Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung
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Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung
UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung Autor: Dr. Martin Huber Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GISStandardisierung 1. Ziele Viele Organisationen arbeiten mit Geografischen Informationssystemen (GIS) und Geodaten, beim "Zusammen"-arbeiten funktioniert jedoch noch vieles nicht so wie es könnte. Das Zusammenspiel verschiedener geografischer Informationssysteme und von GIS mit den übrigen Systemen der Informationsund Kommunikationstechnologie (ICT) heißt im Fachausdruck GISInteroperabilität. Die GIS-Technologie hat sich seit den frühen 1960er Jahren als eigenständige Linie der Informationstechnologie (IT) entwickelt. Zentrale Problemstellung für die GIS-Entwicklung war immer, die geringen Rechenkapazitäten optimal auszunutzen. Dies ist der Grund dafür, dass verschiedene allgemeine Aufgabenstellungen im GIS optimiert und unabhängig von den Konzepten in anderen Bereichen der Informatik entwickelt wurden. Inzwischen sind die Rechner für GIS genügend schnell und einige Dinge, die für GIS optimiert entwickelt wurden, werden von anderen ICT-Lösungen besser abgedeckt (z.B. offene Datenbanken oder Integration mit anderen Applikationen). Für die breite Nutzung der Geodaten und der GIS-Technologie muss sich die GIS-Gemeinschaft heute darum bemühen, ihre Leistungen im allgemeinen ICTKontext verfügbar zu machen. Somit tun GIS-Lösungsarchitekten gut daran, sich auch in die allgemeinen Lösungskonzepte und Architekturen der ICT zu vertiefen, damit sie GIS optimal in einem weiteren Kontext nutzbar machen können. Zudem ist es sinnvoll, eine GIS-Architektur zu entwickeln, die Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Systemkomponenten reduziert und die Schnittstellen standardisiert. Damit kann viel flexibler als mit monolithischen Lösungen auf die sich ändernden Anwendungsanforderungen reagiert werden. Die zentrale Herausforderung ist dabei, die GIS-Funktionalitäten präzise zu definieren und nutzbringend in prozessunterstützende Produktions- und Entscheidungsunterstützungssysteme einzubringen. Die GIS-Standardisierung setzt genau hier an, indem sie sinnvolle GIS-Funktionspakete definiert und in Form von Schnittstellenspezifikationen festlegt. Wer diesen Spezifikationen folgt, erhält in der Regel eine sinnvolle Aufteilung seiner GIS-Komponenten in unabhängige Module und schafft die Voraussetzungen für die Interoperabilität mit anderen ICT-Anwendungen. In dieser Lektion wird aufgezeigt, 29.10.2008 • dass GIS-Interoperabilität eine wichtige Grundlage für die breite Nutzung von Geodaten im Alltag und im Geschäftsleben sowie für die Weiterentwicklung der GIS-Technologie darstellt, • dass GIS-Interoperabilität nur durch Standardisierung erreichbar ist und • dass GIS-Interoperabilität sehr viel damit zu tun hat, wie Unternehmen und © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 1 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung Autor: Dr. Martin Huber öffentliche Verwaltungen ihre Geschäftsprozesse organisieren. Darüber hinaus wird eine Übersicht über die wichtigsten Standardisierungs- und Normierungsgruppen und deren Betätigungsfelder geschaffen. Speziell wir auf das Open Geospatial Consortium (OGC) eingegangen, dessen Spezifikationen im diesem Modul behandelt werden. Dazu wird die Vision des OGC dargestellt, das bisher Erreichte gewürdigt und anhand des Fahrplans ein Blick auf die bevorstehenden Arbeiten geworfen. 2. Die drei Phasen im Aufbau einer GIS-Lösung Die GIS-Technologie hat sich seit 1960 in mehreren Phasen entwickelt, jeweils unter Nutzung der Fortschritte in der Computertechnologie, aber auch in Abhängigkeit der Entwicklung der Denkmodelle der räumlich tätigen Wissenschaften. Zu Beginn stand der Wunsch, den geografischen Raum und die Objekte darin auf dem Computer zu verwalten und kartografisch darzustellen. Dann folgte die Entwicklung quantitativer geografischer Analysen und Modelle. Heute geht die GIS-Entwicklung dahin, dass geografische Daten und Methoden in die unterschiedlichsten Anwendungen hineingetragen werden und beginnen dort zum selbstverständlichen Funktionsumfang zu werden, als ob es nie eine Trennung zwischen eigenständigen GIS-Anwendungen und dem Rest der Informationstechnologie gegeben hätte. Auch auf der Ebene jedes einzelnen GIS-Projekts kann in der Regel diese Entwicklung von der Spezialanforderung der räumlichen Asset Verwaltung hin zur vollständigen Integration der GIS-Daten und -Funktionen in die Geschäftsanwendungen beobachtet werden: 29.10.2008 • In der ersten Phase geht es um die Bereitstellung und Verwaltung von Daten. Die einzelne Organisation ist mit ihren eigenen Aufgaben beschäftigt und zeigt noch wenig Interesse am Datenaustausch. Die eingesetzte GISTechnologie ist auf die Erfassung und Verwaltung von Geodaten ausgerichtet. In Spezialsystemen stehen vor allem grafische Konstruktionswerkzeuge bereit, beispielsweise um einen Lotpunkten von einem beliebigen Punkt auf eine Linie zu erstellen, eine Parallele zu zeichnen oder einen Linienzug – sowohl durchgezogen als auch unterbrochen – auf einem gescannten Plan zu verfolgen. Die Geodaten werden anfangs zumeist in speziell entwickelten proprietären Formaten und Datenbanken verwaltet. Die GIS-Industrie hat es geschafft, mehrere Hundert verschiedene GISFormate zu definieren – meist aus Gründen der Optimierung für eine spezifische Aufgabe. Statt der proprietären Dateiformate werden inzwischen vermehrt Datenbanken mit offengelegten, standardisierten Schnittstellen verwendet (z.B. SQL (ISO 9075, s. www.iso.org)). • In der zweiten Phase nutzen organisationsinterne Spezialisten die Geodaten, indem sie diese kartografisch darstellen und Modellrechnungen anstellen. Entsprechend der Breite der GIS-Anwendungsfelder gibt es eine breite Palette spezieller Anwendungsprogramme. Beispiele dafür sind Spezialprogramme für die Verwaltung von Mutationen in einem Parzellennetz ikombiniert mit Netzausgleichsrechnung für die Integration neuer Messpunkte bei Parzellenteilungen, Multikriterienanalyse für Raumplanungs-, respektive Raumordnungsaufgaben, Ausbreitungsmodelle für die Frequenz- und Standortplanung von Funknetzen oder Werkzeuge zur Modellierung von Naturgefahren und zur Festlegung von Schutzgebieten. © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 2 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung Autor: Dr. Martin Huber Am Übergang von der ersten zur zweiten Phase treten erste Datenaustauschprobleme auf, wenn die Daten mit anderen Systemen und in anderen Formaten erfasst werden, als sie nachher verarbeitet werden. Da Quelle und Ziel in der Hand der gleichen Organisation sind, können diese Probleme jedoch leicht durch eine feste Schnittstelle zwischen den involvierten Systemen gelöst werden. • In einer dritten Phase sollen die Geodaten und die geografischen Analysemethoden für alltägliche Aufgaben in der Geschäftsabwicklung und im privaten Bereich eingesetzt werden. Eine spezifische GIS-Ausbildung der Anwender kann nicht erwartet werden. Ursprünglich wurden hierzu abgespeckte Versionen der professionellen GIS-Softwarepakete angeboten, später auch einfache Internet-GIS-Viewer. Beides entspricht jedoch nicht dem echten Bedarf der breiten Masse, denn dieser ist die Arbeit mit Karten grundsätzlich fremd. Deshalb wird heute sehr intensiv an der Automatisierung der GIS-Nutzung gearbeitet, so dass nur das für den Anwender relevante Ergebnis einer Geodatenanalyse präsentiert wird. Ein zielgerichtetes Design der Benutzerschnittstellen wird zum entscheidenden Erfolgskriterium wie beispielsweise bei Navigationssystemen, welche die vorliegenden Geodaten nicht nur als einfach lesbare Karten, sondern auch in Form sinnvoller mündlicher Fahranweisungen ausgeben müssen. Vielerorts ist die geografische Analyse bereits so in ein System eingebaut, dass die Anwender sie gar nicht mehr wahrnehmen, z.B. bei Logistik- und Einsatzleitsystemen, die automatisch die zu einem Einsatzort am nächsten liegende freie Ressource für einen Einsatz beauftragen. Damit sparen Sicherheitskräfte, Entstörungsdienste und Transportunternehmen bedeutende Kosten. Undenkbar, dass sich jemand bei solchen Anwendungen noch mit einzelnen GIS-Dateien und unterschiedlichen Formaten beschäftigt. Naturraum Infrastruktur Sozio-ökonomische Aktivitäten Dokumentation Was ist wo? Inventare, topografische Karten Netzdokumentation, Parzellarvermessung Thematische Kartierung Analyse Was kommt zusammen vor? Ökosystemanalyse Netzverfolgung Multikriterienanalyse Modellierung Was wäre wenn? Naturgefahren, landwirtschaftliche Ertragsvorhersage Investitions- und Erneuerungsplanung „Politik“, „Strategie“, Raumplanung, Verkehrsplanung Abbildung 1: Klassische GIS-Aufgaben der Phase 1 (Dokumentation) und Phase 2 (Analyse und Modellierung), die üblicherweise durch Spezialisten in Spezialsystemen ausgeführt werden (Entwurf M. Huber 2003, Grafiken aus SimCity 3000). Heute sind viele Geodaten aus Phase-1-Projekten verfügbar. Spezialistensysteme aus Phase 2 sind breit im Einsatz. Die große Herausforderung ist nunmehr die Inwertsetzung der großen Investitionen in Daten, Systeme und Know-how im Rahmen von integrierten Anwendungen gemäß Phase 3. Die Wertschöpfung in 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 3 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung Autor: Dr. Martin Huber der öffentlichen Verwaltung und im kommerziellen Unternehmen erfolgt heute weitgehend durch die Abwicklung von Geschäftsprozessen. Daher wird die GISTechnologie ihren wertvollen Beitrag für die Gesellschaft nur leisten können, wenn sie sich nahtlos in die Abwicklung von Geschäftsabläufen und Entscheidungsprozessen einbringen kann. 3. Applikationen zur Geschäftsabwicklung Eine Unternehmensapplikation ist dadurch charakterisiert, dass mehrere Benutzer im Verlauf einer Geschäftsfallbearbeitung auf gemeinsame Daten zugreifen und diese gemäß ihrer Aufgabe und der dazu verfügbaren Information verändern. Daraus ergeben sich u. a. folgende Anforderungen: • Mehrbenutzerbetrieb: Daten und Systeme müssen von mehreren Anwendern gleichzeitig benutzt werden können. Dabei ist sicherzustellen, dass nur berechtigte Zugriffe und Manipulationen erfolgen und alle Transaktionen jederzeit nachverfolgt werden können. • Prozessabwicklung: Jeder Geschäftsprozess in einer arbeitsteiligen Organisation muss innerhalb einer vorgegebenen Zeit abgewickelt werden. • Spezifizität: Daten müssen kontext- und aufgabenspezifisch abgefragt und präsentiert werden. • Transaktionssicherheit: Jede Transaktion muss zu einem konsistenten Datenbestand führen, so dass der Datenbestand zu jedem Zeitpunkt ein korrektes Abbild des Geschäftsablaufs darstellt. Soll die geografische Datenverarbeitung in diesen Kontext eingebracht werden, dann muss nicht ein neues GIS-Anwendungsprogramm gebaut werden, das alle diese technisch anspruchsvollen Aufgaben übernimmt. Vielmehr soll der DesignAnsatz lauten: „So wenig GIS wie nötig“. Die Architekturen von Geschäftsapplikationen haben eine lange Entwicklungsgeschichte hinter sich und werden laufend weiterentwickelt und umgebaut. Das GIS soll von dieser Entwicklung profitieren und nur dort selber etwas definieren, wo es um geografische Aufgaben geht. Damit werden Doppelspurigkeiten vermieden und Kosten gespart. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass • Unternehmensapplikationen die wesentlichen Bereiche Mehrbenutzerbetrieb, Prozessabwicklung, Präsentation/Interaktion und Transaktionen abdecken, • integrierte GIS-Lösungen von diesen Infrastrukturen profitieren können, wenn sie sich an die entsprechenden Standards halten und • sich GIS-Funktionalitäten und damit die GIS-Standards auf das konzentrieren können, was typisch geografisch ist und nicht bereits durch einen ICT Standard abgedeckt ist (ICT, auch IKT: Informations- und Kommunikationstechnologie). Herauszufinden, was speziell an der geografischen Datenverarbeitung ist und daher nicht mit Standardwerkzeugen der ICT abgehandelt werden kann, ist eines der Hauptziele dieses Moduls. 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 4 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung 4. Autor: Dr. Martin Huber Entwicklung der GIS-Technologie hin zur Interoperabilität 4.1. Modularisierung und Standardisierung Geografische Informationssysteme waren lange Zeit geschlossene Systeme, die Datenhaltung, Verarbeitung und Präsentation in einem Stück Software vereinigten (s. Abbildung 2 links). Dies hatte den Vorteil, dass die Datenflüsse minimiert werden konnten, was bei den für damalige Rechenkapazitäten riesigen Datenmengen von Belang war. Als Ende der 1980er Jahre mehr Geodaten verfügbar wurden, stieg auch der Bedarf, Daten verschiedener Systeme zusammenzubringen. Einerseits mussten externe Datenbanken an das GIS angebunden werden, um zu den grafischen Objekten auch Sachinformationen zu verwalten. Andererseits wollte man von den Möglichkeiten der relationalen Datenbanken bzgl. Mehrbenutzerfähigkeit und Datensicherheit profitieren und deshalb die Geodaten in einer externen Datenbank verwalten. Für diese erste Öffnung in Richtung Mehrbenutzerdatenbanken wurden verschiedene Ansätze verfolgt, von denen aber keiner weit über den Einflussbereich eines einzelnen GIS-Produkts hinaus genutzt wurde. Somit handelte es sich damals nicht um Interoperabilität zwischen Produkten unterschiedlicher Hersteller, sondern um proprietäre Verfahren zur Speicherung von Geodaten auf konventionellen Datenbanken (s. Abbildung 2 rechts). Abbildung 2: Typische GIS-Software-Architekturen: geschlossenes proprietäres GIS mit eigener Datenhaltung (links); GIS mit Datenhaltung auf externem Datenbankmanagementsystem (DBMS), jedoch mit proprietären Datenstrukturen (rechts) (Entwurf M. Huber 1999). Echte GIS-Interoperabilität entwickelte sich erst ab 1998, als die ersten Implementationsstandards des Open Geospatial Consortiums (OGC), welches damals noch OpenGIS® Consortium hiess, publiziert wurden. Vorerst ging es um die systemübergreifende Nutzung von geografischen Daten. Mit den ersten OpenGIS-Standards konnten geografische Daten über wohldefinierte Aufrufe und Protokolle auf geografischen Datenbanken unterschiedlicher Hersteller verwaltet werden. Einzige Bedingung war, dass sowohl Clients als auch Server den Standard gemäß Vorgabe implementierten. 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 5 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung Autor: Dr. Martin Huber Modularisierung und Standardisierung der GIS-Technologie wurden in den folgenden Jahren systematisch vorangetrieben, analog der sich entwickelnden Architekturprinzipien von Unternehmenssystemen und Internetanwendungen. Abbildung 3 stellt diese modulare GIS-Architektur dar. Sie baut auf einer offenen Geodatenhaltung wie beispielsweise einer objekt-relationalen Datenbank auf. GIS-Applikationsmodule greifen auf diese Datenbank zu und stellen GIS-Funktionalität bereit, die über standardisierte Dienstaufrufe angefordert werden kann. Eine Applikationsserverplattform integriert die GISDienste und beliebige weitere Anwendungsdienste zu einem offenen Diensteangebot. Durch die modulare Bauweise kann die Diensteebene nach Bedarf ausgebaut oder umgebaut werden, ohne dass die darunter liegende Infrastruktur angepasst werden muss. Für den Endbenutzer stehen Benutzerschnittstellen bereit, welche Dienste aus dem Diensteangebot zusammenstellen und in sinnvoller Weise präsentieren – genau diejenigen Dienste, die für eine Aufgabe oder einen Prozessschritt benötigt werden. Wo immer zwei unterschiedliche Systeme oder Module miteinander kommunizieren müssen, erfolgt dies über standardisierte Schnittstellen. Abbildung 3: Service-orientierte, offene GIS-Architektur, die nach Bedarf flexibel mit neuen Diensten erweitert werden kann (Entwurf M. Huber 1999). Heute sind anerkannte Standards verfügbar, welche die Verwaltung von Geodaten, die Präsentation und interaktive Abfrage von Karten, Transaktionen mit Geodaten sowie Auskunftsdienste definieren. Wer heute eine Applikation mit Geodaten bauen will, kann somit freier aus den Komponenten verschiedener Hersteller auswählen und diese auch mit Open Source-Komponenten kombinieren. Entscheidend ist, dass eine Komponente die ihr zugedachte Rolle wahrnimmt und für die Interaktion mit den anderen Komponenten Standardschnittstellen verwendet. 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 6 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung 4.2. Autor: Dr. Martin Huber GIS-ICT-Integration Mit der größeren Flexibilität verschiebt sich die Verantwortung für die GISArchitektur und damit bezüglich Sicherheit, Leistung und Funktionalität. Früher lieferte ein Software-Hersteller die gesamte Lösung, heute sind meist mehrere Software-Hersteller und ein oder mehrere Systemintegratoren am Werk. Der Kunde wird häufiger mit technischen Entscheiden konfrontiert, die Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems haben können. Damit wachsen die Anforderungen an die GIS-Spezialisten, die vermehrt auch detailliertes Wissen zu Lösungsarchitekturen und Optimierungsmethoden in verteilten Infrastrukturen der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) haben müssen. Abbildung 4: Die isolierten GIS-Anwendungen finden ihren Weg in die Unternehmensapplikationen dank Standardisierung und Interoperabilität (Illustration S. Tomisawa 2002) Die GIS-ICT-Integration ist kein einseitiges Spiel, bei dem sich GIS an ICT anpassen muss. Der heute noch bestehende technologische Graben zwischen ICT-Systemen und GIS-Werkzeugen wird schrittweise durch Standardisierung und technologische Anpassungen auf beiden Seiten überbrückt. Dieser Aufwand wird von den Herstellern der Unternehmensapplikationen jedoch nur dann betrieben, wenn durch die Integration von GIS auch für die Geschäftsanwendungen Vorteile entstehen. Offensichtlich hat GIS außerhalb des klassischen Einsatzgebiets etwas zu bieten, denn viele große Softwarehersteller wie Microsoft, IBM oder Oracle beteiligen sich aktiv an Initiativen zur GIS-ICTInteroperabilität. Dieser neue Beitrag des GIS in einer integrierten ICT kann in seinem Ausmaß erst erahnt werden. Drei Entwicklungsrichtungen zeichnen sich ab: • Die Georeferenzierung entwickelt sich zu einem Grundprinzip der Datenorganisation in den so genannten Data Warehouses, wo Geschäftsdaten aus unterschiedlichen Anwendungen zu einem integrierten Datenbestand für analytische Zwecke zusammengeführt werden. • Die geografische Analyse und Visualisierung hilft unter dem Stichwort „Business Intelligence“, komplexe Zusammenhänge besser darzustellen und zu verstehen. • Die Steuerung von Geschäftsprozessen wird durch den Einbezug geografischer Daten und Methoden vereinfacht und automatisiert, vor allem in der Logistik, bei Planungs-, Bewilligungs- und Kontrollverfahren der öffentlichen Verwaltung sowie beim Bau und Unterhalt räumlicher Infrastrukturen. Allein die Gewinnerwartungen aus ortsspezifischer Internetwerbung – eine Kombination aller drei oben aufgeführten Tendezen – hat Firmen wie Google und Microsoft bereits zu Milliardeninvestitionen in GIS-Technologie und 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 7 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung Autor: Dr. Martin Huber Geodaten verleitet. Der Nutzen aus GIS kann durch die Integration der GISDienste in Geschäftsprozesse vervielfacht werden. Diese Integration benötigt Standards bezüglich des Aufrufs von GIS-Diensten. GIS-Standards sind aber nicht nur für die Prozessintegration wichtig. Zwei weitere Anwendungsgebiete sind der Aufbau von so genannten Geodateninfrastrukturen (GDI) und die Interoperabilität über Organisationsgrenzen hinaus. Geodateninfrastrukturen sind GIS-Dienste im öffentlich zugänglichen Internet, die Geodaten von allgemeiner Bedeutung bereitstellen. Warum soll jedes Stadtwerk den Vermessungsplan in sein GIS integrieren und selber eine Plandarstellung definieren, wenn das Vermessungsamt im Internet passende Plandarstellungen für alle anbieten kann? Damit Geodateninfrastrukturen allgemein genutzt werden, ist eine Standardisierung der darin angebotenen Dienste unabdingbar. Wenn Informationen über geografisch lokalisierbare Objekte zwischen Organisationen ausgetauscht werden sollen, bietet GIS-Interoperabilität, also der gemeinsame Daten- und Dienstezugriff über Organisationsgrenzen hinweg ein großes Einsparungspotenzial. Sollen beispielsweise die Bauvorhaben der Werke auf öffentlichem Grund gesammelt und durch das Tiefbauamt räumlich und zeitlich koordiniert werden, werden üblicherweise Dateien in irgendeinem GIS-Format ausgetauscht, die ins System des Tiefbauamts übersetzt und integriert werden müssen. Bei einer nächsten Lieferung muss geprüft werden, dass Objekte nicht doppelt erscheinen usw. Der Datenaustausch auf Dateibasis ist sehr aufwändig und fehleranfällig. Mit GIS-Interoperabilität erfolgt der Austausch direkt zwischen den unterschiedlichen Systemen auf Basis von Standardprotokollen. Es stehen mehrere Verfahren offen, für die jeweils ein spezifischer Standard definiert werden kann. Die GIS-Interoperabilität kann z.B. so sichergestellt werden, dass das Tiefbauamt mit seinem GIS direkt auf die Datenbestände der Werke zugreift. Eine Alternative dazu wäre, dass jedes Werk neue Bauvorhaben als einzelne Datenpakete an einen GIS-Dienst des Tiefbauamts schickt. Dieser Dienst seinerseits stellt über eine interne Schnittstelle alle Bauprojekte dem GIS des Tiefbauamts zur Verfügung. Interoperable Anwendung (z.B. im Tiefbauamt) Standardprotokoll Standardprotokoll Standardprotokoll GIS X GIS Y GIS Z Abbildung 5: Standardprotokolle ermöglichen den interoperablen Zugriff auf GIS Systeme verschiedener Hersteller (Entwurf F.Fischer, 2007) Weil die GIS-Standardisierung – wie wir nun gesehen haben – für die Realisierung des Nutzens aus GIS-Investitionen und auch für die technologische Weiterentwicklung der geografischen Informationssysteme so entscheidend ist, werden in den folgenden Lektionen dieses Moduls die wesentlichen Standards des Open Geospatial Consortiums (OGC) eingeführt und an Anwendungsszenarien vertieft. 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 8 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung 5. Autor: Dr. Martin Huber Organisationen in der GIS-Standardisierung 5.1. Open Geospatial Consortium (OGC) 5.1.1. Organisation Bezeichnung: Open Geospatial Consortium Offizielle Abkürzung: OGC Website: www.opengeospatial.org Einflussgebiet: Weltweit, 3 Firmen (USA, Europa, Asien) Mitglieder: Behörden, Universitäten und Forschungsanstalten, private Firmen. Verschiedene Mitgliedskategorien, abhängig vom jährlichen Mitgliederbeitrag: Strategische Mitgliedschaft (Jahresbeitrag zu verhandeln, zusätzlich Beiträge in Form von Personal und weiteren Leistungen von mindesten USD 250'000): Einflussmöglichkeiten auf die strategische Ausrichtung des Consortiums. Principal Member (Jahresbeitrag USD 55'000): Stimmrecht bei der Festlegung der Prozesse und bei der Wahl des Aufsichtsrats. Mitglied des technischen Komitees (USD 11'000): Mitspracherecht bei der Ausarbeitung von Standards. Associate Member (zwischen USD 500 (Universitäten) bis USD 4'400 (kommerzielle mittlere bis große Firmen, nationale Regierungsorganisationen)): Mitarbeit ohne Stimmrecht bei der Ausarbeitung von Standards. (siehe http://www.opengeospatial.org/ogc/join/levels) Entscheidungsgremien: Aufsichtsrat Technisches Komitee Mittel zur Durchsetzung von Standards: 5.1.2. Keine rechtlichen Mittel, faktische Umsetzungskraft durch mitarbeitende kommerzielle Firmen und Regierungsorganisationen. Betätigungsfelder Das OGC definiert auf konzeptueller Ebene ein umfangreiches Werk an abstrakten Spezifikationen (AS) sowie darauf aufbauende Implementationsspezifikationen (IS). 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 9 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung Autor: Dr. Martin Huber Bezeichnung Beschreibung AS Topic 1: Feature Geometry Konzeptuelles Schema für die Beschreibung geografischer Charakteristika von geografischen Features, Geometrie und Topologie. AS Topic 2: Spatial Referencing by Coordinates Modellierungsvoraussetzungen für georäumliche Referenzierung mittels Koordinaten. AS Topic 3: Locational Geometry Structures Konzeptuelles Modell für die technische Modellierung geometrischer Strukturen. AS Topic 4: Stored Functions and Interpolation Abstraktes Modell für die Bereitstellung geografischer Funktionen. AS Topic 5: Features Featuremodell. AS Topic 6: The Coverage Type Modell eines Grid-Layers. AS Topic 7: Earth Imagery Modellierung von Bildaufnahmen (Satellit, Luftaufnahmen etc.). AS Topic 8: Relationships Between Features Modellierung von Beziehungen zwischen Features. AS Topic 10: Feature Collections Modellierung von Sammlungen von Features gleichen Typs. AS Topic 11: Metadata Geografische Metadaten. AS Topic 12: The OpenGIS Service Architecture Service Architektur. AS Topic 13: Catalog Services Metadatendienste. AS Topic 14: Semantics and Information Communities Modellierung von Semantik in fachbereichsspezifischen Anwendergruppen. AS Topic 15: Image Exploitation Services Modellierung von Funktionen zur Bildauswertung. AS Topic 16: Image Coordinate Transformation Services Umwandlungsdienste von Bildkoordinaten. IS OpenGIS® Catalogue Service Implementation Specification Metadatendienste zum Auffinden und zur Beschreibung von geografischen Datenquellen. IS OpenGIS® Coordinate Transformation Service Implementation Specification Dienste zur Koordinatenumwandlung. IS OpenGIS® Filter Encoding Implementation Specification XML Struktur zur Formulierung von Filter- und Abfragekriterien (Prädikate) im Rahmen der OGC Common Abfragesprache. IS OpenGIS® Geographic Objects Implementation Specification Einfaches Geometriemodell für die Umsetzung mit üblicher Grafikhardware (Bildschirm, Grafikkarten, Maus etc.). IS OpenGIS® Geography Markup Language (GML) Encoding Specification XML Struktur für die Beschreibung von geografischen Features. IS OpenGIS® GML in JPEG 2000 for Geographic Imagery Encoding Specification Geografische Bildparameter in XML für die Beschreibung des geografischen Bezugs von JPEG 2000 Bilddaten. IS OpenGIS® Implementation Specification for Grundlegende Geometrien und räumliche 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 10 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung Autor: Dr. Martin Huber Bezeichnung Beschreibung Geographic information - Simple feature access - Part 1: Common architecture Operatoren für Speicherung und Abfrage von räumlichen Geometriedaten. IS OpenGIS® Implementation Specification for Geographic information - Simple feature access - Part 2: SQL option SQL Umsetzung der Simple Features. IS OpenGIS® Location Service (OpenLS) Implementation Specification: Core Services Mobile Lokalisierungs- und Informationsdienste. IS OpenGIS® Simple Features Implementation Specification for CORBA CORBA Umsetzung der Simple Features. IS OpenGIS® Simple Features Implementation Specification for OLE/COM Umsetzung der Simple Features in OLE-DB. IS OpenGIS® Styled Layer Descriptor (SLD) Implementation Specification Beschreibung der grafischen Auszeichnung von WMS Layern. IS OpenGIS® Web Coverage Service (WCS) Implementation Specification Erweiterung der WMS-Spezifikationen für die Darstellung von kontinuierlichen Felddaten (Raster Values). OpenGIS® Web Feature Service (WFS) Implementation Specification Dienst für die Abfrage und Modifikation von geografischen Features. IS OpenGIS® Web Map Context Implementation Specification Beschreibung des technischen Kontexts eines kartenorientierten Webdienstes. IS OpenGIS® Web Map Service (WMS) Implementation Specification Dienste-Schnittstelle für Web-basierte Kartenanzeige und Abfrage. IS OpenGIS® Web Service Common Implementation Specification Allgemeine (Selbst-)Beschreibung von geografischen Web-Diensten. Siehe auch http://www.opengeospatial.org/standards für eine Liste der aktuellen Standards. 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 11 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung Autor: Dr. Martin Huber 5.2. International Organization for Standardization (ISO) 5.2.1. Organisation Bezeichnung: International Organization for Standardization Offizielle Abkürzung: ISO Website: www.iso.org Einflussgebiet: Weltweit (offiziell 156 Länder, Generalsekretariat in Genf, Schweiz) Mitglieder: Nationale Normierungsbehörden, Mitgliederbeitrag abhängig vom nationalen Einkommen und weiteren Handelszahlen. Entscheidungsgremien: ISO Rat Generalsekretariat Generalversammlung Technische Komitees, TC 211 für die geografische Standardreihe ISO 191xx. Mittel zur Durchsetzung von Standards: Keine rechtlichen Mittel, starke faktische Umsetzungskraft durch die Mitglieder. Bemerkungen: Das ISO TC 211 stimmt seine Arbeit eng mit dem OGC ab, teilweise durch Personalunion. 5.2.2. Betätigungsfelder Eine Übersicht über die geografisch relevanten ISO Standards vermittelt http://gdi.berlin-brandenburg.de/papers/GIB_Uebersicht_ISO_Standards.pdf. 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 12 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung Autor: Dr. Martin Huber 5.3. Comité Européen de Normalisation (CEN) 5.3.1. Organisation Bezeichnung: Comité Européen de Normalisation, European Committee for Standardization Offizielle Abkürzung: CEN Website: www.cen.eu Einflussgebiet: EU und EFTA, 29 Länder Mitglieder: 29 Nationale Normierungsbehörden, assoziierte Mitglieder aus Repräsentanten der großen Industrieverbände Entscheidungsgremien: • Generalversammlung • Administrativrat • Technischer Rat • Technische Komitees, TC 287 für die geografische Standardreihe Mittel zur Durchsetzung von Standards: Die meisten Mitgliedsländer haben sich dazu verpflichtet, die CEN Standards als nationale Standards zu übernehmen. Bemerkungen: CEN TC 287 war bei Gründung des OGC in vielen Bereichen der Standardisierung schon weit fortgeschritten und führte diese Arbeit noch einige Jahre parallel zum OGC weiter. Dabei entstand ein umfangreiches Standardwerk, von dem aber nur der geografische Metadatenstandard einige Bedeutung erlangte. Mit der Gründung des ISO TC 211 und der von ISO signalisierten engen Zusammenarbeit mit OGC, verloren die CEN-Mitglieder ihr Interesse an der Weiterführung der Arbeit im CEN TC 287. Inzwischen sind die ursprünglichen geografischen CEN Standards aufgegeben worden und CEN ist daran, die ISO 191xx Standards einzuführen. Dieser Prozess hat insofern Bedeutung, als dass viele europäische Länder mit der Deklaration von ISO 191xx Standards als CEN-Standard, den entsprechenden ISO-Standard auch als nationalen Standard einführen müssen. 5.3.2. Betätigungsfelder Anpassung und Übernahme der geografischen ISO Standards für die CENMitgliedsländer in Europa. 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 13 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung 5.4. Nationale Normierungsgremien 5.4.1. Organisation Autor: Dr. Martin Huber DIN, Deutsches Institut für Normung e. V., www.din.de. Österreichisches Normungsinstitut, www.on-norm.at. Schweizerische Normen-Vereinigung, www.snv.ch. 5.4.2. Betätigungsfelder Anpassung und Übernahme der (geografischen) CEN-Standards für das jeweilige Land. Definition länderspezifischer geografischer Standards. z.B. Schweiz: SN 612030 INTERLIS Modellierungssprache und Datentransfermethode, SN 612031 INTERLIS 2 Modellierungssprache und Datentransfermethode, SIA GEO405, Geoinformationen zu unterirdischen Leitungen, SN 612010 Sicherheit und Schutz von Geodaten, SN 612040 Gebäudeadressen, SN 612050 GM03-Metadatenmodell - Schweizer Metadatenmodell für Geodaten (auf Basis von ISO 19115). z.B. Österreich: Ö-Norm 2260 Datenschnittstelle für den digitalen Austausch von Geo-Daten. Ö-Norm 2261 Objektschlüsselkatalog für Geo-Daten und ÖNorm 2263 XML-basierter Austausch von Geo-Daten. 6. Deails zum Open Geospatial Consortium (OGC) „Das Open Geospatial Consortium, Inc (OGC) ist ein internationales Industriekonsortium aus 366 Unternehmen, Regierungsorganisationen und Universitäten, das in einem konsensorientierten Prozess öffentlich verfügbare Schnittstellenspezifikationen entwickelt. OpenGIS® Spezifikationen bringen die Möglichkeiten der geo-räumlichen Datenverarbeitung in Web-, drahtlosen und ortsbezogenen Diensten sowie in Standard-Informatiklösungen. Die Spezifikationen befähigen Technologieentwickler, komplexe räumliche Informationen und Dienste in allen möglichen Applikationen zugänglich und 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 14 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung Autor: Dr. Martin Huber nützlich zu machen.“ Auf diese Weise beschreibt sich das OGC selbst auf seinen Webseiten (http://www.opengeospatial.org/ogc). Zu beachten ist, dass hinter OpenGIS ein ® ist, was heißt, dass OpenGIS® ein geschützter Handelsname ist. Früher hieß dass Consortium selber OpenGIS Consortium und die Mitglieder wachten sehr streng darüber, dass niemand den Namen OpenGIS benutzte, ohne den jährlichen Beitrag ans Consortium zu bezahlen. Dazu folgende „Anekdote“: Als 1998 die Schweizer Firma GeoTask AG als erste Firma weltweit und damals als Nicht-OGC-Mitglied die ersten verfügbaren OpenGIS® Spezifikationen in einem kommerziellen Produkt umsetzte, gratulierte der Präsident des Consortiums David Schell dem GeoTask-Geschäftsführer persönlich per Telefon. Er ermunterte ihn, den großen Anbietern mit innovativen Produkten den nötigen Druck zu machen, dass diese endlich die neuen Standards implementierten. Wenige Wochen später erhielt die GeoTask die Aufforderung, die Bezeichnung OpenGIS® aus all ihren Marketingunterlagen zu streichen. Einige Mitglieder hatten sich beim OGC beschwert, GeoTask benutze die Bezeichnung OpenGIS® unerlaubterweise und hätte auch keinen offiziellen Konformitätstest gemacht. Interessanterweise war das OGC damals noch nicht so weit, die neue GeoTask-Software überhaupt auf OpenGIS®-Konformität zu prüfen, auch wenn diese die damals dafür verlangten USD 10'000 auf den Tisch gelegt hätte. Wohl hatte niemand damit gerechnet, dass es jemand so schnell ernst nimmt mit der Realisierung der GIS-Interoperabilität. Inzwischen hat sich die Stimmung gedreht und das OGC hat eingesehen, dass es kontraproduktiv ist, diejenigen, die ihre Standards umsetzen, an den Pranger zu stellen. Im Gegenteil: Es wurde ein „Outreach and Community Adoption Program“ ins Leben gerufen, das zum Ziel hat, die OpenGIS®-Spezifikationen zu verbreiten und deren Anwendung zu fördern. Die klar ausgesprochene Absicht ist, dass OpenGIS® wie ein Gütesiegel für GIS-Interoperabilität sowohl von den Nachfragern verlangt als auch von den Anbietern geliefert wird. Ganz im Sinne der TV-Werbung: „Nehmen Sie nicht irgend eine Schnittstelle, bestehen Sie auf OpenGIS®!“. Es sei trotzdem empfohlen, sich genau zu erkundigen, für welche Zwecke die Bezeichnung OpenGIS® verwendet werden darf (http://www.opengeospatial.org/ogc/policies). 6.1. Geschichte Das Open Geospatial Consortium hat seine Wurzeln im GRASS-Projekt (grass.itc.it), dem aus einer Entwicklung der U.S. Army Construction Engineering Research Laboratories entstandenen, bisher größten Open-Source-GIS-Projekt. Als 1992 die U.S. Army ankündigte, die Gelder für GRASS zu streichen, wurde die „Open GRASS Foundation“ (OGF) gegründet, vorerst um Geld aufzutreiben für die weitere Pflege von GRASS. Die Gruppe um David Schell, Kurt Buehler und Ken Gardels entwickelte sich innerhalb kurzer Zeit zu einem wichtigen Bindeglied zwischen Herstellern und Anwendern, mit einer starken inhaltlichen Ausrichtung auf „Interoperabilität“ von GI-Systemen. Die Gründung der Open GIS Consortium, Inc. erfolgte im September 1994. Damit war eine Rechtsform für etwas gefunden, das sich schon etliche Jahre aufgedrängt hatte. Aber wichtiger noch, es war eine Plattform geschaffen worden, um den konsensorientierten Standardisierungsprozess hin zur GISInteroperabilität organisieren zu können. 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 15 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung Autor: Dr. Martin Huber In einer ersten Phase wurden die abstrakten Grundlagen, quasi der Masterplan der GIS-Interoperabilität erarbeitet. Danach wurden schrittweise Teilbereiche dieses Masterplans in Form von Implementierungsspezifikationen standardisiert. Was sich OGC vorgenommen hatte, war eine immense Arbeit, die immer auf freiwilliger Basis durch die Mitglieder geleistet wurde. Niemand konnte den ganzen Prozess permanent überblicken und es gab hin und wieder Neudefinitionen von bereits definierten Konzepten. So positionierte sich die Geography Markup Language (GML) anfangs beinahe als Konkurrenz zu den Simple Features. Diese Verwirrungen hielten sich jedoch in engen Grenzen und es muss anerkennend festgestellt werden, dass in den ersten 10 Jahren viele der ursprünglichen Ziele erreicht wurden. Seit dem 1.9.2004 heißt die OpenGIS® Organisation Open Geospatial Consortium, Inc. Die Abkürzung bleibt OGC. Diese Namensänderung reflektiert die Ausweitung des Betrachtungshorizonts über GIS im engeren Sinn hinaus hin zum gesamten Markt mit räumlichen, georeferenzierten Daten und Diensten. Dazu gehören unter anderem die Kartografie, Luft- und Satellitenbildverarbeitung und die mobilen Geolokalisierungsdienste. Lesen Sie die ganze Geschichte aus Sicht des OGC (http://www.opengeospatial.org/ogc/history oder in der langen Form http://www.opengeospatial.org/ogc/historylong). 6.2. Zielsetzung und Positionierung Die OGC Vision ist die vollständige Durchdringung der Informations- und Kommunikationstechnologie mit geografischen Informationsdiensten zum Nutzen aller. Daraus leitet das OGC sein Mission ab, offene Schnittstellenspezifikationen für die GIS-Interoperabilität zu liefern, die global genutzt werden können. Diese grundsätzliche Ausrichtung des Konsortiums hat sich seit seiner Gründung nicht verändert. Einzig die inhaltliche Bedeutung der Arbeit des OGC hat sich ausgeweitet. War ursprünglich noch das Ziel, GIS mit IT-Systemen zu integrieren, erweiterte sich der Anspruch zur GIS-Integration in die Informationsinfrastrukturen dieser Welt. Auch sprach bald niemand mehr von GIS, sondern nunmehr von georäumlichen (geospatial) Informations- und Verarbeitungsdiensten. Dann kam die Welle der mobilen Dienste, wo der geografische Raum natürlich „Heimspiel“ hat. Die heute übliche Formulierung hat die diversen Trends zusammengenommen und bedient nun Web, mobile und Lokalisierungsdienste sowie nach wie vor die allgemeinen IT-Systeme in allen beliebigen Anwendungsfeldern. 6.3. Der Prozess Das OGC verfolgt drei parallele Programme: 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 16 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung Autor: Dr. Martin Huber Abbildung 6: Die drei OGC-Programme (Entwurf M. Huber, Quelle OGC). Das Spezifikationsentwicklungsprogramm ist die älteste Initiative des OGC und erarbeite die Konzepte und Schnittstellenspezifikationen. Am Anfang formiert sich eine Interessensgruppe für ein Thema. Sie umreißt die Aufgabe genauer und holt bei den Mitgliedern Informationen ein. Im Idealfall wird die Thematik über drei Iterationen verfeinert, über einen Request for Information, einen Request for Comments und einen Request for Proposals. Die Beantwortung dieser Anfragen übernehmen die Mitglieder auf freiwilliger Basis, im Bewusstsein der Chance, von Anfang weg dabei sein und mitgestalten zu können. Werden mehrere konkrete Vorschläge für einen neuen Standard eingereicht, dann bildet sich in der Regel eine neue Arbeitsgruppe aus den Autoren der Vorschläge. Diese Arbeitsgruppe erarbeitet dann den definitiven Vorschlag für die neue Spezifikation. Das Interoperabilitätsprogramm ist das „Forschungslabor“ des OGC. Hier werden Interoperabilitätsprobleme identifiziert und entsprechende Initiativen gebildet. Die Akteure im betreffenden Gebiet bringen ihre besten Entwickler und ihre Software zusammen und testen neue Möglichkeiten des Zusammenspiels. Die Resultate der Tests werden dokumentiert und als Basis für neue Spezifikationen verwendet. Hier wird auch versucht, den langwierigen Spezifikationsentwicklungsprozess abzukürzen, indem aus den Initiativen gleich konkrete Vorschläge für neue Spezifikationen hervorgehen, deren Machbarkeit im Labor bereits getestet worden ist. Über das Verbreitungs- und Einführungsprogramm werden die OpenGIS® Spezifikationen unter die Leute gebracht. Hier gibt es Dienste, die den Mitgliedern helfen, neue Spezifikationen umzusetzen und zu testen. Hier werden aber auch Allianzen geschmiedet mit andern Organisationen, die mithelfen können, in ihrem Einflussbereich die Einführung der OpenGIS® Spezifikationen voranzutreiben. 6.4. OGC Fahrplan Das Open Geospatial Consortium hat in den ersten 14 Jahren bereits mehrere Zehntausend Seiten Spezifikationen und Konzeptpapiere publiziert. Dank des Interoperabilitätsprogramms sind inzwischen mehrere hundert Applikationen und Server-Module befähigt zusammenzuarbeiten. Trotzdem ist die Arbeit noch lange nicht abgeschlossen. Sobald neue Technologien in der ICT entstehen, muss geklärt werden, wie sich die GIS-Welt integrieren kann. Doch die Arbeit des OGC ist nicht nur durch die Technologie getrieben. Es gibt noch immer Problemstellungen, die grundsätzlich auch durch die ICT nicht gelöst sind und 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 17 / 18 UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung” Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung Autor: Dr. Martin Huber die einer Weiterentwicklung der Technologie entgegenstehen. Hier betätigt sich das OGC in der Grundlagenforschung und erarbeitet Konzepte, die auch für die ICT insgesamt von Bedeutung sein könnten. Drei Beispiele aus dem OGC-Fahrplan sollen einen Eindruck über die kurz-, mittel- und langfristige Ausrichtung des OGC geben, selbstverständlich im Wissen darüber, dass sich die Aufgaben des OGC entsprechend der Bedürfnisse seiner Mitglieder dynamisch verändern können. Daher sind die aktuellen Trends immer direkt auf dem Internet-Site von OGC abzufragen (www.opengeospatial.org). 7. • Kurzfristig: Weiterer Ausbau der Geography Markup Language (GML), um diese als lingua franca für alles Geografische etablieren zu können. • Mittelfristig: Komplettierung der Geografischen Service Architektur mit den entsprechenden Diensten sowohl auf Ebene der Spezifikationen als auch auf Ebene der Interoperabilitätsschnittstellen. • Langfristig: Untersuchung der Rolle der Semantik in der Interoperabilität, so dass Integration und Nutzung von Daten und Diensten aus unterschiedlichen Quellen weiter vereinfacht werden können. Zusammenfassung Die Entwicklung der GIS-Technologie verlief in drei Wellen, welche in der Regel auch jedes einzelne GIS-Projekt durchläuft: Datenbereitstellung, GIS-Analyse und Geschäftsprozessintegration. Durch die eigenständige, optimierte Entwicklung der GIS-Technologie ergibt sich heute die wichtige Herausforderung, GIS einfach und nutzbringend in andere Informations- und Kommunikationstechnologien zu integrieren. Geschlossene Systeme und Middleware werden aufgebrochen und zu modularen, offenen GIS-Plattformen ausgebaut. GIS wird dank Standardisierung in Geschäftsprozesseapplikationen integriert eingesetzt. Die wichtigsten Organisationen in der Standardisierung der geografischen Datenverarbeitung sind: • Open Geospatial Consortium OGC • International Standardization Organisation ISO • Comité Européen de Normalisation CEN • nationale Normierungsgremien Die Tätigkeiten dieser Organisationen sind sehr umfassend und die resultierenden Standards bilden die Basis für neue GIS-Dienste. Von grosser Bedeutung sind die ISO 191xx Reihe sowie die abstrakten Spezifikationen und die Implementierungsspezifikationen von OGC. 29.10.2008 © Copyright 2005 – 2008, alle Rechte vorbehalten 18 / 18