Trauernde Geschwister

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Trauernde Geschwister
Trauernde Geschwister
„Regenbogengruppe“
im Waldpiraten-Camp
Die Gruppe für trauernde Geschwister
(zwischen 9 und 15 Jahren) findet zwei Mal
pro Jahr in den Herbstcamps im Oktober
statt. Die Teilnehmer sind Camper wie alle
anderen und haben während der Woche
mehrere Male die Gelegenheit an der „Regenbogengruppe“ teilzunehmen.
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en Organisatoren ist es wichtig, die trauernden Geschwister in das normale Campgeschehen einzubinden, ihnen viel Kontakt mit der
gesamten Gruppe zu ermöglichen. Sie sollen an den
sportlichen, handwerklichen und teamfördernden
Aktivitäten teilnehmen können. Sie sollen jede Menge Spaß und Freude haben.
Gestärkt vom spannenden Campleben, fällt es den
trauernden Geschwistern leichter, sich in der „Regenbogengruppe“ zusammenzufinden. Zur Verfügung
stehen ein bunter und heller Gruppenraum und zwei
Pädagoginnen. Im Raum können sie sich jederzeit
treffen und austauschen, sich zurückziehen, malen
und schreiben, einfach sie selbst sein.
Im Laufe der Woche füllt sich der Raum zusehends mit Erinnerungen und Gedanken, Bildern der
verstorbenen Geschwister, es wird ein Raum voller
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Erinnerungen, Fragen, Träumen, Weinen und Lachen.
Wir laden die Geschwister dazu ein, viel von sich
zu erzählen, von ihren Stärken und Hobbies und von
ihrem Alltag. Ein aufmerksames Zuhören und Nachfragen der Gruppe wirkt wohltuend und aufbauend.
Jeder erzählt so viel, wie er will, jeder entscheidet
selbst, was er von sich preisgibt.
Dabei werden nach und nach auch die verstorbenen Geschwister in die Runde mit aufgenommen.
Trauer, Tränen, Wut, Ärger, Schuldgefühle, schöne
und wärmende Erinnerungen, nie vergessen werden
wollende Erinnerungen und Geschichten strömen
in die Runde. Mit verschiedenen Ritualen, Liedern,
Tänzen, Gedichten, Spielen und vielem mehr formen
die Geschwister eine Gruppe, die sich gegenseitig
schätzt und unterstützt.
Das Gefühl, voneinander zu wissen, ist ungemein
wichtig, es ist das Band, das die Gruppe zusammen­
hält. Dabei kommen beispielsweise folgende
­Themen zur Sprache:
Zur Bearbeitung der Themen gibt es Kleingruppen,
Zweier- und Einzelgespräche und immer wieder
das Plenum. Mit Methoden wie Landart, Kunst
oder Musik erhalten die Kinder Inspirationen, ihren
eigenen Ausdruck für Trauer und Verlust zu finden. Es
gibt kein maßgeschneidertes Programm, die Gruppe
findet gemeinsam einen Weg und die Themen, die
im Augenblick für sie wichtig sind und kräftigend
und heilend für die Seele wirken.
Getreu dem Campmotto „Mut tut gut!“ werden die
Geschwister auf dem Weg in eine neue, veränderte
Lebenssituation unterstützt in der Hoffnung, dass
die Erstarkung des Selbstbewusstseins identitätsfördernd wirkt.
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◆ Wie war es bei dir in der Schule, wie gehen deine
Klassenkameraden mit dir um?
◆ Hat sich dein Freundeskreis verändert?
◆ Wie wurde das verstorbene Geschwister verabschiedet?
◆ Wo war ich in diesem Moment?
◆ Was passiert mit dem Zimmer des Geschwisters?
◆ Mit seinen Sachen?
◆ Wie sollen wir denn jetzt den Geburtstag, Ostern,
Weihnachten feiern? Wie macht ihr das?
◆ Was kann ich tun, damit die Erinnerungen und
mein Geschwister in mir lebendig bleiben?
◆ Was wird sich in Zukunft für mich verändern?
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„Vergissmeinnicht“
Der Museumskoffer Vergissmeinnicht
vermittelt Kindern auf ungewöhnliche
Weise einen Umgang mit den Themen
Sterben, Trauern und Erinnern.
Wer beim Museumskoffer an einen Koffer
denkt, liegt schon mal ziemlich falsch: Es
ist eine Art buntgestalteter Kindersarg
auf kleinen Rollen.
Wer jetzt überrascht ist, sich ein wenig
gruselt und gleichzeitig neugierig darauf
wartet, dass der Deckel geöffnet wird
– der ist schon ganz dicht dran an den
Kindern, die ebenfalls vor Aufregung
und Spannung kaum noch ruhig bleiben
können.
Was verbirgt sich in dieser Kiste? Weitere
Kistchen – kleine und auch größere. Jede
ist einem bestimmten Thema zugeordnet. Etwa Krankheit und Sterben. Fieberthermometer, Blutdruckmessgerät und
ein Stethoskop kommen zum Vorschein
und schon erzählen die Kinder, wie es
war im Krankenhaus. Ein Neunjähriger
hängt sich das Stethoskop fachmännisch
um, er durfte schon einmal seinen kranken Bruder abhorchen. Die Ärztin hatte
ihm gezeigt, wie es geht.
Die Gegenstände, die der Museumskoffer
enthält, regen die Kinder an, über ihre
Erlebnisse zu sprechen. Ein Karton ist gefüllt mit Utensilien für ein Rollenspiel. Wir
spielen Beerdigung mit Schleierhütchen,
schwarzer Krawatte, Grablichtern – und
sogar eine echte Urne gibt es.
Die Kinder können Traueranzeigen selbst
gestalten, sich über Begräbnisrituale
in anderen Kulturen informieren und
immer wieder über ihre eigene Situation
sprechen – wie es war, die Puppe auf das
Grab der kleinen Schwester zu legen.
Oder der Schreck, als Opa sagte „Wen
Gott liebt, den holt er früh zu sich“.
Der Koffer gibt jede Menge Anregungen für Kinder im Grundschulalter, aber
natürlich auch für die Erwachsenen – ein
Handbuch mit detaillierten Beschreibungen und einer guten Einführung in
das jeweilige Themenfeld, Trauermusik,
Filme, Sach- und Kinderbücher und noch
vieles mehr gilt es zu entdecken.
Der Einsatz des Koffers beim Geschwisternachmittag sollte gut vorbereitet sein,
weil die Fülle des Materials den Zeitrahmen schnell sprengt.
Im Koffer befindet sich auch ein ganz
kleines Kästchen: Voller Begeisterung
säen die verwaisten Geschwister die
Samen von Vergissmeinnicht in ihre
Blumentöpfe.
Sylvia Vogel
Sylvia Vogel ist Leiterin des Kindertrauerzentrums der Björn Schulz Stiftung Berlin.
Der Koffer und die Verleihkonditionen können
unter „Museumskoffer Vergissmeinnicht“
­gegoogelt werden.
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„manchmal muss man
sich einfach auskummern,…
weißt du?!“
Sonnenstrahl e.V. Dresden verfügt inzwischen über langjährige Erfahrungen im Bereich Geschwisterarbeit. Die Arbeit mit Geschwistern
krebskranker Kinder ist einer der Schwerpunkte der Vereinsaktivitäten.
N
eben der Beratung der
Eltern zu der herausfordernden Situation ihrer gesunden Kinder während und
nach der stationären Therapie
und monatlich stattfindenden Geschwistertagen sind
die erlebnispädagogischen
AktivCamps ein wesentlicher
Bestandteil unserer Begleitung. Zu den meist siebentägigen Fahrten laden wir
alle Geschwister ein, egal ob deren Bruder oder Schwester sich noch in Therapie oder
bereits in der Nachsorge befinden oder ob sie verstorben sind.
Zusätzlich bieten wir alle zwei Jahre ein AktivCamp nur für verwaiste Geschwister im
Alter zwischen 9 und 16 Jahren an, um diesem besonderen und schweren Trauer-Erlebnis einen Raum zu geben. Wie in jedem anderen Camp schaffen wir eine Zeit, in
der die Kinder und Jugendlichen außerhalb ihres Familienverbandes und des Alltags
etwas Spannendes erleben, Spaß haben, Freundschaften knüpfen, Neues probieren,
rumalbern usw. Zum anderen bieten wir die Basis für Austausch über gemeinsame und
ähnliche Erfahrungen. Ganz bewusst nehmen wir uns vormittags Zeit, um kreativ über
Themen der Geschwister miteinander ins Gespräch zu kommen.
Die Themen sind so offen vorgegeben, dass über den Tod des Geschwisters und die
Auswirkungen auf Familie und das eigene Leben geredet werden kann, jedoch nicht
muss. Diese Entscheidung liegt in der Gruppe und bei jedem Einzelnen. So können
wir allgemein über Veränderungen im Leben, allgemein über Erinnerungen, Herausforderungen, Zukunft, Familie, eigene Stärken und Fähigkeiten ins Gespräch kommen
oder die Erfahrung mit dem verstorbenen Geschwister einbeziehen. Unsere Erfahrung
ist, dass meist irgendwann ein Teilnehmer anfängt, über seine Trauer-Erlebnisse zu
berichten und damit das „Eis“ gebrochen ist und die Gruppe anfängt zu „sprudeln“. Die
Geschwister erzählen von ihren Erlebnissen auf den Beerdigungen, wie und ob sie Bruder und Schwester nach dem Tod noch
einmal berührt haben, wie sie mit der
eigenen Trauer in der Familie umgehen
und was ihnen am meisten fehlt.
„Manchmal muss man sich einfach
auskummern…“ gab im letzten Camp Tim
einer Teilnehmerin als Ratschlag mit auf
den Weg und bestärkte sie, sich einfach
dem Traurigsein hinzugeben und nicht
wegzudrücken, wie sie es sonst immer
gegenüber den Eltern macht. Die Geschwister untereinander nutzen die Zeit des Wanderns, der Ausflüge und des Flüsterns vor dem Einschlafen, um immer mal wieder über
ihre Situation zu sprechen.
Zusätzlich gibt es durch einen hohen Betreuerschlüssel (mindestens ein Betreuer auf
drei teilnehmende Kinder) immer die Möglichkeit Einzelgespräche zu führen. n
Corinna Neidhardt, Sozialpädagogin im Sonnenstrahl e.V. Dresden
…
Sie haben ihr eigenes Reich auf einem
ganzen Stockwerk, treffen sich regelmäßig
an eigens für sie gestalteten Nachmittagen
und unternehmen gemeinsam Ausflüge:
Die Begleitung der Geschwister lebensverkürzend erkrankter Kinder zählt mit zu den
Kernaufgaben der Arbeit im Kinderhospiz
Sterntaler in Dudenhofen bei Speyer.
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as seit 2009 bestehende Hospiz ist die
einzige stationäre Einrichtung dieser Art in
Rheinland-Pfalz und der Metropolregion Rhein-Neckar. Sie finanziert sich zum allergrößten Teil über
Spenden. Vor wenigen Wochen erst wurde der neue
Erweiterungsbau eingeweiht, so dass nun künftig
zwölf Pflegeplätze für lebensverkürzend erkrankte Kinder zur Verfügung
stehen. Für die Familien ist
die umgebaute alte Mühle
am kleinen Woogbach längst
zu einem Ort der Geborgenheit geworden, an dem sie
auftanken können.
„Wir wollen den Geschwistern ein Stück Lebensfreude
bieten“, erklärt Christine
Müller-Panzer, systemische
Familientherapeutin. Immer
Rücksicht nehmen müssen,
zurückstecken und vernünf-
tig sein, wenn sich die Aufmerksamkeit
der Eltern erforderlicherweise auf das
kranke Kind konzentriert – darunter
­leiden die Geschwister natürlich. „Wir
stellen sie in den Mittelpunkt“, sagt Christine Müller-Panzer. Sie haben ihre eigene
Etage mit Musik- und Instrumenten-Ecke,
Kreativ-Bereich, Chillout-Zone und vielem
mehr ganz für sich. Heil- und Sozialpädagogen begleiten und unterstützen die Mädchen und
Jungen.
Einmal im Monat treffen sich die Kinder zum
Familien-Nachmittag: „Das ist jedes Mal eine ganz
unbeschwerte Zeit mit viel Spiel und Spaß“, berichtet
die Sterntaler-Therapeutin und fügt hinzu: „Dieser
Nachmittag wird mitunter auch speziell für die Geschwister gestaltet und signalisiert: Du bist wichtig,
das wird hier auch für dich veranstaltet.“ Mit im Boot
sitzen viele engagierte Partner, die diese Stunden
immer zu einem Erlebnis werden lassen: Ob die Feuerwehr aufs Hospiz-Gelände fährt, der Segelflugverein die Kinder hoch hinaus bringt oder ob gemütlich
gemeinsam gekocht wird – solche Aktionen sind
für die Geschwister echte
Highlights, von denen sie
lange berichten. Aber auch
in den Kletterwald, in den
Zoo, ins Fußballstadion
oder ins Kino stehen regelmäßig auf dem Programm.
„Denn natürlich sind die
Eltern nicht so flexibel und
können sich einfach mal
spontan ins Auto setzen,
um irgendwohin zu fahren“,
weiß Christine Müller-Panzer aus Erfahrung.
Und nicht zuletzt kennen sich die Kinder durch die
Regelmäßigkeit der Angebote untereinander und
finden dabei gute Freunde. „Denen müssen sie nichts
erklären, denn sie sitzen ja alle im gleichen Boot“, so
die Therapeutin. n
Weitere Informationen unter:
www.kinderhospiz-sterntaler.de
www.facebook.com/Kinderhospiz.Sterntaler
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„…dass ich nicht mehr
so arg weinen muss“
Anna e.V. bietet Hilfe für trauernde Kinder und Jugendliche
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Marion Köhler
ie Kinder, die zu uns kommen, verbindet
dasselbe Schicksal: Ihr Bruder oder ihre
Schwester ist an Krebs gestorben. Ein Verlust, der sie
ihr Leben lang begleiten wird.
Seit Herbst 2014 findet im Anna-Haus einmal im
Monat die Geschwister-Trauergruppe statt. Durch
den Austausch mit anderen erfahren die Kinder und
Jugendlichen, dass sie mit ihrer Trauer nicht alleine
sind und dass es Menschen gibt, die sie verstehen.
„…dass ich nicht mehr so arg weinen muss“ – so
lautete die Antwort eines Jungen auf die Frage, was
ihm in der Geschwister-Trauergruppe am meisten
geholfen habe.
Begleitet wird die Gruppe von Marion Köhler, Dipl.
Kunsttherapeutin und ausgebildete Trauerbegleiterin für Kinder und Jugendliche. In ihrer täglichen
Arbeit bei Anna e.V. hat sie seit fast 10 Jahren mit
trauernden und Abschied nehmenden Kindern zu
tun. Sie macht verschiedene kreative Angebote,
bringt Geschichten, Musik, Spiele und Filme mit, die
den jungen Menschen in ihrer Trauer eine Hilfe sein
können. Rituale und die Beschäftigung mit dem Thema in alters­
entsprechender Form hilft den
Kindern und Jugendlichen dabei
in der Auseinandersetzung mit
dem, was sie erlebt haben.
Sie machen dabei eine wichtige Erfahrung: Die Erinnerung an den verstorbenen Menschen ist ein Schatz, ihr Leben kann ohne den geliebten
Menschen weitergehen und erfüllt sein.
Die Gruppe bietet einen geschützten Rahmen, in
dem die Besonderheiten der Kindertrauer respektiert
werden. Gefühle wie Traurigkeit, Hilflosigkeit, Wut,
Angst und Freude finden ihren ganz individuellen
Ausdruck.
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Die Geschwister-Trauergruppe ist kostenfrei
und findet einmal im Monat im Anna-Haus statt
(Schlaitdorfer Weg 5, 72631 Aichtal-Aich). Vor
Beginn findet ein Eltern-Informationsabend statt.
Termine, Anmeldung und weitere Infos bei:
Marion Köhler, Dipl. Kunsttherapeutin, Trauerbegleiterin für Kinder und Jugendliche (BVT)
[email protected]
Jef Aerts, Marit Törnqvist
Größer als ein Traum
Verlag: Freies Geistes Leben 2013
Alle Kinder gestalteten gemeinsam ihre
Trost-Sonne
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Ausgezeichnet mit dem Preis für das beste flämische Kinder- und Jugendbuch, dem „Bücherlöwen“ im März 2014
Er kennt nur das Foto von ihr an der Wand. Und die Trauer
von Mama und Papa erinnert noch an sie. Doch dann
begegnet ihm seine Schwester im Traum, und während
er noch überlegt, was er sie alles über den Tod fragen
möchte, fordert sie ihn fröhlich auf, eine gemeinsame
Fahrradtour zu unternehmen. Es wird ein richtiges Abenteuer, Der Junge fühlt sich geborgen und genießt das Glück,
nicht allein zu sein. Gemeinsam besuchen sie die letzten Orte, die noch an das
Leben des Mädchens erinnern. Als der Junge am Morgen aufwacht, kann er zum
ersten Mal ohne jede Angst über seine tote Schwester sprechen.
Eine sensibel erzählte, tröstliche Geschichte mit heiteren und traurigen Gefühlnuancen, die viele Anhaltspunkte für Gespräche über Tod und Verlust bietet.