Abhandlung - Christian-Albrechts

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Abhandlung - Christian-Albrechts
1. Einleitung
„Es muss nicht immer Schwarz sein – Überlegungen zu liturgischer
Kleidung im evangelischen Gottesdienst“, lautet der vollständige Titel
dieser Arbeit. Zu Beginn möchte ich aber zwei kurze persönliche
Begebenheiten schildern, die den Ausschlag dazu gaben, mich mit
diesem Thema während meines Studiums zu beschäftigen, das nun
Gegenstand meiner wissenschaftlichen Hausarbeit im Rahmen des ersten
Theologischen Examens geworden ist.
In einer Göttinger Kirchengemeinde fand der Vorstellungsgottesdienst
der neuen Konfirmanden, die ich ein gutes Jahr lang begleitet habe, statt.
Die zuständige Pfarrerin zog ihren schwarzen Talar an, worauf ein
Konfirmand sie fragte: „Warum ziehst Du eigentlich etwas Schwarzes
an? Ist heute etwas Trauriges?“1 Diese Frage hatte mich verblüfft. Bisher
kannte ich es, dass der schwarze Talar das traditionelle Gewand des
Pfarrers ist und dass die Variante mit Albe und Stola zu einer neuen
Modeerscheinung gehört. Aber auch diese Meinung erfuhr eine
grundlegende Änderung. Im Rahmen eines Seminars über „Ritual und
Tradition in Reformation und Gegenreformation“2 wurde mir deutlich,
dass im Luthertum bis in das 18. und teilweise 19. Jahrhundert hinein die
altkirchlichen Messgewänder üblich waren und der Talar in seiner
heutigen Form erst Anfang des 19. Jahrhunderts eingeführt wurde. Die
Überlegungen der Wiedereinführung von liturgischen Gewändern im
evangelischen Gottesdienst sind demnach eine Rückbesinnung auf die
altkirchlichen Traditionen. „Es muss nicht immer Schwarz sein!“
Insofern kann ich sagen, dass die Frage des Konfirmanden durchaus
seine Berechtigung gehabt hat.
Folgende Herangehensweise ist für diese Arbeit beabsichtigt. Zunächst
wird in aller Kürze auf den Symbolbegriff (2.) eingegangen ehe – nach
einem Exkurs über die Entstehung des liturgischen Farbkanons (3.) – die
Farben in ihrer Symbolik in Bezug auf ihre liturgische Verwendung (4.)
1
Dies erlebte ich im August 2004 in einer Göttinger Kirchengemeinde.
Dieses Seminar fand als Blockseminar im Wintersemester 2004/2005 an der Evangelisch Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen bei Anselm
Schubert statt.
2
-1-
gedeutet werden. Anschließend werden die wichtigsten liturgischen
Gewänder, nämlich die Albe, die Stola und die Kasel, in Bezug auf ihre
Herkunft, theologische Deutung und ihre Verwendung vorgestellt (5.).
Im folgenden Kapitel (6.) erfolgt die Beschreibung der gegenwärtigen
Amtskleidung des evangelischen Geistlichen in Deutschland. Da in der
Praktischen Theologie und insbesondere in der Liturgik die Semiotik
wichtige Impulse gegeben hat, werden einige semiotische Aspekte (7.)
hinsichtlich der Wirkung der Gewänder im Gottesdienst genannt. Dabei
geht es vornehmlich um die Einheit von Raum und Kleidung, Form und
Inhalt der Feier und um den „Problemcode“ Talar und Stola. Im Rahmen
der kirchenrechtlichen Situation (8.) wird primär auf allgemeine
Beobachtungen und problematische Tendenzen eingegangen. Ein
möglicher Ausblick kann nur in Ansätzen erfolgen, da konkrete
Ergebnisse von Umfragen oder Entscheidungen derzeitig noch nicht
vorliegen. Abschließend erfolgt im Fazit (9.) eine Zusammenfassung und
persönliche Beurteilung zum Gebrauch der Gewänder.
2. Symbolbegriff
Im Zuge einer Deutung der liturgischen Farben soll an dieser Stelle kurz
auf den Symbolbegriff eingegangen werden. Der Begriff Symbol leitet
sich vom griechischen Wort sýmbolon ab. Symbáll
Verständnis der griechisch-römischen Antike soviel wie „zusammenbringen, vergleichen, (er)schließen, interpretieren“.3 Dies hat zur Folge,
dass oft konträre Deutungen in einem Symbol mit einfließen können.
Insofern ist das Symbol an sich niemals eindeutig, sondern fordert stets
zur Interpretation in einem interaktiven Kommunikationsprozess heraus. 4
Für die Liturgik bietet das Symbol aufgrund seiner Offenheit und
Lebendigkeit eine große Chance für das Ritual. Sie (sc. die Lebendigkeit)
macht „den Mehrwert des Rituellen“ aus.5
3
Vgl. Hildegard Cancik-Lindmaier, Art.: Symbol/Symbole/Symboltheorien. II.
Griechisch-römische Antike, in: RGG4 7 (2004), 1922.
4
Vgl. Peter Biehl, Art.: Symbol/Symbole/Symboltheorien. VIII. Praktisch-theologisch,
in: RGG4 7 (2004), 1928.
5
Biel, a.a.O., 1929.
-2-
Auch Farben leben von der Symbolhaftigkeit, denn es gibt keine
eigentliche Bedeutung der Farbe.6 Da im Hinblick auf das Ganze
Symbole für die Liturgie und insbesondere für die Rituale von
unschätzbarer Bedeutung sind, können die liturgischen Farben ihrerseits
verschiedene Akzente setzen, beziehungsweise gewisse Momente in den
einzelnen Ritualen unterstreichen, indem sie Widerspruch bei den
Menschen hervorrufen oder Bestätigung erzeugen.
3. Exkurs: Entstehung des liturgischen Farbkanons
Papst Innozenz III (1198-1216) legte gegen 1200 in seiner Schrift „De
servo altaris mysterio libri sex“ einen vollständigen Farbkanon fest.7
Diese Festlegung erfolgte in Verbindung mit der Zusammenfassung der
gallikanischen
und
Traditionen.8
römischen
Dabei
wurden
im
Wesentlichen die heutigen Farben Weiß, Rot, Grün, Violett und Schwarz
genannt.
Die Verwendung verschiedener Farben im Gottesdienst ist keine genuin
christliche Erfindung. Schon das antike Judentum kannte eine Farbreihe,
die
sich
meist
aus
Weiß,
Scharlach
und
zwei
Purpurarten
zusammensetzte. Allerdings waren die einzelnen Kleidungsstücke in den
verschiedenen
Farben
gehalten.
Eine
dem
jeweiligen
Anlass
angemessene einheitliche Farbe für die ganze Kleidung gab es nicht. 9
Obwohl Papst Innozenz III als Initiator des liturgischen Farbkanons gilt,
bezweifelt Jens Haverland in seiner Arbeit „Schatz, was soll ich bloß
anziehen? Liturgische Gewänder im protestantischen Gottesdienst“ zu
Recht einen in Rom konzipierten Kanon, der sich von dort ausgebreitet
habe.10 Joseph Braun geht in seinem Buch „Die liturgische Gewandung
6
Vgl. Heinrich Frieling, Farbe im Raum. Angewandte Farbpsychologie, München
1974, 20.
7
Vgl. Joseph Braun, Die liturgische Gewandung im Occident und Orient. Nach
Ursprung und Entwicklung, Verwendung und Symbolik, Darmstadt 1964, 729.
8
Vgl. Rainer Volp, Liturgik. Die Kunst Gottesdienst zu feiern, Bd. 1: Einführung und
Geschichte, Gütersloh 1992, 510.
9
Vgl. Braun, a.a.O., 749.
10
Vgl. Jens Haverland, Schatz was soll ich bloß anziehen? Liturgische Gewänder im
protestantischen Gottesdienst, Norderstedt 2007, 7.
-3-
im Occident und Orient“ im entsprechenden Kapitel von einem längeren
Entwicklungsprozess aus. So schreibt er:
„Man hat Innozenz III selbst für den Urheber der Farbenordnung
angesehen, die er in seiner Schrift über das Meßopfer mitteilt. Allein
ohne Grund. Man braucht nur mit ein wenig Aufmerksamkeit die
Ausführungen des Papstes anzusehen, um zu erkennen, daß er
beschreiben will, nicht was er selbst geschaffen, sondern nur was
seinerzeit Brauch der römischen Kirche war.“11
Als Beispiel führt Braun Mailand an, wo schon Anfang des 12.
Jahrhunderts Ansätze einer ersten Fixierung der liturgischen Farbe
erkennbar wird.12 So heißt es im Ordinarium des Mailänder Doms von
1130:
„[…]daß in der Fastenzeit über Altar und Kanzel ein schwarzes, in der
Passionszeit aber ein rotes Tuch ausgebreitet werde. […] daß die Kasel,
welche der Bischof am Karfreitag bei der Lesung der Passion trug, von
roter Farbe sein mußte, und daß der Diakon am Gründonnerstag in alba
rubea, d. i. in roter Tunika, die Lektion die Epistel und das Evangelium
zu singen hatte.“13
Am Beispiel von England verdeutlicht Braun, dass Weiß, Rot und
Schwarz die ältesten Farben sein mussten. Später nahm man „Grün oder
Gelb, seltener Blau“14 als Mittelfarben hinzu. Violett wurde aufgrund
„seines trüben Aussehens dem Schwarz als Nebenfarbe zugesellt“15.
Schon bald fand diese Farbe als gemilderte Form der Bußstimmung
Verwendung. Somit war der Farbkanon in seiner Grundgestaltung
fertig.16
Die Tatsache, dass Violett erst später hinzugekommen ist, wird bei
Wilhelm Löhe deutlich. Er nennt die Farben Weiß, Rot, Schwarz, Grün
und Blau. Violett erwähnt er nicht, sondern will stattdessen Schwarz als
Farbe wissen.17
11
Braun, a.a.O., 734. (Im Original gesperrt gedruckt!)
Vgl. Braun, a.a.O., 733.
13
Braun, a.a.O., 733. Kürzung J. H.
14
Braun, a.a.O., 735.
15
Braun, a.a.O., 735.
16
Vgl. Braun, a.a.O., 735.
17
Vgl. Wilhelm Löhe, Vom Schmuck der heiligen Orte, Kassel 1949, 17.
12
-4-
In den evangelischen Kirchen traten im Zuge der Liturgie-Reformen des
19. und 20. Jahrhunderts die liturgischen Farben Weiß, Rot, Schwarz18,
Violett und Grün wieder stärker ins Bewusstsein.19 ParamentenWerkstätten wurden in vielen Diakonissenanstalten eingerichtet. In der
Zeit des Expressionismus lieferten viele Künstler eigene Entwürfe.
Vielerorts brachen diese Traditionen jedoch ab.20 Deshalb ist es
heutzutage begrüßenswert, dass es im evangelischen Bereich wieder oder
immer noch eigene Paramenten-Werkstätte gibt, die hochwertige Altar-,
Lesepult- und Kanzelbehänge herstellen.21
4. Deutung der liturgischen Farben
Bevor auf die Gewandarten im Einzelnen und deren Verwendung im
Gottesdienst eingegangen wird, sollen zunächst die liturgischen Farben
und deren psychologischen Auswirkungen in diesem Zusammenhang
erläutert werden. Dabei wird zunächst auf die beiden dichtesten Farben –
Schwarz und Weiß – eingegangen und anschließend werden die weiteren
liturgischen Farben des Kirchenjahres behandelt. In diesem Kapitel soll
der Versuch gemacht werden, den verschiedenen, zumeist auch
konträren, Deutungen nachzugehen, sofern sie für den liturgischen
Gebrauch von Relevanz sind. Als Orientierung dienen unter anderem
„Farben“ von Ingrid Riedel22 und „Wie Farben wirken“ von Eva Heller.23
Beide Bücher sind als Übersicht wegen ihrer Assozietät äußerst hilfreich.
Allerdings liegt auch darin ihre Schwäche, da sie bei dieser
Aneinanderreihung bleiben.
18
Als Nichtfarbe verdient Schwarz einen gewissen Sonderstatus (Vgl. Haverland,
a.a.O., 8.).
19
Vgl. Volp, Liturgik 1, 510.
20
Vgl. Volp, a.a.O., 511.
21
Zu nennen sei exemplarisch die Ratzeburger Paramenten-Werkstatt der evangelischen
Stiftung Alsterdorf.
22
Ingrid Riedel, Farben in Religion, Gesellschaft, Kunst und Psychotherapie, in:
Symbole, Stuttgart 71989.
23
Eva Heller, Wie Farben wirken. Farbpsychologie, Farbsymbolik, Kreative Farbgestaltung, Hamburg 11989.
-5-
4.1.
Schwarz
Da Schwarz die Zusammenmischung aller Farben ist, gilt sie theoretisch
als unbunte Farbe. Dennoch muss sie als eigenständige Farbe gesehen
werden, da mit ihr eine eigenständige Symbolik verbunden wird.24
Vorrangig wird Schwarz im deutschsprachigen
Kulturraum als
Trauerfarbe um den irdischen Tod angesehen. Durch den Verzicht auf
jegliche Farbigkeit bedeutet Schwarz zugleich auch der Verzicht auf jede
persönliche Eitelkeit.25 Umgekehrt wird Schwarz aus demselben Grund,
nämlich der Verzicht auf persönliche Eitelkeit und übermäßigen Pomp,
auch als Festfarbe interpretiert. Bei vielen offiziellen Anlässen tragen die
Herren meist schwarze Anzüge und viele Damen das so genannte „kleine
Schwarze“. Diese Farbe unterstreicht im säkularen Bereich – anders als
eine farbige Kombination – stärker den Ernst und die Würde des
Anlasses.26
Für die Standeskleidung des Pfarrers bedeutet Schwarz neben der
Deutung als Festfarbe auch die Zurücknahme der eigenen Person. Es gilt
vor allem bei der Verkündigung, die ex officio geschieht, die Regel, dass
Vorrangig keine persönlichen Privatmeinungen geäußert werden sollen,
sondern „objektive Tatsachen“. Das gilt vor allem für Juristen und
Professoren.27 Für die Letztgenannten ist es nachvollziehbar, bei dem
Pfarrer muss allerdings differenziert werden. So ist an dieser Stelle als
Problemanzeige
deutlich
zu
machen,
dass
eine
Predigt
keine
Verkündigung von dogmatischen Richtigkeiten allein sein kann. Dabei
ist zu hinterfragen, ob dogmatische Richtigkeiten überhaupt als
„objektive Tatsachen“ gelten können, im Sinne von empirisch
nachweisbar. Letztlich handelt es sich um Glaubensaussagen, die schwer
nachweisbar geschweige zu beweisen sind – anders als juristische
Tatbestände oder wissenschaftliche Erkenntnisse auf Basis von
24
Vgl. Heller, a.a.O., 89.
Vgl. Heller, a.a.O., 90.
26
Vgl. Heller, a.a.O., 102f.
27
Vgl. Friedemann Merkel, Schwarz – oder heller? Zur Amtstracht evangelischer
Pfarrer, in: ders., Sagen – Hören – Loben. Studien zu Gottesdienst und Predigt,
Göttingen 1992, 211.
25
-6-
Experimenten28. Für die Predigt gehört auch der persönliche Zugang
dazu. Vorrangig geht es um die Frage: „Was hat der Text mir heute zu
sagen?“ Hier liegt aber ein weiteres Problem vor, das mit Schwarz in
Verbindung
gebracht
werden
kann.
kommuniziert vor allem Distanz.
29
Die
schwarze
Kleidung
Diese Distanz geht in zwei
Richtungen. Zum einen entsteht eine Distanz zur eigenen Person, zum
anderen zum Hörer. Wenn der Pfarrer in seinem Talar beispielsweise
Solidarität und Nähe predigen will, kann es passieren, dass er sich selbst
ins Wort fällt, wie Karl-Heinrich Bieritz richtig erkannt hat.30 Daraus
leite
ich
ab,
dass
in
diesem
Zusammenhang
eine
intensive
Auseinandersetzung hinsichtlich der Verwendung der Kleidung und der
zu verkündigenden Kernbotschaft erfolgen muss. Auf diesen Zusammenhang wird später näher eingegangen (7.2.).
Die Deutung von Schwarz als Liturgische Farbe ist schwierig, ja
eigentlich ein Widerspruch in sich. Natürlich kann Schwarz neben
Bestattungen
vorrangig
am
Karfreitag
und
Karsamstag
als
31
Antependium verwendet werden. Vielerorts wird aber an diesen Tagen
auf sämtliche Paramente verzichtet, um die Betroffenheit über den Tod
Jesu, die an den beiden Tagen im Mittelpunkt steht, zu unterstreichen.
Da, wie bereits erwähnt, die Farbgebung des Talars im Sinne einer
Festfarbe eher dem damaligen weltlichen Zeitgeschmack entsprach, kann
sie nicht im liturgischen Sinne gedeutet werden.32
28
Aufgrund von entsprechenden Vorkehrungen, wie zum Beispiel Isolation etc., ist
auch ein Experiment als unumstößliches Faktum selbst zu hinterfragen.
29
Vgl. Heller, a.a.O., 101. Dieser Aspekt spielt auch bei Security-Unternehmen eine
wichtige Rolle. Die Mitarbeiter solcher Unternehmen, wie zum Beispiel Türsteher,
tragen meist eine schwarze Dienstkleidung.
30
Vgl. Karl-Heinrich Bieritz, Die Predigt im Gottesdienst, in: ders., Zeichen setzen.
Beiträge zu Gottesdienst und Predigt, Stuttgart / Berlin / Köln, 1995, 142.
31
Mancherorts wird über dem Altar ein grobes schwarzes Tuch gelegt. Dies habe ich in
Kiel in einer Kirche erlebt.
32
Vgl. Zeremoniale-Ausschuss der Liturgischen Konferenz (Hg.), Ein Evangelisches
Zeremoniale. Liturgie vorbereiten. Liturgie gestalten. Liturgie verantworten, Gütersloh
2004, 193. (Zeremoniale)
-7-
4.2.
Weiß
Aus physikalischer Sicht wird Weiß aufgrund ihrer Mischung aus allen
Lichtfarben als Nichtfarbe interpretiert. Trotzdem gilt Weiß als die
vollkommenste Farbe, weswegen sie aus liturgischer Sicht als
Christusfarbe interpretiert wird.33 Sie steht – da die griechische
Bedeutung „leukos“ eine phonetische Nähe zu „leuchten“ intendiert34 –
symbolisch für das Licht der Auferstehung. Deshalb gilt die weiße Farbe
in Mittelmeerländern und in der slawischen Tradition35 als Trauerfarbe,
da sie auch den Verzicht auf jede persönliche Eitelkeit unterstreicht.36
Allerdings steht hier, anders als bei Schwarz, nicht die Trauer um den
irdischen Tod im Vordergrund, sondern die Auferstehungshoffnung. So
gehört in Herrenhut Weiß zur Trauerkleidung. Es soll damit die Freude
der
Auferstehung
unterstrichen
werden.37
Deshalb
schlägt
das
Zeremoniale sinnvollerweise vor, dass am Ewigkeitssonntag Weiß statt –
wie überlicherweise sonst – Grün angezeigt wird.38 Für alle Christusfeste
(Weihnachten bis Epiphanias, Gründonnerstag, Ostern bis Exaudi und
Trinitatis) und Marienfeste (Lichtmess, Ankündigung der Geburt des
Herrn und Besuch Marias bei Elisabeth), an Johannes und Michaelis
sowie alle Heiligentage, die nicht Märtyrertage sind, gilt Weiß als
liturgische Farbe. Insofern sollte man an Allerheiligen, wenn er auf einen
Sonntag39 fällt und im Gottesdienst thematisiert wird, Weiß als
liturgische Farbe tragen.40
Weiß steht darüberhinaus wegen seiner Reinheit als Farbe der Unschuld,
weshalb Löhe für die Trauerfeierlichkeiten bei kleinen Kindern eine
weiße Farbe für die Antependien vorschlägt.41 Dies erklärt aus meiner
Sicht auch, warum die meisten Kindersärge vornehmlich Weiß sind.
33
Vgl. Heller, a.a.O., 145; vgl. Zeremoniale, 210.
Vgl. Heller, a.a.O., 145.
35
Vgl. Riedel, a.a.O., 181.
36
Vgl. Heller, a.a.O., 149.
37
Vgl. Graff, a.a.O., 71.
38
Vgl. Zeremoniale, 210.
39
Es wäre durchaus auch möglich, diesen Tag auch dann zu begehen, wenn er auf einen
Werktag fällt. Allerdings sind Werktagsgottesdienste in den meisten evangelischen
Gemeinden unüblich, so dass vom Einzelfall auszugehen ist.
40
Vgl. Zeremoniale, 210.
41
Vgl. Löhe, a.a.O., 17.
34
-8-
Da das reine Weiß häufig in Krankenhäusern als Farbe der Bettbezüge
und der Kleidung des Personals vorzufinden ist, wird häufig das
Klinische und Sterile als negative Assoziationen mit dieser Farbe in
Verbindung gebracht.42 Auch die gespenstische Wirkung43 ist nicht von
der Hand zu weisen. Deshalb sollte nach Möglichkeit auf ein reines Weiß
verzichtet und ein Beige als Gewandfarbe bevorzugt werden. Dies
verleiht der Gewandung eine gewisse Farblichkeit und wirkt demzufolge
auch nicht zu blass. Auch für den Träger – insbesondere wenn es sich um
einen hellhäutigen Typ44 handelt – kann es vorteilhaft sein, wenn das
Gewand nicht zu weiß ist.
4.3.
Rot
Als Farbe des Blutes gilt Rot auch als Symbol der Lebenskraft. In vielen
vorchristlichen Religionen spielte das Blutopfer eine herausragende
Rolle, um die Götter gnädig zu stimmen.45 Vor dem Hintergrund des
vergossenen Blutes vieler christlicher Märtyrer als Zeugnis für ihren
Glauben, wird bei Märtyrergedenktagen Rot als liturgische Farbe
getragen.46
Die Farbe Rot hat auch einige negative Assoziationen. So wird die rote
Farbe zum Beispiel mit den Flammen der Hölle in Verbindung gebracht.
Die germanischen Wettergötter Donar und Wotan, die häufig mit roten
Haaren erschienen, wurden durch das Christentum dämonisiert und
verschmolzen zu der Gestalt des Teufels.47 Da auch durch die Gestalt der
„Hure Babylon“, die „mit Purpur und Scharlach“ (Offenbarung 17,4)
angetan war, das Rot mit der zügellosen Sexualität in Verbindung
gebracht wurde, war es nicht ganz selbstverständlich, dass dieses Rot zur
Christlichen Symbolfarbe aufgestiegen ist.48 Hier wird deutlich, wie
problembehaftet diese Farbe ist.
42
Vgl. Heller, a.a.O., 148.
Vgl. Riedel, a.a.O., 185.
44
Damit ist keine rassistische Bemerkung gemeint, sondern ein Hauttyp.
45
Vgl. Riedel, a.a.O., 24-26; vgl. Heller, a.a.O., 51f.
46
Vgl. Zeremoniale, 191f.
47
Vgl. Riedel, a.a.O., 41.
48
Vgl. Riedel, a.a.O., 31.
43
-9-
Dennoch ist dieses Rot eine christliche Symbolfarbe und wird zu
wichtigen Kirchenfesten gebraucht. Als Farbe der Liebe und der
Flammen
des
Heiligen
Geistes
findet
Rot
Verwendung
bei
Konfirmationen, Ordinationen, Amtseinführungen, an Pfingsten, sowie
am Tag der Augsburgischen Konfession. Darüberhinaus wird bei
Bittgottesdienste um die Einheit der Kirche, an Apostel-, Evangelistenund Märtyrertage Rot als liturgische Farbe getragen. In der Ökumene
(römisch-katholische Kirche, Anglikaner) ist Rot auch die Farbe des
Palmsonntags und Karfreitags.49
4.4.
Violett
Violett ist eine Mischung aus Blau und Rot und gilt in der Psychologie
als Farbe der gemischten Gefühle. So findet in der Kirche Violett
Verwendung als Farbe der Buß- und Fastenzeit, vor allem in der
Adventszeit und Passionszeit ab Aschermittwoch. Violett wird in den
Zeiten vor Ostern und dem Christfest als Farbe der Nacht interpretiert, so
dass diese Zeiten als Zeiten der Erwartung des kommenden Tages
gesehen werden. Ferner ist Violett die Farbe für alle Buß-, Bitt- und
Trauergottesdienste.50
Im säkularen Bereich gilt bei vielen Violett als Farbe der Eitelkeit und
des Extravaganten. Diese Interpretation widerspricht eindeutig der
sakralen Deutung.51 Von daher wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, dass in
den violetten Antependien einige Farbakzente in Schwarz gesetzt
werden. Damit kann zum Beispiel die Nähe des Violetts als Nebenfarbe
zu Schwarz visualisiert werden.
Violett ist in der Kirche nicht nur eine liturgische Farbe, sondern auch
eine Rangfarbe der höheren Geistlichkeit.52 So tragen in der römischkatholischen Kirche die Prälaten und auch die Bischöfe eine violette
Soutane. In der anglikanischen Kirche ist die Soutane der Bischöfe
49
Vgl. Zeremoniale, 191f.
Vgl. Zeremoniale, 207.
51
Vgl. Heller, a.a.O., 170f.
52
Vgl. Heller, a.a.O., 167-170.
50
- 10 -
ebenfalls violett. In der evangelischen Kirche hat sich das violette
Kollarhemd als Insignie der Bischöfe vielerorts eingebürgert.53
Darüber hinaus ist Violett die Kreuzfarbe auf der evangelischen
Kirchenfahne54 und gilt als Farbe des deutschsprachigen Protestantismus. Das sieht man deutlich auf den Hinweisschildern für die
Gottesdienste in vielen Ortschaften, wo eine gelbe Kirche die römischkatholischen und eine violette Kirche die evangelischen Gottesdienste
anzeigt. Für die freikirchlichen Gemeinden steht häufig eine grüne
Kirche auf den Hinweisschildern.
4.5.
Grün
Da Grün im Gegensatz zu Violett nicht auf seine Ursprungsfarben Gelb
und Blau verweist, gilt sie als selbständigste aller Mischfarben. 55 Papst
Innozenz III nannte Grün auch color medius, da sie den Dreiklang der
drei Hauptfarben herstellt. Denn Grün ist zum einen die Komplementärfarbe zu Rot und geht zum anderen aus der Mischung von Gelb
und Blau hervor.56
Im Hinblick auf die Vegetation gilt Grün als Farbe des Lebens 57 und –
wenn man das Aufkeimen der Pflanzen im Frühjahr hinzunimmt – als
Farbe der Hoffnung und der Zuversicht.58 Diese beiden Aspekte finden
sich auch in der theologischen Deutung der Farbe Grün wieder. Mit ihr
werden alle Sonntage, die nicht von besonderer Prägung sind,
angezeigt.59
Darüber hinaus steht Grün für Barmherzigkeit. Im christlichen Denken
wird die Barmherzigkeit als Beginn des neuen Lebens interpretiert. So
tragen viele Heilige ein grünes Gewand.60 Auch in vielen Kreuzes-
53
Vgl. Klaus Raschzok, Eröffnungsvortrag anlässlich der Ausstellung „Evangelisch
betucht“, in: Kirche und Kunst 1/2007, 13.
54
Vgl. Zeremoniale, 207.
55
Vgl. Heller, a.a.O., 71.
56
Vgl. Volp, Liturgik 1, 510.
57
Vgl. Heller, a.a.O., 72.
58
Vgl. Heller, a.a.O., 75.
59
Vgl. Zeremoniale, 160.
60
Vgl. Heller, a.a.O., 72.
- 11 -
darstellungen spielt Grün eine wichtige Rolle – insbesondere, wenn das
Kreuz als Baum des Lebens verstanden wird.61
Grün wird aber auch mit Gift in Verbindung gebracht. Bei der
Farbherstellung von Smaragdgrün zum Beispiel wurde Kupfer-Grünspan,
der in Arsen gelöst wurde, verwendet. Grünspan ist giftig und Arsen gilt
als eines der stärksten Gifte überhaupt. Deshalb spricht man auch von
„Giftgrün“.62 Von daher eignet sich nicht jeder Grünton für eine
Verwendung als liturgische Farbe.
5. Formen und Gestalt der liturgischen Gewänder
Nach der Farbdeutung erfolgt eine kurze Darstellung der liturgischen
Gewänder. Zuvor sei gesagt, dass es eine definitive Unterscheidung
zwischen den gottesdienstlichen und den profanen Gewändern im frühen
Christentum nicht gab. Braun konstatiert, dass für die vorkonstantinische
Zeit eine gottesdienstliche Kleidung nicht nachweisbar ist.63 Meist trugen
die ersten Christen in der römischen Umgebung die profane römische
Gewandung.64 Im dritten Jahrhundert schärfte der Bischof von Rom
seinen Presbytern ein, die heiligen Gewänder nicht zum gewöhnlichen
Gebrauch anzuziehen.65 Damit wäre schon eine gewisse Unterscheidung
vollzogen. Dies änderte sich grundlegend, als die germanische
Hosenmode Einzug hielt und die römische Tunikamode verdrängte. 66 Die
alte Kleidungsform wurde in den Gottesdiensten beibehalten, so dass
man dieser Kleidung „eine kultische Eigenbedeutung“67 beimaß. Eine
symbolische oder gar theologische Bedeutung hatten diese Gewänder
ursprünglich nicht.
61
Viele mittelalterliche Triumphkreuze besitzen ein Rankenwerk, das entweder – wie in
der Kieler Nikolaikirche – vergoldet oder Grün ist.
62
Vgl. Heller, a.a.O., 78f.
63
Vgl. Braun, a.a.O., 769.
64
Vgl. Walter Lotz, Das hochzeitliche Gewand, Kassel 1949, 11.
65
Vgl. Lotz, a.a.O., 11.
66
Vgl. Christian Grethlein, Grundfragen der Liturgik. Ein Studienbuch zur zeitgemäßen Gottesdienstgestaltung, Gütersloh 2001, 169.
67
Lotz, a.a.O., 12.
- 12 -
Haverland hat in seiner Studienarbeit in umfangreicher Weise die
verschiedenen Arten der liturgischen Gewänder dargestellt.68 Zu nennen
wären: Amikt, Albe, Zingulum, Manipel, Stola, Kasel, Dalmatik (auch
Tunicella genannt), Chormantel (Pluviale oder Cappa genannt) und
Chorhemd (Superpelliceum oder fälschlicherweise auch Albe oder
Rochett69 genannt). In meiner Darstellung beschränke ich mich auf die
Albe, die Stola und die Kasel, da sie auch im evangelischen Gottesdienst
verwendet werden können und somit für diese Arbeit von Bedeutung
sind.70 Das bedeutet nicht, dass die anderen Gewänder nicht im
evangelischen Gottesdienst verwendet werden dürfen. Es ist durchaus
üblich, dass die Pfarrer auch zum Talar das Chorhemd tragen können.
Allerdings
gibt
es
in
einigen
Landeskirchen
unterschiedliche
Handhabungen für den Gebrauch des Chorhemds über dem Talar.
Einerseits wird diese Kombination in Württemberg für Taufen und
Sakramentsgottesdienste getragen, andernorts
wird sie eher für
Predigtgottesdienste und Amtshandlungen benutzt.71 Ebenso können
auch die Diakone die Dalmatik tragen.
In diesem Zusammenhang sollen die Herkunft, die theologische Deutung
und die Verwendung im Gottesdienst entfaltet werden.
5.1.
Die Albe
5.1.1. Herkunft
Die Albe (Lateinisch „albus“ = weiß) entwickelte sich aus dem antiken
Alltagsgewand, der Tunika. Sie ist meist aus Leinen oder Wolle gefertigt
und reicht runter bis zum Knöchel. Als liturgisches Gewand (tunica
talaris) hat sich die Albe seit dem 3. Jahrhundert bis heute erhalten.72 Als
68
Haverland, a.a.O., 19-33.
Das Rochett ist an den Ärmeln enger geschnitten und wird meist von Bischöfen und
Prälaten getragen (Vgl. Ernst Hofhansl, Art.: Liturgische Gewänder, in: TRE 13 [1985],
161.).
70
Vgl. Johannes Lehnert, Die Entwicklung der liturgischen Gewandung und ihre
„liturgische Präsenz“ im Gottesdienst, in: Helmut Wöllenstein (Hg.), Werkbuch
Liturgische Präsenz nach Thomas Kabel, Gütersloh 2002, 114.
71
Vgl. Zeremoniale, 139.
72
Vgl. Christian Rietschel, Paramente und Geräte des evangelischen Gottesdienstes,
Gütersloh 1968, 25.
69
- 13 -
Untergewand wird die Albe von allen Weihestufen getragen.73 In der
westlichen Kirche ist die Farbe meist Weiß, während sie in der
orientalischen Tradition auch farbig sein kann.74 Diese Tatsache kann zu
gewissen Irretationen führen. Insofern wäre es ratsam, gerade vor dem
Hintergrund, dass es in einigen katholischen und auch evangelischen
Gemeinden Tuniken in den jeweiligen liturgischen Farben gibt, die
Terminologie „Albe“ im oben genannten Sinne zu überdenken, ja sich
sogar von ihr zu verabschieden. Da im weiteren Verlauf dieser Arbeit
„Albe“ als Terminus gebraucht wird, muss hier stets von dem „weißen
Gewand“ ausgegangen werden.
Im evangelischen und teilweise im katholischen Bereich hat sich die
Mantelalbe – auch Tunika-Talar genannt – durchgesetzt. Aufgrund ihres
Schnitts im Halsbereich, der die untere Kleidung gut abdeckt, erübrigt
sich die Verwendung des Amikts (Schultertuch).75 Auch auf das
Zingulum – das ist ein Seil, das um den Lendenbereich gelegt wird und
somit die Länge der Albe rafft, um einen bequemeren Gang zu
ermöglichen – kann, wenn es sich um eine Maßanfertigung handelt,
verzichtet werden.76
5.1.2. Theologische Deutung
Die Albe wird als Taufkleid mit Christus in Verbindung gebracht. Mit
der Taufe stirbt der alte sündige Mensch (Röm 6,6) und mit dem
Taufkleid wird Christus, der neue Mensch, angezogen (Röm 13,14; Gal
3,27; Eph 4,24).
73
Vgl. Hofhansl, a.a.O., 161.
Vgl. Rupert Berger, Neues Pastoralliturgisches Handlexikon, Freiburg 1993, 10.
75
Hier entscheide ich mich für das Zeremoniale, 129 und gegen Haverland, der die
Verwendung des Amikts befürwortet (Vgl. Haverland, a.a.O., 37.).
76
Auch Haverland äußert sich hinsichtlich der Verwendung des Zingulums skeptisch.
Im Sinne eines Keuschheitsgürtels (Vgl. Braun, a.a.O., 102.) kann das Zingulum nicht
verstanden werden. Zu Recht betont Haverland, dass die Keuschheit keine Voraussetzung für den Pfarrer und erst recht nicht für die Assistenten für den Dienst am Altar
sein kann (Vgl. Haverland, a.a.O., 37.).
74
- 14 -
5.1.3. Verwendung
In Verbindung mit dem Taufkleid kann und darf die Albe von allen
getauften Christen getragen werden. So wäre es durchaus denkbar, dass
die aktiven Mithelfer im Gottesdienst als sichtbares Zeichen des
allgemeinen Priestertums aller Getauften und ihrer liturgischen Aufgabe,
die sie stellvertretend für die Gesamtgemeinde wahrnehmen, die Albe
tragen. Gegen die Meinung vieler Kritiker, die in der Wiederentdeckung
liturgischer Gewänder eine Nivellierung des Priestertums aller Getauften
sehen, sei zu sagen, dass durch den Unterschied zwischen dem Talar des
Pfarrers und der Zivilkleidung der Helfer dieser Gedanke erst gar nicht
visualisiert wird. Mit dem Tragen der Albe, die alle Beteiligten als
Grundgewand benutzen, kann dieser Gedanke durch die Sichtbarwerdung
unterstrichen werden.
Darüber hinaus wird deutlich, dass der
Gottesdienst keine alleinige Angelegenheit des Pfarrers ist, sondern der
Gesamtgemeinde.
Eine andere Möglichkeit wäre das Chorhemd, das über einem schwarzen
Rock mit verstellbaren Trägerschnallen getragen wird. Oben kann statt
eines Schultertuchs ein Schulterkragen über dem Chorhemd getragen
werden.77
Es wäre durchaus Sinnvoll, wenn alle Mithelfer des Gottesdienstes
grundsätzlich ein schwarzes Untergewand unter der Albe tragen. Dies
symbolisiert den Gedanken des „simul iustus et peccator“. Die Taufe
macht zwar den Menschen rein, aber er steht auch nach diesem Akt unter
den Konditionen dieser Welt. Die Sünde bleibt latent erhalten.
Haverland empfiehlt bei der Variante mit dem Chorhemd statt Schwarz
ein Violett zu tragen. Im Sinne eines protestantischen Profils mag es
durchaus sinnvoll sein.78 An dieser Stelle sei aber zu erwähnen, dass auch
in einigen katholischen Gemeinden diese Form in der Fastenzeit getragen
wird. Damit hätte man es wieder mit einer liturgischen Farbe zu tun.
Deshalb präferiere ich aufgrund seiner Neutralität das schwarze Gewand.
77
Vgl. Karl Bernhard Ritter, Die eucharistische Feier. Die Liturgie der evangelischen
Messe und des Predigtgottesdienstes, Kassel 1961, 33.
78
Vgl. Haverland, a.a.O., 39.
- 15 -
Im Konfirmationsgottesdienst können die Konfirmanden als Zeichen
ihrer Taufbestätigung die Albe oder die Variante des schwarzen Rocks
mit dem Chorhemd tragen. In diesem Zusammenhang umgeht man das
heikle Thema der Finanzierung eines Konfirmationsanzugs oder
Konfirmationskleids.79 Dies setzt aber voraus, dass die Konfirmanden
schon vorher praktische Erfahrungen mit diesen Gewändern gesammelt
haben – etwa als Helfer im Gottesdienst.80
5.2.
Die Stola
5.2.1. Herkunft
Die Stola ist circa 6 bis 10 cm breit und 2,5 m lang und geht ursprünglich
auf ein Mundtuch beziehungsweise auf ein Tuch zur Reinigung des
Gesichts (Orarium) zurück, das in der Antike um den Hals gelegt
wurde.81
Im Allgemeinen bedeutet „Stola“ Gewand beziehungsweise geschmücktes Kleid. Über den Gebrauch der Stola als liturgisches
Abzeichen wird im Osten ab dem 4. Jahrhundert und in Spanien ab dem
6. Jahrhundert berichtet.82 Meist wurde die Stola zur Verwaltung der
Sakramente und zu Sakramentalien getragen. Dabei gibt es verschiedene
Tragweisen. Der Diakon trägt die Stola in Form einer Schärpe von der
linken Schulter schräg über Brust und Rücken an die rechte Seite, an der
die beiden Enden miteinander verbunden werden. Priester und Bischöfe
tragen die Stola über den Nacken und beide Schultern. Während der
Bischof beide Enden bis zum Knie herabfallen lässt trug der Priester bis
79
Vgl. Haverland, a.a.O., 44.
Dabei sollte man den Konfirmanden nicht nur Hilfsrollen zuteilen, sondern auch
anspruchsvollere Aufgaben wie zum Beispiel den Lektorendienst (Vgl. Jörg Neijenhuis,
Der Gottesdienst „lernt“ sich schlecht während des Konfirmandenunterrichts. Ein
didaktischer Versuch aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive, in: Bernhard Dressler
u.a. (Hgg.), Konfirmandenunterricht. Didaktik und Inszenierung, Hannover 2001, 293.).
81
Auch heutzutage wird im Sport das Handtuch als Schweißtuch getragen. Nach einer
Übung oder Trainingseinheit legen viele Sporttreibende ein Handtuch um den Nacken
und beide Schultern, um sich den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Dies wäre ein
gutes Beispiel für den ursprünglichen Gebrauch des Orariums.
82
Vgl. Hofhansl, a.a.O., 163.
80
- 16 -
zur Liturgiereform des II. Vatikanums die beiden Streifen über der Brust
gekreuzt.83
5.2.2. Theologische Deutung
Die Stola symbolisiert das Joch Christi, das sanft und leicht zu tragen ist
(Mt 11,29f.). Die Stola ist somit „das Zeichen der Bürde und Würde des
Dienstes, der dem Träger eines kirchlichen Amtes in besonderer Weise
aufgetragen ist“84. Vor diesem Hintergrund wäre es sinnvoll, dass bei der
Ordination jedem Kandidaten feierlich eine rote Stola umgelegt wird. 85
Natürlich wäre diese Praxis nicht ganz unumstritten, aber es macht
nochmals deutlich, welche Verantwortung der jeweilige Kandidat mit
diesem Amt übernimmt.
5.2.3. Verwendung
Aufgrund seiner besonderen Deutung wird die Stola auch als
ökumenische Insignie der Ordination verstanden und kann folglich auch
nur von ordinierten Personen getragen werden.86 Sie ist das eigentliche
Zeichen des Altardienstes87 und im Protestantismus das am weitesten
verbreitete
liturgische
Gewandstück.88
Kritiker
werfen
dieser
Interpretation eine Rückkehr in ein römisch-katholisches Amts- und
Vollmachtsverständnis89 vor. Dem ist aber entgegenzusetzen, dass dieses
Verständnis nicht auf die evangelischen Kirchen zu übertragen sei. Die
83
Vgl. Hofhansl, a.a.O., 163. Diese Tragweise findet sich auch in der anglikanischen
und in einigen lutherischen Kirchen wieder.
84
Rietschel, a.a.O., 26f.
85
In der Sendereihe „Stationen“ wurde über zwei evangelische schwäbische Schwestern
berichtet, die in Tansania bei der dortigen lutherischen Kirche ihren Dienst ausgeübt
haben. In diesem Zusammenhang wurde eine Ordination gezeigt, bei der die Kandidaten
eine rote Stola umgelegt bekommen haben. Diese Sendung wurde am 06. September
2009 um 10:15 auf BR3 ausgestrahlt. Im Internet unter: www.br-online.de/bayerischesfernsehen/stationen/afrika-kloster-nonnen-ID1249560084627.xml. (aufgerufen am 09.
September 2009)
86
Vgl. Dietrich Stollberg, Liturgische Praxis. Kleines evangelisches Zeremoniale,
Göttingen 1993, 60. (Liturgische Praxis) Bei den syrischen und armenischen Riten
tragen auch die Subdiakone die Stola und bei den Maroniten sogar die Lektoren (Vgl.
Berger, a.a.O., 485.).
87
Vgl. Rietschel, a.a.O., 26.
88
Vgl. Haverland, a.a.O., 31.
89
Vgl. Merkel, a.a.O., 215.
- 17 -
Stola, über beide Schultern getragen, kann das Ordiniertenamt anzeigen,
muss aber nicht gleichzeitig mit der römisch-katholischen Amtsvollmacht konnotiert werden.90
Rainer Volp lehnt die Zuordnung der Stola zum Ordiniertenamt ebenfalls
ab. Aufgrund der Herleitung der Stola vom jüdischen Gebetsschal wäre
eine derartige Zuordnung im Sinne einer priesterlichen Insignie
unzulässig.91 Dieser Begründung ist zu widersprechen. Braun bezweifelt
eine Verbindung von „Orarium“ und „orare“ beziehungsweise eine
Herleitung vom jüdischen Gebetsschal, da das Judentum zur Zeit Jesu
und der Apostel den Gebetsmantel, den Tallith, noch nicht gekannt hat.
Dieser ist offensichtlich rabbinischen Ursprungs und ist zu der Zeit
eingeführt worden, als das jüdische Element in der christlichen Religion
sehr gering gewesen ist.92
Bei festlichen Gottesdiensten kann die Stola in der entsprechenden
liturgischen Farbe über der Albe getragen werden. Stollberg nennt als
ökumenischen Kompromiss die Kombination aus schwarzem Talar –
nicht der Preußische Talar! – mit weißem Chorhemd und Stola.93
Mancherorts wird die Stola auch über dem Preußischen Talar getragen.
Auf die Problematik dieser Kombination wird noch eingegangen (7.3.).
Es ist bei bestimmten Anlässen, wie etwa bei der Krankenkommunion,
sogar möglich, dass die Stola über der Alltagskleidung getragen werden
kann.94
Es gibt auch die so genannte Wendestola oder Taufstola mit den Farben
Weiß und Violett. Diese eignet sich in besonderer Weise für die Taufe.
Am Beginn kann der Aspekt der Buße im Vordergrund stehen. Nach dem
Credo als Bekenntnis zu Christus kann Weiß als Symbol für den neuen
Menschen oder für Christus als das Licht der Welt (Joh 8,12) angezeigt
werden. Auch bei Trauerfeiern kann diese Stola Verwendung finden, in
90
Vgl. Jörg Neijenhuis, Liturgische Textilien als Texte. Zur Semiotik gottesdienstlicher Gewänder, in: Pth 89/2000, Heft 4, 167, Anm. 28.
91
Vgl. Volp, Liturgik 1, 462.
92
Vgl. Braun, a.a.O., 611f.
93
Vgl. Liturgische Praxis, 60.
94
Vgl. Berger, a.a.O., 486. und Ottfried Jordahn, Das Zeremoniale, in: Hans-Christoph
Schmidt-Lauber u.a. (Hgg.), Handbuch der Liturgik, 451.
- 18 -
dem bei der Aussegnung dann Weiß die Auferstehungshoffnung, die
Christus uns zugesagt hat (Joh 11,25f.), andeutet.95 Eine andere
Möglichkeit kann die Osternacht sein. Der Anfang steht noch ganz unter
dem Eindruck der Trauer, die durch das Violett symbolisiert wird. Erst
mit dem Anstimmen des österlichen Glorias kann die Stola gewendet
werden. An diesen Beispielen kann dem Menschen sichtbar deutlich
gemacht werden, wie nahe Trauer und Freude beieinander liegen. Diese
Handlung macht die Erfahrung sichtbar, dass Gott meine Trauer in
Freude verwandelt (Ps 30,12). Dieser Bezug muss aber – bei der Taufe
und auch bei der Bestattung vor allem – im Vorfeld während des
Gesprächs erklärt werden. Eine solche Handlung ist mit Inhalt zu füllen,
ansonsten müsste von dieser Praxis Abstand genommen werden. Die
Variante mit Rot und Grün ist lediglich aus praktischen Gründen
entstanden, weshalb auf diese Verwendung nicht weiter eingegangen
werden muss.
In einigen Gemeinden haben sich die so genannten „Eine-Welt“ oder
auch „Regenbogenstolen“ eingebürgert. Es mag sein, dass sie bei Kinderoder Familiengottesdiensten wegen ihrer Buntheit lebendig wirken.
Allerdings sehe ich in dieser Stola keinen Bezug zum liturgischen
Farbkanon, weshalb ich von dieser Praxis Abstand nehmen möchte.96
Ebenso gibt es Stolen, die alle liturgischen Farben des Kirchenjahres in
sich tragen.97 Auch hier fehlt die Eindeutigkeit.
5.3.
Die Kasel
5.3.1. Herkunft
Die Kasel „ist ein ärmelloser, ursprünglich kreisrund geschnittener
Überwurf aus einem Stück, nur mit einer Halsöffnung versehen“98. Der
Begriff ist von Casula (Häuschen) abgeleitet. In der Antike bot dieser
Überwurf Schutz vor Kälte und Regen. Aus dem Phelonium (im
95
Vgl. Jordahn, a.a.O., 451.
Vgl. Haverland, a.a.O., 31.
97
Ein Bildbeispiel ist auf dem Titelblatt der nordelbischen Zeitung zu sehen. Vgl.
Artikel: Klassisch ist angesagt, in: Die Nordelbische. Wochenzeitung für Gemeinde &
Gesellschaft, 34/23. August 2009. (Im weiteren Verlauf „Die Nordelbische“ genannt)
98
Rietschel, a.a.O., 26.
96
- 19 -
Lateinischen auch paenula = Mäntelchen) entwickelte sich ein beliebtes
und festliches Kleidungsstück.99
Ab dem 4. Jahrhundert war die Kasel die Amtstracht der Kleriker aller
Weihestufen. Erst mit dem Tragen der Dalmatik der Diakone wurde die
Kasel in der Westlichen Kirche zur alleinigen Kleidung der Zelebranten.100 Im Laufe der Jahrhunderte veränderte sich die Form von der
Glockenkasel hin zur so genannten „Bassgeige“. Die Verzierungen
wurden immer aufwendiger und reichhaltiger. Seit dem 20. Jahrhundert
wurden diese Verzierungen wieder schlichter und die Form ging wieder
hin zur Glockenkasel.101
5.3.2. Theologische Deutung
Die Kasel, die über Albe und Stola getragen wird, zeigt an, dass der
Liturg „vice et loco Christi“ steht. „Er steht für das Haupt des die
Gottesbegegnung feiernden Leibes.“102 Dadurch, dass der Liturg in der
Kasel wie in einem Zelt gehüllt ist, werden wir daran erinnert, dass unser
Leben mit Christus in Gott geborgen ist.103
5.3.3. Verwendung
Die Kasel in schlichter Form wird ausschließlich bei Eucharistiefeiern
verwendet. Sie kann in der jeweiligen liturgischen Tagesfarbe über der
Albe und Stola getragen werden. Ist die Kasel Weiß, so kann die Stola in
der jeweiligen Tagesfarbe darüber getragen werden. In Konzelebration
mit mehreren Ordinierten können entweder alle die Kasel tragen oder alle
die Albe und Stola. Die Variante, dass lediglich der Hauptzelebrant die
Kasel trägt und die Konzelebranten nur die Albe und Stola, intendiert ein
99
Vgl. Hofhansl, a.a.O., 161. Als Regenponcho wird dieser Schnitt auch heute noch
verwendet. In der Damenmode wird ein solcher Poncho aus Wolle ebenfalls als Mantel
getragen.
100
Vgl. Hofhansl, a.a.O., 161.
101
Vgl. Hofhansl, a.a.O., 161f.; vgl. Haverland, a.a.O., 25-27.
102
Neijenhuis, a.a.O., 169.
103
Vgl. Lotz, a.a.O., 38.
- 20 -
gewisses Hierarchiedenken, das aus evangelischer Sicht abzulehnen
ist.104
5.4.
Abschließende Bemerkung
Sicherlich kann die Option für die liturgische Kleidung im Sinne einer
Rückbesinnung und einer möglichen Verwendung im evangelischen
Gottesdienst bei einigen als Schritt zur römisch-katholischen Kirche
verstanden werden. Hier ist darauf hinzuweisen, dass Luther selbst zwar
in der Mönchskutte und später in der Schaube gepredigt, aber das
Abendmahl
im
Messgewand
ausgeteilt
hat.105
Ebenso
belegen
Abbildungen aus dem 16., 17. und teilweise 18. Jahrhundert, dass die
Pfarrer das lutherische Abendmahl häufig im Chorhemd und teilweise in
Kasel ausgeteilt haben.106 Paul Drews erwähnt in seinem Buch „Der
evangelische
Geistliche“,
dass
die
Geistlichen
zum
einen
im
Messgewand, andere in alltäglicher Kleidung und wiederum andere in
der Schaube den Gottesdienst feierten.107
Luther schrieb über den Gebrauch der Messgewänder in seinem Vorwort
zur deutschen Messe folgendes:
„Da lassen wyr die Messegewand / altar / liechter noch bleyben / bis sie
alle werden / odder vns gefellet zu endern wer aber hie anders will faren
/ lassen wyr geschehen / Aber ynn der Messe vnter eyttel Christen /
muste der altar nicht so bleyben / vnd der Priester sich ymer zum volck
keren / wie on zweyffel Christus ym abendmal gethan hat. Nu das
erharre seyner zeyt.“108
Hier wird deutlich, dass Luther sehr behutsam mit dem altkirchlichen
Erbe der gottesdienstlichen Kleidung umgegangen ist. Es gilt der
Grundsatz: „Wer möchte, kann die Gewänder behalten, und wer möchte,
kann die Gewänder ablegen.“ Dieser Grundsatz macht deutlich, dass
104
Gegen Zeremoniale, 165f. und Jordahn, a.a.O., 450.
Vgl. Hofhansl, a.a.O., 162.
106
Hier verweise ich auf den Bildanhang bei Piepkorn (Arthur Carl Piepkorn, Die
liturgischen Gewänder in der lutherischen Kirche seit 1555, Lüdenscheid / Lobetal
2
1987.), sowie auf Helmut Schatz, Historische Bilder zum Evangelisch-Lutherischen
Gottesdienst. eine Dokumentation, Ansbach 2004.
107
Vgl. Paul Drews, Der evangelische Geistliche, in: Die deutschen Stände in
Einzeldarstellungen, Jena 21924, 37f.
108
Martin Luther, Deudsche Messe vnd ordnung Gottisdiensts, in: Wolfgang Herbst,
Quellen zur Geschichte des evangelischen Gottesdienstes, Göttingen 1968, 62.
105
- 21 -
Luther die äußeren Dinge – darunter auch die Messgewänder – zu den
Adiaphora zählt. Es sind Mitteldinge, die zwar nützlich aber für das Heil
nicht notwendig sind. Deshalb hat Luther, im Gegensatz zu Zwingli oder
Calvin, die Messgewänder im Gottesdienst nicht abgeschafft.
In diesem Zusammenhang muss kurz auf die Adiaphoraproblematik
eingegangen
werden.
Mit
diesem
Begriff
beschreibt
die Stoa
„Mitteldinge“, die von sich aus neutral sind, aber erst durch eine konkrete
Verwendung einen ethischen Wert (gut/böse) erhalten. Okko Herlyn fragt
in seinem Werk „Theologie der Gottesdienstgestaltung“109 zu Recht nach
einer Anwendungslegitimierung für die biblisch nicht belegte Adiaphoraterminologie in Bezug auf die Gottesdienstgestaltung. Wenn dem
so wäre, dann stünde die Gottesdienstgestaltung unter der Kategorie des
Gesetzes. Da aber der zentrale Inhalt die befreiende Botschaft des
Evangeliums ist, fragt eine evangelische Liturgik nicht nach einer
ethischen Rechtfertigung dieser oder jener Ausdrucksform, sondern –
von der Rechtfertigung herkommend – „nach dem, was ,unter der Gnade‘
möglich ist“110. Unter dem Licht der Gnade erübrigt sich die Rede von
den Mitteldingen dahingehend, „daß coram Deo alles ,Adiaphoron‘ ist,
sofern eben ,alles erlaubt‘ ist, und daß coram Deo gleichzeitig nichts
,Adiaphoron‘ ist, sofern eben jene Freiheit ,heilsam‘ und ,aufbauend‘
ist“111.
Erhellend ist auch der Bericht über die Form der gottesdienstlichen Feier
in Wittenberg von Wolfgang Musculus.112 Hier beschreibt er, – nicht
ohne einen Anflug von Sarkasmus113 – wie die Messe im Jahre 1536 in
Wittenberg gefeiert wurde. So erwähnt er auch die Praxis, dass der
Prediger meist in „bürgerlicher Kleidung (veste vulgariter)“ 114 seine
Aufgabe wahrgenommen hat, während der Liturg Messgewänder trug.115
109
Okko Herlyn, Theologie der Gottesdienstgestaltung, Neukirchen-Vluyn 1988, 49-57.
Herlyn, a.a.O., 54.
111
Herlyn, a.a.O., 54.
112
Vgl. Herbst, a.a.O., 74ff.
113
So erwähnt Musculus häufig den verächtlichen Begriff „papistisch“ sowohl für den
geschmückten Altar, für die Art der Gesänge als auch für die Kleidung des Priesters
(Vgl. Herbst, a.a.O., 74.).
114
Herbst, a.a.O., 75. Lateinische Übersetzung auf Seite 72.
115
Vgl., z. B. die bildlichen Darstellungen bei Schatz, a.a.O., 43.
110
- 22 -
Es wird deutlich, dass nicht die Reformation selbst das Tragen
liturgischer Gewänder beendet hat, sondern die Aufklärung und
insbesondere der Rationalismus. Dies führte dann zu einer gewissen
Willkür, die sich dahingehend geäußert hat, dass viele Menschen
teilweise
in
Straßenkleidung
gepredigt
haben.116
In
Nürnberg
beispielsweise wurden Ende des 18. Jahrhunderts an St. Lorenz und St.
Sebaldus die liturgischen Gewänder verkauft, um die klamme Stadtkasse
wieder aufzufüllen.117 Mancherorts hat sich die liturgische Kleidung in
den Lutherischen Kirchen sogar bis in das 19. Jahrhundert erhalten.118
In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass bei großen
internationalen gottesdienstlichen Zusammenkünften in der heutigen Zeit
– insbesondere mit Gästen aus dem lutherischen Weltbund – häufig
liturgische Kleidung die Regel ist. Hier fallen die deutschen evangelischen Geistlichen mit ihrem Talar auf.119
6. Amtstracht
Nachdem ich in ausführlicher Weise die liturgischen Gewänder in ihrer
geschichtlichen Entwicklung und ihrer Verwendung im Gottesdienst
dargestellt habe, komme ich zur gegenwärtigen Amtstracht des
116
Vgl. Paul Graff, Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen in
der evangelischen Kirche Deutschlands, Bd. 2, Göttingen 1939, 70.
117
Vgl. Lehnert, a.a.O., 116f. und Schatz, a.a.O., 52-58.
118
Vgl. Lehnert, a.a.O., 116.
119
Als Beispiele seien Lotz, der von den Gottesdiensten der lutherischen Welttagung
von 1947 berichtet (Vgl. Lotz, a.a.O., 47.) oder Riebesel, der von der unvorteilhaften
äußeren Wirkung evangelischer Geistlicher auf Pressefotos angesichts der bunten
Vielfalt konfessioneller Traditionen spricht (Vgl. Jürgen Riebesel, Plädoyer für eine
Nebensache, in: Zeichen der Zeit, 10/1979, 385.).
Darüber hinaus erinnere ich mich an einen Fernsehgottesdienst, den die ARD anlässlich
des Buß und Bettages am 21. November 2007 um 10:00 aus Roth in Franken übertragen
hat (www.ekd.de/medientpps/56653.html [aufgerufen am 07. September 2009]). Bei
diesem Gottesdienst erschienen lutherische Bischöfe aus verschiedenen Partnerländern
der Evangelisch Lutherischen Kirche in Bayern, nämlich Asien, Afrika und
Lateinamerika, die allesamt liturgische Kleidung trugen.
Ebenso erinnere ich mich an einen Gottesdienst zum 2. Advent 2007 in meiner
Heimatgemeinde Kellinghusen, bei der ein Bischof aus Kenia zugegen war. Dieser trug,
obwohl es ein Wortgottesdienst war, Albe, Stola und Kasel. Natürlich fragte mich
jemand nach dem Gottesdienst, ob der Bischof vielleicht katholisch (im Sinne von
römisch-katholisch) gewesen sei. Hier merkt man, wie sehr sich viele Menschen an das
äußere Erscheinungsbild des Pfarrers gewöhnt haben.
- 23 -
evangelischen Geistlichen auf dem europäischen Festland120. Dabei sei
vorweg zu sagen, dass dieses Gewand, wie auch die Albe, ursprünglich
kein liturgisches Gewand gewesen ist. Vielmehr waren die Vorbilder –
wie etwa der schwarze Gehrock mit der Schaube – die Ausgangskleidung
des evangelischen Geistlichen und anderer hoher Repräsentanten121
gewesen.
6.1.
Der schwarze Talar
Der Talar wurde durch eine Kabinettsordre vom Preußischen König
Friedrich Wilhelm III am 20. März 1811122 eingeführt. Er wurde mit dem
Beffchen und dem Barret zum allgemeinen gottesdienstlichen Gewand
aller evangelischen Geistlichen im preußischen Gebiet. Damit wollte der
König der allgemeinen Willkür ein Ende bereiten und dem Gottesdienst
die nötige Würde zurückgeben.123 Darüber hinaus wurde er zur
allgemeinen Amtstracht jüdischer Rabbiner124 und der Juristen im
preußischen Königreich. Neijenhuis macht diesbezüglich deutlich, wie
sehr dieser Umstand zu einer Verwirrung führen kann. So kann es
passieren, dass ein evangelischer Christ seinen Pfarrer, aufgrund der
Kleidung, als Richter im Gericht oder als Rabbiner in der Synagoge
antrifft.125 Allerdings darf bezweifeln werden, dass vielen Menschen
dieser Umstand bewusst ist. In Deutschland tragen die Juristen keinen
Talar mit Beffchen mehr. Die Ausnahme bilden lediglich die Richter des
Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Sie tragen einen Jabot – ein
Lätzchen, dass dem Beffchen ähnlich ist – zu ihrem roten Talar.
Interessant wird es, wenn Berichte von ausländischen Gerichtsverhand120
Diese Kleidung gilt beispielsweise nicht für die lutherischen Kirchen Skandinaviens,
des Baltikums, Afrikas oder der Vereinigten Staaten.
121
So trugen neben den Geistlichen auch Gelehrte, Ratsvertreter und Kaufleute diese
Standestracht (Vgl. Piepkorn, a.a.O., Bildanhang Abb. 30; vgl. Abb. 2 im Fotoanhang
dieser Arbeit.).
122
Graff datiert in seinem Buch „Über die Auflösung der alten gottesdienstlichen
Formen der evangelischen Kirche Deutschlands“ die Herausgabe der Kabienettsordre
auf den 1. Januar 1811 (Vgl. Graff, a.a.O., Bd. 2, 70.). Diese Angabe ist nicht richtig
(Vgl. Neijenhuis, a.a.O., 159, Anm. 7.).
123
Vgl. Lotz, a.a.O., 40.
124
Vgl. Abb. 4 im Fotoanhang dieser Arbeit.
125
Vgl. Neijenhuis, a.a.O., 159.
- 24 -
lungen, wie beispielsweise das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den
Haag, im Fernsehen übertragen werden. Ebenso tragen einige jüdische
Rabbiner heutzutage zwar den Talar aber selten noch das Beffchen
dazu.126 Die Mehrheit trägt einen Anzug.
Dieses Gewand hat sich als Standes- und Gottesdienstkleidung für die
evangelische Geistlichkeit in Deutschland durchgesetzt. Für viele gilt der
Talar mittlerweile sogar als Marken-127 oder Erkennungszeichen128 der
evangelischen Kirche.
In Nordelbien, insbesondere in den Hansestädten Lübeck und
Hamburg129, sowie im Lauenburgischen wird als regionale Besonderheit
der Ornat getragen. Dieser besteht im Wesentlichen aus einem
Unterhabit, dem Summar (vergleichbar mit einer Soutane), der mit 17
Knöpfen130 versehen ist, und einem Oberhabit (vergleichbar mit einer
Schaube). Komplettiert wird der Ornat mit der Halskrause, die im
Volksmund auch „Mühlsteinkragen“ genannt wird.131
Zusätzlich gibt es Talare für Küster, Lektoren und Diakone mit offenem
Revers, das die Sicht auf das Hemd und die dazu getragene Krawatte frei
gibt.132 Laut Klaus Raschzok soll damit eine Abstufung zwischen dem
Geistlichen und dem Laien ermöglicht werden.133 Diese Unterscheidung
halte ich persönlich für bedenklich. Wie bereits erwähnt (5.1.3.), kann
mit dem Talar der Gedanke des Priestertums aller Getauften nicht
wirklich realisiert, geschweige denn visualisiert werden.
126
Ein besonderes Medienereignis war am 14. September 2006 die erste Ordination
jüdischer Rabbiner in Deutschland nach dem Holocaust. Diese Feier fand in der neuen
Synagoge in Dresden statt. Viele Rabbiner trugen dabei entweder eine Robe oder einen
preußischen Talar. Im Internet unter: http://zeitzeichen.skileon.de/archiv/religionkirche-theologie/rabbiner-daniel-alter/ (aufgerufen am 13. September 2009).
127
Vgl. Merkel, a.a.O., 213.
128
Vgl. Ein Impulspapier des Rates der EKD, Kirche der Freiheit. Perspektiven für die
evangelische Kirche im 21. Jahrhundert, Hannover 2006, 87. (Im weiteren Verlauf
„Impulspapier“ genannt)
129
Besonders im ehemaligen Kirchenkreis Althamburg.
130
Die Zahlen stehen symbolisch zum einen für die zehn Gebote und zum anderen für
die sieben Bitten des Vaterunsers (http://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger_Ornat;
http://de.wikipedia.org/wiki/Lübecker_Ornat [aufgerufen am 07. September 2009]).
131
Vgl. Haverland, a.a.O., 34.
132
Vgl. Haverland, a.a.O., 34.
133
Vgl. Raschzok, a.a.O., 10.
- 25 -
Des Weiteren tragen viele Pfarrerinnen neben der üblichen Form (Talar
mit Beffchen) auch Talare mit einer anderen Kragengestaltung (meist ein
weißer Kragen) und ohne Beffchen.134 Andere Frauen verzichten
gänzlich auf das Beffchen beim üblichen Talar.
6.2.
Das Beffchen
Im 17. Jahrhundert gewann die spanische Mode einen großen Einfluss
auf ganz Europa. Dazu gehörte auch die weiße Halskrause als
Perückenpuderschutz135, die sowohl von Männern als auch von Frauen
getragen wurde. Mit dem Aufkommen der langen Allongeperücken
wurden diese Krausen allmählich unpraktischer, so dass sie sich zum
Beffchen entwickelten. Diese Kleidung mitsamt dem Beffchen wurde
von allen Bürgern getragen.136
In Deutschland gibt es drei Varianten des Beffchens. Zum einen gibt es
die geschlossene Variante, die als Kennzeichen für die Reformierten gilt,
dann die Y-Variante, die vor allem von der unierten Pfarrerschaft
getragen wird, und die V-Variante für die Lutheraner. Zwar gibt es einige
Praktologen,137 die eine konfessionelle Zuordnung anzweifeln, dennoch
hält sich dieses Unterscheidungsmerkmal bei vielen.
Über eine theologische Deutung des Beffchens gibt es keine
hinreichenden Informationen in der Literatur. Haverland138 und
Lehnert139 erwähnen die zwei Tafeln der zehn Gebote. Zusätzlich nennt
Lehnert die Zwei-Reiche-Lehre Luthers.140 Beide, Haverland und
Lehnert, lehnen zu Recht eine theologische Deutung in diese oder jene
Richtung ab. Lehnert schreibt dazu: „Was auch immer dem Beffchen
134
Vgl. Zeremoniale, 202.
Vgl. Lehnert, a.a.O., 117.
136
Vgl, Hofhansl, a.a.O., 165. Dabei sei anzumerken, dass diese Kleidung mehrheitlich
von der Oberschicht und später ausschließlich von den Gelehrten getragen wurde (Vgl.,
Neijenhuis, a.a.O., 167, Anm. 28.).
137
Ich erinnere mich an eine Vorlesung in Münster, die im Wintersemester 2006/2007
unter dem Titel „Evangelisches Kirchenrecht“ bei Christian Grethlein in der
Katholischen Fakultät stattgefunden hat. Auf die Frage eines katholischen Kommilitonen, ob an der Beffchenexegese etwas Wahres dran sei, meinte der Dozent schlicht,
dass daran nichts wahr sei.
138
Vgl. Haverland, a.a.O., 34, Anm. 201.
139
Vgl. Lehnert, a.a.O., 117.
140
Vgl. Lehnert, a.a.O., 117.
135
- 26 -
versucht wird abzuringen, es ist aus heutiger Sicht unnötig und
überflüssig.“141 Haverland bezeichnet die Idee der zwei Tafeln als
kreativ, merkt jedoch an, dass eine solche Interpretation „weder
literarisch noch theologisch nachvollziehbar“142 sei. Ebenso stellt er zu
Recht die Frage: „Wieso sollte das Gesetz so stark betont werden, dass es
vor dem Kreuz Einzug in die gottesdienstliche Kleidung gefunden
hätte?“143
Teilweise gibt es bereits Beffchen, die mit verschiedenen Symbolen, wie
zum Beispiel Kreuze „in einer zum Kirchenjahr passenden Farbe“144,
bestickt sind. Es bleibt zu hoffen, dass dies nur ein kurzes Intermezzo
bleibt, denn hier könnten der persönlichen Eitelkeit Tür und Tor geöffnet
werden.
Es ist schon erstaunlich, ja geradezu grotesk, dass dieses Beffchen, das
ursprünglich von allen Bürgern höheren Standes getragen wurde, nun zur
Insignie des ordinierten evangelischen Geistlichen avanciert ist.145
Dass das Beffchen schon früher nicht ganz unumstritten gewesen ist,
belegen unter anderem Wilhelm Löhe146 und Oskar Joh. Mehl147. Teilweise gibt es Stimmen, die sogar die Abschaffung des Beffchens fordern.148
6.3.
Das Birett oder Barret
Als Ursprung des Barrets wird die phrygische Mütze angesehen. Laut
einer Sage soll dem König Midas I wegen eines Streits mit Apollo zur
Strafe Eselsohren gewachsen sein, weshalb er sie durch diese Mütze zu
141
Lehnert, a.a.O., 117.
Haverland, a.a.O., 34, Anm. 201.
143
Haverland, a.a.O., 34, Anm. 201.
144
Die Nordelbische, Titelblatt. (siehe Anm. 97.)
145
Vgl. Raschzock, a.a.O., 10.
146
Vgl. Löhe, a.a.O., 31f. Er nennt das Beffchen ganz schlicht „Läppchen“.
147
Vgl. Mehl, a.a.O., 19f, Anm 1.
148
So z. B. Dietrich Stollberg, Stola statt Beffchen. Protestantismus und Sinnlichkeit –
anhand eines Details, in: DtPfrBl 90/1990, Heft 2, 45-47. Weiter geht Helmut Wenz,
indem er schreibt: „Weil das Beffchen nicht sinnvoll zu begründen ist und für den
Gottesdienst und die Talarträger nur vielfältige Nachteile hat, sollte es in einer Reform
der liturgischen Kleidung abgeschafft werden.“ (Helmut Wenz, Zur Reform der
liturgischen Kleidung, in: DtPfrBl 91/1991, Heft 3, 101.)
142
- 27 -
verbergen versucht. Seither gilt die Mütze als Symbol für die Freiheit
und Unabhängigkeit von den Göttern.149
Das Barret wird heutzutage von den meisten Pfarrern kaum getragen –
selbst nicht bei Beerdigungen auf dem Friedhof.
6.4.
Abschließende Bemerkung
Im Gegensatz zu den oben genannten Kleidungsstücken, wurde hier auf
eine
theologische
Deutung
verzichtet.
Aufgrund
mangelnder
hinreichender Ansätze, kann eine solche Deutung nicht plausibel
gemacht werden. Schon thüringische Bischof Werner Leich150 und Jörg
Neijenhuis151 benennen diesen Umstand. Der Talar ist kein liturgisches
Gewand, obwohl behauptet wird, er sei im Laufe der Jahre zu einem
liturgischen Gewand geworden. Da aber eine theologische Deutung des
Talars nicht möglich ist, kann er auch nicht als liturgisches Gewand
gelten.152 Es wäre aber auch übertrieben zu meinen, man könne den Talar
wieder abschaffen. So sehr er vielleicht bei einigen umstritten ist, ist er
dennoch zu einem wichtigen Erkennungszeichen des deutschsprachigen
Protestantismus geworden. Zwar teile ich diese Meinung, dass der Talar
als
ein
wichtiges
Erkennungszeichen
des
deutschsprachigen
Protestantismus gilt, nicht vollständig, aber sie muss ernst genommen
werden.
7. Semiotische Aspekte
Die Semiotik ist eine relativ junge Strömung, die sich in der Praktischen
Theologie etabliert hat. Sie geht vor allem von der Zeichenhaftigkeit
liturgischer Vollzüge aus, die als Codes beschrieben werden. Aufgrund
der problematischen Entwicklung des Symbolbegriffs, – man meinte,
mittels eines Symbols seinen Wahrheitsanspruch abzuleiten – ging man
149
Vgl. Lehnert, a.a.O., 117f.
Vgl. Lutherische Liturgische Konferenz (Hg.), Liturgische Kleidung im
Evangelischen Gottesdienst, Hannover 31993, 39f. (Im weiteren Verlauf „VELKDSchrift genannt)
151
Vgl. Neijenhuis, a.a.O., 166f.
152
Vgl. Neijenhuis, a.a.O., 167.
150
- 28 -
zum Zeichenbegriff über.153 Hier liegt meiner Meinung nach das
Problem, dass nun Zeichen- und Symbolbegriff synonym gebraucht
werden. „Symbole sind Zeichen, die etwas bezeichnen“ – so könnte man
die Definition zusammenfassen. Zeichen sind aber im Gegensatz zum
Symbol eindeutig – man spricht nicht umsonst vom Verkehrs-Zeichen.
Dennoch hat die Semiotik unter anderem durch den Einfluss der
Kunstästhetik wertvolle Beiträge zur Inszenierung des Evangeliums
geliefert. Viele Vertreter der Semiotik stellen demzufolge eine einseitige
Verwendung des Talars im Gottesdienst infrage.154 In diesem
Zusammenhang soll nun auf die Codes Raum und Kleidung, Inhalt und
Form der Feier und auf den „Problemcode“ Talar und Stola eingegangen
werden.
7.1.
Raum und Kleidung
„Zeig mir Deinen Kirchenraum und ich sage Dir, wie Du feierst.“ Ein
gottesdienstlicher Raum sagt viel aus über die liturgische Präsenz und
über die Art der gottesdienstlichen Feier. Stollberg hat in seinem Buch
„Liturgische Praxis“ eine Raumanalyse anhand seiner Heimatkirche, der
Schwabacher Stadtkirche, vollzogen und ist zu dem Schluss gekommen,
dass dieser Raum Körperlichkeit in liturgischer Kleidung erfordert. 155 Es
gibt Kirchen, die aufgrund ihrer Raumgestaltung zu einer Feier in
liturgischer Kleidung einladen. Als Beispiele seien dafür die St.
Marienkirche in Lübeck, die St. Lorenzkirche in Nürnberg oder die St.
Nikolaikirche in Kiel genannt. Ein Gottesdienst in liturgischer Kleidung
würde in solchen Räumlichkeiten eine womöglich ansprechendere
Wirkung hinsichtlich der „liturgischen Präsenz“ erzielen als im
schwarzen Talar.156
Andererseits gibt es auch Kirchenräume, die sich für diese Form der
Gottesdienste weniger eignen. Größtenteils handelt es sich hierbei um
153
Vgl. Wilfried Engemann, Einführung in die Homiletik, Tübingen / Basel 2002, 323f.
Vgl. Christian Trappe, Reformation im Kleiderschrank?, in: Pth 81/1992, Heft 3,
126; Neijenhuis, a.a.O., 166.
155
Vgl. Liturgische Praxis, 13-15.
156
Vgl. Lehnert, a.a.O., 117.
154
- 29 -
Mehrzweckräume oder Gemeindezentren aber auch um Kirchenräume,
die als Predigtkirchen konzipiert worden sind. Hier seien die
Ludwigskirche in Saarbrücken oder die Stadtkirche in Ratzeburg als
Beispiele genannt. In vielen Fällen wirkt ein Gottesdienst im Talar oder –
vor allem in Gemeindezentren – im Anzug157 ansprechender als in
liturgischer
Kleidung.
Bei
Mehrzweckräumen
kann
man
den
entsprechenden Raum schaffen, indem man ihn ein-räumt158 und
entsprechend ein-richtet. Ich persönlich halte es aber für ratsam, den
Raum in angemessener Weise für sich sprechen zu lassen.
Engemann schreibt – vor dem Hintergrund des Predigtstils, aber es kann
auch auf die liturgische Präsenz übertragen werden – dazu folgendes:
„Wer in einer lichtdurchfluteten Prozessionskirche eine drei Meter hoch
angebrachte, üppig vergoldete Barockkanzel besteigt und dann […]
einen Plauderton anschlägt […] kann ebenso scheitern wie ein Prediger,
der in einer als provisorische Kirche genutzte Baracke einen
hochkirchlichen Gottesdienst hält […].“159
Jeder kirchliche Raum hat seinen eigenen liturgischen Code, den es ernst
zu nehmen gilt.
7.2.
Form und Inhalt der Feier
Im Kirchenjahr gibt es Feste, die aufgrund ihrer Botschaft einen
Widerspruch zu der Kleidung des Pfarrers erzeugen. Als Beispiele seien
Weihnachten und Ostern genannt. Die frohe Botschaft von der Geburt
Jesu oder von der Auferweckung Jesu von den Toten wirken im
schwarzen Talar unglaubwürdig. Hier fällt der Prediger sich selbst ins
Wort.160 Folgende Szenerie soll als Verdeutlichung dienen:
Es ist Heiligabend und die Christvesper wird gefeiert. Die Kirche ist
feierlich geschmückt, die Kerzen an den Tannenbäumen, auf dem Altar
und in den Bankreihen tauchen den Raum in ein warmes Licht und der
Chor singt festliche Weihnachtsmusik. Die weißen Antependien am
157
Nach Möglichkeit sollte man aber ein Kollarhemd als sichtbares Zeichen tragen.
Vgl. Thomas Klie, Performativer Religionsunterricht. Von der Notwendigkeit des
Gestaltens und Handelns im Religionsunterricht, in: Religionspädagogisches Institut
Loccum Unterrichtsmaterialien zum Downloaden, http://www.rpi-loccum.de, 6.
(aufgerufen am 10. September 2009)
159
Engemann, a.a.O., 419f. Kürzung: J. H.
160
Vgl. Bieritz, a.a.O., 142.
158
- 30 -
Altar, an der Kanzel und am Lesepult zeigen die besondere Freude an.
Alles wirkt vertraut wie aus Kindertagen. Die Weihnachtsgeschichte wird
mit verteilten Rollen vorgelesen oder –gesungen. Sie berichten von der
kosmischen Freude über die Geburt des Herrn (Lk 2,13f.). Diese Freude
wird aber konterkariert durch den schwarzen Talar des Pfarrers. Hier
liegt der klassische Widerspruch zwischen der Botschaft, der Farben und
den Symbolen vor.
Auch wenn die schwarze Farbe, wie schon oben angedeutet (4.1.), die
Feierlichkeit betont, so muss an dieser Stelle gesagt werden, dass dies im
säkularen Bereich durchaus stimmen mag, aber im sakralen Bereich das
Gegenteil erzeugen kann. Das Licht von Weihnachten, das durch das
Weiß der Antependien unterstrichen wird, wird durch das schwarze
Gewand des Pfarrers verneint.
Freudenbotschaften verlangen Gewänder, die diese unterstreichen und
zugleich den ganzen Menschen ansprechen. In der christlichen Tradition
ist es das helle Gewand. Mittlerweile werden in vielen Gemeinden –
zumindest für Ostern und auch an Weihnachten – helle Gewänder für die
Liturgen erprobt. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Gewandung auch
auf das übrige Kirchenjahr ausweitet161 – jedenfalls für die Gottesdienste,
die den eucharistischen Charakter betonen.
Die Reaktionen von kleinen Kindern162 auf den schwarzen Talar
verdeutlichen die Schwierigkeiten. Viele sehen im Pfarrer den
gefürchteten „Schwarzen Mann“. In Hamburg und in anderen Städten,
wo der Ornat mit der Halskrause getragen wird, kann diese Reaktion
heftiger ausfallen.163
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich sowohl über den Inhalt der
zentralen Botschaft „Christus ist das Licht der Welt!“, als auch über
wahrnehmungs- und farbpsychologische Einsichten und der ökumenischen Verbundenheit164 Gedanken zu machen.
161
Vgl. Christian Grethlein, Abriß der Liturgik. Ein Studienbuch zur Gottesdienstgestaltung, Gütersloh 1989, 252.
162
Vgl. Grethlein, a.a.O., 252.
163
Hier erinnere ich mich an ein persönliches Erlebnis. Beim Anblick des Pastors fing
das Kind heftig an zu schreien.
164
Vgl. Grethlein, a.a.O., 252.
- 31 -
Andererseits kann die Einheit von Form und Feier übertrieben werden.
Neijenhuis erwähnt das Beispiel einer Technomesse und empfiehlt für
den Liturgen ein „glitzerndes Alu-Gewand“.165 Das wäre so, als wenn der
Pfarrer zum Motorradgottesdienst eine Biker-Kluft, ein Ledertalar oder
gar eine Lederkasel mit Symbolen aus Silbernieten trägt. So sehr man
Widersprüche vermeiden möchte, um sich nicht selbst ins Wort fallen zu
wollen, muss man dennoch darauf aufmerksam machen, dass Gott als der
„totaliter aliter“ (Karl Barth) verkündigt wird. Der Versuch, eine Einheit
von Form und Feier herzustellen, darf nicht zu einem Anbiederungskurs
verkommen.
7.3.
„Problemcode“: Talar und Stola
Bei vielen Pfarrern ist es Mode geworden, dass über dem Talar mit dem
Beffchen eine Stola – bunt oder in der passenden liturgischen Tagesfarbe
– getragen wird. Viele wollen damit dem ernsten Schwarz etwas
entgegensetzen, nämlich die Freude und den Feiercharakter. Diese
Variante ist nicht unumstritten. Während viele diese Form für
unproblematisch halten und demzufolge auch empfehlen166, gibt es
andererseits Kritiker, die diese Variante als Vermischung zweier
Traditionen deklarieren, die nicht kompatibel sind.167 Selbst die Variante
ohne Beffchen verbessert diesen Eindruck offensichtlich nicht.168 In der
Tat werden hier zwei inkompatible Insignien vermischt – die Stola als
liturgische Insignie und der Talar als Standesinsignie. Deshalb sollte von
dieser Kombination Abstand genommen werden. Allerdings gilt der
Einzelfall. Viele Gemeindemitglieder nehmen durchaus eine Veränderung wahr, wenn ihr Pfarrer zum Talar eine Stola trägt, und fragen
165
Vgl. Neijenhuis, a.a.O., 173.
Vgl. Jordahn, a.a.O., 451; vgl. Stollberg, a.a.O., 47; Rainer Volp, Liturgik. Die Kunst
Gott zu feiern, Bd. 2: Theorien und Gestaltung, Gütersloh 1994, 997; oder die
Maßgaben vieler Landeskirchen, wie zum Beispiel die Nordelbische Landeskirche (Vgl.
Klaus Blaschke [Hg.], Evangelisches Kirchenrecht in der Nordelbischen Kirche. Eine
Rechtsquellensammlung unter Berücksichtigung der wichtigsten staatlichen
Bestimmungen, Kiel, Stand: Dezember 2008, IV-431, Punkt 6. [Im weiteren Verlauf
„Göldner-Muus“ genannt]).
167
Vgl. Neijenhuis, a.a.O., 171f, Anm. 36.
168
Vgl. Lehnert, a.a.O., 120.
166
- 32 -
nach, ob beispielsweise ein besonderer Anlass vorläge.169 Diese
Kompromisslösung ist aber durchaus vermeidbar, wenn zuvor eine
intensive Reflexion über die Bedeutung des Talars und der liturgischen
Gewänder gemeinsam mit dem Kirchenvorstand und der Gemeinde
stattgefunden hat.
Sicherlich könnten einige entgegnen, dass bei vielen ökumenischen
Gottesdiensten einige römisch-katholische Bischöfe anstelle ihrer
Chorkleidung ihre Soutane mit der Stola tragen. Hier sei aber
anzumerken, dass die Soutane, im Gegensatz zum Talar, kein Lehrsondern ein Alltagsgewand ist. Insofern ist diese Tragweise legitim, wie
auch das Anlegen der Stola bei der Krankenkommunion über der
Straßenkleidung.170 Obwohl der Talar ursprünglich ebenfalls eine
Alltagskleidung gewesen ist, wird er heutzutage ausschließlich zu
Gottesdiensten und Amtshandlungen angelegt, aber nicht mehr außerhalb
getragen. Deshalb kann der Talar nicht mehr als Alltagskleidung des
Pfarrers gelten.
Eine weitaus größere „liturgische Unsauberkeit“ ist die häufig auf
Kirchentagen zu beobachtende Verwendung des Kirchentagsschals als
Stola über dem Talar.171 Es mag durchaus ein ehrenwerter Gedanke sein,
sich mit der Masse, die ebenfalls diesen Schal trägt, zu verbinden oder
gar Solidarität mit ihr zu bekunden. Wer möchte schon einen ohnehin
riesigen Abstand zwischen den Liturgen und der Teilnehmerschaft
zusätzlich zementieren? Dennoch wird die Distanz, die durch den Talar
angezeigt wird, durch das Tragen des Kirchentagsschals nicht geringer.
8. Kirchenrechtliche Situation
Die kirchenrechtlichen Bestimmungen schreiben den Talar mit Beffchen
als verbindliche Kleidung für die Pfarrerschaft vor, räumen aber der
liturgischen Kleidung in Form der Mantelalbe mit Stola in liturgischer
169
Dies habe ich an einem Gottesdienst am 07. September 2008 während meines
Gemeindepraktikums erlebt.
170
Hier sei nochmals erinnert, dass die Albe ebenfalls in der Antike eine Straßenkleidung war.
171
Diese Kombination war sowohl auf dem Kölner (2007) als auch auf dem Bremer
Kirchentag (2009) zu beobachten.
- 33 -
Farbe eine Berechtigung ein.172 Exemplarisch sollen die Bestimmungen
der Nordelbischen
Evangelisch-Lutherischen
Kirche
(NEK),
der
Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), der Evangelischen Kirche in
Hessen und Nassau (EKiHN) und der Evangelischen Kirchen von
Mecklenburg und von Pommern untersucht werden.
In einem Memorandum zum Gebrauch der liturgischen Kleidung macht
die NEK deutlich, dass in diesem Zusammenhang keine Phantasiegewänder verwendet werden sollen, sondern die in den Kirchen der
abendländischen liturgischen Tradition verbreiteten Gewänder. 173 Dieser
Verweis ist wichtig und soll auch darauf aufmerksam machen, dass mit
der Einführung oder Wiederentdeckung der liturgischen Gewänder auf
eine ältere Tradition zurückgegriffen wird.
8.1.
Allgemeine Beobachtungen
Grundlage für alle Verordnungen ist § 49 Abs. 2 des Pfarrgesetzes der
VELKD. Dort heißt es:
„Bei Gottesdiensten und Amtshandlungen trägt er die vorgeschriebene
Amtskleidung. Das gleiche gilt bei besonderen Anlässen, soweit es dem
Herkommen entspricht oder angeordnet ist.“174
In allen erwähnten Landeskirchen gilt die Amtstracht in Form des Talars
mit Beffchen. Sie ist bei allen Amtshandlungen (Taufe, Konfirmation,
Trauung und Bestattung) zu tragen.175 Ferner wird bei Konzelebration
mit mehreren Pfarrern Wert auf eine einheitliche Kleidung gelegt – meist
zu Gunsten des Talars.176 Es mag durchaus eine besondere Wirkung
haben, wenn alle Beteiligten eine einheitliche Kleidung tragen,
172
Gestützt auf ein Memorandum des Ausschusses für gottesdienstliche Fragen etc.
wünscht die Nordelbische Kirchenleitung den Gebrauch der liturgischen Gewänder in
den Kirchengemeinden (vgl. Blaschke, Göldner-Muus, IV-431, 1.).
173
Vgl. VELKD-Papier, 34; vgl. Piepkorn, a.a.O., 126.
174
Pfarrergesetz der VELKD. Nebst Ergänzungsgesetz zum Pfarrergesetz der
Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, Einführung und Erläuterung von Dr.
Klaus Blaschke, Kiel 1994, 70.
175
Vgl. Blaschke, Göldner-Muus, IV-431, Punkt 7.
176 Vgl. §1 Abs. 3 der Amtstrachtverordnung der EKiR (Im weiteren Verlauf
„Amtstrachtverordnung“ genannt); vgl. §1 Abs. 5 der Verwaltungsverordnung über
liturgische Kleidung in der EKiHN (Im weiteren Verlauf „Verwaltungsverordnung“
genannt).
- 34 -
andererseits werde ich den Eindruck, dass hier eine Uniformierung
vorliegt, nicht los.177
Im Hinblick auf die Verwendung der liturgischen Kleidung wird
vorwiegend im Stil der „Kann-Bestimmung“ verfahren. Dabei soll bei
der Einführung zuvor der Kirchenvorstand einen Beschluss diesbezüglich
verfassen und die Gemeinde angemessen darüber informiert werden. Des
Weiteren muss nach Beschlussbekanntgabe das jeweilige Landeskirchenamt in Kenntnis gesetzt werden.178 Diese Bedingungen sind
richtig, damit bei diesem Verfahren die nötige Transparenz gewährleistet
bleibt. Auffällig ist, dass die Nutzung der liturgischen Kleidung unter der
Maßgabe der Erprobung steht.179 Dabei wird Wert darauf gelegt, dass
niemand zum Tragen der liturgischen Kleidung gezwungen werden
darf.180 Dies mag aus seelsorgerlichen Gründen sinnvoll sein, aber
merkwürdigerweise gilt das nicht umgekehrt. Jeder ist zum Tragen des
Talars verpflichtet. Wie sieht die Lage aber aus, wenn ein Pfarrer keinen
Talar tragen möchte? Sicherlich mag es eine Minderheit sein und aus
meiner Erfahrung kenne ich auch keinen, der mit dem Talar
irgendwelche Schwierigkeiten hätte. Dennoch muss an dieser Stelle
konstatiert werden, dass hier eindeutig das Problem der Einseitigkeit
vorliegt.
8.2.
Problematische Tendenzen
Auffällig ist, dass zum Beispiel in der Verordnung der EKiR den
Lektoren die Amtstracht nur mit Zustimmung des Superintendenten
zugestanden wird. Die Personen, die mit einem einzelnen Predigtdienst
beauftragt oder in einem Gottesdienst um eine Ansprache gebeten
177
Trappe bezeichnet den Talar als „preußische Beamtenuniform“ (Vgl. Trappe, a.a.O.,
117.).
178
Vgl. Blaschke, Göldner-Muus, IV-431, Punkt 4 und 5; vgl. §35 Abs. 2 und 5 der
Ordnung zur liturgischen Kleidung gemäß § 35 Pfarrdienstgesetz vom 15. Juni 1996 der
Evangelischen Kirchen von Mecklenburg und Pommern (Im weiteren Verlauf
„Ordnung“ genannt); vgl. Verordnung § 4 Abs. 3; Verwaltungsverordnung § 3 Abs. 2.
179
Vgl. Blaschke, Göldner-Muus, IV-431, Punkt 3; Vgl. Verwaltungsverordnung §3
Abs. 1.
180
Vgl. Verwaltungsverordnung §1 Abs. 4; vgl. Ordnung §35 Abs. 4.
- 35 -
worden sind, tragen keine Amtstracht.181 Hier wird deutlich, dass die
Amtstracht zur Insignie des Ordiniertenamtes avanciert ist. Dies
widerspricht meines Erachtens dem Grundgedanken des allgemeinen
Priestertums aller Getauften. Andererseits ist den Helfern, die nicht
ordiniert sind, erlaubt, die Stola als Dienstzeichen zu tragen. 182 Dabei
wird nicht deutlich, in welcher Weise diese Stola zu tragen ist, ob in
Form der Diakonenstola (über die linke Schulter als Schärpe), die
empfehlenswert ist, oder in Form der Ordiniertenstola (über beide
Schultern), die als problematisch angesehen wird. Die zweite Form ist
insofern problematisch, da sie die Unterscheidungen zum Ordiniertenamt
in unvorteilhafter Weise verwischt. Es wird – sofern alle die Albe als
Grundgewand tragen – nicht mehr deutlich, wer nun der Pfarrer ist. Auch
vor dem Hintergrund der Ökumene kann diese Praxis irritieren. Hier wird
deutlich, dass in diesen Landeskirchen nicht die Stola als Ordinationszeichen verstanden wird, sondern der Talar. Es soll nicht heißen, dass
den Menschen, die zu einem besonderen Dienst in der Kirche beauftragt
sind, die Stola verboten ist. Sie können sie in Form der Diakonenstola
tragen. Des Weiteren besteht auch die Möglichkeit, das Skapulier183 –
das ist ein Kleidungsstück, das über Brust und Rücken getragen wird184 –
als Zeichen des Dienstes zu verwenden. Es geht hier um eine saubere
Unterscheidung und um ein klares Verständnis für den Gebrauch der
Stolen.
Ein weiteres Problem stellt auch die Möglichkeit des Tragens der Stola
über dem Talar dar.185 Natürlich liegt es in der Entscheidung des
einzelnen, aber diese Regelung übersieht, dass mit dem Talar und der
Stola zwei inkompatible Insignien kombiniert werden (7.3.).
181
Vgl. Verordnung §2 Abs. 2 und 3.
Vgl. Verordnung §5 Abs. 1; vgl. Verwaltungsverordnung §1 Abs. 6 und § 3 Abs. 3.
183
Kunzler empfiehlt das Skapulier für den Laien, um etwaige Verwechslungen mit
dem Priester bzw. mit dem Ordinierten zu vermeiden (Vgl. Michael Kunzler,
Liturgische Kleidung für Laiendienste im Gottesdienst. Plädoyer für eine sachgerechte
Gestalt, in: LJ 54/2004, 194.).
184
Vgl. Stephan Haering, Art.: Skapulier, in: RGG4 7 (2004), 1377.
185
Vgl. Verwaltungsverordnung §1 Abs. 2; Verordnung § 4 Abs. 2; Blaschke, GöldnerMuus, IV-431, Punkt 6.
182
- 36 -
8.3.
Ausblick
In diesem Kapitel können nur wage Vermutungen angestellt werden, da
empirische Erhebungen gegenwärtig noch nicht vorliegen. Es scheint
aber so, als ob eine Fortsetzung des Trends hin zur liturgischen Kleidung
erkennbar ist. Die Liturgische Konferenz führt gegenwärtig eine
Befragung zur Praxis bei den einzelnen Landeskirchenämtern durch.
Konkrete Ergebnisse dieser Befragung liegen derzeitig noch nicht vor. 186
In der NEK liegen von Seiten des Gottesdienstausschusses noch keine
konkreten Ergebnisse hinsichtlich einer Änderung vor. Bisher gilt noch
das Memorandum von 1984.187 Es ist aber festzustellen, dass von Seiten
vieler Prädikanten und Diakone Anfragen vorliegen, die eine Revision
der Kleiderordnung erfordern. Lag in den 70er Jahren der Schwerpunkt
mehr auf den Texten, so spielt heute das Äußerliche eine wichtige Rolle.
Es kann aber mit Sicherheit gesagt werden, dass eine Tendenz zu einer
größeren Vielfalt vorliegt.188
Ermutigend ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass neben den
Pfarrern auch Bischöfe189 in der medialen Öffentlichkeit bei Gottesdiensten liturgische Kleidung in Form von Albe und Stola tragen.
Insofern ist zu hoffen, dass beide Varianten – Talar und liturgische
Kleidung – weiterhin in Gebrauch bleiben werden.
9. Fazit
Es geht mir persönlich weder um eine Abschaffung des Talars noch um
ein generelles Verbot der liturgischen Kleidung. Das Problem liegt in der
186
In diesem Zusammenhang bedanke ich mich herzlich bei Herrn Kutzner von der
Liturgischen Konferenz, der mir telefonisch am 01. September 2009 den derzeitigen
Stand der Dinge mitgeteilt hat.
187
Blaschke, Göldner-Muus, IV-431.
188
In diesem Zusammenhang bedanke ich mich herzlich bei Frau Brand vom Gottesdienstausschuss der NEK, die mir telefonisch am 02. September 2009 den derzeitigen
Stand der Dinge mitgeteilt hat.
189
Hier wäre der Berliner Bischof und Ratsvorsitzende der EKD Wolfgang Huber zu
nennen, der bei der letzten Ausgabe der Nordelbischen (Artikel: „Wer Frieden will,
muss ihn vorbereiten“, in: Die Nordelbische. Wochenzeitung für Gemeinde &
Gesellschaft, Nr. 36 / 06. September 2009, 4.) in Kasel und Stola abgebildet ist (Vgl.
Abb. 1 im Fotoanhang dieser Arbeit).
- 37 -
Einseitigkeit.190 Beide Varianten haben ihre Daseinsberechtigung und
dürfen im Gottesdienst verwendet werden. Zwar bedeuten Gewänder
keinen Automatismus, – ein liturgisches Gewand allein macht zum
Beispiel einen Gottesdienst nicht festlicher! – aber sie können gewisse
Gottesdienstkonfigurationen unterstreichen. Für einen Gottesdienst, der
den Lehrcharakter hervorhebt, ist der Talar geeignet. Er strahlt Ruhe und
Ordnung aus, während Albe und Stola und auch die Kasel eher zum
Mittun einladen.191 Für einen Gottesdienst, der den eucharistischen
Charakter betont, ist die Albe mit der Stola geeigneter. Bei
Gottesdiensten mit Eucharistiefeier kann zusätzlich die Kasel in der
jeweiligen liturgischen Farbe verwendet werden.
Da der Talar durch seine schwarze Farbe den Körper des Trägers
neutralisiert und „nur den Kopf mit dem Mund und die Hände für den
sozialen Kontakt freigibt“192 und zugleich Ruhe und Ordnung
ausstrahlt193, kann dieser für liturgisch unsichere Personen hilfreich
sein.194 Der Talar lässt, anders als das liturgische Gewand, kaum
liturgische Gesten zu und kann deswegen die Unsicherheit besser
kaschieren. Insofern bietet der Talar einen gewissen Schutz. Anders
herum unterstreicht ein liturgisches Gewand den Feiercharakter eines
Gottesdienstes. Ähnlich wie beim Essen, bei dem das Auge
bekanntlicherweise mitisst, verhält es sich auch mit dem Gottesdienst:
„Das Auge feiert mit.“
Die Frage nach dem Erkennen des Evangelischen lässt sich nach
Neijenhuis nicht mit der Kleidung beantworten. Für ihn – und damit gebe
ich ihm Recht – ist das Wort, nämlich Jesus Christus als der Gekreuzigte
und Auferstandene und das Bekenntnis der Rechtfertigung allein aus
Glauben als Ausdruck des apostolischen Glaubens, das alleinige
Kennzeichen. Wenn dieses Wort nicht mehr verkündigt wird, dann spielt
190
Vgl. Trappe, a.a.O., 126
Vgl. Neijenhuis, a.a.O., 166.
192
Manfred Josuttis, Der Weg in das Leben. Eine Einführung in den Gottesdienst auf
verhaltenswissenschaftliche Grundlage, München 1991, 170.
193
Vgl. Neijenhuis, a.a.O., 166.
194
Es soll nicht heißen, dass diesen Personen eine liturgische Kleidung nicht erlaubt sei.
191
- 38 -
es auch keine Rolle mehr, ob der Prediger einen Talar trägt.195 Dennoch
bleibt die Kleidung als Erkennungszeichen im Raum. Sie ist nicht nur
Markenzeichen, sondern dient auch als „corporate identity“.196 Diese
Sicht mag im Hinblick auf die Außenstehenden hilfreich sein, aber die
Prioritäten sollten eher auf der Inhaltsebene liegen. Kurzum: „Es kommt
auf die Texte an und nicht auf die Textilien.“
Da sich die evangelische Kirche in der Tradition der einen, heiligen,
katholischen und apostolischen Kirche sieht und ihren Anfang nicht erst
mit dem Thesenanschlag von Wittenberg genommen hat, wäre es
konsequent, die „in dieser Tradition entstandenen Paramente“ zu
verwenden und Anspruch darauf zu erheben.197 Das gilt auch für die
Kleidung des Pfarrers. Es kann durchaus Schwarz getragen werden, aber
„es muss nicht immer Schwarz sein“.
195
Vgl. Neijenhuis, a.a.O., 173.
Vgl. Impulspapier, 87; vgl. Raschzok, a.a.O., 14.
197
Vgl. Neijenhuis, a.a.O., 173.
196
- 39 -