EismitStil

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EismitStil
Donnerstag, 22. Januar 2015 Agenda Seite 31/32/33
Magazin
POP
Zurück in die
Neunziger
Musikproduzent Mark
Ronson hat sich für «Uptown Special» von den langen Partynächten der
Neunziger inspirieren lassen. SEITE 26
www.bernerzeitung.ch
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Eis mit Stil
ARKTIS Eine SpitzbergenUmrundung mit dem Expeditionsschiff Hanseatic vereint
zwei Gegensätze: Luxus und
Behaglichkeit drinnen, karge,
eiskalte Wildnis draussen.
Mitternacht ist längst vorüber –
und noch immer heller Tag: In
diesen hohen Breiten kennt der
arktische Sommer keine Dunkelheit. Daran muss man sich erst
einmal gewöhnen – das ist wie
Jetlag in den Knochen und Adrenalin im Blut. Du stehst an der
Reling und schaust hinauf zur
milchig weissen Scheibe, die hinter einer dünnen Nebelschicht
am Horizont schimmert. Und
blickst hinaus aufs silbern glitzernde Wasser, aus dem jederzeit
die Fluke eines Wals, die Schnauze eines Eisbären oder wenigstens der Kopf einer Robbe auftauchen kann. Und du magst einfach nicht müde werden. Tief
atmest du die kristallklare Polarluft ein – und ziehst dir zugleich
all diese Eindrücke rein, dieses
Licht und die Stimmung.
Vor wenigen Stunden ist die
Hanseatic aus dem Hafen von
Longyearbyen ausgelaufen, dem
Hauptort des Archipels. Steuerbord zieht die Westküste vorbei –
eine spektakuläre Skyline, die
am 19. Juni 1596 den Ruf des holländischen Seefahrers Willem
Barents als Entdecker und Seefahrtpionier begründete: Getrieben von der Überzeugung, es
müsse einen schiffbaren Seeweg
geben, der vom Atlantik über die
sibirische Küste zum Pazifik führe, war Barents so weit nach
Nordost gesegelt wie noch keiner
zuvor – bis er am Horizont «spitze Berge» ausmachte. Statt der
Nordostpassage hatte Barents,
auf halber Höhe zwischen Nordkap und Nordpol, Spitzbergen
entdeckt.
2500 Menschen, 3000 Bären
Heute gilt der Archipel, den die
Norweger, seit er vor hundert
Jahren ihrem Hoheitsgebiet zugesprochen wurde, Svalbard nennen, die kühle Küste, als nördlichste aller besiedelten Inseln:
2500 Menschen wohnen hier.
Und 3000 Eisbären. Mensch und
Bär haben gelernt, die Insel aufzuteilen: Wo Häuser sind, hat der
Bär nichts zu suchen – und draussen, auf dem Eis und den Bergen,
muss der Mensch auf der Hut
sein. Ein bärensicherer Zaun
schützt den Kindergarten von
Longyearbyen. Wer den Ort zu
Fuss oder mit dem Motorschlitten verlässt, trägt ein Gewehr mit
sich, so selbstverständlich wie
der Brite den Regenschirm. Selten kommt es vor, dass sich ein
hungriger oder neugieriger Eisbär zu den Häusern vorwagt und
seine Dreistigkeit mit einem
Loch im Pelz bezahlt. Oder dass,
wie 2014 geschehen, ein einfältiger Tourist sein Zelt in freier Natur aufschlägt und sich den Bären
zum Frühstück empfiehlt.
Auch an Bord der Hanseatic geben die Eisbären zu reden: Im
Marco-Polo-Restaurant werden
Wetten abgeschlossen, wer wann
und wo die erste Sichtung vermelden wird. Im Vortragssaal erläutert der Expeditionsleiter, wie
man sich verhält, wenn man ei-
schen die Eisschollen im arktischen Ozeanwasser.
Bequemer lässt sich die Welt
des Eises in einem der vierzehn
Zodiacs erschliessen, in Schlauchbooten, die Ausfahrten und Anlandungen ermöglichen. Wer zwischen Eisbergen durchs Wasser
gleitet, wähnt sich mitten in der
gigantischen Skulpturensammlung eines Künstlers, dessen bizarre Fantasie in weissblauer
Schönheit erstarrt ist. Und entdeckt eine jener Buchten, in denen der Polarfuchs am Ufer herumstreift und jagende Orcas einen Minkewal bedrängen – ein
Naturspektakel, das für sensible
Nerven wenig ratsam ist. Die Zartbesaiteten besuchen eine jener
historischen Forschungsstationen, die oft noch heute in Betrieb
sind. In Ny-Ålesund in der Kings
Bay zum Beispiel, wo die Hanseatic am nördlichsten Hafenpier der
Welt festmacht.
Eis voraus: Die Passagiere geniessen am Bug der Hanseatic die spektakuläre Szenerie.
Bilder zvg
TIPPS & INFOS
Besuch bei den Walrossen: Ausfahrten mit dem Zodiac machen
spannende Begegnungen möglich.
nem Eisbären im Wasser begegnet – und wie, wenn der Bär nach
einer Anlandung hinter einem
Felsen auftaucht: Bei der Gruppe
bleiben, Ruhe bewahren, den Anweisungen der bewaffneten Bärenwächter Folge leisten, die jede
Anlandung begleiten.
Wie ein Buttermesser
pflügt der edelstahlverstärkte Bug
durchs Packeis und
zerlegt die massive
Decke in Puzzleteile.
Bei den Lectures, wie die Vorträge an Bord genannt werden,
sind das hochsensible maritime
Ökosystem Nordpolarmeer und
die Pflicht der Besucher, dieser
Natur mit Respekt und Rücksicht
zu begegnen, zentrale Themen.
Aber auch Spitzbergens wechselhafte Geschichte kommt zur
Sprache. Schon bald nach seiner
Entdeckung zog der geheimnisvolle Archipel Abenteurer und
Glücksritter in hellen Scharen
an. Zuerst kamen die Walfänger.
Sie schafften es innert weniger
Jahrzehnte, den Grönlandwal
nahezu auszurotten. Dann kamen die Bergleute. Sie beuteten
die reichhaltigen Kohlevorkommen so lange aus, bis auch diese
erschöpft waren.
Heute machen die Insulaner
Kohle mit Touristen: Ende März,
wenn das Licht zurückkehrt, beginnt die Saison mit Hunde- und
Motorschlittentouren – 800 Gästebetten sind rasch ausgebucht.
Die meisten der jährlich 70 000
Besucher brauchen allerdings
keine Herberge an Land. Sie sind
von Bord eines der vielen Kreuzfahrtschiffe gestiegen und «für
uns eine willkommene Abwechslung im Inselalltag», sagt Ronny
Brunvoll, Direktor der Tourismusbehörde Spitzbergens. «Wer
am Ende der Welt lebt, freut sich,
wenn die Welt zu Besuch kommt
und Leben bringt!»
Gegensätzliche Welten
Es sind höchst gegensätzliche
Welten, zwischen denen der Passagier auf der Hanseatic pendelt
– drinnen Geborgenheit im Überfluss, draussen nichts als karge,
kalte Wildnis. Ruedi Bless sagt es
so: «Ein Expeditionsschiff vereint den exklusiven Lebensstil
des Luxusliners mit der technischen Leistungsfähigkeit des Eisbrechers.» Bless ist CEO des Ver-
Expedition Spitzbergen
Anreise: Mit SAS von Zürich via
Oslo nach Longyearbyen. Teilweise lange Zwischenstopps. Der
Flug Oslo–Longyearbyen dauert
drei Stunden. Vereinzelte Nonstop-Flüge Zürich–Longyearbyen im Sommer mit Airberlin.
Spitzbergen: Der norwegische
Archipel im Nordatlantik besteht
aus über vierhundert Inseln und
Schären. Nördlich des Polarkreises zwischen 74 und 81 Grad
nördlicher Breite. Dank des Golfstroms ist das Meer im Hochsommer trotz Nähe zum Nordpol
meist eisfrei (www.svalbard.net).
MS Hanseatic: Wie das HapagLloyd-Schwesterschiff Bremen
befährt das luxuriöse Expeditionsschiff Hanseatic im Sommer
regelmässig den hohen Norden.
Das Fünfsternschiff ist 122,80
Meter lang und 18 Meter breit.
88 Kabinen und vier Suiten auf
sechs Passagierdecks. Um maximal 175 Gäste kümmert sich
eine 125-köpfige Crew. Zwei
Restaurants, Bars und Lounges
(www.hl-kreuzfahrten.de).
Leserreise: Morgen erscheint
in dieser Zeitung die Ausschreibung der Leserreise «Expedition
rund um Spitzbergen» mit der
MS Hanseatic vom 8. bis zum
18. Juli 2016. Nähere Infos: www.
leserreisen.bernerzeitung.ch
oder www.background.ch, Telefon 031 313 00 22. djs
500 km
POLARMEER
GRÖNLAND
SPITZBERGEN
Longyearbyen
NORWEGISCHE
SEE
ISLAND
NORWEGEN
Nordkap
RUSSLAND
FINNLAND
ATLANTISCHER
SCHWEDEN
OZEAN
Unterwegs auf luxuriöser
Expedition: Die Hanseatic.
anstalters Background Tours, zugleich Reiseleiter an Bord und
tafelt schon mal beim Captains
Diner am Tisch des Kapitäns.
Wie an jedem Abend lässt der
Fünfsternchef ein raffiniertes
Siebengangdiner auftragen, diesmal gekrönt vom Juwelenbarsch
an dunkler Basilikumsauce auf
geräuchertem Frühlingslauch.
Heute ist jedoch alles noch eine
Spur gediegener als sonst: Der
Schweizer Kapitän Roman Obrist
stellt seine Offiziere und die Galley Crew vor, wünscht allen eine
erlebnisreiche Reise und erhebt
in der Hoffnung auf «jederzeit
eine Hand breit Wasser unterm
Kiel» das Champagnerglas. Während die Gläser klirren, macht
der Chef de Service eine Dame
in Jeans und ihren Begleiter, der
ohne Schlips aufgekreuzt ist, diskret auf die Boutique aufmerksam, die gleich hinterm Speisesaal Kleider und Krawatten feilbietet.
Dort sind auch Bikinis und Badehosen im Angebot: Selbst in
der Hocharktis ist der Freiluftpool auf dem Observation Deck
des Kreuzfahrtschiffs angenehm
beheizt. Verwegene können bei
passender Gelegenheit auch den
sogenannten Polar-Plunge wagen, einen kühnen Sprung zwi-
Eis voraus!
Während das Schiff Spitzbergens
Nordküste ansteuert, registriert
das Thermometer innert weniger
Minuten einen dramatischen
Temperatursturz. Das kann nur
eines bedeuten: Eis voraus! Jetzt
kann unser Schiff zeigen, was es
bedeutet, als eines der beiden
einzigen deutschen Passagierschiffe mit der Eisklasse E 4 zertifiziert zu sein.
Im Innern der Hanseatic nehmen wir zunächst nur ein dumpfes Rumpeln wahr. So eilen wir
hinaus an Deck – und werden
Zeugen eines eindrücklichen
Schauspiels. Wie ein Buttermesser pflügt der edelstahlverstärkte
Bug durchs Packeis und zerlegt
die massive Decke in grosse und
kleine Puzzleteile. Das berstende
Element knarrt und stöhnt unter
dem Druck des Schiffes. Junges
Eis klirrt wie zerspringendes
Glas. Bald ächzt ein Brocken, der
unter dem Schiffsrumpf zermalmt wird, bald birst krachend
ein kleiner Eisberg.
In der letzten Nacht bekommt
die Hanseatic unangemeldeten
Besuch: Auf einer Scholle, kaum
grösser als zwei Pingpongtische,
die in weniger als 50 Metern Entfernung den Rumpf des Schiffes
passiert, sitzt eine Eisbärenmutter mit drei Jungtieren. Die Passagiere stehen dicht gedrängt an
der Backbordreling und nehmen
die Tiere ins Visier der Teleobjektive. Familie Eisbär schaut
herüber, und mit etwas Fantasie
kann man sich vorstellen, der
Kleine ganz links hebe die Tatze
zum Abschiedsgruss.
Die Wahrheit sieht anders aus:
Hinter dem friedlichen Bild
zeichnet sich ein tödliches Drama ab. «Die Scholle treibt aufs offene Meer hinaus», sagt der Eisbärenexperte an Bord. «Dort
lässt der von der Klimaerwärmung aufgeheizte Golfstrom das
Eis rasch schmelzen. Die Bärin
wird sich problemlos schwimmend in Sicherheit bringen. Aber
für die Kleinen ist kaum Hoffnung, sie schaffen das noch
nicht.» In diesem Moment stösst
Mama Eisbär, als habe sie die
Warnung gehört, ihre Jungs ins
Wasser und schwimmt mit ihnen
zurück – Richtung Heimat.
Daniel J. Schütz