Ein Schillerlabyrinth von Joseph Kosuth
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Ein Schillerlabyrinth von Joseph Kosuth
Ein Schillerlabyrinth von Joseph Kosuth von Prof. i. R. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Haubold Joseph Kosuth ist einer der Begründer der amerikanischen Concept-Art, deren Vertreter die Frage nach der Bedeutung der Kunst ins Zentrum ihrer Arbeiten stellen. In seinen kunsttheoretischen Schriften reflektiert Kosuth ausdrücklich auf die Krise der Moderne, die sich ihm als Krise ihrer Wissenschaft und ihrer Kunst darstellt. Kunst im öffentlichen Raum ist für ihn von daher Teil dieses Diskurses um die Moderne, indem sie in diesen eingreift und ihn thematisiert. Der Charakter seiner Kunstinstallationen ist dabei stets geprägt von den Orten, bzw. dem historischen Kontext, in den hinein er die Fragen nach der Bedeutung der Kunst hier und heute stellt. Grundriss des Labyrinths Mit seinem Kunstwerk im Hohenheimer Schlosshof griff Kosuth die Tradition des Labyrinths auf, die er durch die Schaffung eines doppelten Labyrinths mit zwei Zentren zugleich überschritt. Der doppelt zentrierte „Irrgarten“ schuf begehbaren Raum für mannigfache Assoziationen und Reflexionen: seien es die auf das Spannungsfeld von Natur- und Geisteswissenschaften, von Ökologie und Ökonomie oder auch auf die von Tradition und Moderne, deren Vermittlung Schillers ästhetische Briefe thematisieren, dessen Vater 1773 den Auftrag erhielt, in Hohenheim eine Obstbaumschule anzulegen. So entstand zum 175jährigen Jubiläum der Universität Hohenheim im Jahre 1993 in der östlichen Hälfte des Schlossmittelhofs unter einer mächtigen, inzwischen gefällten Pappel ein (32 mal 28 Meter großes) Labyrinth aus Hainbuchen. Auf dem Weg zu den 2 Zentren mit Steinbänken waren Texte von Friedrich Schiller in Steinplatten gemeißelt. (Nach dem Abriss der Installation sind sie im Lichthof der Bereichsbibliothek für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften im Ostflügel des Schlosses aufgestellt worden). Die Texte sind der Schrift „Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen“ entnommen. Aus dem 26. Brief: "Da alles wirkliche Dasein von der Natur, als einer fremden Macht, aller Schein aber ursprünglich von dem Menschen, als vorstellendem Subjekte, sich herschreibt, so bedient er sich bloß seines absoluten Eigentumsrechts, wenn er den Schein von dem Wesen zurücknimmt und mit demselben nach eigenen Gesetzen schaltet. Mit ungebundener Freiheit kann er, was die Natur trennt, zusammenfügen, sobald er es nur irgend zusammendenken kann, und trennen, was die Natur verknüpft, sobald er es nur in seinem Verstande absondern kann. Nichts darf ihm heilig sein als sein eigenes Gesetz, sobald er nur die Markung in acht nimmt, welche sein Gebiet von dem Dasein der Dinge oder dem Naturgebiete scheidet." Aus dem 27. Brief: "Der Baum treibt unzählige Keime, die unentwickelt verderben, und streckt weit mehr Wurzeln, Zweige und Blätter nach Nahrung aus, als zur Erhaltung seines Individuums und seiner Gattung verwendet werden. Was er von seiner verschwenderischen Fülle ungebraucht und ungenossen dem Elementarreich zurückgibt, das darf das Lebendige in fröhlicher Bewegung verschwelgen. So gibt uns die Natur schon in ihrem materiellen Reich ein Vorspiel des Unbegrenzten und hebt hier schon zum Teil die Fesseln auf, denen sie sich im Reich der Form ganz und gar entledigt." Bei der Eröffnung des Labyrinths am 5. Dezember 1993 hieß es: Das Schillerlabyrinth ist ein Denkanstoß im Jubiläumsjahr, von dem wir nicht wissen, ob er aufgegriffen und die Installation angenommen wird. Kinder und Schulklassen waren begeisterte Sucher, für die Universität war das Kunstwerk eine Herausforderung. Ämter, die von außerhalb der Universität für den Schlossbereich zuständig waren, lehnten es ab. Sie forderten und erreichten 1996 den Abrissbeschluss – 1999 wurde das Schiller-Labyrinth abgeräumt. Warum?, das wird ein Rätsel des Schillerlabyrinths bleiben.