PDF-Download
Transcription
PDF-Download
Interview mit Tom Oliver, Tom Oliver Group Spaßbremse Arbeit?! 1 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015 Tom Oliver, „the Renaissance Man”, ist Keynote Speaker, Buchautor, Gründer und Musiker. McGraw Hill, der größte Verlag der USA, nennt ihn einen „Coach für viele der bekanntesten CEOs der Welt“. Sein Credo ist die Leidenschaft, sein Erfolgsfaktor Fun, seine Inspirationsquelle das Wasser. Zufriedenheit am Arbeitsplatz sieht er in Deutschland als verpönt an – ein wesentlicher Grund für ihn, warum das deutsche Innovationspotenzial bei weitem nicht ausgeschöpft wird und auch die Effizienz leidet. Hier diskutiert er über Kreativität, Leadership und die Notwendigkeit der Konzentration auf Stärken. DMR: Wie definieren Sie persönlich Erfolg und was war bisher Ihr größter Erfolg? T. Oliver: In vielen Kulturen, auch in Deutschland, wird Erfolg viel zu einseitig definiert. Meiner Ansicht nach muss man Erfolg im Sinne einer 360-Grad-Betrachtung eines Menschen definieren. Wenn es um Erfolg geht, geht es nicht nur um das Gehalt oder die Position im Unternehmen, sondern um die Frage, wie es einer Person körperlich und seelisch geht: Bin ich glücklich, indem was ich mache? Habe ich ein Gleichgewicht zwischen Freunden, Familie und Beruf? Halte ich mich fit? Bekomme ich die Interessen untergebracht, die mir jenseits von Arbeit wichtig sind, die mich aber inspirieren und die zu neuen Durchbrüchen in meiner Arbeit führen können? Man muss über den Tellerrand hinaus schauen und die Themen sehen, die einen wirklich begeistern und motivieren. Ich nenne das „Renaissance-Mensch werden“. Erst dadurch erhalte ich wieder Inspirationen sowie „Aha!“-Durchbrüche, die mich in meiner Kernkompetenz und damit in meinem Job weiterbringen. DMR: Es geht also um eine ganzheitliche Betrachtung? T. Oliver: Ja. Sehr gut beobachten kann man das bei Führungskräften, die große Unternehmen aus dem Boden gestampft haben oder ganze Industriezweige völlig innovativ auf den Kopf stellen. Sie gelten als Vordenker für alle anderen in diesem Bereich und sind Persönlichkeiten, die sich in vielfältiger Weise als moderne „Renaissance-Menschen“ definiert haben. Steve Jobs beispielsweise sagte, dass sein Kalligraphie-Kurs an der Uni dazu geführt hat, dem Mac das ästhetische Design zu geben, das bis heute die Apple-Kultur so nachhaltig beeinflusst. In Deutschland wird das oft missverstanden – viele hier denken, dass man durch zu viele Interessen schnell den Fokus verlieren kann und alles ein bisschen, aber nichts richtig macht. Das ist nur bedingt richtig. Ich kann sehr wohl unterschiedliche Interessen haben, die sich gleichzeitig alle ideal ergänzen und einfach aus meiner Persönlichkeit heraus kommen. Dadurch tragen sie auch zum Erfolg meiner Tätigkeiten bei. Ich selbst bin leidenschaftlicher Kite-Surfer, für mich ist es wichtig, regelmäßig aufs Wasser zu gehen. Zu sagen, dass ich dadurch Zeit für meinen Job verliere, 2 wäre eine Fehlinterpretation, denn ich habe auf dem Wasser die Art von Intuitionen und Aha-Momenten, die mich, meine Projekte oder meine unterschiedlichen Geschäftszweige fundamental nach vorne bringen. DMR: Das ist ein spannendes Thema, auch vor dem Hintergrund eines Vergleichs deutscher und amerikanischer Unternehmen. Wie holt man Begeisterung ins Unternehmen, wie weckt man die Kreativität der Mitarbeiter? Was müsste aus Ihrer Sicht getan werden, um diese Inspirationsquellen zu erschließen? T. Oliver: Beginnen wir mit einer kleinen Anekdote. Der HRChef von PwC fragte mich: Tom, denkst Du, das Google-Phänomen hätte auch in Deutschland passieren können? M eine Antwort lautete: Nein, weil deutsche Unternehmen immer noch denken, dass Innovationen ein lineares Konzept sind und dass man Innovationen planen kann. Innovation und Kreativität sind aber nicht linear. Man muss die Prozesse verstehen, aber auch die Geheimnisse der Innovationen und der Kreativität – und, wie weltweit erfolgreiche Unternehmen wie Google und Apple diese Geheimnisse für sich nutzen. Deutschland muss sich grundsätzlich davon verabschieden, so zu arbeiten, wie bislang gearbeitet wurde. Wer jemals in den Headquaters von Google war, wird den Eindruck haben, dass dort gar nicht gearbeitet wird. Es gibt Schwimmbäder, Massagen, Meditationskurse, Fitness-Center, Videospiele, Billardtische für die Mitarbeiter. Google hat erkannt, dass wir am kreativsten sind, wenn wir in ein Problem gezielt hineingehen, dann aber unsere Gedanken von dem Problem wieder entfernen. Innovative Unternehmen nehmen die 360-Grad-Betrachtung mit ins Unternehmen hinein. Sie beschäftigen sich mit der Sinnfrage: Warum bin ich eigentlich hier? Was mache ich? Diese Unternehmen überlegen, wie Mitarbeiter zu einem Gleichgewicht zwischen Körper und Geist kommen. In Deutschland setzen wir das nicht wirklich um im Unternehmertum. Aus diesem Grund verharren wir oft in alten traditionellen Verhaltensweisen, schauen bewundernd nach Amerika und fragen uns, wie machen die das eigentlich? Ja, sie machen das, indem sie nicht nur intellektuell und theoretisch die Sachen angehen, sondern sie in die Unternehmenskultur einfließen lassen und praktisch umsetzen. Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015 Tom Oliver berät viele Fortune 500 CEOs und arbeitet mit den bekanntesten Marken der Welt zusammen – von Johnson & Johnson über Pepsi bis Google, von der RockefellerFamilie über die Familie von Warren Buffet bis zu Wirtschaftsführern wie Richard Branson. Basierend auf einem von ihm aus der Taufe gehobenen Netzwerk gründete Tom Oliver die World Peace Foundation, die Nobelpreisträger Desmond Tuto als „das bedeutendste Friedensereignis der Geschichte“ bezeichnete. Als Inspirator für weltweiten sozialen Wandel gelingt es Tom, die unterschiedlichsten Gruppen von Führungspersönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft zusammenzubringen und auf eine gemeinsame Vision einzustimmen. Er ist Autor des Bestsellers „Nothing Is Impossible“ und Professor für Innovation und Change Management, gründete den Global Leadership Circle an der renommierten Manchester Business School und referiert an vielen anderen Business Schools zu den Themen Innovation, Change Management, Leadership, HR und Future Work. Außerdem ist Tom Oliver leidenschaftlicher Musiker und Musikproduzent, der mit Stars wie Ricky Martin und Mariah Carey den roten Teppich bei den World Music Awards in Monte Carlo teilt. 3 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015 DMR: Unserer Ansicht nach gibt es zwei Pole: Auf der einen Seite wünscht man sich Freigeister, möchte Mitarbeiter aus dem gewohnten Trott herausreißen, um auf neue Ideen zu kommen, auf der anderen Seite müssen wir aber Unternehmen auch möglichst effizient gestalten. Wie bekommt man dieses Thema in einem Unternehmen ins Gleichgewicht? T. Oliver: Für mich geht das Hand in Hand. Letzte Woche saß ich mit dem Vorstandsvorsitzenden einer großen Aktiengesellschaft in Deutschland zusammen. Er sagte: Ich habe mir Top-Leute von Google, Facebook und Microsoft in mein Team geholt. Nun kommen die alt eingesessenen deutschen Manager meiner Führungsspitze zu mir und sagen: Mensch, die sind aber doof. Grund hierfür ist, dass da zwei Unternehmenskulturen aufeinanderprallen. Es fehlt das Verständnis für eine fortschrittlichere Unternehmenskultur, die viel bessere Resultate liefert. Für mich sind diese beiden Pole keine entgegengesetzten Pole, eher wie Brüder, die sich die Hand reichen. Schaut man sich Google ganz genau an, merkt man, dass die Mitarbeiter viel mehr als in anderen Unternehmen arbeiten. B eispielsweise auch auf dem Weg nach Hause, denn Google stellt seinen Mitarbeitern Busse zum Pendeln zur Verfügung, die natürlich mit WiFi ausgestattet sind. Google verlangt von seinen Mitarbeitern nicht, dass sie permanent arbeiten, es ist vielmehr ein fließender Übergang zwischen Work und Life. Damit schafft es das Unternehmen, die Mitarbeiter ideal für sich zu gewinnen und darüber hinaus das kreative Potenzialideal zu fördern, gleichzeitig aber die Produktivität zu maximieren. Wieso schafft Google das? Google schafft das, weil das Unternehmen seine Mitarbeiter ständig in das Problem hinein- und dann wieder herausführt. Durch das Hinein- und Herausführen entstehen Durchbrüche und Inspirationen. Im Endeffekt ist es ein Konzept, das in Deutschland schon fast verpönt ist: die Zufriedenheit am Arbeitsplatz. DMR: Spaß an der Arbeit wirkt also auch auf die Effizienz? T. Oliver: Aber sicher! Der CEO Tony Hsieh von Zappos Shoes hat sein Unternehmen auf der Maxime gegründet, dass das Unternehmen kein Advertising braucht, sondern Mitarbeiter, die mit dem, was sie tun, glücklich sind. Wenn man dieses Konzept einer deutschen Führungsspitze vorlegt, lachen die einen aus. Dieses Konzept hat aber dazu geführt, dass Zappos nicht nur bei den Mitarbeitern, sondern auch bei den Kunden äußerst beliebt ist. Die Außenwirkung ist blendend und könnte mit keiner ausgeklügelten Marketingstrategie erreicht werden – schon gar nicht mit der Effizienz. Hier sehen wir ein Aufbrechen von alten Unternehmensstrukturen, Unternehmensphilosophien und Führungsspielen. Vor allem in Deutschland müssen wir uns öffnen und von der harten preußischen, linearen Kultur wegkom- 4 men. Deutschland hat ein fantastisches Potenzial. Wir können die Flexibilität und das kalifornische Freidenkertum mit den gesunden deutschen Maßstäben der Disziplin und Effizienz kombinieren. DMR: Also sollten wir quasi das Beste aus beiden Welten kombinieren? T. Oliver: Definitiv. Aber ich würde das nicht als Gegensätze definieren, vielmehr gehen beide Ansätze fließend ineinander über. Wie man an dem Beispiel von Google gesehen hat, steigern Freiheit und Spaß automatisch Effizienz und Produktivität. Das Problem liegt ja gerade in der sehr deutschen Ansicht, dass das getrennte Bereiche sind. Und da reicht es nicht aus, ein bisschen auf Silicon Valley zu machen und sich einen Billardtisch hinzustellen. Das Topmanagement muss verstehen, wie es funktioniert, und es top-down leben. DMR: Das führt uns zur Bedeutung von Leadership in diesem Kontext. Was zeichnet einen erfolgreichen Leader in diesem hoch dynamischen Umfeld aus? T. Oliver: Mit Jochen Zeitz, CEO von Puma, habe ich mich darüber unterhalten, wie er die besten Leute für sein Unternehmen gewinnt. Jochen meinte, dass er ganz stark nach dem Prinzip geht, ob es ihm Spaß macht, mit der Person zusammen zu arbeiten. Mit Richard Branson hatte ich ein ähnliches Gespräch, er würde immer diejenigen an die Spitze seines Unternehmens setzen, die ein „Ball of Fun“ sind. Diese Konzepte sind leider vielen Führungskräften in Deutschland völlig fremd. Hier passt die deutsche Bierwerbung, die einen Menschen zeigt, der hart schuftet und sich am Ende des Tages zurücklehnt, eine Flasche Bier öffnet und dann wird der Spruch eingeblendet: Erst die Arbeit und dann das Vergnügen. Offensichtlich ist es in der deutschen Mentalität verankert, dass Arbeit kein Vergnügen sein kann. Darin zeigt sich der große Unterschied zwischen der deutschen und der amerikanischen Unternehmenskultur, denn dort ist Vergnügen gleich Arbeit und Arbeit gleich Vergnügen. Der Leader an der Spitze muss das verinnerlichen und leben. Genau aus diesem Grund finden viele Leute Richard Branson so toll, denn er lebt diesen Fun, er ist 95 Prozent Fun und 5 Prozent harter Geschäftsmann. Und das nimmt man ihm ab. Der Spaßfaktor ist sehr wichtig in der Zusammenarbeit, aber auch für das Thema Leadership, für die Personen, die an der Spitze stehen und führen. Ein weiterer Faktor ist die Sinnfrage. Nicht umsonst rangiert Google in den letzten Jahren konsequent auf Platz 1 der Unternehmen, in denen die besten Hochschulabsolventen am liebsten arbeiten möchten. Google beantwortet die Sinnfrage ideal. Die Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015 Google-Gründer haben ein 10-Punkte-Konzept erstellt, das Credo von Google. Sie haben ein Mission Statement erstellt, das in ein, zwei Sätzen so klar formuliert ist, dass sich jeder damit identifizieren kann. Das zieht die Leute zu Google. Noch ein Beispiel: Apple stellt beim Launch der neuen Produkte nicht gut aussehende Models auf die Bühne, sondern Sir Jonathan Ive, den Head Designer von Apple, in einem weißen T-Shirt vor einem weißen Hintergrund. Warum? Weil Sir Jonathan Ive über das neue Apple-Produkt spricht, als sei ein Kind geboren! Der Kunde merkt durch die Leidenschaft, die Authentizität und die Emotionen von Sir Jonathan Ive, dass er das Produkt liebt und absolut überzeugt ist davon – und genau das begeistert den Endkonsumenten. Dieses Denken muss in der DNA eines Unternehmens eingebaut und integraler Bestandteil der Führungsspitze sein. DMR: In der deutschen Kultur ist auch die Angst, den Job oder Status zu verlieren, weit verbreitet. Gibt es da einen internationalen Unterschied? Wenn ja, was kann man dagegen tun? T. Oliver: Angst ist fundamental. In Deutschland wird sich viel zu viel angepasst, man traut sich kaum, seine Individualität zu leben. Das betrifft auch den Führungsstil. Es ist die Angst davor, seiner Intuition zu folgen, selbst wenn man weiß, dass es der richtige Weg ist. Das sieht man auch an der Mentalitätskrankheit: Man darf keine Fehler machen. Schon in der Schulzeit wird man damit in Deutschland geimpft. Wir haben ja auch Angst vor Nationalbewusstsein. Erst seit kurzem trauen wir uns, beim Fußball eine Flagge rauszuhängen. Wir trauen uns auch nicht, auf uns persönlich stolz zu sein, auf das, was man selbst ist, zu seinen Abneigungen und Vorlieben zu stehen, aber auch zu seinen charakterlichen Defekten und Talenten. Talente müssen gelebt werden, man darf nicht versuchen, die Schwächen zu Stärken zu machen. Denn diese können maximal mittelmäßig werden. Wenn man aber seine Stärken voll ausspielt, dann kann man wirklich herausragend werden und ein Vorbild für andere sein. Und so trauen sich auch viele Menschen und Unternehmen nicht, Ideen nach vorne zu bringen – auch nicht, wenn sie hervorragend sind. Das ist einer der Gründe, warum Richard Branson in seinem Credo geschrieben hat, dass er möchte, das Leute Fehler machen. Er ermutigt Leute, mit neuen Ideen nach vorne zu kommen, auch wenn sie auf den ersten Blick unkonventionell erscheinen. Er weiß genau, dass nur dadurch neue Pfade beschritten werden. DMR: Stärkenbasiert unterwegs zu sein bedeutet ja, in Stärken und Talente zu investieren und Schwächen zuzugeben. Insbesondere im Management finden wir aber diese Gleichartigkeit, da das Thema Diversity auch nicht konsequent umgesetzt wird. Was 5 müsste man tun, um daran etwas zu ändern? Ist das Bildungssystem ein Ansatzpunkt? Wie kann man eine neue Kultur in Deutschland erzeugen, die Stärken und Schwächen beleuchtet? T. Oliver: Eines der zentralen Themen ist die ideale Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, der Umgang mit der Personal Leadership. Mein Rezept ist ganz einfach: Die Schwächen vergessen und sich nur auf die Stärken konzentrieren, um sich dadurch außergewöhnlich zu machen. Schwächen sollte man durch Menschen ergänzen, die das am besten können, was man selbst am wenigsten kann. Eine Führungspersönlichkeit wie Richard Branson hat eine klare Vision formuliert, die beschreibt, was er mit seinem Unternehmen erreichen möchte. Nummer eins ist also, eine klare Vision zu formulieren. Nummer zwei ist, sich ausschließlich auf seine Stärken zu konzentrieren und sich mit Menschen und Teams zu umgeben, die das ideal ergänzen. In diesem Moment können die Persönlichkeiten scheinen und glänzen und sich voll entfalten. Im deutschen Bildungssystem, im deutschen Führungssystem und auch in der Unternehmenskultur müssen also konsequent Stärken gefördert werden. Schwächen sollten definiert, aber nicht betont werden. Jetzt kommen wir zu einem Punkt, den ich auch in meinen Reden immer wieder thematisiere: Ich halte jeden Menschen für ein kreatives Genie! Das ist sehr provokant gesagt, aber ich sage es so, weil ich die absoluten Talente aus den Leuten heraus kitzeln möchte. Menschen sollten sich über Stärken definieren. Auch in unserem Bildungssystem wird ja immer auf die Schwächen hingewiesen, und daher versuchen die Menschen, den Weg der Sicherheit zu gehen, um eben keine Fehler zu machen. So entstehen aber keine Innovationen! Das Stärken-SchwächenThema ist auch für die Bildung von Teams relevant: Man kann nur ideale Teams bilden, wenn man die absoluten Top-Stärken der einzelnen Personen kennt und diese ideal mit anderen zusammenbringt, sodass sich die Stärken und Schwächen optimal ergänzen. Nur dann entsteht ein optimales Team. Ansonsten habe ich Teams, die irgendwie zusammen gewürfelt sind und nicht gut funktionieren, die Folge sind Produktivitätsverlust und Motivationsverlust. DMR: Der Aspekt des Lernens ist sehr spannend. Schüler, die Probleme im Lateinunterricht haben, bekommen direkt zahlreiche Nachhilfestunden, anstatt sich einfach auf etwas anderes zu konzentrieren. Was kann man in einem Unternehmenskontext tun, um dem wieder entgegen zu wirken? T. Oliver: Ich kann ein ganz klares Unternehmenscredo etablieren. Damit meine ich einen Punkteplan, der veranschaulicht, welchen Prinzipien man folgt. Puma hat damals vier fundamentale Prinzipien eingeführt und jeder im Unternehmen musste Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015 sich an diesen Prinzipien orientieren. Ein Unternehmen so zu führen, ist ein sehr radikaler Weg, aber jedes Unternehmen kann das anwenden. Das Credo muss nur manageable werden, also greifbar, verständlich und sehr eindeutig definiert sein. Dieser Punkteplan sollte Leute ermutigen, Fehler zu machen, denn dann erst gehen sie aus sich heraus, machen neue Dinge und können sich entfalten. Das auf Schwächen basierte Bildungs- und Erziehungssystem zieht sich wie ein roter Faden durch ganz Deutschland und ist so allgegenwärtig, dass wir es gar nicht mehr wahrnehmen. Ein anderes Beispiel ist das Thema Insolvenz. Richard Branson sagte einmal, dass er kaum einen herausragenden amerikanischen Unternehmer kennt, der nicht einmal eine Insolvenz hingelegt hat. Wir haben hier eine grundlegend andere Denkweise. In Amerika ist es ein Schritt zum Erfolg, Fehler zu machen. Diese Art von Denke müssen wir in Deutschland fördern, denn viele fantastische Unternehmen ersticken im Keim, da die Leute sich nicht trauen, die Ideen auf den Tisch zu bringen. Jemand, der in Deutschland als Unternehmer eine Insolvenz hingelegt hat, wird verpönt. Insolvenz ist nichts anderes als ein markanter, sichtbarer, gegenwärtiger Fehler einer Führungspersönlichkeit. Wir müssen Fehler komplett anders definieren. DMR: Welche Rolle spielt Leadership an dieser Stelle? T. Oliver: Leadership spielt eine fundamentale Rolle, denn das Management muss es sich nicht nur auf die eigene, sondern auch auf die Flagge des Unternehmens schreiben. Und dann leben. In Deutschland sagen wir zwar oft, dass wir für etwas stehen, aber in der Praxis stehen wir nicht wirklich dafür. Wir machen die Dinge genauso weiter wie immer und verlassen nicht den eingetretenen Pfad, denn wir haben Angst, Fehler zu machen. Wir haben nicht den Mut, unkonventionelle Pfade zu beschreiten. DMR: Walk the Talk als ganz wesentlicher Punkt? T. Oliver: Walk the Talk und auch zu verstehen, wovon man redet. Ich hatte ein Gespräch mit einem Vorstand einer großen Aktiengesellschaft in Deutschland, der mir sagte, dass er neue Unternehmen im Ausland aufgekauft hat und ihm das ganze Management weggelaufen ist. Das Management ist weggelaufen, weil überhaupt kein Verständnis für die unterschiedlichen Unternehmenskulturen da war. Die Unternehmen wurden lediglich eingekauft, ohne die verschiedenen Unternehmenskulturen zu integrieren. Die Fähigkeit zur Selbstanalyse ist hier fundamental wichtig. Das bringt mich zu einem Satz, der mich sehr beeindruckt hat: Als Sony auf seinem Höhepunkt war, sagte der ehemalige Sony-Chef, dass sie jetzt vorsichtig sein müssen. Sony 6 sollte in sich hinein schauen und sich fragen, was man besser machen kann, sehen, was nicht funktioniert, offen für Fehler und neue Wege sein, auch wenn von außen betrachtet alles wunderbar funktioniert. DMR: Wir sind mit dem Thema Innovation und Kreativität eingestiegen. Können Sie sich noch an einen Moment erinnern, in dem Sie eine wirklich neue und kreative Idee hatten? T. Oliver: Ich bin ja auch Musikproduzent und die Musik ist ein fantastisches Beispiel für Kreativität und Innovation. In der Musik schafft man ständig Inspirationen aus dem Nichts. Lionel Richie hat dieses Phänomen mal das unsichtbare Radio genannt: Wir hören die Musik und wissen nicht woher sie kommt. Letztes Jahr hatte ich die Ehre, zu den World Music Awards in Monaco eingeladen zu werden. Wenn man mit anderen Künstlern zusammensitzt, ist diese Inspiration, die scheinbar aus dem Nichts kommt, immer wieder das zentrale, faszinierende Thema. Auf diese Inspiration kann man sich vorbereiten, man kann sie programmieren und herbeiführen, aber man kann sie nicht erzwingen. Man kann ein ideales Umfeld schaffen. Das erinnert mich an die Popgruppe Abba. Was viele Leute nicht wissen ist, dass die meisten Hits der Gruppe Abba von nur einem Mitglied der Gruppe geschrieben wurden. Er hatte immer die gleiche Routine und nannte es „vor der Höhle sitzen und auf den Drachen warten“. Er saß jeden Tag mehr oder weniger zur gleichen Zeit im Studio und hat sich auf die Inspirationen vorbereitet. Er hatte sein Werkzeug, also sein Keyboard, dabei und war bereit. Die meisten Tage kam der Drache nicht aus der Höhle, aber an den Tagen, an denen er kam, war er bereit, den Drachen zu töten. Das war für ihn die Metapher, auf Inspirationen zu warten. Zurück zur Frage: Wenn ich im Studio sitze und an neuen Songs schreibe, kommen die Songs aus dem unsichtbaren Radio. Dann formen sich die Akkorde auf dem Piano, der Text kommt von den Lippen, die Hände bewegen sich fast von selbst und der Song kommt von alleine. Ich habe die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen – der Rest passiert von alleine. DMR: Das war ein tolles Schlusswort. Das Interview führten Marc Wagner und Verena Vinke. Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015