8. Mai Ich schulterte den Rucksack, schloss die kugelsichere Weste
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8. Mai Ich schulterte den Rucksack, schloss die kugelsichere Weste
8. Mai Ich schulterte den Rucksack, schloss die kugelsichere Weste. Ich warf mir den M249 über. – Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes – wir tieften uns in Gedanken. Wir dachten, wer von uns heute nicht zum Militärstützpunkt zurück kommt – Amen. Beinahe roch man den Geruch der Angst. Jeder wollte zu Ehefrauen, Kindern, Freunden zurückkehren. Ich schluckte Speichel und schloss leicht die Augen. – Green Berets, seid ihr bereit? – fragte Oberst Aaron Charles. – Jawohl, sir! – wir antworteten gleichzeitig. – Beginnen wir. Wir griffen zur Waffe und trabten das trockene und warme Gebiet. Wir betraten den Terrain der afganischer Militärstützpunkt und warteten auf das Signal. Ich fühlte, das Herz rutschte mir in die Hose. Ich dachte an Hannah. Jimmy winkte mit der Hand. Wir hoben die erste Tür aus dem Rahmen heraus und schlugen dazwischen. Die Jungs liefen stracks auseinander und versteckten hinter den Wänden. Der Korridor wurde zurückgelegt und wir hielten wieder an, um uns umzuschauen. Wir standen an der Tür. Nur sie trennte uns von Afghanen. Ich bekreuzigte mich und plötzlich hörteten wir die Explosion. Die Backsteinen fielen an uns. Ich hörte dann nichts. Ich sah nichts. Nur die Dunkelheit. 10. Mai Zwei Tage später weckte ich im Krankenhauszelt. Ich schaute mich um und hustete, was ich sofort bereute, weil ich einen starken Brustschmerz empfand. Genau, als ob etwas meine Lunge entreißte. Ich hörte das Schnarcher und jemand, wen ich früher nicht bemerkte, schoss aus dem Stuhl auf. Wir sprachen über Gesundheit. – Sie waren ein außergewöhnlicher Soldat, Phillips – salutierte er – Es tut mir wirklich leid, dass wir einen prächtigen Soldaten verlieren. – Herr Oberst, ich komme zu mir wieder und trete zum Dienst in voller Uniform an – sagte ich – Geben Sie mir nur Zeit. – Phillips, das nehme ich nicht an, dass du noch einmal kämpfen kannst – seufzte er. Ich lachte. Ich konnte nicht verstehen, das war nur ein Brustschmerz. – Phillips, du standest mit einem Bein im Grab. Du musst die Uniform ausziehen. In den Schoß der Familie zurückkehren. Du kommst ohne das Bein nie kämpfen zurecht – Oberst Aaron Charles sah mir tief ins Auge, ich fühlte, dass mein Herz mir in die Hose rutschte. – Ohne das Bein... - wiederholte ich und alles drehte sich. Das war erster Tag meines Endes. 17. Mai Eine Woche später kam ich nach Hause zurück. Die Mutter wartete auf mich auf dem Flughafen. Als sie mich an dem Rollstuhl bemerkte, schluchzte sie lauter. Ich war in meiner Dienstkleidung, mein rechtes Hosenbein wurde zu einem Knoten gebunden. Ich konnte es nicht leiden, ich hasste es. Insgesamt hasste ich alles und konnte mich nicht mit dem Rollstuhl abfinden. – Wo ist Hannah? – ich sah sie nirgends. Ich sehnte nach ihr so sehr, aber sie kam nicht. – Darling, wir alle haben auf dich gewartet. Als Herr Charles uns angerufen hat... – sie weinte wieder und drückte mich an sich. Meine Mutter war alt. Die Falten und bisschen die buckelige Statur. Aber das war kein Problem, um gut zu riechen oder gut gekleidet zu sein. Ich liebte sie wirklich. Wenn es um meinen Vater geht... Er sah Oberst Charles gleich. Wir redeten seit fast sechs Jahren nicht miteinander. Als ich sechs oder sieben war, gab es anders – er brachte mir Radfahren bei, wir fischten und spielten Schach. Manchmal nahm er mir sogar heraus, mit ihm zu gewinnen. Ich und meine Mutter kamen nach Hause mit dem Taxi. Mein Rollerstuhl war im Kofferraum. 3. Juni Es verstreichten die Tage und die Wochen. Ich war so wütend. So stinksauer. Ich konnte es nich bewältigen. Ich wurde verrückt. Ich raste vor Verzweiflung. Ich wurde aggressiv. Einmal fuhr ich zur Bar und zettelte einen Streit an. Ich schlug jemanden. Ich saß ein paar Stunden im Arrest und wurde dann gegen Kaution freigelassen. Mein Vater brachte mich nach Hause hin, ohne ein Wort zu sagen. Zu Hause stritten wir tagelang. Wir lebten wie Hund und Katze. Jeder verstärkte mein Zorn, indem sie mit mir nicht reden wollten. Die Mutter entschied sich mit mir endlich zu sprechen. – Wir haben zu schwatzen, Darling – sie saß auf meinem Sessel und sah tief in meine Augen – Liebling... – Ich weiß nicht, wie ich es sagen kann... Es bricht mir das Herz – sie weinte. – Mutter, sag mal mir alles – ich war noch zuverlässig. Sie hielt den Atem an. Sie hatte Angst. – Hannah lebt nicht, Darling – ich konnte daran nicht glauben. Ich regte mich wie nie zuvor auf. – Blödsinn – fasste ich zusammen. Kurz und bündig – Wo ist sie? – ich erhob mich heftig aus dem Bett. Meine Mutter fasste sich plötzlich ans Herz. Indem sie ihren Mund und Augen aufreißte, versuchte sie Atem holen. Ihr Gesicht wurde rot. Mit aufgerissenen Augen sah ich, wie sie herunter fiel. Ich eilte zu Hilfe. Ich ruf Bereitschaftdienst an und belebte sie länger als die Ewigkeit wieder. In ihren Augen sah ich Besorgnis, Angst. Und endlich Tod. Meine Mutter, Yvonne, die Robert Phillips' Ehefrau starb an Herzinfarkt. Ich fühlte mich schuld. 6. Juni Während der Beerdigung weinte ich nicht. Ich war der Soldat und konnte alles leisten. Beim Militär gibt es keinen Platz für Heulpeter oder Sensibelchen. Darum entschloss ich mich, nie mehr zu klagen. Der Vater stand so weit von mir wie möglich. Ab und zu bohrte er mich mit dem Blick durch. Aber weiterhin lernte ich keine Wahrheit über Hannah kennen. Vorerst entschied ich mich zu mausern. Ich fand den Job – sofern man die Nachhilfe einen Job nennen kann. Die Wochen verstreichten. Ich und mein Vater gingen uns aus dem Weg, deshalb trafen wir uns gar nicht. Ich entschied umzuziehen, aber als ich ihn darüber benachrichtigte, sagte er: – Du darfst nicht – er war traurig – Deine Mutter wollte es nicht. Nach den Tod der Mutter wurden unsere Verhältnisse bisschen besser. Ich meinte, wir stritten nur selten. – Du musst es nicht für mich machen – Mach das für die Mutter. Bitte. Ich entschloss noch einmal anzufangen. – Wo ist sie? – der Mann blickte hinter der Brille hervor. – Nach dem Ableben gehen die Leute... – Ich meine Hannah – ich broch ihm – Mach doch endlich das Maul auf! – Ich bin schon müde – stand er auf und ging aus. Ich blieb im Zimmer allein. Bald ging ich auch zum Bett. Das war schon genug. Als pensionierter Soldat hatte ich die Kontakte. Ich ruf meinen Freund aus der Armee, mit dem ich vier Jahre früher in Albuquerque arbeitete. Heutzutage hat er die Detektivagentur. Er versprach Hannah zu finden. 12. Juni Ich fuhr zum Supermarkt. Gerade wählte ich Nudeln, als ich sie sah. Sie war weiterhin so wunderschön. Zerbrechlichkeit. Sinnlichkeit. Reiz. Ich war außer Atem. Sie war so attraktiv – die schulterlangen schwarzen Haare, die großen braunen Augen, der rote Mund. Schöne Brüste. Als ich mich mit Gedanken herumschlug, ging sie zur Kasse. Ich fuhr mit dem Rollerstuhl und hielt neben ihr. Ich hatte so viel zu erzählen, aber ich wusste nicht, was zu sagen. – Hannah... – flüsterte ich – Ich sehnte nach dir so sehr – ich beißte die Zähne zusammen, um nicht anzufangen zu weinen. Hannah wendte sich ab und blickte auf mich mit diesen großen Augen. – Ryan... – sie erstarrte – Was machst du hier? Du solltest... – sie abbroch. Nach kurzer Zeit ohrfeigte sie mich. Ich konnte daran nicht glauben – Komm nicht näher! – sie schrie – Hilfe! Hilfe! Jeder starrte uns an. Bald kam der Bodyguard, er hielt mich fest. Hannah floh. Lange musste ich mich entschuldigen. Endlich glaubte man, dass ich nichts strafbares machte. * ** Ich fuhr nach Hause und ging gerade zum Vater. Er saß in großem, altem Sessel und las die Zeitung bebrillt. – Ich sah sie – fang ich an. Der Vater hob den Blick. – Wen? – Hannah. Im Supermarkt. Sie war aber so anders, so wütend... Sie ohrfeigte mich! – erzählte ich schnell. Der Mann stand auf. – Setzt dich. Die Zeit ist reif. – Nein! Du lügst immer! – Ich wollte nicht hören. Ich stoßte ihn, aber er sagte nur: – Ruhe, Ryan – er war beherrscht – Hör mal – ich blickte atmend flach – Ryan, du warst nie in Afghanistan. Du bist kein Soldat. Wie bitte? Ich konnte nicht glauben. Das war Blödsinn. Ich war dort. Ich verlor mein Bein...ich blickte herunter. Ich hatte beide. – Ich bin nicht dein Vater. Ich bin der Arzt. Blödsinn. Blödsinn, Blödsinn! – Hannah ist keine Ehefrau – er setzte fort – Sie ist deine Nachbarin, die du ein paar Monate plagtest. – Unmöglich – ich sagte – ich liebe sie... – Yvonne war nicht deine Mutter. Sie war die Krankenschwester, die du würgest. – Halt's Maul! – ich schrie – Halt's Maul! – Ryan... Du bist krank. Sehr krank. Das ist sehr gefährlich... – ich wurf ihn auf den Boden, fühlte aber den Stich. Wie herzig... ? Mit dem Gurt gebunden weckte ich auf dem Bett. Ich befand mich im Isolierzimmer. Ich verbrachte hier die Zeit. Jetzt erinnere ich mich an alles. Ich bin krank, naja. Ich schloss die Augen, aber die Gedanken durften mich nicht erholen. Ich glotzte mich an die Decke, dann verschlief. * ** Ich schulterte meinen Rucksack, schloss die kugelsichere Weste. Ich warf mir das Gewehr über...