinnen gäbe. Er zieht jetzt zwei sehr ähnliche Fälle aus den Jahren 1836 und 1839 zusammen. Das war die Zeit, als Arsen in bäuerlichen Betrieben zur Schädlingsbekämpfung frei verfügbar war. Eine Mainzerin hatte viel unter den Drangsalen ihres Mannes, eines gestandenen Trinkers, zu leiden. Und mit ihr litten ihre 5 Kinder. Irgendwann fuhr sie mal aufs Land zu ihrer Freundin und da kam dieses Thema zufällig zur Sprache, denn diese kannte die Tätlichkeiten auch von ihrem eigenen Mann, der ebenfalls immer zu viel trank. Man sprach dann über vieles und auf einmal fiel auch das Wort Tatort Mainz 9 „Arsen“. Das schien die Lösung zu sein und die Mainzerin nahm davon etwas mit nach Hause. Ihr Mann aß gerne Kartoffelsuppe und schon tat sie ein bisschen Arsen dazu. Die Suppe hat ihm sehr gut geschmeckt und zeigte nicht die erwartete Wirkung. Einige Tage später gab es wieder Kartoffelsuppe und sie erhöhte die Prise Arsen. Das bekam ihrem Mann weniger, er erbrach sich und damit kam er über die Runden. Es war wahrscheinlich zuviel des guten Stoffes. Ein letzter Versuch, wieder eine Kartoffelsuppe, diesmal weder zu wenig noch zu viel des Giftes und es klappte, der Arzt stellte nur noch einen natürlichen Tod fest. Einige Wochen später starb plötzlich die Schwiegermutter. Das alles ging so einfach! Irgendwann ärgerte sie sich über ihre 5 Kinder, die nach der Art des Vaters gerieten und ihren Frust immer an der Mutter ausließen. Das Unvermeidliche geschah, auch die Kinder ereilte das gleiche Schicksal, ähnliches passierte auch auf dem Bauernhof ihrer Freundin. Das fiel inzwischen dem Hausarzt der Familie auf, aber wie konnte er seine Vermutungen beweisen? Bis ihm eines Tages ein Bericht in die Hände fiel, in dem über Arsenvergiftungen geschrieben wurde und dass die Toten eine mahagoniähnliche Farbe annehmen würden. Das reichte dem Arzt, er ließ die Leichen exhumieren und siehe da, alle wiesen diese Verfärbungen auf, der Fall war geklärt. Im Verhör sagte die Mutter nur, „...das ging so von der Hand weg...“. Beide Frauen wurden zum Tod durch die Guillotine verurteilt, die Mainzerin wegen der besonderen Schwere der Taten zusätzlich noch dazu, dass sie in schwarzer Kleidung zum Schafott geführt und wo ihr zuerst noch die rechte Hand abgehackt wurde. Laut Polizeibericht strömten um die 10.000 Zuschauer zum Windmühlenberg - heute steht hier ein Windrad mit einer Rutschbahn für Kinder -, besonders viele Frauen sollen darunter gewesen sein. Die Guillotine kam mit der französischen Revolution 1797 nach Mainz und galt als humane „Tötungsmaschine“. Bis zum Ende des 2. Weltkrieges verrichtete sie ihre grausame Arbeit, sie bleib dann weiterhin stehen, da sich aber ein neues Grundgesetz ohne Todesstrafe anbahnte, trat sie nicht mehr in Funktion. Als seinerzeit Schinderhannes mit seinen Leuten zum Tod verurteilt wurde, soll er ängstlich gefragt haben, auf welche Art er Tatort Mainz 10 Kostenfrei und werbegesponsert PDF drucken und direkt per E-Mail versenden >Test it free www.pdfmailer.de PDFMAILER.DE www.pdfmailer.de denn sterben müsse und atmete erleichtert auf, als er erfuhr, dass die Guillotine für ihn bereit stand. Es gab nämlich eine Vielzahl grausamerer verhängter Todesarten, die seit jener Revolution in französisch besetzten Gebieten nicht mehr angewandt wurden. Die Henker, die nicht nur die Menschen aufknüpften, sondern auch „peinlichen Strafen“unterzogen, waren ein eigener, wenn auch nicht geachteter Berufsstand, die zu ihrem Lebensunterhalt ihre Gebühren forderten. Da gab es feste Tarife: Daumenstock 1 Gulden 30 Kreuzer „Peinliche Instrumente“ansehen lassen 1 Gulden mit Ruten aussteuben oder ein Brandzeichen setzen 3 Gulden Köpfen oder Hängen 5 Gulden vom Hochgericht abnehmen 3 Gulden Nase oder Ohren abschneiden 3 Gulden Rädern 3 Gulden. Mainz besaß übrigens einen dreischläfrigen Galgen, an den die Delinquenten so vorsichtig aufgehängt wurden, dass ihr Genick nicht brach und sie dadurch qualvoll erstickten, im Todeskampf quoll ihnen ihre Zunge aus dem Mund. Sie bleiben so lange hängen, bis sie von selbst herunterfielen. Diese Stelle, an der Ecke Obere Zahlbacher Straße/Schneckenburger Straße, zog Scharen von Vögeln an, die sich über die Toten hermachten, im allgemeinen wurden zuerst die glänzend erscheinenden Augen ausgepickt. Eine Mensch blieb sogar mal 35 Jahre hängen, wahrscheinlich haben sich dessen Wirbel ineinander verhakt. Herr Lehr merkt, dass wir über das Rädern nicht so alles wissen und er beschreibt es so genau, wie wir es vielleicht gar nicht wollten. Zuerst wurde der zu Folternde auf die Erde gelegt und unter seine Unter- und Oberschenkel je zwei kleine Balken geschoben, das auch noch später unter den Brustkorb und die Ober- und Unterarme. Dann ließ der Henker das große Rad von oben zwischen die Hölzer fallen, bis die dazwischen liegenden Gliedmaßen zerbrachen. Anschließend flocht er den ganzen Kör- Tatort Mainz 11 per durch die Speichen des großen Rades, alle zerbrochenen Gliedmaßen gaben jetzt ja nach. Das Urteil konnte lauten „Rädern von oben“ oder „Rädern von unten“. Der arme Deliquent konnte von „Glück“reden, wenn das Urteil „von oben“hieß, denn dann würde er in einer gnädigen Ohnmacht versinken, aber im Fall „von unten gerädert“ blieb er doch sehr lange bei Bewusstsein. Nun hat es uns gereicht, mir wurde der Mund schon sehr trocken und ich war froh, dass die Führung mit dieser Beschreibung der fürchterlichen Folter beendet war. In diesen zwei Stunden der Führung haben wir wirklich einige der Gewaltverbrechen der letzten 2000 Jahre fast hautnah miterleben können oder auch müssen. Mit unserem Klatschen zeigen wir Herrn Lehr unsere Hochachtung vor seinem Vortrag und vor allem seinen schauspielerischen Fähigkeiten, diese Geschichten nicht nur erzählend, sondern auch mit viel Gestik lebendig werden zu lassen. Frau Schmahl hat für unsere Gruppe im „Aqua Colonia“Sitzplätze reservieren lassen und es dauert nicht lange, bis wir mit einem frischen Bier, einem Kölsch oder Franziskaner Weizen, unsere Lebensgeister wieder wecken können. Die umfangreiche Speisekarte lässt uns bei der Auswahl lange nach dem jeweiligen Gericht suchen. Die Gespräche gehen hin und her und dann kommt viel zu früh der Moment des Aufbruchs, vom Holzhof fahren wir gegen dreiviertel sieben wieder nach Marienborn zurück. Ein weiterer erlebnisreicher Tag im Kreis des Marienborner „KulturGenuss“ gehört zu unseren Erinnerungen. Gedächtnisprotokoll: Jörg Haberfelner Tatort Mainz 12