Harnwegsinfektion - Klinik und Poliklinik für Kinder

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Harnwegsinfektion - Klinik und Poliklinik für Kinder
SOP - Kindliche Harnwegsinfektionen
Definition der Harnwegsinfektion (HWI):
Besiedelung des Harntraktes mit pathogenen Keimen UND Entzündungsreaktion des Körpers.
Zur Diagnosestellung „Harnwegsinfektion“ müssen sowohl Erreger als auch Entzündungsreaktion nachgewiesen werden.
Pathogenese der HWI:
Überwiegend aszendierene Infektionen. Keimreservoir sind Darm und Preputium.
Keimspektrum Abhängig von Alter und Geschlecht: E. coli >80%, Klebsiellen 3%, Pseudomonas und Enterokokken je 2%. CAVE bei Jungs 30% Proteus ab 2. Lj.
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Prädisponierende Faktoren für Auftreten einer HWI:
Vesikoureteraler Reflux (VUR): 30% der Mädchen und 25% der Jungs mit febrile HWI sind
betroffen.
Restharnbildung bzw. Blasenentleerungsstörung (auch Miktionsaufschub!!)
Harnstau (Hydronephrose, Megaureter)
Obstipation
Sexuelle Aktivität der Mädchen bzw. Genitalhygiene
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Einteilung der HWI:
Nach Symptomatik:
- Asymptomatische Bakteriurie (KEINE HWI)
- Asymptomatische HWI
- Symptomatische HWI : febril oder afebril
Nach Lokalisation:
-Zystitis / Urethritis
-Pyelonephritis / Nierenabszess
Nach Komplikation:
- Unkompliziert
- Kompliziert durch:
Fehlbildung der Nieren u./o. der Harnwege
Vesikoureteraler Reflux
Blasenentleerungsstörung
Fremdkörper, Steine
Diabetes mellitus
Immunsuppression
Niereninsuffizienz…
SOP Kindliche Harnwegsinfektionen
Mögliche klinische Symptome der HWI:
PYELONEPHRITIS
Neugeborenes: Nahrungsverweigerung, Irritabilität oder Apathie, Fieber nur selten
Säugling:
Ältere Kinder:
„unklare“ Fieberepisode, evtl. Fieberkrampf, Erbrechen, Durchfall,
Azidose, Elektrolytentgleisung; Sepsiszeichen bis zu 20%!
Fieber, Bauchschmerzen, Flankenschmerzen
ZYSTITIS
Oft Mädchen, älter als 2 Jahre (bei jüngeren fällt es weniger auf!)
Bauchschmerzen, Dysurie, Pollakisurie,
Drangsymptome, sekundäre Harninkontinenz
trüber, übelriechender Urin
Hämorrhagische Zystitis durch Adenoviren typisch
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Urinuntersuchung IMMER Indiziert bei:
Jedem Fieber unklarer Ätiologie bzw. unklarer Fokus
Jedem Fieber beim Säugling – Kind wartet mit Urinbeutel auf Untersuchung in der Poliklinik
Gedeihstörung beim Säugling
Unklare Bauch- oder Flankenschmerzen
Pollakisurie, Dysurie, (Drang)Inkontinenz, Harnverhalt
Blut im Urin
Übelriechendem Urin
Welche Urinprobe ist für die (mikrobiologische) Diagnostik geeignet?
Bei Kindern, die in der Lage sind, einen „abgewaschenen“ Mittelstrahlurin abzugeben, ist
dieser auch für mikrobiologische Untersuchung geeignet.
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Beutelurin nur zu Orientierung ausreichend!
Wenn es gelingt, einen Harnstrahl bei Kleinkindern oder Säuglinge steril „aufzufangen“ =
clean catch, ist es gleichwertig mit dem Mittelstrahlurin.
In allen „weiteren“ Situationen ist die suprapubische Basenpunktion Mittel der Wahl.
Die transurethrale Katheterisierung bei weiblichen Säuglingen ohne lokale Entzündung üblich.
Bei kritisch krankem Kind nicht auf spontane Miktion warten, sofort Blasenpunktion oder Blasenkatheter!
Erstellt von Dr. med. K. Dittrich
Leiterin des Bereichs Pädiatrische Nephrologie und Transplantation des UKL
Freigabe im Juni 2013
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Blasenpunktion:
Bedingungen:
Blase soll gefüllt sein (direkte Sono-Kontrolle)
Steriles Abwaschen der Haut
Punktion mit aufgesetzter Kanüle (gelb)
Aspiration in 5-10 ml Spritze
Kein Verband nötig
Keine Infektionsgefahr durch Punktion aber Eltern finden es oft bedrohlich.
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Blasenkatheterismus transurethral:
Blasenfüllung unwichtig (Katheter kann auch liegen Bleiben bei Entleerungsstörung)
Geeigneter Katheter notwendig (6Ch-8Ch), keine Magensonde!!
Reinigen der Harnröhrenöffnung (Octenisept und steriles Wasser)
Es ist NIE steril! – Nach Punktion prophylaktische Behandlung sinnvoll
Verletzung der Harnröhre möglich aber Eltern finden es meist nicht so bedrohlich
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Möglichkeiten der Urindiagnostik:
Teststreifen:
Lila = Leukozyten-Estherase-Reaktion
Rosa = Nitrit – sehr spezifisch, CAVE niedrige Sensitivität !
Mikroskopie des Urins oder des Sedimentes:
Leukozyten oder Leukozytenzylinder (BEWEISEND); Erythrozyten, Bakterien o. Pilze
sichtbar
Bakteriologische Diagnostik Urinkultur mit Bestimmung der Keimzahl
Die Urinprobe muss immer vor erste Antibiotikagabe gewonnen werden.
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SICHER pathologische Urinbefunde:
Mittelstrahl/Clean catch
>100.000 Keime und 50 Leukozyten/ml
Katheterurin
> 10.000 Keime und 10 Leukozyten/ml
Blasenpunktionsurin
>
Beutelurin
nur negative Leukozytenzahl (<50/ml) gültig
nicht geeignet für mikrobiologische Untersuchung
1Keim und 10 Leukozyten/ml
Empfohlene Labordiagnostik bei HWI:
Blutbild mit Differenzierung, CRP zu Trennung zwischen Pyelonephritis und Zystitis
Bei Säuglinge, komplizierte HWIs oder klinisch schlechtem Zustand bzw. V.a Urosepsis zusätzlich Astrup, Elektrolyte (Na, K, Cl, Ph), Kreatinin, Harnstoff und Blutkultur.
Empfohlene Bildgebende Diagnostik während der HWI:
Sonographie der Nieren und der Harnwege:
Bei Säugling oder Urosepsis möglichst in de ersten 24h, sonst innerhalb 48h. Sonographie
bei HWI NIE Notfall, lediglich wichtig zur Klärung ob Harntransportstörung, Urinabflussstörung bzw. ein Nierenabszess besteht.
Wichtige Fragen an Radiologe: Nierengröße und Textur, Harntransportstörung, Schwebesedimente?
Weitere Untersuchungen wie MCU, Nierenszintigraphie oder MR-Urographie meist erst nach
Therapieende indiziert, die Indiktion stellt der Kinder-Nephrologe oder Kinder-Urologe.
MCU sollte geplant werden nach erster gesicherten Pyelonephritis – unabhängig vom Geschlecht- wenn zusätzlich eine Harntransportstörung oder Nierenfehlbildung besteht oder bei
„normaler“ Anatomie ungewöhnlicher Erreger nachgewiesen wurde oder trotz „wirksame“
Behandlung das Kind nach 72h nicht entfieberte.
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Therapie der HWI
Asymptomatische Bakteriurie – keine Behandlung
Asymptomatische Harnwegsinfektion – Behandlung nur bei „Risikopatienten“ unter Immunsuppression, mit fremdmaterial in den Harnwegen usw.
Zystitis
Sofort behandeln, ambulant
Ceftibuten 9 mg/kg in 1ED oder TMP oder Nitrofurantoin 5mg/kg in 2 ED oder Unacid
50mg/kg in 2ED
Oral, über 3 - (5) Tage („single Dose“ für Kinder nicht Empfohlen)
+ reichlich Flüssigkeitszufuhr
+ möglichst vollständige Blasenentleerung
Kalkulierte Therapie der Pyelonephritis
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Junge Säuglinge und alle Kinder mit komplizierter Pyelonephritis:
Cefotaxim 100(-200) mg/kg in 2ED zusammen mit Ampicillin 100mg/kg in 3ED i.v.
oder
Tobramycin 5-6 mg/kg in 2ED (Talspiegel 0,5-2; Spitzenspiegel <10 µg/ml) zusammen
mit Ampicillin100 mg/kg in 3ED iv.
Therapiedauer über 10-14 (evtl. 21) Tage, wobei frühestens 48h nach Entfieberung die Therapie – entsprechend des Resistogramms - oralisiert werden kann.
Ältere Kinder mit unkomplizierter Pyelonephritis:
Therapiebeginn je nach klinischem Zustand und Trinkleistung bzw. Erbrechen ambulant oder
stationär.
Oral Ceftibuten 9 mg/kg in 1ED oder Unacid 50mg/kg in 2ED empfohlen. (CAVE: TMP
oder Nitrofurantoin NICHT ausreichend).
Intravenös Cefotaxim 100 mg/kg in 2ED oder Unacid 150mg/kg in 3ED.
Therapiedauer (7)-10 Tage, Anpassung des Wirkstoffs nach Antibiogramm.
Wichtig auch hier: bei Diagnosestellung SOFORT Therapiebeginn und reichlich Flüssigkeitszufuhr mit möglichst vollständiger Blasenentleerung.
Unbedingt PARENTERALE Therapie starten bei:
Stark reduzierter Allgemeinzustand
Erbrehen, Nahrungsverweigerung
Verdacht auf Urosepsis
Komplizierte Pyelonephritis
Non-Compliance (Eltern!)
Signifikant mehr dauerhafte Schädigung des Nierenparenchyms bei verspätete oder unzureichende Antibiotische Therapie!
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Reinfektionsprophylaxe
Wer soll eine Prophylaxe erhalten?
ALLE nach Pyelonephritis, bis die Diagnostik (MCU) Abgeschlossen ist
Rezidivierende HWI mit Inkontinenz
3-6 Monate
Postcoitale Prophylaxe bei weiblichen Jugendlichen
Langzeitprophylaxe nur für Risikogruppen:
VUR > II°
Obstruktive Uropathie mit Megaureter (POM) bei Kleinkindern
Immunsupprimierte Patienten mit Restharnbildung
Harnsteine mit HWI
Patienten mit Fremdkörper/Splint im Harntrakt
Blasenentleerungsstörung (neurogen, obstruktiv…)
Welcher Wirkstoff kann zu Pophylaxe verwendet werden?
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Ceftibuten 2-3 mg/kg abends ab Geburt (CAVE: als Prophylaxe nicht zugelassen)
(Cefaclor 10mg/kg abends ist am UKL nicht gelistet)
Trimethoprim 1x2 mg/kg abends ab 8. Lebenswoche. Zugelassen für 12 Monate als RIP
(Infektotrimet Saft o. Tablette ausreichend, Cotrim nicht wirksamer)
Nitrofurantoin 1-2 mg/kg abends ab 3. Lebensmonat. Zugelassen für 6 Monate als RIP
Sinnvolle initiale Therapie bei Durchbruchinfektion unter Reinfektionsprophylaxe:
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Prophylaxe mit Cephalosporine
Erwarteter Erreger: Enterokokken oder Pseudomonas ssp., ESBL!
Kalkulierte Therapie mit Amoxicillin, Ceftazidim, Ciprofloxacin oder Gentamicin starten.
Prophylaxe mit Trimethoprim+/- Sulfamkethoxazol
Erwarteter Erreger: Resistente E. coli-Stämme
Kalkulierte Therapie mit Ceftibuten 1x9 mg/kg oder Unacid 2x25 mg/kg p.o.
Prophylaxe mit Nitrofurantoin
Erwarteter Erreger: Proteus, Pseudomonas oder Klebsiellen
Kalkulierte Therapie mit Ciprofloxacin 15 mg/kg in 2ED p.o. oder Ceftazidim 100 mg/kg in
2ED i.v. und/oder Tobramycin 6 mg/kg in 1ED (Talspiegel 0,5-2 µg/l).
Bei Fragen jederzeit Päd. Nephrologen konsultieren tagsüber DECT 26948, außerhalb
der Dienstzeiten unter 0151 55019299.
Vorschläge zu DRG-Kodierung:
Zystitis N39.0
Pyelonephritis N10, in Verbindung mit dem Erreger B…!
Urosepsis A41.9 in Verbindung mit dem Erreger
Angeborene Harntransportstörung Q62.0;
Megaureter angeboren Q62.2
VUR angeboren Q62.7
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SOP Kindliche Harnwegsinfektionen
Literatur:
1. DGPI Handbuch, 6. Auflage 2013
2. R. Beetz et al.: Harnwegsinfektionen im Säuglings- und Kindesalter MoKi 03/2007
3. Venhola M et al.: Practical giudelines for imaging studies for children after first urinary tract
infection. The Journal of Urology, July 2010
4. American Academy of Pediatrics, Committee on Quality Improvement,Subcommittee on
Urinary Tract Infection (1999) Practice parameter: the diagnosis, treatment, and evaluation of
the initial urinary tract infection in febrile infants and young children. Pediatrics103: 843–852
5. B. Tönshoff, R. Beetz: Antibiotische Dauerprophylaxe bei Harnwegsinfektionen. Wann,
womit, wie lange? MoKi 02/2007
6. W. Rascher, A. Neubert: Reinfektionsprophylaxe rezidivierender Harnwegsinfektionen,
MoKi 02/ 2012
7. R. Beetz: Rezidivprophylaxe bei Harnwegsinfektionen - noch zeitgemäß? Pädiatrietage
2011
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