Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie

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Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
Max-Planck-Institut
für biophysikalische Chemie
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
(Karl-Friedrich-Bonhoeffer-Institut)
Am Faßberg 11 · 37077 Göttingen
Tel.: +49 (0)551 201-0 · Fax: +49 (0)551 201-1222
www.mpibpc.mpg.de
Karl-Friedrich-Bonhoeffer-Institut
Göttingen
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Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
Am Faßberg 11 · 37077 Göttingen
Marcus Anhäuser, Diemut Klärner, Dr. Carmen Rotte;
in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
Irene Böttcher-Gajewski, Peter Goldmann (S. 10 unten links, S. 17 oben
rechts), Heidi Wegener (S. 85)
Irene Böttcher-Gajewski
Dr. Ulrich Kuhnt, Dr. Carmen Rotte
Rothe-Grafik, Georgsmarienhütte; Hartmut Sebesse
Druckhaus Fromm, Osnabrück
Dr. Carmen Rotte
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de
Vorwort
L
iebe Leserinnen und Leser,
in der traditionsreichen Universitätsstadt Göttingen im Süden Niedersachsens gelegen, steht
das Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie seit vielen Jahren für Grundlagenforschung auf
höchstem Niveau. Als eines der größten Institute
der Max-Planck-Gesellschaft beherbergt es zahlreiche Forschungsgruppen. Studierende und Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen aus
dem In- und Ausland arbeiten hier zusammen, tatkräftig unterstützt durch Werkstätten und zentrale
Einrichtungen. Die in der Grundlagenforschung
gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen es dem Institut, stets innovative Impulse zu setzen, die bereits zu zahlreichen wirtschaftlich erfolgreichen
Entwicklungen und Unternehmen geführt haben.
Mit dieser Broschüre möchten wir Sie zu einem
Rundgang einladen und Ihnen die Geschichte des
Instituts und dessen aktuelle wissenschaftliche
Aktivitäten vorstellen. Wir würden uns freuen, wenn
dieser erste Eindruck Sie anregt, sich näher mit
der aktuellen Forschung am Institut zu beschäftigen oder eines unserer Besuchs- und Ausbildungsprogramme wahrzunehmen.
Helmut Grubmüller
Geschäftsführender Direktor, im Oktober 2009
1
Inhalt
Das Institut stellt sich vor 4
Entdeckungsreise
in die Welt der Moleküle
4
Forschen ohne Zwänge
6
Tradition und Vision
8
Lehren und Lernen
10
Wenn eine neue Idee zündet
12
Starker Service für Spitzenforschung
14
Offene Türen
16
Emeritierte
Wissenschaftliche Mitglieder
18
Tiefer blicken 20
NanoBiophotonik
Prof. Dr. Stefan W. Hell
22
Struktur und Dynamik
von Mitochondrien
Dr. Stefan Jakobs
24
Biomolekulare Spektroskopie
und Einzelmoleküldetektion
Prof. Dr. Peter Jomo Walla
25
Labor für Zelluläre Dynamik
Dr. Thomas M. Jovin
26
Biochemische Kinetik
Prof. Dr. Manfred Eigen
27
Elektronenspinresonanz-Spektroskopie
Dr. Marina Bennati
28
Biologische Mikro- und Nanotechnologie 29
Dr. Thomas Burg
Spektroskopie und
photochemische Kinetik
Prof. Dr. Jürgen Troe
Reaktionsdynamik
Prof. Dr. Dirk Schwarzer
2
30
31
Strukturdynamik
(bio)chemischer Prozesse
Dr. Simone Techert
Laserchemie
Prof. Dr. Michael Stuke
32
33
Raffinierte Moleküle 34
Theoretische und
computergestützte Biophysik
Prof. Dr. Helmut Grubmüller
36
Computergestützte
biomolekulare Dynamik
Prof. Dr. Bert de Groot
38
Strukturuntersuchungen
an Proteinkomplexen
Dr. Stefan Becker
39
NMR-basierte Strukturbiologie
Prof. Dr. Christian Griesinger
Proteinstrukturbestimmung
mittels NMR
Prof. Dr. Markus Zweckstetter
40
42
Festkörper-NMR-Spektroskopie
Dr. Adam Lange
43
Systembiologie der Motorproteine
Dr. Martin Kollmar
44
Bioanalytische Massenspektrometrie
Dr. Henning Urlaub
45
Enzym-Biochemie
Dr. Manfred Konrad
46
Nukleinsäurechemie
Dr. Claudia Höbartner
47
Zelluläre Maschinen 48
Zelluläre Biochemie
Prof. Dr. Reinhard Lührmann
Molekulare
Kryo-Elektronenmikroskopie
Prof. Dr. Holger Stark
50
52
Ribosomendynamik
Prof. Dr. Wolfgang Wintermeyer
53
Physikalische Biochemie
Prof. Marina Rodnina
54
Mitteilsame Nervenzellen 56
Vom Ei zum Organismus 70
Molekulare Entwicklungsbiologie
Prof. Dr. Herbert Jäckle
72
Entwicklungsbiologie
Prof. Dr. Michael Kessel
74
Molekulare Organogenese
Prof. Dr. Reinhard Schuh
75
Molekulare Zelldifferenzierung
Prof. Dr. Ahmed Mansouri
76
Molekulare Neuroentwicklungsbiologie 77
Dr. Anastassia Stoykova
58
Biomedizinische NMR
Prof. Dr. Jens Frahm
78
Neurobiologie
Prof. Dr. Reinhard Jahn
80
Strukturelle Biochemie
Dr. Dirk Fasshauer
60
Genexpression und Signalwirkung
Dr. Halyna Shcherbata
Schlaf und Wachsein
Dr. Henrik Bringmann
81
Gene und Verhalten
Prof. Dr. Gregor Eichele
82
Zirkadiane Rhythmen
Dr. Henrik Oster
84
Das Institut in aller Kürze
85
Sie erreichen uns ...
87
Bildnachweis
88
Biophysik der synaptischen Übertragung 61
Dr. Takeshi Sakaba
Membranbiophysik
Prof. Dr. Erwin Neher
62
Der Zellkern als Kommandozentrale 64
Zelluläre Logistik
Prof. Dr. Dirk Görlich
66
Funktionelle Zellkernarchitektur
Dr. Volker Cordes
68
Chromatin-Biochemie
Dr. Wolfgang Fischle
69
3
Entdeckungsreise
in die Welt der Moleküle
W
ie Nervenzellen miteinander kommunizieren, sich aus einer Eizelle ein komplexer
Organismus entwickelt oder unsere »innere Uhr«
gesteuert wird – Wissenschaftler am Max-PlanckInstitut für biophysikalische Chemie sind den molekularen Vorgängen auf der Spur, die komplexe
Lebensprozesse steuern und regeln. So ohne weiteres lassen sich diese allerdings nicht beobachten.
Sie spielen sich im Nanokosmos der Zelle ab und
sind damit für unser Auge unsichtbar. Mit gängigen Mikroskopen lassen sich zwar Bakterien aufspüren oder einzelne Körperzellen betrachten.
Man erfährt aber kaum etwas darüber, was sich
tief im Inneren lebender Zellen abspielt.
4
Ein Schwerpunkt der Forschungsarbeit am
Institut ist es daher, spezielle Verfahren zu entwickeln, die Einblicke in die Welt der Moleküle
erlauben. Ultra-hochauflösende Fluoreszenzmikroskopie, Kernspinresonanz-Spektroskopie,
Kryo-Elektronenmikroskopie und Computersimulationen sind einige solcher Methoden, die erfolgreich eingesetzt werden, um Proteine – die winzigen Nanomaschinen lebender Zellen – unter die
Lupe zu nehmen. Dabei gilt es, den Tricks auf die
Schliche zu kommen, mit denen Proteine ihre vielfältigen Funktionen in der Zelle erfüllen, beispielsweise als molekulare Motoren, Chemiefabriken,
Photozellen oder Sensoren. Auch die zelluläre Logistik wird von Proteinen bewerkstelligt. Wie der
Stofftransport zwischen den unterschiedlichen
Kompartimenten einer Zelle abläuft, wird derzeit
am Institut genauer erforscht.
Die Wissenschaftler untersuchen zudem, wie
die Baupläne für Proteine zunächst in eine lesbare
Form gebracht werden und sind der Funktionsweise der zellulären Proteinfabriken – der Ribosomen – auf der Spur. Nur korrekt gebaut können
Proteine ihre Aufgaben in der Zelle erfolgreich erfüllen. Wie die Qualitätskontrolle beim Bau der
Proteine funktioniert, dieser Frage gehen Forscher
am Institut im Detail nach.
Ebenso lassen sich viele Erscheinungen der unbelebten Natur auf molekulare Prozesse zurückführen. So reagieren viele Moleküle, Radikale und
Atome in der Atmosphäre miteinander, nachdem
sie durch Sonneneinstrahlung erzeugt und angeregt worden sind. Ihre innere molekulare Dynamik
zu untersuchen, ist ein weiterer Forschungszweig
am Institut.
Um solche komplexen Lebensvorgänge und Prozesse aufzuklären, arbeiten Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen und unterschiedlicher
Nationen am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie zusammen. Biologen, Chemiker,
Mediziner und Physiker kooperieren dazu nicht
nur mit ihren Kollegen am Institut, sondern mit
einer Vielzahl von Fachleuten weltweit.
So sind auf dem Campus viele verschiedene
Sprachen zu hören, in denen sich über Projekte,
Ideen und Ergebnisse ausgetauscht wird. Wenn
Ende 2010 auch das Göttinger Max-PlanckInstitut für Dynamik und Selbstorganisation auf
das Gelände am Faßberg umzieht, werden auf dem
neu entstehenden Max-Planck-Campus mehr als
1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig sein.
5
Forschen ohne Zwänge
W
ie an allen Max-Planck-Instituten wird am
Max-Planck-Institut für biophysikalische
Chemie in erster Linie Grundlagenforschung betrieben. Wer hier forscht, kann grundlegend neue
Ideen verfolgen. Diese freie Forschung, die exzellenten Arbeitsbedingungen und das hohe internationale Renommee machen das Max-PlanckInstitut für biophysikalische Chemie zu einem Anziehungspunkt für Studierende ebenso wie für Forscher aus aller Welt.
Gerade die so errungenen neuen Erkenntnisse
aus der Wissenschaft führen zu manch zukunftsweisender Anwendung in der Praxis. So entpuppte
sich eine am Institut synthetisierte chemische Verbindung namens Miltefosin als äußerst wirksames
Mittel gegen die Tropenkrankheit viszerale
Leishmaniose – die »Schwarze Krankheit«. Bleibt
diese Krankheit unbehandelt, so endet sie in nahezu 100 Prozent der Fälle tödlich. Mit diesem
Medikament erhofft sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Leishmaniose-Krankheit
langfristig unter Kontrolle zu halten und schließlich zu besiegen. Mit bahnbrechenden Ideen zur
Verbesserung der Lichtmikroskopie haben andere
Forscherkollegen gültiges Lehrbuchwissen auf den
Kopf gestellt und damit die optische Mikroskopie
revolutioniert.
6
Es ist daher kein Wunder, dass viele der Wissenschaftler am Institut für ihre Arbeiten Auszeichnungen und Preise erhalten haben, darunter allein
siebenmal den begehrten Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Auch zwei der 44 Nobelpreisträger, die in Göttingen studiert oder gewirkt haben, forschen
gegenwärtig am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie.
Manfred Eigen erhielt 1967 den Nobelpreis für
Chemie. Ihm war es gelungen, den Verlauf sehr
schneller chemischer Reaktionen zu verfolgen, die
sich im Bereich von unter einer Millisekunde bis
hin zu einer Nanosekunde (dem milliardsten Teil
einer Sekunde) abspielen. Er durchbrach damit
eine grundlegende Grenze, denn solche sehr
schnellen Reaktionsabläufe wurden bis dahin für
unmessbar gehalten. Seine Arbeiten sind weit über
die Chemie hinaus von fundamentaler Bedeutung.
Erwin Neher und Bert Sakmann wurde 1991
der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin verliehen. Im Jahr 1976 entwickelten die beiden MaxPlanck-Forscher eine Methode, mit der sich zum
ersten Mal der außerordentlich schwache elektrische Strom durch einen einzigen geöffneten Ionenkanal in einer Nervenzellmembran messen ließ –
die sogenannte Patch-Clamp-Technik. Ionenkanäle –
porenbildende Proteine – sind in der äußeren
Membran fast aller Zelltypen eingebaut. Sie ver-
Manfred Eigen erhielt 1967 den Nobelpreis für Chemie für »Untersuchungen von extrem schnellen chemischen Reaktionen, die durch
Störung des Gleichgewichts durch sehr kurze Energieimpulse ausgelöst werden«. Bald darauf übernahm er die Leitung des Göttinger Max-Planck-Instituts für physikalische Chemie in der Bunsenstraße und initiierte die Gründung des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie am Faßberg vor den Toren Göttingens.
mitteln nicht nur die elektrische Aktivität von Nerven- und Muskelzellen, sondern übersetzen auch
physikalische oder chemische Sinnesreize in neuronale Signale. Auch Blut-, Immun- oder Leberzellen nutzen Ionenkanäle zur Kommunikation.
Diese Nanomaschinen in der Membran sind daher
keine reine »Nervensache«, sondern spielen in den
»Nachrichtensystemen« der Organismen eine universelle Rolle.
Erwin Neher (links) und Bert Sakmann (rechts) erhielten 1991 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin »für ihre Entwicklung einer
Methode zum direkten Nachweis von Ionenkanälen in Zellmembranen zur Erforschung der Signalübertragung innerhalb der Zelle
und zwischen den Zellen«. Diese sogenannte Patch-Clamp-Technik wird heute von Forschungslabors weltweit eingesetzt. Sie lieferte den Schlüssel zur Aufklärung zahlreicher Lebensprozesse auf zellulärer Ebene.
7
Tradition und Vision
D
as Max-Planck-Institut für biophysikalische
Chemie am Göttinger Faßberg wurde auf
Initiative von Manfred Eigen gegründet und 1971
offiziell eingeweiht. Seine Geschichte lässt sich jedoch weit länger zurückverfolgen. Sie reicht zurück bis zum einstigen Kaiser-Wilhelm-Institut für
physikalische Chemie in Berlin, das 1949 von Karl
Friedrich Bonhoeffer als Max-Planck-Institut für
physikalische Chemie in Göttingen wieder aufge-
baut wurde. Durch Zusammenlegung mit dem
Göttinger Max-Planck-Institut für Spektroskopie
ging daraus das Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie hervor. Der Physikochemiker
Karl Friedrich Bonhoeffer verfolgte bereits früh einen stark interdisziplinären Ansatz und wandte
physikalisch-chemische Methoden auch auf biologische Fragestellungen an. Grund genug, das
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
nach ihm zu benennen.
Die Vision von Manfred Eigen war es, am neu
gegründeten Institut komplexe Lebensvorgänge
mit biologischen, chemischen und physikalischen
Methoden zu erforschen. Eine Vision, die den Erfolg des Instituts maßgeblich mitbestimmt hat und
die in den Abteilungen und Arbeitsgruppen auch
heute noch trägt.
Karl Friedrich Bonhoeffer (1899–1957) war der Gründer und
erster Leiter des Max-Planck-Instituts für physikalische Chemie
in Göttingen, das er 1949 als Nachfolgeinstitut des Berliner
Kaiser-Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie wieder aufgebaut hatte.
8
Derzeit besteht das Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie aus elf Abteilungen und 30
Arbeitsgruppen mit eigenen Forschungsschwerpunkten. Mit mehr als 830 Mitarbeitern – darunter
rund 470 Wissenschaftler – ist es nicht nur eines
der größten Institute der Max-Planck-Gesellschaft.
Es ist auch in seiner interdisziplinären Ausrichtung
einzigartig.
Die Direktoren der einzelnen Abteilungen sind
zugleich Wissenschaftliche Mitglieder der MaxPlanck-Gesellschaft und entscheiden gemeinsam
über die Geschicke des Instituts. Aus dem Direktorenkreis des Instituts stammen auch der amtierende Präsident der Max-Planck-Gesellschaft,
Peter Gruss, und Vizepräsident Herbert Jäckle.
Über ganz Deutschland verteilt unterhält die
»Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.« zurzeit 80 Institute mit einem
breiten Spektrum unterschiedlicher Fachgebiete
von Geisteswissenschaften über Rechtswissenschaften bis hin zu Naturwissenschaften und
Astronomie.
Um die hohe Qualität der wissenschaftlichen
Arbeiten auch langfristig zu gewährleisten, begutachtet ein Fachbeirat von internationalen Wissenschaftlern regelmäßig die geleistete Forschung am
Institut. Ein Kuratorium, dem neben Wissenschaftlern auch Vertreter aus Wirtschaft und Politik angehören, unterstützt die Einbettung in das
breitere gesellschaftliche Umfeld.
9
Lehren und Lernen
W
issenschaft gründet sich auf Erfahrung,
aber längst nicht nur. Ihre Zukunft ist der
wissenschaftliche Nachwuchs, der die Forschung
weiter vorwärts treibt. Viele Forscher am MaxPlanck-Institut für biophysikalische Chemie lehren daher als Professoren an der Göttinger Universität, beteiligen sich aktiv an Sonderforschungsbereichen und Graduiertenkollegs und halten so den
engen Kontakt zu den Studierenden. Viele Studierende kommen wiederum für ihre Laborarbeit
während der Bachelor- und Masterarbeit oder der
Promotion an das Institut.
Im internationalen Wettbewerb um die besten
jungen Köpfe haben die Max-Planck-Gesellschaft
und verschiedene Universitäten für exzellente Studierende ein besonderes Ausbildungsprogramm
geschaffen: die International Max Planck Research
10
Schools. Gemeinsam mit der Universität Göttingen
und dem Deutschen Primatenzentrum haben die
Max-Planck-Institute für biophysikalische Chemie,
für Experimentelle Medizin sowie für Dynamik
und Selbstorganisation die naturwissenschaftlichen Programme Molecular Biology, Neurosciences
und Physics of Complex and Biological Systems ins
Leben gerufen. Die strukturierte Ausbildung mit
exzellenten Forschungs- und Lernbedingungen
soll besonders begabte deutsche und ausländische
Studierende auf ihre Promotion vorbereiten.
Auch zum Erfolg der Göttinger Georg-AugustUniversität bei der nationalen Exzellenzinitiative
hat das Institut mit der Göttinger Graduiertenschule für Neurowissenschaften und Molekulare Biowissenschaften (GGNB) wesentlich beigetragen. Aus
Mitteln der Exzellenzinitiative gefördert, schafft
die GGNB optimale Forschungs- und Ausbildungsbedingungen für Doktoranden und fördert
junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
mit intensiven Betreuungs- und Kursangeboten.
Programme für junge Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler gibt es auch im Rahmen weiterer
Kooperationen des Instituts mit der Universität,
den Max-Planck-Instituten für Dynamik und
Selbstorganisation und für Experimentelle Medizin sowie dem Deutschen Primatenzentrum. Dazu
zählen:
– das European Neuroscience Institute (ENI), das
sich der experimentellen Forschung über Funktionen und Krankheiten des Nervensystems
widmet,
– das Göttinger Zentrum für Molekularphysiologie
des Gehirns (CMPB), an dem Forscher interdisziplinär im Bereich der Hirnforschung zusammenarbeiten, um molekulare Prozesse und
Wechselwirkungen zwischen Nervenzellen besser zu verstehen,
– das Bernstein Center for Computational Neuroscience (BCCN Göttingen), an dem die neuronalen Grundlagen unserer Gehirnleistungen
mithilfe mathematischer Modelle erforscht werden,
– der Göttinger Exzellenzcluster Mikroskopie im
Nanometerbereich, der innovative MikroskopieMethoden mit einer Auflösung im Nanometerbereich entwickelt und nutzbar macht.
11
Wenn eine neue Idee zündet
O
b medizinische Diagnostik, Lasertechnologie
oder Mikroskopie – Erkenntnisse aus der
Grundlagenforschung lösen manch praktisches
Problem, das die angewandte Forschung nicht zu
lösen vermochte. Solche Erkenntnisse sind daher
auch in der Industrie stark nachgefragt.
Viele Wissenschaftler am Institut haben vielversprechende Patente angemeldet und Firmen gegründet, etwa im Bereich der medizinischen Diagnostik und Therapie, der Mess- und Umwelttechnik oder der ultra-hochauflösenden Mikroskopie.
Mit der neu entwickelten FLASH (Fast Low
Angle Shot)-Methode lassen sich in der Magnetresonanz-Tomografie Bilder 100-fach schneller
aufnehmen. Diese neue Technik revolutionierte
die Magnetresonanz-Tomografie und machte es
erst möglich, sie in Kliniken weltweit routinemäßig
einzusetzen. Das FLASH-Patent war lange Zeit eines der erfolgreichsten Patente der Max-PlanckGesellschaft.
Die RNA-Interferenz (RNAi)-Technik konnte
am Institut erstmals erfolgreich an Säugerzellen
angewandt werden. Einzelne Gene können so gewissermaßen »stumm« geschaltet und so ihre
Funktion gezielt untersucht werden. Diese Methode könnte es in Zukunft ermöglichen, bestimmte
Erbkrankheiten zu behandeln.
12
Das am Institut entwickelte STED (Stimulated
Emission Depletion)-Mikroskop erlaubt fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen mit einer drastisch verbesserten Auflösung gegenüber herkömmlichen Lichtmikroskopen. Damit können selbst
winzige Details im Inneren lebender Zellen beobachtet und sogar live »gefilmt« werden. Das ultra-
STED+
Konfokal
hochauflösende Mikroskop ist seit 2007 auch kommerziell erhältlich.
Die Einnahmen aus Patenten und Lizenzen werden am Institut in neue Projekte investiert. Die Anwendung der Patente
schafft neue Arbeitsplätze für hochqualifizierte Mitarbeiter. Daneben
gibt es ein breites Spektrum weiterer Kooperationen mit Industrieunternehmen. Pharmazeutische Firmen sind hier ebenso vertreten wie Unternehmen, die industrielle Messtechnik entwickeln. An mehr als einem Dutzend Firmengründungen sind ehemalige Mitarbeiter des Instituts beteiligt.
Eine dieser Ausgründungen ist die Firma DIREVO (heute Bayer HealthCare AG),
in der eine automatisierte »Evolutionsmaschine« im Einsatz ist. Mit dieser Technologie
lassen sich biologisch-pharmazeutische Wirkstoffe schnell auffinden und optimieren.
Ein weiteres Beispiel ist die Firma Lambda-Physik (heute Coherent), die sich auf die Entwicklung von Lasern spezialisiert hat, die mit extrem kurzen Lichtpulsen arbeiten. Wie zahlreiche
Patente dokumentieren, wurden die Laser kontinuierlich weiterentwickelt. Sie werden heute neben der
Drucktechnik auch in Medizin und Forschung eingesetzt.
Auch die Biotechnologie-Firma DeveloGen, an
der die Max-Planck-Gesellschaft selbst als Gesellschafterin beteiligt ist, entstammt dem MaxPlanck-Institut für biophysikalische Chemie. Zwei
Wissenschaftler des Instituts, Peter Gruss und
Herbert Jäckle, haben dieses Unternehmen im
Jahr 1997 gegründet. Dort werden die von ihnen
entschlüsselten genetischen Kontrollprozesse bei
der Entwicklung unterschiedlicher Gewebe genutzt, um Therapien zu entwickeln, mit denen sich
Krankheiten wie Fettleibigkeit und Diabetes behandeln lassen.
13
Starker Service für Spitzenforschung
W
as, wenn ein Baustein fehlt, sei es im komplizierten Versuchsaufbau oder im eigenen
Wissensschatz? Werkstätten und Bibliothek sind
für eine erfolgreiche Forschungsarbeit ebenso
wichtig wie gut ausgestattete Labors.
Um Einblicke in die »inneren Angelegenheiten«
lebender Zellen zu erhalten, wird die Leistungsfähigkeit und Auflösung von Experimenten und
Messgeräten immer weiter vorangetrieben. Die
Ideen der Wissenschaftler werden dabei von den
Experten in der Feinmechanik- und der Elektronik-
14
Werkstatt praktisch umgesetzt, sei es bei der PatchClamp-Technik, beim Einfrieren biologischer Proben oder bei der ultra-hochauflösenden Mikroskopie. Rund 50 Mitarbeiter der Werkstätten bauen
komplizierte neue Geräte oder optimieren vorhandene Apparaturen für das jeweilige Experiment.
In den Regalen der Otto-Hahn-Bibliothek stehen
mehr als 70.000 Zeitschriftenbände neben fast
40.000 Monographien; rund 600 Zeitschriften werden im Abonnement bezogen. Wer das Gesuchte
dort nicht findet, kann auf eine Vielzahl elektroni-
scher Kataloge und diverse Datenbanken zurückgreifen oder die Möglichkeit zur Fernleihe aus anderen Fachbibliotheken nutzen. Dieser Service
steht neben Institutsangehörigen allen Interessierten offen.
Ebenso unentbehrlich sind die Mitarbeiter in
den wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen zentralen Einrichtungen. Damit allen Forschern am Institut die besten Analyse- und Messmethoden zur Verfügung stehen, und um diese
stets auf dem neuesten Stand zu halten, arbeiten
Wissenschaftler in den abteilungsübergreifenden
Einrichtungen »Elektronenmikroskopie«, »Innovative Lichtmikroskopie«, »Massenspektrometrie«
und »Röntgenkristallografie« an der Weiterentwicklung komplexer Methoden auf ihrem Gebiet. Institutsmitarbeiter finden hier bei der Probenvorbereitung ebenso Unterstützung wie bei der Aufnahme
und Analyse ihrer Daten.
Das Team des IT & Elektronikservice unterstützt
die Mitarbeiter bei allen Hardware- und SoftwareProblemen und sorgt für die reibungslose Speicherung, Archivierung und Übertragung ihrer Daten,
sowohl intern als auch mit kooperierenden For-
schungseinrichtungen innerhalb und außerhalb
Göttingens. Kolleginnen und Kollegen in der Reprostelle gewährleisten die professionelle Bearbeitung
von Fotos und Präsentationsmaterial sowie der internen Mitarbeiterzeitung. Das EU-Referat berät
Forscher bei der Antragstellung und unterstützt sie
bei den Vertragsverhandlungen mit der EU-Kommission sowie bei der gesamten Projektkoordination.
Die Werkstätten, die Tischlerei, der IT & Elektronikservice, die Haustechnik und die Verwaltung
des Instituts bieten zudem auch etlichen jungen
Leuten eine qualifizierte Ausbildung. Vier bis sechs
Auszubildende schließen jedes Jahr ihre Ausbildung ab, oft mit überdurchschnittlichem Erfolg.
Nicht zuletzt können Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler ihre Forschung nur dann mit Engagement vorantreiben, wenn auch ihr Nachwuchs
tagsüber gut versorgt ist. Das Institut bietet daher
seit 2005 eine Kinderbetreuung direkt auf dem Institutsgelände an. Rund 30 Kinder im Alter von ein
bis vier Jahren werden dort fachkundig umsorgt –
und das für den ganzen Tag.
15
Offene Türen
A
m Max-Planck-Institut für biophysikalische
Chemie stoßen Interessierte auf offene Türen. Bei Führungen durch das Institut und einzelne Abteilungen, bei Vorträgen und bei Diskussionen kann sich jeder – ob Lehrer, Schüler, Journalist oder Privatperson – über aktuelle Forschungsprojekte informieren.
Ein größeres Publikum lässt sich allerdings nur
über die Medien erreichen. Deshalb gibt das Institut nicht nur Pressemitteilungen zu aktuellen
Themen heraus. Journalisten werden für Recherchen und Nachfragen auch gern an Fachleute am
Institut weitervermittelt. Darüber hinaus hält das
Institut für Journalisten noch ein weiteres Angebot
bereit: Im Rahmen der Europäischen Initiative für
Wissenschaftsjournalisten (European Initiative for
Communicators of Science, EICOS) werden einmal jährlich bis zu 14 Journalisten und Redakteure
an das Institut eingeladen und erleben dort die
Forschung in den Laboren hautnah. Für eine Woche – manchmal auch länger – hantieren sie selbst
mit Pipette und Gelkammer, spüren bestimmten
16
Proteinmolekülen nach und untersuchen, wie diese in der Zelle ihre Aufgaben verrichten. So gewinnen sie nicht nur einen unmittelbaren Einblick in
den Alltag der Forscher, auch die Wissenschaftler
profitieren von den Einsichten in die Arbeitsweise
der Journalisten.
Lehrer und Schüler lädt das Max-PlanckInstitut für biophysikalische Chemie ein, die
Forschung am Institut in Führungen und Vorträgen mit anschaulichen Experimenten kennenzulernen. In ein Labor hineinschnuppern können
Schülerinnen und Schüler zum Beispiel im
Rahmen der Göttinger Woche: Wissenschaft und Jugend, die die Stadt Göttingen alljährlich veranstaltet. Viele Arbeitsgruppen am Institut bieten
in dieser Woche Vorträge, Vorführungen und
Besichtigungen an. So kann man etwas über die
innere Uhr lernen, Proteinen gewissermaßen »bei
der Arbeit« zuschauen, selbst einen Blick durch
ein hochmodernes Mikroskop werfen oder einen
Magnetresonanztomografen aus nächster Nähe
kennenlernen.
Lehrerinnen und Lehrer können zudem ihr
Wissen auf bestimmten Schwerpunkten vertiefen.
In Kooperation mit XLAB – Göttinger Experimentallabor für Junge Leute e. V. bietet das Institut
Lehrerfortbildungen an. Sollten weder Lehrbuch
noch Recherchen weiterhelfen – über das OnlinePortal Schule fragt die Wissenschaft können sich
Schüler wie Lehrer mit ihren naturwissenschaft-
lichen Fragen direkt an Wissenschaftler des Instituts und XLAB wenden.
Und schließlich soll nicht vergessen werden: Am
Institut wird Wissenschaft betrieben, aber nicht
nur. Im Foyer sind regelmäßig Kunstausstellungen
zu sehen. Im Rahmen einer Wissenschaftsreihe ist
das Institut zum wiederholten Mal auch am
Göttinger Literaturherbst beteiligt.
17
Emeritierte Wissenschaftliche Mitglieder
Professor Dr. Otto-D. Creutzfeldt †
1971 – 1992 · Neurobiologie (links)
Professor Dr. Leo C. M. De Maeyer
1971 – 1996 · Experimentelle Methoden
(Mitte)
Professor Dr. Manfred Eigen
1971 – 1995 · Biochemische Kinetik
(rechts)
Professor Dr. Dieter Gallwitz
1985 – 2004 · Molekulare Genetik (links)
Professor Dr. Manfred Kahlweit
1971 – 1996 · Kinetik der
Phasenbildung (Mitte)
Professor Dr. Hans Kuhn
1971 – 1984 · Molekularer Systemaufbau
(rechts)
Professor Dr. Bert Sakmann
1985 – 1988 · Zellphysiologie (links)
Professor Dr. Fritz Peter Schäfer
1971 – 1994 · Laserphysik (Mitte)
Professor Dr. Hans Strehlow
1971 – 1984 · Elektrochemie und
Reaktionskinetik (rechts)
Professor Dr. Klaus Weber
1973 – 2004 · Biochemie und
Zellbiologie (links)
Professor Dr. Albert Weller †
1971 – 1990 · Spektroskopie (Mitte)
Professor Dr. Victor P. Whittaker
1973 – 1987 · Neurochemie (rechts)
18
Forschung im Fokus
19
Tiefer
blicken
20
Wie die Welt des Verborgenen
sichtbar wird
Dass die Erbsubstanz DNA als Doppelhelix daherkommt –
ohne Röntgenstrukturanalyse hätten Francis Crick und
James Watson das nicht herausfinden können. Und wie
hätte Robert Koch, ebenfalls Nobelpreisträger, ohne ein
gutes Mikroskop den Milzbrand-Erreger aufspüren sollen? Wissenschaftliche Spitzenleistungen erfordern entsprechendes Handwerkzeug. Kein Wunder, dass viele
Wissenschaftler des Instituts an methodischen Innovationen arbeiten. So sind zum Beispiel neue spektroskopische und mikroskopische Verfahren gefragt, um
auf der Ebene einzelner Moleküle strukturelle Details
zu erfassen und die Dynamik molekularer Prozesse zu
erkunden.
21
NanoBiophotonik
U
nsichtbares sichtbar zu machen, dieses Ziel
verfolgen wir mit unseren überauflösenden
Lichtmikroskopen. Konventionelle Mikroskope
stoßen an ihre Grenzen, wenn zwei gleichartige
Objekte dichter als 200 Nanometer (millionstel
Teile eines Millimeters) nebeneinander liegen: Die
Beugung der Lichtstrahlen lässt sie optisch zu einem einzigen Objekt verschwimmen. Daran können auch die besten Linsensysteme nichts ändern.
Wer in molekulare Dimensionen vordringen will,
kann auf ein Elektronenmikroskop zurückgreifen.
Was sich im Inneren einer lebenden Zelle abspielt,
lässt sich jedoch nur mit Lichtmikroskopen beobachten.
Clever beleuchtet
Um dem Phänomen der Lichtbeugung ein Schnippchen zu schlagen, sorgen wir dafür, dass benachbarte Moleküle – die im klassischen Bild verschwimmen würden – ihre Fluoreszenz zeitlich
nacheinander abgeben. Dabei nutzen wir verschiedene molekulare Prozesse, um die Fluoreszenz
eines Moleküls ein- und auszuschalten.
Mit einem »Trick« haben wir die erste Lichtmikroskopie-Methode entwickelt, die nicht mehr
durch die Beugung begrenzt ist: die Stimulated
Emission Depletion (STED)-Mikroskopie. Hierbei
wird dem Anregungsstrahl ein zweiter Lichtstrahl –
der STED-Strahl – hinterher gesandt, der in der
Mitte einen dunklen Punkt aufweist. Durch den
STED-Strahl werden Moleküle am Rand des
Lichtflecks ausgeschaltet, Moleküle im Zentrum
können dagegen ungestört fluoreszieren. Mit einer
bis zu zehnfach verbesserten Auflösung gegenüber
herkömmlichen Mikroskopen lassen sich fluoreszenz-markierte Proteinkomplexe mit einem Abstand von nur 15 bis 50 Nanometern getrennt
voneinander beobachten.
Wird die Helligkeit des STED-Strahls weiter erhöht, kann die Zahl der zur Fluoreszenz fähigen
Moleküle verkleinert und so die Ausdehnung des
Spots, in dem Moleküle fluoreszieren können, beliebig verringert werden. Kombiniert mit dynamischen Methoden wie der Fluoreszenz-Korrelations-Spektroskopie und Techniken der schnellen
Lichtstrahl-Rasterung, lassen sich mit der STED-
Zwei-Farben-STED-Aufnahme eines Glioblastoms, des häufigsten bösartigen Hirntumors bei Erwachsenen. Das Protein Clathrin ist
grün, das Protein β-Tubulin rot angefärbt. Im Gegensatz zum verschwommenen klassischen Bild (links) zeigt das STED-Bild (rechts)
erheblich feinere Strukturen. (Bildaufnahme und Probe: J. Bückers, D. Wildanger, L. Kastrup, R. Medda)
22
Mikroskopie sogar Lebensvorgänge im
Inneren einer Zelle in hochaufgelösten
Videos »live« verfolgen.
Fluoreszenz mit Schalter
Das Schalten der Fluoreszenz kann aber
auch anders erfolgen: Bei einer weiteren hochauflösenden MikroskopieMethode – der GSDIM-FluoreszenzMikroskopie – ist stets exakt ein Molekül im Beugungsbereich eingeschaltet, allerdings an einer unbekannten,
zufälligen Position. Die Nachbarmoleküle liegen dann zwar innerhalb des
Beugungsflecks, sind aber inaktiv und
stören daher nicht die Aufnahme des
einzelnen aktiven Moleküls. Aus dessen Fluoreszenz kann die Position des
Moleküls mit einer Genauigkeit berechnet werden, die weit jenseits der Auflösungsgrenze liegt. Dieses Verfahren
wird so lange wiederholt, bis jedes Molekül erfasst ist.
Ein weiterer Schwerpunkt unserer
Forschung ist die Entwicklung innovativer optischer Anordnungen. Im 4PiMikroskop werden zwei Objektive auf
einen Punkt gerichtet, so dass sich das
Licht im Fokus überlagert. Dadurch gelingt eine Verkleinerung des Lichtfokus
um das Drei- bis Siebenfache entlang
der Längsachse des Mikroskops.
Raffiniert kombiniert
Kombiniert man die 4Pi- mit der STEDMikroskopie, so lassen sich damit Objekte in allen Raumrichtungen auseinanderhalten, die kaum 30 Nanometer
voneinander entfernt sind – bis vor
wenigen Jahren noch unvorstellbar.
Prinzipiell geht es sogar noch schärfer:
bis in den Größenbereich des Moleküls
selbst. Solche »scharfsichtigen« Mikroskope versprechen völlig neue Einsichten in die »inneren Angelegenheiten«
lebender Zellen.
Prof. Dr. Stefan W. Hell
promovierte 1990 an der Universität Heidelberg in Physik und
arbeitete von 1991 bis 1993 am
Europäischen Laboratorium für
Molekularbiologe in Heidelberg.
Von 1993 bis 1996 forschte er an
den Universitäten Turku (Finnland) und Oxford (Großbritannien).
Im Jahr 1997 wechselte er als
Leiter der Max-Planck-Nachwuchsgruppe »Hochauflösende
optische Mikroskopie« an das
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, wo er seit 2002
die Abteilung »NanoBiophotonik«
leitet. Stefan Hell erhielt für seine
Forschung zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Preis der
International Commission for
Optics (2000), den HelmholtzPreis (2001), den zehnten Deutschen Zukunftspreis des Bundespräsidenten (2006) und den JuliusSpringer-Preis (2007). Im Jahr
2008 wurde ihm der Leibniz-Preis
sowie der Niedersächsische
Staatspreis überreicht. 2009 erhielt er den Otto-Hahn-Preis für
Physik.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/groups/hell
Die STED-Mikroskopie (innen) liefert hier zirka
zehnmal schärfere Details von Filamentstrukturen
einer Nervenzelle als ein herkömmliches Mikroskop (außen). (Aufnahme: G. Donnert, S. W. Hell)
S. W. Hell: Far-field optical nanoscopy.
Science 316, 1153-1158 (2007).
S. W. Hell: Nanoskopie mit fokussiertem
Licht. Physik Journal 6, 47-53 (2007).
23
Struktur und Dynamik
von Mitochondrien
itochondrien sind die »Kraftwerke«
der Zelle. Sie liefern ihr die nötige
chemische Energie, die den zellulären
Stoffwechsel in Gang hält. Entsprechend
fatal sind die Folgen, wenn diese nicht
richtig funktionieren: Defekte Mitochondrien können zu Erkrankungen wie Krebs,
Parkinson oder Alzheimer führen.
Doch wie sind Mitochondrien im Detail
aufgebaut, und welche molekularen Mechanismen stecken hinter dieser Architektur?
Mitochondrien sind so nanoskopisch klein,
dass sich ihre innere Struktur bisher nur mit
Elektronenmikroskopen untersuchen ließ.
Dazu müssen Zellen allerdings zunächst
fixiert und dann in hauchdünne Scheiben
geschnitten werden. Entsprechend wenig
weiß man darüber, was sich in den Mitochondrien lebender Zellen abspielt.
M
PD Dr. Stefan Jakobs studierte
Biologie in Kaiserslautern und
Manchester (Großbritannien)
und promovierte 1999 am MaxPlanck-Institut für Züchtungsforschung in Köln. Anschließend
arbeitete er zunächst als Postdoktorand in Köln und in der Abteilung »NanoBiophotonik« am
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. Seit 2005 leitet
er die Forschungsgruppe »Struktur und Dynamik von Mitochondrien«. Stefan Jakobs habilitierte
sich 2007 an der Universität
Göttingen.
Kontakt:
[email protected]
www.mitoweb.de
Säugetierzellen, in denen die Mitochondrien
grün, das Zellskelett aus Mikrotubuli rot
und der Zellkern blau markiert sind.
I. E. Suppanz, C. A. Wurm, D. Wenzel,
S. Jakobs: The m-AAA protease processes cytochrome c peroxidase preferentially at the inner boundary membrane of
mitochondria. Mol. Biol. Cell 20, 572580 (2009).
R. Schmidt, C. A. Wurm, A. Punge, A.
Egner, S. Jakobs, S. W. Hell: Mitochondrial cristae revealed with focused light.
Nano Lett. 9, 2508-2510 (2009).
M. Andresen, A. C. Stiel, J. Fölling, D.
Wenzel, A. Schönle, A. Egner, C. Eggeling, S. W. Hell, S. Jakobs: Photoswitchable fluorescent proteins enable monochromatic multilabel imaging and
dual color fluorescence nanoscopy. Nature Biotechnol. 26, 1035-1040 (2008).
M. Andresen, A. C. Stiel, S. Trowitzsch,
G. Weber, C. Eggeling, M. C. Wahl, S.
W. Hell, S. Jakobs: Structural basis for
reversible photoswitching in Dronpa.
Proc. Natl. Acad. Sci. USA 104, 1300513009 (2007).
24
10 µm
Mit Lichtmikroskopen lassen sich dagegen auch völlig intakte Zellen untersuchen.
Selbst bei den besten konventionellen Modellen reicht die räumliche Auflösung allerdings bei weitem nicht aus, um das Innere der »Kraftwerke« genauer unter die
Lupe zu nehmen. Deshalb nutzen wir neue
lichtmikroskopische Verfahren wie die Stimulated Emission Depletion (STED)Mikroskopie, mit der sich die Bildschärfe
um ein Vielfaches steigern lässt.
Konfokal
STED
1µm
Verschiedene Proteinkomplexe – hier der »TOMKomplex« – reichern sich in bestimmten Bereichen
der äußeren Mitochondrien-Membran an.
Links: Aufnahme mit konventioneller Laser-RasterFluoreszenz-Mikroskopie, rechts: Aufnahme mit
STED-Mikroskopie.
Blick ins Innere der Zellkraftwerke
Ausgewählte Proteine werden dabei mit
Farbstoffen oder fluoreszierenden Proteinen markiert, um sie anschließend in den
Mitochondrien lokalisieren zu können. So
haben wir beispielsweise entdeckt, dass
sich einige Proteinkomplexe in einem bestimmten Teil der inneren MitochondrienMembran konzentrieren. Derzeit erforschen wir die funktionelle Bedeutung dieser speziellen Verteilung.
In einem zweiten Forschungsschwerpunkt geht es darum, unsere molekularen
Werkzeuge zu verbessern. Wir untersuchen
und entwickeln fluoreszierende Proteine,
die sich mit Lichtblitzen wiederholt gezielt
ein- und ausschalten lassen. Dank ihrer
besonderen Fähigkeiten eröffnen solche
photochromen Proteine ganz neue Möglichkeiten, das Innenleben von Zellen und
Mitochondrien zu erkunden.
Biomolekulare Spektroskopie
und Einzelmoleküldetektion
U
m den Nanokosmos der Zelle zu erforschen, entwickeln Wissenschaftler
immer ausgetüfteltere Werkzeuge und
Techniken. Unsere Forschungsgruppe ist
darauf spezialisiert – meist in enger Zusammenarbeit mit biologisch orientierten
Gruppen des Instituts – Biomoleküle mittels spektroskopischer und mikroskopischer Verfahren zu untersuchen und diese
Techniken weiter zu verbessern.
Wir erforschen beispielsweise, wie Nervenzellen innerhalb von Sekundenbruchteilen chemische Botenstoffe freisetzen,
um Signale an andere Nervenzellen weiterzuleiten. In »Botenstoffpaketen« – den Vesikeln – verpackt, liegen diese Botenstoffe
im Inneren der Nervenzellen bereit. Wenn
ein elektrischer Nervenreiz anzeigt, dass eine Botschaft übermittelt werden soll, verschmelzen einige synaptische Vesikel mit
der Zellmembran und entleeren ihren Inhalt
nach außen, so dass eine benachbarte Nervenzelle den Reiz sofort erkennen kann.
Diese Vesikel sind nur 30 bis 60 Nanometer (millionstel Millimeter) groß. Trotzdem
gelingt es uns, im Reagenzglas sogar einzelne von ihnen exakt in dem Moment zu studieren, wenn sie mit künstlichen Zellmembranen fusionieren. Dies erreichen wir
dank hochempfindlicher MikroskopieTechniken, die sogar einzelne an die Membranen geheftete Fluoreszenz-Farbstoffe
erkennen können.
Ultrakurze Laserblitze erhellen
Photosynthese
In einem weiteren Schwerpunkt untersuchen wir, wie bei der Photosynthese die
Prof. Dr. Peter Jomo Walla
Ein genau abgestimmtes Wechselspiel der
Energieflüsse zwischen Chlorophyll- und
Carotinoid-Molekülen erlaubt es dem Photosynthese-Apparat, fast jedes Lichtquantum
für Elektronentransfers zu verwenden und
deren Energie für die Erzeugung biochemisch gespeicherter Energie zu nutzen.
Sonnenenergie eingefangen und in chemische Energie umgewandelt wird. Diese
Umwandlung läuft teilweise so schnell ab,
dass selbst modernste Oszilloskope diese
Zeitskala nicht auflösen können. Wir arbeiten daher mit ultrakurzen Laserblitzen,
die im Bereich von Femtosekunden (10 –15
Sekunden) liegen, also dem milliardsten
Teil einer millionstel Sekunde. Dies sind
Zeitskalen, in denen selbst Licht nur Distanzen zurücklegt, die kürzer sind als der
Durchmesser eines menschlichen Haares.
Langfristig möchten wir künstliche Photosynthesesysteme entwickeln, die solare
Energie in chemisch gespeicherte Energie
umwandeln und so für den Menschen
nutzbar machen können.
studierte in Heidelberg und Göttingen Chemie und wechselte für
die Promotion an das Max-PlanckInstitut für biophysikalische Chemie. Nach Forschungsaufenthalten am CNRS (Bordeaux, Frankreich) und an der University of
California (Berkeley, USA) arbeitete er als Abteilungsleiter der
DIREVO Biotech AG. Im Jahr 2003
etablierte er mit einem EmmyNoether-Stipendium eine Nachwuchsgruppe am Institut. 2007
wurde er als Professor an die TU
Braunschweig berufen und leitet
am Institut weiterhin die Forschungsgruppe «Biomolekulare
Spektroskopie und Einzelmoleküldetektion». Peter Jomo Walla erhielt einen Forschungspreis des
Fonds der Chemischen Industrie
für ausgewählte Juniorprofessoren in der Chemie (2003) und den
Young-Investigators Award der
Gordon Conference on Photosynthesis (2000).
Kontakt:
[email protected]
www.pci.tu-bs.de/agwalla/
Peter_Walla_Main_d.htm
A. Cypionka, A. Stein, J. M. Hernandez,
H. Hippchen, R. Jahn, P. J. Walla: Discrimination between docking and fusion
of liposomes reconstituted with neuronal SNARE-proteins using FCS. Proc.
Natl. Acad. Sci. USA | doi:10.1073/
pnas.0906677106 (2009).
P. J. Walla: Modern biophysical
chemistry. Wiley-VCH Weinhein,
Februar 2009.
S. Bode, C. C. Quentmeier, P-N. Liao,
N. Hafi, T. Barros, L. Wilk, F. Bittner, P.
J. Walla: On the regulation of photosynthesis by excitonic interactions between
carotenoids and chlorophylls. Proc. Natl.
Acad. Sci. 106, 12311-12316 (2009).
In der Arbeitsgruppe »Biomolekulare
Spektroskopie und Einzelmoleküldetektion«
werden konfokale Mikroskopie-Methoden
angewendet und entwickelt, mit denen
sich Biomoleküle einzeln untersuchen
lassen.
P. J. Walla, P. A. Linden, C.–P. Hsu, G.
D. Scholes, G. R. Fleming: Femtosecond
dynamics of the forbidden carotenoid
S1 state in light-harvesting complexes
of purple bacteria observed after twophoton excitation. Proc. Natl. Acad.
Sci. 97, 10808-10813 (2000).
25
Labor für Zelluläre Dynamik
Z
Dr. Thomas M. Jovin promovierte
1964 an der Johns Hopkins University (USA). Seit 1969 ist er
Wissenschaftliches Mitglied der
Max-Planck-Gesellschaft und
forschte als Direktor und Leiter
der Abteilung »Molekulare Biologie« am Max-Planck-Institut für
biophysikalische Chemie. Nach
seiner Emeritierung 2007 führt er
seine Forschung als Leiter der
Emeritusgruppe «Labor für Zelluläre Dynamik» und des «Laboratorio Max Planck de Dinámica
Celular», Universität von Buenos
Aires (Argentinien), fort. Thomas
Jovin erhielt die Ehrendoktorwürde
der Limburg-Universität (Belgien)
und der University Medical School,
Debrecen (Ungarn). Er ist Honorarprofessor der Facultad de Ciencias
Exactas y Naturales der Universität von Buenos Aires, EMBOMitglied und Ehrenmitglied der
biologischen Sektion der Ungarischen Akademie der Wissenschaft.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/groups/jovin/
M. Gralle Botelho, X. Wang, D. J. ArndtJovin, D. Becker, T. M. Jovin: Induction
of terminal differentiation in melanoma
cells on downregulation of ␤-amyloid
precursor protein. J. Invest. Dermatol. |
doi:10.1038/jid.2009.296 (2009).
M. S. Celej, W.Caarls, A. P. Demchenko,
T. M. Jovin: A triple emission fluorescent
probe reveals distinctive amyloid fibrillar
polymorphism of wild-type ␣-synuclein
and its familial Parkinson’s disease
mutants. Biochemistry 48, 7465-7472
(2009).
E. A. Jares-Erijman, T. M. Jovin: Reflections on FRET imaging: formalism,
probes, and implementation. In: »FRET
and FLIM Imaging Techniques«. T. Gadella, Jr. ed. S. 475-517. Elsevier (2009).
M. J. Roberti, M. Morgan, G. Menéndez,
L. Pietrasanta, T. M. Jovin, E. A. JaresErijman: Quantum dots as ultrasensitive
nanoactuators and sensors of amyloid
aggregation in live cells. J. Am. Chem.
Soc. 131, 8102-8107 (2009).
26
wei Forschungsbereiche stehen im
Mittelpunkt unserer Arbeit. Zum einen
beschäftigen wir uns damit, wie normale
Zellen, aber auch Tumorzellen, von Wachstumsfaktoren und anderen äußeren Faktoren
aktiviert werden. Zum anderen erkunden
wir, welche molekularen Mechanismen der
Parkinson-Krankheit zugrunde liegen.
Dass sich in den Nervenzellen des Gehirns von Parkinson-Patienten Fibrillen des
Proteins α-Synuclein bilden, ist bereits bekannt. Doch was macht diese sogenannten
Amyloid-Aggregate so zerstörerisch, und
wie lässt sich den fatalen Verklumpungen
vorbeugen? Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, kombinieren wir molekular- und zellbiologische Techniken mit
biophysikalischen Methoden.
Moleküle in lebenden
Zellen aufspüren
Für unsere Studien entwickeln und benutzen wir neuartige fluoreszierende Halbleiter-Nanokristalle (Quantum Dots), edelmetallische Nanopartikel (Nanodots) und
organische Verbindungen, die wir an biologische Moleküle anheften. Mithilfe eines neuartigen Hochgeschwindigkeitsfluoreszenz-Mikroskops (Programmable Array
Microscope, PAM) aus
eigener Werkstatt lassen
sich solcherart markierte
Moleküle an lebenden Zellen mit einer hohen räumlichen, zeitlichen und spektralen Auflösung untersuchen.
Donna Arndt-Jovin leitet
zellbiologisch orientierte
Forschungsprojekte. Sie erforscht WachstumsfaktorRezeptoren in Zellen und
menschlichen Tumoren sowie die Architektur des
Zellkerns. Dazu entwickelt
sie neue molekulare Sonden und MikroskopieMethoden, die sie für Untersuchungen an lebenden
Zellen einsetzt.
Menschliche Tumor-Epithelzellen: Der mit Quantum Dots markierte Epidermale Wachstumsfakor (EGF,
rot) bindet an seinen Rezeptor, der seinerseits mit einem grün fluoreszierenden Protein gekoppelt ist.
Das Bild wurde mit einem am Institut entwickelten neuartigen HochgeschwindigkeitsfluoreszenzMikroskop (Programmable Array Microscope) aufgenommen. (G. M. Hagen, K. A Lidke, B. Rieger,
W. Caarls, D. J. Arndt-Jovin, T. M. Jovin: Dynamics of membrane receptors: single molecule tracking of
quantum dot liganded epidermal growth factor. In: Yanagida, T, Ishii, Y, Eds. Single Molecule Dynamics
in Life Sciences. Orlando: Wiley. pp. 117-130 (2008)).
Biochemische Kinetik
D
ie faszinierende Vielfalt des Lebens
ist naturgegebener Unschärfe der Reproduktion zu verdanken. Die Erbsubstanz
Desoxyribonukleinsäure (DNA) selbst ist
ein außergewöhnlich stabiles Makromolekül, doch beim Kopieren und Vervielfältigen treten bisweilen Fehler auf. Da nicht
alle diese Defekte repariert werden, entstehen immer wieder neue Varianten als
Grundlage für die Evolution der Organismen. Alle Arten von Lebewesen sind diesem ständigen Wandel unterworfen.
Evolution lässt sich beobachten, aber
auch unter kontrollierten Bedingungen
nach Wunsch inszenieren: Bei solchen
Experimenten dürfen sich Bakterien, Viren oder einzelne Nukleinsäure-Moleküle
fleißig vermehren, während sie immer wieder nach bestimmten Kriterien aussortiert
werden. Dafür sind Apparaturen entwickelt
worden, die viele tausend Proben gleich-
zeitig bearbeiten können. So lassen sich
grundlegende Mechanismen der Evolution
studieren, zum Beispiel auch die Tricks,
mit denen das AIDS-Virus und andere tückische Krankheitserreger das Immunsystem überlisten. Darüber hinaus können derartige »Evolutionsmaschinen« dabei helfen, neuartige molekulare Wirkstoffe für
Medikamente zu entwickeln.
Die unterschiedlichen Fragestellungen
haben eines gemeinsam: Stets müssen winzig kleine Stoffmengen analysiert werden.
Die »Stecknadel im Heuhaufen« zu finden
ist hier das Problem. Das gilt auch für
diagnostische Verfahren, etwa bei der möglichst frühzeitigen Erkennung von BSE.
Mit speziellen spektroskopischen Techniken
kann man einzelne Moleküle nachweisen.
Und nicht nur das: Im Prinzip lässt sich auf
diese Weise sogar der Aufbau einzelner
Nukleinsäure-Moleküle entschlüsseln.
Prof. Dr. Manfred Eigen promovierte 1951 an der Universität
Göttingen in Physik und arbeitete
dort anschließend am Institut für
physikalische Chemie. Seit 1953
am Max-Planck-Institut für physikalische Chemie tätig, übernahm
er 1964 die Leitung der Abteilung
»Chemische Kinetik«. Aus diesem
Institut ging auf Initiative von
Manfred Eigen 1971 das heutige
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie hervor.
Dort ist Manfred Eigen auch nach
seiner Emeritierung 1995 weiterhin wissenschaftlich aktiv. Für
seine Forschung über »schnelle
chemische Reaktionen« erhielt er
1967 den Nobelpreis für Chemie.
Kontakt:
www.mpibpc.mpg.de/
groups/eigen
A. Koltermann, U. Kettling, J. Bieschke,
T. Winkler, M. Eigen: Rapid assay processing by integration of dual-color
fluorescence crosscorrelation spectroscopy: High throughput screening for
enzyme activity. Proc. Natl. Acad. Sci.
USA 95, 1421-1426 (1998).
Die Bilder zeigen die automatisierte »Evolutionsmaschine« der DIREVO Biosystems AG/Köln (heute:
Bayer HealthCare AG) in der Vorderansicht (oben)
und der Rückansicht (links). Die DIREVO Biosystems
AG ist eine Ausgründung der Abteilung »Biochemische Kinetik« am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie.
M. Eigen, B. Lindemann, M. Tietze, R.
Winkler-Oswatitsch, A. Dress, A. von
Haeseler: How old is the genetic code?
Statistical geometry of tRNA provides
an answer. Science 244, 673-679
(1989).
M. Eigen: Stufen zum Leben. Die frühe
Evolution im Visier der Molekularbiologie. R. Piper-Verlag, München (1987).
M. Eigen: Selforganization of matter
and evolution of biological macromolecules. Naturwissenschaften 58, 465-523
(1971).
M. Eigen: Proton transfer acid-base catalysis, and enzymatic hydrolysis. I. Elementary processes. Angewandte Chemie
Int. Ed. 3, 1-19 (1964).
27
ElektronenspinresonanzSpektroskopie
O
Dr. Marina Bennati promovierte
1995 an der Universität Stuttgart
in Experimenteller Physik. Anschließend arbeitete sie am
Massachusetts Institute of
Technology und Harvard Center
for Magnetic Resonance (Cambridge, USA). Im Jahr 2001 wechselte sie an die Universität in
Frankfurt am Main, wo sie sich
2006 habilitierte. Seit 2007 leitet
sie die selbstständige Forschungsgruppe »ElektronenspinresonanzSpektroskopie« am Max-PlanckInstitut für biophysikalische Chemie. Für ihre Forschung erhielt
Marina Bennati 2002 den Young
Investigator Award der International EPR Society.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/
research/ags/bennati
b simples Wasser oder komplizierte
Proteine, in Molekülen treten Elektronen meist paarweise auf. Durch ihren
Spin – eine Form des Drehimpulses – erzeugen sie ein mikroskopisches Magnetfeld. Da
sie in entgegengesetzte Richtungen rotieren,
heben sich ihre magnetischen Wirkungen jedoch gegenseitig auf. Uns interessieren deshalb nur ungepaarte Elektronen, die uns
als hochempfindliche Sonden dienen. Diese
»paramagnetischen Zentren« können uns
Informationen darüber liefern, wie komplexe
Biomoleküle ihre Struktur verändern, während sie ihre speziellen Aufgaben erfüllen.
Mit Methoden der Elektronenspinresonanz
(EPR)-Spektroskopie können wir Biomoleküle unter beinahe natürlichen Bedingungen beobachten und etwas darüber lernen,
wie sie in der lebenden Zelle agieren.
Das Innere von Proteinen vermessen
Wir entwickeln Techniken, mit denen wir
ein paramagnetisches Zentrum oder mehrere paramagnetische Zentren gleichzeitig mit
Mikrowellen oder Radiofrequenzstrahlung
anregen, um ihre magnetischen WechselA
V. Denysenkov, D. Biglino, W. Lubitz,
T. Prisner, M. Bennati: Structure of the
tyrosyl biradical of mouse R2 ribonucleotide reductase from high-field PELDOR. Angew. Chem. Int. Ed. 47, 12241227 (2008).
M. R. Seyedsayamdost, C. T. Y. Chan, V.
Mugnaini, J. Stubbe, M. Bennati: PELDOR spectroscopy with DOPA-β2 and
NH2Y-α2s: Distance measurements
between residues involved in the radical propagation pathway of E. coli
ribonucleotide reductase. J. Am. Chem.
Soc. 129, 15748-15749 (2007).
V. Denysenkov, T. Prisner, J. Stubbe, M.
Bennati: High-field pulsed electronelectron double resonance spectroscopy
to determine the orientation of the tyrosyl radicals in ribonucleotide reductase.
Proc. Nat. Acad. Sci. 103, 13386-13390
(2006).
28
B
wirkungen zu manipulieren. So können wir
nicht nur die Abstände zwischen den aktiven Zentren eines Proteins bis in den Nanometerbereich messen, sondern auch etwas
über deren Ausrichtung innerhalb des
Moleküls lernen. Wir verwenden darüber
hinaus Detektionsfrequenzen im Millimeter-Bereich, die nicht nur polarisierende
supraleitende Magnete erfordern, sondern
noch eine deutlich komplexere Mikrowellentechnik. Daher gehen in unserer Arbeitsgruppe die biophysikalischen Untersuchungen Hand in Hand mit methodischen
und technischen Weiterentwicklungen.
Ungepaarte Elektronen sind bei zahlreichen Stoffwechselprozessen im Spiel.
Paradebeispiele dafür sind die Photosynthese oder die Atmungskette, aber auch
Proteine wie das Enzym RibonukleotidReduktase (RNR). Von den Bakterien bis
hin zum Menschen übernimmt die RNR
den letzten Schritt bei der Bildung der
einzelnen Bausteine der Desoxyribonukleinsäure (DNA). Durch den Transfer von
Elektronen entstehen dabei ebenfalls paramagnetische Zustände. Mithilfe verschiedener EPR-Techniken ist es uns
gelungen, mehrere Zwischenschritte und Zwischenprodukte
bei diesem enzymatischen Zyklus aufzuklären. Während Proteine wie die RNR schon von
Natur aus ungepaarte Elektronen enthalten, müssen wir sie
bei anderen Proteinen erst einbauen. Dazu führen wir gezielt
Spinmarkierungen ein. Mit diesem Verfahren haben wir in
Kollaboration mit anderen Forschungsgruppen des Instituts
angefangen, die innere Struktur
von Nukleinsäuren und Membranproteinen zu untersuchen.
(A) Struktur des dimeren Komplexes der
Ribonukleotid-Reduktase der Maus und
Orientierung der aktiven Tyrosylradikale,
die durch Hochfeld-EPR-Spektroskopie
detektiert wurden.
(B) Typische magnetfeldabhängige dipolare Spektren von zwei wechselwirkenden
Radikalen bei hohen EPR-Frequenzen.
Biologische Mikround Nanotechnologie
Z
ellen sind mikroskopisch klein. Doch
im Vergleich zu ihren Hauptakteuren –
winzigen molekularen Maschinen – sind
sie riesig. Selbst die komplexesten von ihnen
messen nur wenige zehn bis hundert Nanometer (millionstel Millimeter). Schon einfache Parameter wie Größe, Masse oder Anzahl solcher Nanopartikel sind für Wissenschaftler wichtige Informationen. Diese können helfen, zelluläre Prozesse besser zu verstehen oder krankhafte Veränderungen zu
erkennen. Aber wie zählt oder wiegt man etwa eine Gruppe von Proteinen, die so verschwindend klein ist? Konventionelle Methoden aus der makroskopischen Welt helfen da nicht weiter. Dafür braucht es neue
mikro- und nanotechnologische Verfahren,
die wir in unserer Gruppe entwickeln.
Mit einer »Stimmgabel« wiegen
Um zum Beispiel einzelne Nanopartikel zu
wiegen, entwerfen wir sogenannte mikromechanische Resonatoren – eine Art Miniatur-Stimmgabel, kleiner als der Durchmesser eines Haares. Damit man mit ihnen biologische Objekte in Lösung untersuchen
kann, bedarf es eines Tricks. Der Resonator befindet sich in einem Vakuum und
kann praktisch ungedämpft schwingen. In
seinem Inneren befindet sich ein nur
wenige Mikrometer breiter Kanal. Passiert
ein Partikel den Kanal, so verschiebt sich
die Resonanzfrequenz, also der für diese
Mikro- und nanofluidische Systeme ermöglichen es,
komplexe biologische Experimente in winzig kleinen
Kanälen durchzuführen. Sehr kleine Objekte wie Zellen können darin einzeln und unter genau
kontrollierten Bedingungen untersucht werden.
»Stimmgabel« typische Ton. Aus dieser Änderung der »Tonlage« berechnen wir die
Masse – mit einer Abweichung von einem
Millionstel eines milliardstel Gramms. Damit gelingt es zum Beispiel, einzelne Bakterien mit der Genauigkeit von rund einem
Prozent zu wiegen.
Mit solchen physikalischen Messungen
wollen wir bis in den Bereich einzelner
Moleküle vorstoßen. Dazu bündeln wir die
Kräfte verschiedener Forschungsbereiche
und stützen uns auf das Wissen aus Biologie, Chemie, Ingenieurwissenschaften
und Physik. Sie alle tragen zu den neuen
Methoden bei und können von deren
Anwendung profitieren.
Dr. Thomas Burg studierte bis
2001 Physik an der ETH Zürich
und promovierte 2005 am Massachusetts Institute of Technology
(MIT) in Cambridge (USA). Von
2005 bis 2008 forschte er als Postdoktorand am MIT im Department
of Biological Engineering. Seit
2009 leitet er die Max-Planck-Forschungsgruppe »Biologische Mikro- und Nanotechnologie« am
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/
research/ags/burg
Auf Mikrochips integrierte hoch empfindliche Sensoren
können kleinste Partikel, wie zum Beispiel einzelne Bakterien, direkt anhand ihrer Masse detektieren.
T. P. Burg, M. Godin, W. Shen, G. Carlson,
J. S. Foster, K. Babcock, S. R. Manalis:
Weighing of biomolecules, single cells,
and single nanoparticles in fluid.
Nature 446, 1066-1069 (2007).
T. P. Burg, S. R. Manalis: Suspended
microchannel resonators for biomolecular detection. Applied Physics Letters 83,
2698-2700 (2003).
29
Spektroskopie und
photochemische Kinetik
V
Prof. Dr. Jürgen Troe promovierte
1965 an der Universität Göttingen
und habilitierte sich dort in Physikalischer Chemie. Im Jahr 1971
wurde er als ordentlicher Professor an die École Polytechnique
Fédérale nach Lausanne
(Schweiz) berufen. 1975 kehrte er
als Direktor an das Institut für
Physikalische Chemie der Universität Göttingen zurück. Von 1990
bis 2008 leitete er zudem die Abteilung »Spektroskopie und photochemische Kinetik« am MaxPlanck-Institut für biophysikalische Chemie, wo er seine Forschung im Rahmen einer Emeritusgruppe seither fortführt. Seit
2009 arbeitet er darüber hinaus
im Rahmen einer »Niedersachsenprofessur« an der Universität
Göttingen. Jürgen Troe ist Honorarprofessor der École Polytechnique Fédérale de Lausanne,
Ehrendoktor der Universitäten
Bordeaux und Karlsruhe, Ehrenmitglied der Deutschen BunsenGesellschaft, Mitglied zahlreicher
Akademien und Träger vieler
Preise.
Kontakt:
[email protected] und
[email protected]
www.uni-pc.gwdg.de/troe
E. I. Dashevskaya, I. Litvin, E. E. Nikitin, J. Troe: Modelling low-energy electron-molecule capture processes. Phys.
Chem. Chem. Phys. 10, 1270 (2008).
Ch. Müller, J. Schroeder, J. Troe: Intramolecular hydrogen bonding in 1,8dihydroxyanthraquinone, 1-aminoanthraquinone, and 9-hydroxyphenalenone
studied by picosecond time-resolved
fluorescence. J. Phys. Chem. B 110,
19820 (2006).
Ch. Müller, M. Klöppel-Riech, F. Schröder, J. Schroeder, J. Troe: Fluorescence
and REMPI spectroscopy of jet-cooled
isolated 2-phenylindene in the S1. J.
Phys. Chem. A 110, 5017 (2006).
30
iele Erscheinungen der belebten und
unbelebten Natur lassen sich auf molekulare Prozesse zurückführen. So reagieren viele Moleküle, Radikale und Atome in
der Atmosphäre miteinander, nachdem sie
durch Sonneneinstrahlung erzeugt und angeregt worden sind. Erstaunlicherweise
sind diese Vorgänge denen sehr ähnlich,
die im Feuer und im Verbrennungsmotor
ablaufen. Sogar bei der Entstehung neuer
Sterne in interstellaren Molekülwolken
spielen solche Prozesse eine wichtige Rolle. Auch die Elementarprozesse photobiologischer Vorgänge, zum Beispiel der Photosynthese, folgen in ihrer inner- und zwischenmolekularen Dynamik sehr ähnlichen, grundlegenden Prinzipien.
Um solche molekularen Prozesse zu untersuchen, leiten wir sie durch photochemische Aktivierung ein. Moleküle absorbieren das Licht und erreichen durch
die zugeführte Energie hoch aktive Zustände, oder es entstehen reaktive Teilchen,
die eine Kette von Reaktionen auslösen.
Wir untersuchen den zeitlichen Ablauf dieser Reaktionen und die nachfolgenden,
häufig sehr schnellen Vorgänge, indem wir
die sehr spezifische Absorption von Licht
durch die Moleküle mit spektroskopischen
Verfahren analysieren. Sogar Moleküle, die
nur in ihrem Energiezustand variieren,
können wir über ihre jeweiligen Spektren
unterscheiden.
Untersuchungen im
Femtosekunden-Bereich
Mithilfe moderner optischer Methoden
lassen sich die Konzentrationen der Moleküle und ihre Energiezustände mit einer
Zeitauflösung bis in den FemtosekundenBereich verfolgen, der Zeitskala der Bewegungen von Atomen. Damit wird sogar die
»ultraschnelle« innermolekulare Dynamik
direkt »sichtbar«. Ein theoretisches Verständnis dieser Abläufe erreichen wir mit
den Methoden der Quantenchemie, der
Reaktionsdynamik und der molekularen
Statistik.
Zurzeit konzentrieren wir uns auf Reaktionen von Molekül-Ionen in sogenannten
Plasmen, dem gasförmigen Zustand der
Materie, in dem nicht nur elektrisch neutrale, sondern auch geladene Teilchen
nebeneinander existieren. Auf der Erde
lässt sich dieser Zustand in der Ionosphäre
oder in elektrischen Entladungen, etwa bei
einem Blitz, nachweisen. Im Weltall befindet sich der größte Teil der Materie in
diesem Zustand.
Mit den Ergebnissen aus diesen Untersuchungen entwickeln wir theoretische
Modelle, die in vielen Gebieten von Nutzen sind: von der Astro- und Atmosphärenchemie über die Plasma- und Photochemie
bis hin zur Verbrennungschemie. Auch
großindustrielle Prozesse lassen sich damit
optimieren.
Reaktionsdynamik
W
enn Steine verwittern, so geschieht
das in einem Zeitraum von vielen
Jahrhunderten. Doch so langsam die zugrunde liegenden chemischen Reaktionen
augenscheinlich ablaufen – auf der Ebene
der Atome und Moleküle vollziehen sie
sich unvorstellbar schnell: In Bruchteilen
von Pikosekunden, also dem millionsten
Teil einer millionstel Sekunde, ändern Moleküle ihre Struktur, werden chemische Bindungen gelöst oder neu geknüpft. Denn so
schnell bewegen sich Atome im Molekül.
Dabei durchlaufen die Moleküle unterschiedliche Energiezustände. Angetrieben
werden diese Vorgänge einerseits durch
Transport von Energie innerhalb der Moleküle. Aber Energie wandert auch von Molekül zu Molekül, etwa wenn die Reaktanden mit dem Lösungsmittel wechselwirken, das sie umgibt.
Auf der Zeitskala
von Atom-Bewegungen
Wir wollen die einzelnen Schritte dieser
molekularen Prozesse sichtbar machen
und im Detail verstehen. Dabei bedienen
wir uns der Laserspektroskopie. Sie erlaubt
es uns, die an einer chemischen Reaktion
beteiligten Stoffe anhand ihres typischen
Lichtspektrums zu identifizieren, so als
hätte jede Substanz ihr ganz eigenes Regenbogenmuster. Damit charakterisieren
wir auch die Konzentrationen, Energieinhalte und anderen Eigenschaften dieser
Stoffe zu jedem Zeitpunkt einer Reaktion.
Im Zentrum unseres Interesses steht die
Dynamik chemischer Reaktionen in Gasen, Flüssigkeiten und überkritischen Fluiden. Indem wir makroskopische Parameter
wie Temperatur, Dichte oder Viskosität ändern, verändern wir auf mikroskopischer
Ebene die Stärke der
Wechselwirkungen zwischen den Molekülen
sowie die Häufigkeit von
energieübertragenden
Stößen. Auf diese Weise
entwirren wir die verschiedenen, einander
überlagernden Faktoren,
die den Verlauf einer chemischen Reaktion beeinflussen. Mit unseren
experimentellen Methoden können wir bis auf
die Zeitskala der Bewegungen von Atomen in
Molekülen vorstoßen.
Damit wird die innermolekulare Dynamik direkt
sichtbar.
Prof. Dr. Dirk Schwarzer promovierte 1989 an der Universität
Göttingen in Physikalischer
Chemie. Nach einem Forschungsaufenthalt an der University of
Chicago wechselte er 1990 als
Arbeitsgruppenleiter in die Abteilung »Spektroskopie und photochemische Kinetik« an das MaxPlanck-Institut für biophysikalische Chemie. Seit 2006 leitet er
dort die Forschungsgruppe »Reaktionsdynamik«. Dirk Schwarzer
habilitierte 1999 an der Universität Göttingen in Physikalischer
Chemie und lehrt dort seit 2002
als außerplanmäßiger Professor.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/research/
ags/schwarzer
T. Schäfer, D. Schwarzer, J. Lindner, P.
Vöhringer: ND-stretching vibrational
energy relaxation of NH2D in liquid-tosupercritical ammonia studied by femtosecond midinfrared spectroscopy. J.
Chem. Phys. 128, 064502 (2008).
Dijodmethan in Chloroform – Momentaufnahme einer molekulardynamischen
Computersimulation (Jod-Atome sind violett, Chlor-Atome orange gefärbt).
C. Reichardt, J. Schroeder, D. Schwarzer: Femtosecond IR spectroscopy of
peroxycarbonate photodecomposition:
S1-lifetime determines decarboxylation
rate. J. Phys. Chem. A, 111, 10111
(2007).
31
Strukturdynamik
(bio)chemischer Prozesse
W
Dr. Simone Techert promovierte
1997 an der Universität Göttingen.
Von 1998 bis 2000 arbeitete sie als
Postdoktorandin und Wissenschaftlerin an der Europäischen
Synchrotron-Strahlungsquelle in
Grenoble (Frankreich) und wechselte von dort an das Scripps Research Institute in La Jolla (Kalifornien, USA) Von 2001 bis 2004
leitete sie eine Emmy-NoetherNachwuchsgruppe am MaxPlanck-Institut für biophysikalische Chemie. 2005 habilitierte
sie in Physikalischer Chemie und
arbeitete an der Stanford Synchrotron Radiation Light Source
in Stanford (USA). Seit 2006 leitet
sie am Institut die unabhängige
Arbeitsgruppe »Strukturdynamik
(bio)chemischer Prozesse«.
Simone Techert ist Mitglied der
Advanced Study Group der MaxPlanck-Gesellschaft am Center of
Free Electron Laser Science,
Hamburg. Ihre Arbeiten wurden
unter anderem mit dem ESRF-PdPPreis (1999), dem Röntgen-Preis
(2005) und dem Karl-WinnackerStipendium (2006) ausgezeichnet.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/
research/ags/techert
ie flink ist ein Molekül und wie
wendig? Was passiert, wenn seine
Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird, etwa
weil es in einem Kristallgitter gefangen
sitzt? Wie bewegen sich die einzelnen Atome,
wenn sich ein Molekül mit einem anderen
einlässt, also eine chemische Reaktion stattfindet? Um solche Fragen geht es in unserer Arbeitsgruppe.
Wenn wir atomare und molekulare Strukturen in Aktion beobachten, setzen wir
Röntgenblitze ein, die nur 10–14 Sekunden
dauern – eine hundert billionstel Sekunde.
Diese extrem kurzen Blitze werden an den
Molekülen abgelenkt und dann nachgewiesen
(ultraschnelle Röntgenbeugung). So lassen
sich einzelne Atome innerhalb eines Moleküls lokalisieren, und zwar mit einer Genauigkeit von einem milliardstel Millimeter.
Da die untersuchten Moleküle hundert- bis
tausendmal größer sind, können wir so sehr
genau auf sehr schnellen Zeitskalen jede
Bewegung und jede Dynamik in Molekülen und chemischen Reaktionen verfolgen.
Choreographie der Moleküle
Zusätzlich beobachten wir, was von dem
Röntgenblitz übrig bleibt, nachdem ein Teil
der Lichtquanten von den im Weg stehenden Molekülen aufgefangen wurde (ultraschnelle Röntgenspektroskopie). So können
wir herausfinden, mit welchen Bewegungen
Röntgenblitz aus
Molekulare Bewegungen während einer chemischen Reaktion werden mit weicher Röntgenstrahlung der vierten Generation (Free Electron
Laser) untersucht: Ultraschnelle Röntgenbeugung
an Lipiden liefert typische Beugungsmuster.
einzelne Atome der untersuchten Moleküle
in der Choreographie einer chemischen
Reaktion mitspielen. Mit diesen Methoden
hoffen wir, chemische Prozesse so genau
zu verstehen, dass wir sie gezielt manipulieren können, beispielsweise um Materialien zu entwickeln, die elektrische Energie
effizienter in Lichtenergie umwandeln.
Solche lichtaktiven Materialien könnten
unter anderem in Photovoltaik-Anlagen
und Biokraftwerken eingesetzt werden.
Röntgenblitz an
A. Debnarova, S. Techert: Ab initio
treatment of time-resolved X-ray scattering. J. Chem. Phys. 125, 224101
(2006).
A. M. Lindenberg, et al.: Atomic-scale
visualization of inertial dynamics.
Science 308, 392-394 (2005).
32
Röntgenstrahlung und Wasserchemie – wenn extrem kurze Röntgenblitze auf Wasser treffen,
entstehen im billionsten Teil einer Sekunde freie Elektronen.
Laserchemie
D
ie Sonne schickt energiereiches Licht
auf die Erde und induziert dort zahlreiche Prozesse, die thermischer oder photochemischer Natur sein können. Wir erforschen die Wechselwirkung und Einkopplung
von energiereicher Strahlung, insbesondere
von Laserstrahlung, in Materialien. Wir
wollen dadurch verstehen, wie diese Energie
auf Moleküle und Atome wirkt und möchten diese Effekte gezielt nutzbar machen.
Gelingt es, Laserlicht kontrolliert einzusetzen, kann man es etwa für die LaserAblation nutzen – das extrem genaue und
schonende Abtragen von Materialien. Damit lässt sich die weiche Oberfläche der
Augen-Hornhaut zur Behandlung von Fehlsichtigkeit ebenso bearbeiten wie härteste
Metalle in der Industrie.
oxiddrähte. Wie mit einer Art Zeichenstift
schreiben wir die gewünschten Strukturen
mit unserem Laserstrahl in den Gasnebel.
So lassen sich winzige Ring-Elektroden für
die Chipindustrie erzeugen oder kleine
Käfige bauen, die aussehen wie der Eiffelturm oder ein modernes Kunstwerk aus
Metalldrähten.
Im Inneren dieser Käfige lassen sich Zellen oder Substanzen dank abstoßender
elektrischer Felder frei schwebend halten,
um sie zu erforschen. Nur so können Biologen zum Beispiel Zellen völlig unbeeinflusst von einer Oberfläche in einer wässrigen Lösung untersuchen.
Prof. Dr. Michael Stuke studierte
Physik an den Universitäten Marburg und Heidelberg sowie der
Technischen Universität München. Im Jahr 1977 promovierte
er in Physikalischer Chemie mit
einer Arbeit über Laser-Isotopentrennung, für die er mit der OttoHahn-Medaille der Max-PlanckGesellschaft ausgezeichnet wurde. Seit 1981 ist er Leiter der Arbeitsgruppe «Laserchemie» am
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/research/
ags/stuke
Filigrane Strukturen per Laser
Ferner setzen wir Laser ein, um kleine
filigrane Strukturen aus Keramiken oder
Metallen aufzubauen. Dazu richten wir
den Laser in ein Gas, das
eine Verbindung enthält,
die durch die Energie
des Lasers gezielt zerfällt
und beispielsweise Aluminium oder Aluminiumoxid abscheidet. So wachsen scheinbar aus dem
Nichts feine Aluminiumstreben oder Aluminium-
Käfigstrukturen, die durch Laser-Direktschreiben aus
dem Gas heraus erzeugt werden. Aluminiumstreben
wurden mit einer Schreibgeschwindigkeit von 100 (links)
oder 50 Mikrometern pro Sekunde (oben) erzeugt. Ausgangsmaterial ist in beiden Fällen die Substanz Dimethylethylaminallan in einem Gas. Durch die Energie des
Lasers bricht die Verbindung zwischen einem Stickstoffatom und dem Aluminiumatom auf und das Aluminium
lagert sich zur Strebe zusammen.
M. Stuke, K. Mueller, T. Mueller et al.:
Direct-writing of three-dimensional
structures using laser-based processes.
MRS BULLETIN 32, 32-39 (2007),
invited paper.
33
RaffinierteMoleküle
34
Wie Form und Funktion zusammenhängen
Für jeden Zweck ein passendes Protein – der menschliche
Körper hält Hunderttausende davon bereit. Allein unser
Immunsystem schützt uns mit einem riesigen Sortiment
von Antikörpern vor Krankheitserregern. Einer Vielzahl von
Proteinen lässt sich allerdings noch keine biologische Aufgabe zuordnen. Und funktionelle Details sind noch seltener bekannt. Hier eröffnet sich ein weites Feld für die Forschung. Darüber hinaus gilt das Interesse der Wissenschaftler einer weiteren Kategorie von Makromolekülen:
Nukleinsäuren bergen nicht nur genetische Botschaften,
sie fungieren auch als Enzyme – nicht zuletzt bei der Produktion von Proteinen.
35
Theoretische und
computergestützte Biophysik
H
och spezialisierte Proteine verrichten und
steuern praktisch alle Prozesse im Körper:
Sie transportieren zelluläre Fracht, empfangen und
übermitteln Signale, wandeln Energie um, bringen
chemische Reaktionen in Gang oder sorgen
für Wachstum und Bewegung. Mit gutem Recht
kann man diese Moleküle als die biochemischen
»Nano-Maschinen« der Zelle bezeichnen, hervorgegangen aus einer Milliarden Jahre langen Evolution. Wie bei den von Menschenhand gebauten
Maschinen sind es oft auch bei den Proteinen die
Bewegungen der Einzelteile, die ihre Funktion bestimmen. Die interne Proteindynamik ist daher äußerst fein abgestimmt: In vielen Fällen kommt es
auf die Bewegung einzelner Atome an.
Kein Wunder, dass kleine Konstruktionsfehler
mitunter fatale Folgen haben. Einige Erbkrankheiten, beispielsweise die Sichelzellanämie, sind
darauf zurückzuführen, dass sich ein bestimmtes
Protein in nur wenigen Atomen von der normalen Version unterscheidet. Und das, obwohl
Proteine nicht selten aus vielen zehntausend Atomen bestehen. Während der genaue Aufbau von Proteinen in vielen
Fällen mit atomarer Auflösung vermessen werden kann, sind die oft
sehr schnellen Bewegungen eines Proteins auf atomarer Ebene
experimentell äußerst schwer zugänglich.
Um herauszufinden, wie diese
nanotechnischen Wunderwerke
funktionieren, setzen wir Computersimulationen ein. Moderne
36
Kräfte spielen bei den molekularen Nanomaschinen eine wichtige Rolle, sind dort jedoch außerordentlich schwer zu messen. Unsere Computersimulationen helfen hier zu verstehen, wie Proteine
auf Kräfte reagieren. Das Bild zeigt ein Vitamin-Molekül, das aus der Bindungstasche eines Rezeptors
gezogen wird – ein Prozess, der experimentell im Rasterkraftmikroskop vermessen werden kann.
Höchstleistungsparallelcomputer und
immer ausgeklügeltere numerische Verfahren erlauben uns, die Bewegung jedes einzelnen Atoms eines Proteinkomplexes mit hinreichender Genauigkeit
zu berechnen. Um komplexe Lebensprozesse auf der Grundlage der bekannten physikalischen Gesetze im Detail zu
verstehen, arbeiten wir eng mit experimentellen Arbeitsgruppen zusammen.
Proteine bei der Arbeit –
der kleinste Motor der Welt
Ein besonders eindruckvolles Beispiel
für Proteine »bei der Arbeit« ist der molekulare Motor ATP-Synthase. Dieser
Proteinkomplex von nur zwanzig Nanometern (millionstel Millimetern) Größe
arbeitet in den »Kraftwerken« der Zellen und liefert für viele Prozesse im Körper die nötige Energie. Mithilfe dieser
Proteinmaschine setzt der menschliche
Körper pro Tag etwa 75 Kilogramm des
Energiespeichermoleküls ATP um, bei
sportlichen Höchstleistungen sogar
noch weit mehr.
In der Tat ist die Ähnlichkeit zwischen der ATP-Synthase und einem
Ottomotor frappierend: Hier wie dort
gibt es antreibende Kraftstöße, eine sich
drehende »Kurbelwelle« und sich bewegende »Zylinder«. Der entscheidende
Unterschied ist der Wirkungsgrad:
Während der Ottomotor nur einen
Bruchteil der thermodynamisch maximal möglichen Leistung erzielt, sind es
bei der ATP-Synthase nahezu 100 Prozent. Wie diese Energieübertragung im
Detail funktioniert, konnten wir durch
Computersimulationen aufklären. Die
Simulationen offenbarten eine regelrechte »Nanomechanik«. Die Drehbewegung der Achse wird in eine atomar
abgestimmte Bewegung an der Synthesestelle übersetzt, sodass das ATPMolekül gezielt zusammengesetzt wird.
Als Nanomaschine par excellence produziert die ATP-Synthase den universellen »Brennstoff« ATP im
Körper. Die komplette Maschinerie ist gerade einmal 20 millionstel Millimeter groß. In diesem am Computer
erzeugten Schnappschuss wurde gerade ein ATP-Molekül (rot) im Kopfteil (cyan/grün) fertig gestellt. Die
dazu benötigte Energie wird durch eine schnell rotierende »Kurbelwelle« (orange, gelber Pfeil) übertragen, die ihrerseits von einem Fußteil in der Mitochondrienmembran (grün/ gelb) angetrieben wird. Ähnlich
wie ein Elektromotor wird dieser Fußteil durch einen elektrischen Strom angetrieben, der zwischen dem
Fußteil und dem roten Stator über die Membran fließt. Um die Nanomaschine bei der Arbeit zu untersuchen, bestimmen wir mithilfe des Computers die Kräfte, die auf jedes einzelne Atom wirken, und berechnen daraus deren detaillierte Bewegung. Die so erzeugte »Filmsequenz« enthüllt die Tricks der Natur.
Prof. Dr. Helmut Grubmüller
promovierte 1994 in Theoretischer
Physik an der Technischen Universität München. Von 1994 bis
1998 arbeitete er als Assistent an
der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Im Jahr 1998
wechselte er als Forschungsgruppenleiter an das Max-PlanckInstitut für biophysikalische Chemie. Dort leitet er seit 2003 die
Abteilung »Theoretische und
computergestützte Biophysik«.
Helmut Grubmüller ist zugleich
Honorarprofessor für Physik an
der Universität Göttingen.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/home/
grubmueller
Interne Arbeitsgruppen:
Dr. Gerrit Grœnhof
M. Zink, H. Grubmüller: Mechanical
properties of the icosahedral shell of
southern bean mosaic virus: a molecular dynamics study. Biophys J. 96, 13501363 (2009).
L. V. Schäfer, E. M. Müller, H. E. Gaub,
H. Grubmüller: Elastic properties of
photoswitchable azobenzene polymers
from molecular dynamics simulations.
Angew. Chemie Int. Ed. 46, 2232-2237
(2007).
F. Gräter, J. Shen, H. Jiang, M. Gautel,
H. Grubmüller: Mechanically induced
titin kinase activation studied by forceprobe molecular dynamics simulations.
Biophys. J. 88, 790-804 (2005).
R. Böckmann, H. Grubmüller: Nanoseconds molecular dynamics simulation
of primary mechanical energy transfer
steps in ATP synthase. Nature Struct.
Biol. 9, 198-202 (2002).
M. Rief, H. Grubmüller: Kraftspektroskopie von einzelnen Biomolekülen.
Physikalische Blätter, 55-61, Feb.,
(2001).
37
Computergestützte biomolekulare
Dynamik
D
Prof. Dr. Bert de Groot promovierte
1999 in Biophysikalischer Chemie
an der Universität Groningen
(Niederlande). Von 1999 bis 2003
arbeitete er als Postdoktorand in
der Arbeitsgruppe von Helmut
Grubmüller am Max-PlanckInstitut für biophysikalische
Chemie in Göttingen. Dort leitet
er seit 2004 die Arbeitsgruppe
»Computergestützte biomolekulare Dynamik«. Seit 2009 ist Bert
de Groot außerplanmäßiger Professor für Physik an der Universität Göttingen.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/research/
ags/degroot
O. F. Lange, N. A Lakomek, C. Fares, G.
F. Schröder, K. F. A. Walter, S. Becker, J.
Meiler, H. Grubmüller, C. Griesinger, B.
L. de Groot: Recognition dynamics up
to microseconds revealed from RDC
derived ubiquitin ensemble in solution.
Science 320, 1471-1475 (2008).
J. S. Hub, B. L. de Groot: Mechanism
of selectivity in aquaporins and aquaglyceroporins. Proc. Nat. Acad. Sci.
105, 1198-1203 (2008).
D. Seeliger, J. Haas, B. L. de Groot:
Geometry-based sampling of conformational transitions in proteins. Structure
15, 1482-1492 (2007).
ie Funktion einer Maschine lässt sich
viel leichter verstehen, wenn wir sie
in Aktion beobachten können. Das gleiche
gilt für die winzigen Maschinen unserer
Zellen – die Proteine. Milliarden dieser
»Nanomaschinen« ermöglichen, steuern
oder unterstützen fast alle Prozesse in unserem Körper. Entsprechend fatal sind die
Folgen, wenn Proteine nicht richtig funktionieren: Viele Krankheiten beruhen auf
solchen Fehlfunktionen.
Welche Wechselwirkungen bewirken das
Verklumpen von Proteinen und verursachen somit Krankheiten wie Alzheimer
oder Parkinson? Wie regulieren Zellen den
Ein- und Ausstrom von Molekülen wie
Wasser, Ionen und Nährstoffe? Wie funktioniert die molekulare Erkennung? Diese
Fragestellungen untersuchen wir in unserer Arbeitsgruppe.
Um die Funktion und Fehlfunktion von
Proteinen zu verstehen, reicht es allerdings
nicht aus, ihren Bauplan und ihre dreidimensionale Form zu kennen. Erst über
fein abgestimmte Bewegungen erfüllen Proteine ihre jeweilige Aufgabe. Unser Ziel ist
es, die molekularen Mechanismen aufzuklären, die dieser Proteindynamik zugrunde
liegen. Wir setzen dabei auf Computersimulationen, um die Bewegungen von Proteinen im atomaren Detail zu verfolgen.
Wasserkanäle, die auch filtern
Ein Protein, das wir in unserer Gruppe
untersuchen, ist das Aquaporin. In der
Zellmembran bildet es Poren, die als perfekte, hochselektive Filter wirken. Nur
Wassermoleküle können passieren, Ionen
Molekulare Erkennung durch Ubiquitin. Da Ubiquitin
schnell unterschiedliche Formen annehmen kann,
erkennt es viele verschiedene Bindungspartner.
Man kann es sich wie einen Schlüsselbund vorstellen,
mit dem sich verschiedene Schlösser öffnen lassen.
und größeren Molekülen wird der Durchtritt verwehrt. Durch MolekulardynamikSimulationen ist es uns gelungen, den Mechanismus aufzuklären, der Aquaporine
derart selektiv filtern lässt: Eine elektrostatische Barriere verwehrt jeglichen Ionen
wirksam den Durchlass.
Daneben haben wir einen wahren Verwandlungskünstler unter den Proteinen im
Visier: das Ubiquitin. Es ist Teil eines ausgeklügelten Recycling-Systems der Zelle,
das bestimmte Proteine als zellulären »Müll«
markiert. Doch wie schafft es das Ubiquitin, eine Vielzahl unterschiedlicher Partnermoleküle zu erkennen und zu binden?
In Zusammenarbeit mit der Abteilung
»NMR-basierte Strukturbiologie« konnten
wir nachweisen, dass Ubiquitin überraschend beweglich ist: Extrem schnell – innerhalb von millionstel Sekunden – ändert
es ständig seine Form, bis diese zufällig zu
einem seiner Partner passt.
Wasserfluss durch einen Aquaporin-Kanal.
Links: Wasser (rot/weiss) fließt nicht durch die Lipidmembran (grün/gelb), sondern durch spezielle Poren,
die Aquaporine in der Membran bilden (blau).
Rechts: Weg der Wassermoleküle durch den Aquaporin-Kanal. Spezifische Wechselwirkungen erlauben
den Durchtritt von Wasser, verhindern aber, dass größere Moleküle oder Ionen unkontrolliert passieren
können. Sogar winzige Protonen (Wasserstoffionen)
werden ausgeschlossen.
38
Strukturuntersuchungen
an Proteinkomplexen
D
ie Kommunikation muss stimmen, das
gilt auch für Zellen. Um zu überleben, müssen Bakterienzellen genau wie die
Zellen unseres Körpers auf eine ganze Palette von Reizen in ihrer Umgebung reagieren.
Allerdings haben die Reize auf dem Weg
ins Zellinnere noch eine Barriere zu bezwingen: die Zellmembran. Sie schirmt das Innenleben der Zelle wirksam von der Außenwelt
ab. Eine Verbindung von drinnen nach
draußen gibt es dennoch: Winzige EmpfangsAntennen in der Membran – die SensorProteine – fangen die Reize auf und leiten
sie durch die Membran. Dabei treten sie in
engen Kontakt mit ihren Kommunikationspartnern. Je nach Bedarf werden SensorProteine ein- und ausgeschaltet. Doch was
lässt Proteine umschalten von »an« auf »aus«?
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, züchten wir Kristalle solcher SensorProteine – eine mitunter langwierige Prozedur. Durch einen solchen Kristall schicken
wir dann energiereiche Röntgenstrahlen
und erhalten so ein kompliziertes Beugungsmuster, das eine Fülle von Informationen über die räumliche Struktur des
Sensor-Proteins liefert. Einen
Nachteil hat diese Methode
freilich. Dem Protein bleibt
im Kristall praktisch kein Bewegungsspielraum. Um dynamische Prozesse wie Schaltvorgänge zu erfassen, sind daher
ergänzende Kernspinresonanz
(NMR)-Messungen vonnöten.
Denn bei diesem Verfahren
können Moleküle in Lösung
untersucht werden – mit viel
Bewegungsfreiheit.
Was Proteine schalten lässt
Strukturänderungen sind für die Zustände
»an« und »aus« von zentraler Bedeutung.
Die Unterschiede zwischen aktivem und
inaktivem Zustand können klein sein, wie
zum Beispiel bei der Histidin-Kinase CitA.
Dieses Protein ist für Bakterien lebenswichtig, weil sie damit auf Veränderungen
ihres Lebensraums reagieren. Unsere Untersuchungen zeigen: Wenn Citrat an den Bereich des Proteins bindet, der nach außen
ragt, zieht sich das Protein an dieser Stelle
zusammen. Diese Kontraktion ist letztlich
entscheidend für die Übertragung des Signals ins Zellinnere.
Im Fall einer anderen Proteingruppe, der
STAT-Proteine, sind die Strukturänderungen dagegen groß: STAT-Proteine übertragen Signale von der Zellmembran ins
Innere des Zellkerns und verändern die Aktivität bestimmter Gene. Zwar binden immer zwei STAT-Proteine aneinander, egal
ob das STAT aktiv ist oder inaktiv. Doch die
Bindung erfolgt auf ganz unterschiedliche
Weise, mal parallel, mal antiparallel zueinander angeordnet.
Dr. Stefan Becker promovierte
1991 an der Universität des Saarlandes in Chemie und ging anschließend an das C.H. Best Institute in Toronto (Kanada). Im Jahr
1995 wechselte er an die Außenstelle des Europäischen Molekularbiologischen Labors in Grenoble. Seit 1999 leitet Stefan Becker
die Projektgruppe »Molekularbiologie« in der Abteilung »NMRbasierte Strukturbiologie« am
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie.
Kontakt:
[email protected]
http://medusa.nmr.mpibpc.mpg.de
M. Sevvana et al.: A ligand-induced
switch in the periplasmic domain of
sensor histidine kinase CitA. J. Mol.
Biol. 377, 512-523 (2008).
In ihrer aktiven Form (A) sind die beiden STAT-Moleküle parallel angeordnet und
umschließen wie ein Nussknacker die Erbsubstanz (rote Struktur in zentraler
Position). In der inaktiven Form (B) sind die STATs hingegen antiparallel angeordnet; die Struktur ähnelt einem Boot.
D. Neculai, A. M. Neculai, S. Verrier,
K. Straub, K. Klumpp, E. Pfitzner,
S. Becker: Structure of the unphosphorylated STAT5a dimer. J. Biol. Chem.
280, 40782-40787 (2005).
Nur wenn Citrat an den Teil der Histidin-Kinase
CitA bindet, der aus der Zellmembran nach außen
ragt, ist dieser kontrahiert. Hierdurch wird ein
anderer Teil der Histidin-Kinase nach »oben« gezogen. Diese Bewegung ist das Signal, das ins
Zellinnere weitergegeben wird.
S. Becker, B. Groner, C.W. Müller:
Three-dimensional structure of the
Stat3ß homodimer bound to DNA.
Nature 394, 145-151 (1998).
39
NMR-basierte Strukturbiologie
B
ei molekularem Inventar ist die räumliche
Struktur gleichermaßen wichtig wie die chemische Zusammensetzung. Welch fatale Folgen
ein Formfehler haben kann, zeigen bisher unheilbare Leiden wie die Alzheimer-, Parkinson- und
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. In allen drei Fällen
sammeln sich deformierte Proteinmoleküle in
Gehirnzellen an und richten sie zugrunde. Nur
wenn Proteine und Nukleinsäuren in Form bleiben, können sie ihre biologische Aufgabe erfüllen.
Uns interessiert die Frage, auf welche strukturellen Details es dabei ankommt.
Zum Kern der Sache
Die Methode der Wahl ist hier die NMR-Spektroskopie. Bei der nuklearmagnetischen Resonanz
(NMR) macht man sich zunutze, dass die meisten
Atomkerne magnetische Eigenschaften besitzen.
Sie lassen sich als elektrisch geladene Kreisel betrachten, die sich an einem äußeren Magnetfeld
auszurichten versuchen. Aufgrund dieser Eigenschaft können die Atomkerne elektromagnetische
Strahlung bestimmter Energie absorbieren. Welche
Frequenz absorbiert wird, hängt von der chemischen Umgebung ab. In einem Molekül mit vielen
Räumliche Rekonstruktion eines TubulinMoleküls. Wie sich das
Antikrebsmittel (Mitte)
in diese Struktur
hineindrängt, zeigte die
NMR-Spektroskopie.
40
unterschiedlich platzierten Atomkernen wird eine
entsprechend große Zahl unterschiedlicher Energieportionen benötigt. So ergibt sich ein NMRSpektrum, das detaillierte Informationen über die
Anordnung der einzelnen Atomkerne und damit
der Atome im Raum enthält.
Diese Informationen zu entschlüsseln ist allerdings eine Kunst für sich. Und je größer die untersuchten Moleküle, desto schwieriger wird diese
Aufgabe: Man muss auf sogenannte Tripelresonanz-Experimente zurückgreifen, die dreidimensionale Spektren ergeben. Bei Proteinmolekülen, die aus mehr als zweihundert Aminosäuren –
Bausteinen aller Proteine – zusammengesetzt sind,
stößt selbst diese NMR-Spektroskopie an
ihre Grenzen. Doch wir versuchen, darüber
hinauszugehen.
Grenzen überschreiten
Unter anderem arbeiten wir dabei mit Isotopen:
Wir ersetzen beispielsweise gewöhnlichen Stickstoff zum Teil durch eine Variante mit schwererem
Atomkern. Im NMR-Spektrum können wir dann
entweder das eine oder das andere Isotop sichtbar
machen. So lassen sich Proteine, die für die NMR-
Spektroskopie eigentlich zu groß sind,
stückweise analysieren. Zunächst stellt
sich jedoch das Problem, sie in ausreichender Menge zu produzieren. Als hilfreich erweisen sich dabei Bakterien, die
mit dem fraglichen Gen ausgestattet
wurden. Füttert man sie mit Aminosäuren, die ein bestimmtes Isotop enthalten, so bauen sie – wenn alles gut geht –
das Protein nach Wunsch zusammen.
Elektronen – die ein viel größeres magnetisches Moment besitzen – können
ebenfalls an Moleküle geheftet werden.
Sie liefern zusätzliche Informationen,
die wir zum Beispiel genutzt haben, um
bei einem der häufigsten Membranproteine des Menschen die räumliche
Struktur zu analysieren. Darüber hinaus
möchten wir Elektronen auch zur Signalverstärkung verwenden.
Dynamische Moleküle
Mit der NMR-Spektroskopie lassen sich
Proteine aber auch in Aktion beobachten. In Lösung oder in eine Membran
eingebettet, können sie sich während
der Messung ähnlich frei bewegen wie
in ihrem natürlichen Umfeld. Wenn sie
dabei ihre räumliche Struktur ändern,
geschieht das oft sehr schnell. Ein
neues Verfahren erlaubt es uns, Bewegungen von Proteinen zu messen, die
sich in einem Zeitfenster zwischen einer
Räumliche Struktur eines molekularen Kanals, der die
äußere Membran von Mitochondrien – die »Kraftwerke« jeder Zelle – durchdringt. Über solche Kanäle
liefern die Mitochondrien chemische Energie in Form
von Adenosintriphosphat (ATP), im Körper eines Menschen täglich etwa 75 Kilogramm.
milliardstel und einer millionstel Sekunde abspielen. Dadurch gewinnen wir neue
Erkenntnisse, wie Proteine einander erkennen und was sie beweglich macht.
Arzneimittel im Blickpunkt
Wie kleine Moleküle auf große Proteine
einwirken, können wir schon jetzt sehr
genau studieren. So lässt sich zum Beispiel zeigen, wie ein Wirkstoff für die
Chemotherapie von Krebs an dem Protein Tubulin andockt. Aus Tubulin sind
die Mikrotubuli zusammengesetzt, lange Röhren, mit denen sich die Zellen in
Form halten. Wenn der Auf- und Umbau dieses Gerüsts nicht funktioniert,
gehen die Zellen zugrunde, sobald sie
sich zu vermehren versuchen. Das trifft
Krebszellen besonders hart, weil sie gewöhnlich hemmungslos für Nachkommenschaft sorgen. Ein kleines Molekül
aus eigener Herstellung kann Leiden
wie die Alzheimer-, Parkinson- und
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit stoppen –
zumindest im Tiermodell. Derzeit studieren wir die räumliche Struktur dieses
vielversprechenden Moleküls im Komplex mit seinem Zielmolekül.
Prof. Dr. Christian Griesinger
studierte Chemie und Physik an
der Universität Frankfurt und promovierte dort 1986 in Organischer
Chemie. Von 1986 bis 1989 arbeitete er als Postdoktorand und
Assistent am Laboratorium für
Physikalische Chemie der ETH
Zürich. 1990 wurde er Professor
am Institut für Organische Chemie
der Universität Frankfurt, und seit
1999 leitet er die Abteilung »NMRbasierte Strukturbiologie« am
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. Christian Griesinger erhielt mehrere wissenschaftliche Auszeichnungen, darunter
den Sommerfeld-Preis (1997), den
Leibniz-Preis (1998) und den
Bayer-Preis (2003). Er ist Mitglied
der Akademie der Wissenschaften
zu Göttingen und der Akademie
Leopoldina. Christian Griesinger
wird derzeit durch einen »ERC
Advanced Grant« gefördert.
Kontakt:
[email protected]
http://medusa.nmr.mpibpc.mpg.de
O. Lange, N. A. Lakomek, C. Farès, G.
Schröder, S. Becker, J. Meiler, H. Grubmüller, C. Griesinger, B. de Groot: Recognition dynamics up to microseconds
revealed from an RDC-derived ubiquitin ensemble in solution. Science 320,
1471-1475 (2008).
M. Reese, D. Lennartz, T. Marquardsen,
P. Höfer, A. Tavernier, P. Carl, T. Schippmann, M. Bennati, T. Carlomagno, F.
Engelke, C. Griesinger: Construction of
a Liquid-State NMR DNP Shuttle
Spectrometer: First Experimental Results and Evaluation of Optimal Performance Characteristics. Appl. Magn. Reson. 34, 301-311 (2008).
M. Bayrhuber, T. Meins, M. Habeck, S.
Becker, K. Giller, S. Villinger, C. Vonrhein, C. Griesinger, M. Zweckstetter, K.
Zeth: Structure of the human voltagedependent anion channel. Proc. Natl.
Acad. Sci. USA 105, 15370-5 (2008).
41
Proteinstrukturbestimmung
mittels NMR
D
Prof. Dr. Markus Zweckstetter
studierte Physik an der LudwigMaximilians-Universität München.
Seine Doktorarbeit fertigte er bei
Dr. Tad Holak am Max-PlanckInstitut für Biochemie in Martinsried an und promovierte an der
Technischen Universität München.
Im Anschluss arbeitete er von
1999 bis 2001 als Postdoktorand
in der Gruppe von Dr. Adrian Bax
an den National Institutes of
Health in Bethesda (Maryland,
USA). Seit 2001 leitet er die Forschungsgruppe »Proteinstrukturbestimmung mittels NMR« am
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. Markus Zweckstetter lehrt seit 2008 als Honorarprofessor für Biologie an der
Universität Göttingen.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/groups/
zweckstetter
ie Form folgt der Funktion, diese Binsenweisheit für gutes Produktdesign
hat die Natur wie so oft auch bei Proteinen
perfekt umgesetzt. Je nach Aufgabe haben
sie eine ganz bestimmte Form. Die Aminosäureketten eines Muskelproteins falten
sich zu einer anderen räumlichen Struktur
als die eines Kanalproteins, das Stoffe
durch eine Membran passieren lässt.
Proteine außer Form
Umso überraschender mag es erscheinen,
dass insbesondere das menschliche Genom zu einem erheblichen Teil Baupläne
für Proteine enthält, die in der Zelle nahezu ungefaltet vorliegen. Diese Proteine
werden als »intrinsisch ungeordnet« oder
»nativ entfaltet« bezeichnet. Sie spielen eine wichtige Rolle in verschiedenen zellulären Prozessen, etwa wenn ein Gen abgelesen wird, wenn sich eine Zelle teilt oder
wenn Signale weitergeleitet werden.
Diese ungewöhnliche Protein-Gruppe zu
untersuchen ist nicht ganz einfach, denn
solche Proteine sind sehr flexibel und beweglich. Das erschwert die Arbeit unter
dem Mikroskop, weil man ähnlich wie in
der Fotografie unscharfe Aufnahmen erhält. Nur mit der Kernspinresonanzspektroskopie sind wir in der Lage, Informatio-
nen mit atomarer Auflösung zu erhalten. In
der Zelle ist die hohe Beweglichkeit allerdings von großem Nutzen: Sie erlaubt
solch ungeordneten Proteinen, an viele unterschiedliche Partner zu binden. Zudem
kann die Zelle diese Proteine effizient regulieren, beispielsweise durch die Anheftung kleiner Phosphatreste.
In meiner Gruppe erforschen wir mithilfe
der Kernspinresonanz, wie die Proteine ihre Form verändern, wenn sie andere Proteine erkennen und an sie binden oder
wenn bei ihrer eigenen Faltung etwas
schiefläuft. Die Folgen solcher Missfaltungen untersuchen wir an Proteinen wie
␣-Synuclein, Tau und Amyloid-␤, die bei
der Parkinson- und Alzheimer-Krankheit
eine zentrale Rolle spielen. Bei den erkrankten Personen lassen sich Tau und Amyloid-ß
missgefaltet als »Protein-Verklumpungen«
im Hirngewebe nachweisen. Doch warum
sind diese falsch gefalteten Proteine so
schädlich? Eine mögliche Ursache ist nach
unseren Forschungsergebnissen, dass falsch
gefaltetes Tau-Protein viel schwächer an
Mikrotubuli-Proteine – die »Transportschienen« der Zelle – bindet. Als Folge ist der
Stofftransport innerhalb der Nervenzelle
gestört und der Stoffwechsel in den Nervenzell-Endigungen massiv beeinträchtigt.
D. P. Karpinar, M. B. Balija, S. Kügler,
F. Opazo, N. Rezaei-Ghaleh, N. Wender,
H. Y. Kim, G. Taschenberger, B. H. Falkenburger, H. Heise, A. Kumar, D. Riedel, L. Fichtner, A. Voigt, G. H. Braus,
K. Giller, S. Becker, A. Herzig, M. Baldus, H. Jäckle, S. Eimer, J. B. Schulz, C.
Griesinger, M. Zweckstetter: Pre-fibrillar
alpha-synuclein variants with impaired
beta-structure increase neurotoxicity in
Parkinson's disease models. EMBO J. |
doi:10.1038/emboj.2009.257 (2009).
M. D. Mukrasch, S. Bibow, J. Korukottu, S. Jeganathan, J. Biernat, C. Griesinger, E. Mandelkow, M. Zweckstetter:
Structural polymorphism of 441-residue tau at single residue resolution.
PLoS Biol. 17, e34 (2009).
M. Bayrhuber, T. Meins, M. Habeck, S.
Becker, K. Giller, S. Villinger, C. Vonrhein, C. Griesinger, M. Zweckstetter, K.
Zeth: Structure of the human voltagedependent anion channel. Proc. Natl.
Acad. Sci. USA 105, 15370-15375
(2008).
42
Struktur des Tau-Proteins.
Im Hintergrund ist eine Elektronenmikroskopie-Aufnahme der
Mikrotubuli, des Bindungspartners von Tau, zu sehen.
Festkörper-NMR-Spektroskopie
O
hne Proteine wäre Leben undenkbar.
Sie managen und verrichten die
meisten Aufgaben, die Bakterien ebenso
wie Pflanzen und Tieren das Überleben sichern. Alle Proteine sind aus Aminosäuren
aufgebaut, die zu hunderten, manchmal
sogar tausenden korrekt aneinandergereiht
werden müssen. Doch erst wenn sie sich
zu ihrer korrekten dreidimensionalen Struktur falten, können sie ihre jeweilige Funktion in der Zelle erfüllen. Falsch gefaltet
können sie indes großen Schaden anrichten.
In Hirngeweben von Alzheimer-Patienten lassen sich gleich zwei falsch gefaltete
Proteine nachweisen: Zwischen Nervenzellen sind Amyloid-Plaques, »Proteinverklumpungen«, diffus in der Hirnrinde
und anderen Gehirnregionen eingestreut.
Im Inneren der Nervenzellen liegen zu
Knäueln verklumpte Tau-Fibrillen. Diese
tragen im Zusammenspiel mit genetischen
Faktoren dazu bei, dass der Stoffwechsel
der Nervenzellen aus dem Ruder läuft und
die Kommunikation zwischen den Nervenzellen gestört ist. Die Nervenzellen verkümmern und sterben schließlich ab.
Warum lagern sich hier die einzelnen
Moleküle zusammen, und weshalb können
sie von der Zelle nicht abgebaut werden?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden,
versuchen wir, die Struktur einzelner Proteine in den Tau-Bündeln zu bestimmen.
Trickreiches Experiment
Konventionelle Methoden zur Strukturbestimmung versagen hier allerdings, denn
die Plaques und Bündel sind schlicht zu
groß und zudem wasserunlöslich. Sie sind
damit weder für die Flüssigkeits-Kernspinresonanz (NMR)-Spektroskopie noch für
die Röntgenstrukturanalyse geeignet. Wir
wenden daher eine spezielle Form der
NMR-Spektroskopie an, um diese schweren, wasserunlöslichen Proteinaggregate zu
erforschen: die Festkörper-NMR-Spektroskopie. Dabei nutzen wir einen Trick: Da
sich die Moleküle nicht schnell genug von
selbst drehen, rotieren wir unsere gesamte
Probe bis zu 65.000 Mal pro Sekunde.
Mithilfe von Radiowellen können wir dann
die Struktur der Tau-Fibrillen im starken
Magnetfeld des NMR-Spektrometers untersuchen.
Uns interessieren aber auch die Strukturen anderer Proteine, die fest in der
Zellmembran verankert sind. Wie verändert sich beispielsweise die Struktur von
Membranproteinen, wenn andere Moleküle – zum Beispiel Medikamente – an sie
binden?
Dr. Adam Lange studierte Physik
in Göttingen und promovierte
2006 am Max-Planck-Institut für
biophysikalische Chemie in Zusammenarbeit mit den National
Institutes of Health in Bethesda
(Maryland, USA). Anschließend
wechselte er mit einem EMBOStipendium an die ETH Zürich.
Seit 2008 leitet er am Institut die
Arbeitsgruppe »Festkörper-NMRSpektroskopie«. Adam Lange
wurde 2006 mit der Otto-HahnMedaille der Max-Planck-Gesellschaft und dem R. R. Ernst-Preis
der Gesellschaft Deutscher Chemiker ausgezeichnet.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/research/
ags/lange
Der supraleitende Magnet erzeugt ein
Magnetfeld, das etwa 400.000 Mal so stark
ist wie das Erdmagnetfeld.
A. Lange, I. Scholz, T. Manolikas, M.
Ernst, B. H. Meier: Low-power cross
polarization in fast magic-angle spinning NMR experiments. Chem. Phys.
Lett. 468, 100-105 (2009).
C. Wasmer, A. Lange, H. Van Melckebeke,
A. B. Siemer, R. Riek, B. H. Meier:
Amyloid fibrils of the HET-s(218-289)
prion form a ␤-solenoid with a triangular hydrophobic core. Science 319,
1523-1526 (2008).
A. Lange, K. Giller, S. Hornig, M. F.
Martin-Eauclaire, O. Pongs, S. Becker,
M. Baldus: Toxin-induced conformational changes in a potassium channel revealed by solid-state NMR. Nature
440, 959-962 (2006).
43
Systembiologie
der Motorproteine
O
Dr. Martin Kollmar promovierte
2002 am Max-Planck-Institut
für medizinische Forschung in
Heidelberg im Fach Chemie.
Seitdem ist er Leiter der Projektgruppe »Systembiologie der
Motorproteine« am Max-PlanckInstitut für biophysikalische Chemie. Martin Kollmar erhielt 2002
ein Liebig-Stipendium und wurde
1998 mit dem Sophie-BernthsenPreis ausgezeichnet.
Kontakt:
[email protected]
www.motorprotein.de
Vordergrund: schematische Darstellung der Organisation der Untereinheiten im zytoplasmatischen Dynein/
Dynactin-Komplex. Bereits bekannte
Strukturen von Untereinheiten oder
Fragmenten davon sind der schematischen Darstellung überlagert. Hintergrund: phylogenetischer Baum der
Dyneine, in dem die verschiedenen
Dynein-Formen farbig markiert sind.
F. Odronitz, H. Pillmann, O. Keller,
S. Waack, M. Kollmar: WebScipio:
An online tool for the determination of
gene structures using protein sequences.
BMC Genomics 9, 422 (2008).
F. Odronitz, M. Kollmar: Drawing the
tree of eukaryotic life based on the analysis of 2269 manually annotated myosins from 328 species. Genome Biology
8, R196 (2007).
F. Odronitz, M. Hellkamp, K. Kollmar:
diArk – a resource for eukaryotic
genome research. BMC Genomics
8, 103 (2007).
44
b Tiere oder Pflanzen, ihre Zellen haben ein bewegtes Innenleben. Sie
verfügen über ein molekulares Inventar –
die Motorproteine – mit dem sie diverse
Zellbestandteile gezielt in Bewegung setzen
können. Auch für die Bewegung der Muskeln, die Zellteilung oder die intrazelluläre
Logistik sind solche Motorproteine unentbehrlich. Wir wollen herausfinden, wie sie
funktionieren und wie verschiedene Motorproteine als komplexes Netzwerk in der
Zelle zusammenarbeiten. Dazu bestimmen
wir, über welches Arsenal an Motorproteinen
verschiedene Organismen verfügen.
Dabei können wir auf eine stetig steigende
Zahl vollständig sequenzierter Genome zurückgreifen. Um Motorprotein-Gene zu identifizieren, vergleichen wir die DNA-Sequenzen aus den Genomen vieler verschiedener
Organismen, von Maus und Mensch bis hin
zu Fliege, Fadenwurm und Hefepilz. Wenn
die Sequenz der DNA bekannt ist, heißt
das allerdings noch lange nicht, dass auch
die darin kodierten Gene bekannt sind.
Um Datenbanken zu durchmustern und
Motorprotein-Gene gezielt aufzuspüren,
entwickeln wir daher spezielle Werkzeuge.
Gigant im Reich der Proteine
Die Arbeitsweise der Motorproteine können wir nur dann verstehen, wenn wir die
Details ihrer räumlichen Struktur kennen.
Derzeit studieren wir den Proteinkomplex
aus Dynein und Dynactin. Beim Transport
unterschiedlicher Zellkomponenten ist er
ebenso beteiligt wie bei der Zellteilung,
wenn die Chromosomen sortiert und
korrekt auf die Tochterzellen verteilt werden
müssen. Dynactin koordiniert und reguliert
den zellulären Frachtverkehr, während
Dynein die dafür benötigte Energie bereitstellt. Wie diese molekulare Maschine chemische Energie in mechanische Arbeit umsetzt, ist allerdings noch weitgehend ungeklärt. Kein Wunder, schließlich ist das
Dynein ein wahrer Gigant unter den Proteinen, rund zwanzigmal so groß wie der
rote Blutfarbstoff Hämoglobin, und daher
Strukturuntersuchungen nur schwer zugänglich. Seine räumliche Struktur zu entschlüsseln ist deshalb eine besondere
Herausforderung.
Bioanalytische
Massenspektrometrie
ganzer Zellen und Gewebe. Die Unterschiede, die wir dabei beobachten, helfen
nicht nur, zelluläre Prozesse zu verstehen.
Sie lassen auch Rückschlüsse darauf zu,
was in einer Zelle vor sich geht, wenn sie
sich von einer Vorläuferzelle (zum Beispiel
im Knochenmark) zu einer hochspezialisierten Immunzelle entwickelt. Nicht zuletzt interessiert uns, wie sich solche zellulären Prozesse bei bestimmten Krankheiten verändern.
Hochleistungs-Elektrospray-Ionisationsmassenspektrometer zur quantitativen Analyse von Molekülen. Geringste Mengen an Proteinen und Proteinfragmenten werden mittels Flüssigkeitschromatographie getrennt und direkt in das Massenspektrometer »gesprüht«. Der Bildschirm zeigt die Position
des Sprühers (Kapillarnadel aus Kieselglas), aus
dem die Moleküle heraustreten.
W
ie viel wiegt ein Molekül? Die Massenspektrometrie dient dazu, die
Masse – und damit das Gewicht – von Molekülen exakt zu ermitteln. In den Lebenswissenschaften ist die moderne »bioanalytische« Massenspektrometrie von Proteinen
zu einer grundlegenden Analysetechnik geworden. Dank neuer Methoden können
wir die Proteine in verschiedenen Zellen
und Entwicklungsstadien eines Organismus
quantitativ erfassen. Denn wie sich Zellen
entwickeln und wie Organismen altern,
spiegelt sich auch in deren Proteinmuster
wider. In Zusammenarbeit mit anderen Forschungsgruppen ermitteln und vergleichen
wir die Proteinmuster von Proteinkomplexen
und zellulären Kompartimenten, aber auch
Handliche Proteinfragmente
Hierzu analysieren wir allerdings nicht die
intakten Proteine. Vielmehr spalten wir die
aus einer Zelle isolierten Proteine zunächst
in kleinere, handlichere Protein-Fragmente
(Peptide). Anschließend wird nicht nur
deren Masse exakt ermittelt, sondern auch
die Abfolge ihrer einzelnen Bausteine, der
Aminosäuren. Denn sobald wir von einem
oder mehreren dieser Peptide Masse und
Aminosäuresequenz kennen, können wir
das dazugehörige intakte Protein in Datenbanken zuverlässig identifizieren und dessen Menge bestimmen.
Die Eigenschaften von Proteinen ändern
sich mit der Abfolge und dem Modifizierungsgrad ihrer Aminosäuren. Dies muss
bei der Analyse berücksichtigt werden. So
erfordern Proteine, die Bestandteil von Zellmembranen sind und beispielsweise Zuckerreste tragen, andere Analyse-Verfahren
als solche, die Phosphatreste tragen und das
»An- und Abschalten« spezieller Gene bewirken. Ein weiteres Ziel unserer Arbeitsgruppe ist es daher, die bestehenden analytischen Methoden weiter zu verbessern und
neue Verfahren zu entwickeln, die einen
noch detaillierteren Einblick in das vielgestaltige Protein-Inventar der Zellen erlauben.
Ionenquelle eines Elektrospray-IonisationsMassenspektrometers. Zwischen dem Sprüher und
der Öffnung des Massenspektrometers liegt eine
Spannung von ein bis zwei Kilovolt an. Dadurch werden wie bei einer Düse aus der Öffnung des Sprühers
winzigste geladene Flüssigkeitströpfchen mit den zu
untersuchenden Molekülen in das Massenspektrometer gesprüht. Dort verdampft das Lösungsmittel,
zurück bleiben geladene Moleküle, deren Masse
exakt bestimmt werden kann.
Dr. Henning Urlaub studierte Biochemie an der Freien Universität
Berlin und promovierte 1996 am
Berliner Max-Delbrück-Centrum
für molekulare Medizin. Von 1997
bis 2004 forschte er als Postdoktorand im Labor von Reinhard
Lührmann in Marburg und Göttingen, unterbrochen von einigen
Forschungsaufenthalten am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg. Seit
2005 leitet er die Forschungsgruppe »Bioanalytische Massenspektrometrie« am Max-Planck-Institut
für biophysikalische Chemie.
Henning Urlaub organisiert seit
2004 die »Summer School«-Serie
»Proteomic Basics«. Er ist Vorstandsmitglied der Deutschen
Gesellschaft für Proteomforschung (DGPF).
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/home/urlaub
T. Oellerich, M. Gronborg, K. Neumann,
H. H. Hsiao, H. Urlaub, J. Wienands:
SLP-65 phosphorylation dynamics reveals a functional basis for signal integration by receptor-proximal adaptor proteins. Mol. Cell. Proteomics 8, 17381750 (2009).
L. Weinmann, J. Hoeck, T. Ivacevic, T.
Ohrt, J. Muetze, P. Schwille, E. Kremmer,
V. Benes, H. Urlaub , G. Meister:
Importin 8 is a gene silencing factor
that targets argonaute proteins to distinct mRNAs. Cell 136, 496-507
(2009).
E. Meulmeester, M. Kunze, H .H. Hsiao,
H. Urlaub, F. Melchior: Mechanism
and consequences for paralog-specific
sumoylation of ubiquitin-specific protease 25. Mol. Cell 30, 610-619
(2008).
C. Lenz, E. Kuehn-Hoelsken, H. Urlaub:
Detection of protein-RNA crosslinks by
nanoLC-ESI-MS/MS using precursor
ion scanning and multiple reaction monitoring (MRM) experiments. J. Am.
Soc. Mass Spectrometry 18, 869-881
(2007).
45
Enzym-Biochemie
O
Dr. Manfred Konrad studierte
Biologie, Mathematik und Chemie
und promovierte 1981 an der Universität Heidelberg. Von 1978 bis
1979 forschte er als DAAD-Stipendiat an der Boston University,
School of Medicine (USA), 1982
ging er als EMBO-Stipendiat an
die University of Bristol (England).
Nach einer Tätigkeit bei der Firma
Gödecke (Freiburg) arbeitete er
zunächst an der Universität Marburg und kam dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. Dort leitet Manfred Konrad seit 2005 die Arbeitsgruppe »Enzym-Biochemie«.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/research/
ags/konrad
E. Sabini, S. Hazra, S. Ort, M. Konrad,
A. Lavie: Structural basis for substrate
promiscuity of deoxycytidine kinase. J.
Mol. Biol. 378, 607-621 (2008).
B. M. Wöhrl, L. Loubière, R. Brundiers,
R. S. Goody, D. Klatzmann, M. Konrad:
Expressing engineered thymidylate kinase variants in human cells to improve
AZT phosphorylation and human immunodeficiency virus inhibition. J. Gen.
Virol. 86, 757-764 (2005).
C. Monnerjahn, M. Konrad: Modulated
nucleoside kinases as tools to improve
the activation of therapeutic nucleoside
analogues. Chem. Bio. Chem. 4, 143146 (2003).
46
hne Enzyme käme jedes Leben ab- Viren und Tumore bremsen
rupt zum Stillstand. Diese Biokataly- Wenn an diesen »falschen« Bausatoren ermöglichen eine Fülle chemischer steinen drei Phosphatgruppen hänVorgänge, die in unserem Körper sonst gen, werden sie ebenfalls in neue DNAnicht stattfinden könnten. Sie beschleuni- Moleküle eingebaut. Da sie sich nicht opgen chemische Reaktionen in einem unvor- timal einfügen, wird die Struktur der DNA
stellbaren Ausmaß, mitunter um den
Faktor 1020 – mehr als das Trillionenfache. Um Reaktionen
derart forcieren zu können,
benötigen die Enzyme chemische Energie in passender Form. Die meisten arbeiten mit einem kleinen
Molekül namens Adenosintriphosphat (ATP), der uni- In menschlichen Zellen existieren Enzyme aus der Familie der Kinasen,
versalen Energie-Währung die Nukleoside (N) – die Bausteine der DNA – in drei Schritten mit
der Zelle. Im Durchschnitt Phosphatgruppen bestücken. Als Medikament verabreichte Nukleosidbildet und verbraucht ein Analoga (NA) werden ebenfalls bereitwillig akzeptiert, doch ihr Einbau
Mensch davon rund 75 zerstört die Struktur der DNA.
Kilogramm pro Tag.
Wir beschäftigen uns mit Enzymen, die jedoch instabil, oder die Kette der Bausteiwirkungslose Vorstufen eines Medika- ne bricht sogar vorzeitig ab. Dadurch bremments aktivieren können. Bei der Chemo- sen die falschen DNA-Bausteine die Vertherapie mancher Krebs-Erkrankungen und mehrung von Viren oder hindern einen TuVirus-Infektionen erhalten die Patienten mor am Wachsen.
nicht die eigentliche Wirksubstanz, sonWelche molekularen Strukturen entstedern eine chemische Vorstufe, Pro-Drug hen, wenn die Pro-Drugs mit diesen Enzygenannt. Im menschlichen Körper, besten- men in Kontakt kommen, wissen wir befalls nur in den kranken Zellen, entfaltet reits. Das hilft uns zu verstehen, warum sich
das Medikament dann die gewünschte zer- verschiedene Medikamente unterschiedstörerische Wirkung. Dabei kommen häu- lich leicht mit Phosphatgruppen bestücken
fig Enzyme ins Spiel, die Phosphatgruppen lassen. Auf dieser Grundlage wollen wir Enan Bausteine der Erbsubstanz hängen. Die- zymvarianten konstruieren, die bestimmte
se Enzyme akzeptieren – mehr oder minder Pro-Drugs noch besser und selektiver aktibereitwillig – aber auch ähnliche Molekü- vieren. Dabei geht es insbesondere um die
le, die als Pro-Drugs eingeschleust wurden. strukturellen Spiegelbilder normaler DNABausteine von lebenden Zellen.
Das Enzym Desoxycytidin-Kinase hängt
Phosphatgruppen an
den DNA-Baustein
Desoxycytidin.
Dabei sind ihm Bild
(D-Desoxycytidin D-dC)
und Spiegelbild (L-Desoxycytidin, LdC) gleichermaßen recht.
Nukleinsäurechemie
S
ie sind lebenswichtige Bausteine aller
Organismen: Die Nukleinsäuren DNA
und RNA speichern und übertragen die genetische Information. Ihr Repertoire ist da-
Die Primärstruktur der Ribonukleinsäure (RNA).
Chemische Veränderungen können an den
Nukleobasen, der Zuckereinheit (Ribose) oder
dem Phosphat-Rückgrat angebracht werden.
mit allerdings noch bei weitem nicht erschöpft. Die Nukleinsäuren erledigen auch
Aufgaben, die Wissenschaftler eigentlich
nur von Proteinen kennen. Genau wie Proteine kann RNA katalytisch wirken und beschleunigt als Ribozym chemische Reaktionen im Körper. Sie reguliert aber auch die
Aktivität von Genen durch Riboschalter
oder RNA-Interferenz.
DNA- und RNA-Enzyme
Wir wollen verstehen, wie RNA als Enzym
oder Genregulator arbeitet. Dazu müssen
wir das RNA-Molekül zunächst chemisch
verändern. So versehen wir es etwa mit chemischen Markierungen, die wir zielgenau an
der Nukleinsäure anbringen können. Die
Eigenschaften dieser veränderten RNA
analysieren wir in Zusammenarbeit mit anderen Arbeitsgruppen am Institut.
Erst seit einigen Jahren weiß man, dass
auch DNA katalytisch wirken kann. Diese
Desoxyribozyme haben unser Wissen über
katalytische Nukleinsäuren auf eine neue
Basis gestellt. Wissenschaftler verwenden
DNA-Enzyme heute bereits in der Forschung und untersuchen ihren möglichen
Einsatz als Medikamente oder alternative
Biosensoren.
In unserer Gruppe entwickeln wir DNAEnzyme, mit denen wir in einem neuen
Verfahren RNA chemisch verändern können. Doch um aus Desoxyribozymen solch
maßgeschneiderte Werkzeuge zu bauen,
müssen wir im Detail verstehen, wie sie
funktionieren: Welche der Tausende von
Atomen in einem DNA-Enzym sind an der
Katalyse beteiligt? Woher stammt eigentlich die Triebkraft, die eine Reaktion beschleunigt? Um diese Fragen zu beantworten, analysieren wir die molekularen Details der Struktur, Funktion und Mechanismen von DNA-Katalysatoren mit einem
ganzen Arsenal von Methoden aus der
Chemie, der Biochemie und der Biophysik.
Dr. Claudia Höbartner studierte
Technische Chemie an der Technischen Universität Wien und an
der ETH Zürich. Sie promovierte
2004 an der Leopold-FranzensUniversität Innsbruck in Organischer Chemie. Von 2005 bis 2007
forschte sie als Erwin-SchrödingerStipendiatin an der University of
Illinois in Urbana-Champaign (USA).
2007 kehrte sie – unterstützt
durch das Hertha-FirnbergProgramm des österreichischen
Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung – an die
Universität Innsbruck zurück.
Seit März 2008 leitet sie die MaxPlanck-Forschungsgruppe
»Nukleinsäurechemie« am MaxPlanck-Institut für biophysikalische Chemie.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/research/
ags/hoebartner
Die in-vitro-Selektion ist das Verfahren, mit dem katalytische Nukleinsäuren
im Labor gefunden werden. Dabei werden in einem zyklischen Prozess verschiedenste Nukleinsäuren aus einer umfassenden Auswahl – einer sogenannten kombinatorischen Bibliothek – solange sortiert und vervielfältigt, bis
man Ribozyme mit den gewünschten Eigenschaften erhält.
R. Rieder, C. Höbartner, R. Micura:
Enzymatic ligation strategies for the
preparation of purine riboswitches with
site-specific chemical modifications.
In: Riboswitches (Ed. A. Serganov).
Methods Mol. Biol. 540, 15-24 (2009).
C. Höbartner, S. K. Silverman: Recent
advances in DNA catalysis. Biopolymers
87, 279-292 (2007).
47
Zelluläre
Maschinen
48
Wie Moleküle sich die Arbeit teilen
Hefepilze zählen zu jenen Lebewesen, die nur aus einer
einzigen Zelle bestehen. Weitgehend autonom sind aber
auch die Körperzellen vielzelliger Organismen wie Maus
und Mensch. Damit Zellen zuverlässig ihre vielfältigen
Aufgaben erfüllen, müssen eine Vielzahl verschiedener
Proteine als molekulare Maschinen reibungslos zusammenarbeiten. Welche molekularen Maschinen sind jeweils am Werk, wie funktionieren sie im Detail, und wie
ist ihre Zusammenarbeit organisiert? Solchen Fragen
widmen sich mehrere Abteilungen und Forschungsgruppen mit biochemischen, molekulargenetischen, mikroskopischen und fluoreszenzspektroskopischen Methoden.
49
Zelluläre Biochemie
O
b Muskeln, Haut oder Leber – in jedem
Gewebe gibt es eine Fülle vielgestaltiger Proteine. Die Baupläne für all diese Proteinmoleküle
liegen verschlüsselt im Zellkern in der Erbsubstanz
Desoxyribonukleinsäure (DNA) vor.
Um nach diesen Bauplänen Proteine herzustellen, wird ein Gen zunächst in die Rohfassung
einer Boten-Ribonukleinsäure (Boten-RNA) umkopiert. Diese Rohfassung lässt sich allerdings
nicht sofort für die Proteinproduktion einsetzen.
Denn gewöhnlich liegt der Bauplan für ein Protein
nicht in einem Stück vor, sondern in mehreren
Abschnitten – den Exons. Zwischen diesen Exons
liegen Bereiche, die aus der Rohfassung herausgeschnitten werden müssen – die Introns. Erst in
diesem Arbeitsgang, dem Spleißen, werden alle
benötigten Exons zu einer gebrauchsfertigen Boten-RNA lückenlos miteinander verbunden.
Das erscheint zwar recht kompliziert, hat aber
einen Vorteil: Bei Bedarf können unterschiedliche
Exons ausgewählt und zu einer Boten-RNA zusammengesetzt werden. Damit liefert ein einzelnes Gen die Baupläne für viele verschiedene Proteine. Dieser als alternatives Spleißen bezeichnete
Prozess erklärt, warum der Mensch mit einem
recht bescheidenen Sortiment von zirka 25.000
Genen weit mehr als 100.000 unterschiedliche
Proteine herstellen kann.
Zuschnitt nach Maß
Um die Rohfassung einer Boten-RNA in ein
taugliches Endprodukt zu verwandeln, muss das
Spleißen sehr präzise ablaufen. Kein Wunder, dass
Aus der Rohfassung
schneidern Spleißosomen eine
Boten-RNA zurecht, die dann außerhalb des Zellkerns als Bauplan für die
Proteinproduktion dient.
50
Ein katalytisch
aktives Spleißosom
hat eine komplexe
Raumstruktur.
dies eine komplizierte molekulare Maschinerie
bewerkstelligt, das Spleißosom. Es setzt sich aus
über 150 Proteinen und fünf kleinen RNA-Molekülen (den snRNAs U1, U2, U4, U5 und U6) zusammen. Viele dieser spleißosomalen Proteine
liegen nicht ungeordnet im Zellkern herum, sondern formieren sich in präzise organisierten Verbänden. So lagern sich beispielweise etwa 50 dieser Proteine mit den snRNAs zu RNA-ProteinPartikeln zusammen. Diese sogenannten snRNPs
(Snurps) dienen dem Spleißosom als vorgefertigte
Bauteile.
Ein molekularer Schneidetisch
Wie wir heute wissen, wird das Spleißosom bei jedem Spleißvorgang vor Ort neu zusammengebaut.
An der Boten-RNA werden dazu nach und nach
die snRNPs und weitere Helferproteine rekrutiert.
Jedes dieser fünf RNA-Protein-Partikel
ist für bestimmte Aufgaben zuständig.
So gilt es zum Beispiel, Anfang und Ende eines Introns zu erkennen und einander zu nähern, um die angrenzenden Exons dann beim Spleißen sofort
zu verbinden. Die molekularen »Scheren«, die das Intron herausschneiden,
werden dabei erst schrittweise aktiviert.
Hierbei findet ein reges Kommen und
Gehen der snRNAs und Proteine statt,
das zeitlich exakt gesteuert wird. Vermutlich gewährleistet diese aufwendige
Prozedur eine exakte Schnittführung
und damit eine fehlerlose Bauanleitung
für das benötigte Protein.
Unser Ziel ist es, diese dramatische
strukturelle Dynamik des Spleißosoms
»filmartig« festzuhalten. Gleichzeitig
wollen wir verstehen, wie die molekularen Scheren des Spleißosoms – sein katalytisches Zentrum – zusammengesetzt
sind und möchten diesen Scheren beim
Herausschneiden eines Introns zuschauen. Dazu haben wir die Spleißosomen bei verschiedenen Arbeitsschritten angehalten, sie in diesen Zuständen
isoliert und ihre Bestandteile analysiert.
Umgekehrt gelingt es uns, Spleißosomen auch wieder aus den isolierten
Bestandteilen zu biologisch aktiven Maschinen zusammenzubauen. Indem wir
einzelne Teile gezielt entfernen oder
verändern, können wir beobachten, wie
sich diese Manipulationen auf das
Spleißosom auswirken.
Um die Arbeitsweise dieser faszinierenden molekularen Maschine im
Detail zu verstehen, verfolgen wir einen
interdisziplinären Ansatz. Neben biochemischen und biophysikalischen
Methoden benutzen wir vor allem die
hochauflösende Elektronenmikroskopie
und die Röntgenkristallstrukturanalyse.
Sie liefern uns dreidimensionale Modelle einzelner snRNPs und vollständiger
Spleißosomen und atomare Details der
beteiligten Makromoleküle.
Aktive Spleißosomen (rot angefärbt) befinden
sich nur in bestimmten Regionen des Zellkerns.
Folgenschwere Fehler
Die molekulare Analyse des Spleißosoms, die wir mit unserem interdisziplinären Ansatz verfolgen, wird nicht nur
dazu beitragen, Erkenntnisse über die
Ursachen molekularer Krankheiten zu
liefern, die auf Fehler beim Spleißen
der Boten-RNA beruhen. Sie wird auch
neue Therapieansätze zur Behandlung
solcher Krankheiten ermöglichen. Neuere Schätzungen gehen davon aus, dass
mehr als 20 Prozent humaner genetischer Erkrankungen auf Mutationen
zurückzuführen sind, die die Funktion
von Spleißosomen beeinträchtigen.
Prof. Dr. Reinhard Lührmann promovierte 1975 an der Universität
Münster im Fach Chemie. Von
dort wechselte er an das Berliner
Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, wo er von 1981 bis
1988 am Otto-Warburg-Laboratorium eine selbstständige Arbeitsgruppe leitete. Im Jahr 1982 habilitierte er sich an der Freien Universität Berlin in Molekularbiologie und Biochemie. 1988 übernahm er eine Professur für Physiologische Chemie und Molekulare Biologie am Fachbereich
Medizin der Universität Marburg.
Seit 1999 leitet er am MaxPlanck-Institut für biophysika lische Chemie die Abteilung
»Zelluläre Biochemie«. Reinhard
Lührmann erhielt mehrere wissenschaftliche Preise, unter anderem
den Max-Planck-Forschungspreis (1990), den Leibniz-Preis
(1996), den Feldberg-Preis (2002)
und den Ernst-Jung-Preis für
Medizin (2003). Er ist Honorarprofessor an den Universitäten
Göttingen und Marburg.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/research/
dep/luehrmann
M. C. Wahl, C. L. Will, R. Lührmann:
The spliceosome: design principles of a
dynamic RNP machine. Cell 136, 701718 (2009).
Im Herzen des Spleißosoms:
Eine RNase H-ähnliche Domäne im Prp8-Protein
(hier als Kristallstruktur gezeigt) lässt vermuten,
dass das Spleißosom ein RNP-Enzym ist.
S. Bessonov, M. Anokhina, C. L. Will,
H. Urlaub, R. Lührmann: Isolation of
an active step 1 spliceosome and composition of its RNP core. Nature 452,
846-850 (2008).
H. Stark, R. Lührmann: Electron cryomicroscopy of spliceosomal components. Ann. Rev. Biophys. Biomol.
Structure 35, 435-457 (2006).
51
Molekulare
Kryo-Elektronenmikroskopie
M
Prof. Dr. Holger Stark studierte
Biochemie und promovierte 1997
am Fritz-Haber-Institut in Berlin.
Anschließend forschte er am Imperial College in London und von
1998 bis 1999 an der Universität
Marburg. Im Jahr 2000 wechselte
er als Gruppenleiter an das MaxPlanck-Institut für biophysikalische Chemie. Seit 2008 ist er zudem Professor für Molekulare
Kryo-Elektronenmikroskopie an
der Universität Göttingen. Für
seine Forschung erhielt Holger
Stark zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem die OttoHahn-Medaille der Max-PlanckGesellschaft (1997), den Förderpreis der Deutschen Gesellschaft
für Elektronenmikroskopie (1998)
sowie den BioFuture-Preis (2005).
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/groups/stark
it molekularen Maschinen hält jede
Zelle ihren Stoffwechsel in Gang.
Oft sind es sehr komplexe Gebilde, zusammengesetzt aus einer Vielzahl verschiedener
Komponenten. Um diese Maschinen im
Nanokosmos der Zelle direkt in »Aktion«
zu beobachten, müssen Wissenschaftler allerdings einiges an Aufwand betreiben.
Momentaufnahmen in Schockstarre
In unserer Gruppe untersuchen wir Makromoleküle mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie in schockgefrorenem Zustand.
Das mag paradox klingen, doch durch blitzartiges Einfrieren lässt sich die molekulare
Maschinerie während ganz unterschiedlicher Arbeitsschritte stoppen. Das Elektronenmikroskop liefert uns mit diesen Proben
eine ganze Serie von Aufnahmen eines
Makromoleküls aus verschiedenen Blickwinkeln und zu verschiedenen Zeitpunkten. Aus diesen Einzelbildern setzen wir
mithilfe spezieller Computerprogramme
schließlich die räumliche Struktur zusammen. Diese zeigt uns, wie die molekulare
Maschine aussieht und wie sie sich verändert – und das in 3D.
Wir wenden diese Technik auf eine Vielzahl unterschiedlicher molekularer Ma-
schinen an, die an wichtigen Schaltstellen
der zellulären Informationsverarbeitung
sitzen. Diese Maschinen bestehen häufig
nicht allein aus Proteinen, sondern sie sind
komplexe Verbünde aus Proteinen und
Nukleinsäuren. Zum Beispiel untersuchen
wir, wie die Proteinfabrik der Zelle – das
Ribosom – durch Ablesen der Erbinformation Proteine herstellt. Derzeit untersuchen wir auch Spleißosomen. Sie treten
in Aktion, nachdem die Baupläne für Proteine in die Rohfassung einer Boten-RNA
umkopiert wurden. Spleißosomen schneiden die nicht benötigten Teile aus der Boten-RNA heraus und bringen so die Baupläne in eine lesbare Form. Daneben erforschen wir einen lebenswichtigen Proteinkomplex, der bei der Zellteilung eine
wichtige Rolle spielt: den sogenannten
Anaphase einleitenden Komplex. Er sorgt
dafür, dass die Erbinformation korrekt auf
die beiden Tochterzellen verteilt wird.
Dank der Kryo-Elekronenmikroskopie
können wir die räumliche Struktur und die
Bewegungen solch unterschiedlicher molekularer Maschinen direkt »während ihrer
Arbeit« beobachten – und lernen so, ihre
Funktion im Detail zu verstehen.
F. Herzog, I. Primorac, P. Dube, P. Lenart, B. Sander, K. Mechtler, H. Stark, J.
M. Peters: Structure of the anaphase
promoting complex/cyclosome interacting with a mitotic checkpoint complex. Science 323, 1477-1481 (2009).
A. Chari, M. M. Golas, M. Klingenhager,
N. Neuenkirchen, B. Sander, C. Englbrecht, A. Sickmann, H. Stark, U. Fischer:
An assembly chaperone collaborates
with the SMN complex to generate
spliceosomal SnRNPs. Cell 135, 497509 (2008).
B. Kastner, N. Fischer, M. M. Golas, B.
Sander, P. Dube, D. Boehringer, K. Hartmuth, J. Deckert, F. Hauer, E. Wolf, H.
Uchtenhagen, H. Urlaub, F. Herzog, J.
M. Peters, D. Poerschke, R. Luhrmann,
H. Stark: GraFix: sample preparation for
single-particle electron cryomicroscopy.
Nat. Methods 5, 53-55 (2008).
B. Sander, M. M. Golas, E. M. Makarov,
H. Brahms, B. Kastner, R. Luhrmann, H.
Stark: Organization of core spliceosomal
components U5 snRNA loop I and
U4/U6 Di-snRNP within U4/U6.U5
Tri-snRNP as revealed by electron cryomicroscopy. Mol. Cell 24, 267 (2006).
52
Das Ribosom
»bei der Arbeit«!
Ribosomendynamik
Etikett für Membranproteine
Alle lebenden Zellen sind von einer Zellmembran umhüllt, die ihr Inneres von der
Außenwelt abgrenzt. Sie besteht aus einer
Doppelschicht fettähnlicher Moleküle, in
der zahlreiche Proteine eingelagert sind,
die ganz bestimmte Funktionen erfüllen.
Einige arbeiten beispielsweise als »Empfangs-Antennen« für die Aufnahme von
Signalen. Andere dienen als Schleusen, die
nur bestimmte Stoffe passieren lassen. Wie
aber werden solche Proteine in die Zellmembran eingefügt?
Zumeist geschieht ihr Einbau in die Zellmembran, noch während das Protein am
Ribosom zusammengesetzt wird. Ribosomen, die Membranproteine zusammenbauen, müssen daher zur Zellmembran
an die Zellmembran dirigiert. Wechselwirkungen des Ribosoms mit dem Signalerkennungspartikel und Helferproteinen
führen schließlich dazu, dass das entstehende Protein während der weiteren Synthese in die Membran integriert wird. Die
molekularen Vorgänge bei diesem Prozess
sind ein Schwerpunkt unserer Forschung.
Ribosomen in Bewegung
In einem zweiten Projekt untersuchen wir
in Kooperation mit Marina Rodnina und
Holger Stark die molekularen Bewegungen
von Molekülen auf dem Ribosom, während
es ein Protein synthetisiert. Die dafür
nötige Energie steckt im Speichermolekül
GTP und wird frei, wenn das GTP gespalten wird. Diese Energie gezielt auf das
Schema der Membranassoziation eines translatierenden
Ribosoms. Gezeigt ist der Querschnitt der 50S-Untereinheit
des Ribosoms. Das wachsende Peptid innerhalb des
Peptidaustrittstunnels ist blau, die exponierte Signalsequenz rot. Protein L23 (gelb) ist Teil der Bindungsstelle von
SRP. Der Kontakt des wachsenden Peptids mit dem Protein
L23 induziert eine Konformationsänderung, welche die SRPBindung verstärkt. Anschließend bindet SRP an den SRPRezeptor, der den Kontakt mit der Membran und der Translokationspore (»Translocon«) vermittelt.
dirigiert werden. Doch wie wird ein Membranprotein erkannt, und wie wird das am
Zusammenbau beteiligte Ribosom rekrutiert? Wie dieser komplexe Vorgang gesteuert wird, erforschen wir in Bakterienzellen.
Werden die ersten Bausteine eines
Membranproteins am Ribosom zusammengefügt, erhält es bereits ein ganz spezielles Etikett. Dieses Etikett (»Signalsequenz«) wird von einem Ribonukleinsäure-Protein-Komplex – dem Signalerkennungspartikel (SRP) – erkannt, der das
wachsende Protein mitsamt dem Ribosom
Ribosom zu übertragen, ist Aufgabe des
Elongationsfaktors G. Wir wollen herausfinden, wie dieses Protein Bewegungen auf
dem Ribosom in Gang setzt: direkt, durch
eine mechanische Kopplung vergleichbar
mit der Welle in einem Motor, oder indirekt, über einen Mechanismus, der die
spontane Eigenbewegung der Moleküle
nutzt – die Brown’sche Molekularbewegung. Die Kombination von Methoden der
physikalischen Biochemie und der KryoElektronenmikroskopie sollen in diesem
Projekt zum Ziel führen.
Prof. Dr. Wolfgang Wintermeyer
promovierte in Chemie an der
Ludwig-Maximilians-Universität
München. Nach der Habilitation
im Jahr 1979 forschte er mit einem Heisenberg-Stipendium der
Deutschen Forschungsgemeinschaft weiter in München, am
Karolinska Institutet (Stockholm)
und am Massachusetts Institute
of Technology (Cambridge, USA).
Von 1987 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2009 hatte er den
Lehrstuhl für Molekularbiologie
an der privaten Universität Witten/Herdecke inne. Von 1991 bis
2007 war er dort Dekan der Fakultät für Biowissenschaften. Seit
2009 ist Wolfgang Wintermeyer
Max-Planck-Fellow und Leiter
der Arbeitsgruppe »Ribosomendynamik« in der Abteilung
»Physikalische Biochemie« am
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie.
Kontakt:
Wolfgang.Wintermeyer@mpibpc.
mpg.de
www.mpibpc.mpg.de/home/
wintermeyer
T. Bornemann, J. Jöckel, M. V. Rodnina,
W. Wintermeyer: Signal sequence-independent membrane targeting of ribosomes containing short nascent peptides
within the exit tunnel. Nat. Struct. Mol.
Biol. 15, 494-499 (2008).
A. Savelsbergh, V. I. Katunin, D. Mohr,
F. Peske, M. V. Rodnina, W. Wintermeyer: An elongation factor G-induced
ribosome rearrangement preceeds
tRNA-mRNA translocation. Mol. Cell
11, 1517-1523 (2003).
53
Physikalische Biochemie
N
ichts geht ohne Proteine: Sie halten eine
Zelle in Form, sorgen für Mobilität, Frachttransport und Kommunikation, und nicht zuletzt
sind sie überall im Spiel, wo Aufbau-, Abbau- oder
Umbauprozesse stattfinden. Produziert werden
Proteine nach Bauplänen, die in der Erbsubstanz
Desoxyribonukleinsäure (DNA) gespeichert sind.
Komplexe molekulare Maschinen (Ribosomen)
sind dafür zuständig, die einzelnen Bausteine der
Proteine – die Aminosäuren – in der durch den
Bauplan bestimmten Reihenfolge aneinanderzufügen. Zusammengesetzt aus mehr als fünfzig Proteinkomponenten und drei bis vier Ribonukleinsäure-Molekülen, sind Ribosomen mit Dimensionen von 10 bis 20 Nanometern etwa so groß wie
die kleinsten Viren. Um diese Molekülkomplexe
bei der Arbeit zu beobachten, nutzen wir verschiedene biophysikalische Methoden wie die Fluoreszenzspektroskopie und schnelle kinetische Techniken.
Strukturmodell eines bakteriellen
Ribosoms. Die beiden TransferRibonukleinsäuren, die daran andocken, bringen passende
Aminosäuren.
54
Präzisionsarbeit
Auch wenn hunderte, manchmal sogar
tausende von Aminosäuren aneinandergereiht werden, kommt es auf jede einzelne an. Ein einziger falscher Baustein
kann das Protein arbeitsunfähig machen. Schlimmstenfalls kann ein defektes Protein sogar Schaden anrichten.
Wie es den Ribosomen gelingt, die Fehlerquote so erstaunlich niedrig zu halten, interessiert uns deshalb besonders.
Bekannt ist bereits, dass Ribosomen auf
einen Kontakt mit einem falschen Baustein gewöhnlich nicht reagieren. Nur
wenn der richtige Baustein andockt,
löst das eine prompte Strukturveränderung aus, die schließlich zur Verknüpfung der Aminosäuren führt. Das Ribosom bringt dabei zwei Aminosäuren derart in Position, dass sie bereitwillig in
Verbindung treten. So wird es zum Katalysator, der die Verkettung von Aminosäuren zehn Millionen Mal beschleunigt. Welche molekularen Prozesse bei
der Strukturveränderung im Spiel sind
und wie der katalytische Mechanismus
im Detail funktioniert, versuchen wir
derzeit herauszufinden.
Erwünschte »Fehler«
Gewöhnlich läuft die Produktion eines
Proteins nach Plan. Ein Bauplan aus Ribonukleinsäure gibt genau vor, welche
der zwanzig gängigen Aminosäuren in
welcher Reihenfolge aneinandergehängt
werden müssen. Fehler sind selten –
manchmal aber sogar notwendig, um
das gewünschte Protein zu erhalten:
Nur wenn das Ribosom scheinbar einen
Fehler macht, kann es nämlich spezielle
Aminosäuren wie Selenocystein einbauen, die nicht zum Standardrepertoire
gehören. Doch welche Mechanismen
erlauben solche Ausnahmen von der
Regel? Wenn wir das ergründen, hoffen
wir zugleich, besser zu verstehen, wie
Fehler normalerweise vermieden werden. Möglicherweise lassen sich solche
Erkenntnisse eines Tages auch medizinisch nutzen.
Laufend umstrukturiert
Während das Ribosom ein Protein
Schritt für Schritt zusammenbaut, verändert es im selben Rhythmus seine
räumliche Struktur. Dabei kommen bestimmte Proteinfaktoren ins Spiel. Der
Elongationsfaktor G zum Beispiel setzt
mit chemischer Energie eine tiefgreifende Umstrukturierung des Ribosoms
in Gang, ähnlich wie Motorproteine in
Muskelzellen chemische Energie in
mechanische Arbeit verwandeln. Gemeinsam mit der Arbeitsgruppe von
Wolfgang Wintermeyer studieren wir
diesen Vorgang mit biochemischen und
biophysikalischen Methoden. In Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Holger
Stark versuchen wir, diese Strukturveränderungen am Ribosom mit der
Kryo-Elektronenmikroskopie sichtbar
zu machen.
Prof. Marina Rodnina hat in Kiew
Biologie studiert und dort 1989
promoviert. Anschließend kam
sie mit einem Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung an die Universität
Witten/Herdecke, wo sie von
1992 bis 1997 als wissenschaftliche Assistentin arbeitete. Nach
der Habilitation 1997 wurde sie
dort zur Universitätsprofessorin
berufen und hatte von 2000 bis
2009 den Lehrstuhl für Physikalische Biochemie inne. Seit 2008
leitet sie als Direktorin die Abteilung »Physikalische Biochemie«
am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. Sie ist
seit 2008 Mitglied der Deutschen
Akademie der Naturforscher
Leopoldina, Halle.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/
research/dep/rodnina
P. Milon, A. L. Konevega, C. O. Gualerzi,
M. V. Rodnina: Kinetic checkpoint at a
late step in translation initiation. Mol.
Cell 30, 712-720 (2008).
A. L. Konevega, N. Fischer, Y. P. Semenkov, H. Stark, W. Wintermeyer, M. V.
Rodnina: Spontaneous reverse movement of tRNA-mRNA through the ribosome. Nat. Struct. Mol. Biol. 14, 318324 (2007).
M. Diaconu, U. Kothe, F. Schlünzen, N.
Fischer, J. Harms, A. G. Tonevitski, H.
Stark, M. V. Rodnina, M. C. Wahl:
Structural basis for the function of the
ribosomal L7/L12 stalk in factor binding
and activation of GTP hydrolysis. Cell
121, 991-1004 (2005).
55
Mitteilsame
Nervenzellen
56
Wie Signale weitergeleitet werden
Einen Ball fangen, eine Gefahr rechtzeitig erkennen,
sich an etwas erinnern oder eine Rechenaufgabe
lösen – scheinbar mühelos speichert unser Nervensystem von frühester Kindheit an Erfahrungen, steuert komplizierte Bewegungsabläufe und erschafft
unser Bewusstsein. Hundert Milliarden Nervenzellen
umfasst das Nervensystem des Menschen schätzungsweise. Und die einzelnen Nervenzellen können
jeweils mit Tausenden von Nachbarn Kontakt aufnehmen. Aus kleinen Membranbläschen, den Speichervesikeln, werden dabei spezielle Botenstoffe freigesetzt, die das Verhalten bestimmter Nachbarzellen
beeinflussen. Ziel der Forscher am Institut ist es, die
molekularen Prozesse aufzuklären, die Nervenzellen ihre Fähigkeit verleihen, Informationen zu sammeln und
zu verarbeiten – bis hin zu komplexen Gehirnfunktionen wie Lernen und Gedächtnis.
57
Neurobiologie
N
ervenzellen sind Spezialisten für Kommunikation. Sie nehmen Signale auf, verarbeiten
sie und geben sie weiter, an Muskelzellen zum Beispiel oder an benachbarte Nervenzellen. Gewöhnlich werden diese Signale über spezielle Botenstoffe vermittelt. Portionsweise verpackt in kleine
Membranbläschen, die synaptischen Vesikel, liegen die Signalmoleküle im Inneren der Nervenzellen bereit. Wenn elektrische Signale anzeigen, dass
eine Botschaft übermittelt werden soll, verschmelzen einige synaptische Vesikel mit der Zellmembran und entleeren ihren Inhalt nach außen.
Kontaktfreudige SNAREs
Das molekulare Inventar synaptischer Vesikel ist
mittlerweile weitgehend bekannt. Sie enthalten
faszinierende Proteine, die alle Aufgaben synaptischer Vesikel erledigen. Diese Membranbläschen
sind nicht nur für die Aufnahme und Speicherung
von Botenstoffen zuständig, sie müssen Signale
erkennen und Membranen verschmelzen. Hierbei spielen spezielle Proteine, die sogenannten
SNAREs, eine wichtige Rolle.
Gemeinsam mit anderen Forschergruppen wollten wir herausfinden, wie die SNAREs zusammenarbeiten, um Membranen zu fusionieren. Inzwischen wissen wir das recht genau: Wenn passende
Modell eines aufgeschnittenen
synaptischen Vesikels mit der
ringförmigen Vesikelmembran, in
die verschiedene Proteine eingebettet sind. Im Inneren ist der
Botenstoff Glutamat gespeichert.
58
Wenn Membranen miteinander verschmelzen, sind bestimmte Proteine im Spiel: die SNARES
(blau, rot und grün).
SNAREs miteinander in Kontakt treten
und sich ineinander verhaken, verändern sie ihre Form. Anscheinend üben
sie dabei eine solche Zugkraft aus, dass
die Membranen, in denen sie verankert
sind, einander extrem nahe kommen
und schließlich verschmelzen. Dieser
Prozess, der von zahlreichen anderen
Proteinen kontrolliert wird, lässt sich im
Reagenzglas nachstellen. In einem unserer Forschungsschwerpunkte nehmen
wir die vielfältigen Faktoren, auf die es
dabei ankommt, einzeln genauer unter
die Lupe.
SNAREs werden nicht nur dann gebraucht, wenn sich synaptische Vesikel
entleeren. Sie beteiligen sich auch bei
den vielfältigen Membranfusionen, die
im Inneren jeder beliebigen Zelle ablaufen. Was auch immer biologische Membranen umschließen, sie werden ständig umgebaut. Dabei schnüren sie kleine Bläschen ab, die sich dann in ein anderes Membransystem einfügen. Derzeit untersuchen wir, wie die SNAREs
jeweils gesteuert werden, wenn unterschiedliche Membranen im Spiel sind.
Schließlich sollen benachbarte Strukturen nicht wahllos fusionieren. Nervenzellen zum Beispiel sollen ihre Botenstoffe nur dann ausschütten, wenn sie
eine Nachricht zu übermitteln haben.
Wir möchten herausfinden, was allen
Membranfusionen gemeinsam ist und
was sie voneinander unterscheidet.
Die Arbeitsgruppe von Hans Dieter
Schmitt beschäftigt sich ebenfalls mit
den SNARE-Proteinen. Als Modellsystem dient ihr die Bäckerhefe, weil sich
bei diesem einzelligen Pilz einzelne Gene leicht ein- oder ausschalten lassen.
Im Mittelpunkt des Interesses stehen
die von einer Proteinhülle umgebenen
Transportvesikel. Bemerkenswert ist,
dass die SNAREs dabei helfen, diese
Proteinhülle abzustreifen. Erst dann
können die SNAREs ihre eigentliche
Arbeit verrichten und die Membranen
verschmelzen.
Karin Kühnel untersucht einen destruktiven Prozess, an dem ebenfalls
Membranen beteiligt sind: Wenn Zellen
den »Gürtel enger schnallen« müssen,
fangen sie an, sich selbst zu verzehren.
Dabei bilden sie Membranvesikel, die
Zellbestandteile einschließen. Diese
werden dann im »Magen« der Zelle,
dem Lysosom, verdaut. Dieser als Autophagozytose bezeichnete Vorgang hilft
der Zelle nicht nur Hungerperioden zu
überstehen, sondern sorgt auch für routinemäßiges Aufräumen. Beschädigte
oder zusammengelagerte Zellbausteine
werden auf diese Weise entsorgt. Karin
Kühnels Forschungsschwerpunkt ist die
räumliche Struktur der daran beteiligten Proteine.
Interne Arbeitsgruppen:
Dr. Karin Kühnel
Dr. Hans Dieter Schmitt
Prof. Dr. Reinhard Jahn studierte
Biologie und Chemie und promovierte 1981 an der Universität
Göttingen. Von 1983 bis 1986 war
er an der Rockefeller University,
(New York) tätig, anschließend
am Max-Planck-Institut für Psychiatrie (heute: Neurobiologie) in
München. 1991 ging er als Professor an die Yale University in
New Haven, Connecticut (USA),
und seit 1997 leitet er die Abteilung
»Neurobiologie« am Max-PlanckInstitut für biophysikalische Chemie. Zugleich ist Reinhard Jahn
Honorarprofessor an der Fakultät
für Biologie, und er ist Sprecher
der Göttingen Graduate School of
Neurosciences and Molecular
Biosciences (GGNB). Reinhard
Jahn hat mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter den MaxPlanck-Forschungspreis (1990),
den Leibniz-Preis der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (2000)
sowie den Ernst-Jung-Preis für
Medizin (2006).
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/research/
dep/jahn
A. Stein, A. Radhakrishnan, D. Riedel,
D. Fasshauer, R. Jahn: Synaptotagmin
activates membrane fusion through a
Ca2+-dependent trans-interaction with
phospholipids. Nature Struct. Mol. Biol.
14, 904-911 (2007).
D. Zwilling, A. Cypionka, W. Pohl, D.
Fasshauer, P. J. Walla, M. C. Wahl, R.
Jahn: Early endosomal SNAREs form a
structurally conserved SNARE complex
and fuse liposomes with multiple topologies. EMBO J. 26, 9-18 (2007).
S. Takamori, M. Holt, K. Stenius, E. A.
Lemke, M. Grønborg, D. Riedel, H. Urlaub, S. Schenck, B. Brügger, P. Ringler,
S. A. Müller, B. Rammner, F. Gräter, J.
S. Hub, B. L. De Groot, G. Mieskes, Y.
Moriyama, J. Klingauf, H. Grubmüller,
J. Heuser, F. Wieland, R. Jahn: Molecular anatomy of a trafficking organelle.
Cell 127, 831-846 (2006).
59
Strukturelle Biochemie
D
Dr. Dirk Fasshauer studierte Biologie und promovierte 1994 an der
Universität Göttingen. Von 1995
bis 1997 forschte er an der Yale
University, New Haven (USA) und
wechselte von dort an das MaxPlanck-Institut für biophysikalische Chemie. Seit 2002 leitet er
dort die Arbeitsgruppe »Strukturelle Biochemie« in der Abteilung
»Neurobiologie«.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/groups/
fasshauer/fassh_main.htm
T. H. Kloepper, C. N. Kienle, D. Fasshauer: SNAREing the basis of multicellularity: Consequences of protein family expansion during evolution. Mol.
Biol. Evol. 25, 2055-2068 (2008).
P. Burkhardt, D. A. Hattendorf, W. Weis,
D. Fasshauer: Munc18a controls SNARE
assembly through its interaction with
the syntaxin N-peptide. EMBO J. 27,
923-933 (2008).
A. Pobbati, A. Stein, D. Fasshauer: N- to
C-terminal SNARE complex assembly
promotes rapid membrane fusion.
Science 313, 673-676 (2006).
ie Zellen unseres Körpers – wie auch
die anderer Tiere, Pflanzen, Pilze und
vieler Einzeller – sind weitaus komplizierter aufgebaut als die Zellen der Bakterien.
In unseren komplexen eukaryotischen Zellen gibt es viele durch Membranen abgetrennte Reaktionsräume, in denen ganz unterschiedliche Aufgaben erledigt werden.
Im sogenannten Endoplasmatischen Retikulum, einem besonders großen, verzweigten Bereich, werden die Proteine der Zelle
hergestellt. In den viel kleineren Lysosomen wird zellfremdes Material verdaut. In
jedem Membranraum arbeitet ein ganz
charakteristischer Satz von Molekülen.
Damit die Aufgaben reibungslos erfüllt
werden, ist es für die Zelle überlebenswichtig, dass die Moleküle in ausreichenden Mengen, zum exakten Zeitpunkt und
am richtigen Ort bereitstehen. Sie werden
deshalb über ein komplexes Transportsystem auf die verschiedenen Bereiche verteilt.
Transport in Bläschen
Meist werden die Moleküle dabei in kleinen,
membranumhüllten Bläschen, den Vesikeln,
von Raum zu Raum transportiert. Wenn eine
Fracht ansteht, schnürt sich das Bläschen
von der Membran des einen Raumes, dem
Donorkompartiment, ab. Dann wandert es
beladen durch den Hauptzellraum, das Zytosol, und verschmilzt schließlich mit der
Membran des Zielkompartiments, in dem
die Moleküle gebraucht werden.
Wenn das Transportvesikel mit der
Membran verschmilzt, spielen sogenannte
SNARE-Proteine die Hauptrolle. Dies ist
eine Gruppe relativ kleiner membranverankerter Proteine. Bisher geht man davon
aus, dass sie in einem reißverschlussartigen
Prozess einen stabilen Komplex zwischen
der Membran des Transportbläschens und
der Membran des Zielkompartiments ausbilden.
Wir untersuchen, was genau passiert,
wenn die SNARE-Proteine diesen Komplex aufbauen. Wir wollen auch wissen,
welche anderen Faktoren diesen Prozess
kontrollieren und katalysieren und wie der
stabile Komplex am Ende wieder in seine
Bestandteile zerlegt werden kann. Schließlich interessieren wir uns für die evolutionäre Entwicklung dieses Transportsystems.
Denn immer häufiger zeigt sich, dass die
molekularen Maschinen, die an den grundlegenden Prozessen des Transportgeschehens beteiligt sind, in allen Eukaryotenzellen zu finden sind – ein Hinweis auf ihre
Verwandtschaft und die gemeinsame Abstammung, die wir erforschen. Daher kombinieren wir nicht nur strukturelle und
biophysikalische Ansätze, sondern beziehen auch Verwandschaftsbeziehungen zwischen den Proteinmaschinen verschiedener Organismen mit ein.
Phylogenetischer Baum
der sekretorischen
Syntaxin-Proteine aus
Tieren (links). Mittels isothermer Titrationskalorimetrie lässt sich das
starke Bestreben der
beiden SNARE-Proteine
Munc18a und Syntaxin 1a,
sich miteinander zu verbinden, bestimmen. Dieser
Komplex bildet sich während der Ausschüttung
der Botenstoffe aus synaptischen Vesikeln aus
(rechts).
60
Biophysik der
synaptischen Übertragung
W
enn eine Nervenzelle ein Signal an
die nächste weitergibt, wird dieses
Signal gewöhnlich zwei Mal umgewandelt.
Die »sendende« Zelle übersetzt ihr elektrisches Signal in ein chemisches, die »empfangende« Zelle macht aus dem chemischen Signal wieder ein elektrisches. Warum so umständlich?
Die chemische Kommunikation über Botenstoffe bietet einen entscheidenden Vorteil: Anders als elektrische Signale können
Botenstoffe nicht nur aktivierend, sondern
auch hemmend auf die nächste Nervenzelle
wirken. Außerdem sind die dazu notwendigen Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen – die Synapsen – bemerkenswert anpassungsfähig: Sie können elektrische Signale abgeschwächt weitergeben, sie können sie aber auch verstärken. Diese Dynamik der Synapse ist für die Informationsverarbeitung von herausragender Bedeutung. Wir wollen wissen, welche molekularen Mechanismen dahinter stecken.
Dazu vergleichen wir verschiedene Synapsen-Typen aus unterschiedlichen Bereichen des Gehirns, beispielsweise dem
Kleinhirn, der Hirnrinde und dem Hirn-
stamm. Wir untersuchen diese Synapsen,
indem wir elektrophysiologische Methoden
mit bildgebenden Verfahren und molekularbiologischen Techniken kombinieren.
Wie wir inzwischen wissen, trägt das Recycling der mit Botenstoffen gefüllten Vesikel auf Seiten der »sendenden« Nervenzelle entscheidend zur Vielfalt der Synapsentypen bei.
Verschaltungsregeln auf der Spur
Welche Rolle aber spielen die dynamischen
Eigenschaften der Synapsen, wenn sich
Nervenzellen zu komplexen neuronalen
Schaltkreisen in unserem Gehirn zusammenfinden? Möglich wäre, dass sich Nervenzellen ganz zufällig mit verschiedenen
Synapsen-Typen verschalten. Es könnte
aber auch sein, dass diese Verschaltungen
ganz bestimmten Regeln folgen. Eine
Gruppe von Nervenzellen könnte sich beispielsweise nur mit aktivierenden Synapsen verschalten. Wir sind den »Verschaltungsregeln« auf der Spur, denen die Nervenzellen bei der neuronalen Verschaltung
zwischen Hirnrinde und Kleinhirn folgen
müssen.
Dr. Takeshi Sakaba erwarb seinen
Doktortitel in Psychologie 1998 an
der Universität von Tokio, Japan.
Von 1998 bis 2006 forschte er als
Postdoktorand bei Erwin Neher
am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. Seit 2006
leitet er dort die Max-PlanckForschungsgruppe »Biophysik
der synaptischen Übertragung«.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/research/ags/
sakaba
Fluoreszenzaufnahme einer Purkinjezelle im Kleinhirn,
die von zahlreichen Nervenendigungen anderer
Nervenzellen an ihrem Fortsatz (den Dendriten) erreicht
wird und dort Synapsen bildet.
N. Hosoi, M. Holt, T. Sakaba: Calcium
dependence of exo- and endocytotic
coupling at a glutamatergic synapse.
Neuron 63, 216-229 (2009).
T. Sakaba: Two Ca-dependent steps
controlling synaptic vesicle fusion and
replenishment at the cerebellar basket
cell terminal. Neuron 57, 406-419
(2008).
K. Wadel, E. Neher, T. Sakaba: The
coupling between synaptic vesicles and
Ca2+ channels determines fast neurotransmitter release. Neuron 53, 563575 (2007).
61
Membranbiophysik
O
hne Kommunikation herrscht Schweigen
und Stillstand, auch auf zellulärer Ebene.
Viele Lebensprozesse beruhen auf dem Austausch
von Signalen innerhalb einer Zelle, aber auch zwischen den Zellen unseres Körpers. Biologische
Membranen nehmen dabei eine Schlüsselstellung
ein, denn in vielen Fällen sind sie die Vermittler.
Welche molekularen Prozesse dabei ablaufen, erforschen wir mit biophysikalischen und molekularbiologischen Methoden. Dabei setzen wir zunehmend auf fluoreszierende Moleküle, um bestimmte, am Signalaustausch beteiligte Proteine
sichtbar zu machen.
Flexible Schaltkreise im Gehirn
Synapsen sind die Schaltstellen unseres Gehirns,
an denen Nervenzellen Kontakt miteinander aufnehmen und Signale austauschen. Im Gegensatz
zu den Schaltelementen elektronischer Rechenanlagen, die fest verdrahtet sind, sind die »Synapsenstärken« variabel. Synapsen ändern ihre Verbindungsstärke je nach Signaldurchfluss. Jeder
Synapsentyp hat dabei sein charakteristisches
Muster von »Plastizität«: Änderungen können von
sehr kurzer Dauer sein oder über Stunden und
Tage anhalten. Lang anhaltende Änderungen gelten als Grundlage für Lernen und Gedächtnis.
Aber auch die kurzzeitigen Änderungen der Synapsenstärke spielen bei der Informationsverarbeitung
eine wichtige Rolle, beispielsweise bei der Adaptation von Sinneseindrücken.
Doch welche physiologischen und molekularen
Mechanismen stecken hinter der synaptischen
Plastizität? Diese Frage ist bis heute weitgehend
unbeantwortet geblieben und interessiert uns daher ganz besonders. Dabei liegt der Fokus auf den
kurzzeitigen Änderungen in der Nervenendigung
der sendenden Zelle. Ein Nervenimpuls bewirkt
dort die Freisetzung eines Botenstoffes, des Neurotransmitters. Was diesen Prozess auslöst, ist seit
langem bekannt: ein Anstieg der KalziumionenKonzentration in der Nervenendigung der sendenden Zelle. Die Kalziumionen bringen Speicherbläschen (synaptische Vesikel) mit den darin
enthaltenen Neurotransmittern dazu, mit der Zellmembran zu verschmelzen. Dabei wird der Neurotransmitter in den synaptischen Spalt – den
Raum zwischen der signalgebenden und der Empfängerzelle – freigesetzt. Aber die Kalziumionen
bewirken noch mehr: Sie beschleunigen die Bereitstellung neuer Vesikel. Die Synapsenstärke
62
Die Held’sche Kelch-Synapse ist eine außerordentlich große
Nervenendigung, die einen kompakten postsynaptischen
Nervenzellkörper umschließt. Sie ist eine wichtige Schaltstelle in der Hörbahn und eignet sich besonders gut für
biophysikalische Untersuchungen, da sie aufgrund ihrer
Größe zugänglich für elektrophysiologische Messungen
(Patch-Clamp) ist.
hängt unter anderem davon ab, wie viele synaptische Vesikel die sendende Zelle pro Nervenimpuls
freisetzt und wie rasch Nachschub geliefert wird.
Die Bereitstellung neuer Vesikel wird neben Kalziumionen auch durch weitere Signalstoffe, beispielsweise zyklisches AMP, reguliert. Synaptische
Kurzzeitplastizität ist somit ein Ergebnis mehrerer
ineinandergreifender Prozesse.
Wie ist es möglich, dass Kalziumionen mehrere
Prozesse auf unterschiedliche Weise steuern
können? Die Antwort liegt im biophysikalischen
Detail: Die Auslösung der Transmitterfreisetzung
durch Kalzium ist ein hochkooperativer Prozess,
der erst bei höheren Kalzium-Konzentrationen einsetzt, dann aber sehr stark zunimmt. Die Nachlieferung beschleunigt sich linear mit der KalziumKonzentration und erreicht bereits bei geringeren
Konzentrationen genügend hohe Werte. Je nachdem, in welchem Konzentrationsbereich sich das
Kalzium-Signal bewegt, wird daher der eine oder
andere Prozess bevorzugt aktiviert.
Kontakte reifen lassen
Im Fokus unserer Forschung steht seit
längerem die Held’sche Kelch-Synapse,
eine wichtige Schaltstelle in der Hörbahn von Säugetieren. Ihre kelchförmige
Kontaktstelle ist so großzügig dimensioniert, dass sie sich leicht manipulieren
lässt. Holger Taschenberger konnte zeigen, dass sie, wie die meisten anderen
Synapsen unseres Gehirns, einen funktionellen Reifeprozess durchläuft. So
gehen reifere Synapsen wesentlich sparsamer mit ihrem Vorrat an synaptischen
Vesikeln um. Im Vergleich zu einer jungen Synapse setzt hier ein einzelner
Nervenimpuls einen viel kleineren Anteil
verfügbarer Vesikel frei. Dadurch nimmt
die Synapsenstärke auch bei wiederholter Reizung sehr viel weniger ab. Auch
der Umgang mit Kalziumionen wird von
der reifen Synapse optimiert. Zum einen werden in der reifen Synapse Proteine produziert, die Kalzium an sich
binden und so dessen Konzentration
schnell wieder auf Normalmaß sinken
lassen. Zum anderen erfordern reife Synapsen weniger Kalziumeinstrom, um
ihre Vesikel mit der Zellmembran verschmelzen zu lassen. Denn dort sitzen
die Kalziumkanäle näher an den ausschüttungsbereiten Vesikeln.
Die Held’sche Kelch-Synapse ist ideal
geeignet für biophysikalische Studien
zur synaptischen Übertragung im Hirnschnitt. Allerdings war es bisher nicht
möglich, an diesem Präparat die rele-
vanten Proteine gezielt zu verändern.
Daher entwickelte Samuel Young eine
Methode, um maßgeschneiderte Adenoviren in die Nervenzellen einzuschleusen. Gen-Varianten des synaptischen
Kalziumsensors Synaptotagmin wurden
in die Erbsubstanz des Virus eingebaut.
Nach Infektion der Nervenzellen mit
solchen Viren lässt sich beobachten,
wie sich der veränderte Kalziumsensor
auf die Funktion der Synapse auswirkt.
Bunte Proteine
Wie greifen die verschiedenen Signalprozesse an der Nervenendigung ineinander? Um dieses »Räderwerk« sichtbar
zu machen, gilt es, die Verteilung und
die zeitlichen Veränderungen möglichst
vieler Signalträger gleichzeitig darzustellen. Die Molekularbiologie bietet inzwischen hervorragende Möglichkeiten,
Proteine nach Wahl mit verschiedenfarbigen Fluoreszenzfarbstoffen zu markieren. Bei der Analyse solcher Bilddaten stellt sich allerdings das Problem,
dass bei Anwesenheit mehrerer markierter Proteine auf einem Bildpunkt
deren individuelle Beiträge ermittelt
werden müssen. Dazu entwickelten wir
einen Algorithmus der sogenannten
»Blinden Quellentrennung«, der es erlaubt, aus einer einzigen Aufnahme sowohl die spektralen Eigenschaften der
beteiligten Farbstoffe als auch deren
Beiträge zum Gesamtbild zu ermitteln.
Prof. Dr. Erwin Neher studierte
Physik in München und an der
University of Wisconsin, wandte
sich dann der Biophysik zu und
promovierte 1970 am Max-PlanckInstitut für Psychiatrie (heute:
Neurobiologie) in München.
Er kam 1972 an das Max-PlanckInstitut für biophysikalische Chemie, arbeitete zwischenzeitlich
ein Jahr an der Yale University in
New Haven (USA) und leitet seit
1983 die Abteilung »Membranbiophysik« am Institut. Erwin
Neher ist Honorarprofessor an
der Universität Göttingen. Für
seine Arbeit über Ionenströme
an einzelnen Membranporen
erhielt er 1991 gemeinsam mit
Bert Sakmann den Nobelpreis
für Medizin und Physiologie.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/
groups/neher
Interne Arbeitsgruppen:
Dr. Meike Pedersen
Dr. Holger Taschenberger
Dr. Samuel Young
R. A. Neher, M. Mitkovski, F. Kirchhoff,
E. Neher, F. J. Theis, A. Zeug: Blind
source separation techniques for the
decomposition of multiply labeled fluorescence images. Biophys. J. 96, 1-10
(2009).
E. Neher, T. Sakaba: Multiple roles of
calcium ions in the regulation of neurotransmitter release. Neuron 59, 861872 (2008).
J. Wlodarczyk, A. Woehler, F. Kobe, E.
Ponimaskin, A. Zeug, E. Neher: Analysis
of FRET-signals in the presence of free
donors and acceptors. Biophys J. 94,
986-1000 (2008).
Dreifach markierte Fibroblastenzellen. Proteine des Zytoskeletts und Nukleinsäuren dieser Zellen wurden mit fluoreszierenden Farbstoffen markiert (Aktin: grün; Tubulin: blau; Nukleinsäuren: rot).
Die spektrale Analyse des Fluoreszenzlichts erlaubt die Auftrennung der drei Komponenten auf der Basis einer einzigen Aufnahme (Zusammenarbeit im Rahmen des DFG-Forschungszentrums ›Molekularphysiologie des Gehirns‹).
E. Neher: A comparison between exocytic control mechanisms in adrenal chromaffin cells and a glutamatergic synapse. Pflügers Arch. 453, 261-268 (2006).
T. Sakaba, A. Stein, R. Jahn, E. Neher.
Distinct kinetic changes in neurotransmitter release after SNARE-protein
cleavage. Science 309, 491-494 (2005).
63
Der Zellkern als
Kommandozentrale
64
Aktiver Informationsspeicher
mit Ein- und Ausgangskontrolle
Die Kommunikation muss stimmen, das gilt auch für
lebende Zellen.
Damit Zellen richtig funktionieren, brauchen sie Kommunikationswege zwischen ihren einzelnen Kompartimenten – von Verpackungs- und Sortierstationen über
die Kraftwerke bis hin zum Zellkern.
Winzige Poren in der Zellkern-Hülle dienen als lebenswichtige Transport- und Kommunikationskanäle, die
den gesamten Güterverkehr zwischen dem Zellkern
und den anderen Kompartimenten der Zelle kontrollieren. Diese »Kernporen« sind hochselektive Tore: Während kleine Moleküle meist ungehindert passieren,
sind große für ihren Transport auf einen Shuttle-Service angewiesen. Welche hochkomplexen Vorgänge
dabei auf molekularer Ebene ablaufen, wird von Wissenschaftlern am Institut erforscht.
65
Zelluläre Logistik
Erfolgsrezept Arbeitsteilung
Eukaryotische Lebensformen, zu denen alle Pflanzen und Tiere gehören, zeichnen sich durch eine
arbeitsteilige Organisation ihrer Zellen aus. So
konzentrieren sich der Zellkern auf die Verwaltung
des Genoms und die Mitochondrien auf die Energieversorgung der Zelle, während das sogenannte
Zytosol auf die Proteinsynthese spezialisiert ist. Die
Vorteile dieser Organisation lassen sich eindrucksvoll anhand der Tatsache zusammenfassen, dass
nur Eukaryoten sich zu komplexen, vielzelligen Lebewesen entwickelt haben. Sie hat aber auch ihren
Preis und muss mit einer ausgeklügelten Logistik
aufrechterhalten werden. So verfügt der Zellkern
über keine eigene Proteinsynthesemaschinerie,
sondern muss sämtliche Enzyme und strukturellen
Proteine aus dem Zytosol importieren. Umgekehrt
produziert und exportiert er aber entscheidende
Komponenten der Proteinsynthesemaschinerie
(zum Beispiel Ribosomen) und ermöglicht damit
erst die zytosolische Proteinsynthese.
Tore und Transporteure
Der Zellkern ist von zwei Membranen umgeben,
die für Proteine und andere Makromoleküle völlig
undurchlässig sind. Der stoffliche Austausch kann
daher nicht direkt durch diese Membranen erfolgen. Stattdessen sind in die Kernhülle sogenannte Kernporen eingebettet, die man sich als
hochselektive Tore vorstellen kann und die den
stationären Teil einer ganzen Transportmaschinerie ausmachen.
Den mobilen Teil dieser Transportmaschinerie
bilden Importine und Exportine. Während die
Ein Exportkomplex in
atomarer Auflösung.
Das Exportin CRM1
(blau) bindet das
Frachtmolekül Snurportin (orange) sowie
»Ran« (rot). Ran ist ein
molekularer Schalter,
der die Transportrichtung der Fracht bestimmt (in diesem Fall:
Zellkern → Zytosol).
CRM1 exportiert unter anderem die bereits genannten Ribosomen sowie hunderte regulatorische Faktoren aus dem Zellkern. Viren wie HIV missbrauchen CRM1, um ihre im Kern vermehrte Erbsubstanz in das Zytoplasma zu exportieren, wo diese in virale Partikel verpackt wird. Im Hintergrund: eine
elektronenmikroskopische Aufnahme von Kernporenkomplexen – den gigantischen Transportkanälen in der Zellkernhülle.
66
Kernporen für die meisten Makromoleküle ab einem bestimmten Größenlimit
dicht verschlossen erscheinen, haben
Importine und Exportine das Privileg,
die Permeabilitätsbarriere der Kernporen nahezu ungehindert passieren zu
können. Das Entscheidende dabei ist,
dass sie bei ihrem Porendurchtritt auch
»Fracht« oder »Passagiere« mitnehmen
können. Nun darf nicht jeder Passagier
an »Bord«, sondern Importine und Exportine erkennen mit molekularer Präzision, welche Moleküle in den Kern
importiert und welche exportiert werden sollen. Die Mechanismen dieser
Erkennungsprozesse stehen im Mittelpunkt unserer Forschung.
Wie funktioniert die Sortiereinheit
der Kernporen?
Kernporen sind äußerst effektive Sortiermaschinen, und jede von ihnen kann
pro Sekunde bis zu 1000 Frachtkomplexe »abfertigen« und passieren lassen.
Kernporen sind extrem komplex aufgebaut und bestehen jeweils aus ≈ 700
Proteinmolekülen oder ≈ 20 Millionen
Einzelatomen. Um die Funktionsprinzipien eines derart komplexen Systems
wirklich begreifen zu können, muss es
auf das Wesentliche reduziert werden.
Als einen entscheidenden Schritt in
diese Richtung konnten wir kürzlich die
Permeabilitätsbarriere der Kernporen
im Reagenzglas nachbilden. Sie besteht
aus sogenannten FG-Repeats und bildet ein »intelligentes« Hydrogel mit er-
Die Permeabilitätsbarriere der Kernpore ist ein
Hydrogel, das heißt ein größtenteils aus Wasser
bestehender elastischer Feststoff, vergleichbar
mit Götterspeise oder dem Glaskörper des Auges.
Das durchscheinende rote Linienmuster der Unterlage gibt einen Eindruck von der Transparenz
des Objekts. Da das Hydrogel aus FG-Repeats
besteht, wird es FG-Hydrogel genannt. Das hier
gezeigte in vitro rekonstituierte FG-Hydrogel ist
einige Millimeter groß, die Barriere der Kernpore
misst hingegen nur ≈ 50 Nanometer.
Permeabilitätseigenschaften eines FG-Hydrogels.
A) Ein »optischer Schnitt« durch ein fluoreszenzmarkiertes FG-Hydrogel. Helle Bereiche entsprechen dem Gel, dunkle dem umgebenden Puffer.
B) Derselbe Bereich, in einem anderen Fluoreszenzkanal abgebildet, zeigt zu drei Zeitpunkten den
Einstrom eines grün-fluoreszierenden ImportinFracht-Komplexes. Der Komplex dringt schnell in
das Gel ein, reichert sich dort etwa 100 bis 1.000fach an und bewegt sich im Gel mit einer Geschwindigkeit, die eine Kernporenpassage innerhalb von 10 Millisekunden erlauben würde.
C) Ein rot fluoreszierendes Kontrollsubstrat im Vergleich. Es bindet das Importin nicht und kann daher nicht in das Gel eindringen.
staunlichen Materialeigenschaften. Es
unterdrückt den Durchtritt von »normalen« Makromolekülen, erlaubt aber einen bis zu 20.000-fach schnelleren Einstrom derselben Moleküle, wenn diese
an ein passendes Importin oder Exportin gebunden sind. Die Effizienz des
Einstroms von Importinen und Exportinen in das Gel erreicht dabei die Grenzen des physikalisch Möglichen und
wird nur durch die Geschwindigkeit des
Transports zur Barriere begrenzt. Die
biologischen, chemischen und physikalischen Grundlagen dieses einzigartigen
Phänomens werden derzeit von uns intensiv untersucht. Wir versprechen uns
davon nicht nur ein tiefes Verständnis
eines Prozesses, der absolut essenziell
für eukaryotisches Leben ist, sondern
auch Impulse zur Entwicklung neuer
Materialien.
Prof. Dr. Dirk Görlich studierte
Biochemie in Halle/Saale und
promovierte 1993 an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach
einem zweijährigen Forschungsaufenthalt am Wellcome/CRC
Institute in Cambridge (England)
wurde er 1996 zum Forschungsgruppenleiter und 2001 zum Professor für Molekularbiologie an
das Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg
(ZMBH) berufen. Seit 2007 leitet
er die Abteilung »Zelluläre Logistik« am Max-Planck-Institut für
biophysikalische Chemie.
Dirk Görlich erhielt zahlreiche
wissenschaftliche Auszeichnungen, so den Karl-Lohmann-Preis
der Deutschen Gesellschaft für
Biologische Chemie (1993), den
Heinz Maier-Leibnitz-Preis (1997),
die EMBO-Goldmedaille (1997)
und den Alfried-Krupp-Förderpreis (2001).
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/research/
dep/goerlich
T. Monecke, T. Güttler, P. Neumann, A.
Dickmanns, D. Görlich, R. Ficner:
Crystal structure of the nuclear export
receptor CRM1 in complex with snurportin1 and RanGTP. Science 324,
1087-1091 (2009).
S. Frey, D. Görlich: A saturated FGrepeat hydrogel can reproduce the permeability properties of nuclear pore
complexes. Cell 130, 512-523 (2007).
S. Frey, R. P. Richter, D. Görlich: FGrich repeats of nuclear pore proteins
form a three-dimensional meshwork
with hydrogel-like properties. Science
314, 815-817 (2006).
67
Funktionelle Zellkernarchitektur
H
Dr. Volker Cordes promovierte
1992 an der Universität Heidelberg im Fach Zellbiologie. Von
1992 bis 1997 arbeitete er als
Assistent am Biozentrum der
Universität Würzburg und am
Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Im Jahr 1997
wechselte er an das Institut für
Zell- und Molekularbiologie des
Karolinska Institutet in Stockholm
(Schweden). Dort war er anfangs
als Nachwuchsforschungsgruppenleiter und nach seiner
Habilitation als Hochschuldozent
tätig. 2004 kehrte er nach
Deutschland zurück und forschte
als Arbeitsgruppenleiter an der
Universität Heidelberg. Von dort
wechselte er 2007 an das MaxPlanck-Institut für biophysikalische Chemie, wo er seitdem die
Arbeitsgruppe »Funktionelle
Zellkernarchitektur« in der Abteilung »Zelluläre Logistik« leitet.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/research/
ags/cordes
Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme
einer gereinigten Kernhüllen-Innenseite
eines Oozytenzellkerns des Krallenfrosches
Xenopus laevis. Fädige Strukturen, runden
Körben ähnlich, sind direkt über den Kernporen platziert. Der Durchmesser eines
solchen Kernkorbs beträgt an seiner Basis
etwa 120 Nanometer (millionstel Millimeter).
68
öhere Wirbeltiere wie der Mensch
bestehen aus mehr als 200 verschiedenen Zelltypen. Von nur wenigen Ausnahmen
abgesehen, besitzen diese Zellarten alle einen
Kern, der die zentrale Kommandozentrale der
Zelle darstellt und die in den Chromosomen
gespeicherte Erbinformation enthält. Durch
einen Membranmantel, die Kernhülle, wird
dieses Erbgut vom Rest der Zelle abgegrenzt.
Damit unterschiedlichste Moleküle dennoch
zwischen dem Kern und dem Zellplasma ausgetauscht werden können, ist die Kernhülle
von zahlreichen Kernporen durchzogen, durch
die der gesamte Frachtverkehr erfolgt.
Auch wenn der Zellkern meist als Kugel
abgebildet wird, kann er je nach Zelltyp ganz
unterschiedliche Formen annehmen. In vielen
Zellarten ist er tatsächlich kugelförmig oder
ellipsoid, während er in anderen schlauchartig, gelappt oder sogar segmentiert sein
kann. Ebenso unterschiedlich erscheint
manchmal auch die Architektur im Inneren
solcher Zellkerne. Warum das so ist und
welche Moleküle dabei eine Rolle spielen, ist
bisher weitgehend ungeklärt. Auch weiß man
noch wenig darüber, ob die Kernarchitektur die Funktion eines Zelltyps beeinflusst.
Kernkorb aus fädigen Proteinen
Um diese Fragen zu beantworten, versuchen wir Proteine im Zellkern zu identifizieren, die dessen Aufbau und Infrastruktur mitbestimmen. Ausgangspunkt unserer
Untersuchungen sind fädige Bausteine, die
an der Innenseite der Kernporen verankert
sind und Strukturen bilden, die an rundliche Körbe erinnern. Wir haben herausgefunden, dass ein Hauptbestandteil dieser
Kernkörbe ein großes, stäbchenförmiges
Protein ist, das wir in vielen Zelltypen an
der Kernperipherie nachweisen konnten.
Dort wirkt es auch als Andockstelle für
weitere Zellkernbestandteile, die je nach
Zelltyp unterschiedlich sein können.
Zumindest in einigen dieser Zelltypen
spielt dieses stäbchenförmige Protein eine
wichtige Rolle bei der Verteilung des Erbguts in der Nähe der Kernhülle. Dort trägt
es wesentlich zur Innenarchitektur des Zellkerns bei. Vermutlich haben der Kernkorb
und dieses Protein aber auch noch andere
Funktionen, die wir noch aufklären wollen.
Chromatin-Biochemie
J
eder kennt das Bild der Desoxyribonukleinsäure (DNA), der Trägerin der Erbinformation: eine Strickleiter zu einer Doppelhelix verdreht. In lebenden Zellen ist sie
im Zellkern, der »Kommandozentrale« der
Zelle, gespeichert. Dort liegt die DNA allerdings nicht nackt vor. Im Verbund mit bestimmten Proteinen bildet sie das Chromatin.
In regelmäßigen Abständen sind kurze Abschnitte der DNA um einen Komplex von
Histonproteinen gewickelt – die Nukleosome.
Diese stellen die fundamentale, sich wiederholende Einheit des Chromatins dar.
Nukleosome sind immer auf die gleiche
Weise zusammengebaut, und doch gibt es
feine molekulare Unterschiede, die vor allem durch chemische Veränderungen der
Histonproteine entstehen. Diese werden als
post-translationale Histonmodifizierungen
bezeichnet. Wir gehen heute davon aus,
dass die zelluläre Maschinerie diese Veränderungen an den Nukleosomen als Signale
oder Marker nutzt, um unterschiedliche
Regionen des Chromatins zu erkennen und
zu definieren. Und offenbar spielen Histonmodifizierungen eine wichtige Rolle bei
der zellulären Vererbung.
Nicht nur das Produkt unserer Gene
Vererbbare Unterschiede zwischen einzelnen Zellen und ganzen Lebewesen entstehen nicht nur, weil die Gensequenzen
sich unterscheiden, sondern auch, weil die
gleiche Erbinformation unterschiedlich abgelesen wird. Abweichende Merkmale entstehen zum Beispiel, weil das gleiche Gen
in bestimmten Zellen eines Organismus
mehr, in anderen weniger aktiv ist. Auf der
Ebene des Chromatins vererbt die Zelle
diese Kontrolle über das Ablesen des Gens
über stabile Muster der Histonmodifizierung. Diese sogenannten epigenetischen
Effekte spielen zum Beispiel bei der Zelldifferenzierung eine Rolle, bei der Entwicklung des Embryos, aber auch wenn
Zellen sich krebsartig verändern.
Chromatin-Abschnitte liegen in unterschiedlichen Zuständen vor, die durch Histonmodifizierungen gesteuert werden. Die Bilder wurden mit einem Atomaren
Kraftmikroskop aufgenommen.
Wir wollen im Detail herausfinden, wie
Histonmodifizierungen die Organisation und
Dynamik des Chromatins beeinflussen und
wie sie dabei das Auslesen des Genoms
steuern. Dazu kombinieren wir experimentelle Ansätze aus verschiedenen Fachdisziplinen wie der Biochemie, der Biophysik,
der Zell- und der Molekularbiologie.
Dr. Wolfgang Fischle studierte
Biochemie an der Universität
Tübingen. Anschließend ging er
als Stipendiat des Boehringer
Ingelheim Fonds an die University
of California (San Francisco, USA)
und promovierte 2002 im Fach
Biochemie. Als Postdoktorand
forschte er mit einem Stipendium
der Damon Runyon Cancer Research Foundation von 2002 bis
2005 an der University of Virginia
in Charlottesville (USA) und an der
Rockefeller University in New
York (USA). Seit 2006 leitet er die
Max-Planck-Forschungsgruppe
»Chromatin-Biochemie« am
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. Wolfgang
Fischle war NET Fellow des
European Network of Excellence
»Epigenome«.
Kontakt:
wfi[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/research/
ags/fischle
K. Zhang, K. Mosch , W. Fischle, S. I.
Grewal: Roles of the Clr4 methyltransferase complex in nucleation, spreading
and maintenance of heterochromatin.
Nat. Struct. Mol. Biol. 15, 381-388
(2008).
W. Fischle, H. Franz, S. A. Jacobs, C. D.
Allis, S. Khorasanizadeh: Specificity of
the CDY family of chromodomains for
lysine-methylated ARKS/T motifs. J.
Biol. Chem. 283, 19626-19635 (2008).
Organisation des
Chromatins.
W. Fischle: Talk is cheap – Crosstalk in
the establishment, maintenance, and
readout of chromatin marks. Genes Dev.
22, 3375-3382 (2008).
69
Vom Eizum
Organismus
Wie Lebewesen entstehen und gesteuert werden
70
Ob Gehirn oder Lunge – alle Zellen unseres Körpers stammen
letztlich von einer einzigen Eizelle ab. Wie aber gelingt es der
Eizelle, so vielfältige Nachkommen hervorzubringen? Und wie
formieren sich die Zellen im Embryo zu komplexen Organen, die
zuverlässig zusammenarbeiten? Diese rätselhaften Prozesse
werden am Institut auf molekularer Ebene erkundet, bei Fliegen
ebenso wie bei Mäusen. Auch wenn diese Organismen sehr
verschieden sind, greifen sie während der Embryonalentwicklung auf ganz ähnliche genetische Programme zurück. Neue Erkenntnisse erlauben den Forschern daher auch Rückschlüsse
auf den frühesten Lebensabschnitt des Menschen. Diese Erkenntnisse helfen, Krankheiten besser zu verstehen und zu behandeln, die auf Fehlentwicklungen in diesem frühen Lebensabschnitt zurückzuführen sind.
Einen großen Teil unseres Lebens verbringen wir im Schlaf, aber
warum? Wie wird unsere »innere Uhr« gesteuert, die uns abends
müde werden lässt und morgens wieder munter? Auch diesen
spannenden Fragen gehen Wissenschaftler am Institut nach.
Eine »Live-Schaltung« zum schlagenden Herzen oder »Bilder
vom Denken« – nicht zuletzt arbeiten Forscher am Institut daran, bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanz-Tomografie immer weiter zu verbessern, um detaillierte Einblicke in das
Innenleben von Mensch und Tier zu ermöglichen.
71
Molekulare Entwicklungsbiologie
A
ls Forschungsobjekt ist die Taufliege Drosophila melanogaster aus gutem Grund bei Wissenschaftlern sehr beliebt. Genügsam und ungemein vermehrungsfreudig ist sie trotz ihres Miniaturformats ein sehr komplexer Organismus, durchaus vergleichbar mit einem Wirbeltier. Wie alle
Tiere entsteht diese Fliege aus einer einzelnen
Eizelle. Aber wie entwickelt sich aus dieser einen
Zelle ein komplexer Körper mit verschiedenen
Zelltypen und Organen? Um dieses große Rätsel
der Biologie zu lösen, vertiefen wir uns in die
molekularen Kontrollmechanismen, die solche
Entwicklungsprozesse vom Ei zur Fliege steuern.
Nicht selten sind Kontrollfaktoren, die wir in der
Fliege gefunden haben, in ähnlicher Form auch im
Erbgut des Menschen vorhanden. Sie sind keine
spezielle Errungenschaft der Fliegen, sondern ein
gemeinsames genetisches Erbe aller Tiere. Entsprechend aufschlussreich ist das genetische Inventar von Drosophila, wenn es um medizinische Fragen geht: Wenn Entwicklungsprozesse entgleisen,
dann sind beim Menschen vermutlich oft Gene
und ganze Kontrollsysteme gestört, die wir in der
Fliegen-Version längst kennen.
Alle fünf Taufliegen-Embryonen befinden sich im gleichen Entwicklungsstadium. Mit einer speziellen Färbetechnik wurden jedoch die Produkte
verschiedener Gene sichtbar gemacht. Sie zeigen, dass der erst zwei
Stunden alte Taufliegen-Embryo bereits in bestimmte Areale unterteilt ist
(blau) und – obwohl morphologisch noch nicht sichtbar – bereits
Segmenteinheiten aufweist (braun).
72
Frühe Weichenstellungen
Die Körperstruktur der Fliege wird schon vor
der Befruchtung der Eizelle festgelegt. Die Fliegenweibchen statten ihre Eier nicht nur mit Nährstoffen aus, sie liefern auch Proteine und deren
Baupläne, die als Kontrollfaktoren in die Entwicklung eingreifen. Diese sind asymmetrisch im Ei
verteilt und legen auf diese Weise die Körperachsen fest. Dabei aktivieren sie eine Gen-Kaskade, die den Embryo in zunehmend kleinere
Bereiche gliedert. Wie in der Blaupause eines Architekten wird so der Grundbauplan des Körpers
mit seinen erst viel später sichtbaren Körpersegmenten und Organen fast unsichtbar skizziert und
Areale festgelegt, in denen sich Körperteile entwickeln. Dabei spielen Kommunikationsprozesse
zwischen den Zellen eine Rolle, die über ein
Wechselspiel von Signalstoffen und passenden
Rezeptormolekülen das jeweilige Entwicklungsschicksal von Zellen positionsgenau im Körper
festlegen.
Weitere Facetten
Ganz besonderen Zellen widmet sich Alf Herzig
mit seiner Arbeitsgruppe: den sogenannten Stammzellen. Diese teilen sich genau wie ihre genetisch
identischen Zellschwestern, entwickeln sich aber
Die Taufliege
Drosophila melanogaster.
zunächst nicht zu einem bestimmten
Zelltyp. Das ist auch gar nicht erwünscht, denn Stammzellen sind die
stille Reserve des Körpers. Sie bilden
später genau die Zellen nach, die in
einem Organismus durch Zelltod verloren gehen. Wie verhindert der Organismus aber, dass diese Zellen sich
nicht gleichzeitig mit den anderen
Zellen differenzieren? Offenbar sind die
Gene der Stammzellen im Zellkern
besonders verpackt und gelagert. Daher
untersucht Herzigs Team die Verpackungsmerkmale – die Histon-Modifikationen – und die Lage der Gene im
Zellkern und vergleicht sie mit Nachbarzellen, die sich differenzieren.
Gerd Vorbrüggens Arbeitsgruppe befasst sich mit einem Spezialisten unter
den ausdifferenzierten Körperzellen,
den jeder kennt: der Muskelzelle. Die
Wissenschaftler untersuchen, wie Muskelzellen entstehen und sich zielsicher
zu einem genau festgelegten Gesamtmuster im Körper positionieren.
Damit Muskeln arbeiten können,
brauchen sie Energie. Wie die Fliege
ihren Energiehaushalt kontrolliert, an
dieser Frage arbeiten die Gruppen von
Ronald Kühnlein, Mathias Beller und
Ralf Pflanz. Sie wollen wissen, wie ein
Organismus erkennt, wie viel Energie er
in Form von Fettdepots speichern muss,
um den Energiebedarf auch in Hungerzeiten abzudecken. Diese Projekte werden helfen, die menschliche Fettsucht
besser zu verstehen, die mit ihren Folgen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
Diabetes und bestimmten Krebsformen
inzwischen eine Gesundheitsproblematik mit weltweitem Ausmaß darstellt.
Die Forscher erwarten, dass die Fliege
als biomedizinisches Modell langfristig
einen Beitrag zur Diagnose und für neue
Therapien der Fettsucht leisten wird.
Prof. Dr. Herbert Jäckle
promovierte 1977 an der Universität Freiburg in Biologie. Anschließend arbeitete er an der
University of Texas in Austin, am
Europäischen Molekularbiologischen Labor in Heidelberg und
am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen.
1987 wurde er Ordinarius für Genetik an der Ludwig-MaximiliansUniversität München. Seit 1991
leitet er die Abteilung »Molekulare
Entwicklungsbiologie« am MaxPlanck-Institut für biophysikalische Chemie. Im Jahr 2002 wurde
er Vizepräsident der Max-PlanckGesellschaft. Herbert Jäckle erhielt zahlreiche wissenschaftliche
Auszeichnungen, unter anderem
1986 den Leibniz-Preis, 1990 den
Feldberg-Preis, 1992 den Otto
Bayer-Preis, 1999 den Louis
Jeantet-Preis und den Deutschen
Zukunftspreis. Seit 1993 lehrt er
als Honorarprofessor an der Universität Göttingen.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/
groups/jaeckle
Interne Arbeitsgruppen:
Dr. Mathias Beller, Dr. Alf Herzig,
Dr. Ronald Kühnlein, Dr. Ralf
Pflanz, Dr. Gerd Vorbrüggen;
die Forschungsgruppe von
Dr. Reinhard Schuh ist mit der
Abteilung assoziiert.
M. Beller, C. Sztalryd, N. Southall,
M. Bell, H. Jäckle, D. S. Auld,
B. Oliver: COPI complex is a regulator
of lipid homeostasis. PloS Biology 6,
2530-2549 (2008).
S. Grönke, A. Mildner, S. Fellert, N.
Tennagels, S. Petry, G. Müller, H. Jäckle,
R. P. Kühnlein: Brummer lipase is an
evolutionary conserved fat storage regulator in Drosophila. Cell Metab.
1, 323-330 (2005).
Ein Taufliegen-Embryo kurz
vor der Larvenbildung.
R. Rivera-Pomar, H. Jäckle: From
gradients to stripes in Drosophila embryogenesis: filling in the gaps. Trends
Genet. 12, 478-483 (1996).
73
Entwicklungsbiologie
W
Prof. Dr. Michael Kessel promovierte 1981 in Biologie an der Universität Kiel. Von 1981 bis 1983 arbeitete er am National Cancer Institute in Bethesda (Maryland,
USA) und wechselte im Anschluss
an das Zentrum für Molekularbiologie in Heidelberg. Dort forschte
er von 1983 bis 1986, bevor er
schließlich 1986 Mitglied der Abteilung »Molekulare Zellbiologie«
am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie wurde. Seit
1992 leitet er dort die Arbeitsgruppe »Entwicklungsbiologie«.
Zugleich lehrt Michael Kessel als
außerplanmäßiger Professor an
der Biologischen Fakultät der
Universität Göttingen.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/research/
ags/kessel
L. Luo, Y. Uerlings, N. Happel, N. S.
Asli, H. Knoetgen, M. Kessel: Regulation
of geminin functions by cell cycle dependent nuclear-cytoplasmic shuttling.
Mol. Cell. Biol. 27, 4737-4744 (2007).
M. Pitulescu, M. Kessel, L. Luo: The
regulation of embryonic patterning and
DNA replication by Geminin. Cell.
Mol. Life Sci. 62, 1425-1433 (2005).
L. Luo, X. Yang, Y. Takihara, H. Knoetgen,
M. Kessel: The cell-cycle regulator
geminin inhibits Hox function through
direct and polycomb-mediated interactions. Nature 427, 749-753 (2004).
74
enn aus einer einzelnen Eizelle ein
komplexer Organismus
heranwächst, versetzt das
auch erfahrene Biologen
immer wieder in Staunen. Der Bauplan dazu
steckt für Mensch wie
Maus in den Genen, die
von den Eltern an die
Nachkommen weitergegeben werden. Mit jeder
Zellteilung nähert sich
der Embryo seinem Ziel:
ein voll entwickelter Organismus. Auf dem Weg
dorthin wiederholt sich
immer wieder der gleiche Zyklus: Erst wird das
genetische Material verdoppelt, dann wird es
auf die entstehenden
Tochterzellen verteilt.
Aus dem Gehirn eines Maus-Embryos wurden neurale Stammzellen
Während der Zellteigewonnen, die sich in Gewebekultur in sogenannte Sternzellen (Astrolung im Embryo werden
zyten, grün) differenziert haben. Die Zellkerne sind blau angefärbt.
eine Vielzahl molekularer Weichen gestellt, die
über das Schicksal der
Zellen bestimmen. So wird beispielsweise werke, Zellteilung und Zelldifferenzierung,
definiert, ob einer Zelle noch viele Ent- ineinandergreifen: Welche molekularen
wicklungsmöglichkeiten offen stehen oder Mechanismen liegen diesen Prozessen zuihre zukünftige Bestimmung schon festge- grunde, welche Gene sind beteiligt, und
legt ist. Entschieden wird auch, ob die Zel- wie wird ihre Wirkung koordiniert? Diese
le im vorderen oder hinteren Bereich des Fragen untersuchen wir am Modell der
Körpers angesiedelt sein wird, und ob sie Maus. Obwohl die Nager völlig anders ausdie Laufbahn einer Muskel- oder Nerven- sehen als der Mensch, ähneln sich ihre Orzelle einschlägt. Ist der endgültige Zustand gane und Gewebe, und für beeindruckende
erreicht, wird der Zellzyklus abgebrochen, 99 Prozent der Maus-Gene gibt es eine ähnund die ausdifferenzierte Zelle widmet sich liche Sequenz im menschlichen Erbgut.
Um die Mechanismen auf molekularer
ganz ihrer speziellen Aufgabe, zum Beispiel
der Signalübertragung im Nervensystem. Ebene zu ergründen, fahnden wir nach
In vielen Organen bleiben aber auch Zellen Genen, die in beiden Prozessen eine Rolle
erhalten, die sich weiter teilen und dabei spielen könnten. Um ihnen auf die Schliselbst erneuern. Als eine Art stille Reserve che zu kommen, versuchen wir, sie mit den
liefern diese »Stammzellen« nötigen Nach- Instrumentarien der Gentechnik gezielt zu
schub an differenzierten Zellen und sorgen aktivieren oder auszuschalten. An den Foldafür, dass das Zellrepertoire erhalten gen können wir ablesen, welche Rolle das
fragliche Gen normalerweise übernimmt.
bleibt.
Mit den gewonnenen Informationen wollen wir zu einem Verständnis der molekuGen an, Gen aus
Wir wollen verstehen, wie bei der frühen laren Grundlagen der Säugetier-EntwickEntwicklung die zwei elementaren Räder- lung beitragen.
Molekulare Organogenese
E
twa 20.000 Mal am Tag atmen wir ein und wieder
aus, ohne darüber nachzudenken. Jedes Mal durchströmt die
Atemluft das filigrane Röhrensystem unserer Lunge, die fünf
bis sechs Liter fasst, und bei jedem Atemzug etwa einen halben Liter Luft austauscht. Wie
Die Lunge der Insekten – das Tracheensystem – durchzieht den
die Krone eines Baumes vergesamten Embryo der Fliege.
zweigt sich das System immer
feiner bis in die Lungenbläschen, wo der Sauerstoff in den Blutkreis- wissen inzwischen, dass die Installation
lauf wandert.
dieses Röhrensystems ganz ähnlich organiUnsere Arbeitsgruppe möchte verstehen, siert ist wie die Entwicklung der Lunge. Eiwie die Installation dieser reich verzweigten ne Reihe sehr ähnlicher Faktoren sorgen
Leitungsbahnen für die Atemluft vonstat- während der Embryonalentwicklung dafür,
ten geht. Die molekularen Mechanismen, dass sich die Röhren an den richtigen Steldie dahinter stecken, sind in Säugetieren len verzweigen und dass sie am Ende nicht
allerdings nur sehr schwierig und zeitauf- zu eng oder zu weit ausfallen.
wendig zu untersuchen. Daher erforschen
Beiden Organismen gemeinsam ist auch,
wir unsere Fragestellungen an einem be- dass die Atemröhren in der Entwicklungsliebten Modellorganismus der Biologie: der phase zunächst mit Flüssigkeit gefüllt sind.
Taufliege Drosophila melanogaster.
Sie müssen daher rechtzeitig trocken gelegt
werden, sonst kommt es zu schweren AtemDas Atemsystem trocken legen
problemen. Bei zu früh geborenen Babys
Fliege und Mensch sind sich in vielen droht etwa das »Respiratory Distress SynAspekten ähnlicher als man denkt. Von den drome« (RDS). Auch beim erwachsenen
insgesamt 13.600 Drosophila-Genen sind Menschen kann Flüssigkeit in der Lunge
etwa 7.000 Gene in ähnlicher Form auch zu lebensbedrohlichen Ödemen führen.
im Erbgut des Menschen vorhanden. Die
Unter den 7.000 Genen, die bei Mensch
Taufliege hat zwar keine Lungen, dafür aber und Fliege ganz ähnlich sind, haben wir inebenfalls baumartig verzweigte Leitungs- zwischen 20 Gene entdeckt, die dafür sorbahnen für die Atemluft, die Tracheen. Wir gen, dass sich die Röhren richtig ausbilden
und rechtzeitig trocken gelegt sind. Jetzt
wollen wir wissen, bei welchen molekuDie Vernetzung rot gefärbter Tracheenzellen erfolgt
laren Mechanismen diese Gene eine Rolle
über Brückenzellen. Während der Entwicklung
spielen und ob sie ihre Funktionen über
strecken sich die blau markierten Brückenzellen und
die Artgrenzen hinweg beibehalten haben.
verbinden so die Tracheenzellen. Diese wandern an
den Brückenzellen entlang und bilden dadurch ein
zusammenhängendes Netzwerk.
Prof. Dr. Reinhard Schuh
promovierte 1986 an der EberhardKarls-Universität Tübingen in Biologie. Von 1986 bis 1988 arbeitete
er als Wissenschaftlicher Assistent am Max-Planck-Institut für
Entwicklungsbiologie in Tübingen
und von 1988 bis1991 als Akademischer Rat am Institut für Genetik und Mikrobiologie der LudwigMaximilians-Universität in München. Seit 1992 ist er Mitglied der
Abteilung »Molekulare Entwicklungsbiologie« am Max-PlanckInstitut für biophysikalische Chemie. Seit 2005 leitet er dort die
Forschungsgruppe »Molekulare
Organogenese«. Reinhard Schuh
lehrt zudem als außerplanmäßiger
Professor an der Biologischen
Fakultät der Universität Göttingen.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/groups/
schuh/
M. Behr, C. Wingen, C. Wolf, R. Schuh,
M. Hoch: Wurst is essential for airway
clearance and respiratory-tube size
control. Nature Cell Biol. 9, 847-853
(2007).
C. Krause, C. Wolf, J. Hemphälä, C.
Samakovlis, R. Schuh: Distinct functions
of the leucine-rich repeat transmembrane proteins capricious and tartan in
the Drosophila tracheal morphogenesis.
Dev. Biol. 296, 253-264 (2006).
M. Behr, D. Riedel, R. Schuh: The
claudin-like megatrachea is essential
in septate junctions for the epithelial
barrier function in Drosophila. Dev. Cell
5, 611-620 (2003).
C. Wolf, R. Schuh: Single mesodermal
cells guide outgrowth of ectodermal
tubular structures in Drosophila. Genes
Dev. 14, 2140-2145 (2000).
75
Molekulare Zelldifferenzierung
O
Prof. Dr. Ahmed Mansouri
promovierte 1978 an der Technischen Universität Braunschweig
in Chemie. Anschließend forschte
er als Postdoktorand am Institut
für Humangenetik der Universität
Göttingen, am Friedrich-MiescherLaboratorium der Max-PlanckGesellschaft in Tübingen und am
Max-Planck-Institut für Immunbiologie in Freiburg. 1989 wurde
er Wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in der Abteilung »Molekulare Zellbiologie«.
Im Jahr 1999 habilitierte er sich
an der medizinischen Fakultät der
Universität Göttingen. Seit 2002
ist Ahmed Mansouri Leiter der
Arbeitsgruppe »Molekulare Zelldifferenzierung« und hat seit 2005
die Dr. Helmut Storz-Stiftungsprofessur an der Universiätsmedizin Göttingen inne.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/groups/gruss/
en/amansouri.htm
b Herz oder Niere, Bauchspeicheldrüse oder Gehirn – die Organe in
unserem Körper gleichen kleinen Fabriken,
in denen spezialisierte »Einheiten« bestimmte Aufgaben erledigen. In der Bauchspeicheldrüse sind es vor allem zwei Zelltypen, die sich die Arbeit teilen. Während
der größere Teil Verdauungssäfte produziert, erzeugt die kleinere Zellgruppe Hormone wie Insulin, das den Blutzuckerspiegel reguliert. Auch das Mittelhirn hat viele
Spezialisten, zum Beispiel Nervenzellen,
die den Botenstoff Dopamin produzieren.
So unterschiedlich die zellulären Spezialisten auch sind – sie alle entwickeln sich
während der Entwicklung eines Organs aus
weitgehend identischen Vorläuferzellen. Wir
wollen in unserer Gruppe erforschen, welche Mechanismen dahinter stecken.
Wir wissen bereits, dass bestimmte Gene
die Reifung eines Organs kontrollieren und
so das spätere Schicksal der Zellen bestimmen. Diese Kontrollgene liefern den
Bauplan für bestimmte Proteine, sogenannte Transkriptionsfaktoren. Diese Faktoren werfen gezielt genetische Programme
an oder unterdrücken diese und verwandeln so Vorläuferzellen in Zellen mit ganz
bestimmten Eigenschaften. Das zeigen
Tests, bei denen diese Proteine fehlen. Ohne das Kontrollgen Pax4 zum Beispiel entwickeln sich in der Bauchspeicheldrüse
A
keine Insulin produzierenden Zellen. Andere Faktoren veranlassen Zellen, den Gegenspieler Glukagon zu erzeugen. Ganz
ähnlich ist es auch im Mittelhirn. Dort aktiviert beispielsweise der Faktor lmx1a die
Merkmale einer bestimmte Gruppe von
Nervenzellen, die den Botenstoff Dopamin
produzieren sollen. Damit in einem Organ
Zellen mit unterschiedlichen Aufgaben im
richtigen Verhältnis zueinander entstehen,
interagieren die jeweiligen Faktoren miteinander und tarieren so die notwendige
Balance aus.
Mausforschung für den Mensch
Wir erforschen die Reifung eines Organs
an Mäusen, weil wir die Nager genetisch
sehr gut verändern und somit die Rolle der
beteiligten Faktoren gezielt untersuchen
können. Die Erkenntnisse unserer Forschung sind auch für die Humanmedizin
von grundlegender Bedeutung. Sie können
dazu dienen, aus menschlichen embryonalen Stammzellen Dopamin produzierende
Zellen zu erzeugen – jene Zellen, die im
Mittelhirn von Parkinson-Patienten absterben. Dopamin produzierende Zellen lassen
sich nicht nur in Kulturschale züchten, um
die Wirksamkeit potentieller Medikamente
zu testen. Sie könnten zukünftig auch für
Stammzelltherapien eingesetzt werden.
B
P. Collombat, X. Xu, P. Ravassard, B.
Sosa-Pineda, S. Dussaud, N. Billestrup,
O. D. Madsen, P. Serup, H. Heimberg,
A. Mansouri: The ectopic expression of
Pax4 in the mouse pancreas converts
progenitor cells into α- and subsequently β-cells. Cell 138, 449-462
(2009).
R. Dressel, J. Schindehütte, T. Kuhlmann, L. Elsner, P. Novota, P. C. Baier,
A. Schillert, H. Bickeböller, T. Herrmann, C. Trenkwalder, W. Paulus, A.
Mansouri: The tumorigenicity of mouse
embryonic stem cells and in vitro differentiated neuronal cells is controlled by
the recipients' immune response. PLoS
ONE 3:e2622 (2008).
76
Im Maus-Embryo (A) lässt sich die Aktivität des Faktors lmx1a mithilfe eines Markers sichtbar machen (B).
Der Faktor bestimmt das Schicksal der markierten Zellen im Mittelhirn (Pfeil). Damit werden sie zu Nervenzellen, die sich auf die Produktion von Dopamin spezialisieren.
Molekulare
Neuroentwicklungsbiologie
E
s ist faszinierend und rätselhaft zugleich
– das menschliche Gehirn. Milliarden
Nervenzellen und noch mehr Gliazellen sind
darin zu einem komplexen Netzwerk verknüpft. Trotz ihrer riesigen Anzahl und Vielfalt entwickeln sie sich aber nur aus erstaunlich wenigen Ursprungszellen: den Stammzellen. Wie das funktioniert, untersuchen wir
am Beispiel der Hirnrinde, dem äußeren
Großhirnbereich der Säugetiere. Hier laufen
alle aufgenommenen Umweltreize zusammen, werden Bewegungsabläufe geplant und
in Gang gesetzt, und hier entstehen unsere
Wahrnehmungen und Erkenntnisse.
Die Hirnrinde ist bemerkenswert komplex
aufgebaut, eine Eigenschaft, die im Laufe
ihrer Entwicklung entsteht. Ist diese erfolgreich abgeschlossen, besteht die Hirnrinde
aus sechs zellulären Schichten und einer
Vielzahl funktioneller Regionen mit jeweils
speziellen Aufgaben. Die Nervenzellen der
verschiedenen Schichten entstehen während
bestimmter Entwicklungsstadien. Sie haben
eine eigene Morphologie und Funktion und
knüpfen Verbindungen mit spezifischen Gehirnregionen und dem Rückenmark. Diese
Prozesse werden durch die Expression bestimmter Gene in Vorläuferzellen und Nervenzellen kontrolliert. Außerdem entwickelt
die kombinierte Expression von Transkriptionsfaktoren in der Entstehungszone eine Art
»Landkarte« für die nachfolgenden funktionellen Regionen des vollentwickelten Gehirns.
Wir erforschen die molekularen Mechanismen, die die Entwicklung der Hirnrinde
steuern, am Modell der Maus. Der Transkriptionsfaktor Pax6, beispielsweise, spielt
für die Entwicklung von Gehirn und Auge ei-
ne entscheidende Rolle. Wird Pax6 ausgeschaltet, bilden sich weniger Nervenzellen
und die Schichten und die funktionellen Regionen bauen sich fehlerhaft auf. Mäuse mit
diesen Fehlentwicklungen zeigen deutliche
Verhaltensstörungen. Die Inaktivierung von
PAX6 beim Menschen führt zu ähnlichen
A) Ist Pax6 abgeschaltet (rechts), weil Vorläuferzellen
vorzeitig aufgehört haben, sich zu teilen, bilden sich zwar
mehr Nervenzellen in den tieferen Schichten (L6, L5), aber
fast keine in den oberen Schichten (L4 bis L2).
B) Obwohl die motorische Region bei Mäusen mit
inaktivem Pax6-Gen deutlich geschrumpft ist, bleiben die
Verbindungen der Nervenfasern in das Rückenmark und
in andere Regionen erhalten.
Missbildungen der Hirnrinde und Verhaltensstörungen (aniridia syndrome). Wir untersuchen, wie Pax6 im Zusammenspiel mit
anderen Proteinpartnern und Ziel-Genen die
Differenzierung von Vorläuferzellen im sich
entwickelnden Gehirn kontrolliert. Im erwachsenen Gehirn werden nur wenige Nervenzellen in bestimmten Regionen produziert. Nachdem wir nun die neurogenetischen Eigenschaften von Pax6 kennen,
möchten wir herausfinden, ob die Aktivierung von Pax6 und seinen Partnern im normalen oder beschädigten erwachsenen Gehirn die Entstehung neuer Nervenzellen für
eventuelle Reparaturprozesse anregen kann,
beispielsweise nach unzureichender Blutversorgung.
Der autoregulatorische Rückkopplungs-Mechanismus
zwischen Trim11 und Pax6 hält das Pax6-Niveau in einem
physiologischen Rahmen, welcher für eine normale Neurogenese notwendig ist.
Dr. Anastassia Stoykova
promovierte in Neurochemie am
Institut für Molekularbiologie der
Bulgarischen Akademie der Wissenschaften in Sofia (Bulgarien).
Von 1973 bis 1992 arbeitete sie
dort am Regeneration Research
Laboratory und am Institut für
Molekularbiologie. Zwischenzeitlich forschte sie als Alexander
von Humboldt-Stipendiatin am
Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin (1980-81) und
am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie (1988-89).
Nach ihrer Habilitation 1989 kehrte
sie 1992 an das Max-PlanckInstitut für biophysikalische
Chemie zurück. Seit 2002 leitet
Anastassia Stoykova dort eine eigene Arbeitsgruppe, seit 2008 im
Rahmen des Minerva-Programms
die Forschungsgruppe »Molekulare Neuroentwicklungsbiologie«.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/research/
ags/stoykova
T. C. Tuoc, K. Radyushkin, A. B. Tonchev,
M. C. Piñon, R. Ashery-Padan, Z. Molnar,
M. S. Davidoff, A. Stoykova: Selective
cortical layering abnormalities and behavioral deficits in cortex-specific Pax6
knock-out mice. J. Neurosci. 29, 83358349 (2009).
T. C. Tuoc, A. Stoykova: Trim11 modulates the function of neurogeneic transcription factor Pax6 through ubiquitin
proteosome system. Genes Dev. 22,
1972-1986 (2008).
G. M. Fimia, A. Stoykova, A. Romagnoli,
L. Giunta, S. Di Bartolomeo, R. Nardacci,
M. Corazzari, C. Fuoco, A. Ucar, P.
Schwartz, P. Gruss, M. Pieacentini,
K. Chowdhury, F. Cecconi: AMBRA1 regulates autophagy and development of
the nervous system. Nature 447, 11211125 (2007).
77
Biomedizinische NMR
B
ildgebende Verfahren gewinnen in der biologischen und medizinischen Forschung zunehmend an Bedeutung. Dies gilt auch für die Magnetresonanz-Tomografie (MRT), die detaillierte
Einblicke in die Organsysteme von Mensch und
Tier ermöglicht, ohne dass der Körper einer Belastung ausgesetzt wird.
Die MRT ist damit nicht nur ein wichtiges Instrument in der medizinischen Diagnostik, sondern auch eine Methode für die Wissenschaft. Sie
verbindet molekularbiologische und genetische
Fortschritte mit den biochemischen, physiologischen und morphologischen Verhältnissen im
intakten Organismus. MRT-Untersuchungen von
Versuchstieren bereiten den Weg, um neue biologische Erkenntnisse für die Medizin zu nutzen.
In unserem Team verfolgen wir das Ziel, die
Methoden der bildgebenden MRT weiter zu verbessern. Bereits Mitte der 80er Jahre gelang es
uns, mit einem neuen Prinzip für die Aufnahme
schneller MRT-Bilder (FLASH) einen entscheidenden wissenschaftlichen, klinischen und wirtschaftlichen Durchbruch zu erzielen. Unsere aktuellen
Arbeiten befassen sich vor allem mit alternativen
»Ortskodierungen« sowie neuen mathematischen
Ansätzen für die Berechnung der Bilder. Daraus
ergeben sich zum Beispiel Vorteile für die parallele
MRT, die gleichzeitig Messdaten mithilfe einer
Vielzahl von Empfangsspulen aufnimmt. Große
Fortschritte erreichen wir mit sogenannten nichtkartesischen Kodierungsverfahren. So ermöglicht
es uns die radiale FLASH-MRT, dynamische Bildserien in Echtzeit aufzunehmen. Mit entsprechenden MRT-Filmen lassen sich selbst schnellste Bewegungen des Herzens unmittelbar und ohne Verzögerung darstellen.
Beim Denken »zuschauen«
Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit besonderen Formen der MRT, die spezielle Einblicke in
das Gehirn ermöglichen. So können wir aufgrund
Nervenfaserbahnen im Gehirn von Mensch (oben) und Rhesusaffe (unten). Die MRT kann die gerichtete
Bewegung des Wassers im Gewebe bestimmen. Damit lässt sich der dreidimensionale Verlauf von
Nervenfaserbahnen rekonstruieren, beispielsweise derjenigen Bahnen, die über den weißen Balken im
Zentrum des Gehirns kreuzen und funktionell gleichartige Areale der beiden Hirnhälften miteinander
verbinden. Grün = präfrontal, hellblau = prämotorisch, dunkelblau = motorisch, rot = sensorisch,
orange = parietal, violett = temporal, gelb = okkzipital.
78
Hochaufgelöste MRT-Aufnahme des Gehirns der
Maus. Bei einer Auflösung von 30 Mikrometern in der
Bildebene gelingt es, einzelne zelluläre Schichten im
Gehirn der anästhesierten Maus aufgrund ihrer unterschiedlichen Zelldichte und Myelinisierung zu identifizieren. Die Ausschnitte zeigen den Kortex (oben), den
Hippocampus (Mitte) und das Kleinhirn (unten).
der unterschiedlichen Beweglichkeit
des Wassers im Hirngewebe den Verlauf von Nervenfaserbahnen virtuell rekonstruieren. Mit Verfahren, die empfindlich auf Veränderungen des Blutflusses reagieren, untersuchen wir das
Gehirn bei Denkprozessen. Wir etablieren beispielsweise eine funktionelle
Rückkopplung (Neurofeedback), mit der
Versuchspersonen selbstkontrolliert die
Aktivität in ausgewählten Systemen des
eigenen Gehirns beeinflussen lernen.
Einen wichtigen Schwerpunkt unserer Forschungen bilden MRT-Unter-
Mit der MRT lässt sich das schnelle Herzschlagen in Echtzeit »filmen«. Die radial
kodierte FLASH-MRT erlaubt Untersuchungen schneller Organbewegungen bei freier
Atmung und ganz ohne Synchronisation mit
dem EKG. Gezeigt sind 15 aufeinanderfolgende Bilder (von links oben nach rechts unten),
die in einem Abstand von 30 Millisekunden
aufgenommen wurden, das entspricht etwa
33 Bildern pro Sekunde. Der 450 Millisekunden dauernde Ausschnitt repräsentiert die
systolische Phase eines einzelnen Herzschlags, in der sich der Herzmuskel verdickt
und kontrahiert.
suchungen von Versuchstieren. Diese
betreffen vor allem Fragen der Hirnforschung an genetisch veränderten
Mäusen. In Zusammenarbeit mit anderen Arbeitsgruppen erforschen wir verschiedene Modelle menschlicher Hirnerkrankungen, zum Beispiel neurodegenerative Veränderungen oder Multiple
Sklerose. Die MRT erlaubt es uns,
Krankheitsverläufe und neue therapeutische Ansätze im einzelnen Tier zu beobachten. Um die Verfahren an das
Mausgehirn anzupassen, müssen wir
die MRT-Methoden erheblich weiterentwickeln. So können wir mit hochaufgelösten Darstellungen die konventionelle Untersuchung von Gewebeproben durch strukturelle und funktionelle MRT-Messungen im lebenden
Versuchstier erweitern.
Prof. Dr. Jens Frahm studierte
Physik an der Georg-August-Universität Göttingen und promovierte 1977 in Physikalischer Chemie.
Anschließend forschte er als
Assistent am Max-Planck-Institut
für biophysikalische Chemie, wo
er von 1982 bis 1992 die aus BMFTMitteln geförderte Forschungsgruppe »Biomedizinische NMR«
leitete. Seit 1993 ist er wissenschaftlicher Leiter der gemeinnützigen »Biomedizinischen NMR
Forschungs GmbH«, die sich über
die Max-Planck-Gesellschaft aus
den Einnahmen eigener Patente
finanziert. Jens Frahm hat sich
1994 in Physikalischer Chemie
habilitiert und lehrt als außerplanmäßiger Professor für Physikalische Chemie an der Universität
Göttingen. Für seine Arbeiten erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter die Gold Medal der
International Society for Magnetic Resonance in Medicine (1991),
den Beckurts-Preis (1993), den
Niedersächsischen Staatspreis
(1996) und den SobekForschungspreis (2005). Seit
2005 ist er Ordentliches Mitglied
der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.
Kontakt:
[email protected]
www.biomednmr.mpg.de
S. Boretius, T. Michaelis, R. Tammer, A.
Tonchev, R. Ashery-Padan, J. Frahm, A.
Stoykova: In vivo MRI of altered brain
anatomy and fiber connectivity in adult
Pax6 deficient mice. Cerebr. Cortex,
doi: 10.1093/cercor/bhp057 (2009).
M. Uecker, T. Hohage, K. T. Block, J.
Frahm: Image reconstruction by regularized nonlinear inversion – Applications
to parallel imaging. Magn. Reson. Med.
60, 674-682 (2008).
S. Hofer, J. Frahm: Topography of the
human corpus callosum revisited –
Comprehensive fiber tractography
using magnetic resonance diffusion
tensor imaging. NeuroImage 32, 989994 (2006).
79
Genexpression und Signalwirkung
A
Dr. (Univ. Kiew) Halyna Shcherbata
studierte Biologie an der Nationalen Universität in Lemberg
(Ukraine) und promovierte 1996
am Institut für Pflanzenphysiologie und Genetik der Nationalen
Akademie der Wissenschaften
der Ukraine in Kiew. Von 2000 bis
2003 war sie außerordentliche
Professorin in der Abteilung »Genetik und Biotechnologie« an der
Nationalen Universität in Lemberg, gefolgt von einem Postdoktorandenaufenthalt an der University of Washington (Seattle, USA).
Von dort wechselte sie im Jahr
2008 an das Max-Planck-Institut
für biophysikalische Chemie, wo
sie seitdem die Max-PlanckForschungsgruppe »Genexpression und Signalwirkung« leitet.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/
groups/shcherbata
n Muskeldystrophien leiden allein in
Deutschland mehr als 30.000 Menschen. Die Muskeln Erkrankter verlieren
zunehmend an Masse, ihr Schwund lässt
sich nicht heilen. Geht es darum, diese erblichen Muskelerkrankungen zu erforschen,
so ist die Taufliege Drosophila melanogaster
als Modellorganismus dafür wie geschaffen –
wenn dies auch auf den ersten Blick nicht
so scheinen mag. Dabei machen wir uns
zunutze, dass sich die Fliege vergleichsweise
einfach manipulieren lässt, aber dennoch
komplex aufgebaut ist. So haben wir in unserer Arbeitsgruppe eine Fliegenvariante
entwickelt, in der zwei Gene defekt sind, die
bei Muskeldystrophien eine Rolle spielen:
Dystroglykan und Dystrophin. Die Folgen
dieser Defekte sind denen beim Menschen
sehr ähnlich: Die Fliegen verlieren zunehmend ihre Beweglichkeit, ihre Muskelmasse nimmt ab, und ihr Hirn wird geschädigt.
Mithilfe unserer Fliegenmodelle untersuchen wir die molekularen Komponenten
und Signalwege, die diese Gene in der
Zelle regulieren. Die Ursachen von Muskeldystrophien besser zu verstehen, könnte
zukünftig dazu beitragen, neue Therapieansätze zu entwickeln.
Stammzellen als stille Reserve
Stammzellen sind ein weiterer Forschungsschwerpunkt. Stammzellen finden sich
nicht nur im Embryo. Adulte Stammzellen
bilden die Reserve des Körpers, um Gewebe mit dem nötigen Nachschub an neuen
Zellen zu versorgen. Damit Stammzellen
nicht zur Neige gehen, erzeugen sie stets
zweierlei Nachkommen: Nur eine Tochterzelle entwickelt sich zu einem bestimmten
Zelltyp, die andere bleibt Stammzelle.
Wir möchten herausfinden, wie die
Selbsterneuerung und der Erhalt von
H. R. Shcherbata, A. S. Yatsenko, L. Patterson, V. D. Sood, U. Nudel, D. Yaffe,
D. Baker, H. Ruohola-Baker: Dissecting
muscle and neuronal disorders in a
Drosophila model of muscular dystrophy. EMBO J. 26, 481-493 (2007).
H. R. Shcherbata, E. J. Ward, K. A.
Fischer, J. Y. Yu, S. H. Reynolds, C. H.
Chen, P. Xu, B. A. Hay, H. RuoholaBaker: Stage-specific differences in the
requirements for germline stem cell
maintenance in the Drosophila ovary.
Cell Stem Cell 1, 698-709 (2007).
80
(A) Drosophila adulte
Keimbahn-Stammzellen
(mit weißen Linien markiert) und ihre Stammzellnische (mit Pfeilen gekennzeichnet, pink).
(B) Die vergrößerte
Stammzellnische einer
Mutante kann mehr
Stammzellen aufnehmen.
Drosophila entwickelt einen altersabhängigen
Muskeldystrophie-Phenotyp, der benutzt wurde, um
Modifizierungsmittel zu überprüfen. (A) Architektur
des transversalen Wildtyp-Muskelquerschnittes. (B)
Dg-Mutanten zeigen schwere Muskeldegeneration.
Stammzellen gesteuert wird. Uns interessiert vor allem, welche Rolle mikro-Ribonukleinsäure-Moleküle – miRNAs – dabei
übernehmen. Stammzellen arbeiten in ihrem Gewebe nicht autonom, sondern sie
werden durch Signale aus ihrer Umwelt –
ihrer Stammzell-Nische – reguliert. Nur in
ihrer speziellen Nische kann sich eine
Stammzelle selbst erneuern. miRNAs kontrollieren dabei nicht nur die Teilung der
Stammzellen; sie sorgen auch für deren Erhalt in der Nische.
Wir machen uns zunutze, dass sich
Stammzellen – ebenso wie Nischenzellen –
in der Taufliege leicht auffinden lassen. Im
Fliegen-Genom fahnden wir nach neuen
Genen, die bei diesen Prozessen mit den
miRNAs interagieren. Wir hoffen, damit
ein generelles Modell für die beteiligten
Signalwege zu entwickeln, um darüber
Stammzellen manipulieren zu können. Da
miRNAs nicht nur klein sind, sondern
auch spezifisch, und zudem leicht von Zellen aufgenommen werden, sind sie als
mögliche Therapeutika in regenerativer
Medizin und bei der Behandlung von
Krebs besonders vielversprechend.
Schlaf und Wachsein
S
chlafen und Wachsein sind Teil des
Lebens eines jeden Tieres und eines
jeden Menschen. Warum wir wach sind,
scheint offensichtlich. Aber warum schlafen wir? Im Schlaf bewegt man sich weniger und nimmt seine Umwelt kaum wahr.
Wer schläft, ist somit leichter verletzlich.
Warum also begibt sich ein Lebewesen in
einen solch gefährlichen Zustand?
Ohne Schlaf fühlen wir Menschen uns
müde und sind leistungsschwach. Forscher
glauben heute, dass Schlaf nicht nur wichtig
für den Energiehaushalt ist, sondern auch für
das Nervensystem. Während des Schlafens
wird Energie gespart, und das Nervensystem
hat Zeit zu regenerieren. Aber was regeneriert sich eigentlich in den Nervenzellen?
Unsere Arbeitsgruppe versucht herauszufinden, was beim Schlafen in den Nervenzellen passiert. Wir möchten wissen,
wie ein Nervensystem einschläft und wieder aufwacht, und woher es weiß, dass es
müde ist und schlafen muss. Wir möchten
die lebenswichtigen Funktionen von Schlaf
verstehen, die es Lebewesen unmöglich
machen, auf Dauer darauf zu verzichten.
Der schlafende Wurm
Wir erforschen Schlafen und Wachsein an
einem der einfachsten Tiermodelle, das
einen schlafähnlichen Zustand besitzt:
dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans.
Bei den meisten Tieren, die wie der
Mensch dem Sonnenlicht ausgesetzt sind,
ist der Schlaf-Wach-Rhythmus an den äußeren Tag-Nacht-Zyklus angepasst. Der im
Boden lebende Wurm C. elegans spürt von
der Sonne dagegen nichts. Sein SchlafWach-Rhythmus wird von einem exakt
vorbestimmten inneren Entwicklungsprogramm gesteuert. Die Larven von C. elegans durchleben in ihrer Entwicklung genau vier ausgeprägte Schlafphasen. Nach
jedem Schlaf häuten sich die Tiere.
Ein großer Vorteil für unsere Untersuchungen ist, dass das Nervensystem von
C. elegans extrem einfach aufgebaut ist. Da
die Tiere transparent sind, können wir das
Nervensystem im intakten Organismus
sowohl während des Schlafes als auch
während des Wachseins beobachten und
manipulieren.
Unsere daraus gewonnenen Erkenntnisse möchten wir an komplexer aufgebauten Tieren und auch am Menschen
überprüfen, um etwas über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Schlafen
und Wachsein bei verschiedenen Organismen zu lernen.
Dr. Henrik Bringmann studierte
Biologie in Göttingen und Heidelberg und promovierte 2007 am
Max-Planck-Institut für Zellbiologie und Genetik in Dresden.
Anschließend arbeitete er als
Postdoktorand am Laboratory of
Molecular Biology in Cambridge,
England. Seit 2009 leitet er die
Max-Planck-Forschungsgruppe
»Schlaf und Wachsein« am
Göttinger Max-Planck-Institut für
biophysikalische Chemie. Henrik
Bringmann wurde 2008 mit der
Otto-Hahn-Medaille der MaxPlanck-Gesellschaft ausgezeichnet.
Kontakt:
[email protected]
www.mpibpc.mpg.de/research/
ags/bringmann
Montage zweier Bilder desselben Wurms.
Gezeigt sind Verbindungen zwischen Nervenzellen (die Synapsen) des wachen C. elegans
(rot), und des schlafenden Tieres (grün).
H. Bringmann: Mechanical and genetic
separation of aster- and midzone-positioned cytokinesis. Biochem. Soc. Trans.
36, 381-383 (2008).
H. Bringmann, C. R. Cowan, J. Kong,
A. A. Hyman: LET-99, GOA-1/GPA-16,
and GPR-1/2 are required for aster-positioned cytokinesis. Curr. Biol. 17,
185-191 (2007).
H. Bringmann, A. A. Hyman: A cytokinesis furrow is positioned by two consecutive signals. Nature 436, 731-734
(2005).
H. Bringmann, G. Skiniotis, A. Spilker,
S. Kandels-Lewis, I. Vernos, T. Surrey:
A kinesin-like motor inhibits microtubule dynamic instability. Science 303,
1519-1522 (2004).
81
Gene und Verhalten
W
er einmal mit dem Flieger mehrere Zeitzonen
überquert hat, der kennt das Gefühl in den
ersten Tagen danach: Tagsüber lähmt einen bleischwere Müdigkeit, nachts wälzt man sich hellwach im Bett. Ein klarer Fall von Jetlag. Unsere innere Uhr braucht ein paar Tage, bis sie sich auf den
um mehrere Stunden verschobenen Tagesrhythmus
eingestellt hat. Doch es funktioniert: Nach ein paar
Tagen »ticken« wir wieder synchron zur Außenwelt.
Die Probleme, die bei einem Jetlag auftreten,
sind ein anschauliches Beispiel dafür, wie äußere
Einflüsse unsere innere Uhr stören. Dabei muss
man eigentlich von vielen inneren Uhren sprechen, denn die physiologischen Abläufe im Körper
bis hin zu unserem Verhalten werden von einem
ganzen Netz molekularer Zeitgeber koordiniert.
Die einzelnen Organe beherbergen jeweils eigene
periphere Oszillatoren, die unter der zentralen
Kontrolle des im Hypothalamus gelegenen zirkadianen Schrittmachers stehen, dem suprachiasmatischen Nukleus (SCN).
Die inneren Uhren der Organe passen sich unterschiedlich schnell an die veränderten äußeren
Einflüsse an. Dabei spielt die Uhr der Nebenniere
eine entscheidende Rolle, wie wir durch Experimente mit Mäusen zeigen konnten. Das Organ
Beim Down-Syndrom
sind neben vielen anderen Genen auch das
PCP4 und Col18a1 in drei
Kopien vorhanden. PCP4
(links) ist im Nervensystem wirksam, während
Col18a1 – ein KollagenGen (rechts) – im Bindegewebe des MausEmbryos aktiv ist.
82
schüttet normalerweise das Hormon Kortisol aus und nimmt so
maßgeblichen Einfluss auf die
Uhren anderer Organe. Hemmt
man die Kortisol-Synthese, passt
sich der Körper schneller an die
neue Zeitzone an. Diese Erkenntnis eröffnet einen Weg zur Hormontherapie des Jetlags.
Ein Atlas der Uhrengene
Einsichten dieser Art erhalten wir, indem
wir die für die zirkadiane Uhr maßgeblichen Gene analysieren. Eine reichhaltige,
einzigartige Quelle von Uhrengen-Kandidaten
sind die von uns mitentwickelten Atlanten der
Genaktivität im Gehirn (www.brain-map.org,
www.geneatlas.org). Um diese molekularen Karten
zu erstellen, haben wir hochauflösende und automatisierte Techniken entwickelt. So können wir
effizient Gene identifizieren, die zum Beispiel in
der Zentraluhr des SCN im Hypothalamus tagesrhythmisch aktiviert werden. Solche KandidatenGene entfernen wir dann gezielt im SCN von Mäusen und bestimmen über Laufrad- und molekulare
Experimente, ob die zirkadiane Uhr defekt ist.
auf DNA-Abschnitte, die
Wachstum und Struktur
der Großhirnrinde koordinieren.
Ein Beispiel ist das
Esco2-Gen, das in den
Stammzellen der Großhirnrinde für eine kurze
Zeit wirksam ist und
während der Zellteilung
den Zusammenhalt der
Chromosomen reguliert.
Entfernt man bei Mäusen
dieses Gen in der Wachstumszone der Großhirnrinde, so werden die Tiere ohne diesen Teil des Hirns geboren. Menschen, bei denen das
Esco2-Gen mutiert ist, leiden unter einer schwerwiegenden Erbkrankheit, die man als Roberts-Syndrom bezeichnet. Wir verwenden unsere Esco2-Mausmutanten, um sowohl
die molekularen Prozesse der Zellteilung als auch die Ursache des RobertsSyndroms zu erforschen.
Der Expressionsatlas eröffnet uns
auch neue Einsichten in das Metabolom, die Gesamtheit aller Moleküle im
Stoffwechsel (Metabolismus) eines Organismus. Viele dieser Moleküle zeigen
über den Tag verteilt Konzentrationsschwankungen. Inzwischen kennen wir
beispielsweise die Aktivitätsmuster aller
360 Solute Carrier (SLC)-Gene. Diese
enthalten die Baupläne für die SLCProteine, wichtige Porenproteine in biologischen Membranen. Sie schleusen
kleine Moleküle wie Nährstoffe, Vitamine, Hormone und Mineralien zwischen Zellen ein und aus und innerhalb
einer Zelle hin und her. Wenn wir wissen, wann welche Gene aktiv sind, können wir einen hochauflösenden Atlas
des Stoffaustausches über den gesamten Säugetierorganismus konstruieren,
mit besonderem Augenmerk auf die zirkadianen Aspekte des Stoffwechsels.
Entwicklungsgene unter der Lupe
Unsere Atlanten der Genexpression
(www.genepaint.org, www.eurexpress.
org) sind auch ein wichtiger Fundus,
um zu erforschen, wie Gene die Entwicklung des Gehirns im Embryo beeinflussen – der zweite große Forschungsschwerpunkt in unserer Abteilung. Wir konzentrieren uns primär
Prof. Dr. Gregor Eichele studierte
Chemie und Strukturbiologie und
promovierte 1980 an der Universität Basel. Im Anschluss forschte
er von 1981 bis 1984 als Postdoktorand an der University of California, San Francisco (USA) auf
dem Gebiet der Entwicklungsbiologie. 1985 bis 1990 war er Mitglied der Fakultät der Harvard
University School of Medicine
Boston (USA) und wechselte
von 1991 bis 1998 an das Baylor
College of Medicine, Houston
(USA). Er war von 1997 bis 2006
Direktor und Wissenschaftliches
Mitglied am Max-Planck-Institut
für experimentelle Endokrinologie. Seit 2006 ist Gregor Eichele
Direktor am Max-Planck-Institut
für biophysikalische Chemie und
Leiter der Abteilung »Gene und
Verhalten«. Für seine Forschung
erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1991 den FriedrichMiescher-Preis und den McKnight
Neuroscience Development
Award sowie 2000 den Innovation
Award in Functional Genomics.
Kontakt:
[email protected]
http://genesandbehavior.mpibpc.
mpg.de
V. Jakubcakova, H. Oster, F. Tamanini,
C. Cadenas, M. Leitges, G. T. van der
Horst, G. Eichele: Light entrainment of
the mammalian circadian clock by a
PRKCA-dependent posttranslational
mechanism. Neuron 54, 831-843 (2007).
E. S. Lein, M. J. Hawrylycz, N. Ao, et al.:
Genome-wide atlas of gene expression in
the adult mouse brain. Nature 445, 168176 (2007).
In der Abbildung wird die Aktivitätsstärke (grün
bis rot) von 36 Solute Carrier-Genen (SLCs) in
der Nebenniere der Maus gezeigt. Je früher am
Tag ein SLC sein Aktivitätsmaximum (rot)
erreicht, desto weiter oben befindet es sich im
Diagramm. Man erkennt leicht, dass selbst in
einer Gruppe von gerade einmal 36 SLC-Genen
eine klare tageszeitliche Präferenz auftritt.
A. Visel, J. Carson, J. Oldekamp, M.
Warnecke, V. Jakubcakova, X. Zhou, C. A.
Shaw, G. Alvarez-Bolado, G. Eichele: Regulatory pathway analysis by highthroughput in situ hybridization. PLoS
Genet. 3, 1867-1883 (2007).
J. P. Carson, T. Ju, H. C. Lu, C. Thaller,
M. Xu, S. L. Pallas, M. C. Crair, J. Warren,
W. Chiu, G. Eichele: A digital atlas to
characterize the mouse brain transcriptome. PLoS Comput. Biol. 1, e41 (2005).
83
Zirkadiane Rhythmen
A
Dr. Henrik Oster promovierte
2002 an der Universität Freiburg
(Schweiz) in Biochemie. Von 2002
bis 2007 forschte er am MaxPlanck-Institut für experimentelle
Endokrinologie in Hannover und
am Wellcome Trust Centre for Human Genetics an der Universität
Oxford (England). Seit 2007 leitet
er als Emmy-Noether-Preisträger
der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Arbeitsgruppe
»Zirkadiane Rhythmen« am MaxPlanck-Institut für biophysikalische
Chemie. Für seine Forschung erhielt Henrik Oster 2002 den Fakultätspreis der Universität Freiburg
(Schweiz) und 2003 die Otto-HahnMedaille der Max-Planck-Gesellschaft.
Kontakt:
[email protected]
http://circadianrhythms.mpibpc.
mpg.de
D. Lupi , H. Oster, S. Thompson, R. G.
Foster: The acute light-induction of
sleep is mediated by OPN4-based photoreception. Nat. Neurosci. 11, 10681073 (2008).
H. Oster, S. Damerow, S. Kiessling, V.
Jakubcakova, D. Abraham, J. Tian, M.
W. Hoffmann, G. Eichele: The circadian rhythm of glucocorticoids is regulated by a gating mechanism residing in
the adrenal cortical clock. Cell Metab.
4, 163-173 (2006).
H. Oster, S. Baeriswyl, G. T. van der
Horst, U. Albrecht: Loss of circadian
rhythmicity in aging mPer1-/-mCry2-/mutant mice. Genes Dev. 17, 13661379 (2003).
84
lles Leben auf unserer Erde verläuft in
Zyklen. Einer der einflussreichsten dieser Zyklen ist der tägliche Wechsel von Tag
und Nacht. Der Tageslauf bringt weitreichende Veränderungen der Umwelt mit
sich, die es optimal zu nutzen gilt. Um dies
zu erreichen, haben fast alle Lebewesen – von
Bakterien bis hin zum Menschen – innere
Zeitmesser entwickelt (sogenannte zirkadiane
Uhren). Damit bestimmen sie die aktuelle
Tageszeit, um die Physiologie ihres Körpers
und ihr Verhalten optimal auf die jeweiligen
Anforderungen vorzubereiten. Diese innere
Uhr ist genetisch verankert. Sie funktioniert
deshalb auch, wenn äußere Zeitgeber wie
die Sonne fehlen. Die innere Uhr lässt uns
abends müde werden, weckt uns morgens
wieder auf und steuert die Ausschüttung
zahlreicher Hormone im 24-Stunden-Takt.
Unsere Forschungsgruppe interessiert
sich für die molekularen Mechanismen,
die hinter diesen Phänomenen stecken.
Um diese zu ergründen, haben wir Mäuse
gezüchtet, in denen einzelne Steuergene
der inneren Uhr – die übrigens beim Menschen ganz ähnlich funktioniert – ausgeschaltet sind. An diesen Mäusen untersuchen wir nun die Veränderung ihrer Tagesrhythmen. Dabei interessieren wir uns besonders für das Schlaf-Wachverhalten der
Tiere sowie das Zusammenspiel zwischen
der inneren Uhr und der Nahrungsaufnahme und -verwertung.
Oben: Wenn man das Uhrenprotein PER2 an das
Leuchtprotein LUCIFERASE koppelt, kann man mit
dem Lichtsignal, das bei der Luciferin-Spaltung entsteht, den Rhythmus der inneren Uhr sichtbar machen.
Unten: Lichtemissionsrhythmen in LeberschnittKulturen aus Mäusen mit PERIOD2-LUCIFERASEFusionsprotein.
lare »Ticken« der Uhr, sondern auch, wie
die Uhr im lebenden Gewebe auf Stoffwechsel-Signale reagiert.
Wir erhoffen uns davon neue Ansatzpunkte, zum Beispiel für die Behandlung
von »Rhythmus-Krankheiten« beim Menschen wie Schlafstörungen, Winterdepression und das sogenannte NachtesserSyndrom (engl. Night Eating Syndrome).
Das Ticken der Uhr zum Leuchten bringen
So stellen wir den Mäusen ein Laufrad in
den Käfig, mit dem wir sehr präzise den Aktivitätsrhythmus der Tiere messen können.
Bei anderen Tieren haben wir ein Leuchtprotein aus dem Glühwürmchen an die innere Uhr gekoppelt. Anhand des Leuchtsignals verfolgen wir nicht nur das moleku-
Laufradaktivität einer
Cry1-mutanten Maus unter LichtDunkel-Bedingungen (LD) und in
konstanter Dunkelheit (DD). In DD
folgt der Aktivitätsrhythmus des
Tieres seiner inneren Uhr mit einer
Periodenlänge von ca. 22 Stunden,
während unter LD die innere Uhr
mit dem Tagesrhythmus synchronisiert ist (24 Stunden pro Zyklus).
Das Institut in aller Kürze
Mitarbeiter:
837, davon 473 Wissenschaftler
Geschäftsführender Direktor:
Professor Dr. Helmut Grubmüller (2009 – 2010)
Assistentin des Geschäftsführenden Direktors:
Eva-Maria Hölscher
Verwaltungsleiter:
Manfred Messerschmidt
Kontakt:
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
(Karl-Friedrich-Bonhoeffer-Institut)
Am Faßberg 11 · 37077 Göttingen
Telefon: +49 (0)551 201-0 · Fax: +49 (0)551 201-1222
www.mpibpc.mpg.de
Wissenschaftliche Abteilungen
Gene und Verhalten (Professor Dr. Gregor Eichele)
Membranbiophysik (Professor Dr. Erwin Neher)
Molekulare Entwicklungsbiologie (Professor Dr. Herbert Jäckle)
Molekulare Zellbiologie (Professor Dr. Peter Gruss;
für die Zeit seiner Präsidentschaft bei der MPG beurlaubt)
NanoBiophotonik (Professor Dr. Stefan W. Hell)
Neurobiologie (Professor Dr. Reinhard Jahn)
NMR-basierte Strukturbiologie (Professor Dr. Christian Griesinger)
Physikalische Biochemie (Professor Marina Rodnina)
Theoretische und computergestützte Biophysik (Professor Dr. Helmut Grubmüller)
Zelluläre Biochemie (Professor Dr. Reinhard Lührmann)
Zelluläre Logistik (Professor Dr. Dirk Görlich)
Biomedizinische NMR (Professor Dr. Jens Frahm)
Kuratorium
Ralf O. H. Kähler · Vorstandsvorsitzender der Volksbank Göttingen
Thomas Keidel · Geschäftsführender Gesellschafter der Mahr GmbH, Göttingen
Dr. Joachim Kreuzburg · Vorstandsvorsitzender der Sartorius AG, Göttingen
Dr. Wilhelm Krull · Generalsekretär der VolkswagenStiftung, Hannover
Dr. Peter Lange · Ministerialdirektor, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berlin
Prof. Dr. Gerd Litfin (Vorsitzender) · Aufsichtsratsvorsitzender der LINOS AG, Göttingen
Wolfgang Meyer · Oberbürgermeister der Stadt Göttingen
Thomas Oppermann · Mitglied des Deutschen Bundestages, Berlin
Gerhard Scharner · Ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Göttingen
Reinhard Schermann · Landrat des Landkreises Göttingen
Dr. Herbert Stadler · Vorstandsvorsitzender der Affectis Pharmaceuticals AG, München
Ilse Stein · Chefredakteurin, Göttinger Tageblatt
Volker Stollorz · Redakteur, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Westdeutscher Rundfunk
Lutz Stratmann · Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kunst, Hannover
Prof. Dr. Rita Süssmuth · Ehemalige Präsidentin des Deutschen Bundestages, Berlin
Prof. Dr. Kurt von Figura · Präsident der Georg-August-Universität Göttingen
85
Wissenschaftlicher Beirat
Professor Dr. Hugo Bellen
Howard Hughes Medical Institute, Baylor College of Medicine (Houston, USA)
Professor Dr. Carmen Birchmeier-Kohler
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (Berlin)
Professor Dr. David Case
BioMaPS Institute and Department of Chemistry & Chemical Biology,
Rutgers University (Piscataway, USA)
Professor Dr. Christopher Dobson
University of Cambridge (Cambridge, UK)
Professor Dr. Gideon Dreyfuss
Howard Hughes Medical Institute,
University of Pennsylvania (Philadelphia, USA)
Professor Dr. Mary Beth Hatten
Rockefeller University (New York, USA)
Professor Dr. Peter Jonas
Universität Freiburg (Freiburg i. Breisgau)
Professor Dr. Michael Levitt
Stanford University (Stanford, USA)
Professor Dr. David Nesbitt
University of Colorado at Boulder (Boulder, USA)
Professor Dr. Peter So
Massachusetts Institute of Technology (Cambridge, USA)
Professor Dr. Joan Steitz (Vorsitzende)
Yale University (New Haven, USA)
Professor Dr. Joseph Takahashi
Howard Hughes Medical Institute, University of Texas (Dallas, USA)
Professor Dr. Peter Walter
University of California (San Francisco, USA)
86
Sie erreichen uns ...
... mit dem Auto
Autobahn A7 Kassel-Hannover, Ausfahrt Göttingen Nord. An der ersten Ampel geradeaus der B27
in Richtung Braunlage folgen. Nach knapp 2 km
links einbiegen in Richtung Nikolausberg (beschildert). Die dritte Straßeneinmündung links
führt auf das Institutsgelände.
... mit dem Zug
Ab Göttingen Hauptbahnhof mit dem Taxi zum
Institut oder mit dem Stadtbus der Linie 8 und 13
in Richtung Innenstadt. An einer der ersten vier
Haltestellen umsteigen in die Linie 5 Richtung
Nikolausberg. Die Haltestelle »Am Faßberg« liegt
kurz vor dem Institutsgelände.
... mit dem Flugzeug
Flughafen Frankfurt/Main oder Hannover
Ab Flughafen Frankfurt vom Fernbahnhof nach
Göttingen (Richtung Hamburg, Berlin; direkte Züge
verkehren im Zweistundentakt). Alternativ vom
Regionalbahnhof mit Zug oder S-Bahn nach Frankfurt/Hbf (Züge nach Göttingen zweimal stündlich). Fahrzeit mit dem Auto ca. drei Stunden.
Ab Flughafen Hannover mit der S-Bahn zum
Hauptbahnhof Hannover, von dort mit dem ICE
oder IC nach Göttingen (Fahrzeit ca. 30 Minuten).
Fahrzeit mit dem Auto ca. 1,5 Stunden.
87
Abbildungen
Seite 5 (unten, links): Medialer Nucleus des Trapezkörpers (MNTB) im Gehirn, injiziert mit GFP-Adenovirus (grün). Der vesikuläre Glutamattransporter
VGLUT1 ist rot angefärbt. (Meike Pedersen, Abteilung
für Membranbiophysik)
Seite 5 (unten, zweites Bild von links): Räumliche
Struktur von Bakteriorhodopsin. Archaebakterien
wie Halobacterium halobium benutzen die lichtgetriebene Protonenpumpe zur Energieproduktion.
(Helmut Grubmüller, Abteilung für Theoretische
und Computergestützte Biophysik)
Seite 5 (unten, zweites Bild von rechts): Aus dem
embryonalen Gehirn der Maus wurden neurale
Stammzellen gewonnen, die sich in Gewebekultur in
sogenannte Sternzellen (Astrozyten, grün) differenziert
haben. Zellkerne sind blau angefärbt. (Michael Kessel,
Forschungsgruppe Entwicklungsbiologie)
Seite 5 (unten rechts): Das Hormon Insulin in zwei
unterschiedlichen Darstellungsformen. (Helmut
Grubmüller, Abteilung für Theoretische und Computergestützte Biophysik)
Seite 12 (oben): Deutscher Zukunftspreis,
Ansgar Pudenz
Seite 13: Schärferer Blick auf das Innere von Zellen:
Die Abbildung zeigt Filamente in einer menschlichen
Nervenzelle; rechts durch ein herkömmliches Konfokalmikroskop, links durch ein STED-Mikroskop.
(Stefan W. Hell, Abteilung für NanoBiophotonik)
Seite 21: Konfokale Fluoreszenzmikroskopie-Aufnahme
von Beutelratten-Zellen, in denen das Aktin-Zytoskelett
rot, das Tubulin-Zytoskelett grün und der Zellkern blau
angefärbt ist. (Christian Wurm, Stefan Jakobs;
Forschungsgruppe Struktur und Dynamik von
Mitochondrien)
Seite 30: Federico Neri, fotolia.com
Seite 33: Inter-Stilist, fotolia.com
Seite 34: Der »head tail connector« der phi29-DNAPolymerase. Er ist an der DNA-Verpackung während
der Virus-Reproduktion beteiligt. Die DNA ist blau
dargestellt. (Mattias Popp, Abteilung für Theoretische
und Computergestützte Biophysik)
Seite 48/49: Struktur der größten Untereinheit des
Spleißosoms, des sogenannten »tri-snRNP« (links) und
vier weitere Strukturen seiner »beweglichen« Komponente (U5 snRNP). (Holger Stark, Forschungsgruppe
Dreidimensionale Kryo-Elektronenmikroskopie)
Seite 54/55 (oben): Bakterienzellen.
(Irochka, fotolia.com)
Seite 56/57: Milliarden Nervenzellen sind im menschlichen Gehirn zu einem komplexen Netzwerk verknüpft. (Sebastian Kaulitzki, fotolia.com)
Seite 6: Konfokale Fluoreszenzmikroskopie-Aufnahme
von Beutelratten-Zellen, in denen das Tubulin-Zytoskelett angefärbt ist. (Christian Wurm, Stefan Jakobs;
Forschungsgruppe Struktur und Dynamik von
Mitochondrien)
Seite 7 (unten rechts): Max-Planck-Institut für
Neurobiologie
Seite 8 (unten links): Archiv der Max-PlanckGesellschaft
Seite 9 (oben): Räumliche Struktur des molekularen
Kraftsensors Titinkinase. (Helmut Grubmüller,
Abteilung für Theoretische und Computergestützte
Biophysik)
Seite 9 (unten): Dirk Bockelmann, Abteilung für
NMR-basierte Strukturbiologie
88
Seite 64: Konfokale Fluoreszenzmikroskopie-Aufnahme
von Beutelratten-Zellen, in denen das Tubulin-Zytoskelett rot und der Zellkern blau angefärbt ist. (Christian
Wurm, Stefan Jakobs; Forschungsgruppe Struktur
und Dynamik von Mitochondrien)
Seite 65: Die zentrale Einrichtung »Innovative
Lichtmikroskopie«. (Alexander Egner)
Seite 70/71: Schnitt durch das Gehirn der Maus mit
sogenannten Sternzellen (Astrozyten, grün) in der
oberen Schicht und Nervenzellen (rot) in der unteren Schicht. Zellkerne sind blau angefärbt.(Michael
Kessel, Forschungsgruppe Entwicklungsbiologie)
Seite 76/77: Emilia Stasiak, fotolia.com
Seite 82/83: FinePix, fotolia.com (alte Uhr)
Seite 84: Kyslynskyy, fotolia.com
Impressum
Herausgeber
Texte
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Titelbild
Schlussredaktion
Layout
Druck
Koordination
Internet
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Am Faßberg 11 · 37077 Göttingen
Marcus Anhäuser, Diemut Klärner, Dr. Carmen Rotte;
in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
Irene Böttcher-Gajewski, Peter Goldmann (S. 10 unten links, S. 17 oben
rechts), Heidi Wegener (S. 85)
Irene Böttcher-Gajewski
Dr. Ulrich Kuhnt, Silvia Petrova, Dr. Carmen Rotte
Rothe-Grafik, Georgsmarienhütte; Hartmut Sebesse
Druckhaus Fromm, Osnabrück
Dr. Carmen Rotte
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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