Eine Plansprache für die Welt

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Eine Plansprache für die Welt
Bericht | Text: Lena Vogel | Fotos: Ivo Miesen
Eine Plansprache für die Welt
Planlingvo por la mondo?
Esperanto? Nie gehört, sagen viele.
Manch ein Hip-Hop-Fan erinnert sich
an ein Album der Band Freundeskreis
mit diesem Titel aus dem Jahr 1999.
„Esperanto, Antwort auf den kulturellen
Bankrott“ wird da gerappt, „schnellerlernter lingvo zur Verständigung der
Nationen“. Esperanto, eine Sprache,
die Kulturen verbindet? Wer das als
reine Utopie abstempelt, ist vielleicht
ein bisschen voreilig. Hinter Esperanto
steckt mehr, als man vermuten mag.
Wer schon einmal eine Fremdsprache
gelernt hat, kennt Deklinationstabellen
und unregelmäßige Verben. Auch die
deutsche Sprache ist nicht frei von Sonderformen und sprachlichen Tücken. Im
Gegenteil: Warum aus „nass“ „nässer“
wird, aus „Ananas“ jedoch nicht „Ananässer“, ist schwierig zu erläutern. Könnte
nicht alles viel einfacher sein? Kann es,
sagten sich einige und entwarfen Plansprachen. Nachvollziehbar sollten sie
sein, leicht erlernbar, wenig Konjugation
und Deklination erfordern.
Bereits 1887 entwickelte Ludwik
Zamenhof eine solche Sprache, wohl weil
er die Streitereien in seiner Heimatstadt,
dem zum damaligen Zeitpunkt russischen Bialystok, nicht mehr ertrug. Dort
prallten Kulturen und Sprachen aufeinander. Unter dem Pseudonym „Doktoro
Esperanto“, übersetzt „der Hoffende“,
entwickelte er die heute am weitesten
verbreitete Plansprache: Esperanto. Die
Idee: Neben seiner Muttersprache sollte
jeder Esperanto lernen, um sich leichter verständigen zu können, entgegen Kultur- und
Ländergrenzen. Tatsächlich finden sich
in den ersten fünfzig Jahren viele, die
diese neue Sprache lernen wollen. Kein
Wunder, sagen die, die heute Esperanto
sprechen.
Gunnar Fischer aus Münster besucht
seit Jahrzehnten Esperanto-Treffen. Dort
wird sich ausgetauscht, gefeiert, vernetzt.
Oft beobachtet er mit Erstaunen, wie
schnell die Menschen fließend sprechen
können. „Ich hab es erst diesen Sommer
wieder erlebt, mit einem jungen Mann
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aus Norwegen. Am Anfang der Woche
sprach er erst Ein-Wort-Sätze. Ich habe
allerdings erst am Ende der Woche mit
ihm gesprochen und dachte: Ich merke
da überhaupt nichts von. Das gibt es
doch gar nicht!“ Gründe dafür nennt der
Deutsche-Esperanto-Bund (DEB): Esperanto ist leichter und schneller erlernbar,
da es auf einem „fundamento“ basiert.
Nur wenige grammatikalische Regeln
gibt es, keine Unregelmäßigkeiten, keine
Sonderformen. Bis heute gibt es keine
regionalen Varianten, der grammatikalische Stamm ist gleich geblieben. Das
macht die Sprache aus, so bleibt sie so
einfach, wie sie Zamenhof ursprünglich
erdacht hatte. Alle Substantive enden
auf –o, Verben in der Grundform auf ein
–i, Adjektive auf ein –a. Für den Plural
hängt man einfach ein –j an das Ende
des Wortes. So muss man sich keine
Gedanken mehr über Ananas und -nässer
machen: Die ananaso wird zu mehreren
ananasoj. Natürlich muss der Wortschatz
der Sprache mit der Zeit gehen: Für den
Computer hat sich in der Sprachgemeinschaft „komputilo“ durchgesetzt.
Esperanto zu lernen geht im Idealfall
also schnell und fällt dem Lerner besonders leicht. Aber kann wirklich jeder die
geplante Sprache gleichermaßen lernen?
„Also was ganz klar ist, wenn jemand
eine romanische Muttersprache hat,
dann wird er auch den Wortschatz schnell
wiedererkennen“, so Fischer. Ein Vorteil
für alle, die bereits Spanisch, Italienisch
oder Französisch sprechen. Die Aussprache ist aus dem slawischen entlehnt,
fällt also Polen oder Tschechen leichter.
Generell gilt: Je mehr Fremdsprachen
man kann, desto leichter ist auch Esperanto. Ein besonderer Anreiz: „Es gibt
nicht diesen nicht aufholbaren Vorsprung
von Muttersprachlern“. Gunnar Fischer
weiß, wovon er spricht. Der Münsteraner
ist Esperanto-Muttersprachler, in seinen
ersten zwölf Lebensjahren hat sein Vater
ausschließlich Esperanto mit ihm gesprochen. Er ist einer von schätzungsweise ein
paar tausend Menschen, die bilingual mit
Esperanto aufwachsen. „Ich würde mein
Leben nicht darauf verzichten wollen. Das
ist für mich tatsächlich wie so ein Stück
Zuhause.“ Sehr pathetisch klingt das im
ersten Augenblick, schnell versteht man
aber, dass Fischer seinen Enthusiasmus
lebt. Mit viel Gestik spricht er über seine
Sprache und über die Menschen, die sie
ebenfalls gelernt haben. Er spricht von
Treffen mit alten und neuen Freunden,
die er über die Plansprache kennengelernt hat. Dieses Jahr gibt es wieder ein
Silvestertreffen in Sachsen. Etwa 200
Leute aus 30 Ländern sollen kommen.
„Wir haben ja so viele internationale
Gäste, das heißt, man stößt zu jeder
Zeitzone an. Man fängt also um 13:00 Uhr
mit Neuseeland an, und morgens ist man
dann bei Texas oder San Francisco. Ja, so
machen wir das, also sechs Uhr morgens,
bis dahin ist es schon Pflicht durchzuhalten.“
Internationalität ist etwas, das sich die
Esperanto-Community auf ihre Fahne
schreibt. In mittlerweile über hundert
Ländern, verteilt über alle Kontinente,
treffen sich Vereine, Verbände und Ortsgruppen unter dem Symbol eines grünen
Sterns. Grün, die Farbe der Hoffnung, ganz
in Anlehnung an „Doktoro Esperanto“.
Die Gründe, warum die Sprecher eine
konstruierte Sprache gelernt haben, sind
unterschiedlich. Manche treibt ein gewisser Idealismus: „Ich möchte mich mit
Leuten unterhalten, und ich möchte nicht
darauf warten, dass sich irgendwelche
Leute da oben auf irgendetwas einigen,
was Frieden und Verständigung angeht.
Ich möchte mich mit Leuten austauschen
die so sind wie ich und sie kennenlernen.“ Vernetzung über Ländergrenzen
stellt für die Esperanto-Gemeinschaft
kein Problem mehr dar. Das Internet trägt
seinen Teil dazu bei – es gibt eine eigene
Gastgebercommunity, ähnlich dem System
„Couchsurfing“, bei dem Einheimische
Reisenden einen kostenlosen Schlafplatz
bieten. Die Möglichkeit, abseits vom
Pauschaltourismus zu reisen und so Land
und Leute näher kennenzulernen, wissen
viele zu schätzen. Esperanto dient als
Bindeglied, die schnelle Lernbarkeit der
Sprache baut Barrieren ab. Fischer ist
sich sicher: „Dieser große Austausch von
unterschiedlichen Meinungen und dieses
große Treffen von Leuten untereinander,
das wird durch die Struktur der Sprache
erst möglich.“ Ein bisschen Weltoffenheit gehört also dazu, schließlich dient
Esperanto in seiner ursprünglichen Idee
der Völkerverständigung. Da passt es ins
Bild, dass Reisen ein beliebtes Hobby ist:
„Das sind so die typischen Biographien
von Esperanto-Sprechern: Kommen aus
Land A, wohnen in Land B und fahren
in Land C.“ Dennoch: In Deutschland ist
nicht Esperanto, sondern Englisch die
am weitesten verbreitete Fremdsprache.
In Land A, B oder C wird man mit ihr gut
zurechtkommen. Fischer wirbt jedoch
dafür, den Blick über den Tellerrand zu
wagen und seinen bisherigen Sprachkreis
zu erweitern: „Erst wenn man das mit
einer anderen Sprache mal ausprobiert
hat, dann sieht man, was man vorher
verpasst hat“. Die Beschränkung auf
eine Sprache? Nicht nötig, wenn man
Esperanto perfektionieren möchte: „Nach
etwa einem Jahr Unterricht hat Esperanto
die bis dahin beste Fremdsprache abgelöst. Dass man Gefühle ausdrücken kann,
und vor allem, dass man auf Esperanto
sehr fein diese Unterschiede erklären
kann, das war etwas, was mir bei Englisch
immer gefehlt hat, da kam das immer so
ungeschickt, so grob. Man kann sich viel
eleganter ausdrücken.“ Das erstaunt: Von
einer Sprache, die geplant ist, erwartet
man doch eigentlich eher das Gegenteil.
Wie viele Menschen heute Esperanto
sprechen, besagen keine exakten Zahlen.
Nach Schätzungen des DEB gibt es mittlerweile mehrere Millionen Menschen
weltweit, die Esperanto gelernt haben.
Etwa 100.000 aktive Sprecher soll es
geben, Tendenz steigend. Der Aufstieg des
Esperanto wurde vor allem durch Verbote
zur NS-Zeit und unter Stalin verhindert.
„Da sind ganze Generationen verlorengegangen“, so Lu Wunsch-Rolshoven, Sprecher des DEB. Tot ist die Sprache heute
trotzdem nicht: Etwa 400 Bücher pro Jahr
erscheinen auf Esperanto, es gibt Magazine und Musik, die Esperanto-Wikipedia
hat ungefähr so viele Artikel wie die
türkische, sogar mehr als die dänische
Version. Dennoch ist Esperanto nicht die
von Zamenhof erdachte Sprache, die
jeder spricht - keine Weltsprache, aber
eine Hilfssprache mit Potential, ist sich
Gunnar Fischer sicher: „Eine Sprache für
alle, in dem Sinne, dass es ein Angebot
an alle Menschen ist. Dass man sagt, wir
möchten möglichst jedem die Möglichkeit bieten, eine Sprache zu lernen, die
eben leicht ist und über die er Kontakte
in mindestens hundert Länder hat“.
Dass Esperanto bei einigen trotzdem die
Reaktion „nie gehört“ auslöst, bedauert
Fischer: „Aber die meisten Sachen, die
man gut findet, so was wie Trinkwasser
oder Menschenrechte, die haben sich
ja leider auch in weiten Teilen der Welt
nicht durchgesetzt“. #
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