Santiago de Chile, Universidad de los Andes

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Santiago de Chile, Universidad de los Andes
Erfahrungsbericht Auslandssemester
Santiago de Chile, Universidad de los Andes
Juli bis Dezember 2013, Journalismus
Ein Auslandssemester in Chile zu machen war eine verrückte Idee. Im Gegensatz zu anderen
Destinationen gibt es keine Wohnmöglichkeit am Campus, Kurse und Prüfungen sind auf Spanisch und
ich war der erste Journalismus-Student der FH Wien der WKW an der Universidad de los Andes. In den
Monaten vor der Abreise stellte sich heraus, dass der Visa-Antrag sehr aufwändig und teuer und die Suche
nach einer Wohnmöglichkeit auch nicht so einfach ist. Über das Land wusste von meinem Bekannten- und
Verwandtenkreis auch kaum jemand etwas. Viele negative Aussagen über Chile sollten sich später als
völlig falsch herausstellen. Ich bin abgereist, ohne eine Wohnmöglichkeit gebucht zu haben und ohne am
ganzen Kontinent jemanden persönlich zu kennen. Mit Befürchtungen wegen sprachlicher
Schwierigkeiten, der Erwartung auf den Winter auf der Südhalbkugel und daher ohne große Vorfreude bin
ich in ein weit entferntes Land aufgebrochen.
Vor Ort haben sich sämtliche Befürchtungen schnell als falsch herausgestellt. Bald zog ich bei einer sehr
netten Gastfamilie ein, lernte viele nette Chilenen und Studenten aus der halben Welt kennen, gewöhnte
mich daran jeden Tag Spanisch zu sprechen und entdeckte die vielen schönen Seiten von Santiago. Nach
wenigen Tagen erkannte ich, dass mir fünf großartige Monate bevorstehen könnten. Ich wohnte in einer
Stadt mit Blick auf Andengipfel mit bis zu 5400m Höhe, nur 100km vom Meer entfernt und mit unendlich
vielen Möglichkeiten zum Feiern.
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Vor allem an der Universität haben sich die
Befürchtungen wegen sprachlicher Probleme sogar
als
nützlich
herausgestellt.
Die
Spanisch-
Vorbereitung vor Abreise mit Wiederholung des
Matura-Stoffes hat sich bezahlt gemacht. Ich habe
gezielt und gut überlegt Kurse gewählt und mich
vor allem auf die ersten Prüfungen bestmöglich
vorbereitet. So war es kein Problem positive Noten
zu
schreiben
und
sich
an
die
neue
Unterrichtssprache zu gewöhnen. In den letzten
Wochen konnte ich es ruhiger angehen, weil im Zeugnis der FH Wien der WKW später nur der Verweis
auf die Anrechnung im Ausland, und keine umgerechnete Note, stehen wird.
Das Beste an Chile sind die Chileninnen und Chilenen. Sie sind in der Regel sehr freundlich, hilfsbereit
und interessiert, Ausländer kennenzulernen. Für fast alle war ein Gespräch mit mir das erste mit einem
Österreicher. Sie freuten sich, dass ich als Mitteleuropäer ihr Land für das Auslandssemester ausgewählt
hatte und waren so höflich, dass sie mein anfangs
langsames und einfaches Spanisch sogar lobten.
Die über 40 weiteren Austauschstudenten aus
Europa und Lateinamerika lernte ich auch schnell
kennen. Die meisten Aktivitäten unternahm ich mit
Freunden aus Chile, Peru, Deutschland, Frankreich
und Spanien.
Langweilig wurde es ohnehin nie in Santiago. Mit
Skifahren, Laufen, Bergsteigen, Feiern, Sandboarden, Sommerrodelbahnfahren, Baden, Sightseeing,
Shopping und Studieren hatten wir immer was zu tun. In Santiago
hatten wir insgesamt zwei Regentage und vier kleine Erdbeben ohne
Schäden. Der milde Winter endete bald und ab November hatten wir
fast jeden Tag über 30 Grad und Sonne. Zum chilenischen
Nationalfeiertag am 18. September waren eine chilenische Freundin,
ein Deutscher und ich zur Familie meines Buddy aufs Land
eingeladen. Wir lernten Traditionen kennen und wurden eine Woche
lang mit chilenischen Spezialitäten verwöhnt. Unvergessliche Reisen
führten uns auf den Vulkan Villarrica, an den Pazifik, in den Vogelspinnenwald von San Fabián, auf die
andere Seite der Anden nach Argentinien, in die Atacama und auf die bolivianische Hochebene.
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Die Zeit in Südamerika war so toll, dass man über kleine Probleme und Schwierigkeiten des Alltags gerne
hinwegsah. Das ermäßigte Ticket für die Öffis kam erst nach zweieinhalb Monaten und die Zugangskarte
zur Bibliothek und der Identitätsausweis waren auch nicht leicht zu bekommen. Bus und U-Bahn haben
keinen Fahrplan und fahren manchmal gar nicht, wo man sie gerade braucht. Das Preisniveau ist ähnlich
wie daheim und die Qualität vieler Lebensmittel in den Supermärkten lässt zu wünschen übrig.
Mülltrennung ist noch genauso unentdeckt wie Wärmedämmung. Der Unterschied zwischen Arm und
Reich ist für einen Mitteleuropäer erschreckend. Es hätte also viel zu meckern gegeben. Man darf aber
nicht vergessen, dass Chile vor den 90er-Jahren ein armes Land war und in vielen Bereichen noch großes
Potenzial hat. Gerade diese Umstände machen das Leben dort für einen Austauschstudenten so interessant.
In Chile habe ich so viel fürs Leben gelernt wie in keinem anderen Semester. Die fünf Monate in Chile
waren eine Erfahrung von unschätzbarem Wert und eine so geile Zeit.
Jedem mit Spanisch-Kenntnissen auf Matura-Niveau oder knapp darunter, viel Flexibilität und Interesse
an Lateinamerika kann ich ein Auslandssemester an der Universidad de los Andes auf jeden Fall
empfehlen! Für weitere Tipps und Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Martin Pötz
[email protected]
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