Trainingsmethodische Lösungsansätze zur Optimierung des
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Trainingsmethodische Lösungsansätze zur Optimierung des
MICHAEL BASTIAN Trainingsmethodische Lösungsansätze zur Optimierung des Kampfverhaltens bei jugendlichen Boxsportlern Zusammenfassung Mittels zielgerichteter und systematischer Trainingsinterventionen durch ein individuelles, kampfhandlungsbezogenes Messplatztraining und eines parallel verlaufenden boxspezifischen Kampfsituationstrainings sollte die Entwicklung und Vervollkommnung des Kampfverhaltens jugendlicher Boxsportler am Bundesstützpunkt Heidelberg unterstützt werden. Für das Messplatztraining als auch für das Kampfsituationstraining wurde vor und nach den ca. 20-wöchigen Interventionszeiträumen ein Prä- und Posttest-Vergleich zur Evaluierung herangezogen. Für das Messplatztraining wurde die Entwicklung der Schlagkraft und die Verbesserung der Handlungszeit der individuellen Spezialaktion als Indikator genutzt. Für das Kampfsituationstraining wurden insbesondere Ergebnisse zu relevanten Parametern des Angriffsverhaltens (erzielte und erhaltene Treffer, Kampfhandlungsanzahl, Wirksamkeits- und Rationalitätsquotienten) interpretiert und verglichen, die videografisch bei Wettkämpfen aufgezeichnet wurden. Die Ergebnisse belegen einerseits Leistungsfortschritte im Kampfverhalten unter Wettkampfbedingungen, zeigen aber auch andererseits Reserven in der trainingsmethodischen Nutzung des Messplatztrainings auf. Folgerungen für das künftige Training werden abgeleitet und sind als trainingsmethodische Empfehlungen für die weitere Erhöhung der Trainingsqualität im Nachwuchstraining zu verstehen. Summary For the development and perfection of combat behaviour of young boxers at the federal training centre Heidelberg two major approaches have been applied: Aim directed and systematic training interventions during individualized, training with measuring apparatuses aiming at the development of combat actions and sport specific training of combat situations. Prior to and after the end of the 20 weeks of training with measuring apparatuses and of combat situations tests were executed. The results of these tests have been compared to evaluate the effects of the training. For the training with measuring apparatuses the development of punching strength and the improvement of action time in the individually preferred actions have been applied to indicate effects. For the training of combat situations we first of all monitored, compared and evaluated relevant parameters of attacking behaviour (number of punches, received punches, number of combat actions, efficiency and quotient of rationality). That was done on the basis of video recorded competition bouts. From a training methodological point of view the results both prove an enhanced performance with respect to combat behaviour under competition conditions, but also show reserves in the application of training with measuring appara- Z. Angew. Trainingswissenschaft 15 (2008) 1 9 tuses. Conclusions for the future training could be drawn and should be considered as training methodological recommendations for the further increase in training quality in youth training. 1 Problemstellung In der Durchsetzung eines offensiven, angriffsorientierten Kampfverhaltens vor dem Hintergrund einer hohen Kampfhandlungsdichte und zunehmend komplexerer Kampfhandlungen bestehen Defizite deutscher Boxsportler gegenüber der internationalen Konkurrenz. Dies wurde erneut durch die Resultate und Wettkampfeinschätzungen nach dem olympischen Boxturnier 2004 und den Welt- und Europameisterschaften 2005-2007 offenkundig (vgl. Bastian, 2005; Bastian & Scharf, 2006, 2008). Die Optimierung des Kampfverhaltens durch die Einbeziehung relevanter boxspezifischer Handlungsziele und Handlungsklassen in das Kampfsituations- und Kampfhandlungstraining bei Perspektiv- und Anschlusskadern des Deutschen BoxsportVerbands wird folgerichtig als eine trainingsmethodisch relevante Forschungsfragestellung erachtet, zumal auch die Wettkampfergebnis- und Leistungsanalyse im Jugend- und Juniorenbereich des DBV in den letzten Jahren markante Rückstände gegenüber der Weltspitze aufgezeigt hat. Erstmalig konnte der DBV bei den Juniorenweltmeisterschaften der Jahre 2004 und 2006 keine Medaillengewinne verbuchen. Auch das Abschneiden im Kadetten-Altersbereich im Weltmaßstab und bei den Europameisterschaften des zurückliegenden Planungszeitraums zeigt auffällige Leistungsdefizite, nicht nur in den Wettkampfergebnissen, sondern vor allem im Kampfverhalten und erhärtet die Notwendigkeit einer trainingsmethodischen Reaktion, insbesondere bezüglich der Anforderungen und der Wirksamkeit des wettkampfnahen Trainings. Bereits Ende der 80er-Jahre war das Problem der Qualifizierung des Kampfsituationstrainings als eine der trainingsmethodischen Hauptaufgaben der Forschung in den Zweikampfsportarten im Bereich des DDR-Leistungssports erkannt worden (vgl. Barth, Kirchgässner & Schubert, 1978; Kirchgässner, 1986; Barth, Kirchgässner & Kühn, 1988; Barth, 1994; Müller-Deck, 2005). Die Bewältigung unterschiedlichster Kampfsituationen, die siegorientierte Durchsetzung der individuellen Kampfkonzeption (IKK)1 gegen unterschiedlichste, stets konträr handelnde Gegnertypen erfolgt über Kampfhandlungen, die nur bei einer optimalen Handlungsausführung erfolgreich realisiert werden können. Die Qualität dieser erfolgreichen Handlungsausführung wird maßgeblich vom Ausbildungsniveau taktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten beeinflusst und hängt nicht unwesentlich vom Erwerb dazu notwendiger strategischer und taktischer Kenntnisse ab. Das Ziel des trainingsmethodischen Vorgehens ist es, sich im Wettkampf stabil, situationsangemessen und er- 1 10 IKK – in den Zweikampfsportarten bzw. im Boxsport gebräuchliche Abkürzung für die individuelle Kampfkonzeption. Im weiteren Textverlauf verwenden wir auch diese Abkürzung. BASTIAN: Kampfverhalten im Boxen folgreich zu verhalten. Die Schaffung optimaler Handlungs- und Verhaltenspläne und deren Umsetzung im Wettkampf steht dabei im Mittelpunkt trainingsmethodischen Herangehens (Barth, 1994). Die Orientierung auf eine solche Handlungsrealisierungsstrategie erscheint als notwendige Bedingung für einen Innovationsschub in Richtung Erfolg versprechender Kampfverhaltensweisen. Ursachen für Rückstände bzw. Hemmnisse für eine effektive Arbeit und Auseinandersetzung mit den Schwerpunkten bzw. inhaltlichen Anforderungen der IKK sehen wir in der Sportart Boxen vor allem: − − − in der noch nicht ausreichenden Befähigung der Trainer, ein qualitativ anspruchsvolles wettkampfnahes Training durchzuführen. in zu wenig detaillierten bzw. konkreten, individuell orientierten Trainingsvorgaben (Mittel und Methoden des wettkampfnahen Trainings) bezüglich quantitativer und qualitativer Anforderungen und Kennziffern und in den oftmals negierten methodischen Differenzierungen bei den Trainingsmitteln des wettkampfnahen Trainings vor allem in Bezug zur individuellen Kampfkonzeption. Häufig werden die Mittel und Methoden nur formal, oft ohne klare Zielvorgaben bzw. eindeutige Handlungsanweisungen in der Trainingspraxis eingesetzt. Methodische Grundformen des strategisch-taktischen Trainings werden zu wenig beachtet bzw. nicht anforderungsgerecht den Inhalten des wettkampfnahen Trainings im Boxen zugeordnet (zu diesen Inhalten siehe Barth, 2005, S. 32). Der zielgerichtete und systematische Einsatz der Trainingsmittel und Trainingsmethoden im Bereich des wettkampfnahen Trainings muss unter quantitativen Gesichtspunkten (z. B. Vorgabe individueller Richtwerte für eine Kampfhandlungsanzahl) und hinsichtlich der qualitativen Anforderungen (bewusstes Schaffen und Nutzen relevanter Kampfsituationen) effizienter als trainingsmethodische Lösung (Trainingsprogramme als Handlungsanweisungen) im Trainingsprozess realisiert werden. Die in der IKK des Boxers festgelegten, erfolgversprechendsten Kampfhandlungen und das strategisch-taktische Kampfverhalten sind die Bezugs- bzw. Ableitungsgrößen für konkrete Trainingsprogramme (Handlungsprogramme für das Messplatztraining, Verhaltensprogramme für das Kampfsituationstraining), die es zu erarbeiten gilt und die im Training zielgerichtet und systematisch umgesetzt werden müssen. Bekannte Trainingsverfahren, wie das Kampfsituationstraining, sind vor allem unter Berücksichtigung individueller Voraussetzungen, aber auch unter Beachtung der prognostischen Wettkampfanforderungen künftiger Weltspitzenathleten in den Mittelpunkt des wettkampfnahen Trainings zu stellen (vgl. Barth, 2005; Lehmann, 2005). Im Rahmen der methodischen Verfahren des Kampfsituationstrainings geht es um die Optimierung der Situationsangemessenheit durch die Erarbeitung interner Handlungsprogramme, die es dem Boxer ermöglichen, die Situationslösung auf der Grundlage eines „Schlüsselsignals“ einzuleiten (z. B. Finte, Deckungslücke etc.). Im Sinne der Automatisierung kognitiver Prozesse geht es um den Einsatz von Verhaltensprogrammen mit der Zielstellung, dem Boxer durch die Vorgabe von Z. Angew. Trainingswissenschaft 15 (2008) 1 11 konkreten Handlungszielen und detaillierten Realisierungsschritten (Entscheidungsalternativen) die Erarbeitung einer Orientierungsgrundlage zu erleichtern. „Ziel des strategisch orientierten Situationstrainings ist es, die einzelnen Situations-HandlungsAssoziationen zu Handlungsketten und Handlungskomplexen weiterzuentwickeln“ (Barth, 2005, S. 33). Systematisierungs- bzw. Klassifizierungsversuche gibt es schon in der Kampfsportliteratur der 80er-Jahre, hier insbesondere von Kirchgässner (1986), Rau (1984) und Ratov und Neverov (1984). Bis heute wird das Kampfsituationstraining in der Trainingspraxis als spezifisches Trainingsmittel im Sinne taktischer Aufgabenstellung und deren Bewältigung unter komplexen, d. h. möglichst wettkampfnahen Trainingsanforderungen verstanden. Die Bandbreite der angewendeten Trainingsmittel erstreckt sich von relativ einfachen Aufgabenstellungen, z. B. Partnerübungen, über Aufgaben im bedingten Sparring2 bis zu komplexen, wettkampfadäquaten Übungsformen. Eigentliches Hauptziel des Kampfsituationstrainings muss es jedoch sein, zweckmäßige Situationslösungsvarianten im Sinne von Kampfhandlungen durch variables Wiederholen hochgradig zu automatisieren. Kirchgässner (1986) verweist auf zwei wesentliche Aspekte zur Qualifizierung des Kampfsituationstrainings: erstens die zielgerichtete und kontinuierliche Wissensvermittlung (explizites Wissen) als Bestandteil eines differenzierten Kampfsituationstrainings, und zweitens die Akzentuierung des Kampfsituationstrainings bei komplexer Anforderungsbewältigung. Letztere Aufgabenstellung haben wir insbesondere durch die Eingrenzung auf wesentliche Handlungsklassen bei unseren zielgerichteten Trainingsinterventionen berücksichtigt. Das Handlungsziel ist der erfolgreiche Angriff bzw. Gegenangriff, der sich im Erzielen von Wertungen, im Boxen Treffern, widerspiegelt. Das bewusste Schaffen von Situationen für die individuellen Spezialhandlungen wurde durch die dritte Handlungsklasse, nämlich Angriffsvorbereitungshandlungen, trainingsmethodisch den Modulen Angriff und Gegenangriff vorgeschaltet. Hier mussten die Boxer auch lernen, die Realisierungswahrscheinlichkeit einzuschätzen, die aufgrund der Gegnerwehr bzw. Gegnerstärke eminent wichtig für das Erreichen des Handlungsziels ist. Auch galt es, die Variabilität der Spezialhandlungen in Abhängigkeit von diesem unterschiedlich gewichteten und trainingsmethodisch beabsichtigten Gegnerverhalten zu trainieren. Exakte Kenntnisse und die Verinnerlichung der individuellen Kampfkonzeption sind dabei für den Trainer und Athleten eine wesentliche Voraussetzung, um das beabsichtigte „Situationstraining“ konzentriert zur Optimierung der Wirksamkeit des Kampfverhaltens zu nutzen. Durch eine zielgerichtete Anleitung der einbezogenen Trainer in das Untersuchungsvorhaben und die parallele Unterweisung der in der Untersuchungsgruppe trainierenden jugendlichen Boxsportler wurden die vorgesehenen Interventionen vorbereitet. Mittels Fragebogenmethode wurde der Wissens- und Kenntnisstand insbesondere zu strategisch-taktischen Fragestellungen bei den einbezogenen Bo2 12 Bedingtes Sparring ist ein wettkampfnahes Trainingsmittel im Boxsport, welches insbesondere methodische Differenzierungen bezüglich des Partner- bzw. Gegnerwiderstands impliziert. BASTIAN: Kampfverhalten im Boxen xern erfasst. Generalisierte Verhaltensregeln wurden den Sportlern zur mentalen Durchdringung und Verinnerlichung an die Hand gegeben mit dem Ziel, die Trainingsaufgaben bei der Realisierung des Kampfsituationstrainings zu verstehen, um aktiv bei der Aufgabenbewältigung mitzuwirken. Die Interventionsinhalte (Trainingsprogramme) wurden erprobt und auf ihre Praktikabilität hin geprüft. Es sollte eine hohe Identifikation von Trainern und Boxern mit dem angestrebten Untersuchungsziel bzw. -vorhaben erreicht werden. Aus der oben gekennzeichneten Problemstellung leiteten sich nachfolgende Fragestellungen ab: 1. Führt ein zielgerichtetes Messplatztraining zur Optimierung energetischkonditioneller Leistungsvoraussetzungen für individuell bedeutsame Kampfhandlungen (Spezialaktionen) unter dem Aspekt der Vervollkommnung der Schlagkraftleistung, der Verkürzung der Handlungszeit und der Steigerung des Kraft-Ausdauer-Potenzials? 2. Welche methodischen Grundformen und Lösungswege des strategischtaktischen Trainings führen zu einer Verbesserung des Kampfverhaltens, zu einem nachweisbaren Leistungszuwachs, gemessen an quantitativen und qualitativen Wettkampfparametern bei jugendlichen Kaderboxern? 3. Welche Wirkung haben individuell orientierte Handlungs- und Verhaltensprogramme im wettkampfnahen Training auf die Optimierung der IKK und die Verbesserung der komplexen Wettkampfleistung? 4. Welchen Einfluss bzw. Stellenwert hat die Bestimmung von Handlungszielen und Handlungsklassen als didaktisch-methodische Orientierungsgrundlagen für das individuell zu differenzierende Kampfsituationstraining im Hinblick auf eine Optimierung des Kampfverhaltens? 2 Trainingsmethodisches Vorgehen In die Trainingsinterventionen wurden Boxer einer Trainingsgruppe des Bundesstützpunkts Heidelberg einbezogen (n = 9). Diese Athleten trainieren täglich, sind also Kaderboxer, die in den Altersklassen Kadetten (15/16 Jahre) und Junioren (17/18 Jahre) nationale und auch internationale Wettkämpfe für ihren Verein bzw. für den Deutschen Boxsport-Verband bestreiten. Die Trainingsgruppe ist nicht nur hinsichtlich der Altersklassen und damit auch zumeist des Trainingsalters inhomogen, sondern auch bezüglich des Leistungsstands und der Gewichtsklasse (körperliche Konstitution). Sichergestellt war das regelmäßige Training im Untersuchungszeitraum unter Anleitung eines hauptamtlichen Stützpunkttrainers. Der Trainer hat dieses Training schriftlich dokumentiert, und für die von uns beabsichtigten Trainingsinterventionen wurden Trainingsprogramme für das Messplatztraining und das Kampfsituationstraining zum Einsatz gebracht. Das den Trainingsinterventionen zugrunde liegende trainingsmethodische Konzept wird weitestgehend in den Abbildungen 1 und 2 verdeutlicht. Z. Angew. Trainingswissenschaft 15 (2008) 1 13 Das individuelle und zielgerichtete Messplatztraining über einen Zeitraum von ca. 20 Trainingswochen und einer Messplatztrainingsintervention pro Woche (ca. 25 Minuten) sollte zu einer Verbesserung der boxspezifischen Parameter Handlungszeit und Schlagkraft, bezogen auf die individuellen Haupthandlungen (Spezialaktionen), beitragen. Die Messplatztrainingsprogramme wurden aus der individuellen Kampfkonzeption des jeweiligen Boxsportlers bezüglich seiner individuellen Haupthandlung abgeleitet. Das trainingsmethodische Vorgehen bei der Umsetzung dieser Messplatztrainingsprogramme und der Belastungsgrad (Anzahl der Serien, Durchgänge und Wiederholungen) war für alle Boxer gleich. So waren am komplexen Messplatz Boxen 10 Serien à 10 Wiederholungen in insgesamt zwei Durchgängen zu realisieren, sodass jeder Sportler bei einer Messplatztrainingsintervention seine Haupthandlung (Angriffshandlung als Schlagverbindung bzw. Schlagkombination) 200 x wiederholen musste. Die Serienpause betrug 30 Sekunden, die Pause zwischen den beiden Durchgängen fünf Minuten. Die Haupthandlungen wurden auf ein zufällig ausgelöstes optisches Signal hin geschlagen, wobei bei jeder Handlung die Handlungszeit und die Schlagkraft der individuellen Kampfhandlung (als Kraftsumme) gemessen wurde. Die Athleten mussten hoch konzentriert und aufmerksam sein, um in kürzester Zeit eine möglichst hohe Kraftsumme ihrer komplexen Kampfhandlung und eine optimale, d. h. geringe, Handlungszeit zu erreichen. Die erfassten Werte wurden für die einzelnen Serien und die zwei Durchgänge gemittelt. Parallel wurden individuell differenzierte Trainingsprogramme zur Optimierung des Kampfverhaltens unter den Bedingungen des Wettkampfs realisiert. Diese Programme für ein individuell orientiertes Kampfsituationstraining wurden 2 x wöchentlich ebenfalls über einen Zeitraum von ca. 20 Wochen absolviert. Sie waren auf drei Handlungsklassen ausgerichtet, die im Kampfverhalten von Boxsportlern die Hauptverhaltensweisen für ein siegorientiertes Kampfverhalten widerspiegeln: − − − 14 Angriffsvorbereitung (individuell bevorzugte Varianten von Angriffsvorbereitungshandlungen), Angriffsgestaltung (Realisierung der individuellen Haupthandlungen – Spezialaktionen im Angriffsverhalten), Gegenangriffsgestaltung (Realisierung von individuellen Haupthandlungen im Gegenangriffsverhalten). BASTIAN: Kampfverhalten im Boxen Z. Angew. Trainingswissenschaft 15 (2008) 1 Trainingsziel Trainingsaufgabe Kampfhandlungstraining zur Vervollkommnung technischkoordinativer und konditioneller Leistungsvoraussetzungen Haupthandlungen (Spezialaktionen der individuellen Kampfkonzeption) Kampfhandlungstraining zum Lösen von Kampfsituationen = Kampfsituationstraining Angriffsverhalten Treffervorsprung – Gewinn der 1. Runde; Trefferausbau – durchgängiges kampfbestimmendes Verhalten; RSC OS*Strategie; Gegenangriffsverhalten bei GAAkzentuierung entsprechend der individuellen Kampfkonzeption, Verhalten in Standardsituationen Gegnerbezogene Siegabsicht – dominantes, kampfbestimmendes und situationsangemessenes Kampfverhalten Training der komplexen Wettkampfleistung * Inhalte (Trainingsmittel) Messplatztraining Didaktisch-methodische Hinweise Vervollkommnen und Festigen dieser individuellen Kampfhandlungen; Stabilisieren der individuellen Kampfhandlungen (Spezialaktionen) Vorgabe von Wiederholungen pro Serie, Anzahl der Serien und Anzahl der Durchgänge Partnerübungen; Bedingtes Sparring I-III; Freies Sparring; Trainingswettkampf; Wettkampf Erkennen und Wahrnehmen; Entscheidungsalternativen; Umsetzen von Verhaltensweisen; Aneignung von Realisierungsprogrammen; Umsetzung strategischer Modelle; offensive Gegnereinstellung; Stabilisierung des Wettkampfverhaltens Simulation bzw. Modellierung von Kampfsituationen; Erhöhung des Gegnerwiderstands; gezielter Partnerwechsel; Variieren des Freiheitsgrads; Handicaptraining; Extremtraining Freies Sparring; Trainingswettkampf; Wettkampf Stabilisierung des Wettkampfverhaltens; Sammeln von Wettkampferfahrungen; permanentes kampfbestimmendes Verhalten Aufforderung zu kampfbestimmendem Verhalten; Brechen des Gegnerwiderstands; Treffervorsprung erzielen und ausbauen Belastungsgestaltung RSC OS ist ein Kampfurteil im Boxsport. Es bedeutet „referee stop contest by out scored“. Das heißt Treffervorsprung, der zum vorzeitigen Kampfabbruch führt. Abb. 1. Übersicht zum methodischen Vorgehen im Rahmen der beabsichtigten Trainingsinterventionen 15 16 Zielstellung: Optimierung des Kampfverhaltens im Einklang mit der Vervollkommnung der individuellen Kampfkonzeption (IKK) Kampfhandlungen = Situationslösungsverfahren Angriffshandlungen, GA-Handlungen, Verteidigungshandlungen, Manöverhandlungen Kampfsituationen = Vervollkommnung der technischkoordinativen Fähigkeiten und Fertigkeiten im Komplex mit konditionellen Leistungsvoraussetzungen Angriffshandlungen/ Schlagtechniken IKK Verteidigungshandlungen/ Verteidigungstechniken IKK BASTIAN: Kampfverhalten im Boxen Programme für das Messplatztraining – Programme für das B20-Training – die individuellen Kampfhandlungen betreffend permanent variierende, zielgerichtete, gegnerbezogene Interaktion mit Prozesscharakter D ominante K ampfsituationen, z. B. strategischtaktisches Grundverhalten – Kampfstil, Angriffsstrategien, GA-Strategie Untergeordnete Kampfsituationen, z. B. Konstitution, Ringposition, bevorzugte Distanz Programme zur Schulung und für das wkn Training – Verhaltensprogramme mit Einschluss der individuellen Kampfhandlungen Abb. 2. Schema für das Kampfhandlungs- und Kampfsituationstraining im Boxen Standardsituationen, z. B. nach Ringrichterkommando, nach Niederschlag, Verhalten gegen RA, Eigenabsichtliches, kampfbestimmendes Verhalten (agierend) Durch Gegner erzwungenes Kampfverhalten (reagierend) Auch die Trainingsprogramme für das Kampfsituationstraining sind bezüglich der Ziel- und Aufgabenstellung, der Methodik und Belastungsgestaltung, der Wahl der Trainingsmittel, weitestgehend standardisiert. Die Differenzierungen wurden über die individuellen Kampfhandlungen und das jeweilige individuelle strategischtaktische Grundverhalten des Boxers realisiert. Das Grundverhalten war auch für die Auswahl und die Häufigkeit der zum Einsatz kommenden Trainingsprogramme ausschlaggebend, d. h., Fragen wie: „Ist der Boxer im Grundverhalten ein Angriffsboxer oder bevorzugt er hauptsächlich das Gegenangriffsverhalten?“, wurden berücksichtigt. Danach richtete sich die Akzentuierung in der Auswahl und auch die Häufigkeit des Programmeinsatzes. Wettkampfanalysen zur Evaluierung der Qualität und der Entwicklung des individuellen Kampfverhaltens wurden als Prä- und Posttestvergleich per Videoanalyse vorgenommen. Dabei wurde als Prätest ein Wettkampf vor Beginn der Trainingsinterventionen im IV. Quartal 2006 analysiert, und als Posttest wurden Wettkämpfe der Deutschen Meisterschaften im Mai/Juni 2007 in die Evaluierung einbezogen. Mittels schriftlicher Beobachtungsmethode (Beobachtungsprotokoll) wurde das Kampfverhalten charakterisiert und einer Beurteilung zugeführt. Insbesondere die im Boxsport seit Jahren herangezogenen Wettkampfparameter Wirksamkeitsquotient WQ (Treffer erzielt/Treffer erhalten) und der Handlungsrationalitätsquotient HRQ (Anzahl der Kampfhandlungen/Anzahl der erzielten Treffer) haben wir bei der Beurteilung der Wirksamkeit des Kampfverhaltens in den Mittelpunkt gerückt (vgl. Bastian & Fröhner, 1995; Bastian, 2005). In der nachfolgend aufgeführten Tabelle 1 haben wir das Untersuchungsdesign zum besseren Verständnis noch einmal zusammengefasst. Tab. 1. Untersuchungsdesign Interventionsziel Optimieren des Kampfverhaltens durch Kampfsituationstraining Optimieren der individuellen Kampfhandlungen durch Messplatztraining Dauer der Intervention 20 Wochen, 1.-21. Kalenderwoche 2007 20 Wochen, 1.-21. Kalenderwoche 2007 Belastungsumfang Erfasste Parameter 9 2 x pro Woche ca. 30 Minuten Wirksamkeitsquotient WQ; Handlungsrationalitätsquotient HRQ 9 1 x pro Woche ca. 25 Minuten Schlagkraft F in ME; Handlungszeit in 1/1000 s Boxer 3 Ausgewählte Ergebnisse 3.1 Ergebnisse der Messplatztrainingsinterventionen Wir konzentrieren uns bei der Ergebnisdarstellung auf ausgewählte Parameter, die aber bezüglich ihrer Bedeutung für die Verbesserung boxspezifischer Leistungsvoraussetzungen äußerst relevant sind (vgl. Tabelle 1). Im Mittelpunkt der Messplatztrainingsinterventionen standen die individuellen Haupthandlungen (Angriffshandlungen = Spezialaktionen laut IKK) der einbezogenen Nachwuchsboxer. Die Schlagkraft von Boxsportlern ist eine höchst bedeutsame Komponente, insbesonZ. Angew. Trainingswissenschaft 15 (2008) 1 17 dere unter dem Aspekt wirkungsvoller Angriffs- und Gegenangriffshandlungen, die im Wettkampf zur Erringung des Siegs über einen konträr handelnden Gegner wichtig ist. Sie kann am komplexen Messplatz Boxen gemessen werden, und zwar sowohl als einzelner Kraftstoß, aber auch als Kraftsumme bei komplexeren Angriffshandlungen. Letzteres war das Anliegen im Zusammenhang mit der Objektivierung des Kraftvermögens bei den individuellen Angriffshandlungen vor, während und nach den Messplatzinterventionen. Da jeder Boxer differenzierte Kampfhandlungen entsprechend seiner individuellen Kampfkonzeption trainiert, verbietet sich eine Zusammenführung dieser Kraftmesswerte für die gesamte Population. Wichtig war für unsere Intervention, die Wirksamkeit des Messplatztrainings bei jedem einzelnen Athleten zu ermitteln und das Ausgangsniveau mit dem nach der Intervention erreichten Ergebnis zu vergleichen. Nach der Intervention können fünf der neun Probanden eine leichte Verbesserung der Kraftleistung nachweisen. Ein Athlet kann sich markant verbessern. Bei zwei Athleten kommt es zu keiner Leistungssteigerung, und ein Boxer hat einen deutlichen Leistungsrückgang zu verzeichnen. Abbildung 3 verdeutlicht die Ergebnisse dieses Vergleichs der Entwicklung des Kraftniveaus. Abb. 3. Ergebnisse der Entwicklung der Schlagkraft der Spezialaktion in Messeinheiten (ME)1 – Mittelwert 1 18 ME = Messeinheiten = sportartspezifisch definierte physikalische Größe für die Kraftmessung am komplexen Messplatz Boxen (vgl. Bastian, 1994, 1997). BASTIAN: Kampfverhalten im Boxen Das statistische Prüfverfahren zeigt folgendes Ergebnis: Prätest (M = 263, SD = 34), Posttest (M = 262, SD = 24), t(8) = 0,04, p = 0,97). Daraus ergibt sich, dass im Vergleich beider Testreihen keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden konnten. In der exakt gleichen Versuchsanordnung (Messplatztraining) wurden die Handlungszeiten für die laut Messplatzprogramm abgeforderten Spezialaktionen parallel zur Kraft gemessen. Aus Abbildung 4 wird dieses Ergebnis deutlich. Auch hier haben wir ein sehr differenziertes Leistungsergebnis zu verzeichnen. Bei der Handlungszeitverkürzung, die im Ergebnis der Trainingsinterventionen beabsichtigt war, können sich sechs Boxer steigern, drei davon auffällig; weitere drei Boxer benötigen längere Handlungszeiten als beim Ausgangstest und verschlechtern sich. Trainingsmethodisch beabsichtigt war jedoch die Zielstellung, die Kraftsumme zu steigern, aber dabei möglichst die Handlungszeit zu verkürzen. Dies entspricht den Anforderungen des Wettkampfs, nämlich in kürzester Zeit relevante Kampfsituationen für die eigene Handlungsabsicht (Treffer erzielen) zu schaffen und motorisch zu realisieren. Prätest Januar 2007 Posttest Mai 2007 1400 1200 Handlungszeit (ms) 1000 800 600 400 200 0 M.V. F.E. S.E. B.R. J.M. M.A. S.D. G.D. G.M. Athleten Abb. 4. Ergebnisse der Entwicklung der Handlungszeit Das statistische Prüfverfahren für die Entwicklung der Handlungszeit zeigt folgendes Ergebnis: Prätest (M = 1006, SD = 47), Posttest (M = 988, SD = 115), t(8) = 0,45, p = 0,61). Auch beim Vergleich dieser beiden Testreihen wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen Ausgangs- und Enduntersuchung bezüglich der Verbesserung der Handlungszeit ermittelt. Z. Angew. Trainingswissenschaft 15 (2008) 1 19 Fasst man die Ergebnisse der Abbildungen 3 und 4 zusammen, so gelingt es keinem der einbezogenen Athleten, sich in beiden Parametern gleichzeitig zu verbessern. Einige steigern ihre Kraft, aber auf Kosten längerer Handlungszeiten, andere verkürzen ihre Handlungszeit, aber auf Kosten der Kraft. Lediglich die Sportler M. V., S. E. und S. D. erreichen nach dem Interventionszeitraum befriedigende Ergebnisse in beiden Parametern. 3.2 Ergebnisse zur Optimierung des individuellen Kampfverhaltens Das Erfassen, Bewerten und Systematisieren erfolgreicher, hochwirksamer Kampfhandlungen durch die Videoanalyse ist seit vielen Jahren das bestimmende Verfahren im Boxsport zur Objektivierung der Wettkampfleistung. Das bis dato effizienteste Verfahren der Wettkampfbeobachtung ist die simultane Kopplung von Videobild und Zeitprotokoll der elektronischen Boxpunktmaschine, dem Bewertungsverfahren des internationalen Verbands, welches bei den Hauptwettkämpfen, wie Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften, zum Einsatz kommt. Es ist allerdings ein sehr zeit- und technologieaufwendiges Verfahren. Die Analyse des Kampfverhaltens unter den normalen Praxisbedingungen beruht auf der Videoanalyse und der Auswertung des Wettkampfs mittels schriftlicher Beobachtungsverfahren. Das dabei im Rahmen unserer Untersuchungen zum Einsatz kommende schriftliche Beobachtungsprotokoll (vgl. Abb. 5) wurde bereits bei ähnlich gelagerten Erhebungen (Görisch, 2005) erfolgreich eingesetzt. Die Wettkampfanalyse ist im Boxen eines der bedeutsamsten Verfahren der Trainings- und Leistungssteuerung, weil sie einen relativ fundierten Einblick in das Niveau und das Zusammenwirken der wesentlichen Leistungsfaktoren in ihrer Komplexität und unter den Bedingungen höchster psychischer und physischer Anspannung in der Auseinandersetzung um den Sieg gestattet (Bastian & Fröhner, 1995). „Aussagekräftige Informationen und Dokumentationen zur Wirksamkeit des individuellen Handelns, zum taktisch richtigen Verhalten, zu den Stärken und Schwächen des Athleten bzw. seines Gegners sind von eminenter Bedeutung für die Qualifizierung des Trainings- und Vorbereitungsprozesses von Spitzenboxern“ (Bastian & Ranze, 1995, S. 12). 20 BASTIAN: Kampfverhalten im Boxen Abb. 5. Wettkampfbeobachtungsprotokoll für die Videoanalyse von Boxwettkämpfen Die Erfassung der Angriffs-, Gegenangriffs- und Verteidigungshandlungen als Zeitstrahl für den Runden- und Kampfverlauf sowie die qualitative Kennzeichnung erfolgreicher Kampfhandlungen (Treffer erzielt), neutraler Kampfhandlungen (keinen Treffer erzielt, aber auch keinen Treffer erhalten) sowie die Erfassung von Gegentreffern soll helfen, das Kampfverhalten über das Wettkampfergebnis (Urteil des Kampfgerichts) hinaus zu bewerten. Die Erfassung auf der Basis der Videoanalyse, die Möglichkeit der mehrfachen, wiederholten Beurteilung, der Zeitlupenfunktion und der Erhöhung der Objektivität durch die Beobachtung des gleichen Wettkampfs durch mehrere bzw. weitere geschulte Experten/Trainer gestatten so, das Verfahren bezüglich seiner Gültigkeit und seiner Aussagefähigkeit als Gradmesser für die Beurteilung der Wirksamkeit des individuellen Kampfverhaltens zu nutzen. Eine tiefer gehende Analyse ermöglicht darüber hinaus den Abgleich zu dem im Kampfsituationstraining des jeweiligen beobachteten Boxers in den Mittelpunkt gestellten Kampfverhaltens bezüglich dessen Umsetzung unter den Bedingungen des realen Wettkampfs, d. h. des ebenfalls siegen wollenden Gegners und seiner Gegnerstärke. Bei der Beurteilung des individuellen Kampfverhaltens werden seit Jahren im Boxverband (Spitzenbereich) sogenannte Wettkampfquotienten benutzt. Im Rahmen der Wettkampfanalysen unserer neun Probanden wurde sowohl im Ausgangs- Z. Angew. Trainingswissenschaft 15 (2008) 1 21 test als auch im Endtest jeweils ein Wettkampf auf nationaler Ebene (z. B. Deutsche Meisterschaft der Kadetten und Junioren der Jahre 2006 und 2007) herangezogen. Dabei haben wir uns auf zwei Parameter der Wettkampfleistungsfähigkeit konzentriert: − − Es geht erstens um den Wirksamkeitsquotienten (WQ), der das Verhältnis von erzielten Treffern zu erhaltenen Treffern widerspiegelt. Wenn der Athlet nach Trefferwertung seinen Wettkampf gewonnen hat, wird in jedem Fall unabhängig von der Höhe des Siegs und der Differenz im Ergebnis ein Wert über 1 ermittelt. Je höher dieser WQ, umso deutlicher ist das Ergebnis, d. h. umso größer ist die Differenz im Kampfergebnis. Der zweite von uns gewählte Parameter soll die Effektivität des Kampfverhaltens widerspiegeln. Es handelt sich um den sogenannten Handlungsrationalitätsquotienten (HRQ). Dieser setzt die erzielten Treffer zur Anzahl aller Kampfhandlungen ins Verhältnis, um den Aufwand bzw. die Ökonomie des Kampfverhaltens zu bestimmen. Je deutlicher dieser HRQ sich der Zahl 1 annähert, umso besser ist die Effizienz des Kampfverhaltens, natürlich eine Siegleistung (WQ > 1) vorausgesetzt. Aus Abbildung 6 der Gegenüberstellung der Ergebnisse der Wettkampfanalyse, die das Ziel hatte, die Wirksamkeit des Kampfsituationstrainings zu evaluieren, geht insgesamt eine sehr positive Leistungsentwicklung hervor. Zum einen ist als Positivum festzustellen, dass alle untersuchten Athleten ihren Wettkampf im Posttest bei den deutschen Einzelmeisterschaften der Kadetten und Junioren siegreich gestalten konnten, zum anderen sind bei allen Boxern teilweise gute bis sehr gute Steigerungsraten in Bezug auf die Wirksamkeit des Kampfverhaltens zu registrieren. Das von uns auch bei diesem Vergleich eingesetzte statistische Prüfverfahren ergibt folgende Feststellung: Prätest (M = 1,66, SD = 0,4), Posttest (M = 2,31, SD = 0,5), t(8) = -9,2, p < 0,001, d’ = 3,07). Der statistische Vergleich belegt, dass es bei diesem Wettkampfparameter einen hoch signifikanten Beleg für die Leistungssteigerung gibt. Das wird in Abbildung 7 klar dokumentiert. Hier wird durch unsere statistische Überprüfung des Mittelwertvergleichs das ermittelte positive Ergebnis tendenziell bestätigt. Prätest (M = 0,57, SD = 0,1), Posttest (M = 0,67, SD = 0,1), t(8) = -2,1, p = 0,07, d’ = 0,7). Eine Gewichtung der jeweiligen Gegnerstärke wurde bei den Wettkampfanalyseparametern berücksichtigt, aber nicht in das statistische Prüfverfahren eingebunden. Die Leistungsentwicklung im individuellen Kampfverhalten weist insgesamt eine positive Tendenz auf. Die zielgerichteten Trainingsinterventionen zur Qualifizierung und Umsetzung des Kampfsituationstrainings haben ‒ stützt man sich auf die in den Abbildungen 6 und 7 dargestellten Untersuchungsbelege ‒ bei der Mehrzahl der jugendlichen Boxer zu Fortschritten im individuellen Kampfverhalten unter Wettkampfbedingungen geführt. 22 BASTIAN: Kampfverhalten im Boxen Prätest WK 2006 Posttest WK 2007 3,5 3 2,5 WQ 2 1,5 1 0,5 0 M.V. F.E. S.E. B.R. J.M. M.A. S.D. G.D. G.M. Athleten Abb. 6. Ergebnisse der Entwicklung des Wirksamkeitsquotienten ([WQ] = Treffer erzielt/Treffer erhalten) im Vergleich Prätest und Posttest Prätest WK 2006 Posttest WK 2007 1 0,9 0,8 0,7 HRQ 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 M.V. F.E. S.E. B.R. J.M. M.A. S.D. G.D. G.M. Athleten Abb. 7. Ergebnisse der Entwicklung des Handlungsrationalitätsquotienten ([HRQ] = Treffer erzielt/Anzahl der Kampfhandlungen) im Vergleich Prätest und Posttest Z. Angew. Trainingswissenschaft 15 (2008) 1 23 4 Schlussfolgerungen 4.1 Zur Verbesserung der Trainingsqualität beim Messplatztraining im Boxen Der trainingsmethodisch begründete und von uns realisierte Ansatz eines individuellen Messplatztrainings zur Vervollkommnung individueller Leistungsvoraussetzungen, wie Schlagkraft und Handlungsschnelligkeit, hat sich nur in Einzelfällen als richtig erwiesen. Im Mittel sind die Leistungen nicht entsprechend unserer Hypothese ausgefallen. Die individuellen Haupthandlungen, also die bevorzugten Angriffshandlungen komplexer Natur als 3er-Schlagverbindung bzw. Schlagkombination, in den Mittelpunkt des Trainings am Messplatz zu rücken, sollte weiterverfolgt werden. Kritisch muss man im Ergebnis der Untersuchungen den Beanspruchungsbzw. Belastungsgrad der gewählten Programme und ihrer Anforderungsstruktur beurteilen. Hier sollte man in Zukunft nach dem Prinzip verfahren „Weniger ist manchmal mehr!“. In ca. 25 Minuten individueller Messplatztrainingszeit insgesamt 200 Wiederholungen der individuellen Spezialaktion bei entsprechenden Pausenzeiten zu leisten, stellt auch nach ausführlichen Auswertungsgesprächen mit Trainern und Athleten offensichtlich eine Überforderung dar, was sich im Aufmerksamkeitsverhalten und in der Konzentration niederschlägt. Entsprechende Prüfungen sind bereits konzipiert. Ebenso kritisch muss man die Häufigkeit des Messplatztrainings (in unserem Fall geplant 1 x wöchentlich, realisiert im Durchschnitt 7-8 Interventionen in ca. 20 Wochen) beleuchten. Die Richtigkeit und der Nutzen des Messplatztrainings werden von keinem Athleten unserer Untersuchungsgruppe in Frage gestellt. Auch der federführende Trainer und Untersuchungsleiter kommt zu diesem Schluss. Für künftige Interventionen bzw. Messplatztrainingsaufgaben erscheinen aber erstens kürzere Interventionen sinnvoll, beispielsweise in Anlehnung an die jeweilige Wettkampfzeit (8-10 Minuten); ebenso könnte es trainingsmethodisch relevant sein, die Häufigkeit auf wenigstens zwei Interventionen à 10 Minuten pro Woche auszudehnen und den Zeitraum einer akzentuierten Trainingsphase auf vier bis maximal sechs Wochen einzuschränken. Solche Messplatztrainingsphasen sollten in den sogenannten Vorwettkampfphasen platziert werden, d. h. etwa 8-10 Wochen vor dem nationalen oder auch internationalen Wettkampfhöhepunkt der jeweiligen Altersklassen. 4.2 Folgerungen für das wettkampfnahe Training, insbesondere für das Kampfsituationstraining Der Einsatz von Trainingsprogrammen zu relevanten Handlungsklassen hat sich bewährt. Das Training wurde zielgerichteter, systematischer und strukturierter realisiert. Die Athleten wurden in diesem Umsetzungsprozess permanent gefordert, ihre individuellen Kampfverhaltensweisen (taktisches Grundverhalten, bevorzugte Angriffsvorbereitungshandlungen bzw. Verhaltensweisen, Spezialaktionen im Angriff und Gegenangriff) zu vervollkommnen, variabel anzuwenden und vor allem auch unter dem Aspekt von Handlungshäufigkeit, Handlungsdichte an den aktuellen internationalen Maßstäben zu orientieren. Die Auseinandersetzung in der Trainer24 BASTIAN: Kampfverhalten im Boxen Sportler-Kommunikation zu diesen Ziel- und Aufgabenstellungen wurde durch die Vorgabe der Programme und das Abfordern der wesentlichen Inhalte der individuellen Kampfkonzeption permanent geführt. Die Orientierung auf zwei Interventionen zum Kampfsituationstraining pro Woche erscheint auch unter dem Aspekt der guten Wettkampfleistungen in diesem Altersbereich durchaus methodisch begründet zu sein. Reserven für das qualitativ sehr fordernde Training liegen sicherlich in der Partnerproblematik generell begründet. Da aber die Boxer unserer Untersuchungsgruppe auch auf leistungsfähige Partner aus dem Junioren- und Männerbereich am Bundesstützpunkt Heidelberg zurückgreifen konnten, führte diese im Boxen sehr markante Problematik nicht zu Einschränkungen. Ein Teil der Untersuchungsgruppe kam auch im Verlauf der Trainingsintervention zu zusätzlichen Wettkampfeinsätzen in der Mannschaftsliga des DBV. Dieser Umstand einer häufigeren Wettkampftätigkeit wirkt sich natürlich insgesamt fördernd auf die beabsichtigte Zielstellung für das Kampfsituationstraining aus. Literatur Barth, B. (1994). Strategie und Taktik im Wettkampfsport. Leistungssport, 24 (3), 4-12. Barth, B. (2005). Strategisch-taktisches Training in den Zweikampfsportarten im Lichte verschiedener Betrachtungsmodelle. In K. Schumann & R. 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