KÖNIG DER ERZÄHLER

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KÖNIG DER ERZÄHLER
KÖNIG DER ERZÄHLER
Mit seinem zehnten Roman “Die vierte Hand” erobert John Irving einmal mehr die
Bestsellerlisten und hält sich dabei doch nur für einen Handwerker.
“Ich bin nichts als ein Geschichtenerzähler, kein Intellektueller. Das, was ich tue,
kann man am besten mit Handwerk beschreiben. Ich baue Geschichten so
lebensecht und interessant wie möglich”, formuliert der Autor sein Credo, und es
klingt ebenso glaubhaft, als würde Giorgio Armani behaupten, nur ein DamenSchneider zu sein. Tatsächlich gehört John Irving zu den erfolgreichsten Erzählern
des 20. Jahrhunderts – mit Büchern, die Millionenauflagen erreichen und einem
Oscar für sein Drehbuch von “Gottes Werk und Teufels Beitrag”. Da kommt ein
anderes Statement von Irving über Irving der Sache doch wohl näher: “Wenn ein
Romanautor oder ein Filmregisseur nicht Gott spielen kann, wer dann?”
Das Interview-Arrangement lässt jedenfalls eher auf eine Audienz beim König der
Geschichtenerzähler schließen, als auf einen Plausch in des Handwerkers guter
Stube. Am Kopfende einer 14-Personen-Tafel thront der Meister, an den Seiten die
wissbegierigen Journalisten und auf dem Tisch – in Reih und Glied – deren
Diktiergeräte. Routiniert beantwortet er unsere Fragen mit der Nonchalance eines
Autors, der es gewohnt ist, dass seine Werke die Bestsellerlisten stürmen.
Das war nicht immer so, denn die ersten drei Werke Irvings fanden gerade mal eine
Handvoll Leser. Erst mit “Garp und wie er die Welt sah” gelang ihm 1978 ein
literarischer Wurf, der es ihm ermöglichte, seinen Brotberuf als Lehrer aufzugeben,
und sich ganz dem Schreiben zu widmen. Schon “Garp” hatte alle Ingredienzen, die
Irving bei seinen Lesern so beliebt machen: Skurrile Charaktere, die sich in immer
absurdere Situationen verstricken. Parallelen zu seinem eigenen Leben? Mitnichten,
behauptet der Autor doch von sich, im Gegensatz zu seinen (Anti)Helden ein
geradezu langweiliges Leben zu führen - bis auf seine Passion fürs Ringen, die er als
15jähriger entwickelte und bis zu seinem 34. Lebensjahr aktiv pflegte.
Das Thema “Verlust”, das in seinen Büchern leitmotivisch auftaucht, trägt jedoch
stark autobiographische Züge. Denn aufgewachsen mit einem Stiefvater zählt die
Frage nach seinem leiblichen Vater zu Irvings eigenen Lebensthemen. In “Die vierte
Hand” begegnet seine Fangemeinde diesem Thema diesmal auf anderer Ebene,
handelt das Buch doch vom Katastrophen-Reporter Patrick Wallingford, der seine
Hand an einen Löwen verliert und dadurch selbst zum Objekt der Berichterstattung
wird. Vor dem Hintergrund dieser Medien-Satire entspinnt sich seine filigrane
Beziehung zu Doris Clausen, die John Irving mit derselben Liebe zum Detail
schildert, wie er einmal mehr schrägen Charakteren und Situationen huldigt.
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“Wallingford ist ein Tolpatsch, der nicht bedenkt, was passieren kann, weder bei
seinen Reportagen noch bei seinen Affären. Er ist nicht grausam oder gewissenlos,
weil er einfach kein Gewissen hat.” Zusätzlich besitzt er jedoch die Eigenschaft,
Frauen anzuziehen und lässt sich auf sie ein, weil er nicht Nein sagen kann.
Beneidet ihn sein Schöpfer um diesen Charakterzug oder ist es etwa ein Parallele?
Irving grinst und brummelt: “Well, ich glaube diese Ähnlichkeit besteht nicht mehr.
Noch ein Grund, warum ich plötzlich eine Komödie schreiben wollte, ist vermutlich,
weil ich wieder mal ein Buch schreiben wollte, wie ich es früher getan habe: Über die
Sehnsüchte, Triebe und Herausforderungen eines jungen Mannes. Die Figuren in
meinen Büchern hatten angefangen, so ...”, er sucht nach Worten, “ .... so alt
auszuschauen. Nun, eigentlich kein Wunder, denn auch ich werde sechzig.” Dabei
fällt er in das Lachen ein, das dieses Bonmot auslöst. Denn dass hier jemand alt
ausschaut, ist genauso wenig glaubwürdig wie die Sache mit dem Handwerker.
Lebensstationen
Am 2. März 1942 in Exeter (New Hampshire) als ältestes von vier Kindern geboren.
Studium in New Hampshire und Iowa, 1963-64 Aufenthalt in Wien, Arbeit als Lehrer
bis ihm 1978 mit “Garp und wie er die Welt sah” der schriftstellerische Durchbruch
gelang. Seither sind neun weitere Romane – allesamt Bestseller – erschienen, von
denen vier verfilmt wurden. Für sein Drehbuch von “Gottes Werk und Teufels
Beitrag” unter der Regie von Lasse Hallström erhielt er 2000 den Oscar . Er lebt mit
seiner zweiten Frau und dem jüngsten seiner drei Söhne in Toronto und Vermont.
Übers Schreiben ....
“Beim Schreiben ist es wie beim Ringen: Man muß auf eine Geschichte zugehen wie
auf einen Gegner.”
“Sobald ich den ersten Satz geschrieben habe, werden dadurch alle anderen
Optionen ausgeschlossen, und das Buch kann nur noch auf eine ganz bestimmte Art
und Weise verlaufen. Ab diesem Moment ist die Story nur noch eine Frage der
Achtsamkeit, nicht mehr der Vorstellungskraft.”
“Es dauert Jahre ein Buch zu schreiben, und am Ende ist man niemals derselbe wie
zu Beginn.”
Erschienen in Maxima 3/02
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