KunstKonkret Zeitschrift für Kunst, Architekur und Gestaltung

Transcription

KunstKonkret Zeitschrift für Kunst, Architekur und Gestaltung
KunstKonkret
Zeitschrift für Kunst, Architekur
und Gestaltung
Ausgabe 15
Inhalt
KunstKonkret extra
6
Kunststiftung
Robert S. Gessner
Susan Lutz
KunstKonkret vorgestellt
7
Robert
S. Gessner
Zur Wiederbegegnung mit dem
Schweizer Künstler
Eugen Gomringer
Atelierportrait
11
notes
d‘atelier
Jean-Gabriel Coignet
13
architectonic
drawing:
the impingements 1982
gary woodley
Kunsttheorie/Künstlertheorie
15
Spiel
des Möglichen
Ursula Meyer Rogge
18
‚art concret‘ oder ‚abstraction
géométrique‘?
Hansjörg Glattfelder
20
a bstrahieren
Sigurd Rompza
22
K
unstKonkret 1-15. Beiträge zur
Kunsttheorie seit 1995
Museen und Galerien
23
Galerie
Paks Ungarn
Zoltán Prosek
24
G
impel & Müller: un nouveau lieu à
Paris pour «l‘art construit»
Jacques Bouzerand
26
G
alerie Jean Greset. Vingt-cinq
années d’activité
Louis Ucciani
Editorial
Die Zeitschrift
Kunst Konkret, Ausgabe 15
ist dem Künstler
Robert S. Gessner
gewidmet.
Präsentiert wird sie von der
Kunststiftung Rob. S. Gessner
Altendorf, Schweiz
die herausgabe der nummer 15 der
zeitschrift ‘kunst konkret‘ wird
­ermöglicht durch unterstützung von
seiten der robert s. gessner stiftung.
eugen gomringer stellt den schweizer
künstler gessner vor, dessen werk von
der stiftung betreut wird. der künstler
ist über die schweizer grenzen hinaus
noch immer wenig bekannt.
im ‘atelierportrait‘ werden die plastiken
des französischen künstlers jean-gabriel
coignet und die achitectonic drawings
des engländers gary woodley erläutert.
die hamburger kunsthistorikerin ursula
meyer-rogge setzt sich in ihrem beitrag
mit konkreter kunst als ‘spiel des
möglichen‘ auseinander.
unter ‘museen und galerien’ stellt der
museumsdirektor zoltán prosek die
‘galerie paks‘ in ungarn vor. jaques
bouzerand beleuchtet die aktivitäten der
galerie gimpel und müller, die seit einigen
jahren ihren platz in paris in der nähe der
rue de seine hat. und louis ucciani macht
mit der galerie jean greset in besançon
bekannt – der galerist kann auf 25 jahre
galerieaktivität zurückschauen.
für die unterstützung bei der redaktionellen arbeit danke ich vielmals sandra
kraemer.
für die herausgeber
sigurd rompza
ebenfalls in der rubrik ‘kunsttheorie/
künstlertheorie’ geht der schweizer
künstler hansjörg glattfelder der frage
nach, warum im französischen sprachgebrauch der begriff ‘art concret‘ selten
verwendet wird und man stattdessen von
‘abstraction géométrique‘ spricht.
sigurd rompza beschäftigt sich in seinem
text mit der frage: was heißt abstrahieren
in der bildenden kunst?
anschließend sind die seit 1995 in der
zeitschrift erschienenen beiträge zu
kunst- und zu künstlertheorien aufgelistet. interessierte können sich so schneller
einen überblick hinsichtlich der veröffentlichungen verschaffen. deutlich wird,
dass die zeitschrift seit ihrem erscheinen
einen großen beitrag zur theorie
konkreter kunst geleistet hat.
5
KunstKonkret extra
Die Kunststiftung Robert S. Gessner
in Altendorf, Schweiz
Susan Lutz
Die Stiftung wird in den nächsten Jahren
das umfangreiche Werk kunsthistorisch
weiter aufarbeiten, damit ein Werkkatalog bereitgestellt werden kann. Ebenso
sind Publikationen auf kunstwissenschaftlicher Ebene in Planung.
Als im Jahr 2007 die umfangreiche
Sam­mlung des Künstlers Robert S.
Gessner von der Galleria il Tesoro
erworben wurde, stellten die Verantwortlichen fest, dass der Nachlass neben den
über 1500 Werken, auch viel persönliches Material, wie Skizzen- und Tagebücher, Briefe und Dokumente enthielt, die
kunsthistorisch von großem Wert sind.
Aus diesem Grund war klar, dass man zur
Bekanntmachung, Förderung, Forschung,
Illustration und Publikation des Werkes
am besten eine Stiftung gründet. Dieser
Gedanke wurde vom Eigentümer
umgesetzt und die Robert S. Gessner
Kunststiftung wurde im Januar 2011
gegründet. Sie hat heute neben einem
namhaften Stiftungsrat auch ein Kapital
von CHF 500‘000,- und Verträge zur
Generierung neuer Finanzmittel.
Die Kunststiftung Robert S. Gessner
bezweckt den Aufbau und die Pflege
dieser einzigartigen Sammlung, die
erweiterte Bekanntmachung seines
Œuvres sowie unentgeltliches Zugänglichmachen von Kunstgegenständen, die
er geschaffen hat.
Durch die unentgeltliche Leihgabe von
Werken Robert S. Gessners an Kunstmuseen, Galerien und ähnliche Institutionen
im In- und Ausland, soll das Gesamtwerk
der Öffentlichkeit zugänglich gemacht
werden.
6
Robert S. Gessner hinterließ ein bedeutendes Werk. Zürich war seine Heimat, in
der sich seine künstlerische und berufliche Entwicklung abspielte. Zürich mit
Max Bill, Richard Paul Lohse, Leo Leuppi,
Johannes Itten, Camille Graeser, Fritz
Glarner und Verena Loewensberg war
eine Hochburg der konkreten Malerei.
In diesem zürcherischen Spannungsfeld
zeigt Robert S. Gessner seine Stadt in
den abstrakten Stadtbildern. Sonnenbilder entstanden in der Wärme von Ibiza.
Beim Malen verwendete er teilweise Salz
und Sand, um besondere Effekte zu erreichen.
In seinem Tagebuch schrieb er: „Seither
(seit der 1. Einzelausstellung 1949) bin
ich ein lokaler Kleinerfolg als Maler,
Graphiker und Plastiker. Und ich möchte
es darum bleiben, weil ein großer Erfolg
auch mit Abstempeln und Anforderungen von Galerien verbunden ist. Das
würde meine Freiheit beschneiden. Und
Freiheit ist mein wertvollster Besitz“.
Die Malerei, die Musik, die Literatur, dies
war seine Welt. Zu Lebzeiten ließ er seine
Bilder sprechen und hielt sich im Hintergrund.
Kunststiftung Robert S. Gessner
Mülistraße 3
8852 Altendorf, Schweiz
Telefon 055 462 38 88
E-mail [email protected]
oben: Robert S. Gessner, „Haus an der Sonne“,
KunstKonkret vorgestellt
Robert S. Gessner
Zur Wiederbegegnung mit dem
Schweizer Künstler
1947, Öl, Pavtex, 39,5 x 31 cm
unten: „Kristall“, 1960, Öl, Spanplatte, 35 x 47,5 cm
Eugen Gomringer
Der 1908 in Zürich geborene Robert
S. Gessner war Zeit seines Lebens eine
bekannte und angesehene Persönlichkeit
seiner Vaterstadt und war als Künstler im
In- und Ausland an zahlreichen Ausstellungen beteiligt, aber trotzdem wurde
sein Name nur selten genannt oder blieb
unerwähnt, wenn die berühmte Phalanx
der Zürcher Konkreten die Konkrete
Kunst der Schweiz vertrat. Das ging
allerdings nicht nur ihm allein so, wenn
man den Blick einmal auf die Reihen
gleichzeitig arbeitender KünstlerInnen
wirft. Auch deren Namen sind wohlvertraut und sie galten auch damals schon
als anerkannte Künstlerschaft, wie sich
das eben bei Robert S. Gessner exemplarisch erkennen lässt. Ihre Arbeit war nicht
nur notwendig, um die neue Kunst in der
Schweiz zu festigen, sie hatten auch als
Einzelne immer wieder hervorragende
Werke geschaffen.
Um auf die gelegentliche Verflechtung
von beiden „Gruppierungen“ – weder
die einen noch die andern waren jedoch
im Sinne von Künstlergruppen anzusprechen – hinweisen zu können, eignet sich
vorzüglich eine gemeinsame Ausstellung
in Bern im Jahr 1951. In Bern hatte sich in
den frühen 1950er Jahren eine Szene
künstlerisch motivierter Jugend gebildet.
Es waren vornehmlich Grafikerinnen und
Grafiker, womöglich aus den gleichen
Ateliers stammend, und es waren
KünstlerInnen und Schriftsteller, alle vor
ihrer ersten Anerkennung. Es waren
darunter später so bekannte Namen wie
Diter Rot, Marcel Wyss und Luginbühl.
Und alles in der Hand hatte der Buchhändler und Galerist René Simmen. Der
Titel der erwähnten Ausstellung lautete
„Neue Malerei und Plastik aus Zürich“.
Die Namen der Teilnehmer in alphabetischer Reihenfolge waren: Aeschbacher,
Bill, Coray, Eichmann, Fischli, Gessner,
Graeser, Honegger, Leuppi, Loewensberg,
Lohse.
Keine Frage war, dass die Auswahl gut
überlegt war, und die Eingeladenen für
die neue Kunst aus Zürich repräsentativ
sein sollten. Ungefähr die Hälfte der
Namen umgab bereits die Aura interna­
tionaler Erfolge. Für die moderne Kunst
in Zürich, dem Schweizerischen Schwerpunkt jedoch, sprachen alle Eingeladenen. Der Ausstellung war ein kleiner
Katalog im Postkartenformat gewidmet,
der sich aus einem A4-Format falten
ließ und auf zwei Seiten des Faltblattes
einen pro­grammatischen Text von Bill
7
Robert S. Gessner, „Sombra, Ibiza/Zürich“, 1975,
Robert S. Gessner, „Komposition in Rot“, 1961,
Öl, Leinwand, 40 x 40 cm
Öl, Spanplatte, 70 x 43 cm
­ bgedruckt hatte. Es war der bekannte
a
Text mit dem Eingangssatz: Kürzlich bat
mich ein Freund aus Teneriffa für seine
Zeitschrift einen kurzen Aufsatz über das
Thema „Realismus und Abstraktion“ zu
schreiben. Das Ganze trug die Handschrift von Max Bill, auch die Auswahl
der 11 Künstler und der einen Künstlerin.
Als Zürcher, der in Bern studierte und
gleichzeitig ein Praktikum an der
Feuilleton-Redaktion des Bund absolvierte, hatte ich bei der Auswahl auch ein
bisschen mithelfen können, da mir die
Zürcher Künstler seit 1944, der Ausstellung der Konkreten in der Galerie „Des
Eaux Vives“ an der Seefeldstraße,
zunehmend bekannt geworden waren.
Für die Revision Robert S. Gessner ist
diese Einbindung in eine recht honorige
Gruppe der Beweis seiner Anerkennung.
In meinen Notizen zur Ausstellung
machte ich zu jedem Namen einige
Bemerkungen. Bei Robert S. Gessner
hatte ich notiert: Diese Kunst ist auf alle
Fälle nicht mehr wegzudenken. Es erhebt
sich die Frage, ob sich die schweizerische
Kunstgeschichte nicht einmal der Gruppe
der weniger bekannt gewordenen
Künstler annehmen sollte, also z.B.
Gessner, Aeschbacher, Fischli, Eichmann,
Leuppi hinsichtlich ihrer persönlichen
Rolle der Aufarbeitung des modernen
Postulats. Was sich bei der Revision von
Robert S. Gessner erhellt, ist, dass dieser
Mann, der nicht scheu war, was seine
Stellungnahmen zu verschiedenen
8
städtischen und beruflichen Ärgernissen
beweisen, dennoch ein zurückhaltender
Mann war und dies ganz einfach aus
persönlicher Noblesse. Robert S. Gessner
ist einmal der Zürcherischste aller Zürcher
genannt worden. Nicht zu unrecht, denn
seine berufliche und künstlerische
Entwicklung spielte sich – auch wenn
man die vielen Reisen berücksichtigt – in
der Stadt Zürich ab, in der er sich so gut
auskannte. Ein wichtiger Austausch fand
für ihn durch die meist längeren Aufenthalte in seinem Haus auf der Insel Ibiza
statt, die seine Malerei wesentlich
beeinflussten. Diese beiden Schauplätze
umfassen bereits die Geografie seiner
Arbeitsplätze. Wirft man einen Blick auf
die Alterskollegen z.B. in Deutschland, so
standen dort eine bis zwei Generationen
zur Zeit als Gessners berufliche Tätigkeit
als Grafiker und gleichzeitig als freier
Künstler einsetzte, 1932, vor der Frage
der Emigration oder des Ausharrens.
Zürich, das seit der Dada-Bewegung von
1916 internationalen Strömungen
gegenüber offen war, wurde in den
1930er Jahren Sammelbecken von
Emigranten und Rückkehrern. Doch auch
unter den Einheimischen waren Künstler,
die im Sog der großen Wandlungen, die
ihren Anfang im ersten und zweiten
Jahrzehnt des Jahrhunderts nahmen, für
eine Erneuerung, für eine zeitgerechte
Kunst eintraten.
Gessner ist bei diesen Bewegungen in
Zürich nicht von Anfang an dabei. Er hatte
sich auch nicht wie Hans Fischli, Max Bill,
Serge Brignoni, Hans Erni – um nur die
bekanntesten zu nennen – am Bauhaus
oder in Paris „umgesehen“. In der
ein­schlägigen Literatur wird er vergessen.
Dabei hat die Entwicklung seiner Kunst
viele Prägungen von urpersönlicher
Eigenart hervorgebracht. Ihre Wirkungskraft verteilte sich jedoch über die Jahre.
Ein Höhepunkt oder mehrere, die
unbedingt bemerkt werden mussten,
entsprechen nicht dem Charakter von
Gessners Kunst. Zudem geriet sie ins
Spannungsfeld der Konstruktiven und
Konkreten Kunst. Es ist durchaus richtig,
beide Begriffe neben-einander zu verwenden. Denn durch ihr Nebeneinander
wird im Grunde auch ein Spannungsfeld
abgesteckt, indem mit „konstruktiv“ – abgesehen von der historisch erklärbaren
Ent­stehung – strukturdeterminierte Ge­staltung auf der Basis von Mathematik
und Geometrie verstanden wird, mit
„konkret“ andererseits auch empirischpsychisch bedingte Gestaltung, wodurch
innere Tatbestände zu äußeren Tatbeständen konkretisiert werden. Dass sich
auf der Ebene der subjektiven Entscheidung Methoden oft auswechseln lassen,
ist verständlich. Durch das besondere
theoretische Übergewicht der mathematischen Richtung innerhalb der jungen
Zürcher Bewegung wurde schließlich das
Verständnis der Konkreten Kunst mehr
und mehr vom Zweig der rein mathematischen Denkweise vereinnahmt, was
jedoch nicht der Absicht von Max Bill
entsprach.
Die Spannung spiegelt sich in Gessners
Ausspruch wider: Aber bin ich nicht ein
romantischer Konstruktivist? Die Doppelsinnigkeit der beiden Begriffe „romantisch“
Robert S. Gessner, „Zweiteilung mit dem Roten
Robert S. Gessner, „ohne Titel“, 1946,
Quadrat in der Mitte“, 1963, Acryl, Pavatex,
Mischtechnik, Pavatex, 20 x 32,5 cm
32,5 x 20 cm
und „Konstruktivist“ hat immer wieder
manchen Künstlern mehr oder weniger
bewusst Probleme aufgegeben. Die
Selbsterkenntnis Gessners ist deshalb
verständlich genug, um damit in sein
Werk, wie an einem roten Faden geführt,
hinein zu leuchten. Im Vorgriff kann auch
schon bemerkt werden, dass, wenn es
einem Zürcher Künstler gelingen musste,
den Widerspruch aufzuheben, die Kunst
Gessners dazu prädestiniert war und dass
sie dadurch überzeugende Ergebnisse
erbracht hat. Es war aber schon viel
früher Paul Klee, welcher am Zwiespalt
litt, den die „Abstraktion“ entstehen ließ.
Auch die Ausstellungen der Galerie „Des
Eaux Vives“ von 1944/45 liefen noch
unter dem Programm „abstrakt-konkret“.
In seinem Tagebuch-Eintrag Nr. 951 des
Jahres 1915 notierte Paul Klee: „Man
verlässt die diesseitige Gegend und baut
dafür hinüber in eine jenseitige, die ganz
ja sein darf. Abstraktion. Die kühle
Romantik dieses Stils ohne Pathos ist
unerhört. Je schreckensvoller diese Welt
(wie gerade heute), desto abstrakter die
Kunst, während eine glückliche Welt eine
diesseitige Kunst hervorbringt“. Für die
Kunst von Robert S. Gessner ist Klees
Feststellung von der kühlen Romantik
dieses Stils ohne Pathos Jahrzehnte später
auf eigentümliche Weise immer noch
zutreffend. Von einer Spiegelung der
Schrecken dieser Welt ist jedoch in
Gessners abstrakter – jetzt also auch
nicht in seiner Konkreten Kunst – nichts
mehr zu bemerken. Im Gegenteil: Die
romantische Konkrete Kunst Gessners
erweckt eine positive Grundstimmung, in
welcher z. B. mediterrane Naturgläubigkeit in Teilen stark mitbestimmend ist.
Überdies ist die Kunst Gessners geprägt
von seiner langjährigen Tätigkeit als
Lehrer an der Kunstgewerbeschule
Zürich. Er beherrscht die Techniken. Trotz
der Bemerkung, dass sein Werk nicht die
Höhepunkte aufweist, die ein Werk in die
höchsten Ränge hebt, sind es einige
Themen, die, wie ich 1951 bei der
Begegnung in Bern meinte, in einer
Revision, im Verein mit der sachlich
sauberen Maltechnik, besondere
Berücksichtigung einfordern. Er war ein
Suchender, ein Suchender nach Urbildern, ein Suchender nach der reifen
Komposition, ein Suchender nach der
perfekten Technik. Man wird seinem
Werk insgesamt den Stellenwert einer in
sich gereiften, thematisch interessanten
Kunst zuschreiben.
9
Robert S. Gessner
Biografie
Elisabeth Ott-Schreiner
1908 in Zürich geboren als Sohn eines
Zürcher Oberrichters und InfanterieOberst, als Ur-Ur-Enkel des Zürcher
Dichters und Malers Salomon Gessner,
der durch seine idyllische Behandlung
antiker Bukolik berühmt wurde
Besuch der Handelsschule
ab 1924 Beschäftigung mit abstrakter
und ungegenständlicher Malerei
1925-27 Lehre als Schaufensterdekorateur bei Jelmoli Zürich
1927-31 Besuch der Kunstgewerbeschule
Zürich, Klasse von Alfred Altherr
Übertritt und Abschluss in der Fachklasse
für Grafik.
Kontakte mit den Lehrern Walter
Roshardt, Ernst Keller, Karl Hügin, Otto
Meyer-Amden, Ernst Gubler.
Kurze Studienaufenthalte in München,
Paris, Spanien und Mailand
ab 1932 Selbständiger Gebrauchs- und
Werbegrafiker und Maler
1932- 33 Beteiligung an einer kleinen
Keramikwerkstatt in Ascona.
Erste Ölbilder und Linolschnitte
entstehen, neben Gouache, Aquarell und
Tusche. Erfolg als Grafiker
1933 Heirat mit Edith Carola Wernecke
ab 1933 Tätigkeit als Grafiker in Zürich,
zeichnet und malt in der Freizeit
10
Robert S. Gessner in seinem Atelier
1935 Heirat mit Beatrice Hüni
Von W. Boesiger erhält er den Auftrag
das bekannte Künstler-Café Select an der
Limmat in Zürich mit einem Wandbild
auszustatten (zerstört beim Selectbrand
in den 1940er Jahren. Nur der Entwurf
bleibt erhalten)
1938 Mitglied der Allianz, Vereinigung
moderner Schweizer Künstler, die im
Vorjahr gegründet wurde. Ihr Präsident
ist Leo Leuppi, die Vorstandsmitglieder
sind Richard P. Lohse, Hans. R. Schiess,
Walter Bodmer und Hans Erni.
Zweck des Vereins ist die gemeinsame
Förderung der modernen Kunst und die
Wahrung der daraus sich ergebenden
Interessen
1941 Heirat mit Selma Bührer
1940- 56 Beauftragter für die Ausbildung von Lehrlingen und von Volontären
der Kunstgewerbeschule Zürich
1942-44 Gessner hat sich an der
Geometrie und Mathematik erprobt, es
entstehen Spiral-Kompositionen, die
wohl mit Zirkel und Winkel konstruiert
werden, deren Wege und Endpunkte
jedoch dem Gefühl überlassen sind
1944-45 Hilfslehrer für Zeichnen an der
Kunstgewerbeschule Zürich.
Strenge Rechteckformen in Gitter­kon­
struk­tionen wechseln ab mit frei im Raum
schwingenden Formen.
Es erscheint mond- und sonnenhaft eine
Kreisscheibe, entweder in der Funktion
eines Gestirns über der Landschaft oder
als Kontrapunkt zu spitzen, kristallinen
Kumulationen von Flächenverspan­nun­
gen. Die farbliche Differenzierung verleiht
jedem Bild seinen eigenen Charakter. Die
Bilder tragen keinen Titel. Sie sollen
nichts als sich selber darstellen.
1947 Gessner malt das Ölbild „Haus an
der Sonne“, das aufgebaut ist aus einem
Gefüge von Rechtecken, Schrägflächen
und kleinen Quadraten. Er bleibt dem
Hausgefüge, woraus sich auch Stadtgefüge bauen lassen, lange treu.
1950er Jahre In der Themenwahl stehen
drei Bereiche im Mittelpunkt: „Stadtarchitektur“ (wohl unter dem Einfluss von
Paul Klee), „Kristalline Durchdringung“
(Bilder mit einem markanten Schnittpunkt) und „Flächenproportionen“ (reine
Bilder ohne äußerlichen Gegenstandsbezug), wobei sie sich zum Teil überschneiden. Aus Skizzen gegenständlicher Motive
entstehen Abstraktionen und auch rein
ungegenständliche Gestaltungen
1957-63 Fachlehrer für Zeichnen und
Prorektor von Hans Fischer (fis) an der
Kunstgewerbeschule Zürich. Leiter der
Lehrlingsausbildung.
Verschiedene Aufenthalte auf Ibiza
1960er Jahre Jahrzehnt seines reifsten
Wirkens. Er überblickt alles bisher
Geschaffene und seit seinem Rückzug
aus der Kunstgewerbeschule gelangt er
viel befreiter zur Entfaltung. Seine
Hauptthemen sind das „Idol“ – verstanden als Kreisscheibe, Sonnenscheibe,
Segment, oft in Verbindung mit dem
Meer und fast immer das Erlebnis in Ibiza
widerspiegelnd. Das andere Thema wird
als „Geheimnis der Geometrie“ bezeichnet, in denen der letzte Rest gegenständlicher Erinnerungen getilgt ist
1970er Jahre Die konstruktiven Lösungen werden immer reiner
und einfacher
1982 in Ascona gestorben
Notes d‘atelier
Jean-Gabriel Coignet
Clément Greenberg rêvait d’un «art
doux, grand, équilibré, apollinien dans
lequel la passion ne remplit pas les vides
laissés par l’application défectueuse ou
incomplète des théories mais part du
point où la théorie la plus avancée
s’arrête, un art dans lequel un détachement intense informe toute chose».1
Cette citation m’a beaucoup éclairé sur
l’orientation qu’a pris mon travail depuis
1990.
Ma pratique de la sculpture se situe entre
l’objet et l’architecture en empruntant à
l’objet son aspect lisse, homogène, voire
impersonnel ainsi que la sérialité et à
l’architecture quelques éléments de son
vocabulaire et dispositif. Il en résulte des
formes presque familières mais qui
n’appartiennent ni à l’un, ni à l’autre,
Jean Gabriel Coignet, série «Sculpture Opaque»
doivent s’inventer une place, un mode de
cohabitation avec ce qui les entoure en
organisant un écart, une respiration.
Ainsi la série «Sculpture Opaque»
désigne un ensemble de constructions
qui sont posées directement au sol et
constituées de cinq plans visibles. Un seul
de ces plans est orthonormé et perpendiculaire au sol, les autres s’appuient sur lui
de façon oblique. Quatre des arêtes
convergent sur le bord supérieur droit et
produisent donc un décentrement.
Peinte d’une seule couleur, aucun des
plans n’est privilégié. Cependant ils se
distinguent les uns des autres par la
lumière qu’ils reçoivent. C’est sa situation
au sol et les qualités d’éclairement du lieu
qui inscrivent et articulent la sculpture en
ce lieu.
Les sculptures de la série «Ana» sont des
constructions peintes également d’une
seule couleur, elles s’organisent autour
d’une ouverture décentrée. La base
asymétrique encadre une partie du sol sur
lequel elle repose et fait seuil. Des deux
extrémités de cette base se dresse
perpendiculairement un portique formant
élévation. Cette construction totalement
orthonormée mais combinant des
décalages, amène à l’aborder de façon
oblique. Selon leur échelle, ces sculptures
sont soit proches de l’objet soit rejoignent
les dimensions d’un abri mais pas au-delà
car comme le déclarait Max Bill il y a
quelques années lors d’une émission à la
radio; «la sculpture est inhabitable».
La série «Relief» a été un moyen de
transposer au mur les articulations de la
11
Jean Gabriel Coignet, «Relief C2-3», 2000,
Jean Gabriel Coignet
acier, peinture polyuréthane, 90 x 100 x 9cm
Vue de l’exposition à La Verrière, Bruxelles, 2009
série «Sculpture Opaque»: voir comment
ce type de configuration peut exister
ainsi. Peints en blanc, ces reliefs
s’approchent de la forme et de la
discrétion de l’applique, mais leur
positionnement, conditionné par leur
constitution, semble les faire pivoter sur
le mur ce qui engendre une idée
d’étendue renforcée par l’ombre portée
variant suivant l’heure.
Il en va tout autrement avec la série «
Vanité »qui au même titre que la série
«Ana» s’organise autour d’une ouverture.
Ici, une partie du mur apparaît à travers
la construction tout en la complétant.
L’ombre portée joue ici aussi bien à
l’intérieur qu’en périphérie ce qui donne
un aspect instable à ces solides constructions. Dans une certaine mesure, ces
réalisations font écho au tableau, sa
constitution et une réelle profondeur
faisant office de perspective qui
n’aboutit qu’au mur, d’où l’appellation
«Vanité».
«Appareillage» est une série qui regroupe un ensemble de dessins linéaires
tracés à même le mur à la mine de
plomb. Inscrits dans un format carré ou
rectangulaire, ce sont de simples
répartitions de surface en bandes
horizontales ou verticales proportionnelles les unes aux autres. Selon l’incidence
lumineuse, ces lignes, tout en révélant le
grain du mur, peuvent passer du noir
profond à la brillance, jusqu’à leur quasi
disparition et bien souvent les défauts de
planéité de la surface murale donnent
une certaine instabilité à ce tracé
géométrique rigoureux. Ces dessins ne
sont en aucun cas le plan d’une sculpture
à venir, «appareillage» est pris dans le
sens: disposition régulière d’un matériau
de construction, c’est à dire mettre sous
le regard ce qui préside à la réalisation,
comme l’écrit Paul Ardenne «… ce que
l’on voir en filigrane des plans
d’Appareillage est bien plus qu’une
forme: une géométrisation, donc un
12
processus; une organisation en devenir,
donc une tactique dévoilée; un relevé,
donc une tentation de saisie de l’espace.
Toute œuvre doit donner à voir ce qui en
elle se construit et ce qu’elle-même
élabore au-delà de sa forme propre». 2
l’organisation du monde afin de le
changer, programme s’inscrivant dans
une période révolutionnaire, ce qui n’est
malheureusement plus à l’ordre du jour.
Pour ma part je me contente de contribuer à le regarder autrement. C’est une rude
tâche que je tente de poursuivre comme
beaucoup d’autres et avec discrétion dans
le domaine élargi de l’abstraction qui
comme l’écrit Jean Lauxérois: «En phase
avec la modernité poétique, l’abstraction
picturale a été précisément cette rupture
inaugurale qui a permis à la pensée
créatrice, au-delà des catégories de
perception et de représentation,
d’instaurer notre rapport libre et libéré,
contemplatif, avec l’espace et le temps du
monde, c’est à dire avec une réalité dont
elle permet d’interroger le sens». 5
Notes
1) c ité par Harry Cooper in: Un détachement
De ces dessins est directement issue
«Katarzyna série», série très récente qui
regroupe des sculptures faites de 5
surfaces superposées de 5 couleurs
différentes. Sorte d’énoncé d’éléments
constructifs et constitutifs de mon travail
de ces 20 dernières années et qui suivant
les dimensions de ses plans fait masse ou
s’étire. Sorte de stock de formes possibles
en suspend. Son titre est un hommage à
Katarzyna Kobro dont l’œuvre
m’accompagne depuis longtemps ainsi
que certaines de ses déclarations: «Nous
brisons le volume par la couleur. Le
volume dont chaque face est peinte
d’une couleur différente, cesse d’être un
volume, se disloque en plusieurs surfaces
dont aucune ne sert plus à la fermeture
du volume». 3 Ou encore «La construction centrée de la sculpture, viol manifeste de la loi de l’homogénéité et de
l’équivalence de l’espace, est une erreur
du point de vue Uniste. La construction
centrée doit être abandonnée pour
toujours car elle entraîne l’opposition de
la sculpture et de l’espace». 4
Chez Katarzyna Kobro, je retrouve cette
volonté d’inscrire la sculpture dans
intense: Line Form Color d’Ellwoth Kelly, p 6, ed.
Harvard Univesity Art Museum 1999
2) J ean-Gabriel Coignet: Constructions et solides
irréguliers. Catalogue des expositions. La
Chaufferie, Strasbourg, Frac Alsace, Sélestat, La
Criée, Rennes 1997
3) W
. Stréminski, K. Kobro: L’espace uniste. ed.
L’Age d’Homme, 1977, p. 106
4) Ibid p. 99
5) +
de Réalité. livre catalogue de l’exposition + de
Réalité. Le Hangar à Bananes, Nantes. ed Jannink
2009
architectonic drawing:
the impingements 1982
impingement no. 54. elliptical helix, flowers central,
gary woodley
London, UK 2010 (detail)
the central concerns have remained in
the coding, distribution and orientation
of edge, surface, volume and space
through the use of projective, discriptive
and topological geometries. earlier works
explored the possibilities within lightweight 3- dimensional constructions, the
complex curves produced by the tensile
forces acting upon simply disrupted grid
forms. this led to an investigation of soap
film structures and the least amount of
material necessary to create a form. a
critical realisation at this point was that
the line derived by the intersection of
one form with another was all that was
needed to create a 3 dimensional
structure and offered the possibility of an
increase in scale.
this became the basis of the ‚impingement‘ series of architectonic drawings
whereby large scale immaterial forms are
thrown onto the given environment. the
lines of intersection of these virtual
volumes with the rebarbative elements of
a given site are all that is marked. the
activity seeks to articulate whole
buildings, or as much as is allowed. a
wandering investigation of often
overlooked spaces and mundane details
lets the 3 dimensional image and
dynamic build slowly in the mind and act
phenomenologically on the body.
initial tests were made in 1982 and by
1987 I was fully committed to this
methodology and immaterial ideology.
the main question was in how to develop
the geometries through the technical
limitations. the first works were resolved
through a length of string and then the
development of simple 3-D drawing
machines that could generate spheres
and ellipsoids, and could to some extent
be manipulated to draw around corners.
one noteable early use of a calculated
spherical template was made for a simple
site in 1988. these means were extended
by the incorporation of lasers and
precision optical instruments that offered
13
impingement no. 49. xyz axes disrupted v.2 project
franchise/r c de riumte, Beverwijk, NL 2007 (detail)
accurate planar configurations and
allowed for a greater scale. cusped and
conic curve variatons could also be
projected by laser, but from one point
only, the restriction of line of sight.
around 1996 3-D computer programmes
became more useful, predominately as a
‘sketchbook’ space where concepts and
configurations could be developed. more
complex curvilinear forms could be
explored, although initial studies were
only realised in model form. by 2000 I
had begun to take thorough site
measurements of rectilinear architecture
to build reasonably accurate computer
models of places. once my forms were
added I found I could print a full scale
paper template of all the flat surfaces of
the site (floors, walls, ceilings, windows)
with my lines of intersection located. for
a complex site a lot of paper was
necessary and the installation process
rather slow , but it worked.
a limitation of this computer templating
is that some architectural form is either
too complex or too inaccurate, through
either the building method or from
14
structural movement, for my simple
measuring. another curious problem is
that my full scale paper pattern does not
always conform to the more complex
architectural surfaces or textures,
although technical developments in
scanning and projection may overcome
this in the near future. for now I retain all
of the possible means at hand to deploy
as necessary to the limitations of site,
scale and time.
this also means that I retain all the
possible geometric options gathered over
the years, to be modified and developed,
and added to by those forms that
continue to intrigue me to venture
further. 58 manifestations to date, most
of them temporary, from compounds of
spheres and ellipsoids, planar configurations that play off the architectural form
and the human scale, various conics,
toroidal permutations, volumetric helices,
through to the geometry of minimal
sufaces, both finite and infinite, that
relate so neatly to the starting point with
soap films.
Spiel des Möglichen
Ursula Meyer-Rogge
„Spiel des Möglichen“ – ich möchte den
Titel zu dieser Ausstellung 1 einmal zum
Anlass nehmen, nach der Rolle der Kunst
zu fragen, nicht irgendeiner, sondern der,
die Sie hier sehen. Im Titel steckt ja
bereits so etwas wie eine Rolle, eben die
des Spielenden oder des Spielerischen,
aber, und das ist die klare Einschränkung,
im Bereich des Möglichen. Was hier nicht
eigentlich das Unmögliche zum Gegensatz hat, sondern das Spektakuläre. Denn
es ist keine Kunst, die mit dem Überschreiten von Reizschwellen arbeitet,
nicht mit provokanten Inszenierungen
etwa auftritt, sondern sich weiterentwickelt hat aus jener Kunst, die in den 20er
Jahren des letzten Jahrhunderts konkret
genannt worden ist. Sie versteht sich als
äquivalent zur sinnlich wahrnehmbaren
Welt.
Eine Kunst also, die sich konzentriert auf
die ihr eigenen Bildmittel und die
plastischen Mittel, auf deren Beschaffenheit, Form, auf das Verhältnis der Teile
zueinander, usf., wobei sich immer die
Frage gestellt hat, ob in ein Bild, die
Plastik nicht doch noch Reste jener alten
abbildenden Kunst eingeflossen sind.
Wieweit also der Emanzipationsprozess
der Kunst zu treiben ist, hin zu jener
Äquivalenz, oder doch Unabhängigkeit
von allen Ansprüchen, die an Kunst
gestellt werden.
Man kann aber auch von einer ganz
anderen Seite her an dieses Problem
herangehen und fragen, was eigentlich
sehen wir, wenn wir unsere Umgebung
etwa betrachten und wie sehen wir
etwas an. Und was übersehen wir. Eine
Frage an die Wahrnehmung, die die
Künstler sich natürlich selbst gestellt
haben. Sie ist nicht verloren gegangen,
im Gegenteil, sie ist immer wichtiger
geworden. Doch hat sich seltsamerweise
dann der Begriff des Konkreten davor
geschoben, ein wenig wie eine hoch zu
haltende Fahne, hinter der sich die
Künstler geschart haben und nicht nur
15
geschart, sondern mit theoretischen
Äußerungen ihre Haltung untermauert,
sie zu einem Credo gemacht haben.
Das ist bemerkenswert und hat den
Zugang zu dieser Kunst nicht erleichtert,
einer Kunst, die sich doch unmittelbar an
den Betrachter wendet, an seine
Wahrnehmung, ein Sehen speziell, das
allerdings nicht leicht zu erreichen ist,
weil es gefärbt ist von Vorstellungen,
beladen mit Erinnerung und mit Wünschen, mit Erwartungen an die Dinge
und die Ereignisse. Das also meistens
bereits mit Vorzeichen versehen ist, und
wir sehen nicht das dann, was gewissermaßen da ist, sondern das, was wir zu
sehen wünschen etwa, oder das was wir
erwarten.
Wann wird Kunst sichtbar, müsste man
eigentlich fragen. Dann also erst, wenn
all jenes ausgeschlossen wird, was die
Wahrnehmung ablenkt, das, was bloß an
etwas anderes erinnert, was der Kunst
zumutet, die Welt gleichsam zu bestätigen in dem, wie sie ist.
Um zu verstehen, wie gebunden das
Sehen ist, braucht man nur an die Farben
zu denken. Vom Grün braucht man kaum
zu sprechen, das ist Gras. Braun suggeriert unbedingt etwas Erdiges, Blau hat
die wunderbare Qualität, in die Ferne zu
fluktuieren und sich an ein Himmelsblau
anzuschließen, ein Rot an ein Rosenrot
vielleicht oder Verkehrsschildrot, oder
Blutrot...
Lauter Verführungen, könnte man sagen,
die das Wahrnehmen an die bekannte
Realität anschließen wollen, was nicht
ohne Grund geschieht, denn man hat
festgestellt, dass das Sehen von Farbe,
zum Beispiel, von „unserem auf Dinge
fixierten Bewusstsein verdrängt“ wird. 2
Wir sind nicht in der Lage ein Rot nur als
Rot, man müßte schon sagen, anzuerkennen. Nicht anders geschieht es mit
Formen, Strukturen, dem Lineament
16
einer scheinbar doch offenen, im Grunde
jedoch strikt an Erwartungen gebundenen Ordnung, die uns täglich begegnet.
Eine langgestreckte Waagerechte
suggeriert Horizont. In Symmetrien
erscheint uns, Europäern muss man
hinzufügen, die Welt harmonisch
gespiegelt über jener Mittelachse, die wir
für uns selbst gleichsam als Herrschaftsachse beanspruchen. Dann gibt es die
Diagonale, die von links nach rechts
ansteigend etwas Positives signalisiert,
umgekehrt, also abfallend, negativ
besetzt ist. Ein Dreieck, nach unten
geöffnet, ist sofort Zeichen für Dach, also
Behüten, Beschützen, usf.
Unser Wahrnehmen, das ist ganz eindeutig, ist nicht frei. Die Welt scheint
übersät von Zeichen, die wir nicht etwa zu
deuten haben, sondern bereits gedeutet
haben. Man könnte behaupten, wir sehen
nichts als das, was wir bereits wissen.
Da also, an dieser Stelle, setzt diese Kunst
an, wenn sie das Bild zu befreien versucht
von all jenen Vor-Zeichen, wenn sie den
Blick des Betrachters lenkt auf das, was
vor den Gegenständen, Dingen, auf die
wir fixiert sind, liegt. Was die Künstler
einer gewissermaßen fertigen Welt an die
Seite zu stellen versuchen, ist dabei nicht
irgendeine neue, unbekannte, umstürzende Tatsache, sondern etwas sehr
Einfaches und darum höchst Schwieriges.
Sie berühren die verschleierte Sicht auf
die Welt, aber nicht dadurch, dass sie
einen Schleier oder den Vorhang
wegreißen, sondern mit ihren Kunstmitteln, und nur diesen, sich an ein Wahrnehmen oder Sehen wenden, das von
allen Schleiern und Vorurteilen verborgen
doch da ist.
Dafür suchen sie nach dem Grundvokabular der Bildmittel, nach einer Farbe
etwa, die als Farbe wahrnehmbar ist,
nach einem Bildaufbau, in dem es keine
Komposition mehr gibt, weil eine
Komposition mit der Über- und Unterord-
nung der Teile an die alten Hierarchien
erinnert. Dasselbe gilt für die Plastik.
Es ist eine asketische Haltung, vielleicht,
wenn man sie mit dem optischen
Überfluss vergleicht, der unseren Alltag
begleitet. Wenn man dann ihren Gesten
folgt, und es liegen dieser Kunst immer
auch Gesten zugrunde, kommt man noch
auf etwas anderes. Auf eben jene Rolle,
die sich nicht mehr als Avantgarde, im
gleichsam militärischen Jargon als
Eroberin von Welt versteht, sondern mit
Emanzipation zu tun hat, der Kunst und
des Sehens. Sie hat darum auch den
Zusammenhang mit der Gesellschaft
gesucht, den sozialen Aspekt betont, den
politischen Hintergrund reflektiert. „Das
gesamte, tiefer werdende moderne
Leben“, schrieb Piet Mondrian 1918,
„kann sich rein in der Malerei spiegeln“. 3
Richard Paul Lohse mit seinem Konzept
der seriellen und modularen Bildordnung,
sah sein Werk in Analogie zu einer
endlich radikal verwirklichten Demokratie. Max Hermann Mahlmann verstand
seine Kunst der Ordnung als Gegenbild
zum Chaos, man muss hinzufügen, der
Kriegs- und Nachkriegszeit.
Vom Bauhaus ist der pädagogische
Impuls ausgegangen, ein Aspekt, der in
Deutschland immer eine große Rolle
gespielt hat. Ein schönes Beispiel ist Josef
Albers, der vom Bauhaus nach US-Amerika emigrierte und mit seiner „Interaction
of Color“ dort und später auch hier
großen Einfluss hatte.
Das sind herausgegriffene Beispiele, die
doch belegen, wie die Künstler ihr
Handeln verstanden haben, nicht als
isoliert Schaffende, die die Gesellschaft
dann mit den Ergebnissen konfrontieren,
sondern sie fühlten sich zugleich als
Mitglieder dieser Gesellschaft.
Geändert hat sich dann allerdings, und
das ist nicht erstaunlich bei einer Kunst
mit einer langen Geschichte, die Blickrichtung. Nicht mehr auf das Ganze einer
Gesellschaft bezieht sich ihr Handeln,
sondern auf den Betrachter zuerst. Das ist
natürlich auch vor dem Hintergrund
dieser Gesellschaft zu sehen, die es zu
tun hat mit dem Begriff des Globalen, in
dem Unterschiede sich verwischen, dem
diese Kunst ein ursprüngliches Bild, eine
Plastik nicht einmal entgegensetzt, nur
zeigt.
Das könnte man fast schon verstehen als
einen Affront, wenn das dieser Kunst
nicht ganz fremd wäre. Sie hat sich
konzentriert, man möchte es nennen, auf
ein Fingerspitzengefühl, jenes feine
Empfinden, das man doch hat oder
einmal gehabt hat, am Anfang, als man
noch staunte über Farben, über die
Beschaffenheit der Dinge, sich bewusst
wurde nicht bloß der Erscheinungen,
sondern im selben Maß seiner eigenen
Sinne.
Prozess hin zu etwas, das Mondrian
einmal so formuliert hatte: „Es ist die
Aufgabe der Kunst, eine klare Erkenntnis
der Wirklichkeit auszusprechen“. 4
Wenn wir heute bescheidener sagten,
einer Wirklichkeit, ist das schon viel. Und
nicht nur irgendeiner, sondern dieser
ganz unmittelbaren, womöglich punktgleichen, von der dann alles andere
abhängt.
In einem Hinweisen, Vorführen, dem
Zeigen der empfindlichen, differenzierten
Prozesse, die zu einem Erkennen führen,
darin, so scheint mir, verstehen diese
Künstler ihr Arbeiten heute und also ihre
Rolle.
Anmerkungen
1 D
er Text ist entstanden zur Ausstellung „spiel des
möglichen“, im Forum-Kultur der Stadt
Norderstedt, März/April 2003.
2 Michael Fehr (Hg.): Die Farbe hat mich. Positionen
zur nicht-gegenständlichen Malerei. Katalog-Buch
Was man ein Selbstbewusstsein nennen
könnte, wenn das Wort noch tauglich ist.
Dem Künstler stellt sich die Frage anders.
Was er im Umgang mit jenen grundsätzlichen Materialien erfahren hat und
erfährt, was ihm gleichsam durch die
Finger gegangen ist, legt er dem Bild, der
Plastik zugrunde. Er kehrt als ein Autor
zurück, nicht mit einer Handschrift, die
alle Aufmerksamkeit vom Bild weg auf
eine persönliche Geschichte lenkte,
sondern als Partner im Dialog mit dem
Betrachter.
zur gleichnamigen Ausstellung. Karl Ernst
Osthaus-Museum Hagen 2000, S. 370.
3 Hans L. C. Jaffé: Monrian und De Stijl. Köln 1967,
S. 37.
4 Piet Mondrian. In: Equilibre. Gleichgewicht,
Äquivalenz und Harmonie in der Kunst des 20.
Jahrhunderts, Kunsthaus Aargau 1993, S. 100.
Es ist eine Gleichberechtigung mit
empfindsamen Vorzeichen, ein Vertiefen
und Balancieren von Wahrnehmen,
Empfinden, in dem beiden Seiten das
gleiche Gewicht zugesprochen wird, dem
Bild oder der Plastik, und dem Betrachter.
Darin liegt die Betonung. All das, was
diese Künstler erforscht haben, und sie
verstehen sich auch als Forscher, ist dann
im Bild, der Plastik nicht einfach Ergebnis,
sondern lesbar als Stufe im langen
17
‚art concret’ oder ‘abstraction
géométrique’?
Hansjörg Glattfelder
Vor einigen Monaten präsentierte an der
Sorbonne eine Doktorandin den ‘Catalogue raisonné’ der Werke von Aurélie
Nemours zur Erlangung der Doktorwürde. Sie tat dies, wie üblich vor einer
akademischen Jury von Kunsthistorikern
und das Ritual dauerte über drei Stunden; Referate, Befragung und Repliken
folgten sich ohne Unterlass. Als die
Promotion schließlich feierlich erfolgt war
und Champagner ausgeschenkt wurde,
stellten Sigurd Rompza und ich in einem
Gespräch fest, dass während der ganzen
Diskussion die Bezeichnung ‚art concret’
kein einziges Mal benutzt worden war.
Dies gab den Anstoß zu den nun
folgenden Überlegungen.
Wie kommt es, dass in Frankreich, wo
doch 1930 ‚art concret’ aus der Taufe
gehoben wurde, diese Art Kunst
hartnäckig und eigentlich widersinnig als
‚abstraction géométrique’, seltener – und
etwas neutraler – als ‚art construit’
bezeichnet wird? Wenn man, was nahe
liegt, die Autoren selbst nach den
Gründen dieser Wortwahl befragt, erhält
man meistens die Antwort, dass dies fast
unvermeidlich sei, weil der französische
Leser mit dem Wort ‚concret’ etwas
Handgreifliches, Materielles, Gegenständliches verbinde. Es sei daher
verständlicher, wenn man eine nicht
repräsentierende Kunstform wie die
konkrete Kunst mit dem Wort ‚abstraction’ bezeichne. Gelegentlich lässt sich
die Argumentation noch etwas weiter
entwickeln, wenn man den Gesprächspartner darauf aufmerksam macht, dass
18
sich das gleiche Problem auch für den
deutschen Sprachraum gestellt habe und
stelle, dass sich aber dort dennoch im
Laufe der Jahrzehnte eine Reihe von
Museen, Assoziationen und Galerien
gebildet habe, welche die Bezeichnung
‚konkret’ nicht scheuen; und Ähnliches
gilt übrigens auch für Lateinamerika,
insbesondere für Brasilien. Allerdings
kann dem entgegengehalten werden,
dass auch im angelsächsischen Sprachraum die Bezeichnung ‚concrete art’ sich
kaum mehr durchgesetzt hat als im
Französischen, mit dem Unterschied
allerdings, dass das Wort dort fälschlicherweise mit ‚Betonskulpturen’ assoziiert wird.
Nun ist die konkrete Kunst nicht eine
Bewegung, die in einer fernen, nebelhaften Vergangenheit entstand, ihre
Entwicklung ist vielmehr seit dem
Gründungsmanifest von 1930 recht gut
dokumentiert. Die Unterschiede in der
Benennung in den verschiedenen
Sprachen sollten sich folglich in den
geschichtlichen Dokumenten erkennen
lassen. Die Schwierigkeiten für das Wort
‚art concret‘ begannen schon wenige
Monate nach dem Gründungsmanifest
von 1930, nämlich als es in Paris darum
ging, eine neue, breiter gefasste Künstlerbewegung zu schaffen, in der sich die
gesamte anti-surrealistische Avantgarde
zusammenfinden sollte. Die vorbereitenden Gespräche fanden bei Theo van
Doesburg in Meudon statt. Leider sind
von diesen Verhandlungen, an denen sich
u. a. Herbin, Kupka und Vantongerloo
beteiligten, keine Protokolle bekannt.
Offensichtlich gelang es van Doesburg
nicht, die Bezeichnung ‚concret’ durchzusetzen, denn die neue Assoziation nannte
sich ABSTRACTION – CREATION, art non
figuratif. In der programmatischen
Erklärung der Bewegung wird deutlich,
dass mit dem Wort création ziemlich
genau das umschrieben wird, was van
Doesburg für die art concret formuliert
hatte. Doesburg starb fast auf den Tag
genau mit der Gründung von Abstraction
– Création, doch nicht wenige seiner
Ideen wurden von wichtigen Künstlern
wie Kupka und Vantongerloo auf ihre
Weise weitergetragen und weiterentwickelt.
Im Laufe der 1930er Jahren wurde die
Bezeichnung ‚konkrete Kunst’ nur selten
gebraucht, doch muss man sich in
diesem Zusammenhang in Erinnerung
rufen, dass die Sache und der Name nicht
immer identisch sind. Tatsächlich gab es
in den dreißiger Jahren konkrete Kunst,
die sich nicht so nannte, obschon sie
weitgehend den Kriterien van Doesburgs
entsprach, und umgekehrt verlangten
nun Künstler die Bezeichnung ‚konkret’
für ihr Werk, das sich in einem der
konkreten Kunst sehr fremden Ideenreich
entwickelt hatte. Dies gilt vor allem für
Kandinsky, der 1938 mit seinem Artikel
„art concret“ in der Pariser Zeitschrift
‚XX siècle’ mehr eine psychologisierende
causerie als ein programmatisches
Statement gab, dessen Werke aber
höchstens in seiner Bauhauszeit eine
ferne Affinität mit der konkreten Kunst
erkennen lassen. Nicht unerwähnt
bleiben soll in diesem Zusammenhang
die Ausstellung „abstract & concrete“ in
der „Reid & Lefèvre Gallery“ von 1936 in
London, welche dem Begriff ‚concrete‘
eine Zukunft im britischen Reich zu
versprechen schien, die sich dann aber
nicht weiterentwickelte. Im gleichen Jahr
schrieb auch Max Bill sein bekanntes
Statement „konkrete gestaltung“ in
Zürich.
Die ersten Jahre nach dem zweiten
Weltkrieg schienen zunächst der
Bezeichnung ‚art concret’ in Frankreich
einen beachtlichen Raum zu geben: 1945
organisierte die Galerie Drouin in Paris
eine Ausstellung mit dem Titel ‚Art
Concret‘, begleitet von einem Text Jean
Gorins und im gleichen Jahr wurde in der
Grundsatzerklärung des Salon des
Réalités Nouvelles ‚art concret’ an erster
Stelle genannt um den Interessebereich
des Salons zu definieren. Das Problem
dabei war, dass an zweiter Stelle jedoch
sogleich ‚art non figuratif ou art abstrait’
steht, wodurch für Missverständnisse ein
enormer Spielraum geschaffen wurde. In
der Euphorie der ersten Nachkriegsjahre,
befreit von Zensur und amtlicher
Bevormundung, war dieser Widerspruch
allerdings nicht sofort erkennbar. Die
Hauptauseinandersetzung fand zunächst
zwischen dem auch in der öffentlichen
Meinung immer noch dominierenden
Lager der ‚realistischen’, abbildenden
Malerei und den Verfechtern einer
experimentellen, nicht abbildendenden
(eben: ’abstrakt’ genannten) Kunstauffassung statt. Innerhalb dieser nicht
unbedeutenden Minderheit der ‚Abstrakten’, für welche der Salon des Réalités
Nouvelles ein wichtiges Forum repräsentierte, kam es nun bald zu heftigen
Kämpfen um die Hegemonie innerhalb
der Bewegung. Bei diesen Auseinandersetzungen wurden selbstverständlich
auch theoretische Argumente ins Feld
geführt, die jedoch kaum systematisch
entwickelt, sondern eher schlagwortartig
eingesetzt wurden. Sehr einflussreich in
den Diskussionen jener Jahre war
Auguste Herbin, der 1948 seine Lehre im
Buch „L’Art non figuratif non objectif“
bei Lydia Conti veröffentlicht hatte. Die
von Herbin vertretene Kunst wird von
ihm also schon im Titel gleich zweimal
negativ definiert, wobei vor allem der
Begriff der ‚Ungegenständlichkeit’ auf
prononcierte Denkungenauigkeit
hinweist. Gemeint ist offenbar das Fehlen
eines Objektbezugs, eines Verweisens auf
etwas außerhalb des Bildes Befindliches.
Den Gedanken, dass dies eine Frage der
Semiotik und nicht der grundlegenden
Seinsweise von Bildern ist, findet man bei
Herbin nicht. Zwar fehlt es in den Texten
Herbins und anderer Beteiligter der
Réalités Nouvelles nicht an Formulierungen, die durchaus in der Linie der
konkreten Kunst stehen, so etwa die
Bekämpfung der letzten Spuren von
Illusionismus und die Forderung nach
reiner Flächigkeit der Gestaltung bei
Dewasne.
Trotz all dieser Ansätze kommt es aber
im Frankreich der Nachkriegszeit für die
konkrete Kunst zu keiner überzeugenden, einschlägigen Formulierung eines
Programms wie dies 1930 van Doesburg
gelungen war und wie es im deutschen
Sprachraum in jenen Jahren Max Bill mit
viel Geschick durchsetzte. In diesem
Unterschied ist vermutlich der
Hauptgrund für das hartnäckige Überleben der Bezeichnung ‚Abstraction
Géométrique‘ zu suchen. Durch das
Fehlen einer klaren Formulierung,
verbunden mit einer offenen, weitsichtigen Konzeption, verhielt sich die
Führungsgruppe der Réalités Nouvelles
bis in die 1950er Jahre sehr restriktiv und
doktrinär, mit einem Anhauch von
Akademismus, was zur Folge hatte, dass
in den alljährlichen Ausstellungen immer
mehr künstlerisch wenig profilierte, aber
linientreue Mitläufer präsentiert wurden.
Anderseits aber bewirkte dies wiederum,
dass sich sehr kreative jüngere Künstler
zu neuen Formationen zusammenschlossen und neue Programme formulierten,
wie beispielsweise die ‚kinetische Kunst’,
die monochrome Malerei und in einem
gewissen Sinn gehört hierzu auch die
‚Groupe Espace’, die sich mit Fragen der
Integration von bildender Kunst und
Architektur beschäftigte. Um sich in
diesem in den 1950er Jahren ständig
wachsenden Lager der ‚Abstrakten’
zurechtzufinden – ‚Abstrakte’ zu denen
sich inzwischen die experimentell
konstruktiven Künstler von Agam bis
Tinguely, die zahlreichen Tachisten und
dann auch die Monochromen zählten –
bildete sich im öffentlichen Diskurs, in
den Fachzeitschriften und dann auch in
den Zeitungsberichten und in den
Medien die Gewohnheit, die an Ordnungssystemen interessierte, an die
Bildfläche gebundene Malerei im Umkreis
von Herbin und auch Magnelli, kurz als
‚Abstraction géométrique’ zu bezeichnen, im Unterschied zur ‚Abstraction
lyrique’ oder ‚Abstraction gestuelle’ usw.
Dabei ist es seither geblieben und selbst
viel später entstandene Strömungen wie
die Op-Art eines Vasarely werden unter
dieser Bezeichnung angeführt.
Es wäre aber ungerecht, zum Abschluss
nicht zu erwähnen, dass es auch in
Frankreich immer wieder Ansätze gibt,
konkrete Kunst in kompetenter und
aktueller Form zu pflegen: in erster Linie
ist hier der von Sybil Albers und Gottfried
Honegger geschaffene „Espace de l‘art
concret“ in Mouans-Sartoux zu nennen;
auch die von Serge Lemoine 2000
herausgegebene Monografie ‚Art
Concret’, die an Umfang und Sachkenntnis der Analysen ihresgleichen im
deutschen Sprachraum sucht; Serge
Lemoine gelingt es zudem dank seiner
Lehrtätigkeit an der Sorbonne auch
immer wieder, junge Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker für die konkrete
Kunst zu interessieren. Auch dies ist an
deutschen Universitäten kaum mehr der
Fall. In dem Umstand, dass das Wort
‚concret’ in Frankreich bisher noch kaum
mit einer künstlerischen Konzeption
assoziiert wird, könnte man schließlich
auch eine Chance erblicken, einer aus
den Prinzipien der konkreten Kunst – die
auch heute noch einen offenen epochalen Auftrag hat – konsequent weiterentwickelten neuen Konzeption eine noch
unverbrauchte verbale Resonanz zu
verschaffen.
19
abstrahieren
piet mondrian, baum II, 1912
piet mondrian, der graue baum, 1912
sigurd rompza
piet mondrian, blühender apfelbaum, 1912
abstrahieren kommt in jeder art von
darstellung vor, weil darstellen auf
weglassen beruht. wird wenig abstrahiert, ergibt sich ein gleichgewicht
zwischen gegenstand und medium. z.b.:
ein haus ist fotografisch dargestellt. wird
hingegen viel abstrahiert, so kommt es
zu einem übergewicht des mediums. z.b.:
ein haus ist unscharf fotografisch dargestellt. das medium ist als semiotisch
gegliedertes material zu verstehen, in
welchem die darstellungsmittel auftreten.
im bild gehört visuell-semiotisch gegliedertes material zu visuellen darstellungsmitteln.
(synthetisch) vollzogen werden.
für das bilden von merkmalen, den
logischen umgang mit diesen, d.h. die
begriffsbildung, schlägt kant drei schritte
vor:
handlungen des abstrahierens sind
medienabhängig; sie haben zum ziel,
etwas von etwas wegzunehmen, an
etwas etwas wegzulassen oder aber an
etwas etwas auszuschalten. voraussetzung für abstrahieren ist also, dass der
gegenstand in teile (merkmale) zerlegt
wurde. kein gegenstand bringt diese
merkmale einfach mit. sie müssen
vielmehr von dem handelnden festgestellt, z.b. herausgestellt (exemplifiziert)
werden.1
explizit weist kant darauf hin:“Wir
müssen nicht sagen: etwas abstrahieren
(abstrahere aliquid), sondern von etwas
abstrahieren (abstrahere ab aliquo).
Wenn ich z.B. beim Scharlach-Tuche nur
die rote Farbe denke: so abstrahiere ich
vom Tuche...“ 3
von etwas kann solange etwas weggenommen werden, wie in der darstellung
der gegenstand noch wiederzuerkennen
ist. wird diese grenze überschritten,
liegen die mittel verselbständigt vor. auf
dieses phänomen treffen wir in werken
der konkreten kunst.
abstraktion kann vom ganzen zu den
teilen (analytisch) und umgekehrt
20
1. d
ie komparation (an gegenständen die
verschiedenen teile vergleichen).
2. die reflexion (kriterien für die vergleichbarkeit von teilen suchen, d.h.,
die gemeinsamkeiten suchen; auf den
begriff bringen).
3. d
ie abstraktion (alles übrige absondern, worin die gegebenen vorstellungen sich unterscheiden). 2
begriffliches und bildliches abstrahieren
verfahren gleich, was den besonderen
umgang mit den jeweiligen merkmalen
betrifft; d.h., dass auch beim bildlichen
darstellen stets merkmale angegeben
werden müssen. z.b.: beim zeichnen,
etwa beim darstellen eines laubbaumes,
müssen zumindest folgende gegenstandsmerkmale angegeben werden:
stamm, äste, blätter.
da wir es beim bildlichen darstellen mit
dem gegenstand und dem medium
(darstellungsmittel) zu tun haben, haben
wir es mit gegenstandsmerkmalen (z.b.
stamm, äste, blätter) und visuellen
merkmalen (u.a. form, farbe, helligkeit)
zu tun. unterschiedliche gewichtung von
gegenstand oder medium führt zum
herausstellen unterschiedlicher
­merkmale.
in modrians baum-serie von 1912
(abb.1-3) zeigt sich das finden und
erfinden von bildzeichen für baum (äste
und stamm) als ein je anderes darstellen
mit linien. freihandgezogene sich
verzweigende linienformen, die baum
repräsentieren, weichen von bild zu bild
mehr freihandgeometrisch dargestellten.
(abb. 1-3) letztendlich sind rhythmisch
geordnete und zugleich gekurvte linien
deutlich als merkmale herausgestellt. das
konstruieren als ein kennzeichnendes
verfahren des abstrahierens wird hier
deutlich. denotierendes (abbildendes)
darstellen ist an der schwelle, wo es in
nichtdenotierendes (abbildungsfreies)
darstellen übergeführt wird. mondrian
hat in seinem künstlerischen schaffen
diesen schritt letztendlich kompromisslos
vollzogen, indem er sich der konkreten
kunst zuwandte. in dieser kunst liegen
die darstellungsmittel verselbständigt vor.
„Das Bild als konkrete Gestalt erweist
sich als Ort, wo Sichtbarkeit als ein
sinnliches und zugleich geistiges Ereignis
bewusst wird..“4 aufgrund pictural
nichtdenotativer darstellung ist eine
verweisfunktion auf außerbildliche
wirklichkeit in konkreter kunst nicht mehr
vorhanden. 5 als ‚kunstwelt’ tritt konkrete
kunst neben die ‚naturwelt’. 6
theo van doesburg, ästhetische transfiguration
eines gegenstandes
anmerkungen:
1 v gl. nelson goodman: sprachen der kunst:
entwurf einer symboltheorie. frankfurt a. m.
1995, s. 59 ff; dietfried gerhardus: medium. in:
jürgen mittelstraß (hg): enzyklopädie philosophie
und wissensschaftstheorie, bd. 2. mannheim
1984, s. 829-831
2 v gl. immanuel kant: schriften zur metaphysik und
logik 2. werkausgabe bd. 6. hg. w. weischedel.
frankfurt a. m. 1991/8. aufl., s. 524 f
3 ebd. s. 525
4 m
ichael bockemühl: das transzendentale als das
sichtbare – zur wirkungsform von werken
konkreter kunst: kandinsky, mondrian, newman.
in: günther hauff, hans rudolf schweizer, armin
wildermuth (hg.): in erscheinung treten – heinrich
barths philosophie des ästhetischen. basel 1990,
s. 307
5 v gl. dietfried gerhardus: sichtbarmachen durch
konstruktion – bemerkungen zum künstlerischen
konstruktivismus. in: michael astroh, dietfried
gerhardus, gerhard heinzmann: dialogisches
handeln – eine festschrift für kuno lorenz.
heidelberg 1997, s. 1995
6 v gl. michael bockemühl, a. a. o., anmerkung 1
7 d
ietfried gerhardus: spontaneität und struktur. in:
jo enzweiler, oskar holweck, sigurd rompza, klaus
staudt – reliefs. ausstellungskatalog kimberlin
exhibition hall, leicester. hg. ders. saarbrücken
1986, s. 13
8 lambert wiesing: die sichtbarkeit des bildes.
reinbek bei hamburg 1997, s. 47
didaktisch wird ein konstruierendes
verfahren des abstrahierens vorgeführt
von van doesburg in dessen ‚ästhetischer
transfiguration eines gegenstandes’. (abb
4) bereits die zweite darstellung repräsentiert nur noch im kontext zu der
ersten „kuh“. aufgrund des weglassens
und des besonderen vereinfachens von
formen können hier quadratische und
rechteckige farbformen und deren
harmonisches zueinander besonders
herausgestellt werden.
insbesondere van doesburgs ‚ästhetische
transfiguration eines gegenstandes’ zeigt
deutlich, dass, um von etwas im hinblick
auf eine darstellung abstrahieren zu
können, man es bereits als bild sehen
muss. dieses ist hier zu beginn der
bilderreihe eine fotografie.
die beiden bilderreihen, die von mondrian und von van doesburg, zeigen, dass
auch beim bildlichen abstrahieren gezielt
eine auswahl vorgenommen wird
hinsichtlich dessen, was gezeigt werden
soll. für das bildsprachliche zeigen gilt
generell, was dietfried gerhardus mit
blick auf die konkrete kunst anführt: „Ich
denke, es kommt nicht nur der künstlerischen Praxis, sondern genauso jeder auf
diese Praxis gerichteten theoretischen
Anstrengung zugute, sich ganz klar
darüber zu werden, dass Konkrete Kunst
nicht alles zeigt, was sie macht; sie macht
vielmehr alles, um einiges sehr ausführlich zeigen zu können. Denn, wo
schlichtweg alles gezeigt wird, da kann
am Ende überhaupt nichts gezeigt
werden... Während das Herstellen eines
Gegenstandes den Gegenstand in all
seinen Teilen und Einrichtungen umfasst,
geht es beim Darstellen immer darum,
eine picturalsprachlich jeweils relevante
Auswahl vorzunehmen.“ 7 (hervorhebungen durch sigurd rompza)
diese picturalsprachlich relevante
auswahl konzentriert sich in den
­angeführten bildbeispielen beim
dies ist die abgeänderte form des textes „abstrahieren“, erstmals veröffentlicht in: kunst – gestaltung
– design. heft 6 . hg. dietfried gerhardus und sigurd
rompza. saarbrücken 1998
abbildungen
abb. s. 20, aus: piet mondrian, recklinghausen 1968
(aurel bongers)
abb. s. 21 aus: theo van doesburg, grundbegriffe
der neuen gestaltenden kunst, mainz 1966 (florian
kupferberg)
a­ bstrahieren auf die form. die erfährt
eine besondere beachtung.
die geschichte der kunst und der
formalen ästhetik zeigen deutlich: “Die
abstrakte Kunst der klassischen Moderne
erscheint über weite Strecken sogar wie
eine explizite künstlerische Umsetzung
des Herbartianismus.“ 8 (hervorhebungen
durch sigurd rompza) dieser widmet der
form besondere aufmerksamkeit.
21
KunstKonkret
Beiträge zur Kunsttheorie
seit 1995
Die Zeitschrift KunstKonkret bietet ein Forum für die
Veröffentlichung kunst- und künstlertheoretischer
Texte zur konkreten Kunst. In den nunmehr
fünfzehn Ausgaben, die seit 1995 erschienen sind,
erörtern Kunstwissenschaftler und Künstler,
beispielsweise Lorenz Dittmann, Gottfried
Honegger, Hansjörg Glattfelder, Sigurd Rompza und
Eugen Gomringer, um nur einige zu nennen,
Kernfragen dieser Kunstrichtung. Die folgende
Aufzählung bildet eine Übersicht der Beiträge in der
chronolo­gischen Abfolge des Erscheinungsjahres.
KunstKonkret im Internet unter:
www.galerie-st-johann.de/
verlag-st-johann/kunst-konkret/
KunstKonkret 1, 1995
– Discours pour le colloque intitulé „L‘art contemporain: savoir ou non savoir“ à Saint-Étienne le 13
novembre 1991. Gottfried Honegger
– Au sujet de la mouvance construite et de mon
travail. Jean Pierre Maury
– Interview de Vera Molnar et de François Molnar.
Sigurd Rompza
KunstKonkret 2, 1996
– Konkrete Kunst im Saarland. Fokussierung einer
Kunstrichtung. Rita Horsch-Everinghoff
– Address on the occasion of the exhibition with
works by Michael Kidner at the Gallery Suciu in
Ettlingen 1995. Sigurd Rompza
– John Carter, Objekte. Klaus Staudt
– Zum künstlerischen Werk von Milan Grygar.
Mojmír Grygar
– Gottfried Honegger: Konkrete Kunst – Manifest 2
– Ursula Meyer-Rogge im Gespräch mit Jan
Meyer-Rogge
KunstKonkret 3, 1996
– Entbildlichung gegen Bilderflut. Walfried Pohl
– Intuition bekommt Methode oder Malerei und was
dazugehört. Dietfried Gerhardus
– Rouge. Bernard Aubertin
– Aurélie Nemours
– Interview mit Nelly Rudin. Sigurd Rompza
KunstKonkret 4, 1998
– Jean-François Dubreuil et Yves Popet. Sigurd
Rompza
– Zu Walter Leblancs künstlerischer Konzeption.
Sigurd Rompza
– Andreas Brandt. Eugen Gomringer
– Interview mit Gottfried Honegger. Sigurd Rompza
– Interview mit Rolf Glasmeier. Sigurd Rompza
– Johannes Peter Hölzinger
KunstKonkret 5, 1999
– Boîtes d‘ombres. Simon Welch
– Mehr als konstruktive Arbeit beim Künstlersymposium Material – ­Konstrukt / Konzept. Peter
Assmann
– Wie man ein Bild von Aurélie Nemours lesen kann.
Sigurd Rompza
– Heijo Hangen
KunstKonkret 6, 1999
– Was ist konkret an der konkreten Kunst? Raimer
Jochims
– Probleme der Konkreten Kunst. Lorenz Dittmann
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– Zeichenphilosophische Bemerkungen zur
Konkreten Kunst. Dietfried Gerhardus
– Le langage pictural à l‘épreuve. Sigurd Rompza
– Meta-Rationalismus (1). Hans Jörg Glattfelder
– E xploring the Background to Constructivism.
John Carter
– Concrete Art, some pros, some cons. Peter Lowe
– Klaus Staudt. Hans-Peter Riese
– Lohse lesen – a correction. John Carter
– A rational aesthetic: The UK Systems Group:
1969-1976. Alan Fowler
– Konkrete Tendenzen in der Kunst der 60er Jahre
des 20. Jahrhunderts: Die „neue gruppe saar“.
Sigurd Rompza
– Zu den Steinen des Bildhauers Karl Prantl.
Alex Winter
KunstKonkret 7, 2001
– max h. mahlmann. Ein Leben für die konstruktive
Kunst. Klaus Staudt
– Le rythme du millimètre: l´un et le multiple.
Anne Tronche
– Gottfried Honegger: Un cri
KunstKonkret 13, 2008
– Die kreative Verbindung zwischen Konkreter Kunst
und Mathematik... Marlene Lauter
– Wenn Kunst zur Ware wird. Gottfried Honegger
– E xemplifizieren wird Kunst. Krisztina Passuth
– Die gelben Reliefs des István Haász. László Beke
– Milan Grygar. Mojmír Grygar
– Kunst als Annäherung an die Architektur – am
Beispiel der Arbeiten von Nicholas Bodde und
Léon Wuidar. Walfried Pohl
KunstKonkret 8, 2002
– Künstlerischer Konstruktivismus: Sichtbarmachen
durch Konstruktion. Dietfried Gerhardus
– Künstlerstatements zum Thema „Konstruieren“:
Norman Dilworth, Jean-François Dubreuil,
Gottfried Honegger, Michael Kidner, Peter Lowe,
Vera Molnar, François Morellet, Gudrun Piper,
Yves Popet, Sigurd Rompza, Nelly Rudin
– Hans Jörg Glattfelder, Konstruktive Metaphern.
Eugen Gomringer
– Marie Thérèse Vacossin
KunstKonkret 9, 2003
– Joost Baljeu, Leonardo Mosso, Klaus Staudt –
drei künstlerische Konzepte – ein Vergleich.
Sigurd Rompza
– Künstlerstatements zum Thema „Konstruieren“II
John Carter, Rita Ernst, Hans Jörg Glattfelder,
Eugen Gomringer, Milan Grygar, Edgar Gutbub,
Heijo Hangen, Dittmar Krüger, Arnulf Letto,
Adalberto Mecarelli, Jan Meyer-Rogge,
Ben Muthofer, Aurélie Nemours, Horst Rave,
Klaus Staudt, Friedhelm Tschentscher,
Shizuko Yoshikawa
– A Missing Force. Peter Lowe
KunstKonkret 10, 2004
– Zur Zukunft konkreter und anderer Poesie. Ed Sommer
– Mary Martin as a Teacher. Peter Lowe
– Konkrete Fotografie. Gottfried Jäger
– Adalberto Mecarelli
– Zur Rekonstruktion des Ornaments aus dem Geist
der Moderne. Walfried Pohl
KunstKonkret 11, 2006
– Über den sozialen Auftrag der Kunst ...
Gottfried Honegger
– Lohse lesen. Texte der Künstler: John Carter,
Norman Dilworth, Hans Jörg Glattfelder, Florin
Granwehr, Sigurd Rompza, Jeffrey Steele zu
„Entwicklungslinien seit 1943“, Düsseldorf,
Richard Paul Lohse
– Transparenz in Werken Konkreter Kunst. Sigurd
Rompza
– Miteinander: Ausstellung von drei Mappenwerken
der Künstler Heinz Gappmayr, Eugen Gomringer
und Josef Linschinger in Gmunden/Österreich im
Jahr 2005. Heidi Bierwisch
– Peter Lowe. Alan Fowler
KunstKonkret 12, 2007
– Kernstück Konkreter Kunst: Exemplifikation.
Dietfried Gerhardus
KunstKonkret 14, 2009
– Künstlerpaare in Budapest: Dóra Maurer und Tibor
Gáyor, Katalin Hetey und Tamás Konok
– Josef Linschinger – zwei Ausstellungen in der
Landesgalerie Linz. Martin Hochleitner
– Joan Palà: Christophe Duvivier
– bilder machen – zum problem des herstellens und
darstellens in der konkreten kunst. Sigurd Rompza
– Colin Ardley. Gabriele D. Grawe, D. W. Dörrbecker
KunstKonkret 15, 2012
– Robert S. Gessner. Zur Wiederbegegnung mit dem
Schweizer Künstler. Eugen Gomringer
– notes d‘atelier Jean-Gabriel Coignet
– architectonic drawing: the impingements 1982.
gary woodley
– Spiel des Möglichen. Ursula Meyer Rogge
– ‚art concret‘ oder ‚abstraction géométrique‘?
Hansjörg Glattfelder
– abstrahieren. sigurd rompza
Galerie Paks
Zoltán Prosek
Die Galerie Paks war seit ihrer Gründung
im Jahr 1991 fast zwei Jahrzehnte lang in
einem provisorischen Domizil untergebracht. Gegründet wurde sie auf Initiative
des Künstlers Károly Halász und somit
konnte in einer Stadt mit 15.000 Einwohnern, in Ungarn weitgehend einmalig,
eine Sammlung zeitgenössischer Kunst
entstehen. Das klassizistische Gebäude
des ehemaligen Erzsébet Hotels, das die
Sammlung zuerst aufgenommen hatte,
wurde 2005 von der Stadtverwaltung
veräußert und gleichzeitig begann man
damit, den Umzug der Galerie in ihren
endgültigen Sitz vorzubereiten.
Die Stadtverwaltung erwarb dafür im
Süden der Stadt in einem sich dynamisch
entwickelnden Gebiet eine leer stehende
Betriebshalle mit insgesamt 1.100 m2
Fläche und das zu ihm gehörende
Grundstück von 1.026 m2, um durch
deren Sanierung und Umgestaltung die
Voraussetzungen für den Fortbestand
der Galerie zu sichern. Die Betriebshalle
war Teil der einstigen Konservenfabrik
und die Vor- und Nachteile dieser
Zugehörigkeit waren für die Planer bei
den möglichen Überlegungen gleichermaßen bestimmend, wobei diese
Überlegungen durch die für solche
Industriegelände kennzeichnende
gleichmäßige Raumverteilung und
ausgeglichene Raumgestaltung erleichtert wurden. Die Planer mussten einfache
und praktische, „industrielle” Lösungen
finden und die zukünftige Einrichtung so
gestalten, dass sie ökonomisch zu bewirtschaften und gut kommunizierbar wird,
zudem mussten sie genug Raum für
weitere Entwicklungen lassen.
Man ging prinzipiell davon aus, nur
hochqualitative und endgültige Lösungen
zu realisieren, es durften nur dauerhafte
Materialien und Strukturen mit minimalem Wartungsbedarf verwendet werden,
zudem musste man trotz der Geschlossenheit des Komplexes Möglichkeiten für
einen etappenweisen Ausbau finden. Bei
der Volumenbildung und der Materialienwahl waren Schlichtheit, Zurückhaltung
und Großzügigkeit maßgebend. Das
Gebäude wird durch die Baustoffe Glas
und Cor-Ten-Stahl beherrscht. In der
Eingangszone unter der Arkade wurde
das Informations- und Kassenpult
angebracht. Diesem Raum schließt sich
die Cafeteria an, bei deren Gestaltung
auch der nahe gelegene Garten zur
Geltung kommen sollte. Die Planer
wollten die Räume mit verschiedenem
Charakter zu einem Konglomerat
zusammenschließen, in dem die einzelnen Einheiten ihren Charakter bewahren,
die Besucher jedoch in jedem Raum und
in jeder Raumabteilung mit der gleichen
Qualität, mit gleichrangigen, dennoch
unterschiedlichen Erfahrungen konfrontiert werden. Zwischen den einzelnen
Räumen bestehen somit keine über- und
untergeordneten Verhältnisse, es geht
viel mehr um die Wechselwirkungen
zwischen gleichwertigen Formen. Die
Integrität des Hallenraumes sollte unter
anderem mit Rücksicht auf das fachliche
Konzept auf keinen Fall zerstört werden.
Die große Innenhöhe ermöglichte die
Einfügung einer Zwischenebene, wobei
deren Größe die Hälfte der gesamten
Grundfläche nicht überschreiten durfte.
Um die Stützstellen der Zwischendecke
wurden die Lagerräume und das
„System” der sonstigen Räume angeord-
net, die somit das Tragwerk verhüllen
und zugleich die Begrenzungswände des
Ausstellungsraumes bilden. Die Halle
sollte trotz ihrer Zweiteilung durch die
Zwischendecke ihre Großzügigkeit
bewahren, die Durchblicksstruktur sollte
möglichst vielseitig eingesetzt werden
können. Das Gebäude kann (je nach
unseren Plänen und finanziellen Möglichkeiten) architektonisch fortgesetzt,
erweitert werden, und dank dieser
Flexibilität konnte man bei der Fassadenund Volumenbildung auf Geschlossenheit
verzichten. Somit gelangte man schließlich zur Idee der Dezentralisierung. Das
Gebäude wurde als homogenes Raumvolumen gedacht, in dem es keine bevorzugten Plätze und Richtungen gibt. Die
Funktionen der Nutzungsräume fließen
im Gegensatz zur allgemeinen monofunktionalistischen Auffassung ineinander über, das Gebäude stellt in diesem
Fall eine multifunktionale Einheit dar. Der
Raum besitzt in jeglicher Ausrichtung die
gleiche Qualität, nicht nur im Horizontalen
sind Erweiterungen und Zwischenräume
entstanden, die ein fein nuanciertes
Geflecht von qualitativ gleichwertigen
Räumen ergeben. Das Gebäude der
Galerie Paks wurde 2008 für den
Mies-van-der-Rohe-Preis nominiert.
Die Galerie Paks ist ein überregionales
Fachmuseum. Unsere Aufgabe besteht
23
Gimpel & Müller: Un nouveau lieu à
Paris pour «l‘art construit»
Galerie Paks
Blick in die Ausstellung Vera Molnar, François Morellet
Jacques Bouzerand
darin, kulturelle Güter im Sammelbereich
unserer Einrichtung (bildliche und
schriftliche Dokumente, Tonträger und
andere Quellen) und die dazugehörigen
Informationen von kulturellem Wert zu
identifizieren und zu sammeln, sie
aufzubewahren, sachgemäß zu dokumentieren, zu konservieren und zu
schützen. Im weiteren werden diese
Kulturgüter wissenschaftlich aufgearbeitet
und die Ergebnisse dieser Aufarbeitung
veröffentlicht. Diese Arbeit umfasst die
wissenschaftliche und methodische
Forschungs- und Publikationstätigkeit zu
Themen unseres Sammelbereiches und
allgemein auf dem Gebiet der Museologie sowie die fachliche Unterstützung
externer Forscher. Zu unserer Arbeit
gehört ebenfalls die Organisation von
Veranstaltungen, Ausstellungen und
Tagungen, Veröffentlichungen in
traditionellen und elektronischen
Publikationen, Forschungsberichte und
Periodika unter dem Einsatz der verschiedenen Medien sowie die Betreuung einer
entsprechenden Fachbibliothek, eines
Dokumentationszentrums, einer
­Mediathek und eines entsprechenden
Archivs.
Gimpel & Müller. Le double patronyme
de cette galerie de Saint-Germain-desPrés indique une conjonction de passions
extraordinaires. Tout commence dans les
années 1990, au château de Courtry, en
région parisienne. Un jeune couple, Karin
et Berthold Müller, y organise des
expositions et concerts de haut niveau.
Berthold, passionné d’art moderne, a
d’abord apprécié les figuratifs de la
première École de Paris. Karin est la fille
d’un critique d’art norvégien renommé
qui initie Berthold aux abstractions
d‘après-guerre.
Zu unserem Sammlungs- und Ausstellungsbereich gehören konstruktivistischgeometrische, konkrete, minimalistische,
konzeptuelle und experimentelle
Werke.
Karin s’ingénie également à faire vivre le
paysage intellectuel autour d’eux. En juin
2005, elle organise à Salies un colloquehommage à Jean-Paul Sartre puis assiste
au colloque Sartre de Cerisy, où elle
rencontre un galeriste londonien, René
Gimpel, directeur de la galerie Gimpel Fils.
Son nom est célèbre dans le monde de
l’art. Son grand-père, René Gimpel
senior, mort en 1945, a laissé le «Journal
d’un collectionneur et marchand de
tableaux», publié en 1963 dont la
réédition paraitra en 2011. Cet ami de
Marcel Proust collectionnait et vendait à
Paris et à New York Chardin, Fragonard,
Corot, Cézanne, Renoir, Monet… Au
sortir de la guerre, en 1946, ses fils
Charles et Pierre ouvrent à Londres la
galerie Gimpel Fils qui défendra entre
autres Nicolas de Staël, Pierre Soulages,
24
A cette époque, les Müller visitent
régulièrement les galeries parisiennes, et,
par affinité, deviennent membres de
l’association «Repères-Paris» qui défend
l’art «construit-concret». Pendant six
étés, ils accueillent des expositions
d’artistes de cette association présidée
par Eva-Maria Fruhtrunk. En 1999, vivant
alors dans le Sud-Ouest, ils ouvrent la
Galerie 17 à Salies-de-Béarn. Leur
première exposition est consacrée au
cinétique vénézuélien Carlos Cruz-Diez.
La galerie étend très vite sa renommée
jusqu‘à Toulouse et Bordeaux.
‚a french summer‘ – vue de l‘exposition de
Jan Meyer-Rogge et Knut Navrot
à la galerie Gimpel Fils, London 2009
Yves Klein, Marcel Duchamp, Ben
Nicholson, Barbara Hepworth, Henry
Moore, Antony Caro, Lynn Chadwick…
René Gimpel, quatrième génération de
cette lignée de galeristes, et Berthold
Müller décident d’ouvrir ensemble une
galerie à Paris. Pour René Gimpel, c’est
un retour à ses racines françaises et un
hommage à son grand-père. En parfaite
cohérence avec la tradition d’associations
chez Gimpel Fils: Gimpel & Hanover à
Zurich (1963-1983) et Gimpel & Weitzenhoffer à New-York (1969–1988). Pour
Berthold Müller, c’est la possibilité
d’affirmer sa programmation minimaliste
et non-figurative avec principalement des
artistes dont le langage commun est la
géométrie, mais aussi des expressions
informelles dont l’abstraction lyrique.
Gimpel & Müller ouvre ses portes en
octobre 2007 avec une exposition de
groupe annonçant ce programme mixte.
Elle est suivie d’une première exposition
personnelle en hommage à Léon Zack,
longtemps absent des cimaises parisiennes, disparu en 1980, qui suscitera un
achat public par le Musée Unterlinden de
Colmar. Suivront les expositions Guy de
Lussigny, Eve Gramatzki, Hans Steinbrenner,
Klaus Staudt, Jan Meyer-Rogge, Friedhelm
Tschentscher... Knut Navrot – un jeune
artiste que le FNAC et le Musée de
Mouans-Sartoux ajoutent à leurs
collections – fait l’objet d’une publication.
Et plus récemment, une exposition des
toiles d’Antoine de Margerie, disparu en
2005, à l’occasion de la sortie d’une
importante monographie.
Galerie Gimpel & Müller
12 rue Guénégaud
75006 Paris, France
+33 (0)1 43 25 33 80
+33 (0)6 16 81 71 49
[email protected]
www.gimpel-muller.com
Devant le succès des expositions personnelles organisées par Gimpel & Müller
pour Alan Davie, Albert Irvin, deux des
artistes historiques de Gimpel Fils, et afin
de renforcer la visibilité internationale de
leurs artistes, René Gimpel et Berthold
Müller décident de programmer sept
expositions communes à partir de 2011.
Ainsi Norman Dilworth pour ses 80 ans
et Guy de Lussigny seront également
exposés chez Gimpel Fils dans la grande
galerie et Eve Gramatzki, Knut Navrot,
Madé, Klaus Staudt, Robert Currie dans
la petite galerie.
Pour continuer une tradition née au
Château de Courtry voilà bientôt trente
ans, Karin Müller complète la programmation de la galerie par des concerts
(Madeleine Malraux), des tables rondes
(Jean Lacouture, Olivier Todd, Dominique
Desanti…), des lectures (Marie-Christine
Barrault, François Marthouret… ). Gimpel
et Müller est devenue à son tour une
passerelle sympathique, chaleureuse et
efficace entre les arts.
25
Galerie Jean Greset
Vingt-cinq années d’activité
Louis Ucciani
Galerie Jean Greset, Besançon
Jean Greset und Claude Viallat
26
Depuis 1986, avec la création de la
Galerie. G, Jean Greset est un acteur
principal de la vie artistique de la Région
Franche-Comté. En 1993 son activité
s’est prolongée et étendue avec la
Galerie Zéro, l’infini, qui possédait une
antenne à Paris. Aujourd’hui, depuis deux
ans, il dirige la Galerie Jean Greset dont
la vitrine est à Besançon. En près de
vingt-cinq ans, son activité de galeriste a
permis d’imposer aux regards de la
province un bon nombre d’artistes autour
du fil directeur de l’abstraction géométrique dont on a pu voir les expressions
de Madi avec Carmelo Arden Quin, à
Aurelie Nemours et aujourd’hui l’art
concret, avec Ode Bertrand, Vera Volnar,
Cécile Bart, Jean-François Dubreuil, Jean
Brault ou encore Sigurd Rompza, Hans
Glattfelder. Le repérage dans cette
mouvance de la géométrisation de
l’espace pictural qu’elle prenne le nom
d’abstraction, d’art concret, d’art
construit ou d’art géométrique, constitue
la dimension et la ligne de force de son
activité d’exposition. Cela le situe comme
référence majeure sur le territoire français
en la matière. Il est d’autre part un
initiateur accueillant de jeunes artistes
prometteurs comme, par exemple, Hugo
Schüwer-Boss et ses «abstractions
trouvées» ou les déjà confirmés, dont on
a pu voir à Besançon les premières
expositions, Christophe Cuzin, Bruno
Rousselot et Michael Eul. Cependant ce
travail de fond sur cette mouvance
rigoureuse s’accompagne d’échappées
qui éclairent par contraste, c’est notamment le travail effectué avec Claude
Viallat, Arthur Aeschbacher, Michel
Seuphor, Jean Messagier, Bernard
Aubertin, Herbert Zangs, ou encore
Didier Demozay, Cette ligne de force qui
permet de faire voir les évolutions de
l’abstraction et qui en expose les facettes
les plus extrêmes, les plus radicales et les
plus contradictoires, agit en imposant
au-delà des modes la logique de la
rigueur. Mais ce regard de référence
s’accompagne de la mise en évidence
d’autres individualités que la galerie
montre tout aussi généreusement, par
exemple Didier Marcel qui fit à la
Galerie.G sa première exposition et qui
est régulièrement montré, ou encore Loïc
Raguénès, tous deux sont issus de l’Ecole
d’art de Besançon. Impliquée dans la vie
locale la Galerie s’ouvre à des collaborations avec notamment le Centre d’Art
Mobile du réseau ACSC. Cela a donné
l’occasion de lancer un travail autour de
l’art et de la poésie, avec les expositions
de Jean-Luc Parant, celle des dessins de
Matthieu Messagier et, prochainement
celle de Gérard Duchêne. Sur un autre
versant, elle est éminemment présente
dans le champ de la photographie où elle
montre les travaux de Jean-Luc Tartarin ,
Neil Folberg, Lin Delpierre ou Stephan
Girard, et par sa présence notamment à
Paris Photo.
L’intérêt d’une telle galerie, outre son
activité de base qui bien évidemment la
justifie, réside dans l’éclairage qu’elle
apporte, par sa présence même à la
logique territoriale des politiques de l’art.
En contrepoint à la logique d’animation
Œuvres de Vera Molnar à la Galerie de Jean Greset
culturelle qui meut les institutions, elle
met en avant la notion d’œuvre, d’objet
d’art et de collection. Inscrite dans le
localisme elle est l’agent premier de ce
qu’on peut appeler l’école de Besançon,
c’est-à-dire une généalogie de la création
plastique à partir des deux piliers que
sont Jean Messagier et Jean Ricardon,
mais que l’on peut faire remonter à
Courbet et Pointelin, et dans laquelle on
retrouve bon nombre de ceux qui ont fait
leurs premiers pas dans la galerie comme
Didier Marcel ou des confirmés comme
Gérard Collin-Thiébaut. Ouvrant son
espace à cette jeune création, elle la
défend et la montre au niveau international dans les foires comme Art Brussels,
Artissima Turin, Art Zürich, Paris Photo ou
Art Paris.
C’est en cela qu’elle est creuset de ce qui
se génère de nouveauté au niveau local
en montrant par exemple Jérôme
Conscience, Thierry Bernard, Joffrey
Pleignet, Hugo Schüwer-Boss, Thomas
Henriot, Barbara Puthomme. Ce qui
constitue sa seconde ligne de force.
Vingt-cinq années de présence l’ont
imposée comme à la fois ce qui fait
découvrir l’extérieur et comme ce qui
révèle l’intérieur, ce qui en fait un acteur
vraiment vivant et sollicité dans une ville,
un peu sinistrée où il n’y a pas d’autres
lieux d’art, mais, cependant une véritable
acuité artistique qui reçoit avec intérêt et
bienveillance les expressions tant
européennes, asiatiques qu’américaines
avec entre autres Vladimir Skoda, Robert
Schad, Harald Schmitz-Schmelzer, Takesada
Matsutani, Alan Ebnother, Matt Mc
Clune, John Nixon, Christina Renggli et
Roy Thurston.
Galerie Jean Greset
7 rue Rivotte
25000 Besançon, France
+ 33 (0)3 81 81 38 52
www.jeangreset.com
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Impressum
Herausgeber:
Jo Enzweiler, Sigurd Rompza
Verlag:
Galerie St. Johann
Beethovenstraße 31
66111 Saarbrücken
Tel. 0681 / 3 34 73
Fax. 0681 / 3 05 47
www.galerie-st-johann.de
Redaktion:
Sigurd Rompza
Alle Texte und Textauszüge mit
­Genehmigung der Autoren
Gestaltung:
Nina Jäger
Fotos:
Jean-Gabriel Coignet: S. 12
Jean Daubas: S. 26
R. Decker: S. 11
L‘Affaire Edith: S. 27
Galleria il Tesoro: S. 6-10
Lukas Gimpel: S. 25 links
Paksi Képtár: S. 23, 24
Raphael Müller: S. 25 rechts
Gary Woodley: S. 13, 14
© Jo Enzweiler, Sigurd Rompza,
Rob. S. Gessner Stiftung
Auflage: 500
ISSN 1431-2980
Druck:
Krüger Druck+Verlag GmbH, Dillingen
Saarbrücken 2012