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Interview mit Tom Oliver, Tom Oliver Group
Spaßbremse
Arbeit?!
1 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015
Tom Oliver, „the Renaissance Man”, ist Keynote Speaker, Buchautor, Gründer und Musiker. McGraw Hill,
der größte Verlag der USA, nennt ihn einen „Coach für viele der bekanntesten CEOs der Welt“.
Sein Credo ist die Leidenschaft, sein Erfolgsfaktor Fun, seine Inspirationsquelle das Wasser.
Zufriedenheit am ­Arbeitsplatz sieht er in Deutschland als verpönt an – ein wesentlicher Grund für ihn,
warum das deutsche Innovationspotenzial bei weitem nicht ausgeschöpft wird und auch die Effizienz leidet.
Hier diskutiert er über Kreativität, Leadership und die Notwendigkeit der Konzentration auf Stärken.
DMR: Wie definieren Sie persönlich Erfolg und was war bisher Ihr
größter Erfolg?
T. Oliver: In vielen Kulturen, auch in Deutschland, wird Erfolg
viel zu einseitig definiert. Meiner Ansicht nach muss man Erfolg
im Sinne einer 360-Grad-Betrachtung eines Menschen definieren. Wenn es um Erfolg geht, geht es nicht nur um das Gehalt
oder die Position im Unternehmen, sondern um die Frage, wie
es einer Person körperlich und seelisch geht: Bin ich glücklich,
indem was ich mache? Habe ich ein Gleichgewicht zwischen
Freunden, Familie und Beruf? Halte ich mich fit? Bekomme ich
die Interessen untergebracht, die mir jenseits von Arbeit wichtig
sind, die mich aber inspirieren und die zu neuen Durchbrüchen
in meiner Arbeit führen können? Man muss über den Tellerrand hinaus schauen und die Themen sehen, die einen wirklich
begeistern und motivieren. Ich nenne das „Renaissance-Mensch
werden“. Erst dadurch erhalte ich wieder Inspirationen sowie
„Aha!“-Durchbrüche, die mich in meiner Kernkompetenz und
damit in meinem Job weiterbringen.
DMR: Es geht also um eine ganzheitliche Betrachtung?
T. Oliver: Ja. Sehr gut beobachten kann man das bei Führungskräften, die große Unternehmen aus dem Boden gestampft haben oder ganze Industriezweige völlig innovativ auf den Kopf
stellen. Sie gelten als Vordenker für alle anderen in diesem Bereich und sind Persönlichkeiten, die sich in vielfältiger Weise als
moderne „Renaissance-Menschen“ definiert haben. Steve Jobs
beispielsweise sagte, dass sein Kalligraphie-Kurs an der Uni dazu
geführt hat, dem Mac das ästhetische Design zu geben, das bis
heute die Apple-Kultur so nachhaltig beeinflusst. In Deutschland wird das oft missverstanden – viele hier denken, dass man
durch zu viele Interessen schnell den ­Fokus verlieren kann und
alles ein bisschen, aber nichts richtig macht. Das ist nur bedingt
richtig. Ich kann sehr wohl unterschiedliche Interessen haben,
die sich gleichzeitig alle ideal ergänzen und einfach aus meiner
Persönlichkeit heraus kommen. Dadurch tragen sie auch zum
Erfolg meiner Tätigkeiten bei. Ich selbst bin leidenschaftlicher
Kite-Surfer, für mich ist es wichtig, regelmäßig aufs Wasser zu
gehen. Zu sagen, dass ich dadurch Zeit für meinen Job verliere,
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wäre eine Fehlinterpretation, denn ich habe auf dem Wasser die
Art von Intuitionen und Aha-Momenten, die mich, meine Projekte oder meine unterschiedlichen Geschäftszweige fundamental nach vorne bringen.
DMR: Das ist ein spannendes Thema, auch vor dem Hintergrund
eines Vergleichs deutscher und amerikanischer Unternehmen.
Wie holt man Begeisterung ins Unternehmen, wie weckt man die
­Kreativität der Mitarbeiter? Was müsste aus Ihrer Sicht getan werden, um diese Inspirationsquellen zu erschließen?
T. Oliver: Beginnen wir mit einer kleinen Anekdote. Der HRChef von PwC fragte mich: Tom, denkst Du, das Google-Phänomen hätte auch in Deutschland passieren können? M
­ eine
Antwort lautete: Nein, weil deutsche Unternehmen immer
noch denken, dass Innovationen ein lineares Konzept sind und
dass man Innovationen planen kann. Innovation und Kreativität sind aber nicht linear. Man muss die Prozesse verstehen, aber
auch die Geheimnisse der Innovationen und der Kreativität –
und, wie weltweit erfolgreiche Unternehmen wie Google und
Apple diese Geheimnisse für sich nutzen. Deutschland muss sich
grundsätzlich davon verabschieden, so zu arbeiten, wie bislang
gearbeitet wurde. Wer jemals in den Headquaters von ­Google
war, wird den Eindruck haben, dass dort gar nicht gearbeitet
wird. Es gibt Schwimmbäder, Massagen, Meditationskurse,
Fitness-Center, Videospiele, Billardtische für die Mitarbeiter.
­Google hat erkannt, dass wir am kreativsten sind, wenn wir in
ein Problem gezielt hineingehen, dann aber unsere Gedanken
von dem Problem wieder entfernen. Innovative Unternehmen
nehmen die 360-Grad-Betrachtung mit ins Unternehmen
­hinein. Sie beschäftigen sich mit der Sinnfrage: Warum bin ich
eigentlich hier? Was mache ich? Diese Unternehmen überlegen,
wie Mitarbeiter zu einem Gleichgewicht zwischen Körper und
Geist kommen. In Deutschland setzen wir das nicht wirklich
um im Unternehmertum. Aus diesem Grund verharren wir oft
in alten traditionellen Verhaltensweisen, schauen bewundernd
nach Amerika und fragen uns, wie machen die das eigentlich?
Ja, sie machen das, indem sie nicht nur intellektuell und theoretisch die Sachen angehen, sondern sie in die Unternehmenskultur einfließen lassen und praktisch umsetzen.
Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015
Tom Oliver berät viele Fortune 500 CEOs
und arbeitet mit den bekanntesten Marken der
Welt zusammen – von Johnson & Johnson
über Pepsi bis Google, von der RockefellerFamilie über die Familie von Warren Buffet bis
zu Wirtschaftsführern wie Richard Branson.
Basierend auf einem von ihm aus der Taufe
gehobenen Netzwerk gründete Tom Oliver die
World Peace Foundation, die Nobelpreisträger
Desmond Tuto als „das bedeutendste Friedensereignis der Geschichte“ bezeichnete. Als
Inspirator für weltweiten sozialen Wandel gelingt es Tom, die unterschiedlichsten ­Gruppen
von Führungspersönlichkeiten aus Politik
und Wirtschaft zusammenzubringen und auf
eine gemeinsame Vision einzustimmen. Er ist
Autor des Bestsellers „Nothing Is Impossible“
und Professor für Innovation und Change
Management, gründete den Global Leadership Circle an der renommierten ­Manchester
­Business School und referiert an vielen
­anderen Business Schools zu den Themen
Innovation, Change ­Management, Leadership,
HR und Future Work. Außerdem ist Tom Oliver
leidenschaftlicher Musiker und Musikproduzent, der mit Stars wie Ricky Martin und
Mariah Carey den roten Teppich bei den World
Music Awards in Monte Carlo teilt.
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Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015
DMR: Unserer Ansicht nach gibt es zwei Pole: Auf der einen
­Seite wünscht man sich Freigeister, möchte Mitarbeiter aus dem
gewohnten Trott herausreißen, um auf neue Ideen zu kommen, auf
der anderen Seite müssen wir aber Unternehmen auch möglichst
effizient gestalten. Wie bekommt man dieses Thema in einem Unternehmen ins Gleichgewicht?
T. Oliver: Für mich geht das Hand in Hand. Letzte Woche
saß ich mit dem Vorstandsvorsitzenden einer großen Aktiengesellschaft in Deutschland zusammen. Er sagte: Ich habe mir
Top-Leute von Google, Facebook und Microsoft in mein Team
geholt. Nun kommen die alt eingesessenen deutschen Manager meiner Führungsspitze zu mir und sagen: Mensch, die sind
aber doof. Grund hierfür ist, dass da zwei Unternehmenskulturen aufeinanderprallen. Es fehlt das Verständnis für eine fortschrittlichere Unternehmenskultur, die viel bessere Resultate
liefert. Für mich sind diese beiden Pole keine entgegengesetzten
Pole, eher wie Brüder, die sich die Hand reichen. Schaut man
sich Google ganz genau an, merkt man, dass die Mitarbeiter
viel mehr als in anderen Unternehmen arbeiten. B
­ eispielsweise
auch auf dem Weg nach Hause, denn Google stellt seinen Mitarbeitern Busse zum Pendeln zur Verfügung, die natürlich mit
WiFi ausgestattet sind. Google verlangt von seinen Mitarbeitern
nicht, dass sie permanent arbeiten, es ist vielmehr ein fließender
Übergang zwischen Work und Life. Damit schafft es das Unternehmen, die Mitarbeiter ideal für sich zu gewinnen und darüber
­hinaus das kreative Potenzialideal zu fördern, gleichzeitig aber
die Produktivität zu maximieren. Wieso schafft Google das?
Google schafft das, weil das Unternehmen seine Mitarbeiter
ständig in das Problem hinein- und dann wieder herausführt.
Durch das Hinein- und Herausführen entstehen Durch­brüche
und Inspirationen. Im Endeffekt ist es ein Konzept, das in
Deutschland schon fast verpönt ist: die Zufriedenheit am Arbeitsplatz.
DMR: Spaß an der Arbeit wirkt also auch auf die Effizienz?
T. Oliver: Aber sicher! Der CEO Tony Hsieh von Zappos Shoes
hat sein Unternehmen auf der Maxime gegründet, dass das Unternehmen kein Advertising braucht, sondern Mitarbeiter, die
mit dem, was sie tun, glücklich sind. Wenn man dieses Konzept
einer deutschen Führungsspitze vorlegt, lachen die einen aus.
Dieses Konzept hat aber dazu geführt, dass Zappos nicht nur
bei den Mitarbeitern, sondern auch bei den Kunden ­äußerst beliebt ist. Die Außenwirkung ist blendend und könnte mit keiner
ausgeklügelten Marketingstrategie erreicht werden – schon gar
nicht mit der Effizienz. Hier sehen wir ein Aufbrechen von alten Unternehmensstrukturen, Unternehmensphilosophien und
Führungsspielen. Vor allem in Deutschland müssen wir uns öffnen und von der harten preußischen, linearen Kultur wegkom-
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men. Deutschland hat ein fantastisches Potenzial. Wir können
die Flexibilität und das kalifornische Freidenkertum mit den
gesunden deutschen Maßstäben der Disziplin und Effizienz
kombinieren.
DMR: Also sollten wir quasi das Beste aus beiden Welten kombinieren?
T. Oliver: Definitiv. Aber ich würde das nicht als Gegensätze
definieren, vielmehr gehen beide Ansätze fließend ineinander
über. Wie man an dem Beispiel von Google gesehen hat, steigern Freiheit und Spaß automatisch Effizienz und Produktivität. Das Problem liegt ja gerade in der sehr deutschen Ansicht,
dass das getrennte Bereiche sind. Und da reicht es nicht aus, ein
bisschen auf Silicon Valley zu machen und sich einen Billardtisch hinzustellen. Das Topmanagement muss verstehen, wie es
funktioniert, und es top-down leben.
DMR: Das führt uns zur Bedeutung von Leadership in diesem
Kontext. Was zeichnet einen erfolgreichen Leader in diesem hoch­
dynamischen Umfeld aus?
T. Oliver: Mit Jochen Zeitz, CEO von Puma, habe ich mich
darüber unterhalten, wie er die besten Leute für sein Unternehmen gewinnt. Jochen meinte, dass er ganz stark nach dem
Prinzip geht, ob es ihm Spaß macht, mit der Person zusammen zu arbeiten. Mit Richard Branson hatte ich ein ähnliches
Gespräch, er würde immer diejenigen an die Spitze seines Unternehmens setzen, die ein „Ball of Fun“ sind. Diese Konzepte
sind leider vielen Führungskräften in Deutschland völlig fremd.
Hier passt die deutsche Bierwerbung, die einen Menschen zeigt,
der hart schuftet und sich am Ende des Tages zurücklehnt, eine
Flasche Bier öffnet und dann wird der Spruch eingeblendet: Erst
die Arbeit und dann das Vergnügen. Offensichtlich ist es in der
deutschen Mentalität verankert, dass Arbeit kein Vergnügen
sein kann. Darin zeigt sich der große Unterschied zwischen der
deutschen und der amerikanischen Unternehmenskultur, denn
dort ist Vergnügen gleich Arbeit und Arbeit gleich Vergnügen.
Der Leader an der Spitze muss das verinnerlichen und leben.
Genau aus diesem Grund finden viele Leute Richard Branson
so toll, denn er lebt diesen Fun, er ist 95 Prozent Fun und 5
Prozent harter Geschäftsmann. Und das nimmt man ihm ab.
Der Spaßfaktor ist sehr wichtig in der Zusammenarbeit, aber
auch für das Thema Leadership, für die Personen, die an der
Spitze stehen und führen.
Ein weiterer Faktor ist die Sinnfrage. Nicht umsonst rangiert
Google in den letzten Jahren konsequent auf Platz 1 der Unternehmen, in denen die besten Hochschulabsolventen am ­liebsten
arbeiten möchten. Google beantwortet die Sinnfrage ideal. Die
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Google-Gründer haben ein 10-Punkte-Konzept erstellt, das
Credo von Google. Sie haben ein Mission Statement erstellt,
das in ein, zwei Sätzen so klar formuliert ist, dass sich jeder damit identifizieren kann. Das zieht die Leute zu Google. Noch
ein Beispiel: Apple stellt beim Launch der neuen Produkte nicht
gut aussehende Models auf die Bühne, sondern Sir Jonathan
Ive, den Head Designer von Apple, in einem weißen T-Shirt
vor einem weißen Hintergrund. Warum? Weil Sir Jonathan Ive
über das neue Apple-Produkt spricht, als sei ein Kind geboren!
Der Kunde merkt durch die Leidenschaft, die Authentizität und
die Emotionen von Sir Jonathan Ive, dass er das Produkt liebt
und absolut überzeugt ist davon – und genau das begeistert den
Endkonsumenten. Dieses Denken muss in der DNA eines Unternehmens eingebaut und integraler Bestandteil der Führungsspitze sein.
DMR: In der deutschen Kultur ist auch die Angst, den Job oder
Status zu verlieren, weit verbreitet. Gibt es da einen internationalen Unterschied? Wenn ja, was kann man dagegen tun?
T. Oliver: Angst ist fundamental. In Deutschland wird sich viel
zu viel angepasst, man traut sich kaum, seine Individualität zu
leben. Das betrifft auch den Führungsstil. Es ist die Angst davor,
seiner Intuition zu folgen, selbst wenn man weiß, dass es der
richtige Weg ist. Das sieht man auch an der Mentalitätskrankheit: Man darf keine Fehler machen. Schon in der Schulzeit
wird man damit in Deutschland geimpft. Wir haben ja auch
Angst vor Nationalbewusstsein. Erst seit kurzem trauen wir uns,
beim Fußball eine Flagge rauszuhängen. Wir trauen uns auch
nicht, auf uns persönlich stolz zu sein, auf das, was man selbst
ist, zu seinen Abneigungen und Vorlieben zu stehen, aber auch
zu seinen charakterlichen Defekten und Talenten. Talente müssen gelebt werden, man darf nicht versuchen, die Schwächen zu
Stärken zu machen. Denn diese können maximal mittelmäßig
werden. Wenn man aber seine Stärken voll ausspielt, dann kann
man wirklich herausragend werden und ein Vorbild für andere
sein. Und so trauen sich auch viele Menschen und Unternehmen nicht, Ideen nach vorne zu bringen – auch nicht, wenn sie
hervorragend sind. Das ist einer der Gründe, warum Richard
Branson in seinem Credo geschrieben hat, dass er möchte, das
Leute Fehler machen. Er ermutigt Leute, mit neuen Ideen nach
vorne zu kommen, auch wenn sie auf den ersten Blick unkonventionell erscheinen. Er weiß genau, dass nur dadurch neue
Pfade beschritten werden.
DMR: Stärkenbasiert unterwegs zu sein bedeutet ja, in Stärken
und Talente zu investieren und Schwächen zuzugeben. Insbesondere im Management finden wir aber diese Gleichartigkeit, da
das Thema Diversity auch nicht konsequent umgesetzt wird. Was
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müsste man tun, um daran etwas zu ändern? Ist das Bildungssystem
ein Ansatzpunkt? Wie kann man eine neue Kultur in Deutschland
erzeugen, die Stärken und Schwächen beleuchtet?
T. Oliver: Eines der zentralen Themen ist die ideale Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, der Umgang mit der Personal Leadership. Mein Rezept ist ganz einfach: Die Schwächen
vergessen und sich nur auf die Stärken konzentrieren, um sich
dadurch außergewöhnlich zu machen. Schwächen sollte man
durch Menschen ergänzen, die das am besten können, was
man selbst am wenigsten kann. Eine Führungspersönlichkeit
wie Richard Branson hat eine klare Vision formuliert, die beschreibt, was er mit seinem Unternehmen erreichen möchte.
Nummer eins ist also, eine klare Vision zu formulieren. Nummer zwei ist, sich ausschließlich auf seine Stärken zu konzentrieren und sich mit Menschen und Teams zu umgeben, die das
ideal ergänzen. In diesem Moment können die Persönlichkeiten
scheinen und glänzen und sich voll entfalten. Im deutschen Bildungssystem, im deutschen Führungssystem und auch in der
Unternehmenskultur müssen also konsequent Stärken gefördert
werden. Schwächen sollten definiert, aber nicht betont werden.
Jetzt kommen wir zu einem Punkt, den ich auch in meinen
Reden immer wieder thematisiere: Ich halte jeden Menschen
für ein kreatives Genie! Das ist sehr provokant gesagt, aber ich
sage es so, weil ich die absoluten Talente aus den Leuten heraus
kitzeln möchte. Menschen sollten sich über Stärken definieren.
Auch in unserem Bildungssystem wird ja immer auf die Schwächen hingewiesen, und daher versuchen die Menschen, den
Weg der Sicherheit zu gehen, um eben keine Fehler zu machen.
So entstehen aber keine Innovationen! Das Stärken-SchwächenThema ist auch für die Bildung von Teams relevant: Man kann
nur ideale Teams bilden, wenn man die absoluten Top-Stärken
der einzelnen Personen kennt und diese ideal mit anderen zusammenbringt, sodass sich die Stärken und Schwächen optimal
ergänzen. Nur dann entsteht ein optimales Team. Ansonsten
habe ich Teams, die irgendwie zusammen gewürfelt sind und
nicht gut funktionieren, die Folge sind Produktivitätsverlust
und Motivationsverlust.
DMR: Der Aspekt des Lernens ist sehr spannend. Schüler, die Probleme im Lateinunterricht haben, bekommen direkt zahlreiche
Nachhilfestunden, anstatt sich einfach auf etwas anderes zu konzentrieren. Was kann man in einem Unternehmenskontext tun, um
dem wieder entgegen zu wirken?
T. Oliver: Ich kann ein ganz klares Unternehmenscredo etablieren. Damit meine ich einen Punkteplan, der veranschaulicht,
welchen Prinzipien man folgt. Puma hat damals vier fundamentale Prinzipien eingeführt und jeder im Unternehmen musste
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sich an diesen Prinzipien orientieren. Ein Unternehmen so zu
führen, ist ein sehr radikaler Weg, aber jedes Unternehmen
kann das anwenden. Das Credo muss nur manageable werden, also greifbar, verständlich und sehr eindeutig definiert
sein. Dieser Punkteplan sollte Leute ermutigen, Fehler zu machen, denn dann erst gehen sie aus sich heraus, machen neue
Dinge und können sich entfalten. Das auf Schwächen basierte
Bildungs- und Erziehungssystem zieht sich wie ein roter Faden
durch ganz Deutschland und ist so allgegenwärtig, dass wir es
gar nicht mehr wahrnehmen. Ein anderes Beispiel ist das Thema
Insolvenz. Richard Branson sagte einmal, dass er kaum einen
herausragenden amerikanischen Unternehmer kennt, der nicht
einmal eine Insolvenz hingelegt hat. Wir haben hier eine grundlegend andere Denkweise. In Amerika ist es ein Schritt zum
Erfolg, Fehler zu machen. Diese Art von Denke müssen wir in
Deutschland fördern, denn viele fantastische Unternehmen ersticken im Keim, da die Leute sich nicht trauen, die Ideen auf
den Tisch zu bringen. Jemand, der in Deutschland als Unternehmer eine Insolvenz hingelegt hat, wird verpönt. Insolvenz
ist nichts anderes als ein markanter, sichtbarer, gegenwärtiger
Fehler einer Führungspersönlichkeit. Wir müssen Fehler komplett anders definieren.
DMR: Welche Rolle spielt Leadership an dieser Stelle?
T. Oliver: Leadership spielt eine fundamentale Rolle, denn das
Management muss es sich nicht nur auf die eigene, sondern
auch auf die Flagge des Unternehmens schreiben. Und dann
leben. In Deutschland sagen wir zwar oft, dass wir für etwas
stehen, aber in der Praxis stehen wir nicht wirklich dafür. Wir
machen die Dinge genauso weiter wie immer und verlassen
nicht den eingetretenen Pfad, denn wir haben Angst, Fehler zu
machen. Wir haben nicht den Mut, unkonventionelle Pfade zu
beschreiten.
DMR: Walk the Talk als ganz wesentlicher Punkt?
T. Oliver: Walk the Talk und auch zu verstehen, wovon man
redet. Ich hatte ein Gespräch mit einem Vorstand einer großen
Aktiengesellschaft in Deutschland, der mir sagte, dass er neue
Unternehmen im Ausland aufgekauft hat und ihm das ganze
Management weggelaufen ist. Das Management ist weggelaufen, weil überhaupt kein Verständnis für die unterschiedlichen
Unternehmenskulturen da war. Die Unternehmen wurden lediglich eingekauft, ohne die verschiedenen Unternehmenskulturen zu integrieren. Die Fähigkeit zur Selbstanalyse ist hier fundamental wichtig. Das bringt mich zu einem Satz, der mich sehr
beeindruckt hat: Als Sony auf seinem Höhepunkt war, sagte der
ehemalige Sony-Chef, dass sie jetzt vorsichtig sein müssen. Sony
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sollte in sich hinein schauen und sich fragen, was man besser
machen kann, sehen, was nicht funktioniert, offen für Fehler
und neue Wege sein, auch wenn von außen betrachtet alles
wunderbar funktioniert.
DMR: Wir sind mit dem Thema Innovation und Kreativität eingestiegen. Können Sie sich noch an einen Moment erinnern, in dem
Sie eine wirklich neue und kreative Idee hatten?
T. Oliver: Ich bin ja auch Musikproduzent und die Musik ist
ein fantastisches Beispiel für Kreativität und Innovation. In der
Musik schafft man ständig Inspirationen aus dem Nichts. Lionel Richie hat dieses Phänomen mal das unsichtbare Radio genannt: Wir hören die Musik und wissen nicht woher sie kommt.
Letztes Jahr hatte ich die Ehre, zu den World Music Awards in
Monaco eingeladen zu werden. Wenn man mit anderen Künstlern zusammensitzt, ist diese Inspiration, die scheinbar aus dem
Nichts kommt, immer wieder das zentrale, faszinierende Thema. Auf diese Inspiration kann man sich vorbereiten, man kann
sie programmieren und herbeiführen, aber man kann sie nicht
erzwingen. Man kann ein ideales Umfeld schaffen. Das erinnert
mich an die Popgruppe Abba. Was viele Leute nicht wissen ist,
dass die meisten Hits der Gruppe Abba von nur einem Mitglied
der Gruppe geschrieben wurden. Er hatte immer die gleiche
Routine und nannte es „vor der Höhle sitzen und auf den Drachen warten“. Er saß jeden Tag mehr oder weniger zur gleichen
Zeit im Studio und hat sich auf die Inspirationen vorbereitet. Er
hatte sein Werkzeug, also sein Keyboard, dabei und war bereit.
Die meisten Tage kam der Drache nicht aus der Höhle, aber
an den Tagen, an denen er kam, war er bereit, den Drachen
zu töten. Das war für ihn die Metapher, auf Inspirationen zu
warten. Zurück zur Frage: Wenn ich im Studio sitze und an
neuen Songs schreibe, kommen die Songs aus dem unsichtbaren
Radio. Dann formen sich die Akkorde auf dem Piano, der Text
kommt von den Lippen, die Hände bewegen sich fast von selbst
und der Song kommt von alleine. Ich habe die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen – der Rest passiert von alleine.
DMR: Das war ein tolles Schlusswort.
Das Interview führten Marc Wagner und Verena Vinke.
Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015