Von der Konstruktion direkt in die Fertigung

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Von der Konstruktion direkt in die Fertigung
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STEUERUNGEN
Prozessoptimierung W Konstruktion und Prototypenfertigung W R-Parameter
Von der Konstruktion
direkt in die Fertigung
Speck Pumpen optimierte seine Prozesskette von der Konstruktion bis zur Fertigung. Ziel
war es, parallel zur Konstruktionsphase eine kurzfristige Fertigung von Prototypen zu realisieren, um die Erkenntnisse umgehend in den Konstruktionsprozess einfließen zu lassen.
von Gerd Müller
1 Prototyp des
BluVac-Pumpengehäuses, gefertigt aus einem
Aluminiumblock
mithilfe der neu
eingeführten
Prozesskette bei
Speck Pumpen
(Bild: Siemens)
D
ie für die Pumpenkonstruktion not­
wendige Berechnung und Simu­­
lation des Strömungsverhaltens
von Flüssigkeiten und Gasgemischen ist
von jeher aufwendig und fehlerbehaftet.
Selbst bei einfachen Systemen sind aus
den theoretischen Modellen Aussagen
über das Praxisverhalten nur schwer zu
treffen und erfordern langjährige Erfah­
rung und Fachwissen. Genau diese Schlüs­
selkompetenzen, gepaart mit einem sehr
hohen Innovationsvermögen, ­ermöglichen
es dem mittelfränkischen Unternehmen
Speck Pumpen, seit Jahrzehnten eine
führende Position im Flüssigkeits- und
Vakuumpumpenmarkt zu halten.
Der Hersteller beschreitet bei jeder
Neukonstruktion Theorie und Praxis auf
parallelen Wegen. Mittels komplexer
­Simulationssoftware werden die ersten
Ideen für eine neue Pumpe zunächst
theo­
retisch überprüft. So entsteht ein
erster Konstruktionsentwurf im ­CAD-­­­
Sys­tem. Nach diesen Vorgaben wird im
Musterbau ein Prototyp gefertigt, um
erste Funktionstests durchzuführen.
Mangelnde Durchgängigkeit
Diesen zweigleisigen Entwicklungsprozess
wollte man bei Speck Pumpen optimie­
ren. Im bis dahin bestehenden Ablauf lag
das Problem an unterschiedlichen CAD-­
Systemen im Musterbau und in der Fer­
tigung sowie der Konstruktion. Der Da­
tenaustausch der Systeme untereinander
und das gemeinsame Arbeiten mit identi­
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WB Werkstatt + Betrieb 4/2015
© Carl Hanser Verlag, München. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nicht gestattet und muss beim Verlag gesondert beauftragt werden.
STEUERUNGEN
schen Konstruktionsdaten wurden da­
durch erschwert.
Ziel war es daher, mit einer neuen Lö­
sung die NC-Programme direkt aus den
gemeinsam genutzten CAD-Daten des
Konstruktionsentwurfs zu erstellen. Dazu
musste im bestehenden Prozess ein ge­
meinsames CAD-System eingeführt und
an das vorhandene CAM-System Mas­
tercam angebunden werden. Ein ange­
passter Sinumerik-Postprozessor sollte
aus den CAM-Daten die NC-Programme
generieren, um erste Funktionsmuster
zu fertigen.
Ein weiteres Anliegen war es, die
Geometrie der Pumpenteile an den Ferti­
gungsprozess anzupassen, ohne dabei
deren Funktion zu beeinflussen. Die Guss­
rohlinge für die Pumpen werden in der
Regel außer Haus vorgefertigt, bedürfen
aber einer Reihe mechanischer Nachbe­
arbeitungen am Gehäuse und Flügelrad,
bis letztendlich die Pumpe fertig ist. Diese
nachgelagerten Arbeitsschritte sollten
bereits bei der Konstruktion optimiert
werden. Daher wird schon während der
ersten Entwicklungsphase die Fertigungs­
vorbereitung konsultiert, um Hindernisse
in der späteren Fertigung zu vermeiden
und wirtschaftliche Gesichtspunkte zu
berücksichtigen.
SolidWorks und Mastercam
Beim 3D-CAD-System entschied sich
Speck Pumpen für SolidWorks. »Beson­
ders gut gefallen hat uns die parametri­
sche Arbeitsweise. Da wir viel mit Guss­
teilen konstruieren, werden diese zuerst
als Rohteil erstellt und das Fertigteil als
Feature inkludiert«, erläutert Konstruk­
teur Ralf Wohlleben die Entscheidung.
»Ein weiterer Grund für die Entschei­
dung war auch, dass in der Fertigungs­
planung schon positive Erfahrungen mit
SolidWorks vorlagen und sich damit die
Einarbeitungszeit reduzierte«, ergänzt
Fertigungsleiter Ingo Wolzen.
Das CAD-System wurde von Unicam
in der Konstruktion und der Fertigung
installiert und vernetzt. Als Workflowund Archivierungssystem kam ein Basis-­
ERP-System (Enterprise Resource Plan­
ning) von Abas zum Einsatz. Dieses
­System regelt unter anderem die Versi­
ons- und Rechteverwaltung im Prozess.
Unicam stimmte die gesamte Prozessket­
te auf die gewünschten Anforderungen
von Speck Pumpen ab und ermöglichte
die reibungslose Zusammenarbeit von
Kons­truktion und Fertigung.
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Mittels Mastercam werden aus den
3D-Konstruktionsdaten von SolidWorks
die Sinumerik-spezifischen NC-Program­
me erstellt. Für den ersten Einsatz der
optimierten Prozesskette wurde der Post­
prozessor von Unicam speziell auf das
5-Achs-BAZ DMU 65 monoBlock, ausge­
stattet mit einer Steuerung Sinumerik
840D sl und der Bedienoberfläche Sinu­
merik Operate, ausgelegt. Das erfahrene
Mastercam-Team in der Fertigungsvor­
bereitung von Speck Pumpen konnte in­
nerhalb kurzer Zeit die Vorgaben aus der
Konstruktion in NC-Programme umset­
zen und die ersten Prototypen fertigen.
Sinumerik in der Serienfertigung
Die permanente Prozessoptimierung ist
bei Speck Pumpen ein wichtiges Thema
und wurde schon bei zahlreichen Projek­
ten in der Serienfertigung durchlaufen.
Bei der Maschinenausstattung setzt man
überwiegend auf CNC-Maschinen mit
Sinumerik-Steuerungen. Letztere haben
sich wegen der breit gefächerten Pro­
grammiermöglichkeiten und der Offen­
heit für die automatisierte Serienfertigung
langfristig bewährt. Der Maschinen­ U
SPECK PUMPEN
Vor mehr als hundert Jahren wurde Speck Pumpen als Familienunternehmen in Nürnberg gegründet.
Aus diesem Familienunternehmen
entstanden in der Nachkriegszeit
mehrere eigenständige Unternehmen, die seither unterschiedliche
Pumpentypen für verschiedene Anwendungsgebiete herstellen und
vertreiben. Eines dieser Unternehmen ist Speck Pumpen in Roth, die
sich auf die Herstellung hochwertiger Pumpen und Verdichter für alle
Bereiche der Industrie und der
Medizintechnik spezialisiert haben.
Die modularen Pumpensysteme
dienen der Förderung von Flüssigkeiten und Gasen. Mit circa 400 Mitarbeitern beliefert Speck Pumpen
Erstausrüster im Maschinen- und
Anlagenbau mit über 235 000 Pumpen jährlich.
Speck Pumpen Walter Speck
GmbH & Co. KG
91154 Roth
Tel. +49 9171 809-0
www.speck.de
www.werkstatt-betrieb.de
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STEUERUNGEN
2 Konstruktionsabteilung: Gestalten des Pumpengehäuses in
SolidWorks (Bild: Siemens)
park beinhaltet einfachere CNC-Maschi­
nen zum Bürsten, Schleifen und Entgraten
der Gussteile wie auch komplexe 5-AchsFräsmaschinen und mehrkanalige Dreh­
fräs-Maschinen mit Steuerungen Sinu­
merik 840D sl und Sinumerik Operate.
In der Fertigung werden alle Mög­
lichkeiten der Maschinen und der Steue­
rungen für einen hocheffizienten Betrieb
genutzt. Die Fertigungsabläufe sind mit
Bestückung und Weitertransport zwi­
schen den Bearbeitungseinheiten, wie
etwa zwischen Fräs- und Vertikaldreh­
maschinen, voll automatisiert und erfor­
dern kein Bedienpersonal. Automatisier­
te Mess- und Prüfvorgänge sorgen für die
Einhaltung des hohen Qualitätsniveaus.
Die Programme für die Serienferti­
gung werden in der Arbeitsvorbereitung
INFORMATION & SERVICE
HERSTELLER
Siemens AG, Division Digital Factory,
Business Unit Motion Control
91056 Erlangen
Tel. +49 9131 98-0
www.siemens.de/sinumerik
Unicam Software GmbH
91166 Georgensgmünd
Tel. +49 9172 66799-0
www.unicam.de
DER AUTOR
Gerd Müller ist Anwendungstechniker
bei der Siemens AG, Business Unit
­Motion Control, in Erlangen
[email protected]
PDF-DOWNLOAD
www.werkstatt-betrieb.de/1009743
=
3 Arbeitsvorbereitung: Darstellung der CAM-Strategie in
­Mastercam (Bild: Siemens)
mit Mastercam oder CNC-Editoren er­
stellt. Nur in Einzelfällen erfolgt die Pro­
grammierung direkt an der Maschine.
Aufgrund der über viele Jahre lang ge­
wonnenen Erfahrung war Mastercam
auch das vorgegebene CAM-System für
die neue Prozesskette.
Umfangreicher Befehlsumfang
Ein Grund für den Einsatz einer Sinume­
rik-Steuerung in der Serienfertigung von
Speck Pumpen ist der große Befehlsum­
fang. Beispielsweise konnte durch den
Einsatz von R-Parametern die Varianten­
fertigung langer Wellen optimiert wer­
den. Das Drehen der Wellen erfolgt in der
Haupt- und Gegenspindel in fliegender
Aufspannung. Die Varianten der unter­
schiedlichen Wellentypen werden dabei
im Haupt- und den Unterprogrammen
über frei definierbare R-Parameter pro­
grammiert, alternativ werden abhängig
vom Typ automatisch andere Unterpro­
gramme aufgerufen. Bei der Fertigung
werden die R-Parameter mit den für die­
sen Wellentyp richtigen Werten vorbelegt.
Damit ist es möglich, Varianten eines
Wellentyps mit einem Satz von NC-Pro­
grammen zu erstellen, was den Ferti­
gungsablauf flexibel anpassbar auf Ände­
rungen eines Wellentyps gestaltet.
Während der Abarbeitung der NC-­
Programme wird der aktuelle Bearbei­
tungszustand zusätzlich in R-Parametern
sicher gegen Netzspannungsausfälle ge­
speichert. Bei einem Stopp – auch durch
Spannungsausfall an der Maschine –
kann das NC-Programm und damit die
Bearbeitung wieder sehr einfach an der
Unterbrechungsstelle fortgesetzt werden.
Beim Neustart des NC-Programms wer­
den die hinterlegten Werte der R-Para­
meter erfasst und das jeweilige Unter­
programm an der Unterbrechungsstelle
fortgesetzt. Schäden an Werkstück oder
Maschine sind daher weitestgehend aus­
geschlossen.
Offen für Sonderlösung
Neben dem großen Befehlsumfang sind
die vielfältigen Programmierwege ein
weiterer Grund für den Einsatz der Sinu­
merik-Steuerung. Eine typische Aufgabe
in der Fertigung bei Speck Pumpen ist
das Ausspindeln (Ausdrehen) außermit­
tiger Bohrungen. Die Bohrwandungen
sind Funktionsflächen und müssen hohe
Ansprüche bezüglich Oberflächengüte,
Form- und Lagetoleranz erfüllen. Zum
Einsatz kommen hier Fräsmaschinen mit
Rundtisch. Um die hohe Oberflächen­
qualität zu erreichen, müssen sowohl der
Rundtisch als auch das Ausspindelwerk­
zeug mit möglichst hoher Drehzahl be­
trieben werden. Aufgrund der gegenläufi­
gen Bewegung von Rundtisch und Aus­
spindelwerkzeug addieren sich die beiden
Geschwindigkeiten, und es können hohe
Schnittgeschwindigkeiten an der Werk­
zeugspitze erreicht werden.
Da sich die Bohrungen außerhalb der
Drehachse des Tischs befinden, muss das
Ausspindelwerkzeug während der Dreh­
bewegung des Tischs Ausgleichsbewe­
gungen der X- und Y-Achsen ausführen,
um im Mittelpunkt der Bohrung zu bleiben.
Für diese Anwendung wurde eine Son­
derlösung entwickelt. Mithilfe auto­
matisch generierter Korrekturtabellen
werden den Rundachspositionen des
Frästischs die Korrekturwerte in X und Y
zugeordnet, um während der Abarbei­
tung des Programms die Ausgleichsbe­
wegungen auszuführen.
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4 Anstellen des Werkzeugs mithilfe des Cycle800 an einer DMU 65
monoBlock mit Sinumerik 840D sl und Operate (Bild: Siemens)
Erfolgreiche Neuentwicklung
Während der Entwicklung der Flüssig­
keits-Vakuumpumpe BluVac bewies die
neue Prozesskette all ihre Leistungsfähig­
keit. Diese Pumpenart wird für die Her­
stellung von Kunststoffprofilen mittels
Extrusion eingesetzt. Ziel der Entwick­
lung war es, das Pumpensystem strö­
mungs- und funktionstechnisch so zu
optimieren, dass im Zusammenspiel mit
5 Ausdrehen von Funktionsflächen bei einem Pumpengehäuse an
einer Drehfräs-Maschine mit Sinumerik-Steuerung (Bild: Siemens)
intelligenter Regelung ein hoher Wir­
kungsgrad bei geringem Wartungsauf­
wand erzielt wird.
Mithilfe der von Unicam und Sie­
mens installierten Prozesskette konnte
das gesetzte Ziel voll erreicht werden. Im
Betrieb erspart die neue Flüssigkeits-­
Vakuumpumpe bis zu 67 Prozent Energie
im Vergleich zu bestehenden Produkten.
Für Speck Pumpen hat sich daher die In­
vestition in die neue Prozesskette ausge­
zahlt. Während der Konstruktionsphase
können nun sehr schnell Prototypen ge­
fertigt und getestet werden und die Er­
gebnisse in die Konstruktion einfließen.
Die neue Pumpengeneration BluVac
konnte dadurch so weiterentwickelt wer­
den, dass sie den entscheidenden Wett­
bewerbsvorteil gegenüber den Mitbewer­
bern sichert. W
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