Inhaltsverzeichnis/Sommaire

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Inhaltsverzeichnis/Sommaire
Inhaltsverzeichnis/Sommaire
AJP/PJA 12/2013
Aufsätze / Articles
Der Beitrag gibt einen Überblick über die Neuerungen
im Sanierungsrecht (vgl. BBl 2013, 4747 ff.), welche
per 1. Januar 2014 in Kraft treten. Die Revision erfasst
nicht nur das Nachlassverfahren, sondern u.a. auch das
Arbeitsrecht (Art. 333 OR), die Dauerschuldverhältnisse
und die Pauliana. Die neuen Verfahrensregeln sind anwendbar, wenn das Gesuch um Nachlassstundung nach
dem 31.12.2013 eingereicht wird.
■ Daniel
Staehelin
Überblick über die Neuerungen im Sanierungsrecht
1735
Die schweizerische Herkunft eines Produktes generiert
einen nicht zu vernachlässigenden wirtschaftlichen Wert.
Um Missbrauch zu verhindern, sind zahlreiche Vorschriften erlassen worden, deren Vereinheitlichung und
Präzisierung sich die Swissness-Vorlage (vgl. BBl 2009,
8533 ff.) vornimmt.
■ Roland
Müller / Thomas Geiser / Mélissa Dufournet
Swissness bei Produktionsgütern und beim Film
1743
Besonderheiten bei der Verwertung strittiger Rechtsansprüche im Konkursverfahren (wie auch beim
Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung und im
Anschlusskonkursverfahren nach Art. 166 ff. IPRG) und
im Insolvenzrecht für Banken, Versicherungsunternehmungen und kollektive Kapitalanlagen.
■ Franco
Lorandi
Entgeltliche Verwertung von strittigen Rechtsansprüchen
in der Generalexekution
1758
Der Verfasser zeigt die Rechtslage in den verschiedenen
Konstellationen auf, in denen dem Werkunternehmer die
Ablieferung des Werks ganz oder teilweise unmöglich
wird.
■ Alfred
Koller
Nachträgliche Leistungsunmöglichkeit auf Seiten
des Unternehmers
1765
Sex unter Männern in der Strafanstalt soll nicht toleriert
werden. Dieser Beitrag zeigt auf, dass der Schutz schwächerer Insassen und die innere Sicherheit vorgehen.
■ Thomas
Noll
Sexualität zwischen männlichen Gefangenen
1773
Es stellt sich die Frage, ob sich die weitreichenden Neuerungen und Sonderregeln, mit denen bisheriges Recht
abgeändert werden soll, rechtfertigen, wenn fraglich
bleibt, ob die Zielsetzung des Projekts FIDLEG, nämlich
der Zugang zu den europäischen Finanzmärkten, wirklich erreicht wird.
■ Flavio
Amadò / Raffaele De Vecchi / Giovanni Molo
Die regulatorischen und zivilrechtlichen Aspekte des
FIDLEG-Projektes: eine kritische Auseinandersetzung
1783
Der neue Rechtsrahmen für die Vergabe von Regionalverkehrsleistungen in der Schweiz bringt begrüssenswerte Entwicklungen, aber auch heikle Fragestellungen
u.a. im Zusammenhang mit der zuweilen bestehenden
Wahl zwischen öffentlicher Ausschreibung und direkter
Vergabe.
■ Markus
1806
Kern
Zwischen Effizienz- und Qualitätsbestrebungen:
Die Vergabe von Transportleistungen im öffentlichen
Personenverkehr in der EU und der Schweiz
Chronik der Rechtsetzung / Législation
■ Marco
Bär
1827
Rechtsprechungsübersicht / Aperçu de la jurisprudence
■ Marco
Bär
1836
Kommentierte Chronik der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte in Fällen gegen die Schweiz
im Jahr 2012
Im Jahre 2012 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg sieben Urteile gefällt, welche
die Schweiz betreffen. Im Fokus standen dabei die EMRKArtikel 8 (Familienleben) und 10 (Meinungsäusserungs­
freiheit).
AJP 12_2013.indb 1733
■ Daniel
Rietiker
1844
16.12.13 10:36
Inhaltsverzeichnis/Sommaire
AJP/PJA 12/2013
Entscheide des Bundesgerichts im Bereich des Immaterial­
güter- und Lauterkeitsrechts aus dem Jahr 2012
Die Autorin bespricht dreizehn bemerkenswerte
Entscheidungen, die das Bundesgericht im Jahre 2012
in den genannten Materien gefällt hat.
■ Lorenza
Ferrari Hofer
1865
Entscheidungsbesprechungen / Discussions d’arrêts actuels
Das Bundesgerichtsurteil BGer 5A_637/2013 vom
1.10.2013 weist nebst schon in früheren Entscheidungen
zum Haager Kindesrückführungsabkommen festgestellten
Mängeln einige positive Aspekte auf. Morgenrot?
■ Andreas
Bucher
(1) Kindesentführung. Mutter zieht mit dem Kleinkind
in die Schweiz. Französische Verfügung erteilt dem Vater
das alleinige Obhutsrecht. Trennung von der Mutter für
das Kind unzumutbar. Einholen von Garantien bei den
französischen Behörden.
1869
Literaturübersicht / Bibliographie
■ Lorenz
Lauer 1880
Mitteilungen / Communications
AJP 12_2013.indb 1734
75-Jahre IRP-HSG
1888
Impressum
1891
Autorenverzeichnis / Adresse des auteurs
1892
16.12.13 10:36
Überblick über die Neuerungen im Sanierungsrecht
AJP/PJA 12/2013
Überblick über die Neuerungen
im Sanierungsrecht
1735
Daniel Staehelin
Der Beitrag gibt einen Überblick über die Neuerungen im Sanierungsrecht, welche per 1. Januar 2014 in Kraft treten. Als Mitglied
der seinerzeitigen Expertengruppe erläutert der Autor die Gesetzgebungsgeschichte (Auslöser war das Grounding der Swissair) und die
Zielrichtung des Entwurfes (Reform des Dividendenvergleichs). Es folgt
die Darstellung der diskutierten, jedoch verworfenen Änderungen
(u.a. Abschaffung des Vermieterretentionsrechts, Regelung der Sanierungsdarlehen). Da das Gesetz am bisherigen System von Nachlassstundung und Nachlassvertrag festhält, werden sodann diejenigen
Bestimmungen dargestellt, die weiterhin Geltung haben. Der Aufsatz
schliesst mit einer Übersicht über die Neuerungen im SchKG (u.a. Forderungen aus Dauerschuldverhältnissen in der Insolvenz; Aufhebung
des Privilegs der MWSt-Verwaltung; prov. Stundung ohne Sachwalter;
prov. Stundung ohne Publikation; fak. Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung während der Stundung; Aufhebung der Stundung
ohne Nachlassvertrag bei erfolgreicher Sanierung; Möglichkeit der
Umwandlung von Real- in Geldforderungen; Möglichkeit der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen; Pflicht der Anteilsinhaber, einen
Sanierungsbeitrag zu leisten; Aufhebung der Pflicht, beim Dividendenvergleich die Dividende für die Drittklassforderungen sicherzustellen)
und im OR (Übergang der Arbeitsverhältnisse bei der Betriebsübertragung in der Insolvenz nur, wenn dies mit dem Erwerber vereinbart
worden ist).
Inhaltsübersicht
I.Gesetzesgebungsgeschichte
II. Die Zielrichtung des Entwurfes
III.Verworfene Änderungen
IV.Fortgeltendes bisheriges Recht
V. Die Neuerungen im SchKG
VI.Die Neuerungen im Arbeitsrecht
I.Gesetzesgebungsgeschichte
Auslöser für die am 1. Januar 2014 in Kraft tretenden Änderungen des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und
Konkurs (SchKG) vom 21. Juni 2013 war das spektakuläre Grounding der Swissair am 2. Oktober 2001. Dieses
wurde herbeigeführt durch die Ankündigung eines Gesuches um Nachlassstundung. Da daraufhin sämtliche Lieferanten fürchteten, zu Verlust zu kommen, verlangten sie,
namentlich für die Treibstofflieferungen, Vorauszahlung.
Daniel Staehelin, Prof. Dr. iur., Advokat und Notar, Partner Kellerhals Anwälte, Basel (Mitglied der vom Bundesamt für Justiz eingesetzten Expertenkommission Sanierungsrecht [2003–2008]).
AJP 12_2013.indb 1735
La contribution offre un aperçu des nouveautés en matière de droit
de l’assainissement, qui entreront en vigueur le 1er janvier 2014.
En tant que membre de l’ancien groupe d’experts, l’auteur explique
l’historique de la réglementation (l’élément déclencheur ayant été la
débâcle de Swissair) et les objectifs poursuivis par le projet (réforme du
concordat-dividende). Il présente ensuite les modifications qui ont été
discutées, mais qui ont finalement été rejetées (notamment l’abolition
du droit de rétention du bailleur, la réglementation des prêts d’assainissement). Comme la loi conserve l’actuel système du sursis concordataire et du concordat, l’auteur présente ensuite les dispositions qui
restent applicables. L’article s’achève par un aperçu des nouveautés
dans la LP (notamment les créances issues de contrats de durée en cas
d’insolvabilité ; suppression du privilège en faveur de l’administration
TVA ; sursis provisoire sans commissaire ; sursis provisoire sans publication ; commission des créanciers et assemblée des créanciers durant le
sursis ; annulation du sursis sans concordat en cas d’assainissement ;
possibilité de convertir les créances en nature en créances en argent ;
possibilité de dénoncer les contrats de durée ; obligation des titulaires
de parts de s’acquitter d’une contribution à l’assainissement ; suppression de l’obligation de garantie de dividendes pour les créances de
troisième classe dans le cadre du concordat-dividende) et dans le CO
(transfert des rapports de travail lors de la cession de l’entreprise, en
cas d’insolvabilité, uniquement si cela a été convenu avec l’acquéreur).
Dies führte zu einem stark gestiegenen Liquiditätsbedarf,
der nicht mehr gedeckt werden konnte. Erst aufgrund
eines Notkredites des Bundes über 450 Mio. Franken
konnte der Flugbetrieb am 5. Oktober wieder aufgenommen werden. Die Übertragung des Flugbetriebes an die
Crossair, welche danach in Swiss umbenannt wurde, erforderte einen weiteren à fonds perdu Kredit des Bundes
in der Höhe von 1 Milliarde Franken1. Im Anschluss daran verlangten zahlreiche parlamentarische Vorstösse die
Abklärung des Revisionsbedarfes des Schweizerischen
Insolvenzrechts.
Der Bundesrat setzte daraufhin eine Expertengruppe2
ein mit dem Auftrag, den Reformbedarf des Insolvenz
Vergleiche zur Rolle von Bundesrat und Bundesverwaltung im Zusammenhang mit der Swissair-Krise, BBl 2003, 5403 ff.
2
Fürsprecher Dominik Gasser, Bundesamt für Justiz, Bern (Vorsitz); Dr. Daniel Hunkeler, Rechtsanwalt, Zürich und Baden; Prof.
Dr. Franco Lorandi, Rechtsanwalt, Zürich; Prof. Dr. Isaak Meier,
Rechtsanwalt, Zürich; Prof. Dr. Henry Peter, Rechtsanwalt, Lugano; Prof. Dr. Daniel Staehelin, Advokat und Notar, Basel; lic. iur.
Karl Wüthrich, Rechtsanwalt, Zürich; lic. iur. Monique Albrecht,
Rechtsanwältin, Bundesamt für Justiz, Bern.
1
16.12.13 10:36
Swissness bei Produktionsgütern und beim Film
AJP/PJA 12/2013
Swissness bei Produktionsgütern
und beim Film
1743
Thomas Geiser
Roland Müller
Mélissa Dufournet
Die schlichte Kennzeichnung eines Produktes mit der schweizerischen
Herkunft kann einen Mehrwert im Sinne eines höheren Absatzes generieren. Um den Missbrauch der Kennzeichenverwendung zu verhindern, existieren zahlreiche Vorschriften, welche die Voraussetzungen des Gebrauchs regeln. Mit der Verabschiedung der sogenannten
Swissness-Vorlage werden diese Regeln teilweise vereinheitlicht und
präzisiert, wobei dennoch Fragen offen bleiben, welche in der Praxis zu
Unsicherheiten führen könnten. Die revidierte Gesetzgebung wird neu
auch Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in den Voraussetzungen der Nutzung der schweizerischen Herkunftsbezeichnung
berücksichtigen. Nach wie vor nicht berücksichtigt werden Kosten
für die Verpackung und das Marketing der Produkte. In Analogie zur
Herkunftsbezeichnung bei Produktionsgütern spielt das Kriterium des
schweizerischen Anteils auch beim Film eine wesentliche Rolle. Denn
erst wenn der schweizerische Anteil genügend gross ist, werden Fördergelder des Bundes zugänglich. Demzufolge misst sich sämtlicher Profit
an der Definition der Swissness.
Inhaltsübersicht
I.Einleitung
II.Rechtsgrundlagen
1.Regulierungsübersicht
a. Allgemein gültige Normen
b. Sektoriell gültige Normen
c.Gesetzesrevision
2. Industrie- und Technologiegüter
a. Rechtsprechung der Gerichte
b. Auswirkungen in der Praxis
3. Schweizer Film
a. Besonderheiten der öffentlichen Filmförderung
b. Rechtspraxis zur Qualifizierung als Schweizer Film
c. Auswirkungen in der Praxis
III.Abgrenzungsprobleme in der Praxis
1. Bedeutung von Konzeption und Entwicklung
a. Forschung und Entwicklung bei Produktionsgütern
b. Drehbuch und Entwicklung beim Schweizer Film
2. Bedeutung von Zusatzleistungen
a.Verpackungen
AJP 12_2013.indb 1743
La simple identification d’un produit avec l’indication de provenance
« Suisse » peut entraîner une plus-value sous forme de hausse des
ventes. Afin d’éviter des abus dans l’utilisation des désignations,
il existe de nombreuses dispositions qui règlent les conditions de cet
usage. L’adoption dudit projet Swissness a, en partie, pour effet d’unifier et de préciser ces règles, mais laisse toutefois certaines questions
ouvertes. Cela pourrait conduire à des incertitudes dans la pratique.
La législation révisée prend désormais aussi en compte les frais de
recherche et de développement dans les conditions pour l’utilisation
de l’indication de provenance suisse. En revanche, les frais d’emballage et de marketing des produits ne sont toujours pas pris en considération. Par analogie avec l’indication de provenance des biens de
production, le critère de la participation suisse joue également un rôle
essentiel pour les films. En effet, ce n’est que si la participation suisse
est suffisamment importante que des subventions fédérales sont envisageables. Par conséquent, tout profit se mesure à la définition de la
suissitude ou Swissness.
b. Trailer und Promotion
IV.Aktuell ungenügende Regulierung
1. Zusammenfassung der Abgrenzungsprobleme betreffend
Swissness
2.Empfehlungen
a. Empfehlungen allgemeiner Art
b. Überprüfung der Swissness-Voraussetzungen
I.Einleitung
Die schweizerische Herkunft eines Produktes generiert
einen nicht zu vernachlässigbaren wirtschaftlichen Wert;
Roland Müller, Prof. Dr. iur., Universität St. Gallen/Bern.
Thomas Geiser, Prof. Dr. iur., Universität St. Gallen.
Mélissa Dufournet, M.A. HSG in Law, Zürich.
16.12.13 10:36
Franco Lorandi
AJP/PJA 12/2013
Entgeltliche Verwertung von strittigen
Rechtsansprüchen in der Generalexekution
1758
Teleologische Reduktion von Art. 260 Abs. 3 SchKG
Franco Lorandi
Das Gesetz sieht vor, dass in der Generalexekution bestrittene Aktivansprüche primär den Gläubigern gemäss Art. 260 SchKG zur Abtretung
zu offerieren sind. Nur wenn kein Gläubiger die Abtretung verlangt,
können die Ansprüche versteigert oder freihändig verwertet werden
(Art. 260 Abs. 3 SchKG). Diese Regel gilt jedoch nicht ausnahmslos:
Sie kann nicht gelten, wenn der bestritten Anspruch verpfändet ist.
Diesfalls geniesst die Verwertung den Vorrang. Sie gilt entsprechend
der Rechtsprechung des Bundesgerichts auch dann nicht, wenn ein
Angebot vorliegt, das anzunehmen sich im Interesse der Gesamtheit
der Gläubiger aufdrängt; den Gläubigern kommt dann jedoch – als
Ausgleich – das Recht zum höheren Angebot zu (BGE 93 III 23 ff.).
Die Verwertung muss diesfalls jedoch (nach Meinung des Bundesgerichts) durch freihändige Verwertung (und nicht durch Versteigerung)
erfolgen. Letztlich bedeutet dies, dass dem Konkursamt ein vernünftiges Angebot vorliegen muss. Wann ein solches vorliegt, bestimmt sich
nach den Umständen des Einzelfalls. Nach den Sondergesetzen des
Finanzmarktrechts (insbesondere nach der BIV-FINMA) gilt bei strittigen Ansprüchen kein Vorrang der Abtretung gemäss Art. 260 SchKG;
die Verwertung durch Steigerung oder Freihandverkauf können nach
Entscheid des Konkursliquidators anstelle der Abtretung treten.
Inhaltsübersicht
A. Im Geltungsbereich des SchKG
1. Grundsatz: Gesetzliche Stufenfolge
2.Ausnahmen
a. Bei Verpfändung strittiger Ansprüche
b. Bei einem Freihandverkauf zu einem «vernünftigen» Preis
c. Bei einer Versteigerung mit «vernünftigem» Mindestgebot
B. Im Geltungsbereich der Sondergesetzgebung für Banken,
Versicherungsunternehmungen und kollektive Kapitalanlagen
1. Konkurs über Banken
2. Konkurs über Versicherungsunternehmungen
3. Konkurs über kollektive Kapitalanlagen
Wie strittige Rechtsansprüche zu verwerten sind, ist im
SchKG anders geregelt als im Insolvenzrecht für Banken,
Versicherungsunternehmungen und kollektive Kapitalanlagen. Es sollen deshalb nachfolgend beide Regelungen
dargestellt werden.
Franco Lorandi, Prof. Dr. iur., Rechtsanwalt, LL.M., Zürich.
Herrn lic. iur. Michael Schürch sei bestens gedankt für die vorzügliche Administration des Fussnotenapparates.
AJP 12_2013.indb 1758
La loi prévoit que les créances contestées dans l’exécution générale
doivent être prioritairement offertes en cession aux créanciers, en vertu de l’art. 260 LP. Ce n’est que si aucun créancier n’en demande la
cession que les prétentions peuvent être vendues aux enchères ou réalisées de gré à gré (art. 260 al. 3 LP). Cette règle ne vaut toutefois pas
sans exception : elle ne s’applique pas aux prétentions contestées sur
lesquelles il existe un droit de gage. Dans ce cas, la réalisation a priorité. Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, cette règle ne s’applique
pas non plus en présence d’une offre dont l’acceptation s’impose dans
l’intérêt de l’ensemble des créanciers ; en compensation, les créanciers
ont alors droit à l’offre supérieure (ATF 93 III 23 ss). Dans ce cas, le
Tribunal fédéral estime que la réalisation doit cependant se faire de
gré à gré (et non par voie d’enchères). En fin de compte, cela signifie
que l’office des faillites doit disposer d’une offre raisonnable. L’existence d’une telle offre se détermine au cas par cas, en fonction des circonstances. En vertu des lois spéciales du droit des marchés financiers
(en particulier l’OIB-FINMA), la règle de priorité de la cession selon
l’art. 260 LP ne vaut pas, lorsque les prétentions sont contestées ; le
liquidateur de la faillite peut décider de procéder à la réalisation par
la voie de la vente aux enchères ou de gré à gré, en lieu et place de la
cession.
A. Im Geltungsbereich des SchKG
Das SchKG sieht drei Verwertungsarten vor: die Zwangsversteigerung, den Freihandverkauf und die Abtretung
gemäss Art. 260 SchKG. Bewegliche Sachen und Grundstücke sind in der Regel durch Versteigerung oder sonst
durch Freihandverkauf zu verwerten. Für stritte Ansprüche gilt eine andere Ordnung: Diese Ordnung gilt sowohl
im (ordentlichen oder summarischen) Konkursverfahren
als auch beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung1
1
Peter Ludwig, Der Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung (Liquidationsvergleich), Diss. Bern 1970, 103; Felix Stutz, Der Freihandverkauf im SchKG, Diss. Zürich 1978, 55; Franco Lorandi,
Freihandverkauf im schweizerischen Schuldbetreibungs- und
Konkursrecht, Diss. St. Gallen 1994 (zit. Freihandverkauf), 389;
Adrian Staehelin/Thomas Bauer/Daniel Staehelin (Hrsg.), Basler
Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 2. A., Basel 2010 (zit. BSK SchKG II-Bearbeiter), BSK
SchKG II-Thomas Bauer/Olivier Hari/Vincent Jeanneret/
Karl Wüthrich, Art. 325 N 14; BSK SchKG II-Stephen Berti,
Art. 260 N 7; Daniel Hunkeler (Hrsg.), Kurzkommentar SchKG,
Basel 2009 (zit. KUKO-Bearbeiter), KUKO-Karl Wüthrich/
Fritz Rothenbühler, Art. 325 SchKG N 6.
16.12.13 10:36
Nachträgliche Leistungsunmöglichkeit auf Seiten des Unternehmers
AJP/PJA 12/2013
Nachträgliche Leistungsunmöglichkeit
auf Seiten des Unternehmers
1765
Alfred Koller
Der Aufsatz befasst sich mit der Rechtslage in Fällen, in denen einem
Werkunternehmer (Art. 363 OR) die Verschaffung des versprochenen
Arbeitserfolgs (die Ablieferung des Werks) ganz oder teilweise unmöglich geworden ist, und zwar absolut und dauernd. Nach allgemeiner
Regel (Art. 119 Abs. 1 OR) fällt in einem solchen Fall die ursprüngliche Leistungspflicht des Unternehmers dahin. Im Übrigen hängt die
Rechtslage wesentlich von der Ursache der Unmöglichkeit ab: Beruht
sie auf Zufall, so kann der Unternehmer mit den Vorbehalten, die sich
aus Art. 376 Abs. 1, 378 Abs. 1 und 379 Abs. 2 OR ergeben, weder
Werklohn noch Ersatz seiner Auslagen verlangen (Art. 119 Abs. 2 OR).
Demgegenüber hat er mit gewissen Einschränkungen den ganzen
Werklohn zugute, wenn der Besteller die Unmöglichkeit verschuldet
hat (Art. 378 Abs. 2 OR). War es hingegen der Unternehmer, der die
Unmöglichkeit verschuldet hat, so ist er dem Besteller nach Massgabe
von Art. 97 ff. OR zu Schadenersatz verpflichtet.
Inhaltsübersicht
I. Zum Thema
II. Die Rechtslage im Überblick
III.Präzisierungen zu Art. 378 OR
IV.Präzisierungen zu Art. 379 OR
I.
Zum Thema
Im Folgenden interessiert die Rechtslage in Fällen, in denen dem Unternehmer die Verschaffung des versprochenen Arbeitserfolgs (die Ablieferung des Werks) ganz oder
teilweise unmöglich geworden ist, und zwar absolut und
dauernd. Ausser Betracht bleiben also die sog. relative
Unmöglichkeit sowie die vorübergehende Unmöglichkeit. Sodann wird von den verschiedenen Unterarten der
Teilunmöglichkeit nur eine einzige behandelt. Präzisierungen:
a) Absolut unmöglich ist eine Leistung, wenn sie vom
Schuldner (hier: Unternehmer) schlechterdings nicht er-
L’article analyse la situation juridique dans les cas où un entrepreneur
(art. 363 CO) se retrouve dans l’impossibilité, totale ou partielle, de
fournir le résultat du travail, tel que promis (la livraison de l’ouvrage),
et cela, de manière absolue et durable. La règle générale (art. 119
al. 1 CO) prévoit que, dans ce cas, l’obligation initiale de l’entrepreneur s’éteint. La situation juridique dépend, par ailleurs, essentiellement de la cause de l’impossibilité : si celle-ci repose sur un cas fortuit,
l’entrepreneur ne peut ni réclamer le prix de son travail, ni le remboursement de ses dépenses (art. 119 al. 2 CO). Les cas prévus aux
art. 376 al. 1, 378 al. 1 et 379 al. 2 CO sont réservés. Par contre, il
a droit, avec certaines restrictions, à la totalité du prix de l’ouvrage,
si l’impossibilité est imputable au maître de l’ouvrage (art. 378 al. 2
CO). Si, en revanche, l’entrepreneur est à l’origine de l’impossibilité, il
est tenu de verser des dommages-intérêts au maître, conformément
aux art. 97 ss CO.
bracht werden kann. Keine Unmöglichkeit in diesem Sinne ist daher – wie bereits gesagt – die relative Unmöglichkeit (Ausdruck von BGE 45 II 386, 398), welche auch
als Unvermögen oder wirtschaftliche Unmöglichkeit bezeichnet wird und deren Kennzeichen darin besteht, dass
die Leistung zwar noch erbracht werden kann, jedoch
dem Schuldner «nach Treu und Glauben im Verkehr …
billigerweise nicht mehr zumutbar ist» (SJZ 1989, 1771)2.
b) Dauernd ist die Unmöglichkeit, wenn das Leistungshindernis ein dauerndes ist (das zu reparierende Auto ist
einem Brand zum Opfer gefallen, BGE 59 II 63) oder,
wenn es zwar ein vorübergehendes ist, jedoch nicht damit
gerechnet werden kann, dass es während der für die Erfüllung vorgesehenen Zeit wegfällt. Von Bedeutung ist dies
für absolute Fixgeschäfte, also Verträge, bei denen nach
der vertraglichen Abmachung nur während oder an einem
bestimmten Zeitpunkt erfüllt werden kann3. Hat beispielsweise der Taxifahrer U dem B zugesagt, ihn am 10. Sep-
1
Alfred Koller, Prof. Dr. iur., Universität St. Gallen.
Meinen Assistenten Peter Loher, BLaw, und Fabian Mörtl,
MLaw, danke ich für die formale Bereinigung des Textes. Herrn
Mörtl danke ich zudem für die kritische Durchsicht des Manuskripts. Dazu war er in besonderem Masse befähigt, weil ein Ausschnitt aus der hier behandelten Unmöglichkeitsproblematik (die
zufällige Unmöglichkeit der Werkleistung) Gegenstand seines Dissertationsprojekts bildet.
AJP 12_2013.indb 1765
2
3
In diesem Entscheid wurde Unzumutbarkeit bejaht; verneint wurde
sie in ZR 1994, 59 ff.
Zur rechtlichen Behandlung der relativen (Ganz-)Unmöglichkeit s.
Alfred Koller, Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Bern 2009,
§ 53 Rn. 6 f., § 54 Rn. 191 ff.
Koller, OR AT (FN 2), § 53 Rn. 4, mit Beispiel; Pascal Pichonnaz, Impossibilité et exorbitance, Diss. Freiburg 1997, Rn. 1060.
Näheres zum Begriff des absoluten Fixgeschäfts bei Koller
(FN 2), § 39 Rn. 66.
16.12.13 10:36
Sexualität zwischen männlichen Gefangenen
AJP/PJA 12/2013
Sexualität zwischen männlichen
Gefangenen
1773
Thomas Noll
Sexuelle Handlungen zwischen Strafgefangenen sind in Justizvollzugsanstalten an der Tagesordnung. Zusätzlich zum sexuellen Austausch,
der dem Aufsichts- und Betreuungspersonal bekannt ist, muss auf diesem Gebiet eine grosse Dunkelziffer vermutet werden. Erhebungen in
US-amerikanischen und kanadischen Anstalten haben ergeben, dass
ein grosser Teil der sexuellen Kontakte im Gefängnis nicht auf Freiwilligkeit zwischen gleichgestellten Partnern beruht, sondern Teil eines
Rechtsgeschäfts (Prostitution) oder gar erzwungen ist. Da bei solchen
Konstellationen tendenziell die schwächeren Insassen die Leidtragenden sind, muss man sich als Verantwortlicher die Frage stellen, ob es
nicht aus moralischer Sicht und aufgrund von Sicherheitsüberlegungen
geboten ist, sexuelle Kontakte zwischen Insassen gänzlich zu verbieten. Am Ende des Textes werden Empfehlungen für die zuständigen
Vollzugsbehörden abgegeben.
Inhaltsübersicht
I.Einleitung
II. Sexuelle Gewalt im Gefängnis
III. Konsequenzen sexueller Gewalt hinter Gittern
IV. Häufigkeit sexueller Gewalt im Gefängnis
V. Ursachen der sexuellen Gewalt im Gefängnis
VI. Risikofaktoren sexueller Gewalt im Gefängnis
VII.Opfercharakteristika
VIII. Engagement des Personals
IX. Weitere Faktoren
X.Empfehlungen
I.Einleitung
«Sex ist wichtig!» So wurde 2011 vom Chefarzt der
Forensisch-Psychiatrischen Universitätsklinik Basel in
einem Artikel der Stellenwert des Verhaltens betont, das
aus Fortpflanzung, genitaler Erregung sowie intimer körperlicher Nähe besteht1. Obwohl dieses Thema stark tabuisiert wird, besteht kein Zweifel, dass Sexualität auch
zwischen Häftlingen praktiziert wird. Zur Häufigkeit dieser sexuellen Kontakte in Schweizer Gefängnissen gibt es
keine zuverlässigen Angaben. Sogar im kanadischen und
US-amerikanischen Raum, wo aufgrund der zentralen
Erfassung der wichtigen Vollzugsdaten noch am ehesten
Thomas Noll, Dr. iur., Dr. med., Direktor Schweizerisches Aus-
1
bildungszentrum für das Strafvollzugspersonal.
Marc Graf, «Let’s talk about sex.» Die Sexualität in Haft: Was
der Psychiater dazu denkt, info bulletin, Bundesamt für Justiz,
2011, 2, 3–4.
AJP 12_2013.indb 1773
Les actes d’ordre sexuel commis entre détenus sont monnaie courante
dans les établissements pénitentiaires. En plus des échanges sexuels
qui sont connus du personnel de surveillance et d’encadrement, il
faut supposer qu’il existe, dans ce domaine, un nombre élevé de cas
occultes. Des enquêtes réalisées dans des établissements américains
et canadiens ont révélé qu’un grand nombre des contacts sexuels en
prison ne repose pas sur une base volontaire entre partenaires égaux,
mais relève d’une transaction juridique (prostitution) ou est même imposé. Comme, dans ces cas, ce sont souvent les détenus les plus faibles
qui sont les victimes, il faut se demander, en tant que responsable, s’il
n’est pas indiqué, d’un point de vue moral et pour des considérations
de sécurité, d’interdire totalement les contacts sexuels entre détenus.
A la fin de l’article, des recommandations sont émises à l’adresse des
autorités d’exécution compétentes.
Prävalenzzahlen vorliegen, sind die Angaben bezüglich
sexueller Handlungen zwischen gleichgeschlechtlichen
Gefangenen alles andere als gesichert. Es wird aber geschätzt, dass 30–40 % der Insassen nordamerikanischer
Gefängnisse während ihrer Freiheitsstrafe mindestens
einen gleichgeschlechtlichen sexuellen Kontakt hatten2.
Neueste Zahlen aus den USA sprechen von 4 % der Vollzugshäftlinge und 3,2 % der Untersuchungshäftlinge, die
in den zwölf Monaten vor der Erhebung ein- oder mehrmals Opfer eines sexuellen Übergriffs wurden3.
Der als «Babyquäler» bekannt gewordene und für seine grausamen Verbrechen an Kleinkindern verurteilte und
in der JVA Pöschwies verwahrte Sexualstraftäter René
Osterwalder beschrieb am 23. Juni 2009 in einem dreiseitigen Brief an den «Tages-Anzeiger» seine seelischen
Nöte und beklagte sich über das Kontaktverbot zu seinem
Mitinsassen und Freund D., das damals vom Zürcher Amt
für Justizvollzug verhängt worden war. Im Brief war unter anderem zu lesen:
Donald Clemmer, Some aspects of sexual behavior in the prison
Allan J. Beck/Marcus Berzofsky/Rachel Caspar/Christopher Krebs, Sexual victimization in prisons and jails reported
2
3
community. Proceedings of the American Correctional Associa­
tion, 1958, zitiert in Peter C. Buffum, Homosexuality in Prisons,
Honolulu 2004, 12; Gresham M. Sykes, The society of captives:
A study of a maximum security prison, Princeton, NJ 1958; zitiert
in Buffum, 12 f.
by inmates, 2011–12, Washington DC 2013. http://www.bjs.gov/­
content/pub/pdf/svpjri1112.pdf, 1 ff.
16.12.13 10:36
Die regulatorischen und zivilrechtlichen Aspekte des FIDLEG-Projektes: eine kritische Auseinandersetzung
AJP/PJA 12/2013
Die regulatorischen und
zivilrechtlichen Aspekte des
FIDLEG-Projektes: eine kritische
Auseinandersetzung
1783
Raffaele De Vecchi
Flavio Amadò
Giovanni Molo
Finanzdienstleistungsgesetz ante portas! Dieser Beitrag beinhaltet eine
Auseinandersetzung mit den wichtigsten finanzmarktregulatorischen
und zivilrechtlichen Absichten des Hearingberichts über das Finanzdienstleistungsgesetz (kurz FIDLEG), dessen Gesetzestextentwurf voraussichtlich im zweiten Quartal 2014 präsentiert und in Vernehmlassung geschickt wird. Insbesondere wird das Verhältnis dieses ersten
Anstosses zur europäischen Gesetzgebung (MiFID I und MiFID II) und
die Auswirkungen betreffend des Zugangs zum europäischen Markt
untersucht. In einem nächsten Schritt wird der geplanter Geltungsbereich des FIDLEG und das Verhältnis zum kantonalen Recht vertieft.
Weiter geht es um eine kritische Auseinandersetzung mit den zivilrechtlichen Aspekten des FIDLEG-Projektes: auf materieller Ebene, bezüglich der Vorlage zur Beweislastumkehr und der Einführung spezieller Prozessbestimmungen.
Inhaltsübersicht
I. Das FIDLEG-Projekt des EFD
II. Zugang zum europäischen Markt
III.Geplanter Geltungsbereich des FIDLEG
1. Sachlicher Geltungsbereich
2. Persönlicher Geltungsbereich
3. Aufsichtsorgane für unabhängige Vermögensverwalter
4. Räumlicher Geltungsbereich
5. Zeitlicher Geltungsbereich
6. Verhältnis zum kantonalen Recht
IV.Die Umgestaltung der Verhaltensregeln des Finanzdienstleisters
1. Allgemeine Vorbemerkungen zum Vertragsverhältnis mit dem
Kunden
2. Die Sorgfaltspflicht
3. Segmentierung der Kundschaft
4.Anlageprinzipien
5. Informations- und Rechenschaftspflichten
a. Umfang der Informationspflicht
b. Modalitäten der Information
c. Zeitpunkt der Information
d. Die Rechenschaftspflicht
6.Treuepflichten
a. Vermeidung von Interessenkonflikten
AJP 12_2013.indb 1783
La loi sur les services financiers est à nos portes ! Cette contribution discute les intentions, les plus importantes en matière de régulation des
marchés financiers et de droit civil, du rapport destiné à l’audition relatif à la loi sur les services financiers (en abrégé LSF). Le projet de texte
de loi de la LSF sera probablement présenté et mis en consultation au
deuxième trimestre 2014. L’article analyse en particulier la relation
de cette première initiative avec la législation européenne (MiFID I et
MiFID II) et les répercussions en ce qui concerne l’accès au marché
européen. Il approfondit, dans un deuxième temps, le champ d’application prévu par la LSF ainsi que son rapport avec le droit cantonal.
Les auteurs soumettent ensuite les aspects de droit civil du projet de
la LSF à une réflexion critique : au niveau matériel, en ce qui concerne
le projet de renversement du fardeau de la preuve et l’introduction de
dispositions procédurales spéciales.
b. Die Frage der Drittvergütungen im Besonderen
7. Zivilrechtliche Rechtsfolgen
a. Auftragsrechtliche Haftung
b.Prospekthaftung
c.Deliktshaftung
8. Aufsichtsrechtliche Folgen
9. Intertemporale Auswirkungen
V. Die Vorlage zur Beweislastumkehr
VI.Die Einführung spezieller Prozessbestimmungen
1. Der Anspruch auf Dossierherausgabe
2. Das Ombudswesen
3. Die Prozesskosten
VII.Schlussfolgerungen
Flavio Amadò, LL.M., Rechtsanwalt, Solicitor, Notar, Partner bei
Gaggini&Partners, Lugano.
Raffaele De Vecchi, lic. iur., Praktikant, Mendrisio/Basel.
Giovanni Molo, LL.M, Rechtsanwalt, Partner bei Bolla
Bonzanigo&Associati, Lugano.
16.12.13 10:36
Markus Kern
AJP/PJA 12/2013
Zwischen Effizienz- und Qualitäts­
bestrebungen: Die Vergabe von Transport­
leistungen im öffentlichen Personen­
verkehr in der EU und der Schweiz
1806
Markus Kern
Der Rechtsrahmen für Ausschreibungen im öffentlichen Personenverkehr auf Strasse und Schiene hat mit dem Inkrafttreten des 2. Teilpakets der Bahnreform 2 am 1. Juli 2013 eine massgebliche Fortentwicklung erfahren. Die Reform schafft eine ausdrückliche gesetzliche
Grundlage für Ausschreibungen von Verkehrsleistungen, womit dieser Vergabemodus im Busbereich inskünftig zum Grundsatz erhoben
und im Schienenbereich als Möglichkeit neben der hergebrachten
Direktvergabe etabliert wird. Damit bewegt sich das Regulativ in der
Schweiz einen Schritt in Richtung des wettbewerblicher ausgerichteten
Systems in der EU, ohne allerdings das Unionsrecht vollumfänglich zu
übernehmen. Vorliegend näher zu diskutieren bleiben dabei einerseits
Fragen etwa zur Abgrenzung vom allgemeinen Beschaffungsrecht, zu
Gewinnanreizen oder zu den Modalitäten bei Unternehmenswechseln,
aber auch die übergreifende Frage, ob der eingeschlagene Regulationsweg tatsächlich zielführend ist oder ob im engverzahnten System des
öffentlichen Verkehrs in der Schweiz stattdessen nicht ein Wettbewerb
der Kennzahlen im Sinne einer Yardstick Competition angestrebt werden könnte.
Inhaltsübersicht
I.Einleitung
II. Regelungsrahmen in der Europäischen Union
A.Ursprünge
B. Aktueller Regelungsstand
C. Weitere Entwicklungen des Unionsrechts
D.Einschätzung
E. Bedeutung des Unionsrechts für die Schweiz
III.Ausgangslage in der Schweiz
IV.Der neue Rechtsrahmen
A.Grundsätzliches
1.Bestellprinzip
2.Finanzierung
3. Anforderungen an das Transportunternehmen
B.Vergabeverfahren
1. Wahl des Vergabeverfahrens
2.Direktvergabeverfahren
3.Ausschreibungsverfahren
V. Einzelne Fragestellungen zum neuen Rechtsrahmen
A. Abgrenzung zum Beschaffungsrecht
1. Verkehrsleistungen auf der Schiene
2. Verkehrsleistungen auf der Strasse
3.Fazit
B.Gewinnanreize
C.Unternehmenswechsel
D. Ausschreibungen auch im Schienenverkehr
VI.Schlussfolgerungen
Markus Kern, Dr. iur., LL.M. (Harvard), MA in Economics
Oberassistent, Institut für Europarecht Freiburg.
AJP 12_2013.indb 1806
Le cadre juridique des appels d’offres en matière de transports publics
sur la route et le rail a connu une évolution considérable avec l’entrée
en vigueur le 1er juillet 2013 du 2e paquet de la réforme des chemins
de fer 2. Cette réforme crée une base légale explicite pour les appels
d’offres de prestations de transport. Désormais, ce mode d’attribution
est érigé au rang de principe dans le secteur des transports par bus et
est défini comme une possibilité supplémentaire, en plus de l’attribution directe traditionnelle, dans le secteur du rail. La réglementation
suisse fait ainsi un pas en direction du système européen qui est plus
axé sur la concurrence, sans toutefois reprendre intégralement le droit
de l’Union. En l’espèce, il reste à examiner plus en détail, d’une part,
les questions qui concernent notamment la délimitation par rapport
au droit général des marchés publics, les perspectives de gain ou les
modalités lors de changements d’entreprises, mais aussi la question
plus générale de savoir si la voie de réglementation choisie est vraiment efficace et appropriée ou si, au contraire, une concurrence basée sur les indicateurs, au sens d’une concurrence par comparaison
­(yardstick competition), ne serait pas plus souhaitable, au vu du système étroitement imbriqué des transports publics en Suisse.
I.Einleitung
Der öffentliche Regionalverkehr in der Schweiz ist ein
kostspieliges Qualitätsprodukt: Zusammen mit dem Ortsund Fernverkehr bietet er eine nahezu flächendeckende
Versorgung mit den Dienstleistungen des öffentlichen
Verkehrs und mit den Errungenschaften des Taktfahrplans, des Knotensystems mit optimierten Umsteigezeiten und einer einheitlichen Tarif- und Fahrkartenstruktur
auch ein bemerkenswert hohes Qualitätsniveau1. Gleichzeitig ist der Re­gionalverkehr jedoch eine teure Staatsaufgabe: Im Jahre 2009 beliefen sich alleine die Abgeltungen der öffentlichen Hand für die Verkehrsleistungen
auf CHF 1.55 Mrd.2, wozu noch die mittelbare Subventionierung über die Finanzierung der Infrastrukturbenutzung
kommt3. Vor diesem Hintergrund kommt dem rechtlichen
Rahmen des Regionalverkehrs die doppelte Funktion zu,
Vgl. BBl 2011 911, 931.
Verband öffentlicher Verkehr/Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr, Finanzierung des öffentlichen Verkehrs – ein Überblick, Bern 2011, 3.
3
Gemäss dem geltenden Trassenpreissystem orientieren sich die
Trassenpreise an den Normgrenzkosten, wobei zusätzlich noch der
sogenannte Deckungsbeitrag erhoben wird, welcher im Regionalverkehr gegenwärtig 8 % der Verkehrserlöse ausmacht (Art. 19 und
20 Eisenbahn-Netzzugangsverordnung [NZV; SR 742.122]), damit
wird jedoch keine Deckung der Vollkosten erreicht.
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16.12.13 10:36