Wie brenzlig es wirklich war, merke ich oft erst später

Transcription

Wie brenzlig es wirklich war, merke ich oft erst später
■ PORTRÄT ■
■ PORTRÄT ■
Claudio Gazzaroli: Tierfotograf
«Wie brenzlig es wirklich war, merke ich oft erst später»
Er war schon Auge in Auge mit Haien
und hat einem Riesenalligator ins aufgerissene Maul geschaut. Für ein gutes
Bild nimmt der Tessiner Hobbyfotograf
Claudio Gazzaroli hohe Risiken auf sich.
C
laudio Gazzaroli macht Jagd auf Wildtiere. Allerdings nicht mit Flinte und
Schrot, sondern mit seiner Fotoausrüstung. Der 42-jährige Tessiner ist selbstständiger Sanitär, aber in seiner Freizeit seit
20 Jahren als Wildtierfotograf unterwegs. Im Visier
hat er dabei bevorzugt
Meerestiere, speziell Wale
und Haie. Unterdessen hat
er mit seinen spektakulären
Unterwasserfotos verschiedene internationale Preise
gewonnen.
Dass das Fotografieren
Gefahren birgt, hat Gazza-
roli mehrfach am eigenen Leib erfahren.
Etwa, als er im felsigen Riff von Aliwal Sohal
in Südafrika tauchte: Plötzlich war er da – ein
ausgewachsener, zwei Meter langer Schwarzflossenhai! Blitzschnell erfasst ihn Gazzaroli
durch den Sucher seiner Unterwasserkamera
und drückt auf den Knopf für Mehrfachbilder.
Innert weniger Sekunden sind 20 oder 30
Einzelaufnahmen in seinem Kasten. Dann ein
Ruck. Der Hai touchiert mit aufgerissenem
Maul Gazzarolis Unterwasserkamera, schiesst
an ihm vorbei und verschwindet in der Meerestiefe, aus der er eben aufgetaucht war.
«Während der Aufnahmen unter Wasser bin
ich jeweils so konzentriert, dass ich erst später beim Auswerten der Fotos realisiere, in
welch brenzlige Situationen ich mich begeben
habe», erzählt Gazzaroli.
Pionier-Fotoarbeit in der Verzasca
Der «Alltag» als Wildtierfotograf ist allerdings
nicht ganz so dramatisch. «Wenn man solche
Fotoexkursionen – ob unter Wasser oder an
Land – seriös und von langer Hand plant,
können lebensbedrohende Situationen weitgehend vermieden werden», relativiert Gaz-
zaroli. Eine hundertprozentige Sicherheit
gebe es beim Kontakt mit Wildtieren aber
natürlich nie. Das Fotografierfieber packte
Gazzaroli vor 25 Jahren, als Freunde ihm von
ihren Fotoabenteuern erzählten. Er begeisterte sich dafür und kaufte sich seine erste
Kamera, eine Nikon F70 mit einem
28–105-Objektiv. Der Autodidakt begann in
seiner Freizeit zu reisen und Natur- und Landschaftsfotos zu schiessen. «Im Verlauf der
Jahre wurde meine Fotoausrüstung durch den
Zukauf verschiedener Objektive und Zubehörteile immer schwerer und die Leidenschaft
für das Fotografieren immer stärker», erinnert
er sich.
Parallel zu den immer regelmässigeren
Fotoreisen an Land absolvierte Gazzaroli die
nötigen Taucherbrevets, um auch unter Wasser seinem Hobby nachgehen zu können.
Anfangs gleich vor seiner Haustüre in Ascona: Er durchschwamm mit der Druckluftflae
Claudio Gazzaroli gelangen dies
von
men
nah
Auf
n
läre
spektaku
Kaiman, Hai und Stachelrochen.
sche am Rücken, den Flossen an den Füssen
und der Unterwasserkamera in den Händen
den Fluss Verzasca quasi von der Quelle bis
zur Mündung in den Lago Maggiore. Seine
eindrücklichen Fotos dokumentierten erstmals in internationalen Medien die einzigartige Schönheit dieser glasklaren, in Türkistönen gehaltenen Unterwasser-Flusslandschaft
des Tessiner Tals.
Doch Flüsse, Seen, Berge, Blumenwiesen
oder Wälder zu fotografieren genügte Gazzaroli schon bald nicht mehr. «Tiere, besonders Wildtiere, haben mich schon immer
fasziniert», erzählt er. Ganz besonders die
Tierwelt unter Wasser, «denn diese kann man
nur als ausgebildeter Taucher fotografieren,
was die Herausforderung für mich noch interessanter machte.» So begann er mit weiten
Reisen an besonders geeignete Plätze für die
Unterwasserfotografie, meistens begleitet von
seiner Frau und den beiden Kindern. Seine
Expeditionen bereitet er jeweils wochenoder monatelang akribisch vor. Er beschafft
sich Informationen über den Aufnahmeort,
die Art der dort lebenden Tiere, die dafür
notwendige Fotoausrüstung oder die zu wählende Aufnahmetechnik. «Trotz bester Vorbereitung spielen jedoch am Ende das Glück
und der Zufall eine entscheidende Rolle»,
gesteht er.
Bilder: © Claudio Gazzaroli
Der «Terminator» der Wasserwelt
Das Glück hatte er zweifellos auf seiner
Seite, als er bei den Kaimaninseln in der
Karibik einem Stachelrochen begegnete.
Unweigerlich erinnerte er sich an den tragischen Tod des australischen Tierfilmers
Steve Irwin. Dieser näherte sich für seine
Fernsehserie jeweils gefährlichen Tieren
wie Klapperschlangen oder Krokodilen in
freier Wildbahn häufig ohne Schutz und
wurde deshalb auch «Krokodiljäger» genannt. Im September 2006 allerdings wurde Irwin seine Unerschrockenheit zum
Verhängnis: Bei Unterwasseraufnahmen
am Great Barrier Reef wurde er von einem
Stachelrochen gestochen und starb. Claudio Gazzaroli war
20
also gewarnt und begegnete den Stachelrochen entsprechend respektvoll. Und wie sich
später zeigte auch mit grossem Erfolg, denn
mit diesen Aufnahmen belegte er an einem
renommierten Fotowettbewerb der BBC in
London den dritten Rang.
Besonders beängstigend für ihn war eine
Begegnung mit einem Alligator in den Gewässern Floridas. «Ich habe noch nie ein grösseres Tier unter Wasser gesehen als diesen
‹Terminator›, wie ihn die Einheimischen nannten. Seine Kiefermuskeln sind so gross wie
zwei Fussbälle und seine Zähne könnten einen leicht zerfleischen.» Gazzaroli hatte allerdings vorgesorgt: Seine Kamera fixierte er
vorne an einer langen Stange und drückte so
aus sicherer Distanz auf den Auslöser.
Zeit, Geduld und starke Nerven
Geradezu beschaulich mutet da eine Begegnung mit einer Wildkatzenmutter mit ihren
Jungtieren in Kenia an: Da begleitete Gazzaroli einen Safariführer im sicheren Jeep auf
einer Fahrt durch das Naturreservat und
konnte ungestört so viele Fotos von der Wildkatzenfamilie schiessen, wie er wollte. «Eine
absolute Ausnahme», wie Gazzaroli betont,
«denn um gefährliche Tiere in der Wildnis zu
fotografieren, braucht ein Fotograf sonst vor
allem sehr viel Zeit und Geduld, eine gehörige Portion Mut und auch starke Nerven.»
Diese seien beim Fotografieren von Krokodilen oder Haien unter Wasser besonders gefragt. Da sind die Anspannung und der Druck
extrem gross, man kann sich nicht nur aufs
Fotografieren konzentrieren, sondern muss
gleichzeitig die Gefährlichkeit der Situation
immer wieder neu einschätzen. Dazu komme
bei der Unterwasserfotografie eine zusätzliche
Unbekannte, sagt Gazzaroli. «Hier können
auch technische Probleme wie das Versagen
von Batterien oder schlechte Lichtverhältnisse, starke Strömungen und Wassertrübungen
eine Exkursion zum Scheitern bringen, was
ich selber leider auch schon erfahren musste.»
Nach abenteuerlichen Jahren als Fotograf
möchte sich Claudio Gazzaroli nun einer neuen Herausforderung stellen: dem Filmen. «Mit
Fotos kann ich zwar wunderbare Augenblicke
festhalten, aber gewisse Situationen können
mit Videos besser dokumentiert werden», sagt
er. Wenn ein Löwe zum Beispiel ein Tier fresse, habe er auf dem Foto einfach die Schnauze offen. Auf dem Video hingegen könne man
den ganzen Ablauf ohne Unterbruch festhalten. Mit der Videokamera, hofft Gazzaroli,
komme er deshalb noch näher an sein Ziel:
die Tierwelt so authentisch wie möglich festRuedi Weiss
zuhalten.
Mehr Bilder von Claudio Gazzaroli unter:
www.tierwelt.ch/gazzaroli
TIERWELT / 18, 30. APRIL 2015
TIERWELT / 18, 30. APRIL 2015
21