Entrepreneurial Marketing - Wirtschaftsuniversität Wien

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Entrepreneurial Marketing - Wirtschaftsuniversität Wien
Virale Kommunikation
Entrepreneurial Marketing:
Geringer Mitteleinsatz mit hoher Wirkung
Entrepreneurial Marketing (EM) will dem schwindenden Einfluss klassischer Medien entgegentreten. Bei den Konsumenten soll ein glaubwürdiges, anschlussfähiges Produktimage ankommen. So baut EM auf unkonventionelle Maßnahmen zur Erzeugung von Aufmerksamkeit (Buzz Marketing), die exponentielle Diffusion von Kommunikationsinhalten
(Viral Marketing), die Nutzung von Communities (Community Marketing) oder die (Aus-)Nutzung der Marketingmaßnahmen der Konkurrenz (Ambush Marketing), und versucht, mit geringem Mitteleinsatz hohe Wirkungen zu erzielen
(Guerilla Marketing).
Dietmar Rößl | Sascha Kraus | Matthias Fink | Rainer Harms
D
ie Entwicklungen des Faches Entrepreneurship führten zur Betrachtung des
Marketing aus einer „Entrepreneurial Perspective“. Im Gegensatz zu klassischen Marketingaktivitäten gewinnen Ansätze des Entrepreneurial Marketing (EM) derzeit verstärkt an Bedeutung: Waren es 2005 nur zirka
20 %, so setzten 2007 bereits mehr als 55 %
der Top-300-Marketing-Entscheidungsträger
der deutschen Wirtschaft auf EM (GfK 2007).
EM manifestiert sich anhand verschiedener –
allerdings nicht konsistent bezeichneter –
Ansätze, wie Guerilla Marketing, Ambush
Marketing, Viral Marketing, Buzz Marketing
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oder Community Marketing. Angesichts dieser Begriffsverwirrung will dieser Beitrag Entrepreneurial Marketing explizieren und eine
Abgrenzung jener EM-Ansätze vornehmen,
die auf der viralen Diffusion von Kommunikation aufbauen.
EM versteht sich als proaktives Marketing
und will durch neue Kombinationen von Ressourcen und Handlungen neue Marketingmaßnahmen und -lösungen entwickeln und
so Marktkonventionen ändern. Morris et al.
(2004, S. 92) konzeptualisieren EM als „the
proactive identification and exploitation of
opportunities“ durch innovative, risiko­be­haf­
tete, ungeplante, nicht-lineare und visionäre
Marketingaktionen. So will EM als Expeditionary Marketing potenzielle Marktchancen
vor den Konkurrenten sehen und dabei nicht
nur Kundenwünschen folgen, sondern die
Kunden zu neuen Lösungen führen.
EM versteht sich auch als Gegenbewegung
des Managerial Marketing (MM), das versucht, den Marketingprozess durch Formalisierung des klassischen Marketinginstrumentariums weiter zu standardisieren, gegen die
Fokussierung auf operative Fragen, gegen die
Konzentration auf bestehende anstatt auf die
Schaffung von neuen Märkten und gegen das
Marketing Review St. Gallen
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Entrepreneurial Marketing: Geringer Mitteleinsatz mit hoher Wirkung
Mundpropaganda, Flugblattaktionen etc.
Viral Marketing
Product Placement, Sponsoring
Buzz Marketing
CRM, eCRM, Direct Marketing, Kundenclubs
Community Marketing
Marketingcontrolling, Low-Cost Marketing
Guerilla Marketing
Konkurrenzpolitik
Ambush Marketing
Ignorieren von turbulenten Umwelten (Hills
2002). Neben dynamischen Situationen, denen die formalisierten Instrumente des MM
nicht gerecht werden, erfordern ressourcenbedingt stark eingeschränkte Handlungsspielräume ein anderes Marketing. EM wird
oft als Marketing für KMU, Gründungs- oder
Wachstumsmarketing verstanden (Bjerke/
Hultman 2002; Gruber 2004). EM trifft aber
einerseits nicht auf alle KMU, Gründungsoder Wachstumsunternehmen zu, ist aber andererseits auch nicht auf diese beschränkt.
Mit EM wird versucht, der schwindenden
Reichweite klassischer Medien, den stärker
fragmentierten Zielgruppen und dem verstärkten Reaktanzverhalten entgegenzutreten. Bei den Kommunikationsadressaten soll
schließlich ein glaubwürdiges – da von Peers
kommuniziert – und anschlussfähiges Produktimage ankommen. Es wird versucht, persönliche, den Kommunikator stark involvierende Mund-zu-Mund-Kommunikation innerhalb der Zielgruppe zu stimulieren, um so
hohes Involvement im Sinne von „Conviction, Passion, Zeal“ (Morris et al. 2004, S. 98)
zu generieren.
Dieser Beitrag soll jene EM-Ansätze vorstellen und anhand ihres Fokus abgrenzen,
die auf viraler Diffusion von Kommunikation beruhen. So baut EM vor allem auf unkonventionelle Maßnahmen zur Erzeugung
von Aufmerksamkeit (Buzz Marketing), die
exponentielle Diffusion von Kommunikationsinhalten (Viral Marketing), die Nutzung
von Communities (Community Marketing)
oder die (Aus-)Nutzung der MarketingmaßMarketing Review St. Gallen
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Entrepreneurial
Marketing
Managerial
Marketing
Abb. 1 Vom Managerial Marketing zum Entrepreneurial Marketing
nahmen der Konkurrenz (Ambush Marketing) und versucht so, mit geringem Mittel­
einsatz hohe Wirkungen zu erzielen (Guerilla Marketing). Durch die Darstellung sowie
deren Verdeutlichung anhand von Praxisbeispielen wird ein umfassender Überblick über
die viralen EM-Ansätze gegeben und ihnen
damit gleichermaßen ein Stück weit der ihnen anhaftende selbstvermarkterische „Buzz“
genommen.
Virale Ansätze des Entrepreneurial
Marketing
Viral Marketing nutzt soziale Netzwerke, um
Kommunikationsinhalte zu verbreiten. Nachrichten sollen sich über face-to-face-Kommunikation, E-Mails, Kommunizieren von Links
etc. wie ein Virus ausbreiten. Es geht somit um
Kommunikationsbefeuerung mit dem Ziel,
glaubwürdige (Mitglieder des eigenen sozialen
Netzwerks verbreiten die Botschaft) Kommunikation zu provozieren (Rosen 2000).
Auch wenn Viral Marketing oft auf die
Nutzung von Webpages, E-Mail etc. reduziert
wird und die neuen Kommunikationswege
aufgrund ihrer geringen Kosten dessen Umsetzung erheblich begünstigen, ist diese Verkürzung auf elektronische Medien unangebracht, da es ebenso unter Nutzung von Printmedien und Rundfunk funktionieren kann.
Zum einen hängt der Erfolg von Viral
Marketing neben der Einfachheit der massenhaften Weiterleitung davon ab, ob der
Empfänger der Nachricht in der Weiterleitung der Botschaft einen Nutzen erkennt.
Das erfordert eine genaue Kenntnis der Aktivierbarkeit und der Reaktionsfunktion
der Akteure des anvisierten Kom­mu­ni­ka­
tions­netzes. Zum anderen hängt der Erfolg
davon ab, ob der – vielleicht nur implizite
– Zusammenhang zwischen der weitergereichten Botschaft und dem eigentlichen
Kommunikationsziel bestehen bleibt.
Manch­mal gelingt zwar die Verbreitung
eines Bildes, eines Computerspiels etc., die
intendierte Botschaft kommt aber nicht
an!
Beispiele für Viral Marketing sind etwa Internetdienste wie Napster, mit Werbebotschaften gekoppelte Inhalte in Chatrooms oder
Gratis-Werbepostkarten in Gaststätten.
Guerilla Marketing (Levinson 1984) ist gleich­
zeitig ein Wegbereiter von EM als auch ein
Überbegriff für die EM-Ansätze. Es bezeichnet den Versuch, über ungewöhnliche Marketingmaßnahmen mit geringem Mitteleinsatz hohe Wirkung zu
erzielen. Es soll überra„Viral Marketing nutzt soziale Netzwerke,
schend und effizient
um Kommunikationsinhalte zu verbreiten.
sein – dafür muss es oft
Eine Verkürzung auf elektronische Medien
auch den Raum des Geist jedoch unangebracht.“
wohnten sprengen. Kreative Preisbildungen
(zum Beispiel „all you can eat“) oder die NutBuzz Marketing (buzz = Gerede) verzung von unüblichen Werbeflächen gehören
sucht, die Marke bzw. die Kommunikatiebenso hierher wie alle im Folgenden vorgeonsbotschaft durch ungewöhnliche, spekstellten EM-­Ansätze. Als Beispiel kann das
takuläre und kreative Inszenierungen zum
Henna-Tattoo eines Kondomherstellers auf
Ereignis zu machen (Rosen 2000). Über
dem Hinterkopf eines Boxers während einer
„Aufregung“ und „Irritation“ erzeugende
TV-Weltmeisterschaftsübertragung, mit dem
Maßnahmen will Buzz Marketing die Bothoch dotierte Werbeverträge ausgehebelt
schaft zum Thema für Mundpropaganda
wurden, genannt werden.
und Medienberichte machen und so ihre
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Virale Kommunikation
Weiterverbreitung und damit virale Marketingeffekte stimulieren.
Um den Begriff Buzz Marketing von Viral
Marketing abzugrenzen, soll diese Aufsehen
erregende Maßnahme als Kern von Buzz
Marketing angesehen werden. Die damit
eventuell ausgelöste explosionsartige, selbsttätige Verbreitung soll hingegen dem Viral
Marketing zugeordnet werden.
Da durch die Verbindung des Produkts mit
„Celebrities“ Aufsehen erregt werden kann,
wird Buzz Marketing mitunter darauf reduziert (= Buzz Marketing i. e. S.). Tatsächlich
kann es kaum von Sponsoring, dem Einsatz
von Events im Marketing oder Product Placement abgegrenzt werden. Wenn es nur darum
geht, die Bekanntheit der Marke zu forcieren,
liegt kein Buzz Marketing vor, wohl aber, wenn
das Produkt damit ins Gerede kommen soll
(BMW in einem James Bond-Film). Ein „Tag
der offenen Tür“ ist nicht dem Buzz Marketing
zuzurechnen, mit den „Red-Bull-Flugtagen“
will das Produkt aber offensichtlich ins Gerede kommen – das Schlagwort liefert ca. 300.000
Interneteinträge. McKinsey schätzt, dass in
den USA der Absatz von nicht weniger als zwei
Drittel aller Produkte durch Buzz beeinflusst
wird (Dye 2000).
Buzz Marketing kann auf unterschiedlichste Maßnahmen setzen:
■ Ein Event oder eine Aktivität, die für Publicity sorgt: So erhielten Personen, die
sich bei Neueröffnung einer Filiale einer
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Textilhandelskette nackt einfanden, ei■ Die Verbindung des Produkts mit witzi­
nen Einkaufsgutschein – alle lokalen
gen oder schockierenden Darstellungen:
Medien berichteten darüber. Auch das
Klassisches Beispiel ist die Benetton-Wer1,4 km große (tatsächliche oder nur kolbung mit emotionalisierenden Inhalten.
portierte?) Abbild eines iPod in AustraAuch die Werbung für einen Klein­trans­
lien produziert entsprechende Kommuporter nach Bekanntwerden eines prominikation.
nenten Steuerhinterziehungsfalles „Für
■ „Buzz Agents“, die öffentlichkeitswirksam
alle, die jetzt noch schnell Akten weg­
ein Produkt verwenden oder nachfragen:
zuschaffen haben!“ kann hier genannt
So können sie zum Beispiel in einer Bar
werden.
ein neues Mixgetränk nachfragen, um –
Die Vorteile von Buzz Marketing sind, dass
nachdem der Barmixer und die umstehen­
die Produktbotschaft subtil über andere
den Gäste bezüglich des Getränks inforThemen vermittelt wird: Man erzählt von
miert wurden – die nächste Bar aufzusueinem Auto, das von der Decke zu stürzen
chen.
droht und spricht damit auch von der Auto■ Gezielt herbeigeführte Produktverwenverleihfirma. Man berichtet vom Gast und
dungen durch
Schlüsselperso­
„Buzz Marketing versucht, die Marke
nen im anvisierbzw.
die Kommunikationsbotschaft durch
ten Marktsegungewöhnliche, spektakuläre und kreative
ment: Ein PKWHersteller stellte
Inszenierungen zum Ereignis zu machen.“
DJs sein neues
Modell zur Verfügung, um „Buzz“ in der Szene auszudem ignoranten Barmixer und erzählt dalösen.
mit auch vom Mixgetränk. Dazu kommt,
■ Überraschende Darstellungen des Prodass diese Botschaften von persönlich bedukts: Eine Mietwagenfirma verbindet ein
kannten Menschen übertragen werden, descheinbar mangelhaft an der Decke einer
nen nicht mit Reaktanz begegnet wird (AllFlughafenhalle befestigtes Auto mit dem
sop et al. 2007). Allerdings verlangt Buzz
Hinweis, dass man aufgrund der niedMarketing gute Kenntnisse über die Reaktirigen Vermietungspreise am Klebstoff
onsweisen der Adressaten, die Logik von
sparen musste.
Medien etc., damit man beurteilen kann,
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Entrepreneurial Marketing: Geringer Mitteleinsatz mit hoher Wirkung
was tatsächlich Aufmerksamkeit erweckt.
Da die Medien tendenziell auf Neues reagieren und oft Erlebtes kaum noch Aufsehen
erregt, sind Buzz-Marketing-Aktionen nur
selten wiederholbar. Aus eben diesem
Grund eignet es sich vor allem für neue Produkte.
Community Marketing nutzt einerseits
Communities zur Förderung von klassischen Marketingmaßnahmen, etwa in
Form von Kundenclubs oder von Internetforen, in denen die relevante Community
umfassend betreut wird. Diese Form ist
kaum von Direct Marketing und eCRM abzugrenzen. Community Marketing als EMAnsatz andererseits zielt auf die Nutzung/
Entwicklung von produktbezogenen Communities. Über Produkte wird Gruppenzugehörigkeit gesteuert, wodurch diese den
„Status als Identifikationsobjekt“ („Kultstatus“) erhalten. So verstanden, werden beim
Community Marketing Communities zur
Produktion und zur Kommunikation subjektiver Produkteigenschaften identifiziert
und/oder generiert und dann instrumentalisiert, womit das Produkt seine Imagewerte
aus Kommunikationsleistungen der Community bezieht. Während im MM die Kommunikationspolitik durch das Unternehmen
geprägt wird, wird hier die Community mit
Kommunikationsinhalten „infiziert“, womit
die weitere Formierung der Kommunikationsinhalte vom Unternehmen nicht mehr
vollständig kontrolliert werden kann. Die
Community formt dann das subjektive Produktbild, es kann nicht mehr – oder nur
noch mit erheblichem Mitteleinsatz – vom
Unternehmen autonom geändert werden.
Die Harley-Davidson-Community gilt als
bekanntestes Beispiel.
Da Community Marketing vor dem Hintergrund virtueller Communities leichter um­
setzbar scheint, wird der Begriff oft fälschlicherweise auf virtuelle Communities beschränkt, obwohl die Funktion von
Communities nicht davon abhängt, in welcher Form sie sich manifestieren.
Unter Ambush Marketing (Ambush =
Hinterhalt) oder „Schmarotzer-Marketing“
versteht man „parasitäres Marketing“, also
ein Marketing, das gezielt die Maßnahmen
anderer Unternehmen (meist der direkten
Konkurrenten) nutzt. Die für die Abgrenzung der unterschiedlichen Ansätze unMarketing Review St. Gallen
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glückliche, aber übliche Eingrenzung auf
eine parasitäre Kommunikationspolitik in
Zusammenhang mit Sponsoringaktivitäten
soll als Ambush Marketing i. e. S. bezeichnet werden. Dabei versucht ein Unternehmen bei einem Event (zum Beispiel Großsportveranstaltung) die Aufmerksamkeit
auf sich und weg vom offiziellen Sponsor zu
ziehen. Während offizielle Sponsoren die
Werberechte teuer erkaufen, versuchen
Ambusher das attraktive Umfeld, die hohen
Zuschauerzahlen sowie die umfassende Berichterstattung für einen Bekanntheitsgewinn bzw. positiven Imagetransfer auf das
eigene Produkt ungleich kostengünstiger
zu nutzen und/oder den Konsumenten bezüglich des wahren Sponsors zu verwirren.
Offizielle Sponsoren bzw. Lizenzgeber betrachten diese Kommunikationspolitik als
Diebstahl der teuer erkauften Rechte bzw.
als Vernichtung des Wertes der Werberechte.
der Fernsehübertragungen von ABC weit
kostengünstiger mit der Olympiade in Zusammenhang gebracht wurde. Auch der
Kfz-Händler, der seine Modellpalette vor
einem lokalen Konkurrenten parkte, als dieser eine Neuwagenschau durchführte, betreibt Ambush Marketing.
Immer neue EM-Maßnahmen
Die dargestellten Ansätze zeigen Marketingmaßnahmen von Unternehmen unabhängig
von ihrer Größe oder von ihrem Alter, die
auf der viralen Diffusion von Kommunikation beruhen. Sie beinhalten die unternehmerischen Elemente Innovativität, Risikobereitschaft und Proaktivität und können
mit geringem Ressourceneinsatz durchgeführt werden. Ein Kennzeichen von EMMaßnahmen ist, dass sie oft mehreren Ansätzen zuge­ordnet werden können: Nike
„Ambush Marketing steht im Spannungsfeld
zwischen illegalen oder unethischen Maßnahmen und
selbstverständlichen Reaktionen auf Maßnahmen der
Wettbewerber im Rahmen der Konkurrenzpolitik.“
Für die systematische Bearbeitung von
EM-Ansätzen ist allerdings eine weiter gefasste Begriffsbildung zweckmäßig. Am­
bush Marketing i. w. S. soll jedes parasitäre
Marketing bezeichnen und umfasst daher
gleichermaßen Produktpiraterie, „Anleihen“ am Design von Konkurrenzprodukten
(zum Beispiel in der Automobilbranche), an
Logo- und Werbegestaltung, an Slogans
usw. und ist dann, wenn Preis- und Rabattsysteme (Mobilfunkbetreiber) oder neue
Distributionsformen nachgebaut werden,
von Konkurrenzpolitik kaum unterscheidbar. Es steht somit im Spannungsfeld zwischen illegalen oder unethischen Maßnahmen und selbstverständlichen Reaktionen
auf Maßnahmen der Wettbewerber im Rahmen der Konkurrenzpolitik.
Der Fall Kodak vs. Fuji wird häufig als der
Anfang von Ambush Marketing i. e. S. genannt: 1984 war Fuji einer der offiziellen
Sponsoren der olympischen Spiele, während
Kodak den „offiziellen Film“ für das USLaufteam stellte und als Programmsponsor
sponserte beim Berlin-Marathon mit der
Aktion „Go Heinrich Go!“ den 80-jährigen
Heinrich. Heinrich beendete den Marathon
erfolgreich. Das Resultat war eine entsprechende Publicity für Heinrich und für Nike –
Sponsor des Berlin-Marathons war jedoch
Adidas. Dieses Beispiel zeigt Elemente von
Buzz Marketing (ein 80-jähriger Marathonläufer sorgt für Aufmerksamkeit), von Viral
Marketing (dieses Ereignis ist für die Medien attraktiv), von Ambush Marketing i. e. S.
(es wurde Aufmerksamkeit vom Sponsor auf
den Ambusher umgelenkt) und von Guerilla Marketing (mit vergleichsweise wenig
Kosten wurde eine hohe Wirkung erzielt).
Trotz dieser Überschneidungen zeigen sich
dennoch klare Unterschiede (siehe Abbildung 2 auf Seite 22).
Da Konsumenten der klassischen Werbung häufig kaum noch Glauben schenken
oder sie nicht mehr wahrnehmen, kann EM
eine vielversprechende Alternative darstellen. Dies bedeutet für die Marketingpraxis
in Unternehmen, dass sie sich teilweise
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Virale Kommunikation
vom gewohnten 4-P-Instrumentarium abwenden und verstärkt unter Ausnutzung
der in ihrem Unternehmen vorhandenen
Ressourcen auf „unternehmerische“, das
heißt innovative, teilweise mitunter risikoreichere, weil unbekannte, proaktive Marketingkonzepte setzen sollten.
EM kann damit für kleine und junge Unternehmen, die den bekannten struktur­
bedingten Liabilities unterliegen, eine ressourcensparende Möglichkeit sein, mit
so uninteressant wie wirkungslos. Bei den
EM-Ansätzen handelt es sich um einen unternehmerischen Zugang zum Marketing,
der immer wieder mit neuen konkreten
Maßnahmen zum Leben erweckt werden
muss. Die kontinuierliche Verfolgung des
EM-Ansatzes bedeutet, dass immer neue
EM-Maßnahmen entwickelt und umgesetzt
werden. Da insbesondere große Unternehmen über ungleich größere Mittel verfügen,
EM im großen Stil zu betreiben als kleine
und junge Unternehmen, ist nicht ausge„Community Marketing als EM-Ansatz
schlossen, dass sich
zielt auf die Nutzung/Entwicklung von
EM zum Standardreproduktbezogenen Communities.“
pertoire entwickelt
und damit seine auf
überschaubarem Mitteleinsatz eine hohe
Unmittelbarkeit, Verblüffung und GlaubAuf­merksamkeit zu erregen. Größeren Unwürdigkeit beruhende Effektivität verlieren
ternehmen wiederum kann EM helfen, sich
könnte. Dennoch gehen wir davon aus, dass
durch innovative Ideen von der Konkurgerade kleine und junge Unternehmen auf
renz zu differenzieren. Die wesentliche Pradie Konzepte des EM setzen und diese mit
xisherausforderung im Zusammenhang mit
Mitteln des „klassischen Marketing“ komEM liegt für beide darin, zu verstehen, wie
plettieren sollten. Durch den Einsatz von
sich die relevanten sozialen Netzwerke verEM kann die Aufmerksamkeit für ihre Prohalten und wie sie daher genutzt werden
dukte mit vergleichsweise geringem Reskönnen.
sourceneinsatz erhöht werden.
Aus der Sicht der Praxis ist jedoch jede
konkrete EM-Maßnahme – nicht jedoch
das EM-Konzept – als „Eintagsfliege“ zu
betrachten. EM-Maßnahmen sind kaum
wiederhol- oder kopierbar. Durch Wieder­
holung wird das un­gewöhnliche Neue eben­
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kreative, unkonventionelle Maßnahmen im Rahmen des Managerial Marketing
Ansatz
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Autoren
Prof. Dr. Dietmar Rößl
Leiter des RiCC – Research Institute for Cooperation and Cooperatives und Professor am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Klein- und Mittelbetriebe an der
Wirtschaftsuniver­sität Wien.
E-Mail: [email protected]
Dr. Sascha Kraus
Assistenzprofessor für Entrepreneurship
an der Hochschule Liechtenstein in Vaduz
und Lehrbeauftragter an diversen Hochschulen in Westeuropa.
E-Mail: [email protected]
Zielrichtung/Fokus
Univ.Ass. Dr. Matthias Fink
Ansätze des
Entrepreneurial Marketing
Guerilla Marketing: geringe Kosten – hohe Wirkung durch
unkonventionelle Maßnahmen
Abb. 2 Ansätze des Entrepreneurial Marketing
Literatur:
Viral Marketing
Selbsttätige Verbreitung von Botschaften
Buzz Marketing
Aufmerksamkeit erzielen
Community Marketing
Nutzung von Communities, Erzeugen subjektiver
Produktkomponenten durch Communities
Universitätsassistent am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Klein- und
Mittelbetriebe an der Wirtschaftsuniver­
sität Wien und Habilitationsstipendiat der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
E-Mail: [email protected]
PD Dr. Rainer Harms
Ambush Marketing
Nutzung der Maßnahmen anderer Unternehmen
Assistenzprofessor am Dutch Institute for
Knowledge Intensive Entrepreneurship (NIKOS) der Universität Twente.
E-Mail: [email protected].
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1-2009