er in dem Alter noch sein Abitur nachholen will

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er in dem Alter noch sein Abitur nachholen will
18 19
den Unterricht, kifften in der Pause, randalierten und beleidigten die Lehrer. Viele seiner Freunde und Klassenkameraden von damals sind später im Gefängnis gelandet.
„Ich hatte immer einen gewissen Respekt vor zu krassen
Sachen. Vermutlich weil es mir familiär besser als vielen
anderen dort ging. Und ich vor meinem Vater Angst hatte. Andere Mitschüler hatten einfach das Gefühl, nichts
mehr verlieren zu können.“ Vor allem die Lehrer tun
ihm rückblickend leid. „Sie waren eigentlich total nett
und versuchten nur ihr Bestes“, erinnert sich Elmo.
Den Hauptschulabschluss knapp geschafft, entschloss sich Elmo dazu, seinen Realabschluss auf einem
Berufskolleg zu machen. Er schaffte es, war dann 19 Jahre alt – und lernte eine Frau kennen: Sie war reifer,
fünf Jahre älter, interessant. Und kurz darauf bereits
schwanger von ihm. „Das war erst einmal ein Schock.
Dann war auch erst einmal Schluss mit der Weiterbildung“, erzählt Elmo. Nun ging es um Geld. Mit einem
Mal musste er für eine Tochter auf kommen, Jamila ist
ihr Name. Seine Rap-Karriere lag brach, wie er später
auch in seinen Texten verarbeitete: „Wir liebten die Musik – nein, wir hofften nicht aufs Geld. Doch als ich 19
war, kam dann meine Tochter auf die Welt“, rappt er in
einem Track. „Sie stellte meine Welt auf den Kopf, denn
auf einmal hatte ich nur noch das Geld in meinem Kopf.“
Er probierte sich als Autohändler, in Fabriken, im Paketdienst, als Taxifahrer – überall, wo man ihn einstellte.
Jamilas Mutter wohnt heute mit ihr in einem sozialen Brennpunkt Aachens. Wie auch mit den meisten
anderen Leuten von früher hat er mit ihr fast nichts
mehr zu tun. Nur zu seiner inzwischen 9-jährigen Tochter pflegt er regelmäßigen und guten Kontakt, sieht sie
mindestens ein- oder zweimal die Woche. Er ist froh,
dass er beim Bildungsweg seiner Tochter mitentscheiden
kann. „Ich möchte alles anders machen als meine Eltern.
Ich möchte ein Vorbild für meine Tochter sein und nicht
bloß Leistung von ihr erwarten.“ Er hofft, dass Jamila
später auch studieren möchte.
Auf dem Fußboden vor seinem Spiegel liegen Hanteln. Unter seinem T-Shirt erkennt man Tattoos, der
Name seiner Tochter ist auf seinem rechten Arm tätowiert. Elmo muss nachdenken, überlegt, was ihm
wichtig war und ist. „Wenn ich zurückblicke, weiß ich,
dass die Zeit nach meinem Hauptschulabschluss die unglücklichste Zeit meines Lebens war.“ Er war geplagt von
schweren Depressionen, stetig ging es ihm schlechter.
Die Jobs, die Umstände, sein Vater, der nicht aufhörte
Druck auszuüben. Der bis heute nicht versteht, warum
er in dem Alter noch sein Abitur nachholen will und
studieren möchte. Der überhaupt nicht so genau weiß,
was ein Abitur eigentlich ist. Und dem er es auch kaum
erklären kann, weil Elmo die Wörter im Arabischen fehlen. „Unser sprachliches Problem ist immer schon ein
Auslöser vieler Streitereien gewesen.“
Seinem Vater ist Geld immer sehr wichtig gewesen.
Elmo nicht mehr. „Wir leben in zwei verschiedenen Welten“, erklärt Elmo. „Ich möchte mit 80 Jahren auf mein
Leben zurückblicken und sagen, dass ich den Großteil
meines Lebens das gemacht habe, was mich seelisch erfüllt.“ Er möchte sich abends im Bett auf den nächsten
Tag freuen können. Oder seiner Freundin erzählen können, dass er einem jungen Menschen geholfen hat. Weder das noch den Rest seines Lebenswandels verstehen
seine Eltern: Dass ihm seine libanesische Herkunft und
die muslimische Religion immer unwichtiger werden,
entfernt ihn noch mehr von ihnen. „Ich verstehe mich
in erster Linie als Deutscher.“
Auf dem Tisch vor ihm ist eine Palette von Bioprodukten ausgebreitet: Äpfel, Bananen, Honig und sogar
Biotee. „Ich bin kein Kaffeetrinker“, sagt Elmo und steht
auf, um sich eine Tasse mit grünem Tee zuzubereiten.
Wenn er sich heute sieht, kann er sich seine Vergangenheit nur schwer vorstellen. Nicht nur privat hat sich
alles verändert: „Auf einmal fällt mir auch die Schule
leichter als früher. Ich dachte immer, ich sei zu dumm
für die Schule.“ Und nun ist er im Leistungskurs Deutsch
der mit Abstand Beste – „und das als einziger Ausländer
in der Klasse“. Seine Lehrer unterstützen seine sozialen
Projekte. Als er für seine Karriere auf Tour gehen musste, genehmigten sie ihm sogar Sonderurlaub, weil sie
ihm zutrauten, den Unterrichtsstoff problemlos nachzuarbeiten. „Mann, deine Herkunft ist egal – ernsthaft.
Alles, was jetzt zählt, ist, ob du ein gutes Herz hast“,
rappt Elmo im Song „Neue Generation“. In dem Video
zum Lied redet er auf perspektivlose jugendliche GangMitglieder ein und gibt ihnen Hoffnung. „Es geht alles
nur um Integration“, heißt es in dem Lied weiter. „Wir
sind die neue Generation.“
Videoporträts zur Studie finden sich unter:
http://tinyurl.com/youtube-bildung-milieu