Der Gottesbezug in der EU-Verfassung

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Der Gottesbezug in der EU-Verfassung
Christ in säkularer Gesellschaft?
Die Rolle der Religionen im Europa von morgen
Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses,
Seminar „Journalistische und gesellschaftliche Verantwortung“, Mainz, 16. – 18. April 2004
Der Gottesbezug in der EU-Verfassung
(Vortrag von Georg Düchs, FEECA-Büro Brüssel (aksb/IAE) am 17.04.2003)
< 0. Anrede >
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich möchte mich zunächst für Ihre Einladung bedanken. Ich freue mich, hier zu sein, Sie kennen zu lernen und mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.
Der Titel, den Herr Nicolini für meinen Vortrag vorgeschlagen hat - Der Gottesbezug in der EUVerfassung - ist interessant: Denn weder gibt es bisher eine EU-Verfassung, noch gibt es im immerhin
existierenden Entwurf zu einer solchen Verfassung einen Gottesbezug. Ich hoffe, trotzdem nicht nur
heiße Luft zu ventilieren, sondern ein paar substantielle Anmerkungen zu diesem abstrakten Ding machen zu können.
Ich möchte mich meinem Thema über einen gewissen Umweg nähern: Ich werde zunächst kurz über
die „Präsenz der Kirchen in Brüssel“ berichten und dann ein paar Worte über den „Verfassungsprozess“
verlieren. Den dritten Abschnitt habe ich etwas anmaßend überschrieben mit „Grundlagen Europas:
christliche Werte in der EU-Verfassung?“, um dann im letzten Teil auf „die Präambel des Verfassungsentwurfs und den Gottesbezug“ zu kommen.
< I. Kirche in Brüssel >
Zunächst also in gebotener Kürze: Kirche und EU.
< a) de jure >
De jure ist dieses Thema schnell abzuhandeln: Die rechtlichen Beziehungen zwischen Kirche und Staat
sind in der EU auf nationaler Ebene geregelt. Dies ist in einem Anhang zum Vertrag von Amsterdam
festgehalten. Die drei Zeilen dieses „Anhangs 11“ nehmen der EU jegliche Kompetenz in diesem Bereich. Dementsprechend gibt es im gesamten EU-Administrationsapparat nur eine einzige Person, die
für die Schnittstelle Politik und Religion zuständig ist. Diese Person ist eigens von Romano Prodi in seinen persönlichen Beraterstab berufen worden, was zeigt, dass Prodi den Dialog mit den Religionsgemeinschaften für wichtig hält, was aber auch bedeutet, dass diese Stelle sich bis auf weiteres nur der
Prioritätensetzung des je amtierenden Kommissionspräsidenten verdankt. Der Dialog zwischen Kirche
und Europäischer Union ist also zur Zeit noch nicht institutionell verankert, aber die Kommission scheint
diesen Dialog zu suchen, und natürlich findet er in mehr oder weniger strukturierter Form auch bereits
statt.
<b) de facto>
Damit bin ich bei der de facto-Lage; hier ist zu differenzieren. Auf der einen Seite ist die Brüsseler Administration nach französischem Vorbild geformt, und vor allem auch der Geist der Europäischen Politik
ist stark von der französischen laicité, also der absoluten, oft bis zur Ignoranz gehenden Trennung von
Kirche und Staat beeinflusst. Man muss auch berücksichtigen, dass die Anfänge der EU in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit bestanden. Als „politische Union“ und zunehmend als „Wertegemeinschaft“ versteht sich die EU erst seit dem Vertrag von Maastricht 1993; insofern verwundert nicht, wenn
Gottesbezug in EU-Verfassung, Georg Düchs, 17.04.2004
die Dimension des Religiösen in der EU-Politik bisher unterbelichtet ist. Zudem muss man sehen, dass
es in Belgien starke und organisierte kirchenkritische und antireligiöse Bewegungen gibt; in diesem kulturellen Umfeld wird die europäische Politik gemacht, und natürlich hat dies einen atmosphärischen
Einfluss auf das Diskussionsklima. Man überspitzt kaum, wenn man sagt, dass „die EU-Administration“
von Religion im öffentlichen Raum eher irritiert ist.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich Parlamentarier und Beamte mit religiösem Hintergrund, und verschiedene religiöse Gruppen und kirchliche Organisationen sind am Ort der europäischen politischen
Diskussion und Entscheidung präsent, um sich in die Debatte einzumischen, um die europäische Politik
zu begleiten und sie mitzugestalten.
< c) kirchliche Büros in Brüssel >
Wichtigste Vertretung der katholischen Kirche gegenüber der Europäischen Union ist, neben dem Europäischen Nuntius, Monsignore Faustino Sainz-Munoz, die gemeinsame Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union, ComECE 1. Jede der Bischofskonferenzen in der EU hat einen Bischof
an die ComECE delegiert. Derzeitiger Vorsitzender ist der deutsche Bischof Josef Homeyer aus Hildesheim. Die Bischöfe haben in Brüssel ein Sekretariat, in dem etwa 10 Leute beschäftigt sind. (Zum Vergleich: Die Vertretung des Bundeslands Brandenburg bei der EU hat auch 10 Personen beschäftigt.)
Die Aufgaben des ComECE-Sekretariats sind: die politischen Vorgänge in der EU zu beobachten, die
nationalen Bischofskonferenzen zu informieren und sich umgekehrt gegebenenfalls in die politische
Diskussion auf europäischer Ebene einzubringen. Neben dem Sekretariat unterhält die ComECE Arbeitsgruppen und Kommissionen zu speziellen Fragen wie Bioethik, Asylpolitik oder Wirtschafts- und
Sozialpolitik.
Weiter gibt es in Brüssel ein Büro der Kommission für Kirche und Gesellschaft der Konferenz der europäischen Kirchen (KEK), die 128 protestantische, orthodoxe und altkatholische Kirchen vertritt. Die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) hat ein Brüsseler Büro, und auch die griechische und die russische Orthodoxie sind mit kleinen Delegationen vertreten.
Neben diesen Vertretungen von Kirchen gibt es mehrere kirchliche Organisationen, die eigene Büros in
Brüssel eröffnet haben: Die Jesuiten haben ein Informationsbüro2, die Dominikaner haben ihre Vertretung 3, genauso wie die Vereinigung der Ordensoberen 4. Die Caritas und die evangelische Diakonie vertreten den sozialen Bereich und die Arbeit mit Migranten und Flüchtlingen, für die ebenso der Flüchtlingsdienst der Jesuiten5 und andere kirchliche Organisationen6,7 stehen. Die kirchliche Entwicklungsarbeit wird von entsprechenden Organisationen 8,9 repräsentiert und das Komitee der katholischen
Schulen in Europa und die europäische Föderation für katholische Erwachsenenbildung10 vertreten die
kirchliche Bildungsarbeit. Die KNA hat einen Korrespondenten in Brüssel, Pax Christi ist genauso vertreten wie das europäische ökumenische Jugendforum11, die katholische Land-und Bauernjugend 12 und
andere mehr. Seit drei Jahren gibt es auch eine Kapelle im Europaviertel, in der regelmäßige Gebetszeiten aber auch Vorträge und andere Veranstaltungen angeboten werden.
Das scheint also eine ganze Menge, aber die meisten dieser Vertretungen sind sehr klein, oft bestehen
sie, wie mein Büro, nur aus einer Person. Kooperation ist daher wichtig, und die kirchlichen Vertreter in
1 COMECE : COMmission des Episcopats de la Communauté Européenne
2 OCIPE: Europabüro der Jesuiten
3 ESPACES = Spiritualités, Cultures et Sociétés en Europe.
4 UCESM: Union des Conférences Européennes des Supérieurs/-es Majeurs/es
5 JRS-Europe = Jesuit Refugee Service.
6 CCME: Die ökumenische Churches‘ Commission for Migrants in Europe.
7 ICMC: International Catholic Migration Commission – Internationale Katholische Kommission für Migrationsfragen.
8 APRODEV = Association of World Council of Churches related Development Organisations in Europe – Entwicklungshilfeorganisationen des Weltrats der
Kirchen.
9 CIDSE - Internationale Abeitsgemeinschaft für Entwicklung und Solidarität.
10 FEECA - Fédération européenne pour l‘éducation catholique des adultes – Europäischer Verband für katholische Erwachsenenbildung. Träger des Büros sind die deutsche AKSB (Arbeitsgemeinschaft katholisch sozialer Bildungswerke und die Internationale Arbeitsstelle Erwachsenenbildung IAE.
11 EYCE: Ecumenical Youth Council of Europe
12 MIJARC: Mouvement International de la Jeunesse Agricole et Rurale Catholique
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Gottesbezug in EU-Verfassung, Georg Düchs, 17.04.2004
Brüssel arbeiten auch gut und in selbstverständlicher Ökumene zusammen. Dies liegt sicher auch daran, dass der Kreis entsprechender Personen nicht besonders groß ist: Alle kirchlichen Vertreter bei der
EU zusammengenommen, von den Quäkern bis zur russischen Orthodoxie, vom Nuntius bis zu mir,
machen schätzungsweise 50 bis 60 Personen aus. Wieder zum Vergleich: Der Freistaat Bayern restauriert soeben für 30 Mio € ein Anwesen, in dem in Kürze, so hört man, an die 40 Referenten, also mit
Sekretariat, Praktikanten und Hausmeisterei wohl deutlich mehr als 60 Leute, die Interessen des Freistaates Bayern in der EU vertreten werden – wohlgemerkt, nur die des Freistaates, denn die bayerischen Kommunen haben ja ihr eigenes Brüsseler Büro, das mit vier Personen besetzt ist. Alle zwei Jahre baut die bayerische Vertretung auf einem zentralen Platz im Europaviertel ein Bierzelt auf, um ein
„Oktoberfest“ zu feiern. Das letzte Mal wurden zum ersten Abend 3000 Personen aus der europäischen
Politik und Gesellschaft eingeladen auf Kosten des Freistaats zu speisen, zu trinken und den Klängen
der eingeflogenen Blaskapelle zu lauschen - Klar dass angesichts dieser Präsenz Lederhosen in Brüssel bekannter und populärer sind als Soutanen – wenn ich zum Zwecke des schönen Bildes mal in die
vorkonziliare Mottenkiste greifen darf.
Soweit in aller Kürze zur Präsenz der Kirche bei den EU-Institutionen.
< II. Der Konvent zur Zukunft Europas und der Entwurf für eine europäische Verfassung >
Ich komme zu meinem zweiten Punkt: Dem Konvent und seinem Verfassungsentwurf.
< a) Vorgeschichte und aktueller Stand >
Im Dezember 2000, bei ihrem Gipfel in Nizza, merkten die EU-Regierungschefs, dass sie an einem toten Punkt angelangt waren. Die Erweiterung der EU um 10 neue Staaten war beschlossen, aber man
merkte spätestens jetzt, dass die bisherigen Verfahren der Entscheidungsfindung in einer EU der 25 nur
zu Blockade und Stillstand führen konnte. Joschka Fischer hatte bereits im Mai 2000 in einem Vortrag in
der Humboldt Uni - als Privatmann aber doch klar vernehmlich – über die künftige Verfasstheit und Verfassung der EU räsoniert, und die europäische Charta der Menschenrechte, veröffentlicht im Dezember
2000, stieß auf ein positives Echo. Durch all dies ermutigt, beschloss der Europäische Rat von Laeken
im Dezember 2001 die Einrichtung eines Konvents, der sich über die Zukunft der Europäischen Union
Gedanken machen und die nächste Regierungskonferenz vorbereiten sollte. Er bekam dazu eine lange
Liste von Fragen mit auf den Weg: Die Erklärung von Laeken ist auch insofern bemerkenswert, als sich
dort auf 7 locker bedruckten Seiten 59 Fragezeichen befinden; soviel Nachdenklichkeit entspricht sonst
gar nicht dem Stil unserer Regierungschefs…
Der Konvent bestand aus 104 Delegierten von den EU-Institutionen, nationalen Parlamenten und nationalen Regierungen. Vertreten waren nicht nur die EU-Länder, sondern auch die 10 Beitrittsländer, sowie
die Kandidaten Bulgarien, Rumänien und Türkei. Zu Abstimmungen kam es nicht, vielmehr wurde nach
dem Konsensprinzip verfahren. Eine wichtige Rolle spielte deshalb das Präsidium und vor allem der
Präsident, Valery Giscard d’Estaing, der den Konvent zielstrebig und bestimmt leitete. Der Konvent tagte über ein Jahr lang, im Plenum und in verschiedenen Arbeitsgruppen, bis er im Juli 2003 sein Ergebnis vorstellte: den Entwurf einer veritablen „Verfassung für Europa“. Wie Sie wissen war eigentlich geplant, dass die Regierungskonferenz im Dezember in Rom diesen Entwurf annähme, aber dies ist gescheitert. In Brüssel hat man dieses Scheitern durchaus als einen Schock erlebt: Sie müssen sich vorstellen, dass sich dort ein ganzes Jahr lang fast alles um diesen Konvent gedreht hatte, und fast jeder
von der Notwendigkeit einer neuen, tragfähigen Basis für die EU überzeugt war –
und ist. Denn der Verfassungsprozess ist keineswegs tot: Die irische Ratspräsidentschaft arbeitet still,
aber wie es scheint effizient und mit Fingerspitzengefühl daran, Kompromisse für die rund 30 noch offenen Fragen zu finden. Zudem lassen die Regierungswechsel in Spanien und Polen auf ein einfacheres
Verhandlungsklima hoffen und, so seltsam das klingt, die Terroranschläge von Madrid haben sicher
auch dazu beigetragen, dass die Notwendigkeit einer Stärkung Europas mit neuer Dringlichkeit bewusst
geworden ist. So scheint es nicht unmöglich, dass noch unter irischer Präsidentschaft, also bis zum Juli,
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die Regierungschefs – auf Basis des vorliegenden Entwurfs - eine Verfassung für Europa paraphieren
werden. Bis diese Verfassung dann aber in Kraft treten kann, wird in jedem Fall noch einige Zeit vergehen: erst müssen die nationalen Parlamente oder in vielen Ländern auch das Volk selbst den Text ratifizieren, und erst wenn dies überall geschehen ist, wird Europa seine Verfassung haben.
< b) Inhalt >
Bevor ich zur Mitwirkung der Kirchen im Konventsprozess komme, ganz kurz die wesentlichen Inhalte
des Verfassungsentwurfs. Abgesehen von der Präambel, auf die ich ausführlich zurückkomme, hat der
Text 4 große Teile: Der erste beschreibt die Grundlagen der EU, ihre Natur, ihre Werte und Ziele, ihre
Institutionen und deren Zuständigkeiten. Als zweiter Teil wurde die europäische Grundrechtecharta aus
dem Jahr 2000 übernommen, der dritte Teil widmet sich den einzelnen Politikfeldern der Union, und der
vierte enthält die üblichen Übergangs- und Schlussbestimmungen samt einiger beigefügter Protokolle
und Erklärungen.
In dem Entwurf wird die EU definiert als eine Union der Staaten und der Bürger. Dementsprechend sollen im Europäischen Rat künftig die meisten Entscheidungen mit doppelter Mehrheit – 50 % der Länder
und gleichzeitig 60 % der Bürger – gefällt werden. Dies ist allerdings noch ein Streitpunkt zwischen den
Regierungen, genauso wie die vorgesehene Reduzierung der Zahl der europäischen Kommissare auf
15. Ferner bekäme das Parlament mehr Mitwirkungsmöglichkeiten, die Kompetenzen von Union und
Mitgliedsstaaten würden klarer definiert und subsidiär geregelt; die polizeiliche Zusammenarbeit würde
erleichtert, die europäischen Gesetzgebungsverfahren vereinfacht; der europäische Rat bekäme einen
hauptamtlichen Vorsitzenden, es gäbe einen europäischen Außenminister, und außerdem die Möglichkeit eines europäischen Bürgerbegehrens. Die Europäische Union bekäme eine eigene Rechtspersönlichkeit und die Grundrechtecharta würde rechtsverbindlich.
In dieser Grundrechtecharta ist an verschiedener Stelle direkt oder indirekt von Religion und Kirche die
Rede. So werden die individuelle und die kollektive Religionsfreiheit anerkannt (Art. II-10), ebenso wie
das Recht auf Nichtdiskriminierung aus Gründen des religiösen Bekenntnisses (Art. II-21) oder die Achtung der Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen (Art. II-22).
Der Verfassungsentwurf erkennt auch an, dass Kirchen und Religionsgemeinschaften sich von repräsentativen Verbänden und partikulären Interessenvertretungen unterscheiden. In diesem Zusammenhang ist besonders Artikel I-51 von Interesse, der einmal den erwähnten Anhang 11 des Amsterdamer
Vertrags wiedergibt, also die Regelung des Staat-Kirche-Verhältnisses in die Verantwortung der Nationalstaaten weist, andererseits aber darüber hinausgehend die EU auf einen „offenen, transparenten und
regelmäßigen Dialog“ mit „Kirchen, religiösen Vereinigungen und weltanschaulichen Gemeinschaften“
verpflichtet. Die Aufnahme dieses Artikels in den Verfassungsentwurf war für die meisten kirchlichen Akteure ein wichtiges Anliegen – in der Regel wichtiger als der Gottesbezug in der Präambel.
< c) kirchliche Beiträge zur Verfassungsdebatte >
Damit bin ich bei den kirchlichen Beiträgen zur Verfassungsdiskussion. Der Konvent legte Wert auf
Transparenz und Beteiligung der Bürger und der Zivilgesellschaft: Alle Dokumente waren und sind zugänglich und jeder, der wollte, konnte sich über ein Internetforum mit Diskussionsbeiträgen zu Wort
melden. Natürlich haben dies auch die Kirchen und zahlreiche kirchliche Organisationen getan.
Lassen sie mich zunächst betonen, dass die Forderung nach einem Gottesbezug in deren Stellungnahmen keineswegs im Vordergrund stand. Meist tauchte sie gar nicht auf: Bei den Stellungnahmen der
Caritas, der Diakonie, des Europabüros der Jesuiten, der lutheranischen Kirche von Finnland, des kath.
dt. Frauenbundes etc. etc. ist weder von einem Gottesbezug noch von einem Verweis auf das christliche Erbe Europas die Rede. Stattdessen mahnen all diese Organisationen, dass die EU in ihrer Verfassung klar ausdrücken solle, dass sie sich einem Wertfundament verpflichtet fühlt und dass der Mensch
Ausgangs- und Zielpunkt aller politischen Bemühungen sein müsse. Und dass festgeschrieben werden
müsse, nicht nur dass, sondern in groben Zügen auch wie die Union die Achtung der Menschenrechte
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Gottesbezug in EU-Verfassung, Georg Düchs, 17.04.2004
in Europa und darüber hinaus in konkrete Politik umsetzen wolle. Dies, wie gesagt, der Grundtenor, den
ich aus den offiziellen Beiträgen kirchlicher Gruppen herauslese.
Als Beispiel möchte ich kurz auf den ersten Beitrag der ComECE eingehen. Zunächst wird dort an das
Ziel erinnert, Frieden und Wohlstand in Europa zu gewährleisten und Entwicklung, Gerechtigkeit und
Freiheit in anderen Ländern der Welt zu fördern. Der Konvent wird an die Prinzipien erinnert, die dem
europäischen Integrationsprozess zugrunde liegen: „zentrale Stellung des Menschen, ferner Solidarität,
Subsidiarität und transparente Demokratie“, das alles orientiert am „Gemeinwohl“. Dann werden mit jeweiliger kurzer Erläuterung, sechs Forderungen an einen künftigen Verfassungsvertrag erhoben. Als
Resumée eines Abschnitts über „Menschenwürde und Grundrechte“ heißt es erstens: „Das Sekretariat
der COMECE empfiehlt, dass ein zukünftiger Verfassungsvertrag der Europäischen Union jenes Offene
und unableitbar Andere anerkennt, das mit dem Wort Gott verbunden wird. Dies erleichtert einerseits
die Identifikation der Bürger mit den Werten der Europäischen Union, andererseits ist es Zeichen dafür,
dass öffentliche Gewalt kein Absolutum ist. Eine inklusive Bezugnahme auf das Transzendente bedeutet zugleich eine Garantie für die Freiheit der menschlichen Person.“ Zweitens unterstreich das Sekretariat der COMECE „die Bedeutung der Anerkennung von Grundrechten in einem zukünftigen Verfassungsvertrag – einschließlich der Religionsfreiheit in allen ihren Dimensionen: der individuellen, der kollektiven und der institutionellen.“ Die dritte Forderung ist, die „Förderung des Gemeinwohls als ein
Grundprinzip und Kernziel in einen zukünftigen EU-Verfassungsvertrag aufzunehmen.“ Viertens wird die
Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips unterstrichen, „sowohl in seiner vertikalen als auch in seiner horizontalen Dimension. Beide Dimensionen dieses Prinzips sollten in einem zukünftigen EU-Verfassungsvertrag explizite Anerkennung finden.“ Schließlich geht es in einem fünften und sechsten Punkt
um die Rolle der Kirche in der Gesellschaft: „Der spezifische Beitrag der Kirchen und Religionsgemeinschaften <für die Zukunft der EU sollte> in einem zukünftigen EU-Verfassungsvertrag anerkannt werden. Ferner sollte der Vertrag die Möglichkeit eines strukturierten Dialogs zwischen den Europäischen
Institutionen und den Kirchen und Religionsgemeinschaften vorsehen.“ Und: „In einen zukünftigen EUVerfassungsvertrag sollte die Erklärung Nr. 11 des Anhangs zur Schlussakte des Vertrags von Amsterdam aufgenommen werden - als Ausdruck der Respektierung des Status der Kirchen und religiösen
Gemeinschaften, wie er von jedem der Mitgliedstaaten anerkannt wird.“
Sie sehen: Auch im Beitrag der ComECE wird die Forderung nach einem Gottesbezug nicht abstrakt
erhoben, sondern ist eingebettet in die Sorge um die Achtung der Menschenrechte. Außerdem ist die
Forderung nach einem Gottesbezug nur ein Anliegen; daneben geht es, sozusagen „in eigener Sache“,
um die Anerkennung der Kirchen als Gesprächspartner der europäischen Politik und die Respektierung
der historisch gewachsenen Modelle für das Miteinander von Staat und Kirche in den einzelnen Ländern. Drittens, geht es – und ich finde es sehr wichtig, dass der Hauptakzent hierauf liegt, denn hier
geht es um etwas, das die Kirche zu allererst zu ihrer „eigenen Sache“ machen muss! – um die gerechte Organisation der Gesellschaft, die von der zentralen Stellung des Menschen ausgehen und am Gemeinwohl in Europa und darüber hinaus orientiert sein müsse.
Die meisten anderen Beiträge aus dem kirchlichen Raum beschränken sich, wie bereits erwähnt, auf
dieses dritte Anliegen und versehen es mit ihren je spezifischen Akzenten. Insgesamt sind die offiziellen
Beiträge aus kirchlichen Kreisen nicht zu übersehen, aber auch nicht übermäßig zahlreich, und natürlich
gab es auch Beiträge aus kirchenkritischen und –feindlichen Kreisen. So haben sich sogenannte „humanistische“ Bewegungen aus verschiedenen Ländern zu Wort gemeldet und dezidiert gegen einen
Gottesbezug, jeglichen Verweis auf das christliche oder religiöse Erbe und auch gegen die Übernahme
des „Anhangs 11“ des Vertrags von Amsterdam oder eine Anerkennung der Kirchen als Gesprächspartner der Politik argumentiert.
Momentan sieht es aber so aus, dass die kirchliche Argumentation im Großen und Ganzen überzeugend war: Artikel I-51 greift, wie gesagt, den „Anhang 11“ auf und entwickelt ihn weiter. Die Grundrechtecharta ist vollständig in den Entwurf integriert, was heißt, dass die Achtung dieser Grundrechte in der
EU einklagbar wird. Auch sonst ist an Berufung auf Werte kein Mangel, hierauf komme ich gleich zurück. Demgegenüber wird von verschiedenen Gruppen kritisiert, dass an manchen Stellen das Votum
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Gottesbezug in EU-Verfassung, Georg Düchs, 17.04.2004
für Menschenrechte hätte konkreter ausgeführt werden müssen, und: der Gottesbezug ist bisher nicht in
der Verfassung. Auch hierzu gleich noch mehr.
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III. Grundlagen Europas: christliche Werte in der Verfassung?
Lassen sie mich nun die rein referierende Ebene verlassen und ein wenig feuilletonistisch werden. Zunächst möchte ich mich in meinem dritten Abschnitt, den ich etwas vollmundig mit „Grundlagen Europas“ überschrieben habe, mit den „Werten“ in diesem Verfassungsentwurf auseinandersetzen.
< a) Werte in der Verfassung>
Bereits der zweite Artikel des Entwurfs ist den „Werten der Union“ gewidmet: „Die Werte, auf die sich
die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte; diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und Nichtdiskriminierung auszeichnet.“ Artikel 3 führt fort: „Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern. (…) In ihren Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen. Sie trägt bei zu Frieden, Sicherheit, nachhaltiger Entwicklung der Erde, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, freiem und gerechtem Handel, Beseitigung der Armut und Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta
der Vereinten Nationen.“ Wem das nicht genügt, für den ist die Charta der Grundrechte komplett in den
Verfassungsentwurf integriert worden.
Und auch sonst stehen Werte hoch im Kurs in Europa: Pat Cox, Präsident des Europäischen Parlaments, wird nicht müde zu betonen, dass „die Europäische Union von heute nicht nur ein Markt, sondern eine Wertegemeinschaft“13 ist, und dies liest man allenthalben und jederzeit in Grußworten und
Positionspapieren. So hat, um nur noch dieses Beispiel zu nennen, die Europäische Volkspartei, stärkste Fraktion im Europaparlament, bei ihrem Kongress 2001 eine lange Erklärung verabschiedet mit dem
Titel „Eine Union der Werte“, in der sie für „gewisse Kernwerte“ eintritt: „Freiheit und Verantwortlichkeit,
Würde der menschlichen Person, Solidarität, Subsidiarität, Gerechtigkeit, Geltung des Rechts und Demokratie“ 14 und so weiter.
< b) Kritik >
Herz, was willst du mehr? Welchen Wert hätten Sie hinzuzufügen? Im Europa der offiziellen Papiere
und Reden gibt es keinen Mangel an Werten. Auch für den Verfassungsentwurf könnte man spitz formulieren: Alles, was man an Werten eben so fand, wurde darin aufgenommen. Ich glaube kaum, dass
es einen spezifisch christlichen Wert gäbe, den man hinzufügen müsste. Mit Blick auf die europäische
Geistes- und Religionsgeschichte würde ich eher sagen, dass alle die aufgelisteten Werte zumindest
stark von der christlich-jüdischen Tradition beeinflusst sind.
Nehmen Sie den Wert der Solidarität oder nehmen Sie das Subsidiaritätsprinzip, das in dem Verfassungsentwurf als „fundamentales Organisationsprinzip der Union“ bezeichnet wird. Solidarität und Subsidiarität – Auch wenn vielleicht nicht alle, die an diesem Text gearbeitet haben, sich der Herkunft dieser
Begriffe bewusst waren: Sie kommen aus der Katholischen Soziallehre. Ich glaube, für jeden der aufgeführten Werte könnte man eine – wenn auch manchmal paradoxe - Verbindung zu jüdisch-christlichem
Gedankengut nachweisen. Dies ist ein simpler Reflex der Tatsache, dass europäische Kultur- und Moralvorstellungen 2000 Jahre lang vom Christentum geprägt und durchdrungen worden sind, und dass
eine „Umwertung aller Werte“ zwar von einem verstiegenen Philosophen gefordert werden mag, aber
nicht von einem Tag auf den anderen eine jahrtausendealte Tradition verdrängen kann.
Sollen wir also zufrieden sein mit dieser „Union der Werte“ und uns über die offizielle Beglaubigung einer europäischen „Wertegemeinschaft“ freuen? Einerseits natürlich ja, denn es ist besser, sich – etwa zur Rechtsstaatlichkeit zu bekennen als dies nicht zu tun. Andererseits kommt mir die offizielle Werte13 “the European Union of today is not simply a market but rather is a community of values” (Pat Cox, address to the Scottish
Parliament, 27.02.2003),
14 “certain core values: freedom and responsibility, dignity of the human person, solidarity, subsidiarity, justice, the rule of law
and democracy”
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rhetorik seltsam hypertroph vor, und die Werteaufzählung in den ersten Artikeln des Verfassungsentwurfs etwas, - nun ja: beliebig: Diese Werte werden einfach gesetzt und nebeneinander gesetzt; ihre
Verbindung, ihre Zuordnung, ihre Verwiesenheit wird nicht entwickelt - ihre Verwiesenheit aufeinander,
aber auch, vielleicht, ihre Verwiesenheit auf etwas Äußeres, etwas Nichtgesetztes, der Setzung Entzogenes - darf man sagen: Transzendentes?
< c) Exkurs: deutsches Grundgesetz>
Im deutschen Grundgesetz ist es anders: Artikel 1 Absatz 1 stellt lapidar fest: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Damit ist das Grundprinzip benannt, die Fundamentalnorm, aus der alle anderen
Grundrechte organisch entwickelt werden und von der sie logisch abhängen. Dieser Satz ist sozusagen
der hermeneutische Schlüssel zur Exegese des Grundgesetzes – zumindest waren sich darin bis vor
kurzem alle einig. Und genauso ist es auch, samt explizitem und verbindlichem Kommentar, festgeschrieben in der Europäischen Grundrechtecharta, die ja auch Teil des Verfassungsentwurfes ist. Umso
bezeichnender aber, dass man sich am eigentlichen Anfang des Entwurfs zur Europäischen Verfassung
nicht auf eine solch klare Formulierung hat einigen können, und eine „Achtung der Menschenwürde“ auf
gleicher Ebene neben der „Demokratie“ und der „Rechtsstaatlichkeit“ ansiedelt (Art. I.2), oder den „freien Handel“ genauso wichtig nimmt wie den „Schutz der Menschenrechte“ (Art. I.3, Abs. 4).
Dass solche Spitzfindigkeiten nicht nur Wortklauberei sind, sehen wir gerade in Deutschland; ich mache
hier eine Klammer auf: Sicherlich haben sie mitbekommen, dass Matthias Herdegen in einem neuen
Kommentar zum deutschen Grundgesetz, in schroffem Gegensatz zu allen bisherigen Kommentierungen, den Schutz der Menschenwürde als ein selbstständiges Rechtsgut interpretiert, das auf gleicher
Ebene neben den in den anderen Artikeln genannten Grundrechten herläuft. Gleichzeitig hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in ihrer „Humboldt-Rede“ im Herbst letzten Jahres dargelegt, dass für sie
in der Frage der Embryonenforschung nicht Artikel 1 des Grundgesetzes einschlägig sei, sondern eher
Artikel 2, „jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“; Artikel 2 allerdings hat nicht
den absoluten Unantastbarkeitscharakter von Artikel 1, sondern steht unter Gesetzesvorbehalt, d.h. das
Recht auf Leben und Unversehrtheit kann in der Abwägung gegen andere Rechtsgüter gegebenenfalls
hintangestellt werden. Wenn man also mit Herdegen im Schutz der Menschenwürde ein selbstständiges
und neben den anderen Grundrechten herlaufendes Rechtsgut sieht, könnte man mit Zypries argumentieren, dass das Lebensrecht des Embryos zwar ein hohes Gut sein, das aber in der Abwägung gegen
andere hohe Güter - Entwicklung von Therapien oder Freiheit der Forschung - per Gesetz hintangestellt
werden könnte. Dient dagegen der Schutz der Menschenwürde – so die bisher gängige Interpretation
des Grundgesetzes - als Fundamentalnorm für alle übrigen Grundrechte, so hilft der Artikel 1 bei der
Auslegung von Artikel 215 und damit ist klar, dass das Lebensrecht eines Embryos von keinem Gesetz
zu Gunsten einer „verbrauchenden Embryonenforschung“ eingeschränkt werden kann. Hier mache ich
die Klammer zu, die nur zeigen sollte, dass bei uns in Deutschland die – sagen wir: christlich geprägte –
Wertordnung unseres Grundgesetzes momentan, zwar durch die Hintertür aber doch ganz massiv, angefragt und umgeschichtet wird.
< d) Die Grundlagen Europas?>
Zurück zur Europäischen Verfassung: Ich sagte, dass ich dort zwar viele wertvolle Werte versammelt
finde, aber keinen stringenten Fokus, auf den sie weisen oder aus dem heraus sie sich entwickeln würden. Ich glaube, damit ist das Unbehagen, das ich, auch aus meiner christlicher Sicht, gegenüber diesem Text zu artikulieren versuchte, auf den Punkt gebracht und gleichzeitig das grundlegende Problem
der EU benannt: Was ist ihr Brennpunkt?
Am Anfang der Europäischen Union stand der Imperativ: „Kein Krieg mehr in Europa!“. Das ist gelungen
und das ist ein grandioser Erfolg. Aber dieser Imperativ ist – rein formal – ein negatives Prinzip, und
vermag eine Generation, für die der Friede in Europa selbstverständlich geworden ist, kaum mehr für
das europäische Projekt zu begeistern. Es gibt den Satz, die Weimarer Republik sei nicht deshalb ge15 vgl. Robert Leicht, Die Zeit Nr. 46, 6.11.2003, S. 5
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Gottesbezug in EU-Verfassung, Georg Düchs, 17.04.2004
scheitert, weil es zu viele Antidemokraten, sondern weil es zu wenig Demokraten in ihr gegeben habe.
Auf die EU gewendet: Woran kann sich bei den Bürgerinnen und Bürgern Leidenschaft für das Projekt
Europa entzünden? Wo wird sichtbar, für was Europa steht, was die Grundlagen, was die Vision der Europäischen Union sind? „Was ist der Brennpunkt der EU?“, habe ich gerade formuliert. Lassen sie es
mich mit etwas mehr Pathos sagen: Wo ist die Seele Europas? So wichtig funktionierende Strukturen
sind: Ich glaube, was Europa am nötigsten hat, ist, sich seiner „Seele“ zu vergewissern, wie der ehemalige Kommissionspräsident Jacques Delors schon 1992 formuliert hat 16.
Dies heißt nicht, dass der vorliegende Verfassungsentwurf schlecht wäre; er wird dringend benötigt und
bedeutet einen großen Schritt voran. Auch von offiziellen kirchlichen Vertretern wird er so gesehen und
(mit gewissen Abstrichen) gelobt 17. Aber es ist eben kein Text, der mitreißt, wie die amerikanische Verfassung, mit ihren berühmten ersten Worten „We, the people of the United States, in Order to form a
more perfect Union…“. Wenn es überhaupt so etwas wie „Verfassungspatriotismus“ gibt, dann ist, so
meine ich, der vorliegende Entwurf für eine europäische Verfassung kaum geeignet, diesen zu befördern. Vor allem der Teil, der am meisten identitätsstiftend hätte wirken können, die Präambel, ist schon
stilistisch völlig missraten.
< IV. Der Gottesbezug in der EU-Verfassung >
Damit bin ich also nun endlich bei der Präambel und damit auch bei dem, was darin fehlt, dem Gottesbezug.
< a) Vorgeschichte und Inhalt der Präambel >
Seit sich abzeichnete, dass der Konvent einen Entwurf für eine Verfassung verabschieden würde, war
die Präambel dieses Entwurfes Gegenstand von Spekulationen. Unzählige Vorschläge wurden gemacht, wie eine solche Präambel formuliert werden könnte. Die beiden großen Fragen dabei waren von
Anfang an: Soll der christlichen Beitrag zur europäischen Kultur und Geschichte in einer solchen Präambel erwähnt und gewürdigt werden? Und zweitens: Soll ein wie immer gearteter Verweis auf Gott in
diese Präambel?
Blenden wir zurück: im Jahr 2000 wurde, von der Öffentlichkeit weithin unbemerkt, die mehrfach erwähnte Europäische Charta der Grundrechte veröffentlicht. Sie hat auch eine Präambel. Darin ist die
Rede vom „geistig-religiösen und sittlichen Erbe“ der EU – aber nur in der deutschen Sprachversion!
Auf französisch heißt es „patrimoine spirituel et moral“, auf englisch „spiritual and moral heritage“. Den
Vorsitz der Kommission, die diese Charta erarbeitete, führte der deutsche Altbundespräsident Roman
Herzog, also jemand, dem man unterstellen darf, dass er einer expliziteren Erwähnung des religiösen,
vielleicht gar des christlichen Erbes Europas aufgeschlossen gegenübergestanden wäre. Trotzdem ließ
sich nicht mal das Wort „religieux“ durchsetzen, lediglich für die Deutschen hat man den Kompromiss
gefunden, dass sie „spirituel“ mit dem Bindestrichwort „geistig-religiös“ übersetzen durften.
Ich sage das, um deutlich zu machen, dass die Ausgangsposition vor zwei Jahren, als der Konvent zusammentrat, alles andere als günstig war für eine Erwähnung von Gott, Christentum oder Religion in
der Verfassungspräambel. Außerdem gab es auch christliche und selbst katholische Stimmen, die zumindest nicht für einen Gottesbezug waren. Angesichts dessen ist es vielleicht nicht so verwunderlich,
dass es im aktuellen Entwurf keinen Gottesbezug und keinen Verweis auf das christliche Erbe gibt,
sondern eher ist es erstaunlich, dass der mögliche Gottesbezug so massiv diskutiert wird – vielleicht ist
meine Sicht verfälscht, weil ich vor allem in kirchlichen Kreisen hierüber rede, aber mir scheint, dass,
wenn jemand in Deutschland etwas vom europäischen Konvent mitbekommen hat, es die Diskussion
um den Gottesbezug ist.
16 "If in the next ten years we haven’t managed to give a Soul to Europe, to give it spirituality and meaning the game will be up."
President Delors, Speech to the churches, Brüssel, 14.4.1992.
17 vgl. J. Homeyer, Bloß keine Visionen. Jüdisch-christliche Anfragen zum EU-Verfassungsentwurf, in: Frankfurter Rundschau
vom 27.10.2003
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Gottesbezug in EU-Verfassung, Georg Düchs, 17.04.2004
Der erste offizielle Entwurf für eine Präambel wurde vom Präsidium des Konvents allein erarbeitet und
spät, nämlich am 28. Mai 2003, einen Monat vor Abschluss des Konventes, vorgelegt. Nichts von Gott,
nichts von Christentum, aber ein Verweis auf die „kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas“, die „aus der griechischen und römischen Zivilisation hervorgegangen“ sind und „erst
durch das geistige Streben, von dem Europa durchdrungen war, und das auch heute noch in seinem
Erbe fortlebt, und dann durch die Philosophie der Aufklärung geprägt“ worden sind18.
Dieser Vorschlag löste erregte Debatten aus; insbesondere befremdete es, dass die Geistesgeschichte
Europas auf die griechisch-römische Zivilisation und die Philosophie der Aufklärung reduziert wurde unter völliger Ignorierung der Beiträge von Christentum und Religion. Dazu, diese Beiträge hinzuzufügen, konnte man sich allerdings nicht durchringen und so ließ man im Kompromiss schließlich den ganzen Abschnitt fallen. Der eben zitierte Absatz lautet dann in der endgültigen Version: „Schöpfend aus
den kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas, deren Werte in seinem Erbe
weiter lebendig sind und die zentrale Stellung des Menschen und die Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit seiner Rechte sowie den Vorrang des Rechts in der Gesellschaft verankert haben…“ Gottesbezug gibt es keinen, auch keine Erwähnung des Christentums, nur den Verweis auf die „kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas“.
< b) Bewertung der Präambel >
Der Text der Präambel liegt ihnen ja vor. Ich weiß nicht, was sie davon halten. Kardinal Lehmann, der
den Verfassungsentwurf ausdrücklich lobt, auch weil er „vielfach Bezug auf die Religion, auf die Religionsgemeinschaften und die Kirchen“ nimmt, stellt nüchtern fest, dass die eben zitierte Passage der
Präambel in ihrer Neutralität „auch ähnlich für eine Verfassung Chinas oder Indiens zu formulieren (gewesen wäre). So lädt nämlich die Formel auch nicht ein zu einer wirklichen Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit diesem gewachsenen und von bestimmten Kräften genährten Europa.“ 19 Und Bischof Homeyer, der den Verfassungsentwurf als Ganzes für einen „großen Wurf, zustimmungswürdig
und kompromissfähig“ hält, formuliert vornehm: „Die Präambel … positioniert sich erstaunlich defensiv,
ja, ich glaube, sie unterbietet die enormen kulturellen Fähigkeiten Europas.“20
Ich sagte bereits weniger nobel, dass ich die Präambel schon stilistisch für missraten halte. Ich empfinde die lange parataktische Konstruktion, die die ganze Präambel grammatikalisch in einen Satz zwängt,
als verfehlt für einen Text, der identitätsstiftend sein soll; für mein Empfinden ist der Stil auch in den einzelnen Teilsätzen artifiziell und linkisch; ich empfinde das Pathos mancher Abschnitte als deplatziert
und schwülstig, wenn es etwa heißt, dass die Bewohner Europas ihren Kontinent „seit Urzeiten in immer
neuen Schüben besiedelt haben“. Und schließlich empfinde ich die Präambel als konstruiert, unorganisch und aus verschiedenen Versatzstücken schlecht zusammengekittet: Was ist ihr zentraler Punkt,
ihr roter Faden, ihre Linie? Sind es die „Werte, die den Humanismus begründen“? Ist es der „Vorrang
des Rechts in der Gesellschaft“? Der Entschluss der europäischen Völker „vereint ihr Schicksal gemeinsam zu gestalten“? Oder die „Fortsetzung des großen Abenteuers, das einen Raum eröffnet, in
dem sich die Hoffnung der Menschen entfalten kann“?
Bleibt außerdem die Frage nach einem Gottesbezug oder einem Verweis auf das christliche Erbe.
Könnte nicht gerade ein Gottesbezug eine Art „Archimedischen Punkt“ darstellen, von dem aus die Präambel so etwas wie gedankliche Stringenz und inhaltliche Kohärenz gewinnen könnte? Zunächst muss
ich sagen, dass Ich diese Frage für akademisch halte, denn ich glaube nicht, dass sich eine europäische Regierungskonferenz noch zu einem Gottesbezug durchringen wird; selbst wenn, dann könnte ich
mir diesen höchstens als einen weiteren dazugeschusterten Flecken vorstellen, etwa im Sinne der Präambel der thüringischen Landesverfassung, wo in der letzten Zeile noch so schön hineingeflickt ist „…
gibt sich das Volk des Freistaats Thüringen in freier Selbstbestimmung und auch in Verantwortung vor
18 Der erste Entwurf für die Präambel hat die Dokumentennummer CONV 722/03 und stammt vom 28.05.2003.
19 K. Lehmann, Gott in der Europäischen Verfassung? Kurzansprache anlässlich des St.Martin-Jahresempfangs des Kath. Büros Mainz, 13.11.2003, zit. nach http://www.kath.de/bistum/mainz/bischof/Lehmann/martinsempfang_131103.htm
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J. Homeyer, Bloß keine Visionen. Jüdisch-christliche Anfragen zum EU-Verfassungsentwurf, in: Frankfurter Rundschau vom
27.10.2003
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Gottesbezug in EU-Verfassung, Georg Düchs, 17.04.2004
Gott diese Verfassung“. Wenn es aber nur um die bloße Erwähnung des Wortes „Gott“ in der Präambel
geht, halte ich einen Gottesbezug für entbehrlich.
< c) Argumentation für einen Gottesbezug >
Dennoch kann man natürlich von einer besseren Präambel träumen und auch für einen Gottesbezug
plädieren. Die ComECE, der Vatikan und andere haben das getan und tun es. Wichtig bei all deren
Stellungnahmen ist, dass es nie um einen exklusiv christlichen Gottesbegriff ging, der in die Verfassung
hätte aufgenommen werden sollen. Schon gar nicht geht es darum, mit einem Gottesbezug eine vermeintliche Machtposition von Kirchen oder christlichen Gruppen zu sichern oder zu demonstrieren. Im
Wesentlichen sind es zwei Argumentationsstränge, die bemüht wurden:
< erstes Argument >
Ein erstes Argument lautet, dass ein Gottesbezug identitätsstiftend wirken könnte und die Identifikation
der Bürgerinnen und Bürger mit Europa erleichtern würde; wobei, um das nochmals zu betonen, hier
nicht nur die christlichen Bürger gemeint sind! Der Gottesbezug soll Europa gerade nicht als einen
„Christenclub“ festschreiben, sondern wie beispielsweise Bischof Homeyer betont hat, wäre „der Gott
einer europäischen Verfassung allemal der Gott, der in Auschwitz angerufen wurde, allemal der Gott, in
den Muslime der Reconquista in Spanien hineingestorben sind, allemal der Gott, der sich den von den
europäischen Kolonialmächten Ermordeten zugewandt hat“21. Wenn Muslime in der EU und in der Türkei diese inklusive, nicht-exklusiv christliche Bedeutung eines Gottesbezuges oft nicht verstanden haben, liegt das nicht an der kirchlichen Argumentation, die hier immer unzweideutig war. Und sie hat etwas für sich: "80 % der Europäer glauben an Gott. Wenn die Laizisten meinen, dass die bloße Erwähnung Gottes die Nichtgläubigen schockieren würde, dann haben wir umgekehrt das Recht, seinen Ausschluss als schmerzlich für die Gläubigen zu empfinden“22, wie Monsignore Sainz-Munoz, apostolischer
Nuntius für die EU der Zeitung Le Monde erklärte. Nebenbei bemerkt wurden, in Anlehnung an die Präambel der polnischen Verfassung, auch von der ComECE Formulierungen vorgeschlagen, die, ohne sie
zu vereinnahmen, explizit auch die Nichtgläubigen angesprochen hätten.
Für mich zeigt die intensive und für mich in ihrer Intensität völlig überraschende Diskussion um den Gottesbezug, dass hier in der Tat ein Nerv getroffen wurde, und dass, wie Habermas es formuliert hat, „der
liberale Staat in Anbetracht der religiösen Herkunft seiner moralischen Grundlagen mit der Möglichkeit
rechnen muss, dass die ‚Kultur des gemeinen Menschenverstandes’ (Hegel) das Artikulationsniveau der
eigenen religiösen Entstehungsgeschichte nicht einholen kann“ 23 – dass mit anderen Worten, die Sphäre des Religiösen nicht einfach als für die Gesellschaft irrelevant abgetan werden kann. Es ist offensichtlich: Der Gottesbezug bewegt die Gemüter und motiviert zur Auseinandersetzung mit der eigenen
und der europäischen Identität.
Die französische (!) Europaabgeordnete Elizabeth Montfort hat, wie KNA diesen Mittwoch meldete,
750.000 Unterschriften für eine Erwähnung des Christentums in der EU-Verfassung gesammelt und außerdem die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen, die 55 Millionen Mitglieder repräsentierten. Zwar ist eine Erwähnung des Christentums noch kein Gottesbezug, aber ich halte es für gut möglich, dass, wenn die Verfassung einmal verabschiedet ist, das erste Bürgerbegehren, für das nach dieser Verfassung dann 1 Mio Unterschriften nötig wären, die Aufnahme eines Gottesbezuges in diese
Verfassung zum Thema hätte…
< zweites Argument >
Ein zweites Argument geht dahin, den Gottesbezug als eine Bürgschaft gegen jeden Totalitarismus und
staatlichen Allmachtswahn zu verstehen. Wie hat die ComECE in ihrer ersten Stellungnahme formuliert:
J. Homeyer, ebd.
22 « 80 % des Européens croient en Dieu. Si les laïcs estiment que la moindre mention de Dieu peut choquer les non-croyants, à l’inverse nous avons le
droit de penser que son exclusion va heurter la sensibilité des croyants « in Le Monde, 28.02.2003, zit. nach :
http://www.fairelejour.org/article.php3?id_article=189
23 formuliert nach J. Habermas, Glauben und Wissen. Dankrede für die Verleihung des Friedenspreises des dt. Buchhandels. Zu finden etwa unter:
http://www.soziologie.uni-bonn.de/HabermasGlaubenundWissen.pdf
21
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Gottesbezug in EU-Verfassung, Georg Düchs, 17.04.2004
Ein Verfassungsvertrag, der „jenes Offene und unableitbar Andere anerkennt, das mit dem Wort Gott
verbunden wird“ ist ein „Zeichen dafür, dass öffentliche Gewalt kein Absolutum ist“ und eine „Bezugnahme auf das Transzendente bedeutet zugleich eine Garantie für die Freiheit der menschlichen Person.“ Der Bezug auf Gott diente demnach also gerade nicht der Begründung staatlicher Autorität, sondern würde im Gegenteil auf die Grenzen dieser und jeder Autorität hinweisen und darauf, dass es jenseits des positiv gesetzten Rechtes Dinge gibt, die staatlichem Handeln und menschlicher Setzung
prinzipiell entzogen sind, wie zum Beispiel die unaufgebbare Dignität des Menschen. Die Notwendigkeit
eines solchen Hinweises ist für uns Deutsche sicher besonders gut nachzuvollziehen, und die deutschen Verfassungen nach 1945 spiegeln diese Einsicht. Besonders deutlich wird dies in der bayerischen Verfassung, deren Präambel mit den Worten beginnt: „Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem
eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde
des Menschen die Überlebenden des zweiten Weltkriegs geführt hat…“.
Der Verweis auf Gott bezöge sich dann also eigentlich eher auf den Menschen und auf seine dem
Zugriff aller Autoritäten und Verfassungen entzogene, im Transzendenten wurzelnde Würde. Der Gottesbegriff eines solchen Verweises braucht dann gar nicht inhaltlich, etwa christlich, gefüllt zu sein; Der
Begriff „Gott“ wird hier zur Chiffre dafür, dass der Mensch nicht allmächtig ist.
< d) Argumente gegen einen Gottesbezug>
Wie argumentieren die Gegner eines Gottesbezugs? Da gibt es zunächst solche, die Religion für überholt halten und im Gottesbezug den Versuch einer Machtergreifung durch die katholische Kirche wittern.
Sie sehen die weltanschauliche Neutralität der Europäischen Union durch einen Gottesbezug in Gefahr.
Die Trennung von Kirche und Staat bedeutet für solche Gruppen, dass Religion zwar in den eigenen
vier Wänden betrieben werden kann, in der Öffentlichkeit aber am besten unsichtbar sein sollte. Das
führt dann zum Beispiel dazu, dass in französischen Schulen das Tragen religiöser Symbole ganz allgemein, nicht nur für Lehrer, sondern auch für Schüler, verboten wird. Es gibt, gerade in Frankreich und
in Belgien, traditionell starke sogenannte „humanistische“ Bewegungen, die diese Meinungen vertreten
und sie auch – vielleicht in etwas weniger karikaturaler Weise als ich das hier darstelle – in den Konventsprozess eingebracht haben. Diese Organisationen lehnen nicht nur einen Gottesbezug oder einen
Verweis auf das christliche oder religiöse Erbe Europa ab, sondern auch den Artikel I-51, in dem die
Kirchen – aus ihrer Sicht unpassend - zum Gesprächspartner des Staates geadelt werden. Man sollte
den Einfluss solcher Gruppen in Brüssel nicht unterschätzen!
Der in Deutschland ansässige „Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten“ argumentiert
differenzierter und eigentlich theologisch, wenn er feststellt, dass die Formulierung von der „Verantwortung vor Gott“ in einer Verfassung, den Gedanken nahe lege, „es gäbe eine Verpflichtung der Völker
von Europa gegenüber Gott. Eine Verpflichtung gegenüber einem Gotte ist aber nur möglich als freiwillige Selbstverpflichtung eines einzelnen Menschen.“ 24 Diese Argumentation würde wahrscheinlich auch
von manchen Christen, vor allem wohl protestantischer Provenienz, nicht ganz von der Hand gewiesen.
< V. Schluss >
Ich gestehe, dass auch für mich selbst Fragen offen bleiben; gerade wenn so deutlich betont wird, dass
es sich bei dem Gott, auf den verwiesen würde, ja nicht um den exklusiven christlichen Gott handelt,
sondern dass zumindest ein Gott gemeint sei, mit dem sich alle religiösen Menschen und vielleicht auch
einige andere identifizieren können - wenn nicht gar der Begriff „Gott“ einfach eine Chiffre wird für „jenes
Offene und unableitbar Andere“. Das Anliegen, in der Verfassung darauf hinzuweisen, dass eben nicht
alle Macht vom Staat oder vom Volk ausgeht, sondern es einen Bereich gibt, der aller irdischen Gewalt
vorgeordnet ist, teile ich vollkommen. Aber muss man dafür das Wort „Gott“ benutzen um den Preis,
24 vgl. http://www.ibka.org/presse/gottesbezug.html
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Gottesbezug in EU-Verfassung, Georg Düchs, 17.04.2004
dieses Wort in einem rein ethischen Sinne zu gebrauchen und seines für mich als Christen doch wesentlichen und sehr spezifischen Inhalts zu entkleiden?
„Gerade für den Gläubigen“, so der Wiener Kardinal Schönborn im Zusammenhang mit der Verfassungsdebatte in Österreich, wo die Frage nach einem Gottesbezug momentan ebenfalls diskutiert wird,
„gibt es eine bestimmte Scheu, den Namen des ‚Hochgelobten’ allzu leichthin zu verwenden. In der Geschichte hat es sich immer wieder ereignet, dass versucht wurde, den Namen Gottes ‚in Dienst zu nehmen’ oder gar zu missbrauchen.“ Diese Gefahr bestünde in Österreich heute nicht, „aber“, fährt Schönborn fort, „auch hier würde es nicht genügen, den Namen Gottes nur in der Präambel zu nennen, im eigentlichen Verfassungstext aber den beiden zentralen Begriffen Verantwortung und Menschenwürde zu
wenig Bedeutung zu geben.“25
Mit anderen Worten, und dies würde ich selbst mir als vorläufige Meinung zu eigen machen: Natürlich
gehört Gott in eine europäische Verfassung! Aber ob sein Name darin genannt wird, ist vielleicht weniger wichtig als dass sein Geist darin präsent ist.
Und weiter: Das Christentum ist die Kraft, die Europa und die Europäische Kultur - bei weitem nicht allein, aber bei weitem am stärksten - geprägt hat. Diese Tatsache wird nicht dadurch richtiger, dass man
sie in einer Verfassung abdruckt. Und auch inwieweit das Christentum heute in Europa eine Kultur des
Lebens befördern kann, entscheidet sich nicht durch den Text einer Europäischen Verfassung. Die Osterbotschaft wurde von begeisterten Menschen weitergetragen. Auch im heutigen Europa kann die frohe
Botschaft des Christentums letztlich nur durch das lebendige Zeugnis von uns Christinnen und Christen
weitergegeben werden und ihre befreiende Wirkung entfalten.
Ich danke für ihre Aufmerksamkeit!
Links ins Internet:
Erklärung von Laeken: http://european-convention.eu.int/docs/speeches/3.pdf
Europäische Charta der Menschenrechte: http://www.europarl.eu.int/charter/pdf/text_de.pdf
Forum des Konvents: http://europa.eu.int/futurum/forum_convention/index_de.htm
Stellungnahmen der ComECE: http://www.comece.org/comece.taf?_function=future&_sub=_integ&id=1&language=de
Stellungnahmen zur österr. Verfassungsdebatte: http://religion.orf.at/projekt02/news/0311/ne031118_schoenborn_fr.htm,
http://stephanscom.at/edw/reden/0/articles/2003/12/01/a4307, http://www.dietagespost.com/Archiv/titel_anzeige.asp?ID=6319
Versch. Kommentare zum Gottesbezug: http://www.kirchensteuern.de/Texte/EuropaGottInDerGrundrechtecharta%20.htm
Versch. Kirchl. Stellungnahmen zum Gottesbezug: http://www.nothelle-wildfeuer.net/gottesbezug_in_der_eu-verfassung.htm
Grabrede des Perikles (, der der erste Satz der Präambel entnommen ist): http://www.gottwein.de/Grie/thuk/thuk2034.htm
25
Ch. Schönborn, Beitrag für d. österr. Kirchenzeitungen, Dez. 2003, zit. nach:
http://stephanscom.at/edw/reden/0/articles/2003/12/01/a4307
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