Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung

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Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung
UNIGIS Modul “OpenGIS® und verteilte Geoinformationsverarbeitung”
Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GIS-Standardisierung
Autor: Dr. Martin Huber
Lektion 1: GIS-Interoperabilität und GISStandardisierung
1.
Ziele
Viele Organisationen arbeiten mit Geografischen Informationssystemen (GIS)
und Geodaten, beim "Zusammen"-arbeiten funktioniert jedoch noch vieles nicht
so wie es könnte. Das Zusammenspiel verschiedener geografischer
Informationssysteme und von GIS mit den übrigen Systemen der Informationsund Kommunikationstechnologie (ICT) heißt im Fachausdruck GISInteroperabilität.
Die GIS-Technologie hat sich seit den frühen 1960er Jahren als eigenständige
Linie der Informationstechnologie (IT) entwickelt. Zentrale Problemstellung für
die GIS-Entwicklung war immer, die geringen Rechenkapazitäten optimal
auszunutzen. Dies ist der Grund dafür, dass verschiedene allgemeine
Aufgabenstellungen im GIS optimiert und unabhängig von den Konzepten in
anderen Bereichen der Informatik entwickelt wurden. Inzwischen sind die
Rechner für GIS genügend schnell und einige Dinge, die für GIS optimiert
entwickelt wurden, werden von anderen ICT-Lösungen besser abgedeckt (z.B.
offene Datenbanken oder Integration mit anderen Applikationen).
Für die breite Nutzung der Geodaten und der GIS-Technologie muss sich die
GIS-Gemeinschaft heute darum bemühen, ihre Leistungen im allgemeinen ICTKontext verfügbar zu machen. Somit tun GIS-Lösungsarchitekten gut daran, sich
auch in die allgemeinen Lösungskonzepte und Architekturen der ICT zu
vertiefen, damit sie GIS optimal in einem weiteren Kontext nutzbar machen
können. Zudem ist es sinnvoll, eine GIS-Architektur zu entwickeln, die
Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Systemkomponenten reduziert und die
Schnittstellen standardisiert. Damit kann viel flexibler als mit monolithischen
Lösungen auf die sich ändernden Anwendungsanforderungen reagiert werden.
Die zentrale Herausforderung ist dabei, die GIS-Funktionalitäten präzise zu
definieren und nutzbringend in prozessunterstützende Produktions- und
Entscheidungsunterstützungssysteme einzubringen. Die GIS-Standardisierung
setzt genau hier an, indem sie sinnvolle GIS-Funktionspakete definiert und in
Form von Schnittstellenspezifikationen festlegt. Wer diesen Spezifikationen folgt,
erhält in der Regel eine sinnvolle Aufteilung seiner GIS-Komponenten in
unabhängige Module und schafft die Voraussetzungen für die Interoperabilität
mit anderen ICT-Anwendungen.
In dieser Lektion wird aufgezeigt,
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•
dass GIS-Interoperabilität eine wichtige Grundlage für die breite Nutzung
von Geodaten im Alltag und im Geschäftsleben sowie für die
Weiterentwicklung der GIS-Technologie darstellt,
•
dass GIS-Interoperabilität nur durch Standardisierung erreichbar ist und
•
dass GIS-Interoperabilität sehr viel damit zu tun hat, wie Unternehmen und
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öffentliche Verwaltungen ihre Geschäftsprozesse organisieren.
Darüber hinaus wird eine Übersicht über die wichtigsten Standardisierungs- und
Normierungsgruppen und deren Betätigungsfelder geschaffen. Speziell wir auf
das Open Geospatial Consortium (OGC) eingegangen, dessen Spezifikationen
im diesem Modul behandelt werden. Dazu wird die Vision des OGC dargestellt,
das bisher Erreichte gewürdigt und anhand des Fahrplans ein Blick auf die
bevorstehenden Arbeiten geworfen.
2.
Die drei Phasen im Aufbau einer GIS-Lösung
Die GIS-Technologie hat sich seit 1960 in mehreren Phasen entwickelt, jeweils
unter Nutzung der Fortschritte in der Computertechnologie, aber auch in
Abhängigkeit der Entwicklung der Denkmodelle der räumlich tätigen
Wissenschaften. Zu Beginn stand der Wunsch, den geografischen Raum und die
Objekte darin auf dem Computer zu verwalten und kartografisch darzustellen.
Dann folgte die Entwicklung quantitativer geografischer Analysen und Modelle.
Heute geht die GIS-Entwicklung dahin, dass geografische Daten und Methoden
in die unterschiedlichsten Anwendungen hineingetragen werden und beginnen
dort zum selbstverständlichen Funktionsumfang zu werden, als ob es nie eine
Trennung zwischen eigenständigen GIS-Anwendungen und dem Rest der
Informationstechnologie gegeben hätte. Auch auf der Ebene jedes einzelnen
GIS-Projekts kann in der Regel diese Entwicklung von der Spezialanforderung
der räumlichen Asset Verwaltung hin zur vollständigen Integration der GIS-Daten
und -Funktionen in die Geschäftsanwendungen beobachtet werden:
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•
In der ersten Phase geht es um die Bereitstellung und Verwaltung von Daten.
Die einzelne Organisation ist mit ihren eigenen Aufgaben beschäftigt und
zeigt noch wenig Interesse am Datenaustausch. Die eingesetzte GISTechnologie ist auf die Erfassung und Verwaltung von Geodaten
ausgerichtet. In Spezialsystemen stehen vor allem grafische
Konstruktionswerkzeuge bereit, beispielsweise um einen Lotpunkten von
einem beliebigen Punkt auf eine Linie zu erstellen, eine Parallele zu zeichnen
oder einen Linienzug – sowohl durchgezogen als auch unterbrochen – auf
einem gescannten Plan zu verfolgen. Die Geodaten werden anfangs zumeist
in speziell entwickelten proprietären Formaten und Datenbanken verwaltet.
Die GIS-Industrie hat es geschafft, mehrere Hundert verschiedene GISFormate zu definieren – meist aus Gründen der Optimierung für eine
spezifische Aufgabe. Statt der proprietären Dateiformate werden inzwischen
vermehrt Datenbanken mit offengelegten, standardisierten Schnittstellen
verwendet (z.B. SQL (ISO 9075, s. www.iso.org)).
•
In der zweiten Phase nutzen organisationsinterne Spezialisten die Geodaten,
indem sie diese kartografisch darstellen und Modellrechnungen anstellen.
Entsprechend der Breite der GIS-Anwendungsfelder gibt es eine breite
Palette spezieller Anwendungsprogramme. Beispiele dafür sind
Spezialprogramme für die Verwaltung von Mutationen in einem
Parzellennetz ikombiniert mit Netzausgleichsrechnung für die Integration
neuer Messpunkte bei Parzellenteilungen, Multikriterienanalyse für
Raumplanungs-, respektive Raumordnungsaufgaben, Ausbreitungsmodelle
für die Frequenz- und Standortplanung von Funknetzen oder Werkzeuge zur
Modellierung von Naturgefahren und zur Festlegung von Schutzgebieten.
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Am Übergang von der ersten zur zweiten Phase treten erste
Datenaustauschprobleme auf, wenn die Daten mit anderen Systemen und in
anderen Formaten erfasst werden, als sie nachher verarbeitet werden. Da
Quelle und Ziel in der Hand der gleichen Organisation sind, können diese
Probleme jedoch leicht durch eine feste Schnittstelle zwischen den
involvierten Systemen gelöst werden.
•
In einer dritten Phase sollen die Geodaten und die geografischen
Analysemethoden für alltägliche Aufgaben in der Geschäftsabwicklung und
im privaten Bereich eingesetzt werden. Eine spezifische GIS-Ausbildung der
Anwender kann nicht erwartet werden. Ursprünglich wurden hierzu
abgespeckte Versionen der professionellen GIS-Softwarepakete angeboten,
später auch einfache Internet-GIS-Viewer. Beides entspricht jedoch nicht
dem echten Bedarf der breiten Masse, denn dieser ist die Arbeit mit Karten
grundsätzlich fremd. Deshalb wird heute sehr intensiv an der
Automatisierung der GIS-Nutzung gearbeitet, so dass nur das für den
Anwender relevante Ergebnis einer Geodatenanalyse präsentiert wird. Ein
zielgerichtetes Design der Benutzerschnittstellen wird zum entscheidenden
Erfolgskriterium wie beispielsweise bei Navigationssystemen, welche die
vorliegenden Geodaten nicht nur als einfach lesbare Karten, sondern auch
in Form sinnvoller mündlicher Fahranweisungen ausgeben müssen.
Vielerorts ist die geografische Analyse bereits so in ein System eingebaut,
dass die Anwender sie gar nicht mehr wahrnehmen, z.B. bei Logistik- und
Einsatzleitsystemen, die automatisch die zu einem Einsatzort am nächsten
liegende freie Ressource für einen Einsatz beauftragen. Damit sparen
Sicherheitskräfte, Entstörungsdienste und Transportunternehmen bedeutende
Kosten. Undenkbar, dass sich jemand bei solchen Anwendungen noch mit
einzelnen GIS-Dateien und unterschiedlichen Formaten beschäftigt.
Naturraum
Infrastruktur
Sozio-ökonomische
Aktivitäten
Dokumentation
Was ist wo?
Inventare,
topografische Karten
Netzdokumentation,
Parzellarvermessung
Thematische
Kartierung
Analyse
Was kommt
zusammen vor?
Ökosystemanalyse
Netzverfolgung
Multikriterienanalyse
Modellierung
Was wäre wenn?
Naturgefahren,
landwirtschaftliche
Ertragsvorhersage
Investitions- und
Erneuerungsplanung
„Politik“, „Strategie“,
Raumplanung,
Verkehrsplanung
Abbildung 1: Klassische GIS-Aufgaben der Phase 1 (Dokumentation) und Phase 2
(Analyse und Modellierung), die üblicherweise durch Spezialisten in Spezialsystemen
ausgeführt werden (Entwurf M. Huber 2003, Grafiken aus SimCity 3000).
Heute sind viele Geodaten aus Phase-1-Projekten verfügbar. Spezialistensysteme
aus Phase 2 sind breit im Einsatz. Die große Herausforderung ist nunmehr die
Inwertsetzung der großen Investitionen in Daten, Systeme und Know-how im
Rahmen von integrierten Anwendungen gemäß Phase 3. Die Wertschöpfung in
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der öffentlichen Verwaltung und im kommerziellen Unternehmen erfolgt heute
weitgehend durch die Abwicklung von Geschäftsprozessen. Daher wird die GISTechnologie ihren wertvollen Beitrag für die Gesellschaft nur leisten können,
wenn sie sich nahtlos in die Abwicklung von Geschäftsabläufen und
Entscheidungsprozessen einbringen kann.
3.
Applikationen zur Geschäftsabwicklung
Eine Unternehmensapplikation ist dadurch charakterisiert, dass mehrere
Benutzer im Verlauf einer Geschäftsfallbearbeitung auf gemeinsame Daten
zugreifen und diese gemäß ihrer Aufgabe und der dazu verfügbaren Information
verändern. Daraus ergeben sich u. a. folgende Anforderungen:
•
Mehrbenutzerbetrieb: Daten und Systeme müssen von mehreren Anwendern
gleichzeitig benutzt werden können. Dabei ist sicherzustellen, dass nur
berechtigte Zugriffe und Manipulationen erfolgen und alle Transaktionen
jederzeit nachverfolgt werden können.
•
Prozessabwicklung: Jeder Geschäftsprozess in einer arbeitsteiligen
Organisation muss innerhalb einer vorgegebenen Zeit abgewickelt werden.
•
Spezifizität: Daten müssen kontext- und aufgabenspezifisch abgefragt und
präsentiert werden.
•
Transaktionssicherheit: Jede Transaktion muss zu einem konsistenten
Datenbestand führen, so dass der Datenbestand zu jedem Zeitpunkt ein
korrektes Abbild des Geschäftsablaufs darstellt.
Soll die geografische Datenverarbeitung in diesen Kontext eingebracht werden,
dann muss nicht ein neues GIS-Anwendungsprogramm gebaut werden, das alle
diese technisch anspruchsvollen Aufgaben übernimmt. Vielmehr soll der DesignAnsatz lauten: „So wenig GIS wie nötig“. Die Architekturen von
Geschäftsapplikationen haben eine lange Entwicklungsgeschichte hinter sich
und werden laufend weiterentwickelt und umgebaut. Das GIS soll von dieser
Entwicklung profitieren und nur dort selber etwas definieren, wo es um
geografische Aufgaben geht. Damit werden Doppelspurigkeiten vermieden und
Kosten gespart.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass
•
Unternehmensapplikationen die wesentlichen Bereiche Mehrbenutzerbetrieb,
Prozessabwicklung, Präsentation/Interaktion und Transaktionen abdecken,
•
integrierte GIS-Lösungen von diesen Infrastrukturen profitieren können, wenn
sie sich an die entsprechenden Standards halten und
•
sich GIS-Funktionalitäten und damit die GIS-Standards auf das
konzentrieren können, was typisch geografisch ist und nicht bereits durch
einen ICT Standard abgedeckt ist (ICT, auch IKT: Informations- und
Kommunikationstechnologie).
Herauszufinden, was speziell an der geografischen Datenverarbeitung ist und
daher nicht mit Standardwerkzeugen der ICT abgehandelt werden kann, ist
eines der Hauptziele dieses Moduls.
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Entwicklung der GIS-Technologie hin zur Interoperabilität
4.1.
Modularisierung und Standardisierung
Geografische Informationssysteme waren lange Zeit geschlossene Systeme, die
Datenhaltung, Verarbeitung und Präsentation in einem Stück Software
vereinigten (s. Abbildung 2 links). Dies hatte den Vorteil, dass die Datenflüsse
minimiert werden konnten, was bei den für damalige Rechenkapazitäten riesigen
Datenmengen von Belang war.
Als Ende der 1980er Jahre mehr Geodaten verfügbar wurden, stieg auch der
Bedarf, Daten verschiedener Systeme zusammenzubringen. Einerseits mussten
externe Datenbanken an das GIS angebunden werden, um zu den grafischen
Objekten auch Sachinformationen zu verwalten. Andererseits wollte man von
den Möglichkeiten der relationalen Datenbanken bzgl. Mehrbenutzerfähigkeit
und Datensicherheit profitieren und deshalb die Geodaten in einer externen
Datenbank verwalten. Für diese erste Öffnung in Richtung Mehrbenutzerdatenbanken wurden verschiedene Ansätze verfolgt, von denen aber keiner weit über
den Einflussbereich eines einzelnen GIS-Produkts hinaus genutzt wurde. Somit
handelte es sich damals nicht um Interoperabilität zwischen Produkten
unterschiedlicher Hersteller, sondern um proprietäre Verfahren zur Speicherung
von Geodaten auf konventionellen Datenbanken (s. Abbildung 2 rechts).
Abbildung 2: Typische GIS-Software-Architekturen: geschlossenes proprietäres GIS mit
eigener Datenhaltung (links); GIS mit Datenhaltung auf externem
Datenbankmanagementsystem (DBMS), jedoch mit proprietären Datenstrukturen (rechts)
(Entwurf M. Huber 1999).
Echte GIS-Interoperabilität entwickelte sich erst ab 1998, als die ersten
Implementationsstandards des Open Geospatial Consortiums (OGC), welches
damals noch OpenGIS® Consortium hiess, publiziert wurden. Vorerst ging es
um die systemübergreifende Nutzung von geografischen Daten. Mit den ersten
OpenGIS-Standards konnten geografische Daten über wohldefinierte Aufrufe
und Protokolle auf geografischen Datenbanken unterschiedlicher Hersteller
verwaltet werden. Einzige Bedingung war, dass sowohl Clients als auch Server
den Standard gemäß Vorgabe implementierten.
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Modularisierung und Standardisierung der GIS-Technologie wurden in den
folgenden Jahren systematisch vorangetrieben, analog der sich entwickelnden
Architekturprinzipien von Unternehmenssystemen und Internetanwendungen.
Abbildung 3 stellt diese modulare GIS-Architektur dar. Sie baut auf einer
offenen Geodatenhaltung wie beispielsweise einer objekt-relationalen
Datenbank auf. GIS-Applikationsmodule greifen auf diese Datenbank zu und
stellen GIS-Funktionalität bereit, die über standardisierte Dienstaufrufe
angefordert werden kann. Eine Applikationsserverplattform integriert die GISDienste und beliebige weitere Anwendungsdienste zu einem offenen
Diensteangebot. Durch die modulare Bauweise kann die Diensteebene nach
Bedarf ausgebaut oder umgebaut werden, ohne dass die darunter liegende
Infrastruktur angepasst werden muss.
Für den Endbenutzer stehen Benutzerschnittstellen bereit, welche Dienste aus
dem Diensteangebot zusammenstellen und in sinnvoller Weise präsentieren –
genau diejenigen Dienste, die für eine Aufgabe oder einen Prozessschritt
benötigt werden. Wo immer zwei unterschiedliche Systeme oder Module
miteinander kommunizieren müssen, erfolgt dies über standardisierte
Schnittstellen.
Abbildung 3: Service-orientierte, offene GIS-Architektur, die nach Bedarf flexibel mit
neuen Diensten erweitert werden kann (Entwurf M. Huber 1999).
Heute sind anerkannte Standards verfügbar, welche die Verwaltung von
Geodaten, die Präsentation und interaktive Abfrage von Karten, Transaktionen
mit Geodaten sowie Auskunftsdienste definieren. Wer heute eine Applikation mit
Geodaten bauen will, kann somit freier aus den Komponenten verschiedener
Hersteller auswählen und diese auch mit Open Source-Komponenten
kombinieren. Entscheidend ist, dass eine Komponente die ihr zugedachte Rolle
wahrnimmt und für die Interaktion mit den anderen Komponenten
Standardschnittstellen verwendet.
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4.2.
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GIS-ICT-Integration
Mit der größeren Flexibilität verschiebt sich die Verantwortung für die GISArchitektur und damit bezüglich Sicherheit, Leistung und Funktionalität. Früher
lieferte ein Software-Hersteller die gesamte Lösung, heute sind meist mehrere
Software-Hersteller und ein oder mehrere Systemintegratoren am Werk. Der
Kunde wird häufiger mit technischen Entscheiden konfrontiert, die Einfluss auf
die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems haben können. Damit wachsen die
Anforderungen an die GIS-Spezialisten, die vermehrt auch detailliertes Wissen
zu Lösungsarchitekturen und Optimierungsmethoden in verteilten Infrastrukturen
der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) haben müssen.
Abbildung 4: Die isolierten GIS-Anwendungen finden ihren Weg in die
Unternehmensapplikationen dank Standardisierung und Interoperabilität (Illustration S.
Tomisawa 2002)
Die GIS-ICT-Integration ist kein einseitiges Spiel, bei dem sich GIS an ICT
anpassen muss. Der heute noch bestehende technologische Graben zwischen
ICT-Systemen und GIS-Werkzeugen wird schrittweise durch Standardisierung
und technologische Anpassungen auf beiden Seiten überbrückt. Dieser Aufwand
wird von den Herstellern der Unternehmensapplikationen jedoch nur dann
betrieben, wenn durch die Integration von GIS auch für die Geschäftsanwendungen Vorteile entstehen. Offensichtlich hat GIS außerhalb des
klassischen Einsatzgebiets etwas zu bieten, denn viele große Softwarehersteller
wie Microsoft, IBM oder Oracle beteiligen sich aktiv an Initiativen zur GIS-ICTInteroperabilität. Dieser neue Beitrag des GIS in einer integrierten ICT kann in
seinem Ausmaß erst erahnt werden. Drei Entwicklungsrichtungen zeichnen sich
ab:
•
Die Georeferenzierung entwickelt sich zu einem Grundprinzip der
Datenorganisation in den so genannten Data Warehouses, wo
Geschäftsdaten aus unterschiedlichen Anwendungen zu einem integrierten
Datenbestand für analytische Zwecke zusammengeführt werden.
•
Die geografische Analyse und Visualisierung hilft unter dem Stichwort
„Business Intelligence“, komplexe Zusammenhänge besser darzustellen und
zu verstehen.
•
Die Steuerung von Geschäftsprozessen wird durch den Einbezug
geografischer Daten und Methoden vereinfacht und automatisiert, vor allem
in der Logistik, bei Planungs-, Bewilligungs- und Kontrollverfahren der
öffentlichen Verwaltung sowie beim Bau und Unterhalt räumlicher
Infrastrukturen.
Allein die Gewinnerwartungen aus ortsspezifischer Internetwerbung – eine
Kombination aller drei oben aufgeführten Tendezen – hat Firmen wie Google
und Microsoft bereits zu Milliardeninvestitionen in GIS-Technologie und
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Geodaten verleitet. Der Nutzen aus GIS kann durch die Integration der GISDienste in Geschäftsprozesse vervielfacht werden. Diese Integration benötigt
Standards bezüglich des Aufrufs von GIS-Diensten. GIS-Standards sind aber
nicht nur für die Prozessintegration wichtig. Zwei weitere Anwendungsgebiete
sind der Aufbau von so genannten Geodateninfrastrukturen (GDI) und die
Interoperabilität über Organisationsgrenzen hinaus.
Geodateninfrastrukturen sind GIS-Dienste im öffentlich zugänglichen Internet,
die Geodaten von allgemeiner Bedeutung bereitstellen. Warum soll jedes
Stadtwerk den Vermessungsplan in sein GIS integrieren und selber eine
Plandarstellung definieren, wenn das Vermessungsamt im Internet passende
Plandarstellungen für alle anbieten kann? Damit Geodateninfrastrukturen
allgemein genutzt werden, ist eine Standardisierung der darin angebotenen
Dienste unabdingbar.
Wenn Informationen über geografisch lokalisierbare Objekte zwischen
Organisationen ausgetauscht werden sollen, bietet GIS-Interoperabilität, also
der gemeinsame Daten- und Dienstezugriff über Organisationsgrenzen hinweg
ein großes Einsparungspotenzial. Sollen beispielsweise die Bauvorhaben der
Werke auf öffentlichem Grund gesammelt und durch das Tiefbauamt räumlich
und zeitlich koordiniert werden, werden üblicherweise Dateien in irgendeinem
GIS-Format ausgetauscht, die ins System des Tiefbauamts übersetzt und
integriert werden müssen. Bei einer nächsten Lieferung muss geprüft werden,
dass Objekte nicht doppelt erscheinen usw. Der Datenaustausch auf Dateibasis
ist sehr aufwändig und fehleranfällig.
Mit GIS-Interoperabilität erfolgt der Austausch direkt zwischen den
unterschiedlichen Systemen auf Basis von Standardprotokollen. Es stehen
mehrere Verfahren offen, für die jeweils ein spezifischer Standard definiert
werden kann. Die GIS-Interoperabilität kann z.B. so sichergestellt werden, dass
das Tiefbauamt mit seinem GIS direkt auf die Datenbestände der Werke
zugreift. Eine Alternative dazu wäre, dass jedes Werk neue Bauvorhaben als
einzelne Datenpakete an einen GIS-Dienst des Tiefbauamts schickt. Dieser
Dienst seinerseits stellt über eine interne Schnittstelle alle Bauprojekte dem GIS
des Tiefbauamts zur Verfügung.
Interoperable Anwendung (z.B. im Tiefbauamt)
Standardprotokoll
Standardprotokoll
Standardprotokoll
GIS X
GIS Y
GIS Z
Abbildung 5: Standardprotokolle ermöglichen den interoperablen Zugriff auf GIS
Systeme verschiedener Hersteller (Entwurf F.Fischer, 2007)
Weil die GIS-Standardisierung – wie wir nun gesehen haben – für die
Realisierung des Nutzens aus GIS-Investitionen und auch für die technologische
Weiterentwicklung der geografischen Informationssysteme so entscheidend ist,
werden in den folgenden Lektionen dieses Moduls die wesentlichen Standards
des Open Geospatial Consortiums (OGC) eingeführt und an
Anwendungsszenarien vertieft.
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Organisationen in der GIS-Standardisierung
5.1.
Open Geospatial Consortium (OGC)
5.1.1.
Organisation
Bezeichnung:
Open Geospatial Consortium
Offizielle Abkürzung:
OGC
Website:
www.opengeospatial.org
Einflussgebiet:
Weltweit, 3 Firmen (USA, Europa, Asien)
Mitglieder:
Behörden, Universitäten und Forschungsanstalten,
private Firmen.
Verschiedene Mitgliedskategorien, abhängig vom
jährlichen Mitgliederbeitrag:
Strategische Mitgliedschaft (Jahresbeitrag zu
verhandeln, zusätzlich Beiträge in Form von Personal
und weiteren Leistungen von mindesten USD
250'000): Einflussmöglichkeiten auf die strategische
Ausrichtung des Consortiums.
Principal Member (Jahresbeitrag USD 55'000):
Stimmrecht bei der Festlegung der Prozesse und bei
der Wahl des Aufsichtsrats.
Mitglied des technischen Komitees (USD 11'000):
Mitspracherecht bei der Ausarbeitung von Standards.
Associate Member (zwischen USD 500 (Universitäten)
bis USD 4'400 (kommerzielle mittlere bis große
Firmen, nationale Regierungsorganisationen)):
Mitarbeit ohne Stimmrecht bei der Ausarbeitung von
Standards.
(siehe http://www.opengeospatial.org/ogc/join/levels)
Entscheidungsgremien:
Aufsichtsrat
Technisches Komitee
Mittel zur
Durchsetzung von
Standards:
5.1.2.
Keine rechtlichen Mittel, faktische Umsetzungskraft
durch mitarbeitende kommerzielle Firmen und
Regierungsorganisationen.
Betätigungsfelder
Das OGC definiert auf konzeptueller Ebene ein umfangreiches Werk an
abstrakten Spezifikationen (AS) sowie darauf aufbauende
Implementationsspezifikationen (IS).
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Bezeichnung
Beschreibung
AS Topic 1: Feature Geometry
Konzeptuelles Schema für die Beschreibung
geografischer Charakteristika von
geografischen Features, Geometrie und
Topologie.
AS Topic 2: Spatial Referencing by
Coordinates
Modellierungsvoraussetzungen für
georäumliche Referenzierung mittels
Koordinaten.
AS Topic 3: Locational Geometry Structures
Konzeptuelles Modell für die technische
Modellierung geometrischer Strukturen.
AS Topic 4: Stored Functions and Interpolation
Abstraktes Modell für die Bereitstellung
geografischer Funktionen.
AS Topic 5: Features
Featuremodell.
AS Topic 6: The Coverage Type
Modell eines Grid-Layers.
AS Topic 7: Earth Imagery
Modellierung von Bildaufnahmen (Satellit,
Luftaufnahmen etc.).
AS Topic 8: Relationships Between Features
Modellierung von Beziehungen zwischen
Features.
AS Topic 10: Feature Collections
Modellierung von Sammlungen von Features
gleichen Typs.
AS Topic 11: Metadata
Geografische Metadaten.
AS Topic 12: The OpenGIS Service
Architecture
Service Architektur.
AS Topic 13: Catalog Services
Metadatendienste.
AS Topic 14: Semantics and Information
Communities
Modellierung von Semantik in
fachbereichsspezifischen Anwendergruppen.
AS Topic 15: Image Exploitation Services
Modellierung von Funktionen zur
Bildauswertung.
AS Topic 16: Image Coordinate
Transformation Services
Umwandlungsdienste von Bildkoordinaten.
IS OpenGIS® Catalogue Service
Implementation Specification
Metadatendienste zum Auffinden und zur
Beschreibung von geografischen Datenquellen.
IS OpenGIS® Coordinate Transformation
Service Implementation Specification
Dienste zur Koordinatenumwandlung.
IS OpenGIS® Filter Encoding Implementation
Specification
XML Struktur zur Formulierung von Filter- und
Abfragekriterien (Prädikate) im Rahmen der
OGC Common Abfragesprache.
IS OpenGIS® Geographic Objects
Implementation Specification
Einfaches Geometriemodell für die Umsetzung
mit üblicher Grafikhardware (Bildschirm,
Grafikkarten, Maus etc.).
IS OpenGIS® Geography Markup Language
(GML) Encoding Specification
XML Struktur für die Beschreibung von
geografischen Features.
IS OpenGIS® GML in JPEG 2000 for
Geographic Imagery Encoding Specification
Geografische Bildparameter in XML für die
Beschreibung des geografischen Bezugs von
JPEG 2000 Bilddaten.
IS OpenGIS® Implementation Specification for
Grundlegende Geometrien und räumliche
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Bezeichnung
Beschreibung
Geographic information - Simple feature
access - Part 1: Common architecture
Operatoren für Speicherung und Abfrage von
räumlichen Geometriedaten.
IS OpenGIS® Implementation Specification for
Geographic information - Simple feature
access - Part 2: SQL option
SQL Umsetzung der Simple Features.
IS OpenGIS® Location Service (OpenLS)
Implementation Specification: Core Services
Mobile Lokalisierungs- und
Informationsdienste.
IS OpenGIS® Simple Features Implementation
Specification for CORBA
CORBA Umsetzung der Simple Features.
IS OpenGIS® Simple Features Implementation
Specification for OLE/COM
Umsetzung der Simple Features in OLE-DB.
IS OpenGIS® Styled Layer Descriptor (SLD)
Implementation Specification
Beschreibung der grafischen Auszeichnung von
WMS Layern.
IS OpenGIS® Web Coverage Service (WCS)
Implementation Specification
Erweiterung der WMS-Spezifikationen für die
Darstellung von kontinuierlichen Felddaten
(Raster Values).
OpenGIS® Web Feature Service (WFS)
Implementation Specification
Dienst für die Abfrage und Modifikation von
geografischen Features.
IS OpenGIS® Web Map Context
Implementation Specification
Beschreibung des technischen Kontexts eines
kartenorientierten Webdienstes.
IS OpenGIS® Web Map Service (WMS)
Implementation Specification
Dienste-Schnittstelle für Web-basierte
Kartenanzeige und Abfrage.
IS OpenGIS® Web Service Common
Implementation Specification
Allgemeine (Selbst-)Beschreibung von
geografischen Web-Diensten.
Siehe auch http://www.opengeospatial.org/standards für eine Liste der aktuellen
Standards.
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5.2.
International Organization for Standardization (ISO)
5.2.1.
Organisation
Bezeichnung:
International Organization for Standardization
Offizielle Abkürzung:
ISO
Website:
www.iso.org
Einflussgebiet:
Weltweit (offiziell 156 Länder, Generalsekretariat in
Genf, Schweiz)
Mitglieder:
Nationale Normierungsbehörden, Mitgliederbeitrag
abhängig vom nationalen Einkommen und weiteren
Handelszahlen.
Entscheidungsgremien:
ISO Rat
Generalsekretariat
Generalversammlung
Technische Komitees, TC 211 für die geografische
Standardreihe ISO 191xx.
Mittel zur
Durchsetzung von
Standards:
Keine rechtlichen Mittel, starke faktische
Umsetzungskraft durch die Mitglieder.
Bemerkungen:
Das ISO TC 211 stimmt seine Arbeit eng mit dem
OGC ab, teilweise durch Personalunion.
5.2.2.
Betätigungsfelder
Eine Übersicht über die geografisch relevanten ISO Standards vermittelt
http://gdi.berlin-brandenburg.de/papers/GIB_Uebersicht_ISO_Standards.pdf.
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5.3.
Comité Européen de Normalisation (CEN)
5.3.1.
Organisation
Bezeichnung:
Comité Européen de Normalisation, European
Committee for Standardization
Offizielle Abkürzung:
CEN
Website:
www.cen.eu
Einflussgebiet:
EU und EFTA, 29 Länder
Mitglieder:
29 Nationale Normierungsbehörden, assoziierte
Mitglieder aus Repräsentanten der großen
Industrieverbände
Entscheidungsgremien:
•
Generalversammlung
•
Administrativrat
•
Technischer Rat
•
Technische Komitees, TC 287 für die
geografische Standardreihe
Mittel zur
Durchsetzung von
Standards:
Die meisten Mitgliedsländer haben sich dazu
verpflichtet, die CEN Standards als nationale
Standards zu übernehmen.
Bemerkungen:
CEN TC 287 war bei Gründung des OGC in vielen
Bereichen der Standardisierung schon weit
fortgeschritten und führte diese Arbeit noch einige
Jahre parallel zum OGC weiter. Dabei entstand ein
umfangreiches Standardwerk, von dem aber nur der
geografische Metadatenstandard einige Bedeutung
erlangte. Mit der Gründung des ISO TC 211 und der
von ISO signalisierten engen Zusammenarbeit mit
OGC, verloren die CEN-Mitglieder ihr Interesse an
der Weiterführung der Arbeit im CEN TC 287.
Inzwischen sind die ursprünglichen geografischen
CEN Standards aufgegeben worden und CEN ist
daran, die ISO 191xx Standards einzuführen. Dieser
Prozess hat insofern Bedeutung, als dass viele
europäische Länder mit der Deklaration von ISO
191xx Standards als CEN-Standard, den
entsprechenden ISO-Standard auch als nationalen
Standard einführen müssen.
5.3.2.
Betätigungsfelder
Anpassung und Übernahme der geografischen ISO Standards für die CENMitgliedsländer in Europa.
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5.4.
Nationale Normierungsgremien
5.4.1.
Organisation
Autor: Dr. Martin Huber
DIN, Deutsches Institut für Normung e. V., www.din.de.
Österreichisches Normungsinstitut, www.on-norm.at.
Schweizerische Normen-Vereinigung, www.snv.ch.
5.4.2.
Betätigungsfelder
Anpassung und Übernahme der (geografischen) CEN-Standards für das
jeweilige Land.
Definition länderspezifischer geografischer Standards.
z.B. Schweiz: SN 612030 INTERLIS Modellierungssprache und
Datentransfermethode, SN 612031 INTERLIS 2 Modellierungssprache und
Datentransfermethode, SIA GEO405, Geoinformationen zu unterirdischen
Leitungen, SN 612010 Sicherheit und Schutz von Geodaten, SN 612040
Gebäudeadressen, SN 612050 GM03-Metadatenmodell - Schweizer
Metadatenmodell für Geodaten (auf Basis von ISO 19115).
z.B. Österreich: Ö-Norm 2260 Datenschnittstelle für den digitalen Austausch
von Geo-Daten. Ö-Norm 2261 Objektschlüsselkatalog für Geo-Daten und ÖNorm 2263 XML-basierter Austausch von Geo-Daten.
6.
Deails zum Open Geospatial Consortium (OGC)
„Das Open Geospatial Consortium, Inc (OGC) ist ein internationales
Industriekonsortium aus 366 Unternehmen, Regierungsorganisationen und
Universitäten, das in einem konsensorientierten Prozess öffentlich verfügbare
Schnittstellenspezifikationen entwickelt. OpenGIS® Spezifikationen bringen die
Möglichkeiten der geo-räumlichen Datenverarbeitung in Web-, drahtlosen und
ortsbezogenen Diensten sowie in Standard-Informatiklösungen. Die
Spezifikationen befähigen Technologieentwickler, komplexe räumliche
Informationen und Dienste in allen möglichen Applikationen zugänglich und
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nützlich zu machen.“
Auf diese Weise beschreibt sich das OGC selbst auf seinen Webseiten
(http://www.opengeospatial.org/ogc). Zu beachten ist, dass hinter OpenGIS ein
® ist, was heißt, dass OpenGIS® ein geschützter Handelsname ist. Früher hieß
dass Consortium selber OpenGIS Consortium und die Mitglieder wachten sehr
streng darüber, dass niemand den Namen OpenGIS benutzte, ohne den
jährlichen Beitrag ans Consortium zu bezahlen. Dazu folgende „Anekdote“: Als
1998 die Schweizer Firma GeoTask AG als erste Firma weltweit und damals als
Nicht-OGC-Mitglied die ersten verfügbaren OpenGIS® Spezifikationen in
einem kommerziellen Produkt umsetzte, gratulierte der Präsident des
Consortiums David Schell dem GeoTask-Geschäftsführer persönlich per
Telefon. Er ermunterte ihn, den großen Anbietern mit innovativen Produkten den
nötigen Druck zu machen, dass diese endlich die neuen Standards
implementierten. Wenige Wochen später erhielt die GeoTask die Aufforderung,
die Bezeichnung OpenGIS® aus all ihren Marketingunterlagen zu streichen.
Einige Mitglieder hatten sich beim OGC beschwert, GeoTask benutze die
Bezeichnung OpenGIS® unerlaubterweise und hätte auch keinen offiziellen
Konformitätstest gemacht. Interessanterweise war das OGC damals noch nicht
so weit, die neue GeoTask-Software überhaupt auf OpenGIS®-Konformität zu
prüfen, auch wenn diese die damals dafür verlangten USD 10'000 auf den Tisch
gelegt hätte. Wohl hatte niemand damit gerechnet, dass es jemand so schnell
ernst nimmt mit der Realisierung der GIS-Interoperabilität.
Inzwischen hat sich die Stimmung gedreht und das OGC hat eingesehen, dass
es kontraproduktiv ist, diejenigen, die ihre Standards umsetzen, an den Pranger
zu stellen. Im Gegenteil: Es wurde ein „Outreach and Community Adoption
Program“ ins Leben gerufen, das zum Ziel hat, die OpenGIS®-Spezifikationen
zu verbreiten und deren Anwendung zu fördern. Die klar ausgesprochene
Absicht ist, dass OpenGIS® wie ein Gütesiegel für GIS-Interoperabilität sowohl
von den Nachfragern verlangt als auch von den Anbietern geliefert wird. Ganz
im Sinne der TV-Werbung: „Nehmen Sie nicht irgend eine Schnittstelle, bestehen
Sie auf OpenGIS®!“. Es sei trotzdem empfohlen, sich genau zu erkundigen, für
welche Zwecke die Bezeichnung OpenGIS® verwendet werden darf
(http://www.opengeospatial.org/ogc/policies).
6.1.
Geschichte
Das Open Geospatial Consortium hat seine Wurzeln im GRASS-Projekt
(grass.itc.it), dem aus einer Entwicklung der U.S. Army Construction Engineering
Research Laboratories entstandenen, bisher größten Open-Source-GIS-Projekt.
Als 1992 die U.S. Army ankündigte, die Gelder für GRASS zu streichen, wurde
die „Open GRASS Foundation“ (OGF) gegründet, vorerst um Geld aufzutreiben
für die weitere Pflege von GRASS. Die Gruppe um David Schell, Kurt Buehler
und Ken Gardels entwickelte sich innerhalb kurzer Zeit zu einem wichtigen
Bindeglied zwischen Herstellern und Anwendern, mit einer starken inhaltlichen
Ausrichtung auf „Interoperabilität“ von GI-Systemen.
Die Gründung der Open GIS Consortium, Inc. erfolgte im September 1994.
Damit war eine Rechtsform für etwas gefunden, das sich schon etliche Jahre
aufgedrängt hatte. Aber wichtiger noch, es war eine Plattform geschaffen
worden, um den konsensorientierten Standardisierungsprozess hin zur GISInteroperabilität organisieren zu können.
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In einer ersten Phase wurden die abstrakten Grundlagen, quasi der Masterplan
der GIS-Interoperabilität erarbeitet. Danach wurden schrittweise Teilbereiche
dieses Masterplans in Form von Implementierungsspezifikationen standardisiert.
Was sich OGC vorgenommen hatte, war eine immense Arbeit, die immer auf
freiwilliger Basis durch die Mitglieder geleistet wurde. Niemand konnte den
ganzen Prozess permanent überblicken und es gab hin und wieder
Neudefinitionen von bereits definierten Konzepten. So positionierte sich die
Geography Markup Language (GML) anfangs beinahe als Konkurrenz zu den
Simple Features. Diese Verwirrungen hielten sich jedoch in engen Grenzen und
es muss anerkennend festgestellt werden, dass in den ersten 10 Jahren viele der
ursprünglichen Ziele erreicht wurden.
Seit dem 1.9.2004 heißt die OpenGIS® Organisation Open Geospatial
Consortium, Inc. Die Abkürzung bleibt OGC. Diese Namensänderung reflektiert
die Ausweitung des Betrachtungshorizonts über GIS im engeren Sinn hinaus hin
zum gesamten Markt mit räumlichen, georeferenzierten Daten und Diensten.
Dazu gehören unter anderem die Kartografie, Luft- und Satellitenbildverarbeitung und die mobilen Geolokalisierungsdienste.
Lesen Sie die ganze Geschichte aus Sicht des OGC
(http://www.opengeospatial.org/ogc/history oder in der langen Form
http://www.opengeospatial.org/ogc/historylong).
6.2.
Zielsetzung und Positionierung
Die OGC Vision ist die vollständige Durchdringung der Informations- und
Kommunikationstechnologie mit geografischen Informationsdiensten zum
Nutzen aller. Daraus leitet das OGC sein Mission ab, offene
Schnittstellenspezifikationen für die GIS-Interoperabilität zu liefern, die global
genutzt werden können.
Diese grundsätzliche Ausrichtung des Konsortiums hat sich seit seiner Gründung
nicht verändert. Einzig die inhaltliche Bedeutung der Arbeit des OGC hat sich
ausgeweitet. War ursprünglich noch das Ziel, GIS mit IT-Systemen zu
integrieren, erweiterte sich der Anspruch zur GIS-Integration in die
Informationsinfrastrukturen dieser Welt. Auch sprach bald niemand mehr von
GIS, sondern nunmehr von georäumlichen (geospatial) Informations- und
Verarbeitungsdiensten. Dann kam die Welle der mobilen Dienste, wo der
geografische Raum natürlich „Heimspiel“ hat. Die heute übliche Formulierung
hat die diversen Trends zusammengenommen und bedient nun Web, mobile
und Lokalisierungsdienste sowie nach wie vor die allgemeinen IT-Systeme in
allen beliebigen Anwendungsfeldern.
6.3.
Der Prozess
Das OGC verfolgt drei parallele Programme:
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Abbildung 6: Die drei OGC-Programme (Entwurf M. Huber, Quelle OGC).
Das Spezifikationsentwicklungsprogramm ist die älteste Initiative des OGC und
erarbeite die Konzepte und Schnittstellenspezifikationen. Am Anfang formiert
sich eine Interessensgruppe für ein Thema. Sie umreißt die Aufgabe genauer
und holt bei den Mitgliedern Informationen ein. Im Idealfall wird die Thematik
über drei Iterationen verfeinert, über einen Request for Information, einen
Request for Comments und einen Request for Proposals. Die Beantwortung
dieser Anfragen übernehmen die Mitglieder auf freiwilliger Basis, im Bewusstsein
der Chance, von Anfang weg dabei sein und mitgestalten zu können. Werden
mehrere konkrete Vorschläge für einen neuen Standard eingereicht, dann bildet
sich in der Regel eine neue Arbeitsgruppe aus den Autoren der Vorschläge.
Diese Arbeitsgruppe erarbeitet dann den definitiven Vorschlag für die neue
Spezifikation.
Das Interoperabilitätsprogramm ist das „Forschungslabor“ des OGC. Hier
werden Interoperabilitätsprobleme identifiziert und entsprechende Initiativen
gebildet. Die Akteure im betreffenden Gebiet bringen ihre besten Entwickler und
ihre Software zusammen und testen neue Möglichkeiten des Zusammenspiels.
Die Resultate der Tests werden dokumentiert und als Basis für neue
Spezifikationen verwendet. Hier wird auch versucht, den langwierigen
Spezifikationsentwicklungsprozess abzukürzen, indem aus den Initiativen gleich
konkrete Vorschläge für neue Spezifikationen hervorgehen, deren Machbarkeit
im Labor bereits getestet worden ist.
Über das Verbreitungs- und Einführungsprogramm werden die OpenGIS®
Spezifikationen unter die Leute gebracht. Hier gibt es Dienste, die den
Mitgliedern helfen, neue Spezifikationen umzusetzen und zu testen. Hier werden
aber auch Allianzen geschmiedet mit andern Organisationen, die mithelfen
können, in ihrem Einflussbereich die Einführung der OpenGIS® Spezifikationen
voranzutreiben.
6.4.
OGC Fahrplan
Das Open Geospatial Consortium hat in den ersten 14 Jahren bereits mehrere
Zehntausend Seiten Spezifikationen und Konzeptpapiere publiziert. Dank des
Interoperabilitätsprogramms sind inzwischen mehrere hundert Applikationen und
Server-Module befähigt zusammenzuarbeiten. Trotzdem ist die Arbeit noch
lange nicht abgeschlossen. Sobald neue Technologien in der ICT entstehen,
muss geklärt werden, wie sich die GIS-Welt integrieren kann. Doch die Arbeit
des OGC ist nicht nur durch die Technologie getrieben. Es gibt noch immer
Problemstellungen, die grundsätzlich auch durch die ICT nicht gelöst sind und
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die einer Weiterentwicklung der Technologie entgegenstehen. Hier betätigt sich
das OGC in der Grundlagenforschung und erarbeitet Konzepte, die auch für
die ICT insgesamt von Bedeutung sein könnten.
Drei Beispiele aus dem OGC-Fahrplan sollen einen Eindruck über die kurz-,
mittel- und langfristige Ausrichtung des OGC geben, selbstverständlich im
Wissen darüber, dass sich die Aufgaben des OGC entsprechend der
Bedürfnisse seiner Mitglieder dynamisch verändern können. Daher sind die
aktuellen Trends immer direkt auf dem Internet-Site von OGC abzufragen
(www.opengeospatial.org).
7.
•
Kurzfristig: Weiterer Ausbau der Geography Markup Language (GML), um
diese als lingua franca für alles Geografische etablieren zu können.
•
Mittelfristig: Komplettierung der Geografischen Service Architektur mit den
entsprechenden Diensten sowohl auf Ebene der Spezifikationen als auch auf
Ebene der Interoperabilitätsschnittstellen.
•
Langfristig: Untersuchung der Rolle der Semantik in der Interoperabilität, so
dass Integration und Nutzung von Daten und Diensten aus unterschiedlichen
Quellen weiter vereinfacht werden können.
Zusammenfassung
Die Entwicklung der GIS-Technologie verlief in drei Wellen, welche in der Regel
auch jedes einzelne GIS-Projekt durchläuft: Datenbereitstellung, GIS-Analyse
und Geschäftsprozessintegration. Durch die eigenständige, optimierte
Entwicklung der GIS-Technologie ergibt sich heute die wichtige
Herausforderung, GIS einfach und nutzbringend in andere Informations- und
Kommunikationstechnologien zu integrieren. Geschlossene Systeme und
Middleware werden aufgebrochen und zu modularen, offenen GIS-Plattformen
ausgebaut. GIS wird dank Standardisierung in Geschäftsprozesseapplikationen
integriert eingesetzt.
Die wichtigsten Organisationen in der Standardisierung der geografischen
Datenverarbeitung sind:
•
Open Geospatial Consortium OGC
•
International Standardization Organisation ISO
•
Comité Européen de Normalisation CEN
•
nationale Normierungsgremien
Die Tätigkeiten dieser Organisationen sind sehr umfassend und die
resultierenden Standards bilden die Basis für neue GIS-Dienste. Von grosser
Bedeutung sind die ISO 191xx Reihe sowie die abstrakten Spezifikationen und
die Implementierungsspezifikationen von OGC.
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