Arbeiterweihespiel und NS-faschistisches Thingspiel
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Arbeiterweihespiel und NS-faschistisches Thingspiel
Diese Studie entstand 2007 im Zusammenhang eines französischen Forschungsprojekts. Publiziert in: Manifestations sportives nationales et internationales: mises en scène politiques. Table ronde. Netzausgabe. Dijon: Université de Bourgogne. Das Fest der Bewegung - Arbeitermassenspiel und NS-Thingspiel Henning Eichberg, Süddänische Universität, Forschungsinstitut für Sport, Gesundheit und Zivilgesellschaft, Gerlev (1.2.07) Inhalt: “Flammende Zeit“, Magdeburg 1929 Arbeiterfestspiel und sozialistische Erweckung NS-Thingspiel und faschistischer Aufmarsch Das Ende der Massenspiele Martin Gleisner, ein vergessener Festspielregisseur Konfigurationen im Vergleich: Zeit, Raum, Energie... ... Relationen, Verdinglichung und Überbau Formierte Öffentlichkeit und zivilgesellschaftliche Praxis Fest und Erweckungsbewegung Ausblick: Fremdwerden und Innovation ___________________________ Abstract In den zwanziger Jahren inszenierte die sozialistische Bewegung Arbeitermassenspiele von neuartiger Qualität. Hunderte oder Tausende von Akteuren traten mit Zehntausenden von Zuschauern über Sprechchöre und Bewegungschöre in Interaktion. Dennoch wurde dieses Phänomen danach über Generationen hin vergessen. Von 1933 bis 1936 entwickelte die NS-Kulturpolitik mit den sogenannten Thingspielen ähnliche Formen. Später wurde das Thingspiel als der bedeutendste Beitrag bezeichnet, den der Nazismus zur Kunstform des Theaters und der Literatur leistete. Der Vergleich der Konfigurationen von Arbeitermassenspiel und Thingspiel führt zur Körpergeschichte sozialer Bewegungen. Bewegung – im Kontrast zu Interessenorganisation, Partei, Kirche und Unternehmen – bestimmt sich von einer Subjektivität her, die mit körperlicher Praxis zusammenspielt. Zu einer sozialen Bewegung zu gehören bedeutet, selbst in Bewegung zu sein. Von daher gesehen wird das Fest als Indikator für Bewegungen bedeutsam. Die Sprechchöre der zwanziger Jahre lassen sich auf die Formel bringen: ‟Wir sind das Volk!‟ – ‟Wir sind in Bewegung!‟ – mit durchaus widersprüchlichen Ergebnissen. Keywords: Abeitersport, Arbeiterkultur, sozialistische Bewegung, NS-Kultur, faschistische Bewegung, soziale Bewegungen, Festkultur, Öffentlichkeit, Zivilgesellschaft, Olympismus, Konfigurationsanalyse _____________________________ 1 Sozialismus in den zwanziger Jahren war mehr als eine Partei (oder zwei Parteien), mehr als eine philosophische Idee, eine gesellschaftskritische Haltung oder eine Wahlentscheidung. Sozialismus hatte Züge einer Erweckungsbewegung. Diese Bewegung äußerte sich in Sprechchören und Festen besonderen Typs. Sie wurden als ‟Massenspiele‟, ‟Festspiele‟ oder auch – mit quasi-religiösen Untertönen – als ‟Weihespiele‟ bezeichnet. Sie waren oft mit dem Arbeitersport, teilweise auch mit der Freidenkerbewegung verbunden. Wie die Entstehung dieser Feste, so ist auch ihr Verschwinden soziologisch aussagekräftig. Die Diskontinuitäten der sozialistischen Bewegung und ihrer Feste treten deutlicher hervor, wenn man sie mit anderen sozialen Bewegungen vergleicht. Hier ist der Blick auf die NS-faschistische Bewegung und ihre Feier- und Weihespiele besonders aufschlussreich, die zeitweilig als ‟Thingspiele‟ einen eigenen, kulturpolitisch offizialisierten Namen erhielten. Aber der Vergleich ist methodologisch schwierig. Der übliche ideengeschichtliche Zugang greift gerade bei politisch so unterschiedlichen, einander entgegengesetzten Bewegungen zu kurz. Stattdessen wird es darum gehen, die Konfigurationen der Feste von ihren Zeit- und Raum-Mustern, ihrer Atmosphäre und ihren sozialen Relationen her zu vergleichen. “Flammende Zeit“, Magdeburg 1929 “Das Jahr 1929 brachte eine ganze Anzahl großer Arbeiterfeste; alle waren Demonstrationen wachsenden Könnens auf dem Gebiete proletarischer Festgestaltung, waren damit wertvolle Beispiele, von denen starke Wirkungen auf die Praxis der Festveranstaltungen ausgehen werden: das ‟Fest am See‟ während des sozialdemokratischen Parteitages in Magdeburg, das Nürnberger Fest der Arbeiter-Turner und -Sportler, das Jugendtreffen in Wien, das JubiläumsGewerkschaftsfest in Leipzig.“1 Mit diesem Überblick leitete die sozialistische Zeitschrift Kulturwille 1929 einen Bericht ein, der ein Arbeiterfestspiel zum Parteitag der SPD beschrieb. Das Massenspiel “Flammende Zeit“ fand in Magdeburg auf einer Naturbühne vor Zehntausenden von Zuschauern statt. Etwa eintausend Menschen wirkten in Bewegungs-, Sprech- und Gesangschören mit. Sie waren aus der Kampforganisation Reichsbanner und deren Spielmannszügen, aus dem Arbeitersport, aus Kindergruppen und sozialistischen Kulturorganisationen rekrutiert worden. Das Festspiel stand unter der Leitung von Martin Gleisner (von dem noch zu sprechen sein wird) und folgte einer Idee des Arbeiterjugendführers Emil Reinhardt Müller.2 “‟Freude an der Natur‟: von rechts und links vorkommend zur Mitte ein Wasserreigen von etwa achtzig Booten mit rotflammenden Fackeln besteckt: jenseits des Wassers ein Kinderreigen mit Lampions, von den Flanken her Männer- und Frauenchöre. (...) Ein Trommelwirbel, ein Schatten fällt über die Festesfreude, die Lichter verlöschen, arbeitende Menschen in der kapitalistischen Fron kennen keine rechte Freude, ungetrübt von der Erinnerung an ‟Gedrückte Arbeit‟ (...): Wir wracken – wir hacken Mit hangendem Nacken – Im wachsenden Schacht – Bei Tag und bei Nacht. (...) Darauf Weckruf des Orchesters: ‟Bewußte Arbeit‟. Der Sprechchor: Wer den wuchigen Hammer schwingt – Wer im Felde mäht die Aehren – Wer ins Mark der Erde dringt – Weib und Kinder zu ernähren (...) Jedem Ehre – jedem Preis – Ehre jeder Hand voll Schwielen – 2 Ehre jedem Tropfen Schweiß – Der in Hütten fiel und Mühlen (...) Ein neuer Bewegungschor: Aufmarsch und Spiel der Hammerschwinger; Musik, nochmals der Sprechchor: Männer – Mit eurem Schwingen haltet ein! Männer – Laßt die Arbeit Freude sein! (...) Genossen – Freude lebt in uns – Macht uns frei! Musik nimmt den Ruf zu Freude und Kampf auf. Rot flammt es allenthalben im Rund. Tanz heller Gruppen. Die Marseillaise hebt an. Zu Pyramiden steilt sich die rote Macht des Proletariats. Fackel- und fahnentragende Gruppen strömen von rechts und links dieser Manifestation der Kraft der Arbeiterklasse zu. ‟Kampf und Sieg.‟ (...) Das wahrhaft großartige und schwungvolle Schlußbild: von dem Mittelpunkt am jenseitigen Ufer lösen sich die Kanufahrer und gleichzeitig Züge der Fahnen- und Fackelträger. (...) Alles vereint sich schließlich diesseits des Sees mit den wohl 30 000 Zuschauern zu einem einheitlichen Menschenblock, aus dem der Sozialistenmarsch mächtig emporklingt.3 Die Beschreibung verschwieg bei allem Pathos durchaus nicht einige kritische Punkte der Festinszenierung. Beim Sozialistenmarsch sangen einige Teilnehmer nicht mit – aus “Maulfaulheit“, wie es hieß. Dem Festspiel wurde ein Feuerwerk angehängt – das wurde “eine Konzession an einen alt-dummen Publikums-Geschmack, symbolisch für manche Erscheinungen unserer Parteipolitik“ kritisiert. Und schließlich gab es in der Stadthalle am See ein Tanzvergnügen. “Anstatt daß jeder im Nachhall der festlichen Sinfonie aus Licht und Farbe, Bewegung und Klang nach Hause ging, erhoben und gestärkt in dem Bewußtsein, Neues zu wollen und zu können – versank das Beste des Festeindrucks im Altgewohnten: Feuerwerkstand und Tanzschlurferei.“4 Arbeiterfestspiel und sozialistische Erweckung Das Massenfest von Magdeburg 1929 verkörperte eine politische Praxis, die in der Zwischenkriegszeit erhebliche Bedeutung erlangte. Nach den dreißiger Jahren verschwand diese Festkultur nicht nur aus der Praxis, sondern auch aus der Erinnerung. Sie wurde erst in den siebziger Jahren wiederentdeckt, und auch dies nur ansatzweise, da sie dem nostalgischen Arbeiterbild, das die Neue Linke mit sich brachte, nicht so recht entsprach.5 Weder die Entstehung noch das Verschwinden der Fest- und Weihespiele erhielt jedoch die analytische – und komparative – Aufmerksamkeit, die sie verdiente. Das Massenspiel stand für mehr denn nur eine Form politischen Theaters. In den zwanziger Jahren entstanden in Deutschland verschiedene Massenbewegungen der Arbeiterkultur – neben Partei, Gewerkschaften und sozialistischer Jugend waren dies insbesondere Arbeitersport, Arbeitersänger, sozialistische Lebensreformverbände, Freidenkerbewegung und halbmilitärische Kampfverbände. Sie führten dem politischen Leben eine neue Qualität zu – sie wurden aber überwiegend nach 1945 nicht weitergeführt.6 Die sozialistischen Organisationen verstanden sich als ‟Bewegung‟ und schufen neue Demonstrationsforme und Rituale, Uniformen, Grußformen, Fahnen und Symbole, Sprechchöre und Schalmeienzüge.7 Besonders ragten dabei die Massenfestspiele hervor. ‟Proletarische Weihespiele‟ fanden in Sportstadien unter Einbeziehung von Zehntausenden von Zuschauern statt. Im Schnittfeld zwischen Massengymnastik, Agitpropgruppen und ‟proletarischer Feierkultur‟ thematisierten sie die Richtung der sozialistischen 3 ‟Vorwärtsbewegung‟, den Sturz der kapitalistischen Verhältnisse und den Sieg allgemeiner Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Eine besondere Rolle spielte dabei der Arbeitersport. Er stellte nicht nur – wie in Magdeburg 1929 – einen Großteil der Mitwirkenden, sondern gab mit seinen Sportfesten selbst Anlaß zu herausragenden Inszenierungen. Höhepunkte waren die Massenspiele, die im Zusammenhang der internationalen Arbeiterolympiaden in Frankfurt am Main 1925, in Wien 1931 und in Antwerpen 1937 inszeniert wurden. Im Gebrauch der Festspiele gab es deutliche Unterschiede zwischen den beiden Flügeln, in die sich die sozialistische Bewegung aufzuspalten begann, zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten. Darum verdient die ‟Fraktionsgeschichte‟ der linken Festbewegungen eine besondere Aufmerksamkeit.8 Die ersten Massenspiele gingen in Deutschland aus Gewerkschaftsfesten in Leipzig hervor, die seit 1897 gefeiert und von Arbeiterchören und Arbeiterturnern gestaltet wurden.9 Neue Anregungen kamen teils vom jugendbewegten Laienspiel, teils von den Massenspielen des sowjetischen Proletkults10 und vom expressionistischen Revolutionstheater.11 1920 setzte dann die Folge der Leipziger Massenspiele ein; drei davon hatte der expressionistische Schriftsteller Ernst Toller verfaßt.12 Thematisch inszenierten sie zunächst den Spartakus-Aufstand im alten Rom, den deutschen Bauernkrieg und die französische Revolution, später mehr symbolisch-abstrakte Kämpfe um Krieg und Frieden. Die Massenspiele fanden zunächst in der Leipziger Radrennbahn statt, dann im Messegelände und am Lunapark-Teich. Bis zu 3000 Spieler, Tänzer und Sänger traten auf, und ihre Wirkung wurde verstärkt durch den Einsatz von Scheinwerfern, Musik und – wie ein Rezensent es 1923 ausdrückte – “Bewegung und immer wieder Bewegung“. Politisch vertraten die Feste und das für sie verantwortliche Arbeiter-Bildungs-Institut zunächst die linkssozialistische USPD, ab 1922 dann die SPD. Auf kommunistischer Seite gehörten in die Nachfolge der Leipziger Spiele das Massenspiel “Thomas Müntzer“ von Berta Lask 1925 in Eisleben und weitere Massenspiele derselben Autorin.13 In der KPD setzte man ansonsten vor allem, im Zusammenspiel mit Erwin Piscator, auf satirische Kleinformen des Theaters, auch weil die Massen oft nicht im notwendigen Umfang vorhanden waren. Aber das Feierspiel fehlte auch hier nicht. Bedeutsam wurden vor allem die Sprechchorwerke von Gustav von Wangenheim 1923-24 und die sogenannten “Kollektivreferate“ von Maxim Vallentin 1926-29.14 Bei den kommunistischen Chören spielte die Deklamation eine größere Rolle als in den Arbeitermassenspielen, aber gemeinsam war beiden Formen die tendenzielle Herstellung einer Einheit von Darstellern und Publikum, die Rhythmisierung, die Kollektivität sowie die Typisierung und die antagonistische Struktur des Dargestellten. Eine französischer Beobachter des Kollektivreferats “Für die Sowjetmacht“, das die Berliner Arbeitergruppe “Das Rote Sprachrohr“ 1930 aufführte, kennzeichnete die gewissermassen ‟energetische‟ Ausstrahlung des Spiels: “Glaube ... Rhythmus ... Disziplin ... all dies löst einen Kraftstrom aus, dem gegenüber niemand unempfindlich bleiben kann ... vor einer Zuschauerschaft, die vor Begeisterung bebte, die an der Handlung mit allen Fasern, allen Augen und allen Nerven teilnahm, als ob es sich für sie um eine mythische Feier handelte, das ist mein stärkster Eindruck vom deutschen Theaterleben.“ 15 Auf der Seite der Sozialdemokraten waren es insbesondere die Arbeitersportler, die das Massenfestspiel weiterführten. Hier wurde auch der Versuch gemacht, der “neuen Festkultur“ als Teil “sozialistischer Gefühlsbildung“ einen theoretischen Überbau zu geben und sie durch den von der neuen Tanzbewegung hergeleiteten Sprechbewegungschor zu erweitern. Als Theoretiker und Propagandisten der “proletarischen Festkultur“ innerhalb des 4 “Kultursozialismus“ traten Hendrik de Man16, Martin Gleisner, Paul Franken17 und Otto Zimmermann18 hervor. Die Reihe der großen sozialdemokratischen Festspiele begann mit dem Weihespiel “Kampf um die Erde“ von Alfred Auerbach, das 1925 anläßlich der ersten Internationalen Arbeiterolympiade in Frankfurt am Main aufgeführt wurde.19 Im Mittelpunkt des zweiten Bundesfestes des Arbeiter-Turn- und Sportbundes (ATSB) in Nürnberg 1929 stand dann das Jugendspiel “Mach dich frei!“ und im gleichen Jahr wurde der SPD-Parteitag in Magdeburg mit dem hier einleitend beschriebenen Spiel “Flammende Zeit“ gefeiert. Bei der zweiten Internationalen Arbeiterolympiade in Wien 1931 zeigten 5000 Mitwirkende vor 60.000 Zuschauern ein Festspiel von Robert Ehrenzweig über die “Befreiung des Proletariats“. “Dieses Schauspiel bewältigt mit seinen großen Antithesen und den zum Symbol erhobenen Schlagworten Masse und Raum. Die Masse ist ganz in Bewegung und Farbe. Laut und Wort wurden dem Radio überwiesen, das aus dem Turm in der Mitte der Arena (aus dem goldenen Haupt des Kapitalismus) tönt. Die Ergriffenheit der Zuschauer bewies das Gelingen.“ 20 Nach weiteren Festspielen dieser Jahre21 brachte das Jahr 1932 einen Höhepunkt des sozialdemokratischen Massenspiels. Zur Maifeier sahen 18.000 Zuschauer in Frankfurt am Main das Festspiel “Wir!“ von Hendrik de Man. Über dessen kultischen Sinn schrieb der Autor: “In Wirklichkeit lebt echteres religiöses Gefühl in der proletarischen Maifeier (trotz der vielfach rohen Zweckhaftigkeit ihrer Ausdrucksformen und der bewußten Ablehnung aller moralisierenden Tendenz) als in den meisten kirchlichen Zeremonien. (..) Der kultische Charakter eines Maifestspiels soll sich also äußern, daß es die Kampfesziele des sozialistischen Proletariats auffaßt als Ausfluß von menschlichen Antrieben schlechthin. Darum habe ich in diesem Spiel die Not des Proletariats dargestellt als das, was der junge Marx die Entmenschlichung genannt hat.“22 Das Massenspiel hatte seinen Höhepunkt im Gesang von “Wann wir schreiten Seit‟ and Seit‟“ und im bewegungschorischen Arbeiterjugendlied “Wir“: “Allein sind wir nichts, Zusammen sind wir alles! Du und du und du Gehöret auch dazu! Faß die Hand, bist auch ein Mensch! Wir sind die Kette, die umspannet die Welt! Wir! Wir! Wir!“ Bei den Sozialdemokraten war das religiöse Element des Weihespiel ausgeprägter als bei den Kommunisten, aber auch in deren Massenchören fehlte es nicht an Bezügen zum ‟Heiligen‟ und Weihevollen (‟Jugendweihe‟), an ‟Schwüren‟ und ‟Gebeten‟. Das Massenspiel war insgesamt ein körperlich-praktisches Pendant zur proletarischen Freidenkerbewegung.23 Mit ihren religiösen Untertönen und der betonten Abgrenzung gegen das “Altgewohnte“ trafen die sozialistischen Massenspiele sich auf eigentümlich Weise mit gleichzeitigen Bemühungen um ein faschistisches Massentheater. Und zugleich unterschieden sie sich davon. NS-Thingspiel und faschistischer Aufmarsch 5 Der NS-Faschismus inszenierte sich frühzeitig in Form von politischen Aufmärschen und Paraden, die theatralische Züge trugen.24 Daneben experimentierte man mit NS-Spielgruppen, die die Agitpropgruppen der Linken nachahmten, ohne damit jedoch grösseren Erfolg erzielen zu können.25 Immerhin unterschied sich der Nazismus mit seinen Massenspielen und den damit verbundenen Praktiken – wie Massengesang, Sprechchor und Uniformierung – sichtlich und markant von früheren und parallel weitergeführten Politikpraktiken des traditionellen Rechtsradikalismus. 1933, im Zusammenhang mit der ‟Machtübernahme‟, erhielt das theatralische Element eine neue Bedeutung in Gestalt der sogenannten Thingspielbewegung.26 Unter diesem Begriff wurden Initiativen zusammengefasst, die Festspiele in Stadien und neu eingerichteten Freilichtbühnen arrangierten, um die ‟nationale Revolution‟ zu feiern. Dabei konnte man an eine Entwicklung anknüpfen, die schon seit 1926 unter verschiedenen Namen – Heimatspiele, Volksschauspiele, Freilichtspiele – organisiert worden war.27 Eine Zentralgestalt war Wilhelm K. Gerst, der aus dem katholischen Bühnenvolksbund hervorgegangen war. Noch einige Tage nach der nazistischen “Machtergreifung“ bezog er sich auf einen breiten Dichterkreis, der im NS-Staat verfemte Namen wie Kasimir Edschmid, Ödon von Horvàth, Bruno Schönlank und Ernst Toller einschloss. Unter dem Propagandaministerium wurde 1933 ein “Reichsbund der Deutschen Freilicht- und Volksschauspiele“ eingerichtet, den Gerst leitete, der aber in der Folgezeit mit anderen nazistischen Kulturorganisationen zu rivalisieren hatte. Hunderte von Thingplätzen wurden geplant, von denen etwa dreißig – meist amphitheatralische Anlagen im Freien – fertiggestellt wurden. Daneben nutzte man Sportstadien, Felder und städtische Plätze. Die Dimension der Spiele lag zum Teil bei 3000 Akteuren und 60.000 Zuschauern. Staatliche Organisation spielte zusammen mit Elementen einer Bewegung von unten, die sich in Hunderten von Festspielentwürfen zum Ausdruck brachte. Die meisten galten schon damals als literarisch wertlos; dennoch wurde das Thingspiel später als der wichtigste Beitrag bezeichnet, den der Nazismus zur Kunstform des Theaters und der Literatur leistete.28 Sogar einige Verfasser sozialistischer Festspiele begaben sich auf dieses neue Feld und steuerten Texte mit Untertönen sozialer Erweckung bei. Federführend für die Thingspiele war innerhalb der nazistischen Kulturpolitik die eher dem Expressionismus zuneigende Gruppe um Joseph Goebbels, während die mehr völkische Gruppe um Alfred Rosenberg sich kritisch bis abweisend verhielt. Sie bemühte sich um die Etablierung konkurrierender, mehr archaisierende “Thingstätten“. Ein dritter Akteur in dieser Konkurrenz wurde die Organisation “Kraft durch Freude“ unter dem DAFFührer Robert Ley, die sogenannte “Werkspiele“ veranstaltet. Neben und zwischen diesen Fraktionen gab es ferner die Laienspiele und “Spielscharen“, die sich um HJ, SA und im “Reichsbund Volkstum und Heimat“ unter dem Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß sammelten; dieser Reichsbund wurde später als “Amt Volkstum und Heimat“ der KdF untergeordnet.29 Dennoch setzten die Thingspiele unter dem Propagandaministerium die Maßstäbe. Die drei bedeutendsten Thingspiele waren “Deutsche Passion“ von 1933, “Neurode“ von 1934 und das “Frankenburger Würfelspiel“ von 1936. Richard Euringers Mysterienspiel “Deutsche Passion“ wurde bereits 1932 entworfen und im April 1933 als Hörspiel gesendet. Es erhielt dann als erstes die Bezeichnung “Thingspiel“ und wurde als solches bei den Heidelberger Reichsfestspielen uraufgeführt. Die Handlung: In der Eingangsszene verhöhnte der “böse Geist“ die Toten des Weltkriegs, während “die Mutter“ und “das Kind“ über “Not und kein Brot und kein Vaterland“ klagen und der Arbeitslose von seiner Entfremdung spricht. Da werden die Toten unruhig, sie antworten in Chören aus der Tiefe, und der “namenlose Soldat“ erhebt sich aus 6 seinem Grab, um unter das Volk zu gehen und als Mahnender seine “Passion“ zu erleiden. Auf seinem Weg stößt er nur auf Verzweifelte, auf den Proleten, die Vettel, den Kriegskrüppel und das Mädchen. Der böse Geist, eine Mischung aus Kriegsgewinnler und Umsturzpartei beginnt seine Gegenagitation und ruft das Volk zum totalen Konsum auf. Unter dem Beifall des “Hauptaktionärs“ hetzt er die Massen aus den “namenlosen Soldaten“, aber dieser gewinnt sie mit einer Rede, die den Verzicht auf Gier und Rachsucht und die Einheit in der gemeinsamen Arbeit fordert: “Volk, ans Gewerk! Du hast die Wahl.“ In der Schlußszene erblicken die Toten eine neue Welt der Arbeit: “ein Werk, ein Wille, eine Welt“. Der namenlose Soldat als “der gute Geist“ entschwebt – “es ist vollbracht“ – während der “böse Geist“ mit Getöse in die Tiefe fährt. Kurt Heynickes “Neurode – Ein Spiel von deutscher Arbeit“, mit dem 1934 der erste Thingspielplatz (in Halle-Brandenberge) eingeweiht wurde, galt bis 1936 als das gelungenste Stück dieses Genres. Es bezog sich auf einen tatsächlichen Vorfall in Schlesien vor 1933. Die Handlung: Bergleute, deren Bergwerk vor der Stillegung steht, greifen zur Selbsthilfe und treten dem Konsortium der Grubenbesitzer entgegen. Dem Argument des Kapitals – “Wer ist Besitzer der Grube? Ihr oder das Konsortium?“ – stellen sie ihr Recht auf Arbeit entgegen. Zusammen mit dem Direktor der Grube und dem Bürgermeister des Orts gründen sie eine Arbeitsgemeinschaft: “Für die Arbeit! Für die Heimat!“ Aber dadurch ist der Konkurs der Grube und ihre Versteigerung nicht aufzuhalten. Da erscheint ein Unbekannter – “Der Kamerad. Der Volksgenosse. Der Mitmensch“, ein Repräsentant des “neuen Deutschland“, das inzwischen die Werte der Gesamtgesellschaft verändert hat. Durch sein Wort wird die Grube den Arbeitern erhalten, und Chöre beenden das Thingspiel: “Schließt die Reih‟n! Ganz Deutschland soll es sein (...) Der Mann der Stirn, der Mann der Faust (...) Wir sind auf ewig einig.“ Als das hervorragendste Ereignis galt das Thingspiel, das zu den Olympischen Spielen von 1936 geschrieben und inszeniert wurde, Eberhard Wolfgang Möllers “Frankenburger Würfelspiel“. Die Uraufführung fand auf der von Werner March errichteten Dietrich-Eckart-Bühne (heute Waldbühne) vor 20.000 Zuschauern statt. Das Stück nahm seinen Stoff von Unruhen in Oberösterreich 1625. Als die dortigen Bauern sich gegen die Rekatholisierung wehrten, wurden ihre Führer – die um ihr Leben würfeln mußten – hingerichtet und der Aufstand durch die kaiserliche Regierung gewaltsam niedergeschlagen. Die Handlung: Das Thingspiel hatte die Form eines Tribunals gegen den Kaiser, das von einem Chor im Stil der griechischen Tragödie kommentiert wurde. Der Kaiser, seine Räte, der päpstliche Nuntius, der bayerische Kurfürst verwahren sich gegen die Vorwürfe, und nur der Vogt Graf Herbersdorf nimmt die Verantwortung auf sich. Er beruft sich auf den Gehorsam, den das Volk der Obrigkeit schulde. Um den Fall zu klären rufen die Richter die getöteten Bauern aus den Gräbern, um die Szene zu wiederholen. Aber als der Vogt nach dem Würfelspiel den Henker herbeiruft, tritt stattdessen eine unbekannte Gestalt in schwarzer Rüstung auf die Bühne. Er dreht den Spieß um und läßt nun die Angeklagten um ihr Leben würfeln. Da brechen die Richter den Stab über die Angeklagten: “Ein Kaiser, der sein Volk ans Kreuze schlägt, der sei verdammt in alle Ewigkeit...“ Der Chor dankt Gott für die Hilfe gegen die “falschen Tyrannen“. In den Thingspielen kamen also unterschiedliche Stilarten zusammen. Das Mysterienspiel von 1933 hatte expressionistische Züge und Anklänge an die Spiele von Ernst Toller. “Neurode“ arbeitete mit Mitteln des Sozialrealismus und der Neuen Sachlichkeit. Das Spiel von 1936 hatte klassizistische Züge. Die inner-nazistische Kritik der völkischen Kulturfraktion um Rosenberg richtete sich gegen kryptokatholische Tendenzen in den Spielen, aber insgesamt waren die Beurteilungen von der NS-Seite – und insbesondere von 7 Goebbels‟ Kulturpolitik – her positiv und erwartungsvoll. Dennoch brach das Regime nach 1936 die kulturelle Strategie des Thingspiels ab.30 Von nun an setzte man wieder auf die herkömmlichen Muster der faschistischen Parade und der Reichsparteitage einerseits – und auf den ‟unpolitischen‟ Unterhaltungsfilm andererseits. Diese Formen erforderten nicht mehr Spontaneität und Mitwirkung von unten, sondern entweder quasimilitärische Organisation oder Konsumverhalten. Auch ein weiteres Massenspiel, das die Olympischen Spiele von 1936 künstlerisch ausschmückte, gehörte in den Umkreis der faschistischen Festspiele: das Schauspiel “Olympische Jugend“. Verfasser war der Cheforganisator der Spiele von 1936 selbst, Carl Diem. 10.000 aktive Teilnehmer wirkten daran mit, darunter 60 Tänzer und 80 Tänzerinnen. Sie wurden von Harald Kreutzberg, Mary Wigman und Dorothee Günther geleitet, alle drei maßgebliche Vertreter des modernen Ausdruckstanzes. Die Musik stammte von Carl Orff und Werner Egk. Das Spiel entfaltete sich in vier Bildern: “Kindliches Spiel“, “Anmut der Mädchen“, “Jünglinge in Spiel und Ernst“, “Heldenkampf und Totenklage“. Das letztere feierte “Vaterlandes höchst Gebot in der Not: Opfertod“ – und nahm damit auf makabre Weise den kommenden Weltkrieg vorweg. Unter einem Lichtdom aus Flakscheinwerfern sang der Chor Schillers Lied an die Freude; dasselbe Lied hatte Auerbachs Weihespiel der Arbeiterolympiade 1925 abgeschlossen. Das Olympische Festspiel erfuhr – ebenso wie das Thingspiel – später keine 31 Fortsetzung. Der von Diem kreierte Staffellauf mit dem Olympischen Feuer, die Eröffnungs- und die Abschlußzeremonie wurden hingegen weitergeführt und markierten den Übergang von einem Ritual des faschistischen Zeitalters zur glitzernden Hightech Show. Das Ende der Massenspiele Auch bei den Sozialisten ließ in den dreißiger Jahren die Dynamik des Festspiels nach. Das wohl letzte der sozialistischen Massenspiele wurde 1937 im Sportpalast von Antwerpen aufgeführt. Das Festspiel “Aan ons de toekomst“ (Unser die Zukunft) war ein Höhepunkt der 3. internationalen Arbeiterolympiade und wurde von Martin Gleisner mit über 1000 Angehörigen sozialistischer Organisationen aus Antwerpen inszeniert. Le Peuple, das Organ der belgischen Sozialdemokratie, widmete ihm einen gefühlvollen Bericht:32 “Les projecteurs éclairent d‟une lumière diffuse des groupes des travailleurs courbés sous le joug d‟un travail à la chaîne. Nous en voyons d‟autres qui, sans travail, traînent leur misère. Apparait une représentation de l‟odieux fascisme personnifié par des géants hideux aux traits, hélas, trop connus; c‟est l‟oppression de la classe ouvrière. Apparaissent alors deux cubes énormes: l‟un figurant une croix gammée, l‟autre la hache du bourreau. Le sang en ruisselle et les masses traînent ce boulet dèsespérément. C‟est poignant tant la force d‟expression est vive. Puis c‟est une évocation de la puissance indestructible des masses qui ne sont jamais décisivement abattues et trouvent toujours, dans la beauté de leur ideal, la force de se relever. Les travailleurs manifestent leur désir d‟exister, leur droit inviolable à la vie. Ils montrent, par des mimes émouvants, leurs aspirations culturelles et éducatives, parmi lesquelles nous voyons le Mouvement International Sportif Ouvrier.” Aus dem gesellschaftlichen Widerspruch von Unterdrückung und Selbstorganisation der Massen wuchs das Finale hervor. ”Et voici le tableau final: quatre interprètes anonymes figurent un drapeau rouge qui s‟éveille insensiblement, prend vie, appelle à lui les peuples, tous les peuples, les groupe autour d‟une même ardeur, d‟un meme ideal. C‟est l‟apothéose! Pendant que la chorale ouvrière ‟Lasallekring‟ entonne une vibrante ‟Marseillaise‟ et que les groupes se sont réunis autour du drapeau rouge symbolique, la 8 foule, de muette qu‟elle était, s‟anime, trèpigne, hurle son enthousiasme, extériorise (un?) foi dans cette emotion magnifique qui nous étreint tous à la gorge. Quatre torches convergent vers le centre de l‟immense cuvette, se réunissent sous les plis du drapeau flamboyant. Et voici que montent les premières mesures de l‟‟Internationale‟ chantée à plaine voix par des dizaines des milliers de camarades dressés le poing levé, dans une fixité de statues, conscients du pathétique du moment. Et puis c‟est la descente vers la ville, en un interminable cortège de milliers de flambeaux brandis par la masse d‟acteurs et de spectateurs. Dans la nuit c‟est, je vous assure, admirable et enthousiasmant à la foi.” Der Bericht brachte durch seine betonte Subjektivität den Zusammenhang von theatralischer Massenbewegung und starker Gefühlsbewegung zum Ausdruck. Aus der Sicht des daran anschließenden geschichtlichen Prozesses war der folgende Ausblick allerdings nicht ganz unproblematisch: “Quel triomphe! Quel joi! Quelle foi! Devant ce spectacle grandiose d‟une foule aux sentiments nobles et élevés, comment douter encore de l‟avenir de la Démocratie? Il faut avoir vu cela, hier soir au Palais des Sports d‟Anvers pour comprendre toute la valeur de notre force.” Die soziale Bewegung, die hier gefeiert wurde, unterlag später dem Faschismus. Und als der Faschismus 1945 militärisch besiegt wurde, erhoben sich Demokratie und Sozialismus nicht als Erweckungsbewegung ‟des Volkes‟. Auch in der Sowjetunion war an die Stelle der frühen Massenspiele inzwischen die stalinistische Parade getreten.33 Die späteren sowjetischen Rituale zum 1. Mai, zu Weltjugendfestspielen und Spartakiaden hatten als von oben her inszenierte Massengeometrie und Aufmärsche einen anderen Charakter als die Erweckungsspiele des frühen Proletkults.34 In der Frühzeit der DDR gab es zunächst einzelne Versuche, das Fest- und Massenspiel wiederzubeleben, aber sie bestätigten eher, daß dessen Zeit abgelaufen war. 1959 wurde die dramatische Ballade “Klaus Störtebeker“ von Kurt Barthel im Rahmen der Rügenfestspiele in Ralswiek aufgeführt. Ein Beobachter schätzte dieses Ereignis als den “bisher gelungensten Versuch einer Massenspielinszenierung“ ein, wirksam vor allem dort, wo “der Hauptwiderspruch künstlerisch gestaltet war (zwischen dem Volk einerseits und dem Adel und Hanse-Bürgentum andererseits) (...) Das Massenspiel erfordert die Spielermasse nicht als Kulisse zu den Dialogen der Hauptfiguren; das Volk selbst muß Hauptfigur, aktiver Handlungspartner sein.“35 Trotz solcher Versuche36 und obwohl die Leipziger Massenspiele der zwanziger Jahre ausdrücklich als Vorbild empfohlen wurden, war dies eher ein Schlußpunkt denn ein Auftakt. Hier wie in Westdeutschland war die Bewegungsgeneration der zwanziger Jahre nicht mehr in der Lage, der nach 1945 folgenden ‟skeptischen Generation‟ ihre Gefühlskultur zu vermitteln. Und als sich danach, 1968, abermals das Verhältnis von politischer Praxis und Gefühl veränderte und ‟das Private politisch‟ wurde – geschah dies doch in einer neuen Weise, die den Zugang zur ‟Bewegtheit‟ der Zwischenkriegszeit nicht erleichterte. All das ist Material zu einer historischen Psychologie der sozialen Bewegungen, wie sie gegenwärtig noch aussteht. Martin Gleisner, ein vergessener Festspielregisseur Bevor der Schritt von der Rekonstruktion der Geschichte zum systematischen Vergleich getan werden soll, verdient hier einer der maßgeblichen Regisseure sozialistischer 9 Massenspiele einen Exkurs. Die spätere Forschung – einschließlich meiner eigenen – hat ihn zu Unrecht vergessen.37 Gleisner war ein Schüler Rudolf von Labans, des in den zwanziger Jahren führenden Praktikers, Choreographen und Theoretikers des Ausdruckstanzes. Laban selbst hielt sich, so Gleisner, “vor 1933 immer aus direkter politischer Bindung heraus und ist in all seinen Chorwerken im nur Künstlerischen – mythisch oder humanitär – geblieben. Zwar hat er für die Stadtregierungen von Wien und Mannheim, die SP-Mehrheiten hatten, große Feste inszeniert. Aber alles blieb parteipolitisch neutral. Wir Meisterschüler und Schulleiter entwickelten uns selbständig. Weil die meisten ‟höhere Töchter‟ waren und sich nicht in Politik einliessen, war ich im Labankreis der offene SPD-Mann, der für und in den Parteiorganisationen arbeitete und ihren Ideen chorische Formen zu geben versuchte (ähnlich wie Jenny Gertz in Halle die einzige offen kommunistische war).“38 Für die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) in Berlin baute Gleisner 1927-1932 einen Bewegungschor auf.39 Er gestaltete auch einen Sprech-Bewegungs-Musik-Chor zur Jugendweihe in der Berliner Volksbühne.40 Als größere Werke inszenierte er 1929 das genannte Festspiel “Flammende Zeit“ zum Magdeburger SPD-Parteitag41 und 1931 das Festspiel “Rotes Lied“ zum 40-jährigen Jubiläum des Deutschen Arbeiter-Sängerbundes.42 Theoretische Überlegungen hatte Gleisner schon in seinem Buch Tanz für alle 1928 vorgelegt.43 Für eine niederländische Ausgabe erweiterte er den Text um ein Kapitel, das 1932 in den Neuen Blättern für den Sozialismus erschien. Darin unterstrich er den Generationswandel, der den neuen Feierformen zugrundelag. “Bei den Älteren wird festliches Zusammensein sich wohl immer noch im alten Stil des Beieinandersitzens mit mehr oder weniger alkoholisierten Getränken abspielen. Die Jugend hat andere, aktivere Formen gefunden, die alle zum Mit-Tun aufrufen in Aufmärschen, Volkstanz, Massenspielen, Zeltlagern, gemeinsamem Singen.“ 44 Die neue und in diesem Sinne jugendbewegte Feiergestaltung müsse “bemüht sein, die Schranken zwischen ‟Aufführenden‟ und ‟Zuschauern‟ innerlich und äußerlich aufzuheben, alle zu Teilnehmenden, zu Mitfeiernden zu machen. Äußerlich geschieht das am leichtesten durch einen Kreis- oder Ovalbau, wie ihn die Stadien im Freien, die Zirkusräume im Inneren bieten, und wie sie als Gemeinschaftsfesträume in würdiger Form Aufgaben zukünftiger Baukunst bleiben. (...) So ist die neue Feier auch ins Freie gedrungen, hat in Stadien unter freiem Himmel Zehntausende zusammengebunden, hat Landschaften mit Wald und Wasser einbezogen in große symbolische Festspiele, in denen der Aufmarsch, das Schwenken unserer roten Fahnen und lichtbringende Fackeln letzte Steigerungen und wiederum Anknüpfungen an die politischen Kundgebungen brachten.“ Die nazistische Machtübernahme 1933 zwang Gleisner zur Emigration, zunächst in die Niederlande. Dort inszenierte er von 1934 bis 1937 weitere größere Festspiele45 und erarbeitete zusammen mit der Tänzerin Lea Daan einen Bewegungschor für den sozialistischen Propagandafilm “Mens en machine“ (1936).46 Sein größtes Werk wurde das oben besprochene Festspiel zur Arbeiterolympiade in Antwerpen 1937.47 Bei all diesen Ereignissen war, so Gleisner, “wirklich was von religiöser Hingabe drin. Ich bin ein Jude (dessen Judenheit durch das Hitlerelebnis sehr verstärkt wurde), aber seit meiner Adoleszenz völlig freidenkend. Aber in den großen Zusammenkünften, Märschen und Feiern erlebte und fühlte ich etwas wie Glaube und Hoffnung. (Kann man das religiös nennen?)“48 10 Das entsprach den kultursozialistischen Vorstellungen von Hendrik de Man.49 Fünfzig Jahre später, aus dem historischen Abstand heraus, hatte Gleisner offenbar Zweifel daran, wie weit solche Hoffnungen bei einer neuen Generation noch Verständnis finden konnten. Mußten sie jetzt nicht “schwülstig“, “primitiv oder lächerlich“ wirken?50 Gleisner drängte jedoch darauf, die Erfahrungen der Massenspiele im Gespräch einer jungen Generation zu vermitteln. Dazu kam es aufgrund seines Todes 1983 leider nicht mehr.51 Gleisners Arbeit in den Niederlanden und Belgien zeigte auch die internationale Dimension der neuen Festkultur.52 Die Schweizer Arbeiterbildungszentrale lud den Chorleiter Otto Zimmermann53 zu Kursen über den Sprechbewegungschor in die Schweiz ein, wohin er später emigrierte. In Österreich organisierte Rudolf von Laban Massenspiele, und 1931 sah man das Festspiel der Arbeiterolympiade in Wien. Auch in der dänischen Sozialdemokratie der dreißiger Jahre war die neue Festkultur bekannt.54 Das Vergessen, dem später Martin Gleisner anheimfiel, betraf also weit mehr als nur eine einzelne Person. Ein bedeutsames Stück linker Kultur geriet in Vergessenheit. Konfigurationen im Vergleich: Zeit, Raum, Energie... Die Massentheater der Sozialisten und der Nazibewegung existierten nicht berührungslos nebeneinander.55 Es gab gab personelle Übergänge von links her zum Thingspiel. 1930 empfahl die Zeitschrift “Jugend und Arbeitersport“ elf Autoren, deren Gedichte, Sprechchöre und Jugendspiele z.T. im sozialdemokratischen ArbeiterjugendVerlag erschienen waren.56 Nicht weniger als fünf davon wurden kurz danach auch von der NS-Kultur vereinnahmt oder wurden selbst aktive NS-Dichter. Werke der Arbeiterdichter Karl Bröger und Gerrit Engelke sowie des Reformpädagogen und Laienspielautors Martin Luserke erfuhren in der NS-Feierkultur Wertschätzung, und die Arbeiterdichter Max Barthel57 und Heinrich Lersch58 schrieben selbst Thingspiele. Von sozialdemokratischer Seite schätzte man auch Werke von Hermann Claudius59 und Kurt Heynicke; beide Autoren verfassten später NS-Thing- und Feierspiele. Es genügt nicht, solche Übergänge als opportunistischs Anpassung darzustellen, obwohl das für den einen oder anderen Autor zutreffen mag. Auch die These vom ‟Mißbrauch‟ durch die NS-Kulturpolitik greift zu kurz. Gefragt ist eine soziologische Deutung, die die unbequemen Querverbindungen und Konvergenzen zwischen den politischen Fronten ernstnimmt. Ein möglicher Weg ist es, solche Zusammenhänge historisch herzuleiten: Richard Wagners Gesamtkunstwerk bildete einen gemeinsamen Hintergrund, aus dem bürgerlichen Kunstverständnis des 19. Jahrhunderts heraus – und zugleich als dessen Überschreitung. Nach 1900 entfaltete sich dann eine breite Reformbewegung,60 die das Naturtheater und die Freiluftbühne brachte sowie die Jugendbewegung mit ihrem Laienspiel. Diese Tendenzen radikalisierten sich mit der Theaterreform von Emile Jaques-Dalcroze, Adolphe Appia und Max Reinhardt sowie mit der Revolution von 1918 und mündete ein in – unter anderem – die Tanzreform von Rudolph von Laban. Historische Herleitungen bleiben jedoch in der Regel allzu dicht am Ideengeschichtlichen und Ästhetischen und besagen recht wenig über das Spezifische der neuen Öffentlichkeitsformen in der Phase von 1900 bis in die dreißiger Jahre. Sie erklären insbesondere nicht den Abbruch von Prozessen, hier also das Ende der Massenspiele um 1936/37. Auch tragen sie wenig dazu bei zu verstehen, was das Fest für die sozialen und politischen Bewegungen bedeutete. 11 Hier ist eine vergleichende Perspektive angebracht.61 Sie macht einen epochalen Umbruch oder Innovationsschub in der Praxis des Theatralischen zu Beginn des Jahrhunderts deutlich. Die Aufgabe des Theaters war bis 1900 entweder, soziale und psychologische Wirklichkeit darzustellen (im realistischen und naturalistischen Theater) oder aber ideale menschliche Verhältnisse auf die Bühne zu bringen (im klassischen idealistischen Theater). In beiden Fällen handelte es sich um Repräsentationen, d.h. der Schauspieler agierte einen Text bzw. stellte eine Figur dar, die er nicht selbst war. Was in den Massenspielen, aber auch in populärkulturellen Schaustellungen wie dem Zirkus, dem Striptease und den Völkerzoos aufgeführt wurde, war etwas ganz anderes: Hier spielte der Darsteller auf eine neue Weise ‟sich selbst‟. Der Schauspieler verkörperte sich selbst, insofern er seine eigene Bewegungskunst (im Zirkus), seine eigene erotische Ausstrahlung (im Striptease) oder seine Exotik (in der Völkerschau)62 inszenierte – oder eben seine politische Bewegtheit.63 Das Verfahren solcher Inszenierung lässt sich im einzelnen an den Konfigurationen der Massenfeste ablesen. Die Konfigurationen des Fests sind die spezifischen Muster von Zeit, Raum und Atmosphäre, von sozialen Relationen und Vergegenständlichungen, in denen sich das Schauspiel entfaltet; über dieser Basis körperlicher Praxis bilden die Ideen und Organisationen eine Art Überbau.64 (1.) Das Massenspiel war geprägt von einer Zeitdynamik der Vorwärtsbewegung. Sie führte typisch vom ‟Dunkel‟ zum ‟Licht‟, von der Entfremdung zur Befreiung. Charakteristisch war der Dreischritt in Gleisners Magdeburger Festspiel 1929: Unter dem sprechenden Titel “Flammende Zeit“ führte es von der “Freude an der Natur“ über die “Gedrückte Arbeit“ zu “Bewußter Arbeit“ und “Kampf und Sieg“. Und im Festspiel von Antwerpen 1937 ging es unter dem ebenso dynamischen Titel “Unser die Zukunft“ vom Joch der Arbeit und des Faschismus über die Erhebung der Massen zur Schlußapotheose unter der roten Fahne. Das Fest schloß ab mit Lieder wie “Freude schöner Götterfunken“, “Brüder zur Sonne zur Freiheit“ und “... mit uns zieht die neue Zeit“, die Erwartung und Erweckung ausdrückten.65 Ein Dilemma der sozialdemokratischen Spiele lag allerdings darin, diesen Kulminationspunkt inhaltlich zu füllen. In der Mitte der zwanziger Jahre lag die Revolution gewissermaßen in der Vergangenheit. Die Erweckung behielt zwar ihren antikapitalistischen Grundton bei, wurde aber mehr und mehr abstrakt. Das Dilemma wiederholte sich in den NSThingspielen nach 1933 und im Stalinismus. Gleichlaufend mit der Mobilisierung auf ein Ziel hin waren Marsch und Rhythmus charakteristisch für die Dynamik der Festspiele. “Takt! Takt! Takt! Auf Takt habt acht! Der ist mehr als halbe Macht, Formt aus vielen Vielen einen, stärkt den Mut der schwachen Kleinen...“66 Hier war es der Rhythmus selbst, der die Identitätsbildung trug. In Takt und Gleichschritt wurden die einzelnen zur ‟Bewegung‟. Der Faschismus ebenso wie später auch der Stalinismus inszenierte das als Parade und Vorbeimarsch. Demgegenüber trat allerdings die charakteristisch orgasmische Fortschrittskonfiguration des Festspiels in den Hintergrund – und damit verschwand letztlich das Massenspiel selbst. (2.) Der Raum des Massenfests bildete sich im Kontrast zum Guckkasten der klassischen Bühne. Die Rampe, die im klassischen Theater den Zuschauer von den Akteuren trennte, wurde tendentiell aufgehoben und ein gemeinsamer Prozeß hergestellt. Dazu trugen typisch der Gemeinschaftsgesang und die abschließende gemeinsame Apotheose bei. 12 Bevorzugt wurden für diese Konstellation der Sportplatz und das Stadion: Die Massen sahen sich selbst ins Gesicht.67 (3.) Die Stimmung des Massenspiels war eine Energie oder Ausstrahlung, die allein über räumliche und zeitliche Kategorien nicht erfaßt werden kann. Deswegen ist sie analytisch schwerer greifbar und konnte im übrigen unterschiedlich erlebt und interpretiert werden. Oft wurde sie als rauschhaft und als Begeisterung beschrieben. Die Atmosphäre des Festspiels kam im Gemeinschaftsgesang zum Ausdruck, in Musik, Sprechchor und Sprechbewegungschor. Durch das Massenspiel geschah Gefühlsbildung.68 Diese Gefühle waren typisch von ‟religiöser‟ Ernsthaftigkeit. Das Massenspiel war kein Ort des Lachens. Insofern bildete es einen Kontrast zur satirischen Kleinform des Agitprop. Es gab zur gleichen Zeit auf der Linken jedoch noch eine weitere Form von Fest und Gelächter, die die karnevalistischen Zügen des Volksfests stärker zur Geltung kommen ließ. Ab 1938 veranstaltete man in Kopenhagen jährlich Fagenes Fest (“Fest der Berufe“) als ein Sportfest des dänischen Arbeitersports.69 Anregungen dazu kamen von vergleichbaren Wettläufen in Paris und in Berlin vor 1933. In Kopenhagen liefen Reinemachefrauen mit Eimern und Schrubbern um die Wette, Dienstmädchen mit Schürze und Geschirr auf dem Tablett, Kohlenträger mit Säcken auf dem Rücken und Töpfereiarbeiter mit Tellerstapeln auf dem Kopf. Schmiede warfen den Hammer, Zimmerer schleuderten schwere Balken und Maurer Mauersteine. Sozialistische Pfadfinder traten im Hindernislauf gegeneinander an, wobei sie um die Wette Sahnekuchen zu essen hatten. Der Höhepunkt war ein Tauziehen zwischen den Berufen, bei dessen Finale zur allgemeinen Belustigung der 15.000 Zuschauer die Kohlenschlepper über die Brauereiarbeiter siegten. Die Lachkultur dieses Fest bildete einen Kontrast zum disziplinären Modell gymnastisch-sportiver Art und stand für einen anderen Typus von (Bewegungs-)Politik.70 Das Stimmungselement des Gelächters kann man auch auf die Resistenz politischer Kultur gegen den Faschismus beziehen. In Dänemark rief das NS-faschistische Polittheater der Paraden, Uniformen, Führervorbeimärsche und Fahnenweihen eher ironische Reaktionen hervor. Sie trugen wesentlich dazu bei, dass der dänische Nazismus so gründlich scheiterte wie in kaum einem anderen Land – und zwar an seiner Lächerlichkeit.71 Das Verhältnis zwischen politischer Kultur und Lachen verspricht also Erkenntnisgewinn nicht nur für die Faschismusanalyse, sondern auch für die Analyse antifaschistischer Widerständigkeit. Alles in allem ist die Energie des Massenfestspiels nicht zuletzt wegen der identitätsbildenden Kraft des rauschhaften Ereignisses ernstzunehmen. Aber ihre Nachhaltigkeit erforderte eine eingehendere und kritische Untersuchung. ... Relationen, Verdinglichung und Überbau (4.) Zu den basalen Verhältnissen sozial-körperlicher Praxis gehören ferner die zwischenmenschlichen Relationen. Sie waren im Massenfest geprägt von der ‟Masse‟ als einem Kollektiv der vielen ‟einzelnen‟. Bewußt inszenierten die Spiele den “einheitlichen Menschenblock“.72 Obwohl diese Massenhaftigkeit immer wieder Gegenstand von Untersuchungen wurde, von Gustave Le Bons Massenpsychologie über Sigmund Freud73 bis zu Elias Canetti,74 war sie eine literarische Fiktion. Die Sozialpsychologie hat von der Dynamik der Gruppen her gegen den Massenbegriff wohlbegründete Einwände erhoben.75 Im Massenspiel wurde die ‟Masse‟ jedoch im Wechselspiel von Publikum und Schauspielern erfahrbar dargestellt. 13 Auf der Bühne des Massenspiels entsprach dem die Typisierung der Gestalten. Es agierten namenlose Figuren und Chöre. Sie setzten sich ab von der Individualisierung, die in der Tradition des bürgerlichen und psychologischen Theaters entwickelt worden war. Eingehendere Analyse verdiente das Verhältnis von Führer und Masse in den Festspielen. In den sozialdemokratischen Spielen gab es keine herausgehobenen Führergestalten, wohl aber ‟Führer‟ im Plural, zum Beispiel die “Weltverbesserer“ (Frankfurt 1925), die “Sturmtruppe“ (Nürnberg 1929) und die “Vorkämpfer“ (Frankfurt 1932). In den kommunistischen Chören wurde diese Avantgarderolle personalisiert, mit Bildern von Lenin, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, und 1930 wurde erstmals ein lebender Führer im Sprechchor gefeiert, Stalin. Das faschistische Thingspiel wies dem ‟Erwecker‟ eine wichtige Rolle zu, aber er trat mehr als eine mythische Gestalt auf die Bühne: Der “namenlose Soldat“ (1933), “der Volksgenosse“ (1934), der schwarze Ritter (1936) erschien als eine Art deus ex machina. Eigentümlich war dabei die Ambivalenz des Thingspiels zwischen der Inszenierung der Macht, der das Massenspiel im Sinne staatlicher Kulturpolitik dienen sollte, und der Revolte des Volks, die faktisch der Gegenstand der NS-Spiele war: Das Volk wurde gefeiert, das sich gegen die Macht erhob, gegen die Macht des Weimarer ‟Systems‟, des Kapitals, des Kaisers. Dieses Verhältnis zu Aufruhr und Widerstand enthielt trug möglicherweise dazu bei, daß die nazistische Kulturpolitik die Thingspielstrategie schließlich abbrach. Akteure und Publikum des Massenspiels waren zusammengefaßt in der übergreifenden Identität des “Wir“, in einer Anstrengung der Nostrifizierung. Hendrik de Mans Weihespiel von 1932 beschwor das “Wir! Wir! Wir!“ und verband dies mit der betonten Hinwendung zum einzelnen, zum “Du und du und du“.76 Das beschworene ‟Wir alle‟ konnte jedoch in unterschiedliche Richtungen weisen, je nachdem ob ‟der Arbeiter‟ als der internationale Arbeiter oder das ‟deutsche Volk‟ den Inhalt der Identität ausmachte. Zu den relationellen Eigentümlichkeiten gehörte nicht zuletzt das Ungleichgewicht in der Geschlechterbeziehung. Ob es um den internationalen Arbeiter, den deutschen Arbeiter oder das deutsche Volk ging, immer waren es im Grunde Männerthemen von Kampf und Arbeit, die inszeniert wurden. Frauenchöre brachten allenfalls Klagen vor und riefen die Männer zur Tat. Daran änderte auch nichts, daß bei der Abschlußapotheose einiger sozialistischer Festspiele die Freiheitsgöttin triumphierte. Die patriarchalische Einseitigkeit wurde jedoch möglicherweise unterlaufen von den Bewegungspraktiken, die auf den modernen Ausdruckstanz zurückführten – Laban, Mary Wigman, Palucca, Dorothee Günther, Gleisner, Jenny Gertz, Lea Daan ... Insofern mögen die Sprechbewegungschöre durch ihre Körperlichkeit hindurch etwas Geschlechtspolitisches erzählen – zum Beispiel über eventuelle Unterschiede zwischen dem mehr tanzbewegten Arbeiterweihespiel und dem mehr militärisch disziplinierten Thingspiel.77 (5.) Das Massenfest war insofern ein Produkt in der Produktionsgesellschaft, als es einem gewissen Zwang der Verdinglichung unterworfen war. Es mußte sich ‟objektiv‟ beweisen. Die Objektivierung des Massenfests orientierte sich zum einen an den großen Zahlen. An der Zahl der Akteure und den Massen der Zuschauer konnte der Erfolg gemessen werden. Während der Leistungssport seinen Erfolg über die großen Leistungen der Spitzenathleten definiert, herrschte im Massenspiel das Gesetz der großen Teilnehmerzahl. Zum anderen objektivierte das Massenfest sich als visuelle Größe. In Fotografien zeigte sich beeindruckend die Geometrie der Massen. Sie konnte allerdings in einen Konflikt geraten mit dem Prinzip der (Vorwärts-) Bewegung. Massengeometrie erschien als eine Art von Verfestigung oder Kristallisierung der Bewegung. 14 Und tatsächlich entfalteten sich gleichzeitig mit den Massenfesten der politischen Bewegungen die Menschenornamente der kommerziellen Revue.78 Insofern wiesen die choreographischen Inszenierungen der Massenspiele auf eine kommende Medienwelt voraus, in der Menschen im Interesse der Unterhaltungsindustrie ornamental inszeniert werden. (6.) Über diesen basalen Merkmalen von körperlicher Praxis – Zeit, Raum, Stimmung, Relationen, Objektivierungen – entstand der Überbau von Ideen und Organisation des Fests. Hier gaben die Ideologien unterschiedliche Richtung vor, wofür und wogegen das beschworene Volk antreten sollte. Typisch für die Massenspiele war der ‟Kampf‟, der sich in antagonistischen Widersprüchen Ausdruck verschaffte. Das Tribunal des Thingspiels von 1936 war dafür eine charakteristische Form. Aber “die großen Antithesen“ des Arbeitermassenspiels von Wien 1931 und der “Hauptwiderspruch“ im Störtebekerspiel der DDR 1959 ließen entsprechende Muster erkennen. Wo es in dem einen Fall gegen das Kapital, gegen Faschismus und Krieg ging, ging es im anderen Fall gegen den ‟Geist von Weimar‟ und gegen die ‟volksfeindliche Macht‟. Mit Blick auf den Antagonismus ist es überraschend, wie wenig das faschistische Thingspiel sich auf das Judentum bezog. Während die ‟Judenfrage‟ als Feindbild im Rechtsextremismus der Weimarer Zeit und im Nazismus eine zentrale Rolle spielte, war sie im Thingspiel marginal79 oder gänzlich abwesend. Die Stoßrichtung gegen die Macht und gegen das Kapital machte das Thingspiel anschlußfähig für einige Sozialdemokraten. Die konfigurationsanalytische Skizze liefert einen Rahmen für eine Analyse, die näher an die politische Körperlichkeit der Menschen heranführt.80 Formierte Öffentlichkeit und zivilgesellschaftliche Praxis Vergleicht man die Arbeitermassenspiele der 1920/30er Jahre mit den Thingspielen von 1933-36, so zeigen sich übergreifende Muster, die eine zusammenhängende gesellschaftliche Deutung erforderlich machen. Gefordert ist ein komparatives Herangehen, das nicht nur die Arbeiterkultur für sich und Nazistaat für sich betrachtet. Es geht aber auch um mehr denn ein nur instrumentelles Verständnis der Spiele im Sinne der Totalitarismustheorie, die ‟von oben her‟ nur Machttechniken und deren Einwirken auf die Bevölkerung sieht. Nicht einmal das nazistische Thingspiel war als “Inszenierung der Macht“ oder “Mittel politischer Propaganda“ hinreichend beschrieben. Konfigural stand es in mancher Beziehung dem sozialdemokratischen Massenspiel nahe, und zwar näher als dem kommunistischen Agitationstheater. Es läßt sich darum auch nicht als Ausdruck jenes ‟Totalitarismus‟ deuten, unter dem man versucht hat, Nazismus und Kommunismus auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Aber es geht auch um mehr denn nur literarische oder ästhetische Analyse in einem Zwischenfeld zwischen den herrschenden Stilarten – Expressionismus, Neue Sachlichkeit und Neuklassizismus. Die Forschung hat die Thingspiele oft als kurios, anachronistisch und ästhetisch minderwertig bewertet und auf ihre “dubiosen politischen Funktionen“ hingewiesen. Das offenbarte eher eine analytische Ratlosigkeit.81 Zumal auch den sozialistischen Massenspielen mit den Mitteln bürgerlicher Qualitätskritik kaum näherzukommen ist. Der Deutungsbedarf richtet sich vielmehr auf soziologische Zusammenhänge zwischen ‟neuer Festkultur‟ und politischer ‟Bewegung‟. Und auf das Verschwinden dieser spezifischen Zusammenhänge nach 1945. Der dabei zu verwendende Politikbegriff bestimmt sich nicht primär von der staatlich-administrativen Struktur her (polity) und auch nicht von staatlich-öffentlichen 15 Entscheidungsprozessen (policy). Sondern Politik ist hier das widersprüchliche Spiel und Verhältnis sozialer Bewegungen (politics). Politik ist nicht zuletzt der Zusammenstoss sozialer Bewegungen im Raum der Öffentlichkeit und der Zivilgesellschaft. Ein Ansatz, der hier fruchtbar sein kann, ist derjenige vom Öffentlichkeitsbegriff her.82 In der Zwischenkriegszeit ging nämlich ein folgenreicher Wandel der Lebenswelten vor sich, der von einer bürgerlichen zu einer formierten Öffentlichkeit führte. Wo vorher Verein, Wirtshaus, Zeitung und Guckkastenbühne das Bild bestimmt hatten, sah man nun Kampfbünde mit ihren Uniformen und Symbolen, das Lager, den Aufmarsch und das Massenspiel. Die formierte Öffentlichkeit wurde dann später, spätestens nach 1945, von einer medienkulturellen Öffentlichkeit abgelöst (oder überlagert). Nun war das Bild bestimmt von Film und Fernsehen, Reklame und Automobil – jenen Medien der Reproduktion, von denen einst Walter Benjamin gesprochen hatte.83 Was hier vor sich ging, war jedoch mehr als nur ein medientechnischer Wandel. Der Öffentlichkeitsbegriff hat Berührungsflächen mit dem Begriff der Zivilgesellschaft.84 Mit den Öffentlichkeitsformen wird eine Dimension politischer Inszenierung erfasst, die nicht einfach ‟von oben her‟ mobilisiert, sondern von von sozialen Bewegungen und ‟breiten Volksmassen‟ getragen wurde. Damit befindet man sich in einem gesellschaftlichen Feld, das nicht mit dem staatlich-öffentlichen Bereich identisch ist – und auch nicht mit dem Markt. Auch dort, wo die politische Theatralisierung, zum Beispiel vom faschistischen Staat her, von oben her lanciert wurde, setzte sie zumindest ein Mitwirken von unten voraus. Ein solches Mitwirken war keineswegs auf ‟totalitärem‟ Wege einfach zu dekretieren. Das zeigte sich im NS-Staat, als nach 1936 die Thingspielbewegung abgeblasen wurde, und in der DDR der fünfziger Jahre, als man vergeblich das Massenspiel wiederzubeleben versuchte. Die kulturelle Strategie von oben her konnte also scheitern. Mit anderen Worten, es stellt sich die fatale Frage nach dem zivilgesellschaftlicher Nazismus. Der historische Faschismus ist nicht nur als eine Technik zur Bewahrung von Macht ernstzunehmen, sondern zunächst als eine Bewegung unter anderen konkurrierenden Bewegungen im Raum der zivilen Öffentlichkeit. Fest und Erweckungsbewegung Damit sind wir beim Bewegungsbegriff. In den Stadien und auf den Freilichtbühnen trafen sich nicht nur Parteien und Organisationen, sondern ‟Bewegungen‟. Der Begriff der Bewegung wird allzu oft naiv verwandt. Zu fragen ist, wie die körperliche Bewegung, von der sich der metaphorische Terminus herleitet, mit sozialer und politischer Bewegung zusammenspielte.85 Die Erforschung sozialer Bewegungen, wie sie die gegenwärtige Politologie und Soziologie beherrscht, ist von auffälliger Unkörperlichkeit. Oft geht man systemisch von außen her an den Stoff heran, sei es in der amerikanischen Tradition des Funktionalismus oder in der europäischen Tradition der Klassenanalyse und der Modernisierungstheorie.86 Bewegung – im Kontrast zu Interessenorganisation, Partei, Kirche und Unternehmen – bestimmt sich jedoch von einer subjektiven Betroffenheit her, die mit körperlicher Praxis zusammenspielt. Zu einer sozialen Bewegung zu gehören bedeutet, selbst in Bewegung zu sein. Von daher gesehen wird das Fest als Indikator für Bewegungen bedeutsam – hier also das Massenfestspiel als eine Sonderform sozialer Bewegungen der Zwischenkriegszeit. Ein anderer Indikator wäre Gesang und Musik als kollektive Rhythmisierungen sozialer Bewegungen. Die Sprechchöre der zwanziger Jahre lassen sich auf die Formel bringen: “Wir sind das Volk!“87 – und das war nicht nur eine literarische Formel, sondern eine Bewegungsbeschreibung: Wir sind in Bewegung! 16 Sensible intellektuelle Beobachter ihrer Zeit haben die in den Bewegungen liegende Körperlichkeit bisweilen scharfsinnig erkannt – und sie doch sehr unterschiedlich beschrieben, teils von außen und teils von innen her. Für den ersteren Zugang steht Walter Benjamin, für den letzteren Georges Bataille. Walter Benjamin sah die Massenbewegungen von außen her in ihrem grundlegenden Zusammenhang mit den Technologien der Reproduzierbarkeit. Die Reproduktion zerstört die Aura, die einmalige und besondere Ausstrahlung, des Kunstwerks – und nicht nur des Kunstwerks. “In den großen Festaufzügen, den Monstreversammlungen, in den Massenveranstaltungen sportlicher Art und im Krieg, die heute sämtlich der Aufnahmeapparatur zugeführt werden, sieht die Masse sich selbst ins Gesicht. Massenbewegungen stellen sich im allgemeinen der Apparatur deutlicher dar als dem Blick (...) Das heißt, daß Massenbewegungen eine der Apparatur besonders entgegenkommende Form des menschlichen Verhaltens darstellen.“ 88 Das war zutreffend beobachtet, aber es traf doch nicht ganz die Dialektik des Prozesses, wie sie sich im Fortgang der Dinge klarer zeigte. Die neuen Technologien wiesen gerade über die Konfiguration der formierten Gesellschaft hinaus und lösten die ‟Masse‟ wieder auf. Zunächst in die Kleingruppen, die sich im Wohnzimmer vor dem Volksempfänger oder dem Fernsehschirm versammelten, dann in die ‟Individuen‟ am Steuer und am Computerschirm. Die Technologien der Reproduktion begünstigten eben nicht nur die Massenspiele, wo sie im übrigen ganz neue Formen der Aurabildung unterstützten, die sich Benjamins Blick noch entzogen.89 Sie beförderten auch das Verschwinden der Massenspiele. Georges Bataille näherte hingegen sich der Massenbewegung mehr von innen her. Im gleichen Jahr wie Benjamin beschrieb Bataille aus der subjektiven Sicht des Teilnehmers die “Volksfront auf der Straße”: “Genossen, die Volksfront ist am 12. Februar 1934 auf dem Cours de Vincennes geboren worden, als die Massen der Arbeiter sich zum ersten Male versammelten um die Stärke ihrer Opposition gegen den Faschismus zu demonstrieren. Die meisten von uns, Genossen, waren an diesem Tage auf der Straße und erinnern sich an die Gefühle, die uns überkamen, als die kommunistischen Marschkolonnen, aus der Rue des Pyrénées kommend, in den Cours de Vincennes einschwenkten und die ganze Breite der Straße einnahmen. Vor dieser massiven Gruppe schritt eine Linie von einhundert Arbeitern, Schulter and Schulter und Arm in Arm, in beispielloser Langsamkeit marschierend, und sang die Internationale. Viel von uns können sich sicherlich an den riesigen alten kahlköpfigen Arbeiter erinnern, der, mit gerõtetem Gesicht und herabhängendem weißen Schnurrbart, langsam, Schritt für Schritt, vor dieser bewegten Menschenmauer voranschritt und eine rote Fahne hochhielt.“ Hier sind alle Elemente beieinander: die Massen, die Vorwärtsbewegung auf der Straße, der Gesang, die Fahne, die Emotion, die Erweckung. Soziale Bewegung entstand aus körperlicher Bewegung und Gefühlsbewegung: Wir sind das Volk – wir sind die Volksfront! Das richtete sich durchaus kritisch gegen die sozialdemokratischen und kommunistischen Führer der Volksfront und deren allzu theoretische und defensiv anti-faschistischen Programme. “Schlecht durchdachte politische Ideen haben diese Menschen in Bewegung gebracht, aber die Volksfront hängt nicht davon ab, dass ihre Gründer wirklich für ihre Ziele arbeiten wollen. Die Volksfront ist vor allem anderen nun eine Bewegung, eine Agitation, ein Schmelztiegel, in dem die früher getrennten politischen Kräfte sich mischen in einem oft tumultuösen Aufbrausen.” 90 17 Das war scharf beobachtet, und doch verlief auch hier die Zukunft anders als gedacht. Nicht das erweckte und bewegte Volk der Volksfront triumphierte, sondern Faschismus und Krieg. Ausblick: Fremdwerden und Innovation Wie auch immer, in den Massenspielen zeigten sich zwei gegenläufige Erweckungsbewegungen der Zwischenkriegszeit, die sozialistische und die faschistische.91 Beide richteten sich gegen bestehende Machtverhältnisse und Kapitallogiken und brachten Entfremdungserfahrungen zum Ausdruck. Auch der Faschismus ist, wo er Massenanhang gewann, als Erweckungsbewegung ernstnehmen. Erst von diesem Ansatz her wird es möglich, die traumatisierende Wirkung des faschistischen Zusammenbruchs in Deutschland zu verstehen. Seine Verbrechen waren mehr als der Kollaps eines Regimes, sie betrafen menschliche Subjektivität. Menschen sahen ihre Hoffnungen und Erwartungen zusammenbrechen, und sie mußten diese von nun an vor anderen und vor sich selbst verschweigen. Das Scheitern einer Erweckungsbewegung erklärt, warum zwölf Jahre so nachhaltige Nachwirkungen durch mehrere deutsche Generationen hindurch haben konnten. Allerdings hatte auch die gleichzeitige sozialistischen Bewegung ein Trauma zu verarbeiten, ihre Niederlage gegen den Faschismus. Im einzelnen erzählt das historische Material von inneren Widersprüchen und von der Veränderung. Innere Widersprüche: Fest und Bewegung entfalteten sich zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft und waren von deren Spannungsverhältnis geprägt. Die Volksund Massen- als Erweckungsbewegungen kristallisierten sich schließlich zur faschistischen Staatsparade einerseits und zur kommerziellen Show des Markts andererseits, mit dem der Olympismus später verschmolz. Die historischen Widersprüche der Massenspiele bilden einen Hintergrund und können Anstöße geben, Massenfestformen der Gegenwart sensibler zu analysieren, von den Olympischen Spielen und der wachsenden Popularität des Cheerleading bis zum Popsong-Wettkampf des Eurovision Grand Prix.92 Die Veränderung: Wenn die Verhaltensmuster der formierten Öffentlichkeit im gegenwärtigen Beobachter den Eindruck von Fremdheit hervorrufen, so macht das die historische Veränderlichkeit sozialen Verhaltens sichtbar. Die Einsicht in solche Veränderlichkeit macht sensibel für die Erwartung, dass auch die Zukunft Veränderungen des Verhaltens mit sich bringen wird. Nach 1945 wurde mit der ‟skeptischen Generation‟ die Zeit der Bewegungen und der Massenspiele totgesagt. Von nun an ging es der Jugend, wie es hieß, um nüchterne Arbeit und selbstbescheidende Familiengründung, um die Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik und um die Qualifizierung des Konsums. In diese beschauliche Welt brach entgegen den Vorhersagen, aber präfiguriert von den ersten Rock‟n‟Roll-Unruhen, das Jahr 1968. Es brachte eine neue Welle von Massenbewegungen und Gefühlsbewegungen. Mit Sit-ins und Massendemonstrationen, mit Straßentheater, Happening und Living Theatre, mit Woodstock und anderen Rockfestivals zeichneten sich neue Öffentlichkeitsformen ab – und neue Formen von Betroffenheit. Nach 1989 nahm der Prozeß in Osteuropa neue Formen an. Dort entstanden neue Sport-Festkulturen als ein überraschender Ausdruck neuer demokratischer und nationaler Bewegungen.93 In andere Richtungen weisen das Fest in neuen Jugendkulturen (Love parade) und in der marktinduzierten Eventkultur.94 Aber damit sind wir aus dem Bereich der ‟politischen‟ Inszenierung hinaus – oder vielleicht auch nicht? Was sich in stets neuen Mustern wiederholt, ist Praxis der ‟einzelnen‟ als ‟wir‟. Auf die neoliberale Individualisierung folgten die Aufruhrsbewegungen gegen die kapitalistische Globalisierung. Neue People’s Movements sehen den Tag und begegnen 18 einander weltweit auf den Straßen des Protests und im Fest des Social Forum. Die Massenspiele der zwanziger Jahre gehören der Vergangenheit an, neue Konfigurationen sind zu erwarten. Literatur Alkemeyer, Thomas 1988: Gewalt und Opfer im Ritual der Olympischen Spiele 1936. In: Gunter Gebauer: Körper- und Einbildungskraft. Inszenierungen des Helden im Sport. Berlin, 44-79. - 1996: Körper, Kult und Politik. Von der „Muskelreligion“ Pierre de Coubertins zur Inszenierung von Macht in den Olympischen Spielen von 1936. Frankfurt/M.: Campus. Bataille, Georges 1985: Visions of Excess. Selected Writings 1927-1939. Manchester: Manchester University Press. Becks, Ch. 1937: “Le ‟Jeu des Fêtes‟ fut une belle et parfaite reussite.“ In: Le Peuple, Bruxelles, 3. August. 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Dichter an die Bewegungspraxis heran – Fest und Feier, Liedkultur, Sprech- und Bewegungschor, Marsch und Schalmeienmusik etc. – kamen dann die ArbeiterkulturStudien im Umkreis des Fritz-Hüser-Instituts für Arbeiterliteratur in Dortmund: Hornauer 1985, Noltenius 1992, Hinze 2003. 6 Zu einigen dieser Verbände siehe: Walter/Deneke/Regin 1991. Zum Roten Frontkämpferbund, aus einseitig sozialdemokratischer Sicht: Hinze 2003. 7 Hornauer 1985, Korff 1986, Noltenius 1992, Künzli 2001 und Hinze 2003. Hinzes Arbeit über den RFB belegt den praktischen Militarismus des kommunistischen RFB, vernachlässigt jedoch den Aspekt der sozialen Bewegung. 8 Zum folgenden mit Literaturnachweisen: Eichberg 1977: 71-102. 9 Pfützner 1960; Hoffmann/Hoffmann-Ostwald 1973, 1: 85-96; Eichberg 1977: 73-78. 10 Fischer-Lichte 2005: 97-121. Zu den frühesten Manifestationen dieses neuen politischen Theater gehörte The Paterson Strike Pageant, das 1913 von der radikalen amerikanischen Gewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW) in der Arena des Madison Garden Square in New York aufgeführt wurde. Über 1000 Teilnehmer inszenierten vor 15.000 Zuschauern Szenen aus einem Streik, der einige Monate vorher zu blutigen Zusammenstößen zwischen Fabrikarbeitern und der Polizei sowie den Privattruppen von Unternehmern in Paterson, New Jersey, geführt hatte; Fischer-Lichte 2005: 93-95. 11 Johannes R. Becher entwarf 1919 ein Festspiel “Arbeiter – Bauern – Soldaten. Der Aufbruch eines Volkes zu Gott“. 12 “Spartakus“ 1920, “Der arme Konrad“ 1921, “Bilder aus der französischen Revolution“ von Toller 1922, “Krieg und Frieden“ von Toller 1923 und “Erwachen“ von Toller und Adolf Winds 1924. 13 “Die Befreiung. 16 Bilder aus dem Leben der deutschen und russischen Frauen 1914-1920“, 1925, und “Leuna 1921. Drama der Tatsachen“, 1927. Zu erwähnen ist auch “Die Toten rufen“, Sprechchor zum Gedenken an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. 14 Abgedruckt bei Hoffmann/Hoffmann-Ostwald 1973, siehe auch Eichberg 1977: 79-86. 15 Stefan Priarcel in Les Nouvelles Littéraires, zitiert bei: Hoffmann/Hoffmann-Ostwald 1973, 2: 196. 16 Hendrik de Man, geboren 1885, war ab 1902 aktiv in der belgischen anarchistischen und marxistischen Arbeiterjugend und nahm dann führende Positionen in der Sozialistischen Partei Belgiens und in internationalen Organisationen der Sozialdemokratie ein. 1932 war er Dozent an der Akademie der Arbeit in Frankfurt/Main und Professor der Psychologie an der Universität Frankfurt. In dieser Zeit wurde er namhaft durch seine “Psychologie des Sozialismus“ und durch “kultursozialistische“ Reformbemühungen, zu denen das Massenspiel gehörte. Ab 1936 Finanzminister in Belgien und 1939 Vorsitzender der Parti Ouvrier Belge, wandte er sich einem nichtmarxistischen “autoritären Sozialismus“ und Planisme zu und geriet unter der deutschen Besetzung Belgiens in den Verdacht der Kollaboration, bevor er 1941 nach Haute-Savoie und dann in die Schweiz emigrierte. 17 Programmschrift: Franken 1930. 18 Otto Zimmermann arbeitete an der Bundesschule der Arbeitersportler in Leipzig und propagierte die Chorbewegung insbesondere in Artikeln der Arbeiter-Turn-Zeitung 1930-32. Siehe auch Zimmermann 1930. 19 Zitate aus der ATZ und aus der Erinnerungsschrift der Arbeiterolympiade in Eichberg 1977: 87-89. 20 Arbeiter-Turn-Zeitung, 39 (1931)183. 21 “Kreuzzug der Maschine“ von Arthur Wolff, 1930; “Das Weltenrad sind wir“ von Alfred Auerbach, 1931; “Rotes Lied“ von Martin Gleisner, 1931; “Der grüne Tisch“, pazifistisches Tanzspiel von Kurt Jooß, das beim internationalen Tanzwettbewerb in Paris 1932 den ersten Preis erhielt; Chorwerke “Die Eiserne Front“ und “Die Eiserne Schmiede“; “Wir Proleten – Eine Revue von Arbeit und Kampf“ beim Bezirksjugendtreffen des Arbeitersports in Wolfshagen 1932; “Kampf der Kolonnen“ zum Frankfurter Hallensportfest der Arbeitersportler 1932, “Die Welt übersonnt!“ von Otto Zimmermann zum Reichsarbeitersporttag 1932. 22 Man 1932, Vorwort S. 3. 23 Eine Untersuchung von Religionsvorstellungen unter Arbeitern in den zwanziger Jahren ergab, daß eine große Zahl den Sozialismus als Religion angab: Piechowski 1927. 24 Zum weiteren Horizont: Mosse 1976. 25 Eichberg 1977: 98. 26 Lurz 1975, Eichberg 1977, Stommer 1985, Reichl 1988, Koch 2000, Ketelsen 2004. 27 Ausführlich und nuanciert wird diese Gründungsphase in der Dissertation von Stommer 1985: 23-29 beschrieben. 2 23 Daraus wird auch einsichtig, warum es sich bei diesem Prozess nicht nur um NS-staatliche Machtpolitik, Organisationsbildung und totalitäre Institutionalisierung handelte, sondern um eine ‟Bewegung‟. Stommer nannte seinen Gegenstand “Thing-Bewegung“. Eine Auseinandersetzung mit der totalitarismustheoretischen top-down Deutung des Phänomens findet sich bei Stommer 1985: 160-164. 28 Grunberger 1972: 375. 29 Über diese Konkurrenzverhältnisse: Stommer 1985: 88-97 und 115-121. 30 Die Gründe für diesen Abbruch sind im einzelnen diskutiert bei Eichberg 1977: 35-39. Mehr in den administrativen Details und inneren Widersprüchen rekonstruierte Stommer 1985: 147-154 die Phase ab 1937. 31 Zum olympischen Ritual im übrigen: Alkemeyer 1988 und 1996. 32 Becks 1937. Siehe auch die französisch- und flämischsprachigen Programme von Nobels (1937) und Gleisner 1937. 33 Eine lebendige – und ritualisierte – Beschreibung aus Rot-Sport, 1931, zitiert Gounot 2002: 117-118. 34 Segal 1977, Lane 1981, Danó/Roubal 2001. 35 Pfützner 1960: 31-33. 36 Hier wäre auch an Bertolt Brechts “Herrnburger Bericht“, 1951, und an Hedda Zinners “Ravensbrücker Ballade“, 1961, zu denken. 37 Nachdem 1977 meine erste Studie Massenspiele erschienen war, schrieb mir Martin Gleisner, der damals, 81 Jahre alt, in den USA lebte. Gleisner, drückte darin sein Interesse an der Untersuchung aus, bemängelte jedoch zutreffend, daß diese zu einseitig auf die Massenspiele der Arbeitersportler gerichtet sei. “Die mindestens ebenso wichtigen Chöre und großen Feste der SAJ, der SPD und anderer Arbeiterkulturorganisationen“ verdienten größere Beachtung. Hierzu und zum folgenden: Briefwechsel Martin Gleisners mit dem Verfasser 1979-83. 38 9.3.1979. “Jenny Gertz und ich waren enge Freunde und Kollegen. Wir hatten oft Treffen zwischen ihrem Chor aus Halle und meinem aus Jena. Der Parteiunterschied war für uns beide kein Problem. Sie finden Jenny‟s Bilder aus ihrer Spezialisation Kinderarbeit in meinem Buch“ (26.5.1979). 39 Abgebildet auf dem Buchumschlag von Franken 1930, zweites Bild von unten. 40 1929 oder 1930, für und mit der SAJ. 41 Kretzen 1929. Siehe oben. 42 Gleisner 1931 a und b sowie Pringsheim 1931. 43 Gleisner 1928. “Heute finde ich es sehr ‟dated‟. (Es) galt als programmatisch für die Bewegungschorarbeit des Labankreises. Ich schrieb es, bevor ich in die Parteiarbeit hineinwuchs“ (9.3.1979). 44 Gleisner 1932. 45 Unter anderem 1934 (?) zum Fest der Arbeiterradio-Station in Hilversen (VARA) und 1935 zur Maifeier im (Ost-?) Stadion von Amsterdam, mit 150 “Roten Falken“ von der Arbeiders Jeugd Centrale. Ein Heft des niederländischen Sozialisten Koos Vorrink, Feestcultuur, Amsterdam 1935, enthielt Bilder von Gleisners Inszenierungen. 46 Vos 2005: 52-53. 47 “Es war die Gegenolympiade zu Hitler‟s in 36 und wohl das letzte große Chorspiel, bevor der Krieg alles zerstörte. Dabei ist noch eine Ironie: 1931 nach meinem ‟Rotes Lied‟-Festspiel für das Jubiläum des Arbeiter-Sänger-Bundes ließ der Reichskunstwart (Edwin) Redslob bei mir anfragen, ob ich daran interessiert wäre, das Festspiel für 1936 im Stadium zu entwerfen und zu leiten. Daher las ich sehr interessiert in Ihrem Buch den Bericht über Diems Spiel, der ja seinen Mantel nach jedem Wind drehen konnte“ (28.6.1979). 48 10.8.1980. 49 ”De Man war natürlich in der Linie (...) Mehr noch als in Deutschland, nach 1933 in der holländischen ‟Partij van de Arbeid‟. Aber durch sein Verhalten während der deutschen Herrschaft in Belgien hat er für uns viel von seiner Glaubwürdigkeit verloren. – Im Gegensatz zu Koos Vorrink, dem holländischen Sozialisten, der den Nazis entgegentrat und dafür ins KZ kam. Der war De Man‟s Freund, persönlich und in der Ideologie, aber mit standhaftem sozialistischem Charakter. Übrigens, wie Sie sehen, hat seine (De Man‟s) Schwester Yvonne meinen Text zu ‟Aan ons de Toekomst‟ ins Flämische übersetzt“ (10.8.1980). 50 28.6.1979 und 29.6.1980. 51 Am 13.1.1983 teilte Gleisner mit, “daß ich in meinen alten Tagen noch einmal nach Berlin zurückgezogen bin und hier zu bleiben beabsichtige“ – 50 Jahre nach der nazistischen Vertreibung. Thomas Alkemeyer, Student der Sportwissenschaft in Berlin, wollte ihn interviewen. Einen Tag vor dem vereinbarten Gespräch starb Gleisner Mitte November 1983 in Berlin. 52 In Flandern wurde die neue Tanz- und Körperkultur sowohl auf sozialistischer als auch auf katholischer und flämisch-nationalistischer Seite weiterentwickelt, siehe Vos 2005. Vos erwähnt auch Gleisners niederländisches Werk. 53 Gleisner erinnerte sich an Zimmermanns Spiele: Sie waren “meinen ziemlich ähnlich, vielleicht technisch mehr ausgefeilt, aber (auch wieder nur ‟Glauben‟ von Erinnerung) seine hatten mehr Einzelpersonen und mehr Materialismus, während meine mehr und mehr nur chorische Gruppen und Symbolhandlungen hatten“ (26.5.1979). 54 Bomholt 1932, Christiansen 1932 und 1938. Julius Bomholt wurde später der erste dänische Kulturminister. 55 Eine eingehendere Analyse verdiente ein dritter Komplex von Massenspielen, der katholische. Hier konnte man sich auf die Praxis der Massenprozessionen, auf die mittelalterlichen Volksspiele und auf die neuere katholische 24 Laienspielbewegung rückbeziehen. Gleisner: “Interessant waren im Rheinland die großen Tanzfestspiele mit hunderten von katholischen ‟Gralsmädchen‟ (inspiriert von den holländischen ‟Graalmeisjes‟), der großen katholischen Mädchenorganisation. Darüber müßten Sie in Pater Muckermanns Schriften was finden“ (26.5.1979). Einzelheiten für Flandern auch bei Vos 2005. 56 Hamü: “Unsere Feste und Feiern.“ In: Jugend- und Arbeitersport, 6 (1930) 42. 57 “Licht- und Schattenspiele“, Jugendspiel im Arbeiterjugend-Verlag. Dann “Das Spiel vom deutschen Arbeitsmann“, Thingspiel. Zu Barthel auch Hinze 2003: 259-260. 58 “Stern und Amboß“, Gedichtband im Arbeiterjugend-Verlag. Dann “Werdendes Volk“, Thingwerk 1935. 59 “Licht“, Sonnenwendspiel, empfohlen in Jugend und Arbeitersport, 1925, sowie "Seid gegrüßt!" und "Kommt!" Sprechchorspiele für Jugendweihen 1929. Dann nach 1933 mehrere Sprechchor- und Feierspiele. 60 Wedemeyer-Kolwe 2004. 61 Vergleichende Versuche in diesem Feld sind bislang selten und neuesten Datums. Über Massentheater: Eichberg 1977, Koch 2000 und Fischer-Lichte 2005. Über den Sprechchor: Künzli 2001. Über die Schalmei: Hinze 2003. Über Körperbild und Körperkultur: Hoberman 1984. 62 Dazu eine neue Fallstudie: Brownell 2007. 63 Fischer-Lichte 2005: 13-21. 64 Der Konfigurationsbegriff wurde in Anknüpfung an den kulturanthropologischen Gestaltbegriff bei Ruth Benedict, an den soziologischen Figurationsbegriffs bei Norbert Elias und an die epistemologische configuration bei Michel Foucault entwickelt. Dazu: Eichberg 2001. Eine dänische Fallstudie von konfigurationaler Festanalyse: Eichberg/Madsen 2006. 65 Diese Zeitdynamik hatte eine gewisse Analogie zum Happy End in der Populärkultur – und zum Orgasmus. Dem wäre im einzelnen nachzugehen. 66 Arbeitermarsch von Bjørnstjerne Bjørnson, im Sprechchor “Chor der Arbeit“ von Gustav von Wangenheim 1923. 67 Verspohl 1976. 68 Einen Versuch, das Atmosphärische des Massentheaters von Max Reinhardt 1903-1922 einzufangen, unternahm Fischer-Lichte 2005: 52-68. Ein theoretisch orientierter Versuch zur Energie und Atmosphäre in kulturellen Events: Eichberg 2007. 69 Hansen 1993. 70 Später verstärkten sich die sportiven Züge des Festes, und während des Zweiten Weltkriegs, unter deutscher Besetzung, entwickelte sich Fagenes Fest zu einer Demonstration national-dänischer Zusammengehörigkeit. 71 Lauridsen 1994. 72 Wie oben zitiert nach Kretzen 1929. 73 Le Bon: Psychologie des foules, 1895. Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse, 1921. 74 Canetti: Masse und Macht, 1960. Der Verfasser bearbeitete diesen Stoff ab 1925, nachdem er 1922 vom Erlebnis einer Massendemonstration gegen die Ermordung von Walther Rathenau beeindruckt worden war. 1927 beunruhigte ihn dann nachhaltig der Massenaufruhr östereichischer Arbeiter gegen die Klassenjustiz, bei dem der Wiener Justizpalast in Flammen aufging. 75 Hofstätter 1957. 76 Martin Buber (1923) hatte zuvor die Bedeutung des Du für die existenzielle Philosophie entdeckt. 77 Einen Brückenschlag zwischen dem Ausdruckstanz und der auf die “Volksgemeinschaft“ bezogenen Aufgabe, “zu denen unser Führer in unverrückbarer Klarheit uns die Wege weist“, versuchte Laban 1934: 7. Kurz danach emigrierte er nach England. – Auf der anderen Seite bezog die Marsch-, Lied- und Bewegungspraxis des Roten Frontkämpferbunds wichtige Impulse und Materialen aus der Frontsoldatenkultur, wie Hinze 2003 gezeigt hat; das Bild der kommunistischen Bewegungskultur verzerrt sich jedoch, wenn die militaristische Komponente gegenüber expressionistischen Dimension von sozialer Bewegung überbetont wird und damit die Erweckungsbewegung aus dem Blick gerät. 78 Kloos/Reuter 1980. 79 Indirekt kann man den “bösen Geist“ in Euringers Thingspiel von 1933 als antisemitisch interpretieren. Er hatte aber unmittelbar eher Züge der antikapitalistischen und der Großstadtkritik. 80 Zum politischen Körper siehe Theweleit 1977, Hoberman 1984 und McDonald 2006. 81 Kritik an der Ratlosigkeit der Forschung: Ketelsen 2004. 82 Eichberg 1989. 83 Benjamin 1936. 84 Eichberg 2004. 85 Eichberg 1977: 126-30 und 2004: 121-129. 86 Raschke 1985, della Porta/Diani 1999, Snow 2004. 87 Künzli 2001. 88 Benjamin 1963: 48-51, 63. 89 Im Sinne der benjaminschen Aura kann verstanden werden, was oben als ‟Energie‟, ‟Stimmung‟ und ‟Atmosphäre‟ 25 beschrieben wurde. 90 Bataille 1985: 161-168. Zuerst in: Cahiers de Contre-Attaque, 1 (May 1936), Nachdruck in: Oeuvres completes, 1970, 1: 402-412. 91 Diese Bewegungsdynamik hat Ernst Nolte in seinen Studien Die faschistischen Bewegungen (1977), Der europäische Bürgerkrieg 1917–1945: Nationalsozialismus und Bolschewismus (1987) und Nietzsche und der Nietzscheanismus (1990) durchaus erkannt. Er hat jedoch mit seiner Zuschreibung des Terrors nach ‟links‟ das Bild grundlegend verzerrt. Nolte scheiterte darüberhinaus an dem Versuch, die Bewegungen ideengeschichtlich herzuleiten: von Marx einerseits und Nietzsche andererseits. Was in den Bewegungen der Zwischenkriegszeit geschah, war nicht angelesene Philosophie, sondern gesellschaftliche Praxis. Es ist daher soziologisch zu analysieren. 92 Das läßt sich unter anderem an der Geschichte der Rampe verfolgen. Während die Massenspiele dazu tendierten, die Rampe aufzuheben, grenzt die Rampe in der unterhaltungsindustriellen Show wieder scharf den Konsumenten im Publikum vom Produzenten auf der Bühne ab. Zuleich aber sind Tendenzen sichtbar, die Rampe auf neue Weise zu überspringen. Der Entertainer spricht mit dem Publikum, und der Rockstar springt in die Menge der Fans hinein. Übergeordnet wird der Versuch gemacht, die marktmäßigen Produktionen als ‟zivilgesellschaftlich‟ und ‟bewegungsartig‟ anzubieten – über Konsumentenklubs (von der Art der Donald Duck Fan Clubs), Talkshows und Realityshows. Das Kapital übt sich in einer Art von virtuellem stage-diving. 93 Ein Beispiel von vielen: Krist 2004. 94 Über Geschichte und Gegenwart der Festkultur im Sport: Eichberg 2006 a und b und Eichberg/Madsen 2006. 26