Frauen im Alter: Lust oder Frust? 9. Netzwerktagung

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Frauen im Alter: Lust oder Frust? 9. Netzwerktagung
Dokumentation
Frauen im Alter:
Lust oder Frust?
9. Tagung des Netzwerkes
Frauen/Mädchen und Gesundheit Niedersachsen
am 1. Juni 1999 in Braunschweig
Institut
Niedersächsisches Ministerium
für Frauen, Arbeit und Soziales
Frau und
Gesellschaft
LANDESVEREINIGUNG
FÜR GESUNDHEIT
NIEDERSACHSEN E.V.
Herausgegeben vom
Niedersächsischen Ministerium
für Frauen, Arbeit und Soziales
Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 2
30159 Hannover
Januar 2000
Die Referate und Berichte wurden
unverändert übernommen und geben
daher die Position der Autorinnen wider.
Diese Broschüre darf, wie alle Publikationen
der Landesregierung, nicht zur Wahlwerbung
in Wahlkämpfen verwendet werden.
Gedruckt auf 100% Recycling-Papier
Vorwort
Wie leben alte Frauen heute? Was sind
ihre Bedürfnisse? Wie ist ihre gesundheitliche Situation? Wie steht es mit
ihrer Lust, ihren Lastern und ihrem
Frust? Diesen und anderen Fragen ist
die hier dokumentierte Tagung des
Netzwerkes „Frauen/Mädchen und Gesundheit Niedersachsen“ nachgegangen.
Wir leben in einer Zeit, in der Altersgrenzen neu definiert werden. Wann
beginnt Alter? Früher wurden Frauen
bereits mit Anfang vierzig Großmutter,
waren oftmals nicht berufstätig und
lebten mit entsprechenden Rollenerwartungen. Heute stehen sie im gleichen Alter vielfach mitten im Berufsleben und genießen nach der Phase, in
der sie Beruf und Familie in Einklang
bringen mussten, freiere Entfaltungsmöglichkeiten. Sie sind bis ins hohe Alter mobil, sportlich und geistig aktiv.
Ältere Frauen haben zunehmend
vielfältige Interessen und tun Dinge,
die ihnen noch vor wenigen Jahren
weder von ihren Familien noch von
der Gesellschaft zugestanden wurden.
Sie sind flexibler, offener und bereit,
sich neuen Entwicklungen zu stellen.
Zugleich entdecken die Frauen
ihren Körper neu und nehmen mit gewachsener Sensibilität und größerem
Wissen die Vorgänge in ihm wahr.
Ziel der Tagung Frauen im Alter: Lust
oder Frust? war es, das veränderte Lebensgefühl aber auch die Probleme,
die alte Frauen haben können, zur
Sprache zu bringen. Speziell ging es
darum, krank machende Lebensumstände alter Frauen zu ergründen. So
haben Untersuchungen ergeben, dass
allein lebende alte Menschen deutlich
häufiger krank sind, als solche, die in
Gemeinschaften leben. Das Wissen um
die eigenen körperlichen Vorgänge
und die Zufriedenheit mit veränderter
Sexualität können auf Dauer den Gesundheitszustand positiv beeinflussen.
Die Medikalisierung natürlicher Körpervorgänge ist ein gesamtgesellschaftlich zu beobachtendes Phäno-
men. Alte Frauen sind davon - im positiven wie im negativen Sinne - in besonderer Weise betroffen. Frauen haben eine höhere Lebenserwartung als
Männer, u.a. vielleicht deshalb, weil sie
eher als Männer auf ihren Körper „hören“ und sich frühzeitig behandeln lassen. Zugleich bekommen sie mehr häufiger auch falsche - Medikamente verordnet, insbesondere Psychopharmaka werden weit überwiegend Frauen verschrieben. Wechseljahresbeschwerden oder drohende Osteoporose werden - als typische „Krankheiten”
alter Frauen - vorsorglich mit Hormonen bekämpft.
Zu dieser Problematik, die bislang
viel zu wenig diskutiert wurde, enthält
diese Dokumentation überlegenswerte
Beiträge. Ich hoffe, dass insbesondere
in der Alten- und Krankenpflege Tätige sowie Multiplikatorinnen und Multiplikatoren durch diese Broschüre Anregungen für ihren beruflichen Alltag
erhalten und zur umfassenden Diskussion über einen neuen Umgang mit
dem Alter ermutigt werden.
Heidi Merk
Niedersächsische Ministerin
für Frauen, Arbeit und Soziales
1
Inhaltsverzeichnis
Karin Wilkening / Anna Köster
Frauen im Alter – das schwache Geschlecht? ............................................................ 5
Vera Herbst
Arzneimittelverordnungen für Frauen über 60 Jahre ............................................. 11
Berichte aus den Arbeitsgruppen:
AG I
Frauen im Alter: Liebe und Sexualität
Anneke Bazuin, PRO FAMILIA Landesverband Niedersachsen e. V. .......... 17
AG II
Ich hätte ja nie gedacht, wie gut mir das tut
Dr. Astrid Osterland, Freie Altenarbeit Göttingen ..................................... 19
AG III
Häusliche Gewalt an Frauen im Alter: Was passiert, wenn der
Ehemann in Rente geht?
Ingrid Wedlich, Frauenberatungsstelle Braunschweig .............................. 23
AG IV
In der Jugend Hysterie, im Alter HOPS (Hirnorganisches Psychosyndrom)
Renate Ehlers, AKF-Regionalgruppe Braunschweig .................................. 25
AG V
Älterwerden ist keine Krankheit – das Projekt
Monika Fränznick, FeministischesFrauenGesundheitszentrum e. V. Berlin ... 29
Protokoll der Arbeitsgruppe ....................................................................... 32
AG VI
Körperlichkeit von Frauen im Alter
Anne-Bianca Büchner, Dipl. Geragogin, Braunschweig ............................. 33
Evaluation 1998: Rückblick und Ausblick
Dr. Ingrid Helbrecht-Jordan, Institut Frau und Gesellschaft
Ute Sonntag, Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e. V. .................. 34
Informationen zum Netzwerk .................................................................................. 40
3
Karin Wilkening / Anna Köster
Fachhochschule Braunschweig / Wolfenbüttel
Frauen im Alter – das schwache Geschlecht?
1. Entwicklungsbedingungen des Alterns
Bei einer Tagung des Netzwerks Frauen- und Mädchengesundheit zu dem Thema „Frauen und Gesundheit im Alter”
ist zunächst eine kurze allgemeine Information zum Thema
Alter notwendig, bevor wir detaillierter auf spezifische Gesundheitsaspekte alternder Frauen eingehen. Ein vorangestellter Blick auf eigene Erfahrungshintergründe sowie ein
abschließendes Resümee vervollständigen den Vortrag.
Am Beginn steht die Frage: Wer sind eigentlich Frauen im
Alter? Ich erinnere mich noch an die Diskussion im Vorbereitungskreis, dort wurde ziemlich kontrovers gesehen, wer
denn eigentlich dazu gehört: Schon die 50-jährigen in der
Menopause, die Verrenteten über 63 oder erst die über 75-
jährigen? Der Beginn von Alter ist willkürlich, je nach betrachteter Altersdimension (vgl. Abb. 1).
Betrachten wir in der Abbildung die Zellebene und die
biologischen Systeme, die Sinnesorgane und die Gedächtnisleistungen? Oder verwenden wir andere Messwerte, z. B. für
Persönlichkeitsdimensionen und Weisheit? Dann können wir
entweder bereits von Geburt an altern, oder eher ab 20 und
30 oder erst nach 80 Jahren. Altern in der Gleichsetzung von
Abbau ist nicht der Gegenpol von Entwicklung im Sinne von
Wachstum. In jeder Lebensphase gibt es je nach betrachteter
Dimension Gewinne und Verluste. Unter diesem Blickwinkel
ist Alter als Zeitpunkt am besten zu ersetzen durch den Begriff des Alterns als ein lebenslanger Prozess. Dieser Prozess
Abb. 1: Dimension der Entwicklung des Alters
100
Persönlichkeit und
soziale
Systeme
0
100
Weisheit
und Selbsterkenntnis
0
100
Kognitive
Systeme
0
100
WahrnehmungsSysteme
0
100
Biologische
Systeme
0
20
Geburt
Adoleszenz
40
Junge
Erwachsene
60
Mittleres
Erwachsenenalter
80
Späteres
Erwachsenenalter
Tod
Maßeinheit der x-Achse = Jahre, Maßeinheit der y-Achse = Leistungsfähigkeit des jeweiligen Systems in % (Quelle: Münnichs, J. M. (1989), Internventionen: Eine
notwendige Strategie für die Bewältigung des Alterns, S. 310. In: Baltes, M. M. et. al. (Hg.): Erfolgreiches Altern. Stuttgart: Enke.
5
wird in der Wissenschaft der Gerontologie interdisziplinär
behandelt, das wollen wir beide mit unserem gemeinsamen
Vortrag verdeutlichen.
Wir bleiben optisch immer länger jung, werden aber immer früher gesellschaftlich alt gemacht. Vielleicht kennen
Sie folgendes Bild. Dürer malte 1514 ein Portrait seiner 63jährigen Mutter.
Mehr als 400 Jahre später, nämlich 1969, zeigt ein Portrait
des Malers Nui seine Mutter mit 101 Jahren. Wenn wir die
Gesichter der beiden Frauen ansehen, dann sehen sie beinahe gleich alt aus, obwohl die eine 40 Jahre älter ist, aber
eben 450 Jahre später gelebt hat. Interessanterweise sind
auch „ältere” Frauen jünger als „alte” Frauen, der Komparativ ist in diesem Fall also weniger. Auch im WHO-Bericht
über Frauen und Gesundheit im Alter werden bereits über
50-jährige nach der Menopause als „alt” bezeichnet. Wenn
wir damit Probleme haben, müssen wir uns fragen, was für
ein persönliches Altersbild wir haben und ob wir nicht auch
schon vielleicht dem „Jugendwahn” verfallen sind.
Den eben genannten eher soziologischen und biologischen Aspekten stehen die auf der medizinischen Ebene mit
Krankheiten verbundenen Abbauerscheinungen und funktionale Einschränkungen zur Seite. Psychologisch bedeutsam
ist hierbei, wie dies alles subjektiv empfunden wird. Doch
auch diese Ebene ist erläuterungsbedürftig, da auch 75Jährige sich erst zu einem Viertel als „alt” bezeichnen.
Insgesamt nimmt die Variabilität der Menschen im Alter
zu. Dies ist auch plausibel, wenn man sich deutlich macht,
dass gleichzeitig sowohl die vielfältigen normativen, altersbezogenen, biologischen und auch die kulturwandelbezogenen Einflüsse (das sind die Kohorteneinflüsse) miteinander
in Wechselwirkung stehen und dann auch noch die jeweils
individuell erfahrenen nicht normativen Lebensereignisse
(also die, die nicht für alle gelten, z. B. der Lottogewinn
oder der Tod eines Kindes) dazukommen und dies alles über
eine lange Zeit hinweg und auf allen oben angesprochenen
Dimensionen des Menschseins (vgl. Abb.2).
Wenn wir uns noch einmal die erwähnten Schlagworte
der Gerontologie verdeutlichen, die Multidimensionalität,
die Multidirektionalität - also die unterschiedlichen Kurvenverläufe dieser Dimensionen aus der Abb. 1 - sowie die Multikausalität der oben genannten Einflussgrößen in der Zeit
Abb. 2: Die drei wichtigsten Einflusssysteme auf die
lebenslange Entwicklung
Grunddeterminanten
Entwicklungssysteme und Entwicklungseinflüsse
alterbezogene
Interaktion
ökologische
Interaktion
biologische
kulturwandel
bezogene
nicht
normative
Zeit
(Quelle: Baltes, P. B. (1990), Entwicklungspsychologie der Lebensspanne: Theoretische Leitsätze, Psychologische Rundschau, 41, S. 16)
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und die individuelle Bandbreite dieser Prozesse, so verbieten
sich derzeit einfache Erklärungsmodelle eines Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs für das Zustandekommen einzelner
Entwicklungsresultate, wie ja auch „Gesundheit im Alter”
eines darstellt. Wenn dann noch die Variable „Frau sein”
hinzukommt (sowohl in dem Sinn von „Sex”, wie die Engländer sagen, mit dem biologischen Aspekt und im Sinn der
soziokulturellen Aspekte, was die Engländer mit dem Wort
„Gender” bezeichnen) und die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bestimmter nicht normativer Lebensereignisse im
Einzelfall, dann können Sie sich vorstellen, wie schwierig es
ist, tatsächlich Kausalinterprationen und Vorhersagen über
einzelne Frauen und ihre Gesundheit im Alter vorzunehmen.
Ein interessantes Bild auf die derzeitige Datenlage wirft
folgendes Beispiel: Es gibt eine berühmt gewordene Studie
zur Herzinfarkt-Prävention in den Vereinigten Staaten, in
der man herausgefunden hat, dass die Gabe eines Aspirins
täglich die Herzinfarktrate um 50 % senken kann. Diese Daten wurden weltweit bekannt gemacht. Die Leute kauften
Aspirin und schluckten sie alle in der Hoffnung auf eine positive Wirkung. Dabei wurde verschwiegen wurde, dass diese
Studie an 22.000 männlichen Ärzten erhoben wurde. Das ist
nahezu unbekannt! Es ist schon verwunderlich, wenn trotz
der Kenntnis der hormonellen Einflüsse auf das Herz-Kreislauf-System die Befunde einfach auf alle über 65-jährigen
übertragen werden, obschon zwei Drittel von ihnen Frauen
sind. Gerade wegen der eingeschränkten Aussagekraft vieler
empirischer Daten kommt der Suchbewegung, der Haltung
der Forschenden bei der Interpretation der Daten ein besonderes Gewicht zu. Selten wird diese Haltung allerdings offen
angesprochen. Von daher haben wir uns entschlossen, auf
unsere Blickrichtung und unseren Erfahrungshintergrund explizit einzugehen.
2. Blickrichtung und Erfahrungshintergründe
Im Rahmen der Analyse von Gesundheitsfaktoren der Berliner Altersstudie werden deutliche Unterschiede zwischen
Frauen und Männern berichtet. Diese eher als „androzentrisch” zu bezeichnende Sichtweise bietet jedoch nicht genügend Differenzierungen und wird den Besonderheiten
weiblicher Lebensumstände nicht gerecht. Sie dient eher der
Verfestigung des in der Literatur anzutreffenden weiblichen
Defizitbildes des Alters, wie es im nachstehenden Zitat zum
Ausdruck kommt. Schaefer (1978, S. 54 ff.) meint:
„Das Problem der Frau im Alter bestehe nicht darin, dass sie
ohne großen sozialen Ehrgeiz sich mit Reisen beschäftigen
könne. Es bestehe auch nicht darin, dass sie grundsätzlich
mit einem Defizit an mathematisch-logischer Potenz leben
müsse, auch nicht darin, dass sie auf Grund stärkerer vegetativer Labilität und eines größeren Drangs nach Geselligkeit
die Wartezimmer der Ärzte bevölkere. Das Problem bestehe
insbesondere auch darin, dass die alternde Frau zu allem übrigen auch noch mit dem Defizit einer rasch verfallenden
Schönheit dasteht, einer Tatsache, welche die Stabilität der
Ehen alter Menschen sicher bedroht.”
Wir möchten in unseren Ausführungen andere Blickrichtungen einnehmen. Durch unsere Beobachtungen, Erfahrungen und Mitarbeit in unterschiedlichsten Zusammenhängen
konnten wir weibliches Gesundheitsverhalten bei jüngeren,
älteren und hochaltrigen Frauen erleben. Unsere Erfahrungshintergründe beziehen sich z. B. auf Frauen und ihren
Umgang mit Sucht, Umgang mit Gewalt im familiären Raum
und in institutionellen Pflegesituationen, aber auch in unterstützenden Angeboten von Selbstverteidigungskursen,
Angehörigengruppen, Trauergesprächskreisen oder in
Stressbewältigungsseminaren und natürlich auch in unserem
eigenen sozialen Umfeld, bei unseren Müttern, Großmüttern und Schwiegermüttern. Wir erhielten an den unterschiedlichsten Stellen Einblicke in die Verletzlichkeit aber
auch zugleich in die Stärken und Ressourcen weiblicher Erlebens- und Verhaltensweisen. Diese Stärken zu verdeutlichen
und anzusprechen, ist unser Ziel und unsere Blickrichtung.
Wir werden dabei die Verletzlichkeit von Frauen nicht aus
dem Blick lassen, sondern wir möchten sie verbinden mit
Forderungen für notwendige Hilfen und Rahmenbedingungen für ein lebenswertes Altern. Negative Altersbilder hatten ihre Funktion zur Schaffung und Etablierung von Förderprogrammen und zur Initiierung von Entwicklungen innerhalb der letzten zehn, fünfzehn Jahre. Die Zeiten einer
klagenden Grundhaltung sind jedoch für uns heute keine
angemessene Strategie mehr.
Eine der angeblich typisch weiblichen Coping-Strategien
können Sie hier bei unserem Vortrag erleben, den wir im gemeinsamen Gespräch und kollegialen Austausch vorbereitet
haben und halten werden.
Entwicklungsländer haben wir bei unseren Betrachtungen
ausgeklammert. Die Lebensbedingungen von Frauen sind
dort von Geburt an über Ernährung, medizinische Versorgung bis zur körperlichen Arbeitsbelastung von vielfachen
Benachteiligungen gekennzeichnet und wirken sich damit
unmittelbar auf eine niedrigere Lebenserwartung und einen
schwächeren Gesundheitszustand als bei den dortigen Männern aus.
Mehrfachbenachteiligungen von Frauen - auch in Deutschland - einerseits zu registrieren, in ihnen aber auch z. T.
Mehrfachchancen zu sehen, dies soll der weitere Blickwinkel
unserer Darstellung sein.
3. Bedingungsfaktoren und Auswirkungen weiblicher
Gesundheit im Alter
Die demographischen Veränderungen des Alterungsprozesses in unserem Jahrhundert sind ohne Vorbild: Die Lebenserwartung hat sich mit der Jahrhundertwende verdoppelt, die
Geburtenrate halbiert. Nie zuvor lebten verheiratete Paare
so lange zusammen wie heute, und zugleich gab es nie
mehr Single- oder Einzelhaushalte als heute. Es gibt die Phase der nachelterlichen Gefährtenschaft, die länger dauert als
die Zeit der gemeinsamen Familienphase mit Kindern. Die
Veränderung der Nähe-Distanz-Beziehungen durch viele
kleine Haushalte mit losen Kontakten führt zur inneren
Nähe bei äußerer Distanz, z. T. auch bedingt durch die notwendige berufliche Mobilität. Die „5-Generationen-Bohnenstangen-Familie” lebt mit den Rollenkonflikten der mittleren Sandwich-Generation, die gleichzeitig die immer selteneren Enkel hütet, und die immer häufiger demente Eltern
pflegt.
Wie „erfolgreiches” Altern aussieht, dafür haben wir keine Modelle in der Geschichte. Gesundheit ist auf alle Fälle
ein wichtiges Element der Lebenszufriedenheit im Alter,
ebenso der Verbleib in der eigenen Häuslichkeit im Sinne
der Aufrechterhaltung einer Kontinuität des Lebensumfeldes.
Die Definition von Gesundheit im Sinne der WHO ist wenig hilfreich. Sie geht vom vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefinden aus, und geht damit über
die bloße Abwesenheit von Krankheit hinaus. Alter ist jedoch von Multimorbidität gekennzeichnet. Alle alten Menschen über 65 haben mindestens eine Krankheit, wobei die
chronischen Krankheiten im Vordergrund stehen. 40% der
über 70jährigen haben nach objektiven medizinischen Diagnosen in der Berliner Altersstudie sogar mindestens fünf
Krankheiten gleichzeitig. Dennoch halten 30% Prozent ihre
Gesundheit für gut bis sehr gut, nur 20% für mangelhaft.
Das heißt, subjektive Gesundheit im Alter ist von objektiver
Gesundheit zu trennen. Auch das Ausmaß funktionaler Einschränkungen und das Wohlbefinden sowie die Fähigkeit
zur Alltagsbewältigung sollten nicht miteinander gleichgesetzt werden. Auch die Familiensituation, die finanzielle
Lage sowie die Verfügbarkeit und Erreichbarkeit von medizinisch-pflegerischen Ressourcen müssen in ihrer Auswirkung auf die gesundheitliche Lage im Auge behalten werden.
3.1. Lebenserwartung und Morbidität
Eines der beeindruckendsten Phänomen in den so genannten hoch zivilisierten Ländern ist die um sieben Jahre länger
dauernde durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen.
Dies hat übrigens nur zum Teil mit der unterschiedlichen
Langlebigkeit zu tun. Es hat auch seine Ursache in dem
Rückgang der Sterblichkeit von Frauen bei Geburten und in
der überproportional hohen Rate der Sterblichkeit von Männern vor dem Alter von 60. Im Alter von 60 Jahren sterben
ungefähr doppelt so viele Männer wie Frauen, danach gleichen sich diese Sterbeziffern an. Diese länger dauernde Lebenserwartung der Frauen wird - wie das in der Literatur so
schön genannt wird - „erkauft” durch den Preis länger dauernder und häufigerer Erkrankungen. Die Haupttodesursachen und auch die zehn häufigsten Ursachen chronischer Erkrankungen sind bei Männern und Frauen hierbei nicht unterschiedlich. Jedoch unterschiedlich ist, dass, wenn Männer
krank sind, sie meist Krankheiten haben, die lebensbedrohend sein können (z. B. Herzerkrankungen); Frauen dagegen haben eher Erkrankungen, die funktional einschränken,
z. B. Arthritis, Osteoporose, Inkontinenz. Das führt dazu,
dass Frauen eine größere funktionale Einschränkung haben.
Nach den Auswertungen der Berliner Altersstudie sind Frauen damit nicht unbedingt in der Gestaltung ihres Alltages
eingeschränkt. Es wird hier sehr deutlich, dass Frauen sich
häufiger Hilfe zur Bewältigung des Alltages holen, wenn sie
eingeschränkt sind.
Eine Erklärung für die längere Lebenserwartung ist das
andersartige Gesundheitsverhalten von Frauen. Die im obigen Zitat genannten häufigen Arztbesuche (die lassen sich
in der Berliner Altersstudie so nicht finden), wie auch der
höhere Medikamentenverbrauch von Frauen müssen nicht
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in erster Linie kostensteigernd gesehen werden, sondern
vielleicht als das adäquatere Gesundheitsverhalten. Dieses
größere Körperbewusstsein zeigt sich auch in der vernünftigeren Einstellung zu Gewichtskontrollen und zum Umgang
mit Genuss- und Suchtmitteln. Fakten, die alle dazu beitragen, nicht so schnell terminal zu erkranken wie Männer.
Wenn Frauen auch im mittleren Alter mehr Sport treiben
würden (einzig hier sind Männer gesundheitsbewusster),
dann könnten Beweglichkeitseinschränkungen im Alter reduziert werden.
Frauen unterschätzen ihre Gesundheit normalerweise,
Männer überschätzen sie. Was im Rahmen einer adäquaten
Gesundheitsfürsorge das günstigere Verhalten ist, darüber
kann man streiten (vgl. Fooken 1998).
Insgesamt sind Frauen im Rahmen ihrer Lebensgeschichte
vor allem aus hormonellen Gründen (vgl. 3.2) oft darauf angewiesen, sich auf schnelle Veränderungen ihres Körpers (z.
B. bei Schwangerschaft, Menstruation, Menopause) einzustellen; ein Verhalten, was dann auch für den Umgang mit
plötzlichen Einschränkungen im Alter zusätzlich hilfreich ist.
3.2 Hormonveränderungen und Reproduktion
In Ergänzung zur bereits erwähnten Morbidität von Frauen
ein paar Aspekte zur hormonellen Veränderung und zur Reproduktion. Die biologische Ausstattung von Frauen hormoneller Art schafft ein besseres Immunsystem und schützt sie
bis zur Menopause vor Gefäßerkrankungen. Die Krankheitsentwicklung nach der Menopause beschleunigt sich im Vergleich mit gleichaltrigen Männern. Degenerative Erkrankungen des Knochen- und Gelenksystems, vor allen Dingen auch
Gefäßerkrankungen und im späteren Alter Inkontinenz,
schaffen große Probleme und nehmen zu. Jedoch ist inzwischen, bei aller Kritik an der derzeitigen Verschreibungssituation, Hormonsubstitution als Ersatz für das ausgefallene
Hormonsystem immer mehr in der Lage, Beschwerden zu reduzieren. Die Empfängnisverhütung ermöglicht Frauen eine
Minimierung von Risiken und Belastungen im Vergleich zu
früher, wo gewünschte oder unerwünschte Geburten in großer Zahl deutlich den Gesundheitszustand beeinträchtigten.
Anders als bei Männern gibt es keinen Nachweis für eine
funktionale Einschränkung weiblicher Sexualität, z. B. der
Orgasmusfähigkeit, im Alter. Das Ende der Fertilität galt lange als Begründung für die „defizitäre” Betrachtung alter
Frauen. Hier setzt ein Umdenken im Sinne der „Wechseljahre” als auch positiv besetzter „Wendejahre” ein.
3.3 Gerontopsychiatrische Erkrankungen
Was die gerontopsychiatrischen Erkrankungen angeht, so
können wir zusammenfassen, dass alte Menschen nicht mehr
psychische Erkrankungen haben als junge Gesunde, und Frauen insgesamt nicht mehr als Männer. Dennoch bestehen leichte Tendenzen zur Diagnose von mehr Angstzuständen. Vor
allem leichte Depressionen werden in manchen Studien bei
Frauen häufiger diagnostiziert, mit Vorliebe bei verwitweten
noch vor Ablauf des Trauerjahres, von dem meist männlichen,
jüngeren Arzt. Bei schweren Depressionen sind Frauen prozentual gleichauf, im hohen Alter sind Männer davon sogar
häufiger betroffen. Dies drückt sich insgesamt in einem viermal höheren Suizidrisiko der Männer im Alter von 65 und ei8
nem zehnmal höheren mit 85 Jahren - vor allem im ersten
Jahr der Verwitwung - aus.
Die größte Last der psychischen Beeinträchtigung im Alter
insgesamt sind die demenziellen Erkrankungen, die allerdings,
wenn man den Bildungsgrad und den insgesamt hohen Frauenanteil kontrolliert, geschlechtsunabhängig im Alter ansteigen. Mit 65 Jahren sind es ca. 6%, mit 70 Jahren 15% und mit
90 Jahren hat fast jeder zweite Mensch eine hirnorganisch bedingte Beeinträchtigung. Diese hirnorganischen Beeinträchtigungen stellen mit die größten Herausforderungen der gesundheitlichen Versorgung des Alters dar. Die Erkrankten müssen zunehmend im Laufe des Fortschreitens ihrer Erkrankung
fremde Unterstützung einfordern, um mit der Alltagsbewältigung zurechtzukommen. Aber anders ausgedrückt: Bis zum
Alter von mindestens 85 Jahren sind die meisten alten Menschen nicht dement, und weiterhin nicht nur Hilfeempfänger,
sondern auch Hilfegeber an Jüngere. Auch hierzu gibt es im
Rahmen der Berliner Alterstudie interessante Ergebnisse.
3.4 Persönlichkeitsdimensionen, Coping- und
Kontaktverhalten
Die individuellen Unterschiede zwischen Menschen nehmen
im Alter zu. Zwar geht die Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen bei älteren Menschen zurück, die Sozialbezogenheit und Mitleidsfähigkeit bleibt jedoch erhalten. Der Glaube an die größere Selbstwirksamkeit z. B. bei jüngeren Männern lässt sich in den Unterschieden der Kontrollüberzeugungen alte Frauen und Männer nicht mehr finden.
Frauen bleiben auch im Alter bei ihrer Vorliebe für emotionsorientiertes Coping und sind damit in der Lage, sich verändernden Realitäten anzupassen, sie praktizieren eher
„Akkumodation” als „Assimilation”. Das haben sie in ihrer
Sozialisation zeitlebens gelernt und praktizieren müssen,
und es erweist sich als höchst effektiv angesichts der vielen
unkontrollierbaren Verluste im Alter. Im Sinne der „Koheränz” haben alte Frauen durch diese Coping-Strategien
das Gefühl der Kontrolle, der Überschaubarkeit und Sinnhaftigkeit auch bei objektiven Einschränkungen durch die
lebenslang gesammelte Gewissheit der eigenen Anpassungsfähigkeit. Ich denke an alle Frauen, die zwei Weltkriege
überstanden haben, mit dem Verlust von Kindern, von Männern, von Enkelkindern, mit Flucht und Vertreibung sowie
dem Aufbau einer neuen Existenz.
Fooken (1998) weist auf die deutlichen interindividuellen
Unterschiede bei Frauen im Bewältigungsverhalten hin. Ihr
geht es um die Frauen, die resignativ auf dem Hintergrund
eigener Erkrankungen, nach Partnerverlust und/oder auch
langanhaltender Angehörigenpflege psychosomatisch erkranken und keine Perspektiven mehr sehen. In diesen Krisen brauchen viele Frauen dringend Hilfe, vor allem wenn
familiäre Netzwerke (3.5) ausfallen.
3.5 Familiensituation und Netzwerke
Da Frauen im Durchschnitt länger leben als Männer und vorwiegend ältere Männer geheiratet haben, ist eine Witwenschaft von ca. 15 Jahren für Frauen über 65 der Normalfall.
Bei Männern ist sie ungefähr nur halb so lang. Das heißt, 2/3
der Männer sterben verheiratet, Frauen überwiegend als
Witwe.
Die Lebenszufriedenheit von Frauen hängt nicht allein
vom Familienstand ab. Alleinlebende Frauen und Verwitwete sind in vielen Studien zufriedener mit ihrem Leben und
ihren Kontakten als (unzufriedene) Verheiratete. Männer
dagegen beziehen ihre Hauptlebenszufriedenheit aus dem
Kontakt mit der noch lebenden Ehefrau. Nicht von ungefähr
berichtet Dießenbacher in seinem Buch „Witwen” über die
„späte Freiheit” von Arbeiterwitwen, die im Brecht’schen
Sinne als „unwürdige Greisin” noch sehr viel Lebensfreude
und Selbstverwirklichung erfahren. Dies kann ich aus eigener Anschauung aus den Witwengruppen nur bestätigen
kann. Manche Frauen in der Gruppe brauchen erst eine Art
„Geburtshilfe” - eine Erlaubnis - zu dieser zeitlebens in einer
langen Ehe, evtl. verbunden mit intensiver Pflege, nicht
wahrgenommenen, selbstbestimmten Lebensart. Erst dann
können sie mit der Fülle des bereits genannten weiblichen
Anpassungs- und Einfühlungsvermögens neue soziale Netze,
u. a. auch mit ebenfalls allein stehenden Frauen, aufbauen.
An gelungenen Beispielen ist dabei kein Mangel. Da das Alleinleben Männer im Alter mehr belastet, einsam und hilflos
macht bis hin zur Depression und Suizidgefährdung (vgl.
3.3), sind gerade in diesem Fall auch Hilfsangebote für Männer notwendig. Was die Wiederheirat angeht, so ist ganz interessant, dass die meisten Frauen nach der Verwitwung, besonders nach langer Pflege, nicht mehr wiederheiraten wollen. Da gibt es eine interessante negative Korrelation zwischen Bildungsstand und Heiratswunsch, ganz anders als bei
Männern. „Der intelligente Mann heiratet häufig wieder,
die intelligente Frau eher nicht mehr.” Ebenfalls interessant
ist in diesem Zusammenhang auch, dass angeblich nur 50 %
aller Frauen ihren derzeitigen Ehemann wieder heiraten
würden, während das bei Männern ein sehr viel größerer
Teil ist.
Familienpflege ist bis ins Alter Frauensache. Der Großteil
der Pflegenden ist selbst bereits über 65 Jahre alt. Aus meiner Sicht muss hier ein wichtiger gesellschaftlicher Umdenkungsprozess stattfinden. Es ist ein Skandal, dass Motive zur
Pflege gar nicht mehr hinterfragt werden, dass sie gleichermaßen vorausgesetzt werden im Sinne einer angeborenen
„Mütterlichkeit”, für die die Frau „bestimmt ist”. Wir alle
wissen, dass lange Pflegen gesundheitlich sowohl körperlich
als auch seelisch extrem belastend sind. Die Pflegenden von
heute sind häufig die PatientInnen von morgen. In diesem
Zusammenhang ist anzumerken, dass Frauen als Gepflegte
oft Gewalt erleiden und als Pflegerinnen bei einer Überforderung auch Gewalt ausüben. Gerade diese Thematik „Gewalt in der Pflege” – und hier besonders die Frau als Täterin
– könnte ein wichtiges Thema für Frauenbeauftragte sein; es
ist ein wichtiger Aspekt hinsichtlich Prävention und Beratung.
Im Alter wird die Qualität von Beziehungen wichtiger. Interessanterweise ist das Netzwerk von Frauen zwar durchschnittlich größer, dennoch wächst ihre Lebenszufriedenheit
nicht mit der Größe des Netzwerkes, vielleicht weil daraus
oft auch Anforderungen nach Betreuung resultieren. Frauen
sind die HauptakteurInnen in der Gestaltung intergenerativer Kontakte. Männer sind übrigens insgesamt schneller zufrieden mit der Qualität ihrer Netzwerke. Dies wirft eine
Frage auf: Sind Frauen insgesamt anspruchsvoller im Hin-
blick auf Kontakte oder sind Männer vielleicht eher in der
Lage, ihr Netzwerk effektiver zu organisieren? Hier müssten
Frauen vielleicht noch deutlicher das Gleichgewicht von Geben und Nehmen für sich realisieren und auch einmal das
Neinsagen lernen.
3. 6 Berufstätigkeit und Einkommenslage
Zwar haben ältere Frauen eine niedrige und damit eine
schlechtere Bildung, sie nutzen aber dafür die Altenbildung
deutlich mehr als Männer.
Berufstätigkeit ist auch bei belastenden Berufen und
durch Mehrfachbelastungen (in Familie, Haushalt und Beruf)
bei Frauen nicht lebensverkürzend. Bei Männern hingegen
ist beruflicher Stress ein zentral lebensverkürzender Aspekt.
Das heißt, wenn Frauen sich für Beruf und Arbeitsplatz entscheiden, dann hat er einen eher kompensatorischen Effekt,
auch einen gesundheitsstabilisierenden und -fördernden Effekt. Berufstätjige Frauen leiden zwar häufiger unter kleineren Beeinträchtigungen z. B. in Form von Erkältungen oder
Erkrankungen des Magen-Darm-Systems, aber weniger an
dauerhaften Erkrankungen als Frauen, die entgegen ihres
Wunsches nicht berufstätig sind.
Weibliche Identität speist sich aus mehreren Quellen. Frauen identifizieren sich häufig durch Familienarbeit, Ehrenamt
und Beruf, so dass beim Wegfall z. B. der Berufsrolle die
Identitätskrise nicht so ausgeprägt ist. Dennoch könnte der
Eintritt der Verrentung zunehmend auch eine Frauenfrage
werden.
Frauen versuchen nicht nur im Alter das Streben nach Autonomie und Anerkennung als eher „männliche” Größe mit
sozialer Einbindung und Selbstverwirklichung als eher
„weibliche” Größe miteinander zu verbinden. Diese Verbindung von „love and work” als Gleichgewicht dient dem erfolgreichen Altern.
Zur Einkommenslage ist zu sagen, dass die selbst erworbenen Rentenansprüche von Frauen z. Zt. noch sehr viel niedriger sind als die von Männern. Die geringe Zahl von Versicherungsjahren, das geringere Einkommen und die vermehrte
Teilzeitarbeit bedingen das. Die Besonderheit von Armut im
Alter ist ihre Dauer, da sie im Gegensatz zu früheren Lebensphasen sehr viel länger anhält.
3.7 Verfügbarkeit informeller und institutioneller Hilfenetze
Backes (1994) weist in einer Studie darauf hin, dass Frauen
bei weitem nicht so viele Rehabilitationsmaßnahmen erhalten wie Männer. Zwei Drittel der über 75-jährigen Menschen
in der BRD sind Frauen, doch werden ihnen lediglich zu 50%
Rehabilitationsmaßnahmen verordnet. Da Frauen überwiegend aus Einzelhaushalten kommen (ohne weitere Versorgungspersonen), werden sie nach Krankenhausaufenthalten
schneller ins Heim vermittelt. Gleichaltrige verheiratete
Männer werden bei ähnlichen Krankheitsbildern eher rehabilitiert. Frauen sind mehr als Männer abhängig von ambulanten, pflegestützenden Versorgungssystemen und adäquaten Reha-Einrichtungen. Sie sind somit „Hauptleidtragende”, wenn solche Einrichtungen fehlen.
9
4. Resümee und Ausblick
Sind Frauen im Alter nun die Verlierer und das „schwache
Geschlecht”? Ihre größere Gebrechlichkeit, ihre schlechtere
Rentensituation und die Wahrscheinlichkeit des Alleinlebens
scheinen das nahe zu legen. Bei genauerem Hinsehen ist die
höhere Lebenserwartung von Frauen aber möglicherweise
auch ein Zeichen dafür, dass sie für das Altwerden seelisch
und auch im Umgang mit körperlichen Einschränkungen
eher geeignet und besser vorbereitet sind als Männer. Wenn
im Sinn der Kontinuitätshypothese die Fortsetzung von zufrieden stellenden Lebensweisen des mittleren Erwachsenenalters auch erfolgreiches Altern bedeutet, dann müssen
alte Menschen natürlich auch schon früh beginnen, ihre
Weichen für Gesundheit im Alter zu stellen. Dies gilt insbesondere für das Gesundheitsverhalten in den Bereichen Ernährung und Sport, die Entscheidung für eine berufliche Tätigkeit sowie die Schaffung außerfamiliärer Netzwerke als
spätere Kompensationsmöglichkeiten. Dies sind wichtige
Pfeiler einer Beratung von „jungen Alten”.
Es gibt aber auch Anzeichen dafür, dass Langlebigkeit und
Lebenszufriedenheit im Alter auch so aussehen können, dass
Frauen eher männliche Züge im Hinblick auf Durchsetzungsvermögen, vielleicht auch politisches Engagement, und
Männer eher weibliche Züge im Sinne vermehrter emotionsgetönter Sozialkontakte entwickeln. Dies weist auf die Bedeutung der Notwendigkeit einer Entwicklung zur so genannten „Androgynität” gesunden Alterns hin. Eine solche
Entwicklung ist im Rahmen einer zunehmenden Frauengesellschaft im Alter sowohl wünschenswert als auch möglich.
Auch die nachlassenden Anforderungen von Familienpflichten erlauben von typisch weiblichen Rollenvorstellungen abweichende Entwicklungen. Die angesprochenen Angehörigen- und Trauergruppen können dabei wichtige Bausteine
auf dem Weg einer Stärkung hilfreicher und einer Abschwächung eher störender weiblicher Verhaltensmuster sein. Daneben ermöglichen sie auch wichtige Einblicke in die Verfügbarkeit von Hilfenetzen, auf die alleinlebende, gesundheitlich beeinträchtigte Frauen besonders angewiesen sind.
„Mit dem Alter wird man nicht klüger, man weiß nur immer besser, dass es die anderen auch nicht sind”. Wenn man
diesen Satz auf Gesundheit umdeutet, könnten wir auch sagen, dass wir mit dem Alter sicher nicht gesünder wird, dass
wir aber auch eher wissen, dass die anderen es im Sinne der
WHO-Definition auch nicht sind. Der Endlichkeit des Lebens
als „Integration der Persönlichkeit” ohne Verzweiflung ins
Auge zu sehen, wird als Zeichen höchster Sinnfindung im Alter angesehen. Dies geschieht umso besser, wenn Menschen
zuvor die Entwicklungsaufgabe der „Generativität” bewältigen. Generativität heißt dabei, beim Sterben zu wissen, welche Spuren biologischer und/oder sozialschöpferischer Art
hinterlassen werden. Im Sinne von Viktor Frankel, dem bekannten Wiener Logotherapeuten, besteht die beste Weise,
sinnerfüllt und mit der Wertschätzung anderer zu sterben
darin, dass ein Mensch drei Werte miteinander verbindet:
Zum einen die schöpferischen Werte (sie werden durch Arbeitsfähigkeit hergestellt), die Erlebniswerte (sie werden
durch Genuss und Liebesfähigkeit hergestellt), sowie die Einstellungswerte. Sie zeigen sich in den Fähigkeiten zum
Durchhalten und zur Leidensfähigkeit.
10
Wir gehen - sowohl auf Grund der von uns genannten empirischen Befunde, als auch eigener Beobachtungen - davon
aus, dass Frauen in besonderer Weise die Möglichkeit haben, all diese Kategorien in ihrem Leben auszufüllen und
von daher nicht nur sinnerfüllt zu leben, sondern auch lebenssatt zu sterben.
Literatur:
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Kompetenz geriatrischer Versorgung. Z. f. Gerontopsychologie und Gerontopsychiatrie, 7 (2), 117 - 126.
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der Berliner Altersstudie. In: K. U. Mayer u. P. P. Balkes
(Eds.), Die Berliner Altersstudie. Berlin: Akademie Verlag.
Baltes, M. M. (1998): Frauen und Gesundheit im Alter
(S. 35 - 50). In: Kuhlmey, A. et. al. (Hg.): Frauen in Gesundheit und Krankheit: Die psychosoziale Lebensperspektive, Berlin: Trafo.
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Amann, G. u. R. Wipplinger: Gesundheitsförderung - ein
multidimensionales Tätigkeitsfeld. Tübingen: Dgut-Verlag.
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Zürich: Seismo.
Müller-Daehn, S. u. Fooken, I. : Besondere Belange von
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Zum Aufbau und Ausbau neuer sozialer Netze. In: Freytag, R., Witte, M. (Hg.): Wohin in der Krise? Göttingen:
Vandenhoeck.
Vera Herbst, Sachbuchautorin
AKF Regionalgruppe Braunschweig
Arzneimittelverordnungen für Frauen über 60 Jahre
Der eigentliche Themenwunsch für ein Referat zu dieser
Veranstaltung lautete zu Anfang in etwa „Medikalisierungsprozesse bei Frauen”. Doch den Prozess als solchen zu beschreiben, scheint mir nicht möglich. Auch das Ziel, den Arzneimittelkonsum zu analysieren, wäre allzu hoch gesteckt.
Denn Konsum meint ja das, was die Frauen wirklich schlukken. Darüber liegen aber erst relativ wenig Daten vor. Was
verfügbar ist, wenn auch nur in geringem Umfang und sehr
grob aufgeschlüsselt, sind Daten über die Verordnungen
bzw. über den Verkauf von Arzneimitteln.
Ich nehme an, dass die Veranstalterinnen dieser Tagung bei
ihrem Wunsch, etwas über Arzneimittel und ältere Frauen
zu hören, ähnliche Aussagen zum Thema in ihrem Kopf hatten wie ich, als ich mich mit diesem Referat zu beschäftigen
begann:
➤ Frauen bekommen zu viele Arzneimittel verschrieben.
➤ Ihnen werden zu oft Psychopharmaka verordnet.
➤ Sie werden medikalisiert und ruhig gestellt und auf diese
Weise abgeschoben.
Diese Sätze implizieren einen Verursacher, nämlich die - vornehmlich männliche - Ärzteschaft, welche die Lebenswirklichkeit und Bedürfnisse von Frauen nicht ausreichend wahrnimmt, und sie lassen die Gruppe der Frauen als die an den
Folgen dieses Unverständnisses Leidenden erscheinen.
Bei der näheren Beschäftigung mit dem Thema stellte sich
dann jedoch heraus, dass diese Aussagen so nicht zutreffen.
Frauen und auch ältere Frauen bekommen zwar in der Tat
mehr Arzneimittel verordnet als Männer, und auch und
ganz besonders ihr Psychopharmaka-Konsum ist höher. Doch
die Menge der Arzneimittel ist ein nachrangiges Problem.
Viel gravierender ist, dass ältere Menschen, und dabei besonders ältere Frauen, vor allem das Falsche verordnet bekommen. „Wenn schon, dann richtig” gilt für sie nicht. Das
Ergebnis des vielen Falschen sind dann häufig Beschwerden,
Abhängigkeit, Behinderungen und Beeinträchtigungen, das
Leben bewusst zu gestalten.
aber kein Gleichstand zwischen den Geschlechtern: Frauen
bekommen im Durchschnitt fast 50 Prozent mehr Medikamente verschrieben als Männer, sie erhalten mehr als die
doppelte Menge an Psychopharmaka, und sie bekommen
andere Mittel verschrieben als Männer.
Zu den ärztlich verordneten Medikamenten kommt der
Arzneimittelumsatz der selbst bezahlten Mittel noch hinzu.
Dieser Selbstmedikationsmarkt ist riesengroß, steht jedoch
für detaillierte und valide Aussagen kaum zur Verfügung,
da die Angaben dazu von der Herstellerseite stammen, nicht
allgemein verfügbar sind und vornehmlich zu Marketingzwecken erstellt werden.
Im Durchschnitt wird jeder über 60-jährige Versicherte mit
etwa zweieinhalb Arzneimitteln dauerhaft behandelt. Allerdings steigt der Medikamentenkonsum mit zunehmendem
Alter noch einmal deutlich an. So sollen die 85- bis 90-jährigen Tag für Tag vier verschiedene Arzneimittel einnehmen.
Und gar nicht so selten müssen Ärzte feststellen, dass ihre
Patientinnen, wenn sie denn die ärztlichen Verordnungen
befolgen, sechs verschiedene Medikamente gleichzeitig einnehmen sollen.2 Allerdings ist dabei nicht das Alter an sich
der Faktor, der den Medikamentenverbrauch in die Höhe
treibt, sondern die Nähe zum Tod. Das heißt in anderen
Worten: Den Menschen zwischen 60 und 75 Jahren geht es
noch relativ gut. Die Zeit schwererer Krankheiten beginnt
erst nach 75, eigentlich erst ab 80. Und erst diese erfordern
dann eine intensive Medikation.
An der Spitze der Verordnungen stehen bei den über-45-jährigen das Rheumamittel Diclofenac und das Schilddrüsenmedikament Levothyroxin. Dieses geht hauptsächlich auf Verordnungen an Frauen zurück. Bei den über-60-jährigen rükken die Wirkstoffe Nifedipin und Captopril zur Behandlung
von Bluthochdruck bzw. Herz-Kreislauf-Krankheiten auf die
Spitzenplätze. Dabei gibt es dann kaum einen Unterschied
in den Verordnungszahlen zwischen Männern und Frauen.
Frauen sind anders krank
Der Markt der verordneten Arzneimittel
Die Arzneimittel, die Menschen über 60 Jahre, und dabei vor
allem Frauen, verordnet bekommen, sind für Arztpraxen
und Apotheken eine existenzsichernde Einkommensquelle,
für die Krankenkassen ein enormer Kostenfaktor, waren
aber für die wissenschaftliche Forschung offenbar lange Zeit
eine quantité négligeable - man weiß nur sehr wenig darüber. Zwar verfügen die Krankenkassen über enorm viele
Daten, die hinreichend Material für eine detaillierte Analyse
böten, doch sind sie bisher noch kaum ausgewertet worden.
Differenzierte Aufschlüsselungen der Arzneimittelverordnungen nach Alter, Geschlecht und Indikationen sind erst
die Ausnahme.
Die in der GKV Versicherten, die älter sind als 60 Jahre,
machen zwar nur 23,1 Prozent der Versicherten aus, vereinigen auf sich aber 54 Prozent des gesamten Arzneimittelumsatzes. Mit anderen Worten: Nicht einmal ein Viertel der
Versicherten bekommt mehr als die Hälfte aller Arzneimittel
verordnet.1 Bei der Verordnung von Arzneimitteln herrscht
––––––––––
1
Schwabe U., Paffrath, D., 1999: Arzneiverordnungsreport 1998, Springer,
Berlin, Heidelberg
Die Auswertungen der Krankenkassendaten geben Hinweise
darauf, dass die hohen Verordnungszahlen bei Frauen darauf zurückzuführen sind, dass sie häufiger Ärztin oder Arzt
konsultieren, denn bezogen auf den einzelnen Arztbesuch
sind die Verordnungen bei Männern und Frauen annähernd
gleich. Eine Stichprobenanalyse von 1992, die 27.000 Patienten und Patientinnen aus 50 allgemeinmedizinischen Praxen
erfasste, ergab, dass Männer und Frauen bei ihrem jeweiligen Arztbesuch in etwa die gleiche Anzahl an Medikamenten verschrieben bekamen, Frauen jedoch 73 Prozent aller
Arztbesuche absolvierten.3 Diese Erklärung greift jedoch
dann zu kurz, wenn es um die eklatant höheren Verordnungen von Psychopharmaka für Frauen geht.
Die häufigen Arztbesuche bedeuten nun jedoch nicht,
dass Frauen generell „kränker” sind als Männer. Sie sind
vielmehr anders krank. Männer sind weniger oft krank, ha––––––––––
Erdmann E., 1995: Werden in Deutschland zu viele Medikamente verordnet? Med. Wschr. 137, 11 (Beilage) München
3
Schoettler, P.: Untersuchung der Verordnung von psychotropen Arzneimitteln und oralen Antidiabetika in der allgemeinmedizinischen Praxis.
(Dissertation), Kiel.
2
11
ben dafür aber schwerere Krankheiten, an denen sie kürzere
Zeit leiden und schneller sterben. Sie folgen weitgehend ihren drei „Ks”: Konkurrenz, Karriere, Kollaps. Die Frauen, die
heute über 60 Jahre alt sind, leiden vielmehr darunter, dass
die drei ihnen zugestandenen „Ks” Kinder, Küche, Kirche
nur selten ausreichten, um ein sinnerfülltes Leben zu führen.
Sie plagen sich mit langandauernden chronischen Krankheiten, die sie über viele Jahre belasten, aber nicht davon abhalten, ihre üblichen Tätigkeiten für ihre eigene und die
Versorgung der Familie zu verrichten. Das Mittel, das genau
in dieses Bild passt, ist Diclofenac, ein Rheumamedikament,
das bei Schmerzen und Entzündungen im Bewegungsapparat verschrieben wird.
Fakt ist, dass die Lebenserwartung von Frauen in Deutschland derzeit 6,5 Jahre über der der Männer liegt (Frauen
79,8, Männer 73,3 Jahre4 ). Ob sie wegen oder trotz der Anwendungshäufigkeit von Medikamenten so ist oder ob Frauen sogar noch älter werden könnten, wenn sie ihr Gesundheitsverhalten änderten, das kann heute noch niemand beantworten.
Fakt ist aber auch, dass Frauen – auch im Alter - sich subjektiv als weniger gesund empfinden, als Männer sich einschätzen5 .
Die Frauengesundheitsforschung hat eine Reihe von Faktoren aufgedeckt, in denen sich das Gesundheitsverhalten
von Frauen von dem der Männer unterscheidet und die
wahrscheinlich zu der höheren Lebenserwartung von Frauen
beitragen. Dazu gehört unter anderem, dass Frauen eher
bereit sind, über Gesundheit, Krankheit und Befinden zu
sprechen und dieses nach außen darzustellen und dass sie
ferner häufiger die Angebote des Gesundheitssystems nutzen, indem sie Ärztin oder Arzt aufsuchen, Früherkennungsuntersuchungen durchführen lassen usw.6
Die eher negative Selbsteinschätzung ihres Gesundheitszustandes durch die Frauen selbst, kombiniert mit ihrer großen
Bereitschaft, über das Befinden zu sprechen und ärztliche
Hilfe zu suchen, führt zu einem unseligen Kreislauf: Die
Frauen suchen die Arztpraxis auf und bekommen ein Hilfsangebot in Form von Arzneimitteln, das ihnen nicht wirklich
nützt. Auf Grund der an sich erlebten unerwünschten Wirkungen der Medikamente, aber auch auf Grund der Zahl der
Medikamente, die sie einnehmen sollen, fühlen sich die
Frauen noch weniger gesund als vorher7 . Der Kreislauf
schließt sich, wenn die Frauen diese Beschwerden dann wieder zu Ärztin oder Arzt tragen.
Arztkontakt zieht Behandlung nach sich
Das Beispiel der Schilddrüsenhormone illustriert das. Bei den
GKV-Versicherten ab 45 Jahre teilen sich die Sexualhormone
und die Blutdruckmittel die ersten beiden Verordnungsplätze. Ab 65 Jahre gehen die Hormonverordnungen dann deutlich zurück. Die Schilddrüsenhormone bleiben jedoch immer
––––––––––
4
Statistisches Bundesamt: Gesundheitsbericht für Deutschland, 1998
5
Baltes, P.B., Mayer K.U. 1996: Die Berliner Altersstudie, Akademie Verlag
6
Maschewsky-Schneider, U. 1994: Frauen leben länger - sind sie auch
gesünder? Z. f. Frauenforschung 12, 4,
7
Baltes, Margret M. 1998: Frauen und Gesundheit im Alter. In: Kuhlmey,
Rauchfuß, Rosemeier (Hrsg.): Frauen in Gesundheit und Krankheit: Die
psychosoziale Lebensperspektive, Trafo Verlag Berlin
12
auf Platz drei. Dass das so ist, beruht auf der überproportional häufigeren Verordnung für Frauen. Warum sie jedoch so
viel mehr Schilddrüsenhormone verschrieben bekommen,
bleibt unbeantwortet. Zu vermuten ist jedoch Folgendes:
Das Zahlenverhältnis zwischen Frauen und Männern liegt
bei Schilddrüsenerkrankungen etwa bei 5: 1. Eine Hypothese
für den Grund zielt auf jene Zeiten, in der bei Frauen hormonelle Unruhe herrscht: Schwangerschaften und Wechseljahre. Ob es sich bei diesem Phänomen aber um wirkliche
Differenzen im Auftreten der jeweiligen Krankheiten handelt oder ob es vornehmlich darauf beruht, dass Frauen häufiger zu Ärztin oder Arzt gehen und damit für Diagnosen
eher zur Verfügung stehen, ist nicht bekannt. In der Jodversorgung, die als Verursacher für eine Reihe dieser Schilddrüsenerkrankungen angesehen werden kann, gibt es jedenfalls zwischen Männern und Frauen keine nennenswerten
Unterschiede - eher geht diese Fragestellung noch zu Gunsten der Frauen aus, da sie gesundheitsbewusster leben.
Fakt ist, dass Frauen erheblich öfter in die Arztpraxis gehen, dass bei ihnen erheblich öfter die Konzentration der
Schilddrüsenhormone bestimmt wird, dass bei ihnen erheblich öfter Ultraschalluntersuchungen der Schilddrüse und in
der Folge dann Szintigraphien vorgenommen werden. Aus
den so erhobenen Befunden resultiert dann die Behandlung
mit Schilddrüsenhormonen. Offen ist jedoch die Frage, wie
groß der Nutzen einer solchen Behandlung ist. Die Frage, ob
mit den Hormonen nicht vornehmlich „Werte” behandelt
werden, die ohne klinische Relevanz sind, ist unbeantwortet.
Unerwünschte Folgen des Arzneimittelkonsums
Welche Folgen sich aus einem derart hohen Arzneimittelkonsum ergeben, wie er sich bei Frauen findet, zeigen die
Erhebungsdaten der Berliner Altersstudie.
Bei Personen, die über längere Zeit mehr als vier Arzneimittel gleichzeitig einnahmen, zeigten sich pro Person 55
verschiedene Risiken für unerwünschte Wirkungen und für 5
Wechselwirkungen. Im Vordergrund standen orthostatische
Kreislaufstörungen, die sich z.B. durch Kopfschmerzen und
Schwindel äußern, Magen-Darm-Probleme (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall) und zentralnervöse Beschwerden (Benommenheit, Müdigkeit, Sedierung und Sehstörungen). Bei diesem Nebenwirkungsspektrum sind als Folge für ältere Menschen Stürze besonders relevant.
Die Arzneimittelgruppe mit dem breitesten Risikospektrum sind Diuretika. Diese entwässernden Mittel sind - neben den Betablockern - Mittel der 1. Wahl, um einen zu hohen Blutdruck zu senken. Eine solche Behandlung ist sehr
wohl sinnvoll, und diese Mittel sind für ältere Menschen
auch durchaus geeignet. Nur - sie müssen so niedrig wie
möglich dosiert werden. Das geschieht aber sehr oft nicht.
Offenbar deshalb nicht, weil Ärztinnen und Ärzte die Veränderungen im alten Körper nicht ausreichend berücksichtigen. Diuretika veranlassen die Nieren, mehr Salz und Wasser
auszuschwemmen. Altersbedingt lässt aber das Durstgefühl
nach. Die Menschen trinken zu wenig, der Körper trocknet
aus. Diesen Effekt verstärken die Diuretika noch, indem sie
bei längerer Anwendung - und eine Hochdruckbehandlung
ist immer eine Dauertherapie - das labile Gleichgewicht des
Wasser- und Salzhaushalts nachhaltig stören können. Die
schwer- wiegenden Folgen sind Thrombosegefahr, Muskelschwäche infolge Kaliummangeles, gelegentliche Herzrhythmusstörungen, verminderte Kohlenhydrattoleranz und damit der Beginn eines Typ-II-Diabetes.8 Die Gefahr solcher unerwünschter Wirkungen steigt dadurch noch weiter, dass die
Nierenfunktion altersbedingt abnimmt. Die Organe scheiden den Wirkstoff also langsamer aus, er kann länger im
Körper wirken. Wenn die Einzelportion des Diuretikums zu
hoch angesetzt wird, wirkt sie oft dann noch, wenn schon
wieder die nächste Portion eingenommen wird.
Eine weitere Gruppe von Arzneimitteln mit erheblichem
Gefährdungspotenzial sind die Benzodiazepine, die als
Schlaf- und Beruhigungsmittel eingesetzt werden. Während
die Probleme, die sich mit den Diuretika verbinden, beide
Geschlechter angehen, ist dieses eine Thematik, von der
Frauen deshalb ungleich häufiger betroffen sind als Männer,
weil sie den größten Teil dieser Arzneimittel verordnet bekommen und - wie der Gesundheitssurvey von 1992 gezeigt
hat - auch einnehmen.9 Die Mehrzahl der BenzodiazepinVerordnungen werden für Menschen über 60 Jahre ausgestellt, und 80 Prozent der Frauen, denen Benzodiazepine
verschrieben werden, sind älter als 60 Jahre.
Benzodiazepine, deren bekanntester Vertreter Valium ist,
sind unstrittig wirksam bei Angststörungen, als Tagesberuhigungsmittel in Krisensituationen und als Schlafmittel, vorausgesetzt, es wird die richtige Substanz in der richtigen Dosierung ausgewählt - und rechtzeitig wieder abgesetzt.
Ein gravierendes Problem bei diesen Tranquilizern ist, dass
sie schon nach einer Anwendungszeit von vier Wochen zu
einer Abhängigkeit führen. Meist braucht zwar die Dosis
nicht gesteigert zu werden, doch das Bedürfnis nach der
nächsten Tablette ist drängend. Diese Niedrig-Dosis-Abhängigkeit blieb lange Zeit unbeachtet und ist auch heute für
viele Ärztinnen und Ärzte offenbar noch kein Grund, sorgfältiger mit den Verordnungen umzugehen. So kommt es,
dass die meisten der etwa 1,2 Millionen Menschen, die nach
aktuellen Schätzungen in Deutschland von diesen Mitteln
abhängig sind, Frauen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren
sind.10 Schweizer Untersuchungen bestätigten 1997, dass bei
den von Medikamenten abhängigen Personen das Verhältnis von Frauen zu Männern 2 : 1 ist, dass die Zahl der Abhängigen mit zunehmendem Alter steigt und dass Benzodiazepine die am häufigsten missbrauchten Medikamente sind.11
Für die Benzodiazepine ist aber auch heute noch die Feststellung gültig: Sie werden nicht unbedingt zu häufig, sondern wohl zu lange verordnet.12 Und das, obwohl die internationale Fachliteratur eine klare Sprache spricht: Bevor
––––––––––
8
Baltes, P.B. 1992: Zukunft des Alterns und gesellschaftliche Entwicklung.
Mittelstraß J. (Hrsg.), Walter de Gryter Verlag, Berlin
9
Robert-Koch-Institut-Hefte 7/1995, Seite 158: Die Gesundheit der Deutschen. Berlin
10
Glaeske, Gerd 1999: Medikamentengebrauch und Abhängigkeit bei Frauen
in Deutschland, S. 26. In: Stadt Münster, Gesundheitsamt: Frauen und
Medikamente – Gebrauch oder Mißbrauch? Gesundheitsberichte, Band 9
11
Maffli, E., Efionayi-Mäder, D. (1996) Medikamentenabhängigkeit in der
Schweiz: Zwischenbericht zum Stand der Literatur. Lausanne: SFA/ISPA
12
Lohse, M.J., Müller-Oerlinghausen, B.: Psychopharmaka. Seite 459 In:
Schwabe, U. Paffrath: Arzneiverordnungsreport 1998, Springer Verlag.
Berlin, Heidelberg
Benzodiazepine länger als vier Wochen verordnet werden,
sollte unbedingt eine psychiatrisch ausgebildete Fachperson
zu Rate gezogen werden.13
Verändertes Verordnungsspektrum
Allerdings haben die Aufklärungskampagnen der vergangenen Jahre dafür gesorgt, dass sich das Verordnungsverhalten
der Ärztinnen und Ärzte geändert hat. Die Verordnungszahlen für Tranquilizer haben sich in Westdeutschland zwischen
1984 und 1994 in etwa halbiert. Seitdem sind die Zahlen in
etwa stabil. Demgegenüber haben aber die Verordnungen
von Neuroleptika und Antidepressiva in den vergangenen
zehn Jahren kontinuierlich zugenommen; ihre Verordnungszahlen haben sich seit 1988 verdoppelt! Und das, obwohl
Psychiaterinnen und Psychiater immer wieder feststellen müssen, dass gerade bei älteren Menschen Depressionen nicht
diagnostiziert und/oder nicht angemessen behandelt werden.
Das Verordnungsverhalten der Ärztinnen und Ärzte legt
nahe, dass sie bei allgemeiner Angst und Unruhe nun Neuroleptika in niedriger Dosierung verschreiben. Studien, die
Nutzen und Risiken von Beruhigungsmitteln und Neuroleptika über ausreichend lange Zeit miteinander vergleichen,
gibt es bisher nicht.14
Neuroleptika sind eigentlich zur Behandlung von Schizophrenie gedacht. Wie der Hersteller jedoch mit den Indikationen umgeht, ist bei dem Präparat Imap zu beobachten.
Imap enthält 2 mg des Inhaltsstoffes Fluspirilen und ist zugelassen zur Behandlung von schizophrenen Psychosen. Das
Präparat Imap 1,5 enthält nur 0,5 mg weniger von demselben Wirkstoff und gibt als Indikation nun ausschließlich
Angst- und Spannungszustände sowie psychosomatische Beschwerden an. Gerade für den Wirkstoff von Imap (Fluspirilen) sind aber irreparable Spätschäden wie zwanghafte Bewegungsstörungen beobachtet worden. Die bei Neuroleptika beobachteten Persönlichkeitsveränderungen wurden bei
Imap 1,5 nie untersucht. Andere Neuroleptika, die auch als
Beruhigungsmittel empfohlen werden, sind Promethazin
(Atosil), Perazin (Taxilan), Prothipendyl (Dominal), Promazin
(Protactyl), Melperon (Eunerpan) und Flupentixol (Fluanxol).
Sie alle haben in einer verantwortungsbewussten Therapie
von Angst und Unruhe jedoch in aller Regel keinen Platz.
Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Erkrankungshäufigkeit und auch die häufigeren Arztbesuche von Frauen
erklären das Phänomen nicht hinreichend, dass Frauen in
den westlichen Staaten so viel mehr Psychopharmaka verordnet bekommen als Männer. Es hat hingegen viel damit
zu tun, dass die verordnenden Ärzte vornehmlich männlich
sind, wie sie Frauen und ihre Beschwerden wahrnehmen
und wie sie sie deuten. Dazu gehört unter anderem die Beobachtung, dass Beschwerden von Frauen eher als psychisch
bedingt angesehen werden, weniger oft als organisch. Diese
Beurteilung resultiert jedoch nicht aus einer psychosomatisch
orientierten Sichtweise; vielmehr verbinden die meisten Ärzte und Ärztinnen mit dem Begriff „psychisch bedingt” bei
––––––––––
13
Benkert, Hippius, 1996: Psychiatrische Pharmakotherapie, Springer-Verlag.
Berlin, Heidelberg
14
Schwabe, U., Paffrath, D., 1999: Arzneiverordnungsreport 96, S. 396,
Springer-Verlag. Berlin, Heidelberg
13
Frauen „nicht ganz ernst zu nehmende Beschwerden”. Eine
kanadische Studie aus 1997, die ich in der Vorbereitung zu
diesem Referat fand, stellte fest, dass es einen signifikanten
Zusammenhang gibt zwischen den soziodemographischen
Charakteristika des Arztes und seiner Praxis und dem Prozentsatz an Männern bzw. Frauen, denen er Psychopharmaka verschreibt.15
Auf der anderen Seite stehen die Frauen. Auslösende Faktoren für eine Suchtabhängigkeit sind bei ihnen vor allem
der Verlust familialer Bindungen, Überlastungen aller Art,
Unterdrückung und Gewalterfahrungen. Es ist leicht vorstellbar, dass Frauen in solchen Situationen Hilfe suchen und
dann in eine Medikamentenabhängigkeit hineingeraten
können, wenn ihnen ausschließlich Arzneimittel angeboten
werden. Sie konsumieren die Mittel zunächst als vorübergehende Lebenshilfe, als Mittel, das es ihnen gestattet, eine
Distanz zwischen sich und das Geschehen zu legen, finden
dann aber nicht mehr den Weg hinaus.
Ein Ausstieg aus einer Langzeiteinnahme von Benzodiazepinen ist nur mit ärztlicher Hilfe möglich. Die Allgemeinärzte und -ärztinnen, die diese Mittel meist verschrieben haben, sind damit jedoch oft überfordert. Zudem ist es dringend geboten, den Frauen zur Bewältigung der problematischen Situation zusätzlich therapeutische Hilfe anzubieten.
Doch ein spezielles, auf die Bedürfnisse älterer Frauen zugeschnittenes Therapieangebot gibt es nicht.16 Und selbst
wenn man den Anspruch an diese Spezialisierung aufgibt:
Immer noch ist die - falsche - Meinung weit verbreitet, psychotherapeutische Interventionen seien bei Menschen über
50, spätestens 60 Jahre nutz- und wirkungslos.
Damit bleiben diese Frauen letztlich ohne jegliche Hilfe in
der Bewältigung ihrer Lebenssituation und allemal alleingelassen mit ihrer Medikamentenabhängigkeit.
Nicht altersgerechte Wirkstoffauswahl
Bei den Tranquilizern kommt erschwerend das hinzu, was
schon für die Diuretika festgestellt wurde: Sie werden nicht
altersgerecht ausgewählt und nicht altersentsprechend dosiert. Auf Grund der veränderten körperlichen Bedingungen
- abnehmende Leber- und Nierenfunktion, andere Wirkstoffverteilung im Körper auf Grund des zunehmenden Anteils an Fettgewebe und des abnehmenden Anteils an Muskelgewebe - wirken Benzodiazepine im alten Körper erheblich länger als im jungen. Für sie eignen sich darum vornehmlich Bromazepam (Normoc, Lexotanil), Oxazepam
(Adumbran, Praxiten) oder Lorazepam (Tavor). Doch auch
von diesen Substanzen sollten Menschen über 60 Jahre nur
ein Drittel bis ein Viertel der bei jüngeren Personen üblichen
Dosis einnehmen.
Zu den im Alter wegen ihrer langen Wirkdauer (50 bis 100
Stunden) quasi ausscheidenden Substanzen gehört Diazepam, Valium also. Es ist jedoch unter den Benzodiazepinen
––––––––––
15
Tamblyn RM et Laprise, R., Schnarch, B., Monette, J., McLeod, P. J., 1997:
Characteristics of physicians prescribing more psychotropic drugs to women
than to men; Sante Mental de Quebec, Spr, 22:1, 239-62
16
Feldmann-Vogel, R., 1994, Seite 37: “Dies ist nicht meine ganze Geschichte”
- Abhängigkeitsprobleme bei älteren Frauen. In: Niedersächsische Landesstelle gegen die Suchtgefahren: Sucht im Alter, Hannover
14
das nach Bromazepam zweithäufigst verordnete Medikament. Richtig dosiert, haben Benzodiazepine bei älteren
Menschen zwar nicht mehr oder schlimmere unerwünschte
Wirkungen als bei jüngeren Menschen, aber die Folgen sind
schwerer. Wenn ältere Menschen durch Benzodiazepine
müde sind, langsamer begreifen und handeln, sind sie stärker unfallgefährdet als jüngere Personen. Ein älterer
Mensch, der stolpert, kann sich meist nicht so gut abfangen.
Er stürzt und laboriert dann oft lange an den Verletzungen
und ihren Folgen.
Dasselbe Risiko besteht bei denjenigen, deren Blutdruck
durch die Benzodiazepine absinkt. Ältere Menschen stehen
nachts häufiger auf als junge, z.B. um zur Toilette zu gehen.
Wenn ihnen dann schwindelig wird, können sie stürzen.
Benzodiazepine werden nicht nur als Tages-Beruhigungsmittel verordnet. Einige von ihnen eignen sich auch als Schlafmittel. Vor allem ältere Menschen nehmen Schlafmittel, und
das ist aus verschiedenen Gründen merkwürdig. Zum einen
brauchen ältere Menschen weniger Schlaf, zum anderen verursachen Schlafmittel gerade bei älteren Menschen die
größten Probleme: Sie führen zu Verwirrung, Unsicherheit
beim Gehen, Angstzuständen tagsüber und Schlaflosigkeit
beim Absetzen des Mittels. Eine britische Untersuchung
zeigte, dass 16 Prozent der über 65-jährigen Schlafmittel
einnehmen. 73 Prozent von ihnen tut dies länger als ein Jahr
und 25 Prozent länger als zehn Jahre.17 In Deutschland ist
das nicht anders. Zum Beispiel nehmen etwa 20 Prozent der
Frauen über 60 Jahre ständig Schlafmittel ein.18 Doch ihre
Anwendung ist bei chronischen Schlafstörungen deutlich
kontraindiziert.19
Und nicht nur das. Die Probleme, die sie verursachen können - Verwirrung, Übererregtheit, Kopfschmerzen, Angstzustände -, werden oft genug nicht als Medikamentenauswirkungen erkannt, sondern als Alterserscheinungen bzw. Alterskrankheiten fehlgedeutet. Auf diese falschen Diagnosen
folgen dann ebenso falsche Therapien: Psychopharmaka
ohne psychotherapeutische Begleitbehandlung.
Dieses Defizit bei Diagnose und Therapie wird zunehmend
auch für das Thema Depression festgestellt. Bei alten Menschen werden Depressionen häufig gar nicht diagnostiziert.
Ihre Traurigkeit oder Niedergeschlagenheit empfinden viele
alte Menschen nicht als unangemessen bei den vielen Verlusterlebnissen, die sie haben einstecken müssen. Sie klagen
nicht darüber, und andere Symptome, die auf eine Depression hindeuten können, werden von den Ärztinnen oder Ärzten oft als Zeichen normalen Alterns fehlgedeutet. Doch
selbst wenn die Krankheit behandelt wird, geschieht das bei
alten Menschen oft halbherzig. Die Medikamente werden
nicht ausreichend dosiert, begleitende Psychotherapien finden so gut wie nie statt. Dabei haben kognitive Verhaltenstherapien, kombiniert mit einer mindestens halbjährigen
medikamentösen Therapie in der richtigen Dosierung dieselben Erfolgsquoten wie bei jüngeren Menschen.
––––––––––
17
British Medical Journal 1988, 296, 601
18
v. Maxen, A., 1996: Kursbuch Medikamente, Zabert Sandmann, München
19
The New England Journal of Medicine 1990, Jahrgang 323, S. 520, Boston
Wege aus der Pillenflut
Der nahe liegendste Ausweg bei so vielen verordneten Medikamenten scheint darin zu bestehen, sie nicht einzunehmen.
Eine Reihe von Frauen tut das offenbar auch. Bei der Hormontherapie in den Wechseljahren z.B. scheint eine Reihe von
Gründen die Frauen davon abzuhalten, die Mittel solange einzunehmen, wie ihre Ärztinnen und Ärzte es ihnen anraten.
Mit dem Rat zur Nichtbefolgung der ärztlichen Therapie wird
das verantwortliche Handeln aber wieder allein in die Hände
der Frauen gelegt. Und zwar in die Hände von Frauen, die
darauf in ihrer Biografie nicht vorbereitet wurden.
Frauen unterliegen mittlerweile einem krank machenden
Selbstzwang zur Gesundheit, der begleitet ist vom Zwang
zur Information20 - ein Faktum, das sich ganz wesentlich
auch auf politische Entscheidungen gründet. Weit verbreitet
werden Selbsthilfe und Selbstmedikation propagiert, um die
staatlichen oder sozialen Sicherungssysteme zu entlasten.
Nun schaffen Information und Wissen zwar Handlungssicherheit und Kontrollmöglichkeiten, aber sie sind auch mit
Angst verbunden. Die Frau mit ihrem Hormonpräparat in
der Hand muss einen Weg finden zwischen der Angst z.B.
vor Brustkrebs und der, was geschieht - welche „Strafe” in
Form von Krankheit sie erwartet -, wenn sie die Anweisung
nicht befolgt. Gerade das brave Befolgen der Anweisungen
von Autoritäten ist doch eine typisch weibliche Eigenschaft,
die bei den vor dem Zweiten Weltkrieg geborenen Frauen
noch ganz besonders gut „sitzt”. Das Ergebnis ist, dass sie
Langzeittherapien, auch die mit Psychopharmaka, besonders
gewissenhaft durchführen.
Veranstaltungen zur Gesundheitsbildung werden bekanntlich von Frauen besonders intensiv besucht. Diese fördern
sehr wohl die Informations- und Wissensvermittlung, thematisieren aber nicht oder nur selten das Gefühl der Angst, das
sich sehr häufig einstellt, weil die Gestaltungsmöglichkeit als
Gestaltungspflicht und -zwang erlebt wird. Hier sind die MitarbeiterInnen aufgerufen, die im Bereich der Gesundheitsbildung Frauen informieren, den Frauen auch Entlastungsmöglichkeiten anzubieten, sie nicht allein zu lassen mit ihrer Last
der Verantwortung für ihre Gesundheit.
Gerade für den sensiblen Bereich von Gesundheit und
Krankheit, in welchem das Abgeben von Verantwortlichkeit
an Autoritäten ein nur zu verständliches Verhalten ist - und
das bei Frauen im Alter von 70 und mehr Jahren allemal -,
muss sich der Appell zur Medikamentenabstinenz vornehmlich an die Ärztinnen und Ärzte richten. In der Klinik hat sich
diese Lösung tatsächlich als möglich herausgestellt, ohne
dass das für die PatientInnen negative Konsequenzen hat.
Im ambulanten Bereich ist das jedoch anders, weil hier nicht
nur zu viel, sondern vor allem das Falsche verordnet wird.
Die Forderung an die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte
geht also dahin, die Auswahl der verordneten Arzneimittel
und ihre Kombination zu optimieren.21
Wichtig ist, immer wieder zu bestimmen, ob die Einnahme
eines bestimmen Arzneimittels auch wirklich notwendig ist.
Hier ist vor allem nach der klinischen Bedeutung zu fragen.
––––––––––
20
Zit. Barbara Duden in: Marion Meier: Gesundheit ist Lust am Leben. Von der
Krankheit Frau zur Frauengesundheit. Dok. der 4. Jahrestagung des AKF in
Bünde, 8. 9.11.1997.
Allzu oft wird von den Pharmafirmen die Anwendung eines
bestimmten Arzneimittels nahe gelegt, für das in klinischen
Studien nur Surrogatparameter bestimmt wurden, welche
aber keine klinische Relevanz haben, gemessen am Endpunkt der Behandlung. Die Forderungen an die Ärztinnen
und Ärzte lauten also:
➤ Diagnose präzisieren.
➤ Nicht jedes Symptom medikamentös behandeln.
➤ Bei Symptomen sehr sorgfältig prüfen, ob es arzneimittelbedingte Effekte sein können.
➤ Kein Rezept ohne Arztgespräch ausstellen.
➤ Bei Nachverordnungen die Indikation überprüfen und
den Verbrauch kontrollieren.
Und diese Forderungen sind keine Zumutungen, die Professionsfremde an Ärztinnen und Ärzte richten. Sie sind unter
anderem das Ergebnis der Arbeit so genannter Pharmakotherapiezirkel, die die Forschungsgruppe Primärmedizinische Versorgung der Universität Köln zusammen mit den
PharmakotherapieberaterInnen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen gegründet hat. In diesen Zirkeln trifft sich
eine Gruppe von Ärztinnen und Ärzten, um ihre Verordnungen zu analysieren und ihre jeweiligen Therapiekonzepte zu
diskutieren.22
Die andere Seite, von der die Lösung dieses Problems auch
noch angegangen werden kann, wendet sich wieder an das
Verhalten der Frauen, jedoch weit im Vorfeld der ärztlichen
Verordnung. Dieser Ansatz zielt auf die intensiven und häufigen Kontakte der Frauen mit dem Gesundheitswesen. Wie
gezeigt, bieten sie Gutes, bergen aber auch Risiken. Die
Analyse des Verhaltens von Frauen zeigt, welche Fähigkeiten sie haben und auch einsetzen. Sie haben zwar funktionelle Einschränkungen, fühlen sich auch nicht immer so
recht gesund, tun aber alles, was notwendig ist, um weiterhin eigenständig zu leben. Ihre Alltagstätigkeiten versehen
sie nach wie vor.
Wenn es nun gelingt, in den Frauen ein größeres Vertrauen zu verankern, dass sie Ressourcen haben, die sie für ihre
Probleme einsetzen können, dass sie Kräfte haben, mit den
Gegebenheiten zurechtzukommen, müsste das ihre subjektive Einschätzung vom eigenen Gesundheitszustand verbessern. Bisher ist ihr Verhalten noch weitgehend vom Defizitmodell geprägt. Sie schauen auf das, was sie nicht (mehr)
können, statt das auszugestalten, was sie an Möglichkeiten
haben. Wenn Frauen von ihren positiven Eigenschaften und
Kräften stärker überzeugt wären, müssten sie sich insgesamt
„gesünder” fühlen. Dann könnte die medikamentöse Behandlung von Missbefindlichkeiten entfallen oder zumindest reduziert werden, und es bliebe eine rationale Therapie
dessen übrig, was wesentlich und notwendig ist - mit Folgen
und unerwünschten Wirkungen, die leichter durchschaubar
und damit vermeidbar sind.
––––––––––
21
M. Borchelt: Potentielle Neben- und Wechselwirkungen der Multimedikation im Alter: Methodik und Ergebnisse der Berliner Altersstudie. Z.
Gerontol. Geriat. 28, 1995, S. 420-428
22
Ingrid Schubert, 1998 Forschungsgruppe Primärmedizinische Versorgung,
in: Buko Pharmabrief, Nr. 1 Fehler! Textmarke nicht definiert.Januar-März,
Köln
15
16
Arbeitsgruppe I
Frauen im Alter: Liebe und Sexualität
Moderation: Anneke Bazuin, PRO FAMILIA Landesverband Niedersachsen
Einleitung
Wie wir Sexualität leben, welche Möglichkeiten es gibt, Liebe und Sexualität in zwischenmenschlichen Beziehungen zu
erfahren, hat weniger mit dem biologischen Alter zu tun als
mit gesellschaftlichen, biografischen und demographischen
Aspekten.
Bei einer Fortbildung zum Thema „Sexualberatung mit
KlientInnen im höheren Lebensalter” konnte der Referent
eine lange Liste vortragen, was sich bei Männern im Alter
alles verändert und ihre sexuelle Fähigkeit beeinträchtigt.
Zu der sexuellen Fähigkeit der Frauen sagte er: „die verändert sich eigentlich nicht. Es gibt natürlich physiologische
und hormonelle Veränderungen (Klimakterium) die mit dem
Älterwerden zu tun haben, aber die beeinträchtigen die sexuelle Fähigkeit nicht. Im Gegenteil bei manchen Frauen
steigert sie sich sogar”.
Ob das zum Selbstbild der Frau und vor allem zum gesellschaftlichen Bild der älteren Frau passt, ist eine andere Frage. Simone de Beauvoir sagte es schon: ”In biologischer Hinsicht wird die Sexualität der Frau weniger durch das Alter
beeinträchtigt als die Sexualität des Mannes.” Dass Frauen
nach Untersuchungen mit koitalem Sex sechs Jahre eher aufhören als Männern ist ein gesellschaftlich-kulturelles Phänomen. Das Sexualleben der älteren Frau wird weniger von ihren eigenen sexuellen Bedürfnissen bestimmt als z.B. vom
Sexualleben des Mannes.
Frauenbiografien
Jede Gesellschaft und jede Zeit hat von Frauen, Alter und
Sexualität ihre eigenen Bilder. Frauen, die jetzt um die 60
Jahre alt und älter sind, sind in ihrem Leben mit sehr unterschiedlichen und widersprüchlichen Auffassungen bezüglich
ihrer Sexualität konfrontiert worden: sie wurden meist nur
mangelhaft aufgeklärt und sind mit traditionellen Vorstellungen über Liebe, Sexualität und geschlechtsspezifischen
Rollenverhalten aufgewachsen. Es wurde von ihnen erwartet, ihre Sexualität der des Mannes unterzuordnen.
Mit Beginn der so genannten sexuellen Revolution Anfang
der 70er Jahre, als die jetzt 60-jährigen etwa 30 - 35 Jahre
alt waren, sollten Frauen auf einmal ihre Sexualität lustvoll
und befriedigend erleben. Aber auch da wurde die weibliche Lust nach männlichen Vorstellungen definiert. Die Frauenbewegung unterstützte Frauen darin, ihre eigene Sexualität zu entdecken und zu leben. Die Frage ist, ob sich auch
ältere Frauen sexuell emanzipiert haben und ob die größere
sexuelle Freizügigkeit ihr Liebesleben und Sexualverhalten
positiv beeinflusst.
Fast die Hälfte der älteren Menschen sind alleinlebende
Frauen. Sie befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen
Wünschen und (manchmal nicht eingestandenen) Sehnsüchten nach Liebe, Erotik und Sexualität und der Möglichkeit
bzw. Unmöglichkeit der Erfüllung. Im Laufe ihres Lebens haben sie viele Enttäuschungen und Verletzungen erlebt, die
meist nicht aufgearbeitet wurden. Sie haben gelernt: „über
Sexualität und Beziehungsfragen spricht man nicht und
schon gar nicht mit Außenstehenden”. Sie leiden aber unter
dieser Sprachlosigkeit: Dies ist ein Hintergrund für die Tabuisierung von Sexualität im Alter. Manche Frauen sind im Alter
erleichtert mit Sexualität nichts mehr zu tun zu haben oder
sie sind nach dem Verlust des Partners an einer neuen Beziehung nicht mehr interessiert. Oft ist zu beobachten, dass
diese Frauen viel Kraft für andere kreative und erfüllende
Aktivitäten freisetzen („Sublimierung”).
Gesellschaft
Sexualität und Alter werden meist nicht zusammengedacht.
Zumindest, wenn wir der Botschaft der Medien glauben, ist
Sex im Alter noch immer ein Tabuthema. Wir leben in einer
Gesellschaft, die mit Sexualität in erster Linie Jugend, Attraktivität und Leistung verbindet und in der die ältere Frau
als sexuelles Wesen nicht wahrgenommen wird. Wer jung ist
denkt nicht an Sexualität im Alter und stereotype Vorstellungen halten sich: Sexualität im Alter wird belächelt oder
ist unvorstellbar (Sprüche wie „der Ofen ist aus”, „die ist
doch jenseits von Gut und Böse” kennt jede). Nicht der Gedanke, dass Sexualität im eigenen Leben irgendwann (wenn
ich alt bin) keine Rolle mehr spielen würde, ist dabei ausschlaggebend, sondern vor allem wird die Vorstellung verdrängt, dass man selbst einmal alt sein wird.
Geschlechtsspezifische Benachteiligung
Bezogen auf die Sexualität gibt es deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede in der gesellschaftlichen Beurteilung
und Akzeptanz. Das Bild der älteren Frau, das in unserer Gesellschaft vorherrscht, ist noch stärker als das des älteren
Mannes negativ geprägt. Diese Benachteiligung der Frau ist
von Kindheit an vorprogrammiert und auf ein traditionelles
Rollenverständnis zurückzuführen. Die Amerikanerin Susan
Sonntag spricht von „the double standard of aging”, dem
geschlechtsbezogenen Doppelstandard des Alters. Für Männer gibt es zwei Schönheitsideale - das des jungen Mannes
und das des Herrn mit grauen Schläfen. Für Frauen herrscht
nur das Ideal des Mädchens. Ich nenne es das Kleine-Mädchen-Syndrom. Frauen, die eine hohe Dosis „Kleine-Mädchen-Ausstrahlung” haben, im Aussehen aber auch im Verhalten, sind für Männer offenbar viel attraktiver als selbstbewusste Frauen, die sich nicht wie ein junges Mädchen stylen! Frauenmagazine empfehlen uns sogar indirekt durch
Modetips und Verhaltensstrategien diese Ausstrahlung bewusst einzusetzen, wenn wir z. B. vom Urteil eines Mannes
abhängig sind, oder bei Bewerbungen, Prüfungen usw.. Und
es scheint zu wirken! Diese Kleine-Mädchen-Ausstrahlung
sollen wir Frauen uns erhalten, wenn wir älter werden!
Attraktivität
Eine schöne alte Frau, die aussieht wie eine alte Frau hat eigentlich keinen Raum in unserer Gesellschaft. Komplimente
bekommt sie, wenn sie jünger aussieht.
Signale des Alterns werden bei Männern positiver bewertet als bei Frauen. Männer reifen, Frauen altern (Sonntag
1977). Seine Falten sind ein Zeichen von Lebenserfahrung
und emotionaler Reife, unsere Falten machen uns alt, mindern unsere Attraktivität und entwerten uns sexuell. Das
lässt uns nicht kalt. Die Angst vor dem Altern ist bei Frauen
größer, wir fangen früher an über Veränderungen in unserem Aussehen nachzudenken und dagegen etwas zu tun.
17
Dies bestätigen psychologische Studien, aber auch die Umsätze der Kosmetik, Ernährungs und Schönheitsbranchen.
Medien
Wenn das Thema Sexualität im Alter im Fernsehen aufgegriffen wird, z.B. wenn es um Paarbeziehungen geht, wird
deutlich, dass auch hier mit zweierlei Maß gemessen wird.
Alten Männern wird sexuelle Aktivität durchaus zugestanden, insbesondere mit einer (weitaus) jüngeren Partnerin,
Frauen mit einem jüngeren Partner haben es mit der Akzeptanz deutlich schwerer.
Sexualität
Sexualität ist eine Lebensenergie, die uns von Geburt an bis
ins hohe Alter begleitet. Es gibt keine allgemeinen Aussagen
dazu, wie ältere Frauen ihre Sexualität heute erleben. Sie
unterscheiden sich darin ebenso wie jüngere. Die Sexualität
einer Frau, hängt mit vielen verschiedenen Faktoren zusammen - körperlichen, gesellschaftlichen, demographischen,
biografischen, geschichtlichen und ökologischen ( z. B. Altersheim?). Das sexuelle Verhalten im bisherigen Leben,
prägt das Verhalten später: wer früher keinen Spaß am Sex
hatte, ist auch im Alter meist nicht daran interessiert. Wer
immer schon Spaß am Sex hatte, genießt es im Alter auch.
Viele ältere Frauen wurden nicht aufgeklärt, wussten wenig
über ihren eigenen Körper als sie heirateten und waren es
gewöhnt, dass der Mann in der Ehe das Sagen hatte, auch
sexuell. Die Mehrzahl hielt es für die Aufgabe des Mannes,
herauszufinden, was sie wollte. Sie sprachen nicht darüber,
schwiegen und litten, wenn er sie nicht befriedigen konnte.
Die sexuelle Revolution kam für sie offenbar zu spät.
Auswahl haben, weil auch die Frauen aus nachfolgenden
Generationen als Partnerin in Frage kommen!).
➤ Die meisten älteren Frauen wünschen sich schon eine
erotische Beziehung, wollen aber nicht wieder heiraten,
sie möchten, dass ein gewisser Abstand bestehen bleibt.
Aus einer Befragung älterer Menschen (65 und älter) in den
Niederlanden geht hervor, dass sie ihr Sexualleben gerne bewusster, mit weniger Schuldgefühlen und gleichwertiger gestaltet hätten. Die meisten Befragten beschreiben ihre jetzige Beziehung mit Begriffen wie: Zärtlichkeit, Spaß, Passion
und Verliebtheit. Nur wenige sprechen über Gleichgültigkeit. Die sexuelle Freiheit und größere Offenheit auf sexuellem Gebiet werden begrüßt. Vor allem ältere Frauen finden,
dass Softsex- und Pornoprogramme im Fernsehen verboten
werden sollten. (Die meisten Männer meinen, dass solche
Programme bleiben sollten). Drei viertel der über 50 jährigen meint, dass hetero- und homosexuelle Beziehungen
gleichwertig beurteilt werden sollen; mehr Frauen als Männer unterschreiben diese Forderung (72% ab 50 jährigen/
53% ab 65 jährigen).
Der Ausschnitt aus „VERSCHWIEGENE LUST” von Renate Daimler
(S. 159), macht deutlich, dass es auch im Alter unerwartete
Möglichkeiten für sexuelle Erfüllung geben kann:
„...ALS ICH ANKAM, SASS MEINE URLAUBSLIEBE AUF EINER STEINBANK AM
MEER UND LAS IN EINEM BUCH. ICH SAH IHM EINE WEILE ZU. ER WAR SO EIN
SCHÖNER MANN! MIT SCHWARZEN LOCKEN UND WEISSEN STRÄHNEN IM
HAAR. ER WAR 54, UND ICH WAR 72. ICH SETZTE MICH LEISE ZU IHM. ER
SPRANG AUF UND RIEF: „DA BIST DU JA ENDLICH.” UND ICH SAGTE: „HIER BIN
ICH, UND ICH BIN FREI.” IN DIESER NACHT WURDE ICH SEINE GELIEBTE. ER WAR
SO ZÄRTLICH, SO LEIDENSCHAFTLICH. ER BREITETE EINE DECKE AM STRAND AUS
UND STREUTE BLUMEN DARAUF. ICH HABE IHN NICHT GELIEBT, ABER ICH WURDE
VON SEINER BEGIERDE WEGGETRAGEN....”
Studien
Medizinische Studien befassen sich in erster Linie mit Potenzstörungen des Mannes. Störungen bei Frauen werden
kaum erwähnt. Über lesbische Beziehungen im Alter wird
selten berichtet (u.a. bei Renate Daimler). Dabei ist anzumerken, dass es für lesbische Frauen weit weniger schwierig
ist, eine Partnerin zu finden. Kirsten von Sydow (Dr. phil.)
hat in Gesprächen mit älteren Frauen festgestellt:
➤ Frauen beenden im Durchschnitt mit 60-65 ihre koitale
Aktivität.
➤ Mit 70 haben ein drittel der verheirateten Frauen noch
Geschlechtsverkehr.
➤ Mindestens zwei drittel der sexuell aktiven Frauen genießen die Sexualität mit ihrem Partner und erleben einen
Orgasmus.
➤ Ein Drittel erlebt Sexualität als unerfreulich.
➤ Ein Drittel praktiziert Selbstbefriedigung.
➤ In den ersten fünf Jahren ihrer Ehe hatte die Hälfte der
vor 1934 geborenen Frauen (viel) Freude an Sex, ein Drittel nur geringen Genuss.
➤ 16% machte es überhaupt keinen Spaß.
➤ Meist wird die gemeinsame Sexualität oder auch des Beenden der gemeinsamen sexuellen Aktivität eher von
den männlichen als weiblichen Wünschen bestimmt.
➤ Die Wiederverheiratungschance ist fünf- bis sechsmal
kleiner als bei Männern (die ohnehin eine viel größere
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Literatur:
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Daimler, R., 1991, Verschwiegene Lust, Frauen über 60 erzählen von Liebe und Sexualität. Kiepenheuer & Witsch
Verlag, Köln.
Ebberfeld, I., 1992, „Es wäre schön nicht so allein zu
sein”, Sexualität von Frauen im Alter. Campus Verlag,
Frankfurt.
Gay Gaer Luce, 1996, Liebe, Lust und langes Leben, Iskopress, Salzhausen
Rororo Sachbuch, Unser Körper, unser Leben. Über das
Älterwerden. Ein Handbuch für Frauen. Rororo Sachbuch, Reinbek, Nr. 8841.
Sydow, K. von, 1993, „Lebenslust” Weibliche Sexualität
von der frühen Kindheit bis ins hohe Alter. Verlag Hans
Huber, Bern u. a.
Sydow, K. von, 1994, Die Lust auf Liebe bei älteren Menschen. Ernst Reinhardt, München & Basel.
Sydow, K. von, 1992, Partnerlosigkeit und Sexualität im
Alter: Wünsche und Realität von Seniorinnen. In Sexualmedizin 7, S. 316-324.
Sydow, K. von, 1993, Sexuelle Entwicklung in der Ehe,
Retrospektive Studie. In: Sexualmedizin 2, S. 44ff.
Scheib, Gisela Antonia, „Lust und kein Ende?” Körperliche Liebe i. höh. Lebensalter. PRO FAMILIA Magazin 1/96
PRO FAMILIA Magazin 5/98: „Lust im Alter”.
Arbeitsgruppe II
Ich hätte ja nie gedacht, wie gut mir das tut
Moderation: Dr. Astrid Osterland, Freie Altenarbeit Göttingen
1. Anfang 1994 war es so weit. 11 alte Frauen im Alter zwischen 68 und 85 Jahren ziehen in eine wunderschöne Jugendstilvilla in einem Villenviertel der Stadt Göttingen ein.
Jede bezieht ein abgeschlossenes 2-Zimmerapartement mit
Kitchenette (30 - 47 qm2 Wohnfläche). Hier wollen sie in einer selbst organisierten Wohngemeinschaft zusammen leben. Seitdem gibt es die 1. Alten-WG in Göttingen und eine
der wenigen Alten-WG‘s in der Bundesrepublik überhaupt.
2. Inzwischen sind 5 Jahre vergangen. Zahllose Journalisten
und Fernsehteams haben die WG besucht und immer wieder
die gleichen Fragen gestellt: Eine selbst organisierte Wohngemeinschaft mit alten Menschen - geht das überhaupt und
wenn ja, wie? Welche Probleme tauchen dabei auf und wie
werden sie bewältigt? Sind die alten Damen zufrieden mit
ihrer Lebensform und wenn ja, warum? Und natürlich immer wieder die Frage, wie ein solches Projekt überhaupt zu
Stande gekommen ist und wie es sich finanziert hat.
3. Um alle diese Fragen einmal systematisch und wissenschaftlich fundiert zu beantworten, haben die Damen mir
den Auftrag erteilt, eine Untersuchung über ihr Zusammenleben zu machen und die Ergebnisse so aufzubereiten, dass
auch die, die ein ähnliches Projekt planen, davon profitieren
können. Das Rad muss ja nicht jedes Mal neu erfunden werden! Es ist also eine Publikation geplant.
4. Ein Ergebnis kann schon jetzt vorweggenommen werden:
Das gemeinschaftliche Wohnen tut allen Beteiligten gut.
Alle wohnen gern in ihrem neuen zu Hause, gerade auch,
weil sie nicht nebeneinander her, sondern miteinander leben, nicht nur harmonisch, sondern durchaus mit Konflikten. Aber das gehört nun einmal zum Leben. Und die Frauen
wollen auch mitten im Leben leben, nicht ins gesellschaftliche Abseits gedrängt, da wo es grünt und die Altengettos
stehen. Diesen Herausforderungen des WG-Lebens können
sie begegnen, weil sie miteinander reden, sich untereinander stützen und ein gemeinsames Ziel haben, nämlich ihr Leben und Wohnen in diesem Haus selbstbestimmt zu organisieren. So tauchte für mich die Frage auf: Was ist das Geheimnis des Erfolges? Was braucht es, damit gemeinschaftliches Wohnen von alten Menschen klappt?
5. In unserem Fall, der Göttinger Alten-WG, haben folgende
Zutaten den Weg zu diesem Projekt geebnet: Zum einen der
gemeinnützige Verein „Freie Altenarbeit Göttingen“ (FAG),
zum anderen die Vereinsphilosophie, die den Namen
Empowerment trägt, des Weiteren eine dem gemeinschaftlichen Wohnen gegenüber aufgeschlossene Kommune und
last not least Menschen, die ihr Alter selbstbestimmt leben
wollten und bereit waren, auch in ihrem Alter ein Experiment zu wagen.
6. Zunächst zu dem erwähnten Verein. Der Verein Freie
Altenarbeit ist ein Zusammenschluss von professionellen
Kräften der Altenarbeit (Altenpflegekräfte, der Leiter einer
Altenpflegeschule, der einer der Hauptinitiatoren war und
langjähriger Vorsitzender des Vereins ist) und alten und jüngeren Menschen, die sich zur Aufgabe gemacht haben,
neue, unkonventionelle Wege in der Altenarbeit zu gehen.
Ihr Motto: Von der „Einfalt“ zur Vielfalt der Altenhilfe.
Schon bei der Gründung des Vereins vor 11 Jahren waren
sich alle einig: „Im Altenheim wollen wir nicht landen, weder als Pflegekräfte noch als alte Menschen“. Es wurden öffentliche Diskussionsveranstaltungen zum Thema Wohnen
im Alter organisiert und es zeigte sich, dass das Interesse an
alternativen Wohnformen jenseits des Alleinlebens oder des
Altersheimes groß war. Die ersten Interessierten taten sich
zusammen und überlegten, wie so ein Projekt aussehen
könnte und was zu tun wäre, damit auch in Göttingen gemeinschaftliches Wohnen im Alter realisiert werden kann.
7. Alsbald war klar: die Alternative zu den herkömmlichen
Wohnformen (Alleinleben, betreutes Wohnen oder so genannten Altenresidenzen) sollte eine selbst organisierte Alten-Wohngemeinschaft sein. Dies entsprach auch der Philosophie des Vereins, die auf den Grundgedanken des Empowerment aufbaut. Der Begriff „Empowerment“ kommt
aus der amerikanischen Sozialarbeit und heißt übersetzt in
etwa: sich seiner Ressourcen und Fähigkeiten bewusst zu
werden und sie für die Bewältigung der alltäglichen Probleme zu nutzen. Dahinter steht ein Menschenbild, das alte
Menschen, auch wenn sie krank und hilfsbedürftig sind,
nicht in erster Linie als betreuungsbedürftige Wesen betrachtet. Stattdessen gilt es, Bedingungen zu schaffen, die
den Alten ein selbstständiges Leben bis an ihr Lebensende
ermöglicht. Dazu werden die Kompetenzen, Fähigkeiten
und Erfahrungen der alten Menschen genutzt. Nicht für,
sondern mit alten Menschen arbeiten, planen und entscheiden, das ist der Wegweiser des Vereins in der Arbeit mit alten Menschen und so ist auch dieses Projekt zu Stande gekommen. Die alten Damen waren von Anfang an bei der
Planung der WG und beim Umbau des Hauses beteiligt.
Nichts wurde über ihren Kopf hinweg entschieden. Das Projekt war ihres, auch wenn professionelle Kompetenzen in
die Realisierung mit einflossen. Der Verein fungiert als Träger des Projektes, doch die Ausgestaltung des gemeinschaftlichen Wohnens obliegt den Frauen. Wie sie miteinander
und mit wem sie leben wollen, das entscheiden sie allein. So
wurde das Wohnprojekt für die Frauen zu einer Aufgabe,
die sie vereint und die ihre Fähigkeiten und Ressourcen immer wieder neu herausfordert. Selbstbestimmtes gemeinschaftliches Wohnen im Alter will gelernt sein und wie sich
inzwischen gezeigt hat, haben die Frauen diese Aufgabe bewältigt, auch wenn viele von ihnen gebrechlich und in der
einen oder anderen Form hilfsbedürftig sind.
8. Das Projekt wäre nicht zu Stande gekommen, wenn nicht
eines Tages die Kommune in Gestalt der Sozialdezernentin
ein Angebot unterbreitet hätte, das die kühnsten Hoffnungen der in Sachen WG Engagierten übertraf. Sie bot dem
Verein ein ehemaliges Altenheim an, das, zwischenzeitlich
geschlossen, nunmehr wieder für Alte zur Verfügung stehen
sollte. Aus dem ehemaligen Altenheim Drewes-Stift wurde
die erste selbst organisierte Alten-WG in Göttingen. Die Umbaukosten in Höhe von 1,6 Mio. DM wurden zusammengetragen durch Spenden (600.000 DM) und Geld vom Kapitalmarkt, für das die Stadt Göttingen die Bürgschaft übernahm.
19
9. Als die Frauen in das Haus zogen, war den meisten von
ihnen gar nicht so klar, worauf sie sich da eingelassen hatten. Fast alle hatten inzwischen die Schattenseiten ihres Alleinlebens erfahren. Da gab es viel Einsamkeit, viele Kinder,
die viel zu weit weg von ihnen wohnten, zunehmende gesundheitliche Beeinträchtigungen und insgesamt die bange
Frage: muss ich nicht eines Tages ins Altersheim? Gemeinsam
war ihnen der Wunsch, dass sie so lange wie irgendwie möglich ihr Leben selbstständig meistern wollten, und ins Altenheim wollte keine von ihnen.
10. So kam es dazu, dass aus ganz normalen alterstypischen
Gründen ganz normale alte bzw. hochbetagte Frauen sich
zusammenfanden, um ein ganz und gar unnormales Experiment zu wagen, nämlich eine Alten-Wohngemeinschaft zu
gründen und darin ein gutes Leben zu führen. Leichter gesagt als getan, denn keine von ihnen hatte Erfahrungen, wie
so etwas zu bewerkstelligen ist. Zwar gab es einige unter ihnen, die sich - inspiriert von der Idee gemeinsamen Wohnens - schon ihre Gedanken über die Gestaltung einer solchen WG gemacht hatten. Aber ein Konzept hatten sie
nicht, und außerdem standen am Anfang ganz andere Probleme auf der Tagesordnung. Der Umzug musste organisiert
werden, die Frage, was sollte mitkommen in die neue, sehr
viel kleinere Wohnung und wovon musste man sich trennen,
stand an und auch der Ausbau des Hauses, bei dem ja alle
mitentscheiden sollten, warf viele Fragen und Probleme auf.
11. Die alten Damen standen vor immensen Herausforderungen, sowohl, was die praktischen Entscheidungen des Umbaus betraf als auch im Hinblick auf ihr zukünftiges Zusammenleben. Der Verein entschloss sich daher, der Gruppe eine
Projektbegleitung anzubieten, die vielerlei Aufgaben übernahm. Sie fungierte als Vermittlungsinstanz zwischen der
Bauleitung und den Frauen, moderierte und protokollierte
die wöchentlichen Treffen, auf denen alle anstehenden Fragen erörtert wurden, brachte eigene Ideen und Lösungsvorschläge ein, wenn guter Rat teuer war, und last but not least
behielt sie den Gruppenprozess im Blick. Das bedeutete am
Anfang vor allem, dass sie die Frauen darin unterstützte,
sich kennen zu lernen, ihre eigenen Wünsche zu äußern und
Entscheidungen über das gemeinsame Wohnen zu treffen,
die alle mittragen konnten. Die Gruppe lernte auf diese
Weise zu laufen und das gelang so gut, dass sie sich nach ihrem Einzug in das Haus von der Projektbegleitung verabschiedete. Die Gruppe verstand sich nun als eine selbstzuorganisierende Gemeinschaft und übernahm die Gestaltung
ihres Zusammenlebens in eigener Regie.
12. Als ich nach 5 Jahren des Zusammenlebens der WG mit
meiner Untersuchung begann, habe ich mich vor allem gefragt: woran liegt es, dass diese Frauen sich in diesem Haus
so wohl fühlen und keine von ihnen mehr in ihr altes Leben
zurückkehren möchte? Wie haben sie es geschafft, ihr Miteinander so zu gestalten, dass sie ihr Leben als erfüllt und
anregend erfahren und insgesamt, trotz zahlreicher gesundheitlicher Einschränkungen, ein großes Wohlbefinden äußern? Kurzum: was ist das Geheimnis des Erfolges dieser
WG?
20
13. Auf diese Fragen haben sie mir in meinen Gesprächen
mit ihnen eine Menge Antworten gegeben. Es oblag mir,
diese Antworten zu systematisieren und damit meinen eigenen Blickwinkel auf das Projekt zur Geltung zu bringen. Dieser Blickwinkel richtete sich zum einen auf den internen
Gruppenprozess und zum anderen auf die Rahmenbedingungen oder Strukturen, die zu einem solchen Projekt gehören. Dazu zähle ich das Haus, die abgeschlossenen Wohnungen, die Kooperation mit dem Träger des Projektes, dem
Verein Freie Altenarbeit, aber auch die spezifischen Strukturen, die diese Wohn- und Lebensform ausmachen, wie z.B.
die wöchentlichen Treffen, in denen alle Fragen erörtert
werden, und das System gegenseitiger Unterstützung. Beides, die Strukturen und Gruppenprozesse, lassen sich natürlich schwer voneinander trennen, wenn man nach dem Geheimnis des Erfolges fragt. Doch wissen wir auf der anderen
Seite, dass bestimmte Strukturen nur die Bedingung der
Möglichkeit sein können. Was die Einzelnen dann letztlich
daraus machen, ist ihre Entscheidung, und da setzt der unwägbare Faktor Subjektivität ein, der auch bei besten Voraussetzungen bisweilen seine eigenwillige Dynamik entfaltet. Dieser Dynamik des Gruppenprozesses habe ich versucht, auf die Spur zu kommen, indem ich die Frauen zunächst danach gefragt habe, wie sie ihr Zusammenleben gestalten. Dahinter steht der Gedanke, dass jede Gruppe ihre
eigene Gruppenkultur entwickeln muss, die eine gemeinsame Grundlage des Umgangs miteinander bildet.
14. Zu dieser Gruppenkultur gehört z.B. die Frage, wie sich
Nähe und Distanz untereinander so ausbalancieren, dass
jede für sich ihr eigenes Leben führen kann, ohne sich kontrolliert oder eingeengt zu fühlen. Wie sich in den Gesprächen sehr deutlich zeigte, ist dies, die Respektierung der eigenen Grenzen, die unabdingbare Voraussetzung für jede
Form von Gemeinschaftlichkeit. Erst wenn ich für mich sein
darf, kann ich auch für die anderen da sein.
Keine von ihnen hat dies so formuliert, aber allein das Wissen, die Tür hinter sich abschließen zu können, ohne befürchten zu müssen, nun aus der Gruppe ausgeschlossen zu
werden, trägt maßgeblich zu der Sicherheit bei: hier darf ich
mein eigenes Leben leben und trotzdem die Geborgenheit
in der Gruppe erfahren, denn die anderen sind da, auch
wenn ich bei mir bin.
15. Die Tür hinter sich abschließen zu können, d.h. einen eigenen abgrenzten Wohnraum zu haben, darin sehe ich eine
wesentliche Voraussetzung für gemeinschaftliches Wohnen
gerade auch für alte Menschen. Frei und für sich sein und
trotzdem nicht einsam, das ist der Wunsch, den alle haben.
Und dafür bietet eine Gruppe, welche die Grenzen untereinander respektiert, die Gewähr. Aber dazu bedarf es eben
auch der räumlichen Gegebenheiten, sei es in Form abgeschlossener Wohneinheiten, aber auch der Räume, in denen
Begegnung möglich ist. Das Haus bietet vielerlei Kontakträume, sei es die große Gemeinschaftsküche, die Wohngemeinschaftsräume (Saal und Bibliothek) oder auch die Dielen, die,
mit Sofas möbliert, immer wieder zum Plaudern einladen. Die
Frauen nennen ihre Diele den Kontakthof und in ihm spielt
sich ein großer Teil der alltäglichen Kommunikation ab.
16. Wenn Menschen zusammenkommen und ein solches
Projekt auf die Beine stellen wollen, entstehen erfahrungsgemäß auch Konflikte. Auch unsere Frauen waren davon
nicht verschont und manchmal ging es hart zur Sache. Wie
in jeder Gruppe differenzierten sich alsbald die Rollen. Es
gibt die Macherin, die Sachautorität und die Normautorität,
die Ausgleichende und die Neutrale und es gibt die Schweigenden, die versuchen, sich aus den Konflikten herauszuhalten. Keine von ihnen hatte effektives Konfliktmanagement
gelernt. Die meisten scheuen den offenen Konflikt und so
wird, nach eigenem Bekenntnis, auch vieles unter den Teppich gekehrt, getreu dem Motto: aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Über allem steht der Wille zur Toleranz, auch
wenn das Verhalten der Nachbarin als befremdlich oder gar
störend empfunden wird. Frau kennt sich und ihre Macken
und wer im Glashaus sitzt, solle nicht mit Steinen werfen!
Ein wesentlicher Konflikt entzündete sich vor allem am Anfang an der Frage der Hausordnung und der Verteilung der
Aufgaben, die mit der Selbstorganisation des Alltags anfallen. Dahinter stand das Thema: wie viel Festlegung/Verpflichtung und wie- viel Freiwilligkeit brauchen wir für unser Zusammenleben? Anders formuliert: lässt sich Gemeinschaft durch fixierte Regeln und gleichmäßig verteilte Aufgaben forcieren oder wie viel Individualität lässt die Gruppe
zu? Eine der Frauen machte sich zur engagierten Fürsprecherin möglichst genauer Festlegungen und stieß prompt
auf harten Widerstand. Die Mehrheit baute auf das Prinzip
der Freiwilligkeit nach Maßgabe eigener Möglichkeiten und
Fähigkeiten und sie tat gut daran. Eine schriftliche Hausordnung gibt es bis heute nicht. Frau nimmt auch so Rücksicht
aufeinander. Und alle tragen entsprechend ihren Möglichkeiten und Interessen dazu bei, dass Haus und Garten picobello in Schuss gehalten werden.
17. Als ich die Frauen fragte, wie sie ihre Beziehung zueinander bezeichnen würden, fiel immer wieder das Wort
„Wahlfamilie“. Man ist nicht nur Nachbarin, aber auch nicht
Freundin füreinander. Man siezt sich und ist trotzdem sehr
vertraut miteinander. Wie in einer großen Familie gibt es
nähere und fernere „Verwandte“, einige, mit denen man
engen Kontakt pflegt und andere, zu denen man Distanz
hält. Aber die Nähe überwiegt, und das gibt ein Gefühl der
Geborgenheit und Sicherheit, die das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt. Sich zugehörig fühlen, Sorgen und Freuden des Alltags mit anderen teilen zu können, darin sehe ich
eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Wohlbefinden
der Frauen. Viele von ihnen sagen: seitdem ich hier wohne,
geht es mir immer besser, auch wenn die körperlichen Einschränkungen zunehmen.
18. Unter dem Dach des Hauses ist ein Netzwerk von Bindungen entstanden, das jede Einzelne trägt und in ihrem
Alltag unterstützt. Die Gruppe wird so im Sinne des Empowerments zu einer sozialen Ressource, auf die das einzelne Individuum bauen kann. „Wir sind die reinsten Kümmerer“ sagt Frau G. und drückt damit aus, wie wichtig die
Gruppe als Unterstützungsystem für die Einzelne ist. Ist eine
von ihnen krank, springen die anderen ein. Der Einkauf und
das Essen werden organisiert, nötige Handreichungen ge-
macht und auch der Gedanke, wenn mir etwas passiert, ist
immer jemand da, trägt sehr zum Gefühl der Sicherheit bei.
Natürlich taucht an dieser Stelle die Frage auf: und wie ist
es, wenn jemand pflegebedürftig ist? Dies war bisher noch
nicht der Fall, aber die Frauen haben sich darauf verständigt, dass sie helfen werden, solange es geht, und dass die
Grenze da liegt, wo sie überfordert sind, sei es, weil eine
Rundum-Pflege nötig wird oder jemand so geistig verwirrt
ist, dass sie andere oder sich selbst gefährdet.
19. Ich halte dieses auf Freiwilligkeit beruhende System der
Unterstützung für eine der wesentlichen Grundlagen für das
Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit, von der mir die
Frauen berichteten. Es ist ein Kreislauf des Gebens und Nehmens, von dem alle - nicht immer gleichmäßig - profitieren.
Wer rüstig und gesundheitlich nicht allzu eingeschränkt ist,
gibt naturgemäß zunächst mehr, aber alles gleicht sich im
Laufe der Zeit aus. Denn die, die anfangs mehr gegeben haben, können darauf bauen, dass sie Hilfe bekommen, wenn
sie sie später einmal brauchen. Und - auch das spricht für
eine solche Gruppe - die Unterstützung verteilt sich auf
mehrere Schultern. Kann die eine nicht (mehr), springt die
andere ein. Das erleichtert das Annehmen von Hilfe, das für
die meisten sehr viel schwieriger ist als das Geben.
20. Einander im Alltag zu begegnen und zu begleiten, von
anderen gesehen zu werden und sich im Spiegel des Gegenübers wahrzunehmen, trägt entscheidend zur Selbstidentifizierung bei und ist keineswegs selbstverständlich für alte
Menschen, die allein wohnen, da hier die Kontakte häufig
sehr reduziert sind. Die existenzielle Frage, wer bin ich, findet hier im natürlichen Rahmen der Wohngemeinschaft eine
bzw. mehrere Antworten. Die Frauen erfahren, wie wichtig
sie für andere sind, wofür sie geschätzt oder auch abgelehnt
werden, was sie leisten und zum Gelingen des Projektes beitragen können. Indem sie Verantwortung für sich, die anderen und das Projekt übernehmen, geben sie ihrem Leben
eine Aufgabe und damit einen Sinn. „Es ist das Haus, das
uns eint“ sagen sie und verweisen damit auf „das Dritte“,
das ihre Beziehungen zueinander prägt.
21. Vergegenwärtigt man sich, wie wichtig es auch und gerade im Alter ist, Aufgaben zu haben und sich auch neuen
Herausforderungen zu stellen, dann kann man das Prinzip
der Selbstorganisation gar nicht hoch genug einschätzen.
Da, wo alle ihren eigenen Beitrag zur Gestaltung des Zusammenlebens leisten, begegnen sich nicht nur private Personen, sondern „FunktionsträgerInnen“, die zum Gelingen des
gemeinschaftlichen Zieles beitragen. „Ich bin die, die die Gästezimmer verwaltet, ich bin die, die die Gartenarbeit
macht, oder einfach nur die, die morgens die Zeitungen hereinholt und sie vor die Wohnungstür legt“. Dieses Wissen,
gebraucht zu werden, ist gerade für alte Menschen wichtig,
die ja gesellschaftlich in die Funktionslosigkeit gedrängt
werden.
22. Auf diese Weise treten die persönlichen Unterschiede
z.B. im Hinblick auf Ausbildung und Beruf in den Hintergrund. Entscheidend ist nicht, was jemand früher gemacht
21
hat oder aus welcher Schicht die Einzelne kommt (das Spektrum reicht von der Akademikerin bis zur Hausfrau, von der
Bäuerin bis zur Bibliothekarin, von der Frau mit hoher Pension bis zu der, die eine minimale Rente hat). Viel wichtiger
wird vor Ort, was die Einzelne in das Zusammenleben einbringt, welche Rolle sie in der Gruppe einnimmt und was sie
zur Organisation des Alltags beiträgt. Eine solche Gruppe
kann auch die integrieren, die nicht mehr so rüstig sind oder
eher eine Außenseiterposition einnehmen. Wie gesagt: Toleranz und Gelassenheit im Umgang miteinander prägen die
Gruppenkultur und unterstützen den konstruktiven Umgang miteinander, auch wenn es, wie im Leben üblich, immer mal wieder zu Meinungsverschiedenheiten und Konflikten kommt.
23. Für alle ist dieses Projekt ein permanenter Lernprozess.
Miteinander auch kontrovers zu diskutieren, sich aufeinander einzustellen und mit den jeweiligen Macken umzugehen, sich in einer Gruppe zu bewegen und dort die eigene
Rolle zu finden, wichtige Aufgaben und Verantwortung zu
übernehmen, all dies sind Herausforderungen, denen eine
Alleinlebende nicht ausgesetzt ist. Hinzukommt die permanente Öffentlichkeitsarbeit. Da richten sich die Fernsehkameras auf das Innenleben des Projektes, die JournalistInnen
haben 1000 Fragen, die beantwortet werden wollen und
zahlreiche Interessierte wollen wissen: wie kriege ich einen
Platz in dieser WG? Da die Entscheidung, wer einzieht, ausschließlich bei den Bewohnerinnen liegt, muss auch darüber
Verständigung erzielt werden. Wer passt zu uns oder wer
auch nicht? Was können wir denen empfehlen, die wir nicht
aufnehmen wollen? Auch dies Fragen, denen sich keiner
stellen muss, der allein lebt, und die die Frauen in Bewegung halten. Leben in einer WG ist aktives Altern, nicht passives Hinnehmen.
24. Grundsätzlich haben die Frauen das alleinige Entscheidungsrecht über die Neuzugänge, allerdings mit einer kleinen Einschränkung: dies ist das Prinzip der sozialen Ausgewogenheit in der Zusammensetzung der Bewohnerinnen
oder anders formuliert: das Konzept dieser selbst organisierten WG sieht vor, dass sie gerade und vor allen Dingen
auch finanziell weniger betuchten Menschen offen stehen
soll. Obwohl im schönsten Villenviertel Göttingens gelegen, ist dieses Haus kein Refugium finanzkräftiger alter
Menschen und soll es auch nicht werden. Weiter haben die
Frauen das Prinzip der Sozialverträglichkeit in ihre Entscheidungen übernommen und sich u.a. auf einen „Lastenausgleich“ verständigt, der so aussieht: alle zahlen nach
Selbsteinschätzung etwas in die gemeinsame Kasse, wovon
Ausgaben für Haus und Garten getätigt werden. Die Finanzkräftigeren zahlen mehr als die anderen. Auch die Kosten für die Gemeinschaftsräume werden nicht einfach
durch elf geteilt, sondern nach der Größe der Wohnungen
sozial gestaffelt. Die Bewohnerinnen der kleineren Wohnungen zahlen entsprechend weniger, da sie im Allgemeinen auch ein geringeres Einkommen haben. Auch dies eine
Möglichkeit, Verantwortung füreinander zu übernehmen,
ohne abstrakte Prinzipen der Gerechtigkeit zugrundezulegen.
22
25. Diese WG ist eine reine Frauenwohngemeinschaft. Das
war zwar nicht von Anfang an geplant, sondern hat sich so
ergeben, weil die wenigen interessierten Männer vor allem
Versorgungsansprüche geltend machten: Wer kocht für
mich, wer bügelt meine Hemden? Das waren Fragen, auf die
die Frauen eine eindeutige Antwort parat hatten. Wir jedenfalls nicht! Das haben wir unser Leben lang getan, das
wollen wir nicht mehr! Insofern ist diese WG ein „gewordenes Frauenprojekt“, freiwillig und unfreiwillig zugleich.
Doch niemand vermisst die Männer, zumindest nicht die, die
sich anboten. Neue Männer braucht das Land auch in den
Alten-Wohngemeinschaften! Und solange es die nicht gibt,
machen die Frauen ihr eigenes Projekt, ein ganz und gar
frauenspezifisches. Entstanden ist eine Kultur der Fürsorge
und des gegenseitigen Gebens und Nehmens. („Wir sind die
reinsten Kümmerer“). Was Männer demgegenüber in ein
solches Projekt einbringen, bleibt vorerst offen. Dazu bedarf
es, wie gesagt, des neuen alten Mannes.
26. Alle haben mir erzählt, wie viel sie voneinander und miteinander gelernt haben. Die häufige Frage, wie lassen sich
die sozialen Kompetenzen alter Menschen erhalten oder erweitern, findet in dieser WG eine Antwort: Die WG ist ein
sozialer Raum, der immer wieder neue Herausforderungen
bereithält. Das gemeinschaftliche Wohnen erfordert soziale
Flexibilität, Anpassungs- und Veränderungsbereitschaft, sie
bietet vielerlei Anregungen für die Auseinandersetzung mit
sich selbst und anderen Menschen und sie trägt dazu bei,
die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit zu erhalten.
In diesem Sinne ist die WG eine soziale Ressource, von der
alle profitieren. Sie bietet die Rahmenbedingungen für ein
selbstverantwortliches, sinnerfülltes und aktives Leben im
Alter. Für die Zweifler hält diese WG die Botschaft bereit:
ein solches Zusammenleben funktioniert zum Vorteil aller
Beteiligten, vorausgesetzt man weiß, wo das Geheimnis des
Erfolges liegt.
Literatur:
-
-
-
-
Herriger, Norbert (1997) Empowerment in der sozialen
Arbeit. Eine Einführung. (Kohlhammer) Stuttgart, Berlin
Stark, Wolfgang (1996) Empowerment. Neue Handlungskompetenzen in der psychosozialen Praxis. (Lambertus)
Freiburg i. Br.
Blonski, Harald (Hg.) (1997) Wohnformen in Alter. Ein
Praxisberater für die Altenhilfe. (Beltz) Weinheim, Basel
Henckmann, Antje (1999) Aufbruch in ein gemeinsames
Altern. Neue Wohnformen im Alter. (Budrich & Leske
Verl.) Opladen
Engel, Frank; Nestmann, Frank; Niepel, Gabriele; Sickendiek, Ursel (1996) Weiblich, ledig, kinderlos und alt. Soziale Netzwerke und Wohnbiografien alter allein stehender Frauen. Opladen (Leske & Budrich)
Dierl, Reinhard; Hoogers, Kinie (1988) Altenwohngemeinschaften. Dokumentation und Diskussionsbeiträge.
(Herausgegeben v. Kuratorium Deutsche Altershilfe)
Arbeitsgruppe III
Häusliche Gewalt an Frauen im Alter: Was passiert,
wenn der Ehemann in Rente geht?
Moderation: Ingrid Wedlich, Frauenberatungsstelle Braunschweig
Mit dem Renteneintritt werden jahrzehntelange Strukturen
zwangsläufig verändert und müssen durch neue ersetzt werden. In dieser Umbruchsituation ist es von entscheidender
Bedeutung, welche Bewältigungsmöglichkeiten sowohl von
dem Mann als auch von der Frau entwickelt wurden, wie
gut die gemeinsame Ehe geführt wurde und welche eigenständigen Bereiche sie für sich erschlossen haben.
➤
➤
➤
➤
➤
Vorhandene Erwartungen:
Arbeitsentlastung
Zugewinn an freier Zeit
Intensivierung der Paarbeziehung
Ausweitung von Kontakten
Erfüllung lang gehegter Wünsche (z. B. Urlaubsreisen)
3. Gewalterfahrungen der Frau durch den Mann:
1. Veränderte Situation des Mannes durch den Renteneintritt:
➤
➤
➤
➤
➤
➤
➤
➤
➤
Es entfällt:
Jahrzehnte gewohnte Arbeitsstruktur
Bestätigung durch Arbeitsanforderungen
Soziale Kontakte am Arbeitsplatz
Finanziell gewohnter Standard
Gefordert ist:
Neustrukturierung des Alltags
Füllen der Zeit und deren Sinngebung (Hobby)
Finanzielle Einschränkung
Auseinandersetzung mit dem Altern
Absprache mit der Frau über den Umgang mit der veränderten Lebens- und Alltagswelt
Vorhandene Erwartungen:
➤ Genießen der Zeit
➤ Erfüllung lang gehegter Wünsche (Hobbys, Reisen, Kontakte)
2. Veränderte Situation der Frau durch den Renteneintritt
des Mannes und damit verbundene Schwierigkeiten:
➤ Schwierigkeiten, einen neuen Zeitrhythmus zu finden
➤ Zusätzliche Arbeitsbelastung bei der Hausarbeit und Störung des Arbeitsablaufs durch zusätzliche Ansprüche des
Mannes
➤ Kompetenzstreitigkeiten wegen der Einmischung des
Mannes in „ihre„ Bereiche oder deren Kontrolle
➤ Kompetenzverlust durch Aufgabe der Monopolstellung
im Haushalt
➤ Zusätzliche Anforderungen an ihr „weibliches Arbeitsvermögen„, d.h. bezogen auf materielle und psychische Versorgung des Mannes
➤ Einschränkungen und Kontrolle bei Freizeitgestaltung
und sozialen Kontakten
➤ Partnerkonflikte
➤ Auseinandersetzung mit dem eigenen Alter
➤ Finanzielle Einbußen
➤ Beanspruchung durch Großmutteraufgaben
➤ Konfrontation mit Depression und Alkohol des Mannes,
wenn dieser die veränderte Situation für sich nicht verarbeitet
➤ durch Pflege der Eltern oder Schwiegereltern (evtl. damit
verbundene Loyalitätskonflikte)
➤ Verlust der eigenen Eltern, die Rückhalt gaben
➤ Abwertung ihrer Kompetenz als Hausfrau, Wirtschafterin, Organisatorin verbunden mit Demütigungen
➤ Finanzielle Kürzungen, die unverhältnismäßig sind
➤ Kontrolle und Beanstandung jeglicher finanzieller Ausgaben
➤ Abwertung ihres Alters, ihrer körperlichen Alterungserscheinungen, ihres Gesundheitszustandes und ihrer Sexualität
➤ Drohungen, sie wegen einer Jüngeren zu verlassen. Aufnahme von sexuellen Kontakten zu anderen Frauen
➤ Häusliche Isolation, wenn der Mann nur noch mit ihr zusammen sein will und Freunde nicht akzeptiert
➤ Drohungen, sie zu verlassen, wenn sie nicht das macht
was er will
➤ Vernachlässigung und verbaler Boykott
➤ Körperliche und sexuelle Gewalt. Sie stehen meist am
Ende vorangegangener psychischer Gewalt.
4. Ungünstige Bewältigungsvoraussetzungen für die Frau
Von ausschlaggebender Bedeutung für die Bewältigung der
neuen Lebenssituation ist die bisherige Ausprägung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, sowie eigene Interessen
und Aktivitäten außerhalb der Familie.
Haben sich die Frauen jahrzehntelang an der typischen
Frauenrolle orientiert, ist es für sie schwer, neue Aktivitäten
außerhalb des häuslichen Bereichs, wie Sport, Weiterbildung, Besuch kultureller Veranstaltungen, Geselligkeit, politisches und soziales Engagement zu entwickeln. Sie behalten
meist die gewohnten Tätigkeiten in „ihrem„ Kompetenzbereich bei, um die drohende Funktionslosigkeit zu kompensieren.
„Die Untersuchung bestätigt, dass nicht berufstätige Frauen aus der Arbeiterschicht, vor allem wenn ihre Männer
jahrzehntelang gesundheitsbelastende Tätigkeiten an
Schichtarbeitsplätzen ausgeübt haben, infolge besonderer
Belastungen und Einschränkungen eher ungünstige Voraussetzungen für die Bewältigung der mit der Frühausgliederung verbundenen Veränderung haben.
Kennzeichnend für die Verarbeitung ist eine ausgeprägte
Tendenz, bestehende Schwierigkeiten, ihre Unzufriedenheit
und unerfüllten Wünsche zu relativieren. Dieser Hang zur
Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit ist vor dem Hintergrund ihrer früheren Einschränkungen und Belastungen zu
sehen.„ (Dagmar Koch, 1989)
Geht der Mann in Vorruhestand können zusätzlich
auftreten:
➤ Streitigkeiten mit im Elternhaus lebenden Kindern
➤ Identifikationsprobleme mit dem Status einer Rentnerfamilie
23
5. Mögliche Veränderungen
In der Beratung arbeiten wir darauf hin, dass die Frau ihr
Selbstwertgefühl stärken kann, wieder Zugang zu ihrer
Kraft, zu ihren Potenzialen und zu ihren Fähigkeiten bekommt. Dass sie ihre eigenständigen sozialen Kontakte und
Hobbys aufnimmt und pflegt. Dass sie lernt, sich für ihre Bedürfnisse einzusetzen. Dazu gehört auch, Konflikte selbstbewusst anzugehen und sich abgrenzen zu können.
In dem Zusammenhang ist es notwendig, die gesellschaftlichen Bedingungen zu verdeutlichen, in denen die Frau aufgewachsen ist und in denen sie gelebt hat, verbunden mit
den Auswirkungen auf ihr bisheriges Leben. So hat sie die
Möglichkeit, sich bewusst von den herrschenden Vorstellungen und Normen abzugrenzen und einen anderen Weg einzuschlagen. Von großer Bedeutung ist es, für sich weibliche
Vorbilder zu finden, die ein selbstbestimmtes, würdiges Leben im Alter geführt haben –egal, ob dies nun durch Simone
de Beauvoir oder eine andere Frau des öffentlichen Lebens
repräsentiert wird. Außerdem ist es stärkend, sich mit dem
zu verbinden, was über Jahrtausende an weiblicher Kraft
und Weisheit bestanden hat.
Es ist nie zu spät, sich für ein erfülltes und würdevolles Leben einzusetzen.
Zitate aus:
Dagmar Koch, Hilfe mein Mann geht in Rente!
Zur Lebenssituation älterer Frauen nach der beruflichen
Frühausgliederung ihrer Männer. Eine Problemstudie Werkstattbericht des Forschungsschwerpunkts „Arbeit und
Bildung„ Band 7 (Hrsg.: Prof. Dr. Dieter Görs, Universität
Bremen, 1989)
24
Arbeitsgruppe IV
In der Jugend Hysterie, im Alter HOPS
(Hirnorganisches Psychosyndrom)
Renate Ehlers, AKF-Regionalgruppe Braunschweig
Hysterie und HOPS (Hirnorganisches Psychosyndrom) gelten
als klassische Diagnosen in zwei verschiedenen Zeitepochen.
Während in der Freud’schen Wirkungsphase die Hysterie
eine weitbekannte Lebenserscheinung bei Frauen war, ist in
der heutigen Zeit die Diagnose HOPS auf vielen Diagnosebescheinigungen der alten Psychiatrie-PatientInnen zu lesen.
Einen Unterschied finden wir heute allerdings zur geschlechtlichen Zuordnung.
Freud’s Hysterie - PatientInnen waren überwiegend Frauen. Die HOPS - PatientInnen heute sind Männer und Frauen.
Jedoch leben in den Alten- und Plegeheimen überwiegend
Frauen; darum können wir auch heute berichten, dass
HOPS - Diagnosen wiederum Frauen überwiegend betreffen.
Symptome ähneln sich
Sprachstörungen, launisch, boshaftig, störrisch, unfügsam,
zornig, reizbar, träge, zerstörerisch, widersetzend, stupide,
regungslos, dumpf hustend, keuchend, apathisch usw..
Bei genauer Betrachtung nehmen wir diese Symptome bei
den HOPS - PatientInnen der heutigen Zeit auch wahr, so
wie sich damals die Hysteriepatientinnen zeigten.
Die Frauen hatten keine anderen Möglichkeiten, ihre Ohnmacht und Wut auszudrücken, und versuchten dies in Mimik, Gestik und verbalem Ausdruck. Das Ergebnis war dann
die Pathologisierung dieser Ausdrucksformen durch herbeigerufene Ärzte.
Freud’s Patientinnen und weitere ehemalige Hysterie-Patientinnen entwickelten vorwiegend zwei Strategien, um mit
ihrer Lebensgeschichte umzugehen:
➤ Entweder investierten sie weitere Energien, sahen genau
hin, gelangten zur gesellschaftlichen Anerkennung durch
eigene Kräfte und unterstützten genau diese jungen
Frauen und Mädchen, die Ähnliches erleben mussten, in
einem sozialgesellschaftlichen Beruf, als z.B. Erzieherin
für Mädchen, Lehrerin u. ä.
So machten sie oft als allein für sich sorgende Frau öffentlich, dass eine für Frauen der damaligen Zeit zugedachte Rolle in der Gesellschaft für sie nicht lebbar war
und wurden von ihren Ärzten plötzlich als „geheilt” propagiert, wie z.B. Anna O., die Patientin des österreichischen Arztes Josef Breuer (ein enger Freund Freud’s), die
später als Bertha Pappenheim, neben vielen anderen sozialen Engagements u.a. ein Heim für gefährdete Mädchen und nicht eheliche Mütter gründete.
➤ Oder sie resignierten und versuchten auf anderen Wegen
einen Ausdruck für ihre Leiden zu finden. Dies endete
meist in der Selbsttötung –oder führte über den Weg von
Abhängigkeiten in den Tod (Alkohol, Esssucht, Drogen).
Luise Pusch und Sybille Duda haben Lebensbeispiele in
ihren „Wahnsinnsfrauen” 1992 und 1996 beschrieben.
Wissenschaftlich nicht bedachte Erlebnisse als Ursache von
Demenzsymptomen?
Alte Frauen in klinischen und stationären Häusern unserer
Zeit haben nur noch eine Chance, mit Traumatisierungen in
ihrer Lebensgeschichte zu leben. Ihnen bleibt auf Grund ihres Alters keine Möglichkeit mehr, in sozialgesellschaftlichem Engagement für Offenbarung ihres Leidens zu sorgen,
weil sie in der heutigen Gesellschaft als alte Frau keine
Chancen für persönliche Anerkennung bekommen.
Ein lange funktionierender Mechanismus des Verdrängens
funktioniert nicht mehr. Sie stehen vor ihrem Lebensende
und ziehen Resümee, was bei allen Menschen als ein ganz
natürliches Element anzusehen ist.
Bevor wir sterben, betrachten wir unser Leben und spätestens dann können wir nicht mehr verdrängen, was uns auch
schwer getroffen, gekränkt und somit auch charakterlich geformt hat. Demenzsymptome lassen sich in diese biografischen Zusammenhänge stellen.
Frauen stellen sich Fragen wie:
➤ Warum war mein Leben so anstrengend?
➤ Warum habe ich keine mich unterstützenden Freundschaften?
➤ Warum hat meine/haben meine Ehen nicht funktioniert?
➤ Warum kann ich niemandem vertrauen?
➤ Was hat mich so misstrauisch gemacht?
Spätestens jetzt zwingen sich Frauen zu Rückerinnerungen
und landen oft dort, wo die schmerzliche Ursache begraben
wurde. Sie grübeln und entdecken die schrecklichen Antworten, für die sie nun einen Ausdruck finden müssen vor
ihrem Sterben, vor dem „Bilanz ziehen”.
Sexuelle Traumatisierung als mögliche Ursache?
Sexuelle Traumatisierung könnte ein Hinweis für die päsenile Demenz sein, die bei ca. 40-jährigen Frauen schleichend
beginnt, wenn sich die so genannten Wechseljahre einstellen, in denen Frauen besinnlicher werden und über ihren Lebenssinn nachdenken.
Sie erkennen, dass sie im Alter weniger Chancen zur gesellschaftlichen Anerkennung haben werden, als in ihren
jungen Jahren. Die Depressionsstatistik für diese Altersgruppe kann ein deutlicher Hinweis dafür sein.
Senile Demenzen beginnen mit ähnlichen Depressionen
und werden häufig bei alten Frauen als „normal” bezeichnet. Jetzt fragen wir einmal, ob es normal ist, wenn sich ein
alter Mensch aus der Gemeinschaft plötzlich zurückzieht, in
der er sein ganzes Leben irgendwie integriert war? Die alten, einst traumatisierten Frauen haben resigniert und sind
des vielen Denken-Müssens müde. Sie sind müde, wollen
und können nicht mehr denken nach den vielen Überlebensjahren. Sie wollen und können nicht mehr so funktionieren,
wie es sich die Gesellschaft von ihnen wünscht.
Wenn wir uns vor Augen halten, was sexuell traumatisierte Kinder erleben und dass ihr Seelenschaden nie geheilt
werden kann, wenn sie nicht angemessene Lebenshilfe im
späteren Leben bekommen, dann wird uns klar, wie diese
Kinder mit ihrem „Wissen” leben müssen.
25
„Verrückte Frauen sind laut, hemmungslos und auffällig”
Hier macht sich der Protest deutlich, wenn alte Frauen keine
Lobby haben. Frauen schimpfen auf die Verlogenheit des
Gesellschaftssystems, in welchem sie sozial eingebunden
sind und sich oft gefangen fühlen. Meist wird dies aber
nicht als ein Protest wahrgenommen, sondern als „enthemmt” betitelt von Menschen, die sich auf professioneller
Ebene mit diesen Frauen beschäftigen (Psychiatrische Kliniken u./o. Pflegeeinrichtungen).
Die Frauen bedienen sich meist unbewusst des einfachen
Wortschatzes, um sich jedem Menschen verständlich zu machen, aus jeder Gesellschaftsschicht. Nur ist diese einfache,
für alle Menschen verständliche Sprache unerwünscht und
wird mit allen greifbaren Mitteln zum Schweigen gebracht.
Die Frau wird in ärztliche Hände gegeben, was nicht selten mit einer Einweisung in die Psychiatrie oder mit Psychopharmaka-Gaben endet.
„Verrückte Frauen ziehen sich zurück, kommunizieren
nicht mehr”
Frauen, die nicht mehr protestieren wollen oder zu wenig
Kräfte haben, dies zu tun, ziehen sich zurück und schweigen. Sie schweigen mit ihren gesamten Ausdrucksmöglichkeiten gestisch, mimisch und verbal. Sie wollen nicht mehr
sprechen, sie haben sich aufgegeben und haben resigniert.
Das Funktionieren fällt sehr schwer oder klappt nicht mehr.
Sie wollen sich nicht mehr mit Alltagsdingen auseinander
setzen. Einfache Dinge geraten in Vergessenheit und werden nicht als wichtig betrachtet.
Es interessiert nicht mehr was, vor einer Stunde, gestern
oder vorgestern war. Ständiges Grübeln lässt sie in eine andere Welt versinken, die sich in früheren Lebenszeiten abspielte und heute wie ein riesiges Ungeheuer auf den Frauen lastet und 24 Tagesstunden mit ihnen lebt.
Sie schweigen und sprechen nicht einmal mit den engsten
Angehörigen oder Pflegekräften darüber, was sie belastet.
Sie wollen es den jungen Menschen nicht antun, dass diese
erfahren, was die Frau charakterlich prägte. Sie wollen sie
schützen und nicht mitbelasten.
Mütter erzählen es ihren Kindern nicht, Großmütter nicht
den Enkelkindern und Pflegebedürftige erleben die Pflegekraft nur selten als Lebensbegleiterin, mit der sie ihr persönliches Geheimnis teilen wollen und können.
Frauen, die nicht heirateten oder einst allein erziehende
Mütter waren, haben gesellschaftliche Anerkennung in der
beschriebenen Generation kaum bekommen und galten bei
vielen Männern als „Freiwild” und wurden von „anständigen” Ehefrauen meist gemieden. Kinder hatten erst mit der
Industrialisierung in jüngerer Zeit ihren Stellenwert in der
Gesellschaft. Sie wurden schon früher für Bedürfnisse Erwachsener ausgebeutet, und wie wir es heute in den Medien fast täglich erfahren, ist das auch heute noch viel zu häufig der Fall. Arbeits- und Ausbildungsplätze für junge, selbstverantwortlich lebende Frauen waren früher oft nur erreichbar, wenn sie gewisse Dinge erlaubten, bzw. boten. Heute
nennen wir das „sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz”. Was
in den gutbürgerlichen Familien an Gewalt geschah und was
die Frauen in Kriegen an Gewalt erlebten, darüber spricht
niemand.
26
Die Aufarbeitung der NS-Gewalt, sowie die aktuellen
Kriegsberichte in den Medien beginnen in den letzten Jahren zögerlich über diese Form von Gewalt an Frauen öffentlich zu berichten, da vielen Frauen in der Medizin und den
Pflegebereichen deutlich wird, wie verbreitet die Vergewaltigung von Frauen praktiziert wird und welche fatalen Auswirkungen solche Erlebnisse auf die weitere Lebensqualität
der betroffenen Frauen haben. Medica mondiale, eine Hilfsorganisation, die im Bürgerkrieg in Bosnien tätig war, machte deutlich, auf welche Art und Weise Kriegsgeschehen
stattfinden. Und so fanden auch die Kriegsgeschehen statt,
die alte Frauen heutiger Zeit erleben mussten.
Verfolgung, Vergewaltigung und Nötigung fanden jedoch
auch in Familien hinter gutbürgerlichen Fassaden statt.
Mädchen waren häufiger betroffen als Jungen und meist
war es ein geachtetes Familienmitglied oder der familiäre
Mann, dem mehr geglaubt wurde als einem Kind, das
scheinbar nur mit auffälligem Verhalten auf sich aufmerksam machen wollte. Kinder hatten zu schweigen und möglichst nicht in Erscheinung zu treten und schon gar nicht für
familiäre Unruhe zu sorgen.
Überlebende Frauen - der größte Anteil unter PsychiatriePatientinnen
Wildwasser e. V. hat in Untersuchungen festgestellt, dass jedes dritte Mädchen einmal in seinem Leben einen Machtmissbrauch erleben musste. Diese Zahl möchte ich unbedingt unterstreichen. Männer haben dies auch erlebt, aber
diese Zahl ist wesentlich geringer und wir können daraus
den Rückschluss ziehen, dass die Zahl der HOPS-Diagnosen
bei Männern mit diesen Zahlen übereinstimmen.
In Psychiatrien finden wir breit gefächerte Diagnostizierungen und es wird nach vielen Ursachen gesucht, aber die
sexuelle Taumatisierung wird als Ursache äußerst selten in
den Blick genommen, ja meist einfach verschwiegen.
Die Pharmaindustrie mit ihren finanziellen Mitteln fördert
Kongresse und Ursachenforschung –der Demenzthematik
aus eigennützigem Wirtschaftsinteresse und versucht professionell arbeitende Menschen dahingehend zu beeinflussen,
dass nur mit ihren Erzeugnissen den Menschen Heilung und
Linderung geboten werden können. Mit derartiger Forschung und Wissenschaft treten die einstigen Täter wiederholt nicht in Erscheinung und das Opfer bleibt im Interesse
der Agierenden. Dies ist für das Opfer, z.B. unserer alten dementen Frau, eine Erfahrung, welche sie ihr ganzes Leben
lang gemacht hat.
Pflegekräfte und LebensberaterInnen der alten Menschen
Wir als professionell tätige Personen sollten versuchen, bei
unseren Beobachtungen und Wahrnehmungen diese genannten Hintergründe einzubeziehen, wenn wir alte demente Frauen beurteilen wollen oder müssen.
Seltenst sprechen die Frauen aus, was sie erleben mussten.
Oft müssen wir versuchen, unseren Gefühlen zu trauen. Wir
sind auf Gespür und Wahrnehmung angewiesen, wenn wir
alte Frauen verstehen wollen - besonders Frauen, die uns in
unserer täglichen Arbeit mit den genannten Symptomen begegnen.
Wir müssen uns bemühen, diesen Frauen ein Ventil zu verschaffen, um sich ausdrücken zu können. Wir dürfen die
Wut nicht unterdrücken, sondern sollten nach Bahnen forschen, die diese Wut kontrolliert aus den Frauen herauslassen. Reichen wir ihnen den Boxball und sorgen wir dafür,
dass sie schimpfen und sich wehren können, so haben wir
schon viel getan für ihre Lebensqualität im Alter.
Ganz sicher werden wir mit dem üblichen Gesellschaftsbild
kollidieren. Aber es liegt an uns, dies zu verändern.
Wir müssen unsere Wahrnehmungen und Beobachtungen in
professionellen Bereichen, wie z.B. in dieser Gruppe, diskutieren.
Wir sollten unsere Pflegeplanungen und Begleitkonzepte
darauf ausrichten und dahingehend verändern, immer auch
ein Angebot für traumatisierte Frauen bereitzustellen.
Nur mit dem „Öffentlich machen” und genauem Hinsehen
können wir erreichen, dass enthemmten Frauen Akzeptanz
und Verständnis entgegengebracht werden kann.
Eigenverantwortung der Pflegekräfte und beratenden
Personen von verwirrten Frauen
Als LebensbegleiterInnen für Frauen mit Verwirrungen, die
ohne fremde Hilfe nicht mehr für sich sorgen können, müssen wir gelernt haben, mit großem Leid konfrontiert zu sein.
Eigene traumatische Erlebnisse sollten in diesem begleitenden Personenkreis persönlich bearbeitet sein. Sonst könnte
es passieren, dass die Pflegekraft mit eigenen Rückerinnerungen und mit eigenen Leiden stark konfrontiert wird. Sie
selbst erlebt dann meist die psychische Belastung der Pflege
als unerträglich. Sie selbst kann nicht mehr verdrängen, was
ihr einst passierte, und wird den Arbeitsbereich nicht mehr
professionell und mit psychischem Abstand betreuen können.
Pflegekräfte und LebensbegleiterInnen von psychisch veränderten Personen müssen mit sich und der eigenen Lebensgeschichte im Reinen sein. Das heißt, die eigene Geschichte
muss unbedingt als nicht mehr zu verändernder Zustand angenommen sein und darf die eigene Lebensqualität nicht
mehr gefährden. Ist das nicht geschehen, so besteht äußerste Gefahr, an der Ausübung des Berufes psychisch selbst zu
erkranken.
Eigene persönliche Krisen (Trennungssituationen, Verlusterlebnisse) sollten unbedingt zum Anlass genommen werden, aus belastenden Berufssituationen auszusteigen, bis
diese Krisen bearbeitet sind. Es könnte sonst sein, dass sich
begleitende Personen noch mehr Schaden zufügen, als sie
schon erlitten haben, sich selbst überfordern und der professionelle Hintergrund die Lebensbegleitung für verwirrte
Menschen, qualitativ nicht mehr möglich ist.
Fazit:
In den Jahren der Hysterie - Diagnosen bis heute, wo nichtorganisch bedingte Demenzen auf alle möglichen Ursachen
hin erforscht werden, aber die Gefühle und die traumatischen Erlebnisse der einstigen Kinder nicht sichtbar gemacht
werden, sind die Täter begünstigt und die Opfer leiden weiterhin.
Machen wir uns klar, dass die Täter begünstigt werden, so
können wir die Wutausbrüche, das Aufmerksamkeit erregen
wollen und die Hemmungslosigkeit der verwirrten alten
Frauen besser verstehen.
Es wird uns besser gelingen, diese alten Frauen in ihren
Gefühlen zu begleiten und wir können sie als Menschen mit
Wut im Leib eher akzeptieren, wenn wir auch nur erahnen
können, woher diese Wut stammt. Autoagressives Verhalten
(selbstzerstörerische Elemente) erkennen wir aus einem anderen Blickwinkel und können unsere Begleitung mit anderen konzeptionellen Ansätzen planen, als dies die Pharmaindustrie zu beeinflussen versucht.
Diese verwirrten Frauen sind nicht verrückt. Sie sind von
anderen verrückt gemacht worden. Ihre Welt ist nicht in den
Angeln und schwankt möglicherweise schon ihr ganzes Leben lang. Sie haben es nicht selbst gewollt, sie konnten die
Traumatisierungen nicht abwehren und sind mit diesen
Ohnmachtserfahrungen alt geworden. Vergessen Sie alle
dies bitte nie.
Achten wir alle auf die Signale, hören wir genau zu, schärfen wir unsere Wahrnehmung und beginnen wir, das
Schweigen auch darüber zu brechen. Es würde den als „dement” bezeichneten Menschen sehr helfen, wenigstens
noch etwas Lebensqualität zu erlangen. Machen wir ihnen
Mut, sich zu äußern, und versuchen wir, geeignete Rahmen
zu schaffen, in denen all diese Gefühle da sein dürfen, ohne
jemandem zu schaden.
Wut und Zorn, die heraus dürfen, machen nicht mehr
krank. Mütter erkennen dies an ihren Kindern, Kinder erkennen dies an den Erwachsenen und wir sollten dies auch
im Umgang miteinander erkennen. Menschen, die uns wichtig sind, ermuntern wir, ihrem Ärger Luft zu machen und
sich an entsprechenden Stellen zu beschweren. Dies könnten
wir auch im Begleitungsprozess den uns anvertrauten verwirrten Personen bieten.
Es gibt noch keine fertigen Konzepte für diese Thematik,
aber es ist in unserer Verantwortung, solche Konzepte zu
entwickeln. Validative Begleitung nach Nicole Richards oder
Naomi Feil, sowie einige Elemente der feministischen Therapie lassen Ansätze erkennen, soweit diese bei alten Menschen noch einsetzbar sind.
Traumatisierte Frauen und Männer gibt es und wird es in
der Welt immer geben und Begleitpersonen dieser Menschen sollten darauf eingerichtet sein, gerade diesen Menschen so zu begegnen, wie sie es verdient haben, mit Hochachtung und Würde.
Sterbebegleitung
Ein „von dieser Welt gehen” könnte zu einem friedvolleren
Prozess für viele Menschen werden und ganz besonders
„verrückte” Frauen und Männer könnten ihr Leben in unserer Gemeinschaft würdevoll und zornlos loslassen. Die Begleitung dieser sterbenden Menschen würden ein wichtiges
Element erhalten und die Begleitpersonen könnten statt mit
Hemmungen einem solchen Sterbe-Prozess gefüllt mit Würde und Achtung begegnen. So erhielte die Phase des Sterbens eine ungeheure Lebensqualität. Denn Sterben ist auch
ein wichtiger Teil des Lebens und muss als solches verstanden werden. Seien wir also aufmerksam und lassen wir uns
darauf ein, Lebensqualität besonders den alten dementen
Frauen anzubieten.
27
Literatur
- Ingrid Olbricht, 1989, Alles Psychisch? Kösel-Verlag,
- Arthur Janov, 1976, Anatomie der Neurose, Fischer Taschenbuch Verlag,
- Frederike Flach, 1978, Depression als Lebenschance, Rowohlt Taschenbuch,
- Wildwasser e. V., 1994, Der aufgestörte Blick, 1. MPS Tagung – Dokumentation, Bielefeld – Kleine Verlag Bielefeld,
- Margarethe A. Sechehaye, 1992, Eine Psychotherapie der
Schizophrenen, Klett Cotta Verlag Stuttgart,
- Renate Göcke, 1988, Esssucht oder die Scheu vor dem Leben, Rowohlt Taschenbuch,
- Renate Höfer, 1993, Die Hiobsbotschaft C. G. Jungs, Kaskade Verlag Rotenburg W.,
- Jean Frances Casey, 1993, Ich bin viele, Rowohlt Taschenbuch Verlag,
- Nathalie Schweighoffer, 1992, Ich war zwölf. Bastei Lübbe Verlag Bern,
- Klaus Dörner, Ursula Plog, 1984, Irren ist menschlich.
Psychiatrie Verlag Bonn,
- Erwin Böhme, 1992, Ist heute Montag oder Dezember?
Psychiatrie Verlag Bonn,
- Eugen Jungjohann, 1991, Kinder klagen an. Fischer Taschenbuch Verlag,
- Karin Göckel, 1993, Monika B., Ich bin nicht mehr eure
Tochter. Scherz Verlag Berb / 1995 Bastei Lübbe Taschenbuch,
- Roswitha Burgard, 1988, Mut zur Wut: Orlanda Frauenverlag Berlin,
- Betty Friedan, 1995, Mythos Alter. Rowohlt Verlag GmbH
- Gunda Schneider, 1993, Noch immer weint das Kind in
mir. Herder Verlag Freiburg i. Breisgau,
- Schriftenreihe zur Selbsthilfe gegen sexuelle Gewalt: Mai
1997, Namenlos 2. Lesbenheft, Wildwasser e. V. Ludwigshafen,
- Ingeborg Oelmann, 1992, Schänderhannes, Bastei Lübbe
Verlag GmbH,
- Thomas S. Szausz, 1982, Schizophrenie, Fischer Taschenbuch Verlag,
- Rosemarie Steinhage, 1989, Sexueller Missbrauch an
Mädchen. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH,
- Dokumentation eines Öffentlichkeitsprojektes: 1989, Sexueller Missbrauch an Mädchen ist Gewalt, Wildwasser E.
V. Wiesbaden,
- Luise Hartwig, 1990, Sexuelle Gewalterfahrungen von
Mädchen. Juventa Verlag München Weinheim,
- Kerstin Kemper, Peter Lehmann, 1993, Statt Psychiatrie.
Antipsychiatrie Verlag Berlin,
- Ellen Bass, Laura Davis, 1990, Trotz Allem. Orlanda Frauenverlag Berlin,
- Naomi Feil, 1992, Validation. Waschzettel Buchversand
Alexander Möckel Augsburg,
- Erwin Böhme, 1992, Verwirrt nicht die Verwirrten. Psychiatrie Verlag Bonn,
- Dagmar Bielstein, 1991, Von verrückten Frauen. Fischer
Taschenbuch Verlag,
- Sybille Duden, Luise Pusch, Band I 1992, Band II 1996,
Wahnsinnsfrauen. Suhrkamp Taschenbuchverlag,
28
-
-
-
-
Ingrid Olbricht, 1993, Was Frauen krank macht:, Kösel
Verlag München,
Katharina Lappessen, 1991, Was ist mit Anna? Verlag
Frauenoffensive München,
Ursula Enders, 1990, Zart war ich Bitter war’s. Verlag Kölner Verlagsblatt,
3. AKF Tagungsdokumentation 1997, Wege aus Ohnmacht und Gewalt, zu beziehen über AKF Hindenburgstr.
1 a, 32257 Bünde,
* G. Heuft et. al. / 1995, Interdisziplinäre Gerontopsychosomatik. MMV Medizin Verlag GmbH München,
* Manfred d. Hanfer, Andreas Meier, 1993, Geriatrische
Krankheitslehre Teil I, gerontopsychiatrische und neuropsychologische Symtome. Verlag Hans Huber Bern,
* Walter Bräutigam, 1968, Kleine Psychiatrie Reduktionen, Neurosen, Psychopathien. Georg Thieme Verlag
Stuttgart,
* Pschyrembel 257. Aufl., 1994, klein. Wörterbuch. Walter De Gruyter Verlag Berlin.
Aktuelle Zeitschriftenartikel von November 1997:
- Jule Friedrich, Hebamme. „Auswirkungen sexueller Gewalt auf Schwangerschaft und Geburt” Dr. Mabuse 11./
12. 97, S. 54,
- EMMA Nr. 6, 11./12. 97, S. 30 „Psychowelle gegen
Recht?” ein aufschlussreicher Report über die Fragwürdigkeit von Gutachten in Gerichtsprozessen zur Gewalt
an Frauen und Kindern.
Die mit * gekennzeichnete Literatur stellt wissenschaftliche
Aussagen dar, welche nicht unkritisch übernommen werden
sollte und mir nur zur Gegendarstellung nutzte.
Arbeitsgruppe V
Älterwerden ist keine Krankheit – das Projekt
Moderation: Monika Fränznick, FeministischesFrauenGesundheitsZentrum e. V. Berlin (FFGZ)
Noch nie wurden Menschen und v.a. Frauen mehrheitlich so
alt wie heute in den Industrienationen. Das Alter, wie wir es
heute antreffen, ist somit eine recht neue Erscheinung. Die
Berliner Altersstudie kommt z.B. zu dem Schluss: „Als Gesellschaft stehen wir erst am Anfang eines ‚Lernprozesses´ über
das Alter. In diesem Sinn ist das Alter noch jung, sein Potenzial noch weitgehend unausgeschöpft, und für das Alter
günstige Institutionen und Werte gilt es erst noch zu entwikkeln.” (Mayer/Baltes 1996:8)
Um der Situation gerecht zu werden, müssen neue Konzepte entwickelt werden, v.a. auch hinsichtlich der Gesundheitsversorgung und -förderung von Älteren. Immerhin wird
Gesundheit mit zunehmendem Alter ein immer wichtigeres
Thema: körperliche Beeinträchtigungen, vor allem chronische Krankheiten treten verstärkt auf, häufig besteht eine
Multimorbidität, d.h. mehrere Krankheitsbilder bestehen
parallel zueinander.
Da Gesundheit, wie auch die WHO feststellt, nicht nur in
Abwesenheit von Krankheit und Behinderung besteht, sondern einen Zustand weit gehenden körperlichen, seelischen
und sozialen Wohlbefindens meint, genügt die Konzentration auf die Beschwerden und Krankheiten älterer Menschen
nicht. Es muss immer auch um Lebensbedingungen, um spezifische Probleme, aber auch um Potenziale in dieser Lebensphase gehen.
An dieser Stelle wird es wichtig, das Alter geschlechtsspezifisch zu betrachten. Entgegen der häufig vorherrschenden
Herangehensweise an diese Lebensphase, die nur von „den
Senioren” spricht, ist das Alter keineswegs geschlechtsneutral. Unterschiedliche Lebensbedingungen und -verläufe
von Frauen und Männern prägen das Älterwerden wie das
Altsein. Als frappante Unterschiede seien hier nur erwähnt:
➤ Die ökonomische Situation von Frauen im Alter ist durchschnittlich bedeutend schlechter als bei Männern (vgl.
Höpfinger 1997:68; Schneider 1999).
➤ Mit durchschnittlich 79,8 Jahren leben Frauen über sechs
Jahre länger als Männer (durchschittlich 73,3; vgl. Statistisches Bundesamt 1998:43). Dies bedeutet zum einen,
dass Frauen eher von den im hohen Alter auftretenden
Beschwerden betroffen sind und einen Umgang damit
finden müssen. Zum anderen führt dies - verstärkt durch
die Tatsache, dass viele Frauen jünger sind als ihre Partner - dazu, dass sie ihre Partner pflegen und selbst dann
alleine zurückbleiben. Sie müssen folglich mit dem Alleineleben zurecht kommen und häufig sind sie im hohen
Alter auf die Pflege in einem Pflegeheim angewiesen
(Arnold 1999).
➤ Prinzipiell haben Frauen andere biografische Hintergründe, andere Schwierigkeiten und Potenziale sowie ein anderes Gesundheitsverhalten als Männer (MaschewskiSchneider 1997). In der Literatur wird immer wieder darauf verwiesen, dass weibliche Lebensläufe mehr Brüche
aufweisen als männliche. Dies hat oft zur Folge, dass
Frauen besser mit Veränderungen zurecht kommen eine wichtige Ressource, die ihnen im Alter bzw. bei der
Gestaltung dieser neuen Lebensphase zugute kommt.
Auf der anderen Seite ist das Altwerden für Frauen oftmals mit größeren Problemen belastet, da das vorherrschende Schönheitsideal zwar den so genannten „attrak-
tiven reifen Mann” kennt, Frauen jedoch scheinbar maximal erreichen können, „sich gut gehalten zu haben”
oder „jung geblieben zu sein”.
Vor diesem Hintergrund und vor allem angesichts der Tatsache, dass Konzepte weitgehend fehlen, die die Gesundheit
und das Wohlbefinden älterer Frauen stärken, wollten wir
im FFGZ e.V. Berlin erste Schritte unternehmen, um diese
Lücke zu schließen. Es entstand unser 1997 begonnenes Projekt „Älterwerden ist keine Krankheit”. Dieses möchte ich
im Folgenden kurz skizzieren, um davon ausgehend zu diskutieren, wie weiter gehende Konzepte aussehen könnten,
die das Wohlbefinden und die Gesundheit von älteren und
alten Frauen fördern.
Ausgangsfragen unseres Projektes
„Mit welchen Lebensbedingungen und Problemen sind ältere Frauen konfrontiert? Was brauchen sie an Unterstützung
bzw. wie können ihre Potenziale gestärkt werden? Wie
kann Gesundheit und Wohlbefinden im Alter postiv beeinflusst werden?” Mit diesen Ausgangsfragen unternahmen
wir folgende Schritte:
1. Kontaktaufnahme
Mit den genannten Fragen wandten wir uns in einer ersten
Phase an Einrichtungen, in denen sich ältere Frauen organisiert haben oder die von ihnen genutzt werden. (z.B.
Nachbarschaftsheime, „Offensives Altern”, Graue Panther,
Fachgruppe des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes). Mit
Multiplikatorinnen und Betroffenen sprachen wir über Gesundheit im Alter, über Probleme, Bedürfnisse und Erfordernisse, aber auch über neue Freiheiten und Möglichkeiten.
Beschwerden wurden dabei ebenso thematisiert wie Ressourcen, die unterstützt und gefördert werden können. Lebensumstände waren dabei immer wieder ein wichtiges
Thema und verdeutlichten nochmals, dass Gesundheit insbesondere im Alter nicht von Lebensumständen zu trennen ist.
Unser Ziel dieser erste Phase war eine Bestandsaufnahme,
insbesondere des Bedarfs an Gesundheitsförderung. Wichtig
war uns in dieser Phase darüber hinaus, Kontakt herzustellen, auch im Hinblick auf eine spätere Zusammenarbeit. Wir
haben uns als eine Einrichtung vorgestellt, die an dem Thema „Ältere Frauen und Gesundheit” arbeitet und ein frauenspezifisches Angebot entwickeln möchte. Dies wurde sehr
positiv aufgenommen: „Endlich geschieht da was”, „können
Sie nicht gleich bei uns etwas anbieten” waren häufige Reaktionen.
2. Angebote entwickeln und anbieten
Nach dieser Phase der Kontaktbildung und Bestandsaufnahme ging es darum, Angebote für ältere Frauen im Bereich
Gesundheitsförderung und Prävention zu entwickeln. Wir
entschieden uns für zwei Vorgehensweisen: Veranstaltungen und Informationsmappen:
➤ Veranstaltungen
Bereits im Frühjahr 1998 organisierten wir in Kooperation
mit einer Frauenbeauftragten und einem Nachbarschaftsheim eine kleine Reihe für ältere Frauen bestehend aus ei29
ner Lesung über das Älterwerden, einem Vortrag zu Gesundheitsmaßnahmen im Alter und einer Filmvorführung mit Diskussion zu Sexualität im Alter.
Im Winter 98/Frühjahr 99 konzipierten wir dann eine Veranstaltungsreihe mit den Themen: „Älterwerden: Prozess,
Herausforderung und vieles mehr”; „Wechseljahre”; „Osteoporose”; „Blasenschwäche”; „Veränderung des Stoffwechsels in der zweiten Lebenshälfte”; „Atem und Bewegung”
sowie „‚Dein ist mein ganzes Herz´ - ein Film zu Sexualität
im Alter mit anschließender Diskussion”.
Um neue Frauen zu erreichen und ein möglichst wohnortnahes Angebot zu machen, setzen wir uns mit Einrichtungen
verschiedener Berliner Bezirken in Kontakt. Wir boten an,
eine Veranstaltung in ihren Räumen zu einem der oben genannten Themen zu gestalten. Da wir Förderung erhielten,
konnte dies kostenlos geschehen. Öffentlichkeitsarbeit und
Werbung für die Veranstaltungen wurden im Gegenzug von
den Einrichtungen geleistet.
Für diese Phase konnten die bereits hergestellten Kontakte genutzt werden, weitere wurden geknüpft, um alle Berliner Bezirken anzusprechen.
Es kam zu 23 Veranstaltungen quer durch die Berliner Bezirke. Kooperationspartnerinnen waren Selbsthilfetreffpunkte,
Nachbarschaftsheime, Frauenbeauftragte oder Institutionen
wie der Landessportbund. Die Teilnehmerinnenzahl
schwankte: z.T. kamen über 20 Besucherinnen, z.T. wurden
die Veranstaltungen abgesagt, da sich nur zwei oder drei
Frauen zu den Veranstaltungen einfanden.
Einhelliges Echo der Multiplikatorinnen war, dass es an
der Zeit sei, spezifische Angebote zur Gesundheitsförderung
für ältere Frauen zu machen, dass es aber auch schwierig ist,
neue Themen einzuführen oder die Frauen zu erreichen und
zu motivieren. Ein sehr großer Vorteil war, wenn in Einrichtungen bereits Gruppen mit älteren Frauen bestanden, da
das Klientel dann direkt angesprochen werden konnte und
da die Hemmschwelle, eine Veranstaltung zu besuchen, an
einem vertrauten Ort geringer ist.
➤ Informationsmappen
Mit unserer Informationsarbeit wollten wir auch Frauen erreichen, die nicht zu Veranstaltungen gehen, und ferner
bundesweit tätig werden. Unser Anliegen war es, aktuelle,
vielfältige und allgemein verständliche Informationen weiterzugeben, die:
– Zusammenhänge von gesundheitlichen Problemen deutlich machen;
– Anregungen zur Gesundheitsförderung und Prävention
geben;
– Beschwerden nicht isoliert betrachten, sondern die Lebensumstände einbeziehen;
– Selbsthilfemöglichkeiten und alternativmedizinische Ansätze thematisieren;
– Anlaufadressen vermitteln;
– ausführliche Literaturhinweise geben und
– letztendlich ein ausschließlich schulmedizinisches Herangehen hinterfragen und die Frau als Expertin für den eigenen Körper setzen.
30
Herausgekommen sind die Informationsmappen zu Schlafstörungen, Osteoporose, Depressionen und Diabetes - Beschwerden, die von vielen älteren Frauen als bedeutende
gesundheitliche Probleme genannt wurden (Feministisches
Frauen Gesundheits Zentrum 1999).
Wir wählten die Form der Loseblattsammlung aus verschiedenen Gründen: Sie können stets aktualisiert und z.B.
durch Faltblätter ergänzt werden. Ferner können einzelne
Seiten von den Frauen als „Merkzettel” herausgenommen
oder von Multiplikatorinnen für die Arbeit in Gruppen genutzt werden. Auf der anderen Seite sind sie eine umfassende und aktuelle Informationssammlung, die Kontakte, weiterführende Literatur oder Tipps und Anregungen für einen
Umgang mit den jeweiligen Problemen in kompakter Form
weitergibt und somit Mühe, Zeit und unnötige Kosten sparen hilft.
3. Politische Arbeit für die Anliegen älterer Frauen
Das Feministische Frauen-Gesundheits-Zentrum verfolgt in
seiner Arbeit prinzipiell zwei Schienen: zum einen Beratungs- und Informationstätigkeit für Betroffene, zum anderen politische Arbeit bzw. Öffentlichkeitsarbeit, die die gesundheitlichen Interessen von Frauen in der Öffentlichkeit
thematisiert und im Gesundheitswesen vertritt.
Das Projekt „Älterwerden ist keine Krankheit” sollte folglich
auch eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Thematik
Älterwerden und Altsein anregen. Dies hieß zunächst, die
Thematik Gesundheit von Frauen im Alter überhaupt in die
Öffentlichkeit zu tragen. Verschiedene Aspekte der Lebenssituation älterer Frauen und insbesondere ihrer gesundheitlichen Befindlichkeit sowie Versorgung sollten präsentiert
werden, um eine Auseinandersetzung anzuregen. Aufzeigen wollten wir in diesem Zusammenhang Defizite und Problembereiche, aber auch Potenziale und Möglichkeiten, die
durch diskriminierende Altersklischees oftmals verdeckt sind.
Für diese Anliegen wählten wir zwei Vorgehensweise:
➤ Veröffentlichung
Die neueste Ausgabe unserer Zeitschrift „Clio. Die Zeitschrift
für Frauengesundheit” (Feministisches Frauen Gesundheits
Zentrum 1999) wurde der Thematik „ältere Frauen” gewidmet. Sie beinhaltet Beiträge sowohl zur Selbsthilfe als
auch zur Situation älterer Frauen. Zu Wort kommen auch
Frauen, die über sich berichten, und Organisationen von
und für ältere Frauen. Aus verschiedenen Blickwinkeln wurde so das Älterwerden von Frauen beleuchtet und die vielfältigen Formen von Älter- und Altwerden angesprochen. Es
sollte Mut gemacht werden, diese Lebensphase aktiv und
selbstbewusst zu gestalten. Und es sollte eine Diskussion angeregt werden, wie wir als Frauen in unserer Verschiedenheit diese Lebensphase, jenseits von Klischees besetzen können, um zufrieden und glücklich altern zu können.
➤ Pressearbeit
Mit der Einladung zu einem Pressegespräch und einer daraus hervorgehenden Pressemitteilung wandten wir uns an
die Presse, um eine Diskussion über gesundheitliche Belange
älterer Frauen in einer breiteren Öffentlichkeit anzustoßen.
Aufgezeigt wurden Defizite in der gesundheitlichen Versor-
gung älterer Frauen. Schwerpunktmäßig griffen wir dabei
den Bereich Medikamentenverschreibung, insbesondere Psychopharmakaverordnungen, sowie die spezifischen Belange
von älteren Migrantinnen auf.
Hintergrund war zum einen das Anliegen, Medikamentenverschreibungen und insbesondere die übermäßige Verschreibung von Schlaf- und Beruhigungsmitteln zu problematisieren. Immerhin werden ein Sechstel aller Psychopharmaka Menschen über 65 Jahren - die lediglich die Hälfte der
Bevölkerung stellen - verschrieben. Besonders betroffen sind
hierbei Frauen, da sie doppelt so oft mit Psychopharmaka
therapiert werden als Männer. Die Einnahme von Schlafund Beruhigungsmittel wirft jedoch Probleme auf, die nur
wenigen bewusst sind: die Suchtgefahr, die nicht altersgerechte Verschreibung, also Fehlmedikamentierung, und die
Auswirkungen der Medikamente wie Benommenheit und
daraus resultierende Stürze und Knochenbrüche.
Zum anderen sollte deutlich gemacht werden, dass ältere
und alte Frauen keine homogene Gruppe sind, sondern von
unterschiedlichen biografischen, sozialen und kulturellen
Zusammenhängen geprägt sind. Insofern bestehen auch unterschiedliche Erfordernisse und verschiedene Unterstützungsangebote sind nötig. Besonders offensichtlich trifft
dies auf ältere Migrantinnen zu, eine wachsende und zugleich kaum beachtete Bevölkerungsgruppe. Spezifische Angebote fehlen weitgehend und im Gesundheitssystem befinden sich ältere Migrantinnen auf Grund von Sprachproblemen und kulturellen Unterschieden in einer schwierigen
Situation. In Fachkreisen wird von Medikamenten- und
Überweisungsspiralen gesprochen, da die Verständigungsschwierigkeiten und Fehleinschätzungen auf Grund unterschiedlicher kultureller Kontext häufig dazu führen, dass die
Frauen von Praxis zu Praxis bzw. Klinik überwiesen werden
sowie verstärkt untersucht und behandelt werden.
Soviel in aller Kürze zu unseren ersten Schritten auf dem
Weg zu einer Gesundheitsversorgung älterer Frauen, die die
Gesundheitsförderung, die Selbsthilfe und ein verändertes
Bild von Alter in den Mittelpunkt stellt. Prinzipiell wollen
wir mit dem Projekt „Älterwerden ist keine Krankheit” dazu
beitragen, Bedingungen für Frauen zu schaffen, in denen sie
zufrieden, erfüllt und selbstbestimmt alt werden können sei es durch das Aufzeigen von gesellschaftlichen Problemen
und Defiziten oder durch konkrete Beratungs- und Informationsarbeit.
Für eine weiter gehende Beschäftigung wie für die Diskussion in der Arbeitsgruppe stellen sich die Fragen: Welche Bedingungen und welche Unterstützung brauchen ältere und
alte Frauen für ihr gesundheitliches Wohlbefinden? Wie
kann unsere Arbeit dahingehend aussehen? Welcher Konzepte bedarf es?
Literatur:
-
-
-
-
Arnold, Gabriele (1999): Frauen Leben - Frauen Sterben,
in: FFGZ (Hg.), Clio 48
Feministisches Frauen Gesundheits Zentrum e.V. Berlin
(1999): Clio. Eine Zeitschrift für Frauengesundheit, Nr. 48
„Ältere Frauen”, Berlin
Feministisches Frauen Gesundheits Zentrum e.V. Berlin
(1999): Informationsmappen zu: „Diabetes mellitus,
Typ II”, „Schlafstörungen im Alter”, „Osteoporose”,
„Was ist nur mit mir los? Zwischen Stimmungstief und Erschöpfung”, Berlin
Höpfinger, Francois (1997): Frauen im Alter - Alter der
Frauen. Ein Forschungsdossier, Zürich
Maschewsky-Schneider, Ulrike (1997): Frauen sind anders
krank. Zur gesundheitlichen Lage der Frauen in Deutschland, Weinheim/München,
Mayer, Karl Ulrich/Baltes, Paul B. (Hg.; 1996): Die Berliner
Altersstudie, Berlin
Schneider, Friederike (1999): Wie gestalten Frauen ihre
Lebenssituation im Alter? in: FFGZ (Hg.), Clio 48
Statistisches Bundesamt (1998): Gesundheitsbericht für
Deutschland, Stuttgart
31
Protokoll der Arbeitsgruppe V
Älterwerden ist keine Krankheit – das Projekt
Monika Fränznick
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde, in der auch die einzelnen Interessen und Fragen hinsichtlich der Arbeitsgruppe
festgehalten wurden, kristallisierte sich folgende Leitfrage
heraus:
Was ist notwendig für eine altersgerechte Gesundheitsversorgung bzw. für eine adäquate Unterstützung der Gesundheit älterer Frauen?
Folgende Erfordernisse wurden festgestellt:
➤ Um Gesundheitsförderung und Selbsthilfe im Altenbereich zu fördern, muss eine Bewusstseinsänderung bei älteren Frauen unterstützt werden. Heute ältere und insbesondere alte Frauen sind gewohnt, körperliche und
gesundheitliche Angelegenheiten an ExpertInnen, sprich
den Arzt oder die Ärztin, zu delegieren. Bei ihnen besteht oftmals eine Autoritätsgläubigkeit, welche die ExpertInnenmeinung wichtiger einschätzt als das eigene
Befinden. Zudem hat der Arztbesuch eine soziale Funktion. Er ist auch eine Art, die Fürsoge einzufordern. Letztendlich muss der Bereich Prävention bei Frauen über 60
Jahren erst angeschoben werden, sowohl was die Angebote angeht als auch die Bereitschaft, sie zu nutzen, und
das Bewusstsein für ihre Notwendigkeit.
➤ Zu konstatieren ist bei älteren Frauen oftmals ein Informationsdefizit in Bezug auf Präventionsmöglichkeiten,
Patientinnenrechten und gesundheitliche Zusammenhängen. Um ihnen entgegenzuwirken, sind spezifische
Bildungs- und Informationsveranstaltungen notwendig,
die die Situation und Lebensbedingungen älterer Frauen
reflektieren und einbeziehen.
➤ Das Arzt-Patientin-Verhältnis muss genauer betrachtet
werden. Denn der Satz „Ich fühle mich nicht so gut”, von
Männern oder von Frauen ausgesprochen, wird offenbar
oft unterschiedlich interpretiert. Insbesondere wird bei
Frauen oftmals ein rein psychischer Hintergrund (Isolation, Einsamkeit, Kummer, Trauer) angenommen. Zu fordern ist eine Fortbildung von ÄrztInnen, die den Umgang
mit älteren Frauen und Männern schult. Nur so können in
der alltäglichen Praxis adäquate diagnostische und therapeutische Maßnahmen gewährleistet sowie psychosomatische Beschwerden richtig eingeschätzt werden.
➤ Prinzipiell schätzte die Arbeitsgruppe das „Abspeisen”
älterer Frauen mit Medikamenten und die Fehlmedikamentation, wie sie in der Berliner Altersstudie nachgewiesen wurde, als große Problematik ein.
➤ Die finanzielle Situation stellt häufig ein Problem dar:
Frauen haben oftmals weniger Geld als Männer ihrer Altersgruppe. Insbesondere wenn der Ehemann ins Heim
kommt, bleibt aufgrund der Heimkosten kaum Geld übrig für Ausgaben wie zum Beispiel der Gesundheitsförderung. Zu sehen ist aber auch, dass es viele als Zumutung
empfinden, für Gesundheitsmaßnahmen Geld ausgeben
zu müssen. Insbesondere in den neuen Bundesländern
sind die Menschen wenig gewohnt, hierfür Geld aufbringen zu müssen. Gerade auch im Altenbereich besteht die
„Gewohnheit”, Freizeit- und sonstige Angebote umsonst
32
ermöglicht zu bekommen. Das gestaltet es schwierig für
die Initiativen, die ihre Angebote nicht kostenlos anbieten können.
➤ Spezielle Angebote, die mögliche Gebrechen berücksichtigen, müssen entwickelt und angeboten werden: z.B.
Sitzgymnastik, Gedächtnistraining. Als besonders erstrebenswert wurden generationsübergreifende Aktionen
benannt. Hervorgehoben wurden auch die Möglichkeiten eines Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungstrainings, um alten Frauen das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln und so einer Isolation entgegenzuwirken, die zustande kommt, wenn sich SeniorInnen nicht
mehr auf die Straße trauen.
➤ Der Umgang mit alten Frauen muss bei Ansprechpersonen älterer Menschen geschult werden. Dazu gehört:
Ihre Fähigkeiten und Erfahrungen anzuerkennen; Motivation zu schaffen, ohne sie zu entmündigen; alte Frauen zu fordern und ihnen zuzutrauen; Konflikte auszutragen, statt künstliche und entmündigende Schutzräume
zu schaffen.
➤ Prinzipiell muss ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden: Hierzu gehört, die Pathologisierung des Alters - also
die Konzentration auf Krankheiten und die alleinige
Wahrnehmung alter Menschen unter dem Aspekt Beschwerden und Erkrankungen - zu vermeiden bzw. ihr
entgegen zu wirken. Hierzu gehört eine entsprechende
Öffentlichkeitsarbeit, in der auch die positiven Seiten des
Alters und des Alterns betont werden. Das Alter ist eine
neue Lebensphase, die eine Herausforderung darstellt
und neue Potenziale und Möglichkeiten eröffnet. In der
breiten Öffentlichkeit ist dies oftmals verdeckt. Die Auseinandersetzung mit dem Alter wird verdrängt durch
Ängste vor dem Altwerden und seinen Folgen. Demgegenüber muss durch Lobbyarbeit Raum geschaffen
werden für neue Leitbilder und positive Vorstellungen,
wenngleich auch die negativen Seiten des Älterwerdens
zugelassen werden müssen.
Arbeitsgruppe VI
Körperlichkeit von Frauen im Alter
Moderation: Anne-Bianca Büchner, Dipl. Geragogin, Braunschweig
In der geschlechtsspezifischen Alternsforschung erweist sich
die Auseinandersetzung mit der Körperlichkeit als Forschungslücke. Tendenziell wird das Altern in Bezug auf körperliche Veränderungen - wenn überhaupt - dann kohärent
mit Gesundheitsforschung bzw. Alternsmedizin analysiert.
Das Thema Körperlichkeit von Frauen im Alter interessiert
mich seitdem ich mein eigenes Altern bewusst erlebe. Zunächst mit einem Schrecken, später mit Ängsten und heute
mit Neugier nehme ich die permanenten Veränderungen
wahr.
Es ist mein Anliegen, eine neue Denkrichtung zur Annäherung an die Frage Frauen und Altern anzubieten. Es geht im
Wesentlichen darum, nach den “Herstellungsbedingungen”
von Körperlichkeit im Alter, unter dem Einflussfaktor “Geschlecht” zu suchen. Der Herstellungsmodus soll entschlüsselt werden. Beschriebene Gestaltungs- und Herstellungsarbeit soll in ihrem lebensweltlichen Kontext aufgenommen
werden. Ich möchte einige kleine Abschnitte aus meinem
Buch Frauen erleben Altern präsentieren und einige Aussagen aus den von mir interviewten Frauen wiedergegeben.
1. Körper-Geschichte
Frau D. gibt das fünfzigste Lebensjahr als Zeitraum an, in
dem für sie der Eindruck entsteht, im Prozess des Alterns einen neuen Abschnitt erreicht zu haben:
„... ab fünfzig habe ich gemerkt, dass das nicht mehr so
schnell geht, dass man wieder abnimmt”
Frau S. gibt körperliche Veränderungen als „Alternsindikatoren” an:
„... ich hatte ... trockene Schleimhäute und keine Freude an
diesen Dingen, die mir wehtaten ...”.
Nach Auftreten der genannten Ereignisse scheint die Beschäftigung mit dem Altern „virulenten” Charakter anzunehmen (...jetzt bin ich alt...), da weitere Ereignisse als Beleg
für das Altern angesehen werden.
2. Körper-Innenräume
Als Körper-Innenräume sollen die eigenen Anteile, Empfindungen und Wünsche der Interviewten zusammengefasst
werden.
Frau S. empfindet das Altern als schwierige Aufgabe bzw.
Last. Sie fühlt sich jünger als man es dem chronologischen
Alter gemäß erwartet und von den Jüngeren als „alt” ausgegrenzt.
Frau D. hat das Gefühl, „... dass man irgendwie ausgelassener sein möchte ...”.
3. Selbstbildnis
Die Befragten betrachten ihren Körper durch die Schablone
ihrer verinnerlichten Schönheitskriterien.
Frau D. beschreibt ihren Körper „wirklich, als alten Körper,
den ich als alt empfinde, obwohl er nicht schrumpelig ist”.
Frau H. bezeichnet ihren Körper als „Nich‚ gerade schön.
(lacht) Oma halt... Macht mir aber keine Probleme”.
Die interviewten Frauen bezeichnen sich selbst als hässlich.
Schlank sein wird mit gut fühlen verbunden. Der Bauch hat
für die Frauen eine besondere Bedeutung, er wird sehr kritisch bewertet und beeinflusst scheinbar das Selbstbild in
besonderer Weise. Die Lebenseinstellungen spiegeln sich im
Körperselbstbild und -empfinden wider.
4. Medienabbilder
Hierzu wurde den Frauen die Frage gestellt, welchen Einfluss die Medien ihrer Meinung nach auf ihre Körperlichkeit
haben. Die Antworten verdeutlichen, dass die Medien vor
allem für die Suche nach Identifikationsbildern herangezogen werden. Den Frauen fehlt es an Orientierungsbeispielen. So kritisieren die Befragten, dass die Medien in Bezug
auf Abbildungen von alten Frauen ein unreelles Bild produzieren. Darstellerinnen, die altersentsprechend natürlich
aussehen, würden zu selten gezeigt.
5. Einflüsse von außen
Hier geht es um die Reaktionen des sozialen Umfeldes auf
das körperliche Altern der Befragten.
Frau D.: „wenn ich mal (...) irgendwie besonders gut drauf
bin, und wir gehen spazieren, und ich hüpfe rum und würde
so irgendwie über die Wiese springen wollen, ... vom Gefühl
her, dann würde Gustav (Ehemann) schon sagen: „Komm,
was ist in dich gefahren”.
Frau S. glaubt, dass ihr Ehemann mit einer jüngeren Frau
zusammen ist, weil sie seinen sexuellen Wünschen nicht gerecht wird.
6. Familie als Einflussstätte
Frau S.: „Meine Töchter denken doch, die ist so stark, der
brauchen wir doch nicht zu helfen. Wenn ich was sag, tun
sie es doch ab.”
7. Zusammenfassung
In der Zusammenschau möchte ich einige Charakteristika
meiner Untersuchung pointiert aufzeigen. Die Interviews
zeigen Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Im Wesentlichen sind es die Motive Sexualität, Ästhetik, Gesundheit und
Wohlbefinden, die die beschriebenen Aspekte der Körperlichkeit akzentuieren. Übereinstimmend kann gesagt werden, dass die Frauen ihre Körperlichkeit durch die Schablone
ihrer biografischen Erfahrungen erleben. Zum Teil empfinden die Interviewten einen Mangel an Körperlichkeit, verstanden als Mangel an Selbstzufriedenheit mit dem Aussehen und dem Körperempfinden. Demgegenüber wurde das
Weibliche als positiver Aspekt des Körpers gesehen.
Die durchgeführten Interviews belegen, dass es eine Art
doppelte Identität zwischen gesellschaftskonformen Leben
und eigenem Erleben gibt, an deren Schnittstelle sich eine
balancesuchende Identität verortet, die auf patriarchale, systemerhaltende Mechanismen stößt. Die Unterschiede und
Gemeinsamkeiten in den Lebenswelten und gesellschaftlichen Erfahrungen im Umgang mit dem körperlichen Altern
machen sichtbar, wie Herrschafts- und Machtverhältnisse das
Selbsterleben der Frauen beeinflussen und wie unterschiedlich die Art ist, darauf zu reagieren.
Wenn zu belegen ist, dass das weibliche Alter in zentralen
Bereichen des gesellschaftlichen Systems Unterdrückungsmechanismen unterliegt, dann erfordert dies eine strukturelle Analyse und muss Teil einer feministischen Kritik sein.
33
Evaluation 1998: Rückblick und Ausblick
Dr. Ingrid Helbrecht-Jordan, Institut Frau und Gesellschaft
Ute Sonntag, Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e.V.
Schon unsere Großmütter wussten, wie wichtig es ist, Kontakte zu Gleichgesinnten aufzubauen, Informationen auszutauschen, sich wechselseitig zu bestärken und gemeinsam
bestimmte Ziele konsequenter und erfolgreicher verfolgen
zu können. Allerdings nannten sie diese hilfreichen Beziehungen Nachbarschaftshilfe und es ging eher um Aktivitäten im sozialen Nahraum. Seit Ende der 80er Jahre ist nun
eine verstärkte Vernetzung im öffentlichen und beruflichen
Bereich zu beobachten - zu den unterschiedlichsten Themen
und Intentionen und mit unterschiedlichster Zusammensetzung. Auch unter Frauen: Es gibt inzwischen rund 300 Frauen-Netzwerke in der Bundesrepublik, Berufsverbände noch
gar nicht mitgezählt (Röhring 1999: 9). Der Netzwerkgedanke hat Konjunktur ! Gerade deshalb ist es wichtig, in der eigenen Vernetzungspraxis immer wieder inne zu halten und
zu fragen, ob das eigene Netzwerk noch Sinn macht oder
sich schon längst überlebt hat.
Die hier angesprochene Notwendigkeit einer regelmäßigen Selbstvergewisserung steht in engem Bezug zu einem
Evaluationsverständnis, welches die Datenerhebung nicht
einseitig als Kontrolle, sondern als Beitrag der Wissenschaft
zu einer stetigen Qualitätsverbesserung der Praxis begreift
(vgl. Arnold 1994 sowie - konkretisierend - Helbrecht-Jordan/
Deitermann 1999). In diesem Sinne ist die alljährliche Evaluation des ‚Netzwerks Frauen/Mädchen und Gesundheit Niedersachsen‘1 Basis und Anregung für die gemeinsame Diskussion darüber, ob und wo Bedarf für eine Optimierung der Arbeit besteht und in welcher Form dies zur realisieren ist.
Der Bezugsrahmen
Sehr allgemein kann man ‚Evaluation‘ definieren als Erhebung und Auswertung von empirischen Daten, aufgrund derer nachvollziehbar wird, ob bzw. unter welchen Bedingungen die mit einer Maßnahme verknüpften Ziele in der Praxis
umgesetzt werden können. Deshalb sei zunächst noch einmal kurz in Erinnerung gerufen, wozu das ‚Netzwerk Frauen/Mädchen und Gesundheit Niedersachsen‘ eingerichtet
wurde.
Das Netzwerk Frauen/Mädchen und Gesundheit Niedersachsen wurde im Dezember 1995 - zum Abschluss der Tagung ‚Gesundheit von Mädchen und Frauen in der Kommune‘ - gegründet. Der Leitgedanke: Durch Bündelung und Austausch von Kenntnissen, Erfahrungen und Einflussmöglichkeiten auf Multiplikatorinnen-Ebene sollen die Chancen von
Mädchen und Frauen erweitert werden, „gesund zu leben„.
Wobei das Verständnis von Gesundheit im Sinne der WHO
breit gefasst ist: Es geht nicht nur um die Abwesenheit von
Krankheit, sondern um das physische, psychische und soziale
Wohlbefinden im Ganzen sowie um die Berücksichtigung des
Zusammenhangs von Lebensweisen und Gesundheit.
Konzipiert ist dieser Kooperationszusammenhang als
Netzwerk. Denn diese Struktur versprach, nicht zu unver––––––––––
1 Die Aktivitäten des ‚Netzwerks Frauen/Mädchen und Gesundheit Niedersachsen‘ werden schon seit seiner Gründung regelmäßig einmal im Jahr
einer Evaluation - organisiert und ausgewertet vom Institut Frau und
Gesellschaft unter Mitarbeit der Landesvereinigung für Gesundheit
Niedersachsen e.V. - unterzogen. Zur Auswertung der Evaluationsdaten der
letzten beiden Jahre vgl. Helbrecht-Jordan/Sonntag 1997 sowie HelbrechtJordan/Sonntag 1998.
34
bindlich zu sein, aber auch nicht die Hürde zu großer Verbindlichkeit - wie etwa bei einem eingetragenen Verein aufzurichten. Um beizutreten, genügt eine formlose schriftliche Erklärung. Sie gilt als Zustimmung zum eben genannten (und in der Programmatik ausgeführten) Basiskonsens
wie auch zu der Regelung, dass die Adressen zwecks Vernetzung und Kontaktaufnahme oder um Informationen zu verbreiten, untereinander weitergegeben werden können.
Inzwischen sind dreieinhalb Jahre vergangen und das
Netzwerk Frauen/Mädchen und Gesundheit Niedersachsen
hat sich stark erweitert: von damals 36 Gründungsfrauen auf
114 Mitglieder Ende 1998. Dieses Fortschreiten in der Zeit
und in der Größe war Anlass, die diesjährige Evaluation darauf auszurichten, Transparenz über die aktuelle Realität des
Netzwerks herzustellen: Wer oder was macht das Netzwerk
heute aus? Entspricht dieses Bündnis den - ursprünglich wie
auch aktuell - formulierten Erwartungen?
Ergebnisse der Evaluation
Quantitative Analyse: Wer ist aktuell am Netzwerk
beteiligt?
Um hierzu ein vollständiges Bild zu erhalten, wurde das Mitgliedsverzeichnis (mit Stand von Ende 1998) darauf hin gesichtet, wo die Frauen institutionell wie auch geographisch
verortet sind. Im Folgenden werden die Ergebnisse dieser
aktuellen Bestandsaufnahme bezogen auf zentrale Ansprüche des Netzwerks Frauen/Mädchen und Gesundheit Niedersachsen referiert.1
Der erste und zentrale Anspruch lautet: Das Netzwerk
dient der fach-, bereichs- und einrichtungsübergreifenden
Vernetzung von Multiplikatorinnen, die in ihren Gemeinden/
in ihrem Arbeitsfeld die Gesundheit von Mädchen und Frauen thematisieren und fördern wollen. In der Bestandsaufnahme wurde für 1998 folgende Mitgliedsstruktur ermittelt:
Abb. 1: Mitgliederstruktur des Netzwerkes Frauen/Mädchen
und Gesundheit Niedersachsen (1998)
Verbände Initiativen
4%
11%
Einzelpersonen
19%
Gesundheit
21%
Wissenschaft
10%
Pol./Öffentl.
4%
Bildung
4%
Gleichstellungsbeauftrage
27%
––––––––––
1
Eine Übersichts- bzw. Vergleichstabelle zu den nachfolgend diskutierten
Daten findet sich auf Seite
Wie aus Abb. 1 ersichtlich, ist das Netzwerk tatsächlich intersektoral. Diese breite Anlage dürfte eine gute Basis dafür
sein, dass unterschiedliche Disziplinen und Arbeitsfelder miteinander ins Gespräch kommen und gemeinsame Ansatzpunkte zur Förderung von Frauen-/Mädchengesundheit suchen bzw. entwickeln können.
Ein weiterer Anspruch ist, dass im Netzwerk alle Lebensräume Niedersachsens repräsentiert und berücksichtigt werden sollen.
Bestandsaufnahme ’98
Die Auszählung der aktuellen Mitgliedsliste ergibt folgendes
Bild:
➤ Hinsichtlich der Stadt-Land-Verteilung sind die großstädtischen Einzugsbereiche mit knapp 40% zwar am stärksten vertreten, doch engagieren sich immerhin jeweils
22% der Mitgliedsfrauen im ländlichen bzw. kleinstädtischen Raum. 16,7% der Multiplikatorinnen schließlich
verorten ihre Arbeit überregional.
➤ Ein weiteres Indiz für die Präsenz von verschiedenen Lebensräumen ist das Kriterium „Zuordnung zu Regierungsbezirken„. Die Sichtung der aktuellen Mitgliedsliste ergibt hierzu: Das Netzwerk ist ein landesweites
Bündnis - allerdings mit leichter Süd-Nord-Schieflage in
dem Sinne, dass der RB Hannover (mit 47%) über-, der
RB Weser-Ems (mit 19%) unterrepräsentiert ist.1 Ein
Grund für diese Differenz ist in der leichteren bzw.
––––––––––
1
20 % der Multiplikatorinnen sind im RB Braunschweig und 14 % im RB
Lüneburg tätig. Zum Vergleich: Der weibliche Bevölkerungsanteil liegt in
Niedersachsen insgesamt bei 3.966.100 Personen. Diese verteilen sich
prozentual auf die Regierungsbezirke wie folgt: RB Weser-Ems = 30 %; RB
Hannover = 27,8 %; RB Braunschweig = 21,7 %; RB Lüneburg = 20,4 %
(StAB 1997:51f).
schwereren räumlichen Erreichbarkeit von Netzwerk-Aktivitäten zu sehen. So konnten z.B. bei der 1998 in Göttingen durchgeführten Tagung ‚Schwangerschaft - viel
erreicht und nichts gewonnen?‘ Frauen aus dem Regierungsbezirk Braunschweig überproportional stark einbezogen werden.
Die bisherigen Aussagen beziehen sich nur auf Mitgliedsfrauen. Das Netzwerk hat aber auch den Anspruch, ein offener Arbeitszusammenhang zu sein. Für die Teilhabe (insbesondere) an den Tagungen ist Mitgliedschaft dementsprechend keine unverzichtbare Voraussetzung. Auch diesem Aspekt sind wir in der Bestandsaufnahme ’98 genauer
nachgegangen. Dabei ergab die vergleichende Zusammenschau der aktuellen Mitglieds- bzw. Teilnehmerinnen-Listen, dass gerade in 1998 die weitaus meisten Tagungsbesucherinnen - jeweils 78% (!) - nicht im Netzwerk organisiert waren. Dies ist ein Indiz für eine sehr große Offenheit
nach außen - insbesondere auch gegenüber Multiplikatorinnen, die sich nur zu speziellen Fragen von Frauengesundheitsförderung informieren und austauschen wollen. Dieser Zugang bewirkt auch, dass bei den „Nur„-Nutzerinnen
je nach Tagungsthema bestimmte Tätigkeitsfelder besonders stark bzw. schwach vertreten sind. Eine Übersicht zur
Zusammensetzung der Teilhabenden im Einzelnen gibt Tabelle 1.
Als Zwischenergebnis der Evaluation ´98 ist damit festzuhalten: Die vorliegenden quantitativen Eckdaten deuten
darauf hin, dass (auch) 1998 die strukturellen Voraussetzungen gegeben waren, durch Zusammenbindung unterschiedlichster Erfahrungen, Kenntnisse und Einflussmöglichkeiten
konstruktive Strategien zur Förderung der Gesundheit von
Frauen und Mädchen in Niedersachsen zu entwickeln. Damit
kommen wir zu der zweiten - inhaltlichen - Frage: Was soll,
was kann das Netzwerk leisten?
Tab. 1: Netzwerk Frauen/Mädchen und Gesundheit Niedersachsen 1998: Zusammensetzung der Teilhabenden im Überblick
Dimensionen
Tätigkeitsfelder
Stadt-Land-Verteilung
Regionale Verortung
(Regierungsbezirke)
Nutzung der NetzwerkTagung in 1998
Unterdimensionen
Mitgliedsstruktur
absol. (N=114) %
Teilnahme an 1. Tagung
absol. (N=102) %
Teilnahme an 2. Tagung
absol. (N=63)
%
Gleichstellungsstellen
Projekt/Initiative
Gesundheitswesen
Bildungsbereich
Verbände
Wissenschaft/Forschung
Interessierte Einzelpers.
Medien
30
13
24
5
4
11
22
3
26,5
11,4
21
4,4
3,5
9,6
19,3
2,6
25
18
13
9
8
9
11
2
24,5
17,6
12,7
8,8
7,8
8,8
10,8
2
1
11
32
1
5
10
1
1,6
17,5
50,8
1,6
7,9
15,9
1,6
Politischer Bereich
Ländlich
Klein-/Mittelstadt
Großstadt
Überregional
keine Angaben
2
25
25
45
19
-
1,7
21,9
21,9
39,5
16,7
-
6
24
30
30
11
(7)
5,9
25,3
31,6
31,6
11,6
-
2
5
7
37
13
(1)
3,2
8,1
11,3
59,7
21
-
18
13
45
19
(19)
18,9
13,7
47,3
20
-
15
19
45
7
(16)
17,4
22,1
52,3
8,1
-
3
2
13
30
(15)
6,3
4,2
27,1
62,5
-
30
-
26,5
-
22
80
21,6
78,4
14
49
22,2
77,8
Weser-Ems
Lüneburg
Hannover
Braunschweig
trifft nicht zu*
Mitgliedsfrauen
„Nur“-Nutzerinnen
(*=Personen, deren Arbeit überregional und/oder auf andere Bundesländer ausgerichtet ist)
Quelle: Mitglieds- bzw. TN-Listen 1998, NW Frauen/Mädchen und Gesundheit Nds.
35
Methodische Zwischenbemerkung
Um einen aktuellen Eindruck zu den im Netzwerk vorliegenden Erwartungen und Erfahrungen zu erhalten, haben wir
im Frühjahr 1999 eine eigene empirische Untersuchung
durchgeführt: Auf der Basis einer gewichteten Stichprobe
wurde ein Fünftel aller Frauen, die 1998 Mitglied im Netzwerk waren und/oder dessen Angebote genutzt haben,
stellvertretend intensiv befragt. Gearbeitet wurde dabei generell mit Telefon-Interviews - mit der Intention, Einschätzungen in diesem Jahr konkreter als beim sonst üblichen
„bloßen Kreuzchen„ fassen zu können. Die Resonanz bei
den Befragten war ausgesprochen positiv. Einige Frauen
merkten ausdrücklich an, dass sie diese Methode „sogar besser„ finden. Dies vor allem wegen des kommunikativeren
Charakters: „Da kann man sich austauschen und die Feinheiten kommen besser rüber„. Aber auch aus „Bequemlichkeit„: „Eigentlich ist das sogar sympathischer als der Fragebogen, denn ich brauche kein Papier auszufüllen und wegzuschicken„. Bemerkenswert ist auch der „Erinnerungswert„: „Durch den Anruf ist mir überhaupt erst wieder bewusst geworden, dass ich Mitglied bin. Und jetzt werde ich
doch noch mal genauer hinschauen, ob ich da etwas für
mich rausziehen, oder auch etwas reingeben kann.„2
Qualitative Analyse: Welche Erwartungen, welche Erfahrungen haben die Netzwerkerinnen?
Es wurde eben schon erwähnt, dass die Netzwerk-Tagungen,
in deren Vorbereitung und Durchführung auch 1998 sehr
viel Energie gesteckt worden ist, zum weitaus größeren Teil
von Nicht-Mitgliedern besucht wurden. Dieses Ergebnis stellt
im Vergleich zu den vergangenen Jahren, in denen die Tagungen immer auch ein Stück weit der zentrale Ort für Austausch unter den Mitgliedsfrauen war, eine Veränderung
dar. Aus diesem Grund wurde in der Evaluation ’98 genauer
untersucht: Wie organisieren die Mitgliedsfrauen aktuell
ihre Teilhabe am Netzwerk?
Ausdifferenzierung in Anspruch und Form der Teilhabe
Zwar hat nur jede vierte Mitgliedsfrau 1998 eine NetzwerkTagung besucht. Doch handelt es sich bei den übrigen keinesfalls nur um „Karteileichen„. Vielmehr kristallisieren sich
bei genauerer Betrachtung zwei Gruppen von „inaktiven
Mitgliederfrauen„ heraus:
➤ Bei etwa einem Fünftel ist davon auszugehen, dass das
Netzwerk für sie aktuell tatsächlich keine Bedeutung
mehr hat: Sie haben sich inzwischen beruflich völlig umorientiert, haben „andere Schwerpunkte“, die im Netzwerk„ kaum ansatzweise vorkommen“.
➤ Für den weitaus größeren Teil der auf den ersten Blick
„inaktiven“ Mitgliedsfrauen ist eine „stille“ Nutzung von
Netzwerkangeboten, insbesondere des Rundbriefs, kennzeichnend - gelegentlich verbunden mit einem leicht
„schlechten Gewissen“: „Ich muss gestehen: Ich war nur
Konsumentin“. Entscheidend hierfür waren Arbeitsverdichtung und knappe Zeitressourcen. In diesem Zusam––––––––––
2
Die hier und im weiteren kursiv gedruckten Formulierungen sind sämtlichst
Zitate aus den qualitativen Gesprächsmitschriften der o. g., im Frühjahr
1999 durchgeführten Erhebung.
36
menhang wird auch deutlich, dass diese Multiplikatorinnen für sich sehr genau schauen, ob sie sich Zeit zum Tagungsbesuch nehmen können. Und dabei erschienen ihnen offenbar die Themen der 1998er-Tagungen „nicht so
interessant“, „nicht so richtig passend“, „zu sehr im alternativen Bereich“.
Demnach stellt die einfache Variable ‚Tagungsteilnahme ja/
nein‘ kein hinreichendes Kriterium für eine angemessene
Einschätzung der jeweiligen Teilhabe am Arbeitszusammenhang Netzwerk dar. Insbesondere gerät dabei leicht aus dem
Blick, dass Tagungen zwar ein wichtiges, aber nicht das einzige Informationsforum des Netzwerks sind. Denn frau kann
sich ja auch über die hier herausgegebenen Print-Medien
Anregungen zur Förderung von Frauen-/Mädchengesundheit holen:
➤ Das ist zum einen der sog. Rundbrief, der zweimal pro
Jahr an alle Mitgliedsfrauen verschickt wird und die
Möglichkeit bietet, sich mit themenspezifischen Hinweisen zu versorgen, konkrete Beispiele aus der Arbeit vorzustellen, Anknüpfungspunkte für gemeinsame Aktivitäten zu entdecken.
➤ Das sind zum andern die Dokumentationen, in denen die
Referate und Arbeitsgruppenergebnisse der jeweiligen
Tagungen nachgelesen werden können.
Und in Bezug auf diese beiden Teilhabeformen deutet sich
in den diesjährigen Evaluationserhebungen ein durchaus hoher Nutzwert an:
➤ 80% der befragten Mitgliedsfrauen bedienen sich regelmäßig des Rundbriefs - häufig verbunden mit Wertungen wie sehr interessant, sehr informativ, sehr anregend
usw.
➤ Bei den Dokumentationen beträgt der Aufnahmegrad
54%. Sie gelten - wie der Blick auf die qualitativen Kommentare zeigt - als ein wunderbarer Service, so dass ich
auch etwas mitbekomme, wenn ich nicht dabei sein kann
bzw. auch als eine gute Vorbereitungsmöglichkeit, wenn
ich selbst etwas plane.
Damit ist als ein weiteres Zwischenfazit festzuhalten, dass in
1998 die Partizipation am ‚Netzwerk Frauen/Mädchen und
Gesundheit Niedersachsen‘ durchaus funktioniert hat. Folgendes Zitat aus der Telefonbefragung ist hier gleichsam als
Leitmotto zu lesen: „Ich fühle mich gut aufgehoben im
Netzwerk, selbst wenn ich nicht immer selbst präsent bin.“
Weiterführend ist dann aber zu fragen: Was macht dieses
Aufgehobensein genau aus?
Hohe Übereinstimmung mit dem Basiskonsens
In den Telefoninterviews haben wir gefragt: „Man kann an
vernetztes Arbeiten unterschiedliche Erwartungen haben.
Was erwarten Sie persönlich von Ihrer Mitgliedschaft im
‚Netzwerk Frauen/Mädchen und Gesundheit Niedersachsen‘?
Und: Wie weit haben sich diese Erwartungen für sie bislang
erfüllt?“ Im Ergebnis kristallisierten sich dabei recht gleichlaufende Erwartungen heraus. Demnach wollen die Frauen:
1. in Sachen Frauengesundheitsförderung fachlich auf dem
Laufenden bleiben,
2. Impulse wie auch Unterstützung für die eigene praktische Arbeit vor Ort erhalten,
3. die eigene Perspektive durch interdisziplinäre(n) Zusammenarbeit und Austausch erweitern.
Hier ergibt sich also eine große Übereinstimmung zum anfangs skizziertem Basiskonsens des Netzwerks. Für die Bilanzierung ist zu vermerken, dass die Befragten diese Erwartungen für ihre Person in der Netzwerk-Realität bislang im Großen und Ganzen als eingelöst erleben.
Eigens zu erwähnen ist schließlich noch ein Anspruch, den
jede dritte befragte Mitgliedsfrau an Vernetzung knüpft:
Die Mehrung der Chancen zu politischer Einflussnahme3 . In
den qualitativen Kommentaren wird das Netzwerk dabei als
„Sprachrohr“, als „Plattform“ konzeptualisiert, um „die Interessen von Mädchen und Frauen sichtbar zu machen und
auch politisch zu vertreten“. Hinsichtlich der Einlösung dieser politischen Dimension sind die Meinungen dann geteilt:
Die einen erleben das Netzwerk schon als eine Kraft, „die
politisch etwas bewegen kann“. Andere sehen gerade hier
ein Manko der bisherigen Arbeit, fordern „mehr politische
Vorstöße“, hoffen auf „mehr Kooperation mit Frauen aus
der Politik“. In diesem Zusammenhang steht auch der Ruf
nach verstärkter Öffentlichkeitsarbeit: „Das Netzwerk sollte
noch mehr Propaganda in der Öffentlichkeit machen. Damit
die Menschen merken, wie wichtig das Thema ist. Dann bekommt man auch in der Politik mehr durch.“ Zu erwägen sei
zudem „der Einstieg in die elektronische Vernetzung“ und
der „Aufbau einer homepage“.
Anregungspotenziale des Netzwerks
Ein weiteres Augenmerk der diesjährigen Netzwerkevaluation galt der Frage, ob und inwieweit die im Netzwerk entwickelten Ideen und Konzepte in der Praxis vor Ort als tragfähig, realistisch, relevant erlebt werden. Hier gaben rund
zwei Drittel der befragten Mitgliedsfrauen an, vom Netzwerk inspiriert worden zu sein.4 In den qualitativen Konkretisierungen hierzu lassen sich dann drei Anregungsdimensionen erkennen:
1. Anregung, sich mit neuen Fragestellungen auseinander
zu setzen, sich theoretisch weiterzubilden,
2. Sensibilisierung für „Nebentöne“ in der praktischen Einzelarbeit mit Frauen und Mädchen,
3. Impulse für die Entwicklung eigener gemeinwesenbezogener Aktivitäten in der Region (Veranstaltungen, workshops, Projekte, Arbeitskreise).
––––––––––
3
Bei der Frage, was das Netzwerk ihrer Auffassung nach vorrangig zu leisten
habe, geben die Befragten der ”Ermöglichung politischer Einflußnahme”
höchste Priorität (mit 34,8 %). Die weiteren Ränge: Fachliche Qualifizierung
(26 %), Interdisziplinarität (24 %), Erfahrungsaustausch (15 %).
4
Bei den ‚Nur‘-Nutzerinnen fand nur die Hälfte der Multiplikatorinnen für
sich ein solches Anregungspotential. Insbesondere an der Tagung ”Programme für die Zukunft” wurde bemängelt, daß ”die Beiträge zu
abgehoben” waren bzw. daß ”da kein Funke übergesprungen” ist.
Im Alltag dürften diese Dimensionen häufig auch miteinander verwoben sein - wie z.B. in dieser Aussage beschrieben: „Anregungen gab es auf jeden Fall. Denn sonst würden
wir hier nicht eine eigene Tagung machen. Für mich persönlich war es anregend, dass ich andere Perspektiven wahrgenommen habe und jetzt stärker in die Arbeit integriere.“
Möglichkeiten und Grenzen aktiver Mitarbeit
Ein weiterer, zentraler Anspruch des Netzwerks ist, dass die
Mitglieder die Ziele und Vorgehensweisen dieses Kooperationszusammenhangs aktiv mitgestalten sollen/können. Hierzu haben sich seit der Gründung vor dreieinhalb Jahren verschiedene Teilhabestrukturen herausgebildet:
➤ Zunächst die Organisationsgruppe. Sie tagt inzwischen
regelmäßig einmal im Monat und sieht ihre Aufgabe
darin, eingehende Anfragen zu bearbeiten und Perspektiven für eine Weiterentwicklung des Netzwerks anzudenken.
➤ Zunehmend an Bedeutung gewonnen haben die sog.
Planungsgruppen. Sie konstituieren sich für begrenzte
Zeit - nämlich zur Vorbereitung jeweils einer Netzwerktagung. An ihnen beteiligen sich neben interessierten
Netzwerkfrauen auch „fremde“ Expertinnen, die in Institutionen und Verbänden einschlägig zum Thema arbeiten.
➤ Die zeitlich jüngste Teilhabestruktur ist die Redaktionsgruppe - zuständig für die Erstellung der Rundbriefe.
Insgesamt hat diese Ausdifferenzierung dazu geführt, dass
etwa ein Viertel der Mitgliedsfrauen die Vernetzungsarbeit
mittragen und mitgestalten. Den Bedingungen und Effekten
einer solchen aktiven Partizipation sind wir im Rahmen der
Telefoninterviews genauer nachgegangen. Dabei ergab sich
folgendes Bild: 1/3 der Befragten hat sich bislang für eine
Mitarbeit in den genannten Teilhabeformen mobilisieren
lassen (am häufigsten genannt werden hier die Planungsgruppen). Zum überwiegenden Teil berichten sie von positiven Erfahrungen. Die qualitativen Kommentierungen verweisen dabei auf folgende förderlichen Aspekte: Bereitschaft zuzuhören, Akzeptanz untereinander, sich zusammenraufen, gute Strukturierung, Kontinuität und Verbindlichkeit der Teilnahme. Dies macht nicht nur die Zusammenarbeit produktiv, sondern beinhaltet auch die Chance zu
persönlichem Gewinn. Stellvertretend für alle hierzu folgendes Ankerzitat: „Die Mitarbeit bedeutet für mich Wissensgewinn und Diskussionsanreiz. Ich kann Sachen für mich mitnehmen, die ich zu Hause gebrauchen kann. Und wenn ich
zurückfahre, habe ich ein gutes Gefühl. Ich erlebe dann
mehr Engagement und Energie in mir. Ein Problem ist allerdings der Aufwand für das Kommen.“
Das Stichwort „Aufwand“ benennt zugleich die Hürde
für eine aktive Mitgestaltung der Netzwerkpolitik: Als
maßgeblich gilt dabei ganz offenbar der Faktor „Zeit“ (bei
weiten Anfahrtwegen auch die finanzielle Belastung).
Denn die abschlägigen Kommentare betonen immer wieder das eigene enge Arbeitszeitbudget und den Zwang,
andere Prioritäten (z.B. Verwaltungsreform) zu setzen. Eine
typische Aussage ist hier: „Das liegt schlicht an meiner Arbeitsüberlastung. Wenn ich wieder mehr Zeit habe, werde
37
ich auch wieder auf das Netzwerk zukommen.“ Anzumerken ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass immerhin
ein Viertel der Mitgliedsfrauen hinsichtlich der Frage nach
dem voraussichtlichen Ausmaß der eigenen Teilhabe am
Netzwerk in 1999 meinen bzw. hoffen, dass sie Zeit für eine
aktive Mitarbeit im Netzwerk werden aufbringen können.
dabei gesehen: Ein jährlicher Mitgliedsbeitrag - verbunden
mit „sozialer Staffelung“ und der „Möglichkeit, Tagungen
ermäßigt zu nutzen“. Oder: ein Dienstleistungsansatz, bei
dem „die Leistung kostendeckend honoriert wird“. Jede
vierte Frau lehnt Gebühren generell ab - weil „kein Budget
dafür“ da ist und/oder weil die Förderung des Netzwerks
„eine Landesaufgabe“ sei.
Zukunftsperspektiven
Im Sinne eines Ausblicks auf die weitere Entwicklung des
Netzwerks haben wir in den Telefoninterviews insbesondere
zwei Fragen thematisiert:
1. Wie ist das Meinungsbild bezüglich eines Abgehens von
der Beitragsfreiheit?
2. Zu welchen Themenschwerpunkten sollen im weiteren
Netzwerktagungen durchgeführt werden?
Die entsprechenden Ergebnisse werden abschließend kurz
zusammengefasst.
Perspektiven der Ressourcensicherung
Bislang ist die Mitgliedschaft im Netzwerk kostenfrei.
Machbar war dies dank der verbindlichen Bereitstellung
von Infrastruktur-Ressourcen durch die drei „Träger-Institutionen“: Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen,
Institut Frau und Gesellschaft (IFG) und das niedersächsische Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales. Ein neues
Dilemma bringt jedoch die Kostenfrage wieder auf den
Tisch: Einerseits mehren sich mit dem quantitativen und
qualitativen Wachstum dieses Frauengesundheitsbündnisses auch die Ausgaben für Vernetzungspraxis. Andererseits
muss mit einem weiteren Rückzug des Staates aus finanziellen Kann-Verpflichtungen gerechnet werden. Erschwerend kommt hinzu, dass das IFG zum 31.12. 1999 geschlossen werden muss, weil das Land seine Förderung einstellt womit das Netzwerk eine seiner drei Trägerinstitutionen
verliert.
Hinsichtlich des Umgangs mit dieser Problematik zeichnet sich in den Telefoninterviews folgende Grundstimmung
ab: 3/4 aller befragten Mitgliedsfrauen signalisieren Bereitschaft, über die Entrichtung von Gebühren als „Ausfallbürge“ einzuspringen: „Eine Beteiligung an den Kosten ist
o.k., wenn das Netzwerk sonst in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt würde.“ Zwei gangbare Wege werden
Perspektiven der inhaltlichen Weiterarbeit
Die anfangs benannte Orientierung des Netzwerks an den
Grundsätzen der WHO bringt es mit sich, dass prinzipiell ein
breites Spektrum an Fragestellungen, Konzepten und Methoden zur ‚Gesundheit von Frauen und Mädchen‘ zur Debatte
steht. Auf den Netzwerk-Tagungen wird - mit Fachvorträgen,
Praxisberichten und Arbeitsgruppen - Raum gegeben, sich mit
ausgewählten Themen vertieft auseinander zu setzen. Angesichts der - oben skizzierten - Vielfalt von Arbeitsfeldern und
disziplinären Zugängen sowie der engen Arbeitszeitbudgets
der Multiplikatorinnen ist es auch Aufgabe der Evaluation, die
spezifischen Interessen der Multiplikatorinnen zu eruieren.
Das sich in Tabelle 2 widerspiegelnde Meinungsbild deutet
darauf hin, dass das bislang praktizierte mehrdimensionale
Herangehen an das Thema ‚Gesundheit von Frauen und
Mädchen‘ bejaht wird. Typisch für diese Haltung ist z.B. folgender Kommentar einer Befragten: „Eigentlich sind alle
Schwerpunkte wichtig. Sie sind schwer zu vergleichen und
schwer zu gewichten“.
Was noch zu sagen bleibt
In lockeren Arbeitszusammenhängen können dreieinhalb
Jahre Laufzeit schon eine „Ewigkeit“ darstellen - stets verbunden mit dem Risiko der Erstarrung und Selbstzweckhaftigkeit. Im Falle des ‚Netzwerks Frauen/Mädchen und Gesundheit Niedersachsen‘ ist das „in die Jahre kommen“ jedoch als ein Ausbau- und Konsolidierungsprozess zu interpretieren. Dabei ist ihm sicherlich auch ein Stück weit der
Anstrich des ‚ganz Besonderen‘ abhanden gekommen, weil
die Zusammenarbeit jetzt auf „mehr Routine“ beruht. Doch
ist als abschließendes Fazit der vorliegenden Evaluationsergebnisse festzuhalten, dass dieses Bündnis nach wie vor „auf
dem richtigen Weg ist“ und frau auch weiterhin „auf eine
aktive Zukunft des Netzwerks hoffen“ darf.
Tab. 2: Tagungsschwerpunkte
Frage: Das Netzwerk hat bislang zum Thema
Frauengesundheit Tagungen in drei
Schwerpunktbereichen durchgeführt. Welche dieser
Dimensionen interessiert Sie persönlich mehr/weniger?
Ergebnis: Interessenten-Verteilung (in %)
(alle Befragten)
gering
mittel
hoch
1. Betrachtung des Zusammenhangs zwischen
Lebensbedingungen und Gesundheit
11
35
54
2. Betrachtung des Zusammenhangs zwischen
Lebensphasen und Gesundheit
8
37
55
3. Betrachtung von gesundheitsstrukturellen
Rahmenbedingungen
19
27
54
Quelle: Telefonbefragung zur Evaluation der Praxis des Netzwerks Frauen/Mädchen und Gesundheit Niedersachsen (Frühjahr 1999)
38
Zitierte Literatur:
-
-
-
-
Arnold, Rolf 1994: Qualitätssicherung in der Weiterbildung. In: Grundlagen der Weiterbildung (GdWZ) 1/1994
Helbrecht-Jordan, Ingrid; Deitermann, Bernhilde 1999:
„Wie sag’ ich’s meinen Eltern?“ - Die ‚Weiterbildung: Familienbegleitung’. Bilanz eines Praxisforschungsprojekts.
In: Zeitschrift für Frauenforschung 3/1999
Helbrecht-Jordan, I.; Sonntag, U. 1997: Ein Jahr Netzwerk
- wir ziehen Bilanz. Ergebnisse der quantitativen Untersuchung, in: „...weil ich ein Mädchen bin“- Lifestyle und
Gesundheit von Mädchen. Dokumentation der Tagung
des Netzwerks Frauen/Mädchen und Gesundheit Niedersachsen am 27.01.1997. Hannover
Helbrecht-Jordan, I.; Sonntag, U. 1998: Netzwerkentwicklung 1997 - Verbreiterung und Strukturbildung. Vortrag
auf der Tagung: „Programme für die Zukunft - Neue Impulse für eine frauenspezifische Gesundheitsförderung in
der Kommune“ am 01.07.1998 Hannover
Röhrig, Anja 1999: Das Netz der Frauen. In: Arbeitsmarkt
Bildung/Kultur & Sozialwesen 14/99
Statistisches Bundesamt (StBA) 1997: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1997. Wiesbaden
39
Informationen zum Netzwerk
Das Netzwerk Frauen/Mädchen und
Gesundheit Niedersachsen wurde Ende
1995 in Hannover gegründet. Es hat
sich zum Ziel gesetzt, der Diskriminierung von Frauen und Mädchen im und
durch das Gesundheitswesen konstruktiv zu begegnen.
Die Förderung von Frauen- und
Mädchengesundheit soll in den Kommunen verankert und etabliert werden. Dies geschieht durch Einbindung
interessierter Frauen, Organisationen
und Institutionen sowie der bereits
vorhandenen Aktivitäten vor Ort.
Das Netzwerk will Umsetzungsstrategien – auch für den polititschen
Raum – entwerfen, den Frauen Handlungsperspektiven in ihren regionalen
und kommunalen Bezügen eröffnen,
Informations- und Erfahrungsaustausch unterstützen und gewährleisten, die Kompetenzen der Mitgliedsfrauen fördern und insbesondere zu
Eigenaktivitäten anregen.
Multiplikatorinnen aus Verwaltung,
Verbänden, Institutionen und Initiativen, vorwiegend aus dem Gesundheits-,
Sozial- und Bildungsbereich, aber auch
aus Forschung und Lehre, beteiligen
sich an der Arbeit des Netzwerkes. Eine
40
große Gruppe bilden die kommunalen
Frauenbeauftragten, die Interesse am
Thema Frauengesundheit haben.
Das Netzwerk Frauen/Mädchen und
Gesundheit Niedersachsen wird ab
dem 1. Januar 2000 von dem Niedersächsischen Ministerium für Frauen,
Arbeit und Soziales und der Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e.V. getragen.
Das Netzwerk veranstaltet regelmäßig Tagungen, die jeweils dokumentiert werden.
Kontaktadressen:
Niedersächsisches Ministerium für
Frauen, Arbeit und Soziales
Ursula Jeß
Gustav-Bratke-Allee 2
30169 Hannover
Telefon (05 11) 120-29 70
Landesvereinigung für Gesundheit
Niedersachsen e.V.
Ute Sonntag
Fenskeweg 2
30165 Hannover
Telefon (05 11) 3 50 00 52