Das TV bringt die Kauflust zurück

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Das TV bringt die Kauflust zurück
Marketing Business
Teleshopping
Das TV bringt die Kauflust zurück
Kaufunlustig, zurückhaltend im Konsum oder werberesistent. So sehen Handel und Hersteller immer
häufiger den Verbraucher. Vielleicht ist es aber auch nur eine Frage des Mediums: Teleshopping, also
das Kaufen per Fernsehen, ist beliebt wie nie.
Im Dezember waren Produkte aus
Mikrofaser der absolute Renner. Ob
Bettwäsche, Handtücher, Damenunterwäsche oder Steppdecken – bei QVC,
Deutschlands Marktführer im Teleshopping, verkaufte sich der flauschige Stoff
wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Und nicht nur der: 939 Millionen
Euro Umsatz erwirtschafteten die drei
deutschen Verkaufssender QVC, HSE 24
und RTL Shop im Jahr 2004, so eine
Schätzung von Goldmedia. Das sind
20,8 Prozent mehr
als im Jahr davor.
Während EinzelR A C T I C E und Versandhandel
unisono über die
Kaufzurückhaltung des deutschen Kunden klagen, ist das Wachstum des
Teleshopping ungebrochen. Die Berliner
Marktforscher prophezeien dem Verkauf
via Fernsehen jährliche Zuwachsraten
von elf Prozent. Im Jahr 2009 sollen
demnach im Teleshopping 1,5 Milliarden Euro umgesetzt werden.
Angesichts eines erwarteten Einzelhandelsumsatzes von rund 370 Milliarden
Euro in 2004 ist das Teleshopping noch
ein kleiner Markt, der „nicht dazu angetan ist, Millionenverluste in anderen
Best
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Segmenten aufzufangen“, so Dr. Konrad
Hilbers, Vorstandsvorsitzender der Home
Shopping Europe AG in Ismaning, die
HSE 24 betreibt. „Aber“, fügt er hinzu,
„Teleshopping ist ein zartes Pflänzchen,
das wächst und wächst.“
Genau genommen wächst dieses Pflänzchen seit zehn Jahren: Am 16. Oktober
1995 ging Deutschlands erster Teleshopping-Sender als Jointventure von Pro7
und Quelle unter dem Namen H.O.T.,
Home Order Television, an den Start. Inzwischen in HSE 24 umfirmiert, verzeichnet das Unternehmen heute 1,58
Millionen aktive Kunden und meldet für
das Jahr 2003 einen Umsatz von 308 Millionen Euro. Der Verkaufssender bringt
Produkte aus über 20 Kategorien, wie
Beauty und Wellness, Haushalt, Mode,
Schmuck und Uhren, überwiegend an
die Frau. 70 Prozent der HSE 24-Kundschaft sind weiblich. Die Kundinnen
sind durchschnittlich 50 Jahre alt, verheiratet und leben in einem Zwei-Personen-Haushalt. Die Einkaufssender
freuen sich über diese Kundenstruktur.
Es handelt sich um eine kaufkräftige
und treue Klientel mit einem guten Zahlungsverhalten, die überdies das für den
Verbraucher günstige deutsche Retouren-
recht nicht missbraucht. TeleshoppingAnbieter gewähren ihren Kunden meist
größere Rechte als vom Gesetzgeber
ohnehin vorgesehen. So können Waren
bis zu 30 Tage lang problemlos zurückgesandt werden. Experten sind sich einig:
Der gute Kundenservice ist ein wesentlicher Grund für den Erfolg des Teleshopping. Der Service beginnt mit stets gut
gelaunten und bestens informierten Verkäufern, die beispielsweise bei QVC
jedes Produkt zwischen acht und zwölf
Minuten lang detailliert und live erklären
und dabei stets den Nutzen für den Kunden hervorheben. Handelt es sich um
technische Geräte, wird auch die Inbetriebnahme erläutert, so dass sich
der Käufer später nicht mit einer komplizierten Gebrauchsanleitung herumschlagen muss.
TELESHOPPING KENNT KEIN
LADENSCHLUSSGESETZ
Dank der Live-Präsentation beantwortet
der Moderator noch während der Sendung direkt die Fragen von Anrufern.
Steht ein Produkt kurz vor dem Ausverkauf, gibt der Producer dem Moderator
per Funk einen Hinweis, den er sofort an
die Zuschauer weitergibt. Damit bleibt
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den Kunden von vornherein die enttäuschende Nachricht erspart, dass ein bestelltes Produkt nicht vorrätig ist.
Neben einem guten Moderator, einem
Sortiment mit erklärungsbedürftigen Produkten, einer emotionalen Präsentation
und dem Live-Betrieb ist die Bequemlichkeit ein weiterer Erfolgsfaktor des
TV-Shoppens: Der Kunde muss weder
einen Parkplatz suchen noch Schlange
stehen. Er muss sich nicht durch Kaufhäuser drängeln oder die Ladenschlusszeiten berücksichtigen. Alles, was er
braucht, ist ein Fernseher, ein Telefon –
und Zeit. Letzteres ist ein Grund, warum
Teleshopping für den Business-to-Business-Bereich nur geringe Erfolgsaussichten hat: Welche Geschäftsleute haben
schon die Muße, 24 Stunden fernzusehen,
bis vielleicht das von ihnen gewünschte
Produkt präsentiert wird?
„Teleshopping ist ein Medium des Findens, nicht des Suchens“, sagt Dr. Konrad Hilbers. Die Sender bauen auf das
Impulsgeschäft, und das erfordert ein
interessantes Angebot und eine flexible
Dr. Konrad Hilbers:
„Teleshopping ist
ein zartes Pflänzchen, das wächst
und wächst.“
Logistik. So konnte HSE 24 Ende vergangenen Jahres sehr kurzfristig an einen
größeren Posten von Medion-Navigationssystemen kommen, die sofort ins
Programm gehoben wurden. Der Kunde
belohnt derlei Aktionen: Binnen weniger
Tage verkaufte der Shopping-Kanal mehr
als 4 000 Geräte. Das gleiche Prinzip
funktioniert auch bei anderen Artikeln wie
beispielsweise Topfsets von WMF. Anderes, Kosmetikartikel zum Beispiel, verkauft
sich nicht über kurzfristige Sonderangebote. Hier setzen die Shopping-Kanäle auf
den Aufbau von Eigenmarken.
Im TV-Verkauf stellt sich sehr schnell
heraus, ob ein Produkt bei den Kunden
ankommt. Per Echtzeit-Auswertung wird
analysiert, wie viele Produkte sich verkauft
haben und wie viele noch vorrätig sind.
Floppt ein Artikel, so gilt das Darwinsche
Gesetz: Er fliegt raus und wird sofort durch
ein anderes Produkt ersetzt. Aufwändige Markttests ersparen sich die Sender –
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der Test findet unmittelbar im LiveBetrieb statt. „Das ist“, sagt Dr. Ulrich
Flatten, Chief Executive Officer von QVC
Deutschland in Düsseldorf, „eine gute
Möglichkeit, neue Produkte in den Markt
einzuführen. Wo sonst können Markenartikelhersteller im Fernsehen acht bis
Dr. Ulrich Flatten:
„Markenartikler nehmen zunehmend
zur Kenntnis, dass
Teleshopping als
Vertriebskanal interessant ist.“
zwölf Minuten lang ihr neues Produkt
präsentieren?“ Wohl nicht nur aus diesem Grund verzeichnet der Sender-Chef
verstärktes Interesse seitens namhafter
Hersteller: „Markenartikler nehmen zunehmend zur Kenntnis, dass Teleshopping als Vertriebskanal interessant ist.“
Generell kann sich jeder Hersteller, egal,
ob Kleinstunternehmen, Mittelständler
oder Konzern, mit seinen Produkten bei
den Sendern bewerben. Erfüllt er die Voraussetzungen und die Qualitätsanforderungen, ist er mit seinen Waren schon
kurze Zeit später on air und erschließt sich
somit ein Millionenpublikum. Dieses
Potenzial haben im vergangenen Jahr
gleich zwei Bonner Großunternehmen für
sich entdeckt: Seit Juni 2004 hat die Deutsche Telekom eine eigene Verkaufsshow
bei RTL Shop, und seit dem 9. November 2004 ist der Sammlershop Philatelie
der Deutschen Post bei RTL Shop und dem
RTL Shop-Fenster auf Sendung. Für die
Verkaufsshow haben RTL Shop und Deutsche Post den Garanten der Seriosität als
Presenter angeheuert: den ehemaligen
Tagesschau-Sprecher Jo Brauner. Helmut Dallei aus der Marketingabteilung
bei Deutsche Post Philatelie ist mit dem
Erfolg des Pilotprojekts zufrieden. „Die
Philatelie hat zum ersten Mal einen Sendeplatz im Fernsehen“, schwärmt er. „Dadurch wird Philatelie lebendig.“ Die Bonner setzen auf eine Mischung aus Direktverkauf und Unterhaltung. Eingespielte
Beiträge über die Herstellung von Münzen und Briefmarken gewähren neben
der Live-Präsentation einen Blick hinter
die Kulissen. Philatelie-Kunden der
Deutschen Post erhalten mit der Kundenzeitschrift „Postfrisch“ eine Programmübersicht. Schon jetzt sprechen die Briefmarken-Spezialisten mit ihrer Sendung
T-Commerce: Entwicklung des
Gesamtumsatzes bis 2009 (in Millionen Euro)
2003
~ 2,7 Mrd.Euro
absatzwirtschaft
2009
~ 5,1 Mrd. Euro
6 000
Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate 2003 – 2009: ~ 11 Prozent
5 000
4 000
3 000
2 000
1 000
0
2003
2004
2005
Pay per View/(Near) Video on Demand
Reiseshopping
Pay-TV
2006
DRTV
2007
2008
2009
TV-basierte Telefon-Mehrwertdienste
Teleshopping
Quelle: Goldmedia GmbH, „T-Commerce 2009“, Dez. 2004
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Marketing Business
Teleshopping
der RTL Group hatten die so Euro stecken in dem durch Venturegenannten Diversifikations- Capital finanzierten „Biet“-Sender, der im
erlöse, also Aktivitäten jenseits Jahr 2006 den Breakeven erreichen soll.
der Werbung, einen Anteil Dr. Andreas Büchelhofer ist ebenso
von 15 Prozent, was rund 280 optimistisch wie ehrgeizig: „123 TV ist
Millionen Euro entspricht. angetreten, um die Kostenführerschaft im
Bei ProSiebenSat.1 lag der Teleshopping zu übernehmen.“ Der BietAnteil der ‚Sonstigen Erlöse‘ prozess funktioniere ohne Callcenter und
2003 bei sieben Prozent. Das voll automatisiert, was die Kosten niedrig
sind rund 125 Millionen halte. Die Logistik, das WarenwirtschaftsEuro. Beide Senderfamilien system und die Rechnungsstellung sind
streben für die nächsten Jah- an den Dienstleister DHL outgesourct.
re eine deutliche Verbreite- „Wir haben das ‚Geiz ist geil‘-Prinzip auf
rung dieser Erlössäule an.“
das Teleshopping übertragen“, sagt Dr.
Finanzplaner TV will sich über den alternativen
Neben den privaten Fernseh- Andreas Büchelhofer. Das allerdings
Vertriebskanal Fernsehen auch die Zielgruppe
sendern, Herstellern und den bedingt, dass 123 TV über eine um 60
der Türken in Deutschland erschließen.
drei Verkaufssendern setzen Prozent geringere Bruttomarge als die
nicht nur eingefleischte Sammler an. „Wir auch neue Anbieter auf den Siegeszug des Konkurrenten verfügt. Für das Jahr 2004
gewinnen neue Kunden hinzu“, so Hel- Teleshopping: zum Beispiel die 2002 in erwartet Dr. Büchelhofer rund 40 000
mut Dallei. Um ein breiteres Publikum zu Kerpen gegründete Finanzplaner TV registrierte Besucher, von denen schäterreichen, laufen seit Januar Trailer auf GmbH. Die produziert zurzeit den RTL zungsweise über 50 Prozent tatsächlich
RTL, außerdem testen die Bonner jetzt Finanzshop, den Finanzshop im RTL- einkaufen. Er ist „sehr zuversichtlich“, dass
auch Sende-Fenster bei N-TV und Vox.
Fenster, den Citibank Finanzshop sowie der Markt mit zunehmender DigitalisieRTL Shop ist der einzige Verkaufssender, Sendungen für einige Regionalsender. rung weiter wächst.
der Unternehmen exklusive Sendezeiten Außerdem erschließen sich die
anbietet. Zum Nutzen beider Seiten: Kerpener mit Produktionen
Telekom, Deutsche Post, Otto & Co er- für türkische Sender auch die
schließen sich den Vertriebskanal Fern- attraktive deutsch-türkische
sehen, und RTL Shop kann seinen Kun- Zielgruppe. „Finanzplaner TV
den renommierte Marken bieten. Der im war von Anfang an profitabel“,
März 2001 gestartete Sender, eine 100- sagt Geschäftsführer Jörg Birprozentige Tochter der RTL Group, hat kelbach, der seinen gut dotierim Vergleich zu seinen Mitbewerbern ten Banker-Posten verlassen
QVC und HSE 24 eine geringere Reich- hat, um den „gigantischen
weite, verfügt aber über Sendefenster bei Wachstumsmarkt“ TV-BanRTL, Vox, N-TV, NBC und bei Regio- king zu erobern.
nalsendern. 2005 will der Shopping-Ka- Als jüngster Newcomer ist im Die Drei vom RTL-Shop (v. l.): Walter Freiwald,
nal den Breakeven erreichen. Geschäfts- Oktober 123 TV auf Sendung Ex-Tagesschausprecher Jo Brauner und
führer Heinz Scheve kann dabei auf gegangen. Der Sender bietet Ralf Kühler moderieren für den Verkaufssender.
die Unterstützung des Mutterkonzerns zwar das übliche Teleshopbauen, denn für die Privatsender ist ping-Sortiment, differenziert sich aber mit „Wir glauben an das weitere Wachstum!“,
Teleshopping angesichts sinkender einem neuen Geschäftsmodell von der sagt auch HSE-24-Chef Dr. Konrad HilWerbeeinnahmen eine willkommene Re- Konkurrenz: Jeder Artikel kostet zu- bers. Wenn es nach ihm geht, wird der
finanzierungsquelle. ARD und ZDF ha- nächst einen Euro und wird dann unter älteste Shopping-Sender Deutschlands
ben das Nachsehen: Teleshopping ist, den Anrufern versteigert. Es handelt sich im Jahr 2005 noch „ordentlich draufvon DRTV-Spots (interaktives Fernsehen) also sozusagen um Ebay für Fernsehzu- legen“. Mit Jubiläumsaktionen anlässlich
einmal abgesehen, für sie unzulässig.
schauer. Initiiert wurde der neue Sender des zehnten Geburtstags soll sich der
von zwei Urgesteinen des Teleshopping Abstand zum Marktführer QVC verrinTV-SENDER KÖNNEN ERLÖSE AUS in Deutschland: Dr. Andreas Büchel- gern. Seinem grundsätzlichen Resümee
T-COMMERCE GUT GEBRAUCHEN
hofer und Henning Schnepper, heute zum Thema wird aber wohl kein BranMichael Lessig, Berater bei Goldmedia, Geschäftsführer und Gesellschafter von chenteilnehmer widersprechen. Es lautet:
führt aus: „Bei den Privaten ist T-Com- 123 TV in Unterföhring, waren über vie- „Teleshopping ist ein sehr erfreuliches
merce als zusätzliche Erlösquelle bereits le Jahre Top-Führungskräfte bei H.O.T, Geschäft!“
Realität: Am 2003er-Deutschland-Umsatz dem heutigen HSE 24. Rund 20 Millionen
Vera Hermes
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absatzwirtschaft 2/2005