Juristisches Repetitorium Verwaltungsrecht AT Niedersachsen

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hemmer
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Fall 14, Seite 1 von 9
Fall 14
Hinweis:
Das Volksfest
In der Stadt W findet alljährlich am zweiten
Wochenende im Juni ein Volksfest auf dem
städtischen Marktplatz statt, der mehrmals im
Jahr für öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung gestellt wird. Dabei sind auch Veranstalter wie Schausteller usw. vertreten. Die Stadt
W schließt mit denjenigen Veranstaltern, die
sie zulässt, „Mietverträge“ ab.
Es ist davon auszugehen, dass das Volksfest
nicht nach der GewO festgesetzt ist.
Der Schausteller M, der bereits in früheren
Jahren zugelassen war, wurde auch dieses
Jahr zugelassen. Seine Ehefrau F, die ein von
M unabhängiges Schaustellergeschäft betreibt,
wurde dagegen von der Stadt W mit Bescheid
vom 1. Juni nicht zugelassen mit der Begründung, die Begrenztheit des Platzes verlange
eine Auswahl, wobei „Doppelverdiener“ zurückstehen müssten. Dabei sei M der Vorzug
zu geben, da er seit Jahren zugelassen und
daher „bekannt und bewährt“ sei, während F
die Erstzulassung begehrt.
Sowohl M als auch F haben in der Stadt W ihren Wohnsitz.
Mit formgerechter Klage vom 14. Juni beantragte F beim örtlich zuständigen Verwaltungsgericht die Feststellung, dass die Ablehnung
ihrer Zulassung zu dem Volksfest rechtswidrig
war. F hielt diese Klage für erforderlich, da sie
auf jeden Fall im nächsten Jahr an dieser Veranstaltung teilnehmen wollte und wieder mit
einer Ablehnung aus den gleichen Gründen
rechnete.
Wie wird das Gericht entscheiden?
Abwandlung:
Die Stadt hat auch mit der F einen Mietvertrag
abgeschlossen, diesen jedoch kurz vor Beginn
des Volksfestes wieder gekündigt.
Ist eine Klage der F zum Verwaltungsgericht zulässig?
RAe Dr. Schlömer/Daxhammer
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Fall 14, Seite 2 von 9
neben der Erfüllung gemeindlicher Aufgaben
der Widmungsakt.2 Dabei unterliegt der Widmungsakt keinen förmlichen Voraussetzungen.
Die Widmung kann durch Satzung, durch einfachen Ratsbeschluss oder durch konkludentes
Handeln („tatsächliche Indienststellung“) erfolgen. Es muss nur der Wille der Gemeinde erkennbar sein, die Einrichtung der Allgemeinheit
zur Verfügung zu stellen.
Lösung Fall 14
Die Klage hat vor dem Verwaltungsgericht Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und soweit
sie begründet ist.
A.
Verwaltungsrechtsweg, § 40 I VwGO
I.
Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
Das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit bestimmt sich hier nach der Natur des
zwischen der Stadt W und F tatsächlich bestehenden Rechtsverhältnisses, wie es sich aufgrund des festgestellten Lebenssachverhaltes
ergibt. Öffentlich-rechtlich sind dabei Streitigkeiten, deren Streitgegenstand sich nach öffentlich-rechtlichen Normen beurteilt. Es ist deshalb
zu prüfen, aus welchen Normen sich ein Anspruch der F auf Zulassung ergeben könnte und
erst dann ist festzustellen, ob diese Normen
dem öffentlichen Recht oder dem Privatrecht
angehören.
1.
§§ 60b II i.V.m. 70 I GewO
Als Anspruchsgrundlage kommt §§ 60b II i.V.m.
70 I GewO in Betracht.
Es handelt sich vorliegend um ein Volksfest
i.S.d. § 60b I GewO. Diese Vorschrift enthält
aber lediglich eine Legaldefinition und besagt
nichts über den strittigen Zulassungsanspruch.
Eine Handlungsbefugnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts könnte allein aus § 70 II GewO entnommen werden, der über § 60b II GewO entsprechend angewendet werden kann.
§ 70 GewO setzt aber voraus, dass die Veranstaltung gemäß § 69 GewO von der Verwaltung
festgesetzt ist. Da dies lt. Sachverhalt nicht der
Fall ist, ist §§ 60b II i.V.m. 70 I GewO als Anspruchsgrundlage abzulehnen.
2.
§ 22 I NGO
Ein Anspruch auf Zulassung könnte sich aus
§ 22 I NGO (nach neuer Rechtslage: § 30
NKomVG) ergeben. Dann müsste es sich bei
dem Volksfest um eine öffentliche Einrichtung
der Gemeinde handeln.1 Unter diesem in der
Gemeindeordnung nicht definierten Begriff versteht man Einrichtungen, die von der Gebietskörperschaft durch Widmungsakt der allgemeinen Benutzung durch ihre Einwohner und in ihrem Gebiet niedergelassenen Vereinigungen
zugänglich gemacht und die von der Gemeinde
im öffentlichen Interesse unterhalten werden,
egal in welcher Form sie in Erscheinung treten.
Entscheidend für das Vorliegen einer öffentlichen Einrichtung einer Gemeinde ist demnach
Merke:
Voraussetzungen einer öffentlichen Einrichtung
i.S.v. § 22 I NGO / § 30 NKomVG:
 Einrichtung der Gemeinde
 Widmungsakt
 im öffentlichen Interesse unterhalten
Laut Sachverhalt findet das Volksfest auf einem
im öffentlichen Eigentum stehenden Platz statt,
der öfter für öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung gestellt wird. Indiz für das Vorhandensein einer (konkludenten) Widmung ist weiterhin
die Tatsache, dass die Einrichtung und Unterhaltung eines Volksfestes im Bereich der örtlichen Kulturpflege anzusiedeln und damit eine
Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises
der Gemeinde ist.
Im Übrigen spricht selbst dann, wenn eine
Widmung für eine Einrichtung, die eine Gemeinde in ihrem Aufgabenbereich geschaffen
hat, nicht nachweisbar oder aus Indizien nicht
zwingend ableitbar ist, eine Vermutung dafür,
dass sie als öffentliche Einrichtung organisiert
ist.3
Nach alledem kann festgestellt werden, dass es
sich bei dem Volksfest um eine öffentliche Einrichtung i.S.v. § 22 I NGO / § 30 NKomVG handelt.
Anmerkung:
Für den Fall, dass es an einer eindeutigen Erklärung fehlt, hat die Rechtsprechung einen
derartigen Erklärungswillen aus Indizien abgeleitet, etwa aus der Benutzungsordnung, allgemeinen Vertragsbedingungen oder der Vergabepraxis sowie aus einem tatsächlichen Willen.
Wenn nach diesen Indizien ein Erklärungswille
hinsichtlich der Natur der Einrichtung nicht feststellbar ist, hat die Rechtsprechung die Vermutungsregel entwickelt, dass für die Allgemeinheit
nutzbare kommunale Einrichtung „öffentliche“
Einrichtungen sind4.
Probleme ergeben sich, wenn die Einrichtung
durch einen Träger privater Rechte betrieben
wird.
2
1
Zum diesem Problemkreis vgl. L&L 2000, 58 ff. (Münchener
Oktoberfest).
RAe Dr. Schlömer/Daxhammer
3
4
Vgl. KÖRNER, § 18, Rn. 1; BayVGH, BayVBl. 1989, 149.
Vgl. BayVGH, BayVBl. 1989, 149.
GERN, Deutsches KommunalR, S. 293.
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Hier kann sich nämlich die Gemeinde auch der
Einrichtung entledigt und sie damit „entwidmet"
haben, indem sie diese völlig auf den privaten
Träger übertragen hat. Sie kann aber auch weiterhin Mitspracherechte haben, z.B. aufgrund
eines vertraglichen Vorbehalts oder aus gesellschaftsrechtlichen Befugnissen.
In solchen Fällen scheidet zwar ein Zulassungsanspruch aus § 22 I NGO / § 30 NKomVG
gegen die Gemeinde aus. In Betracht kommt
jedoch ein öffentlich-rechtlicher Verschaffungsanspruch5. Fraglich ist dann die statthafte Klageart. Vertretbar ist eine allgemeine Leistungsklage, da das von der Gemeinde begehrte Handeln – Einwirken auf den Träger der Einrichtung
– ein reines Realhandeln darstellt. Diskutiert
wird auch eine Lösung über die Verpflichtungsklage. Begründen lässt sich dies damit, dass die
Entscheidung der Gemeinde über das Bestehen
des Verschaffungsanspruchs gegenüber dem
Bürger einen Verwaltungsakt darstellt.
Fall 14, Seite 3 von 9
dahinstehen, es liegt eine öffentlich-rechtliche
Streitigkeit vor.
II.
B.
Zulässigkeit der Klage
I.
Statthafte Klageart
1.
Damit käme ein Zulassungsanspruch aus § 22 I
NGO / § 30 NKomVG in Betracht und es würde
sich damit um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i.S.d. § 40 I VwGO handeln, da die Vorschriften der NGO / des NKomVG unzweifelhaft
dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind.
3.
5
6
7
RAe Dr. Schlömer/Daxhammer
Verpflichtungsklage
Die Zulassung stellt einen (begünstigenden)
Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG i.V.m.
§ 1 I NdsVwVfG8 dar, der grundsätzlich mit der
Verpflichtungsklage nach § 42 I 2. Alt. VwGO zu
erstreiten ist.
Jedoch ist das Volksfest mittlerweile beendet
und der von F erstrebte Verwaltungsakt hat sich
damit durch Zeitablauf erledigt9. Damit scheidet
die Verpflichtungsklage als statthafte Klageart
aus, da sie nunmehr sinnlos wäre.
Anmerkung
Eine Erledigung liegt vor, wenn die mit dem VA
verbundene rechtliche Beschwer nachträglich
weggefallen ist, d.h. wenn sein vollziehungsfähiger Inhalt gegenstandslos geworden ist. Entscheidend ist also der Wegfall des Regelungsgehaltes der Verwaltungsmaßnahme10.
Problem: Abschluss von Mietverträgen
Problematisch könnte noch sein, dass die Stadt
W Mietverträge mit den zugelassenen Schaustellern abgeschlossen hat. Hiervon wird jedoch
nur das Benutzungsverhältnis zwischen der
Stadt und den Schaustellern betroffen, also
(quasi auf der zweiten Stufe) die Frage des
„wie“ der Ausgestaltung des durch die Zulassung begründeten Rechtsverhältnisses. Davon
zu unterscheiden ist aber (auf der ersten Stufe)
die Entscheidung über die Zulassung zu der öffentlichen Einrichtung. Diese Frage über das
„ob“ der Zulassung ist stets öffentlich-rechtlich
zu beurteilen (Zweistufentheorie6).
Nach anderer Ansicht ist diese Theorie abzulehnen, da ein einheitlicher Lebenssachverhalt
künstlich aufgespalten werde. Vielmehr sei der
gesamte Sachverhalt öffentlich-rechtlich zu beurteilen (sog. öffentlich-rechtliches Einheitsmodell).7
Da im vorliegenden Fall die Entscheidung über
die Zulassung - und damit die erste Stufe i.S.d.
Zweistufentheorie - betroffen ist, kann der Streit
Vgl. zum Ganzen eingehend Maurer, Verwaltungsrecht AT,
§ 3, Rn. 26 a.E., wobei die dort zitierte abweichende Meinung von Ossenbühl im Hinblick auf BVerwG BayVBl. 1991,
600 nicht haltbar ist.
Vgl. KOPP/SCHENKE, § 40 VwGO, Rn. 20; HEMMER/WÜST,
VerwR II, Rn. 6.
vgl. Ossenbühl DVBl. 73, 289.
Da die Streitigkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Art ist und eine andere Rechtswegzuweisung nicht besteht, ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 I VwGO eröffnet.
2. Fortsetzungsfeststellungsklage
Bei dieser Sachlage könnte als statthafte Klageart die Fortsetzungsfeststellungsklage analog
§ 113 I 4 VwGO in Frage kommen, da Erledigung des VA durch den Zeitablauf vorliegt.
Hier ist streitig, ob bei Erledigung vor Klageerhebung, § 113 I 4 VwGO analog angewandt
wird, oder ob auf § 43 VwGO abgestellt werden
kann.
Das BVerwG hat diese Frage in einer jüngeren
Entscheidung (NVwZ 2000, 64) offen gelassen.
Es könnte an einer Regelungslücke fehlen,
wenn die Feststellungsklage gem. § 43 I VwGO
statthaft ist.
a.
Für die Feststellungsklage wird vorgebracht,
dass diese Klageart statthaft ist, da die Berechtigung der Behörde den Verwaltungsakt zu erlassen, ein dann erledigtes, aber feststellungsfähiges Rechtsverhältnis darstellt. Es
wird insbesondere auf den Vergleich mit der
vorbeugenden Feststellungsklage hingewie8
9
10
Auf den Zusatz wird nachfolgend verzichtet.
Vgl. HEMMER/WÜST, VerwR II, Rn. 109 ff.
Vgl. HEMMER/WÜST, VerwR II, Rn. 107 f.
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Fall 14, Seite 4 von 9
könnte der Bürger die Feststellung betreiben,
wenn er irgendein anerkennenswertes Interesse
hat, im Fall der Erledigung nach Klageergebung
nur in ganz bestimmten Fallgruppen. Zum zweiten ergeben sich Unterschiede hinsichtlich des
Klagegegners, da bei der Feststellungsklage
das allgemeine Rechtsträgerprinzip Anwendung
findet, bei der Fortsetzungsfeststellungsklage
aber § 78 VwGO analog angewandt wird. Zum
dritten bestehen Unterschiede hinsichtlich Tenor
und Rechtskraft eines Urteils, da bei der Fortsetzungsfeststellungsklage sehr präzise die
Feststellung getroffen wird, dass der konkrete
Verwaltungsakt rechtswidrig war. Dies ist bei
der allgemeinen Feststellungsklage nicht der
Fall, da nicht der Verwaltungsakt, sondern nur
die Normen, die zu seinem Erlass ermächtigt
haben im Vordergrund stehen.
Daher ist die Fortsetzungsfeststellungsklage
analog § 113 I 4 VwGO die richtige Klageart.
sen, wo die Frage, ob aufgrund einer Norm
künftig ein Verwaltungsakt erlassen werden
kann, ebenfalls ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis darstellt. Schließlich sei die allgemeine Feststellungsklage auch nicht subsidiär.
Aus dem Wortlaut des § 43 II VwGO, „hätte verfolgen können“, folge lediglich, dass der Kläger
vor Erledigung des Verwaltungsakts fristgerecht
Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erheben
muss. Sinn der Subsidiarität sei es die Umgehung der strengen Sachurteilsvoraussetzung
der anderen Klagearten zu verhindern. Bei vorprozessualer Erledigung des Verwaltungsaktes
innerhalb der Frist, bestehe diese Umgehungsgefahr nicht mehr, die Feststellungsklage sei
daher nicht subsidiär. 11
b.
Für die Beibehaltung der analogen Anwendung von § 113 I 4 VwGO wird eingewandt,
dass der Verwaltungsakt kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis darstelle.12 Auch sei
die Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsakts
nicht auf die Feststellung eines Rechtsverhältnis
gerichtet. Aus dem Text des § 43 II VwGO,
„hätte verfolgen können“ ergebe sich, dass
die Feststellungsklage auch subsidiär sei bei Erledigungssituationen, denn vor Erledigung der
Verwaltungsaktes hätte der Kläger schließlich
Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erheben
müssen.13
Anmerkung:
Eine andere Ansicht ist hier selbstverständlich
gut vertretbar.
Ein sehr gute Zusammenfassung des Streitstandes findet sich auch bei Schenke JuS
2007, 697.
Anmerkung:
Genau genommen handelt es sich im vorliegenden Fall um eine in zweifacher Hinsicht analoge Anwendung des § 113 I 4 VwGO.
§ 113 I 4 VwGO regelt unmittelbar nur den Fall,
dass sich der angegriffene Verwaltungsakt nach
Erhebung, aber noch vor Entscheidung einer
Anfechtungsklage erledigt.
Die erste Analogie ergibt sich aus der Anwendung des § 113 I 4 VwGO auf die Situation der
Verpflichtungsklage.
Die zweite Analogie ergibt sich daraus, dass
§ 113 I 4 VwGO auch dann anwendbar ist, wenn
sich der Verwaltungsakt schon vor der Klageerhebung erledigt hat.
Dies wird damit begründet, dass aufgrund von
Art. 19 IV GG auch für diese Konstellation
Rechtsschutz gewährleistet sein muss. Zudem
sei nicht einzusehen, „warum die Erledigung unterschiedlich behandelt werden soll, zumal es
häufig - besonders bei kurzlebigen Verwaltungsakt - vom Zufall oder der mehr oder weniger schnellen Bearbeitung durch die Behörde
abhängt, ob im Zeitpunkt der Erledigung des
Verwaltungsakts die Klage schon erhoben ist“.15
Allerdings fehlt angesichts gegenwärtiger
Rechtsbetroffenheit bzw. Ansprüche die analogiebegründende Lücke, wenn bei nichtregeln-
c.
Insgesamt ist der zuletzt genannten Ansicht
der Vorzug zu geben. Zwar überzeugt das Argument, der Verwaltungsakt sei kein Rechtsverhältnis nicht, da die Befugnis einen Verwaltungsakt zu erlassen ein feststellungsfähiges
Rechtsverhältnis darstellt. Gegen die Anwendung von § 43 I VwGO spricht aber, dass es
dann vom Zufall, nämlich dem Erledigungszeitpunkt abhängen würde, ob die Feststellungsklage oder die Fortsetzungsfeststellungsklage
statthaft ist. Dies ist problematisch, da es hier
zu System- und Wertungswidersprüchen
kommt:14 Zum einen ist das Feststellungsinteresse bei § 43 I VwGO wesentlich weiter zu
verstehen, als das Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei § 113 I 4 VwGO, wo nur bestimmte
Fallgruppen anerkannt sind. Dies könnte im Ergebnis zu einer Mehrbelastung der Gerichte
führen, und im Fall vorprozessualer Erledigung
11
12
13
14
Renck JuS 1970, 113 f.; Schoch/Pietzcker § 42 I VwGO
Rn. 86; Schrödter DVBl 1973, 366.
Rozek JuS 2000, 1162; Fechner NVwZ 2000, 127.
Schmitt-Glaeser/Horn Vewaltungsprozeßrecht, Rn. 361.
Kopp/Schenke § 113 Rn. 99 m.w.N.; Ehlers Jura 2001, 415;
Schenke NVwZ 2000, 1255.
RAe Dr. Schlömer/Daxhammer
15
EYERMANN/FRÖHLER, § 42 VwGO, Rn. 191.
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Fall 14, Seite 5 von 9
setzt aber grundsätzlich nach ihrem Anwendungsbereich nur eine bereits begonnene Klage
fort, das heißt, wenn schon diese ursprüngliche
Klage wegen Verfristung unzulässig ist, dann
kann diese Unzulässigkeit nicht durch eine (zufällige) Erledigung umgangen werden.17
Ob jedoch bei der Fortsetzungsfeststellungsklage ein Vorverfahren durchzuführen ist, wenn
das erledigende Ereignis noch vor Ablauf der
Widerspruchsfrist eintritt, ist umstritten.
Mindermeinung: Vorverfahren erforderlich
Nach einer Ansicht ist auch bei dieser Konstellation ein Widerspruchsverfahren durchzuführen.18 Der Zweck des Vorverfahrens liege primär in der Selbstkontrolle der Verwaltung und
dieser Zweck könne auch durch die Feststellung
der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts erreicht werden.
H.M.: Vorverfahren nicht erforderlich
Die herrschende Meinung lehnt dagegen die Erforderlichkeit eines Vorverfahrens bei Erledigung vor Ablauf der Widerspruchsfrist ab.19 Der
Zweck des Vorverfahrens - der in der Situation
der Verpflichtungsklage im Erlass des begehrten Verwaltungsakts besteht - könne nicht mehr
erreicht werden, die Durchführung wäre reiner
Formalismus.
Zudem bindet die Feststellung der Rechtswidrigkeit durch die Behörde andere Behörden
nicht; dem Bürger sei daher sofort gerichtlicher
Schutz zuzusprechen.
Hier wird der herrschenden Meinung aufgrund
der überzeugenderen Argumentation gefolgt.
dem Verwaltungshandeln ein „Rehabilitationsinteresse“ oder „Wiederholungsgefahr“ gegeben
sind. Dann gilt § 43 VwGO.16
Beachten Sie im Übrigen die Ausführungen zur
Fortsetzungsfeststellungsklage in den Polizeirechtsfällen.
Die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage setzt voraus, dass die ursprüngliche Klage, hier die Verpflichtungsklage, zulässig war.
Zu prüfen sind also die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verpflichtungsklage - abgesehen
von Verwaltungsrechtsweg und Statthaftigkeit,
da diese schon geprüft wurden.
II.
Klagebefugnis, § 42 II VwGO analog
Die F müsste im Zeitpunkt der Erledigung einen
möglichen Anspruch auf Zulassung zu dem
Volksfest gehabt haben. Ein solcher Anspruch
könnte sich möglicherweise aus § 22 I NGO /
§ 30 NKomVG ergeben.
Somit ist die F klagebefugt.
Weiter kommt ein Verletzung der F in ihren
Grundrechten aus Art. 3 I, 6 I und 12 I GG in
Betracht. Auch dies scheint nach dem Sachverhalt zumindest als möglich, so dass die F auch
insoweit klagebefugt ist.
Anmerkung:
Aus Art. 3 GG allein folgt niemals ein Anspruch
auf Gleichbehandlung, da er kein subjektives
Recht des Bürgers normiert. Das subjektive
Recht muss bestehen, es ergibt sich entweder
aus anspruchsbegründenden Spezialnormen
oder subsidiär aus den Freiheitsgrundrechten
III.
Anmerkung:
Vom BVerwG wird die Durchführung eines Vorverfahrens nach Erledigung nicht nur für entbehrlich, sondern sogar für unstatthaft gehalten,
da § 68 VwGO die Widerspruchsbehörde nicht
zu Entscheidungen gemäß § 113 I 4 VwGO ermächtige. Dies erscheint jedoch im Hinblick auf
§ 44 VwVfG fragwürdig: Wenn die Verwaltung
die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts feststellen
kann, dann muss dies erst recht für seine
Rechtswidrigkeit gelten. Die Frage ob unstatthaft oder nur entbehrlich kann jedoch grundsätzlich bei der Zulässigkeitsprüfung der Fortsetzungsfeststellungsklage offengelassen werden.
Vorverfahren, §§ 68 ff. VwGO
Die Durchführung eines Vorverfahrens gem.
§ 68 I VwGO ist gem. § 68 I 2 VwGO, § 8a Nds.
AGVwGO nicht erforderlich, da die Vorschriften
der NGO nicht zu den in § 8a III Nds. AGVwGO
genannten Ausnahmen zählen.
Exkurs:
Auch wenn das Vorverfahren nicht gesetzlich
ausgeschlossen wäre, wäre fraglich, ob und
wann es im bei der Fortsetzungsfeststellungsklage durchzuführen ist.
Dass die Durchführung eines Vorverfahrens
(sofern es nicht ausgeschlossen ist) erforderlich
ist, wenn das erledigende Ereignis erst nach
Ablauf der Widerspruchsfrist eingetreten ist, ist
unumstritten.
Dann wäre nämlich eine Anfechtungs- oder
Verpflichtungsklage wegen Fristversäumung
unzulässig; die Klage nach § 113 I 4 VwGO
IV.
17
18
16
ROZEK, JuS 1995, 416.
RAe Dr. Schlömer/Daxhammer
19
Klagefrist
Strittig ist, ob die Erhebung der Fortsetzungsfeststellungsklage fristgebunden ist.
HEMMER/WÜST, Basics ÖR, Rn. 576.
KOPP/SCHENKE, § 68 VwGO, Rn. 34.
Vgl. zur h.M. HEMMER/WÜST, Basics-ÖR, Rn. 577 ff.
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Fall 14, Seite 6 von 9
ses die Vorfragenkompetenz habe, inzident
über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts
zu entscheiden. Das Führen von zwei Prozessen widerspräche dem Grundsatz der Prozessökonomie.
Die Gegenmeinung leitet dagegen aus der Garantie des effektiven Rechtsschutzes gemäß
Art. 19 IV GG einen Anspruch auf den sachnäheren Richter ab. Nur der Richter am Verwaltungsgericht solle über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes entscheiden können.
Zu folgen ist wohl der herrschenden Meinung.
Dass es keinen absoluten Anspruch auf den
sachnäheren Richter gibt, folgt aus der gesetzliche Wertung des § 17 GVG n.F., wonach Prozesse im jeweils angegangenen Rechtsweg
durchzuentscheiden sind, auch wenn Teilfragen
anderen Rechtsgebieten zuzuordnen sind. Somit kann die Vorbereitung von Amtshaftungsprozessen bei der analogen Anwendung des
§ 113 I 4 VwGO kein Feststellungsinteresse
mehr begründen.
Nach einer Ansicht ist § 74 II, I 2 VwGO auf die
Fortsetzungsfeststellungsklage analog anzuwenden, da auch bei dieser Klageart ein Vorverfahren nicht erforderlich ist, sie aber als Unterfall der Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage
fristgebunden sein müsse.
Nach herrschender Meinung20 ist keine Klagefrist einzuhalten. Fristen dienen der Rechtssicherheit. Bei erledigten Verwaltungsakten könne es aber nicht darum gehen, möglichst
schnell zu klären, ob der Verwaltungsakt
rechtswidrig war.
Die Verwaltung wird zudem durch das Erfordernis des Feststellungsinteresses und dem Institut
der Verwirkung vor einer Klage noch Jahre nach
Erledigung geschützt
Hier kann der Streit jedoch offen bleiben, da,
auch wenn man mit der ersten Ansicht die Fristgebundenheit bejaht, die F hier innerhalb der
Monatsfrist des § 74 II, I 2 VwGO Klage erhoben hat.
Anmerkung:
Soweit eine Streitfrage offen bleiben kann,
muss sie von Ihnen nicht unbedingt entschieden
werden; insbesondere dann nicht, wenn die
Frage obergerichtlich kontrovers diskutiert wird.
V.
Fortsetzungsfeststellungsinteresse
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist gemäß
§ 113 I 4 VwGO nur zulässig, wenn der Kläger
ein berechtigtes Interesse an der Feststellung
hat. Als Feststellungsinteresse gilt jedes anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art.
Anerkannt sind insbesondere:
 das Vorliegen einer konkreten Wiederholungsgefahr;
 ein Rehabilitationsinteresse (insbesondere
bei diskriminierenden Verwaltungsakten);
 die Vorbereitung eines Amtshaftungsanspruchs;
Vorliegend ergibt sich das Fortsetzungsfeststellungsinteresse daraus, dass die F auch in Zukunft an dem jährlich stattfindenden Volksfest
teilnehmen will und deshalb die konkrete Gefahr
einer Wiederholung der angegriffenen behördlichen Entscheidung besteht.
VI.
Klagegegner, § 78 VwGO
Klagegegner ist nach dem Rechtsträgerprinzip
des § 78 I Nr. 1 VwGO die Stadt W.
VII.
Beteiligungs- und Prozessfähigkeit, §§ 61 f.
VwGO
Die F ist gemäß §§ 61 Nr. 1, 62 I Nr. 1 beteiligten- und prozessfähig.
Die Stadt muss sich im Prozess durch den Bürgermeister vertreten lassen, § 62 III VwGO
i.V.m. § 86 I 2 NKomVG.
VIII.
Zuständigkeit und Form
Laut Sachverhalt hat F die Klage beim sachlich
und örtlich zuständigen Verwaltungsgericht
(§§ 45, 52 VwGO) erhoben und die Vorschriften
über die ordnungsgemäße Klageerhebung
(§§ 81 f. VwGO) beachtet.
IX.
Zwischenergebnis
Nach alledem ist die Klage zulässig.
C.
Begründetheit der Klage
 ein sonstiger schwerwiegender Grundrechtseingriff (neue Fallgruppe des Bundesverfassungsgerichts).21
Anmerkung:
BVerwG und h.M. gehen nunmehr davon aus,
dass die Vorbereitung eines Amtshaftungsanspruchs bei der analogen Anwendung des
§ 113 I 4 VwGO (Erledigung vor Klageerhebung) kein Feststellungsinteresse mehr begründet. Hier könne der Betroffene ebenso gut sofort
vor dem zuständigen Zivilgericht klagen, da die20
21
BVerwG, NvwZ 2000, 63 (= L&L 2000, 197).
NVwZ 1999, 290 = L&L 1999, 382; strittig, ob eigene Fallgruppe oder Unterfall des Rehabilitationsinteresses.
RAe Dr. Schlömer/Daxhammer
Die Klage ist begründet, soweit die Versagung
der Zulassung rechtswidrig war und die Klägerin
dadurch in ihren Rechten verletzt ist, also wenn
die F im Zeitpunkt der Erledigung einen Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungs-
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Fall 14, Seite 7 von 9
scheidungen des Verfassungsrechts und insbesondere der Grundrechte nicht genügend berücksichtigt wurden.
Hier hat die Stadt zwei Kriterien für die Bevorzugung des M genannt: Erstens das Kriterium
„bekannt und bewährt“, zweitens das Merkmal
„Doppelverdiener“. Fraglich ist, ob dies sachgerechte Zulassungskriterien sind.
akts hatte, §§ 113 V i.V.m. 113 I 4 VwGO analog.
I.
Anspruch auf Zulassung zum Volksfest gemäß § 22 I NGO / § 30 NKomVG
Gemäß § 22 I NGO / § 30 NKomVG sind die
Einwohner der Gemeinde im Rahmen der bestehenden Vorschriften berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen.
Laut Sachverhalt hat die F ihren Wohnsitz in der
Stadt W, ist also Einwohnerin der Gemeinde,
vergleiche § 21 I NGO/ § 29 NKomVG.
Dass es sich bei dem Volksfest um eine öffentliche Einrichtung i.S.d. § 22 I NGO / § 30
NKomVG handelt, wurde bereits in der Zulässigkeitsprüfung bejaht.
Die Nutzung müsste ferner im Rahmen der bestehenden Vorschriften beabsichtigt gewesen
sein.
1.
Begrenzung durch den Widmungszweck
Ein Anspruch auf Zulassung besteht nur im
Rahmen des Widmungszwecks. Eine solche
wird hier begehrt.
2.
Begrenzung durch vorhandene Kapazitäten
Die Zulassung kann nur im Rahmen der Kapazität der Einrichtung verlangt werden. Es besteht
kein Anspruch auf räumliche Erweiterung öffentlicher Einrichtungen.22 Jedoch rügt die F insoweit nicht das Verfahren der Verwaltung, da sie
nicht die Erweiterung des Platzes begehrt.
3.
Fehlerhaftes Auswahlermessen
Die Entscheidung der Stadt könnte jedoch deshalb rechtswidrig sein, weil die Stadt hinsichtlich
der Zulassung der F ihr Auswahlermessen fehlerhaft ausgeübt hat.
Lassen die Kapazitäten der öffentlichen Einrichtung eine Zulassung aller Bewerber nicht zu, so
muss die Stadt bei der Zulassung ihr pflichtgemäßes Auswahlermessen ausüben. Hierbei ist
zu berücksichtigen, dass diese Ermessensentscheidung vom Verwaltungsgericht nur in einem
eng begrenzten Rahmen überprüft werden kann
(vergleiche § 114 S.1 VwGO). Rechtswidrig ist
die Auswahlentscheidung nur, wenn eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt. Für eine Ermessensüberschreitung, also eine Verkennung der gesetzlichen Grenzen des Ermessensspielraums, sind
dem Sachverhalt keine Anhaltspunkte zu entnehmen.
In Betracht kommt aber ein Ermessensfehlgebrauch. Ein solcher liegt vor, wenn die Entscheidung der Behörde auf unsachgemäßen
Erwägungen beruht. Dies ist insbesondere der
Fall, wenn bei der Entscheidung die Wertent23
22
BayVGH NVwZ 1982, 121.
RAe Dr. Schlömer/Daxhammer
24
a)
Auswahlkriterium „bekannt und bewährt“
Der Grundsatz „bekannt und bewährt“ ist ein
sachlich begründeter Verwaltungsgrundsatz.23
Die Verwaltung handelt daher nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie erprobten und seit Jahren zugelassenen Veranstaltern den Vorzug gibt. Es
braucht daher nicht ein rotierender Wechsel
stattzufinden. Auch ein striktes Prioritätsprinzip
(sog. „Windhundverfahren“ = Vorrang der früheren Anmeldung) unabhängig von „bekannt und
bewährt“ braucht nicht eingehalten zu werden,
da Art. 3 I GG nicht eine formelle Gleichbehandlung verlangt, sondern eine an materiellen Gerechtigkeitskriterien ausgerichtete Gleichbehandlung.24 Es ist daher im Prinzip nicht zu beanstanden, wenn die Stadt den Ehemann der F,
der seit Jahren zum Volksfest zugelassen ist,
aufgrund seiner „Bekannt- und Bewährtheit“ erneut zugelassen hat, während die Ehefrau F
dieses Kriterium nicht nachweisen kann.
Jedoch ist zu beachten, dass das Prinzip „bekannt und bewährt“ dann zu einer rechtswidrigen Auswahlentscheidung führt, wenn Neubewerber faktisch auf Dauer ausgeschlossen werden, weil dann gegen das Gebot der wettbewerblichen Chancengleichheit verstoßen wird.
Zwar dürfte weiterhin das Prinzip „bekannt und
bewährt“ als Auswahlkriterium Anwendung finden, jedoch muss auch für Neubewerber die
tatsächliche Möglichkeit der Zulassung geschaffen werden, etwa indem ein gewisses Kontingent nach einem rollierenden System oder dem
Prioritätsgrundsatz vergeben wird. Hier ergeben
sich aus dem Sachverhalt keine Anhaltspunkte,
dass die Anwendung des „bekannt und bewährt“-Grundsatzes zu einer andauernden faktischen Zulassungssperre für Neubewerber
führt. Somit ist die Verweigerung der Zulassung
nicht aufgrund dieses Auswahlkriteriums
rechtswidrig.
b)
Auswahlkriterium „Doppelverdiener“
Dieses Auswahlkriterium könnte mit Art. 6 I GG
unvereinbar sein. Eheleute dürfen nicht allein
deshalb, weil sie verheiratet sind, von der
Staatsgewalt benachteiligt werden. Die eheliche
Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft kann
zwar zum Anknüpfungstatbestand für wirtschaft-
BVerwG, DÖV 1982, 82.
OVG Lüneburg, NVwZ 1983, 49 ff.
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liche Rechtsfolgen genommen werden. Jedoch
müssen sich für eine Differenzierung zu Lasten
Verheirateter aus der Natur des geregelten Lebensverhältnisses einleuchtende Sachgründe
ergeben. Die Berücksichtigung der durch die
eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft
gekennzeichneten besonderen Lage der Ehegatten darf bei der konkreten Maßnahme den
Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft
nicht widersprechen und somit nicht als Diskriminierung der Ehe anzusehen sein.25
Vorliegend betreiben die Eheleute getrennte
Schaustellergeschäfte. Es ist daher nicht gerechtfertigt, die Eheleute als einheitliches Unternehmen anzusehen und daher nur einmal in
Bezug auf die Tätigkeit des Ehemannes zuzulassen. Die Stadt hat dies auch nicht getan,
sondern ihre Entscheidung damit begründet,
dass „Doppelverdiener“ zurückstehen müssten.
Diese Argumentation widerspricht jedoch den
Gerechtigkeitsvorstellungen, da sie die Eheleute
diskriminiert. Zwar wirtschaften die Eheleute
letzten Endes „in einen Topf“, jedoch wäre dies
nur dann sachlicher Anknüpfungspunkt und mit
Art. 6 I GG vereinbar, wenn die Eheleute für ihren jeweiligen Gewerbebetrieb typischerweise
Ausgaben ersparen oder ihr geschäftliches Risiko mindern würden. Dies ist hier nicht der Fall.
Die Eheleute ersparen hier praktisch keine Ausgaben, da sie unabhängig voneinander auftreten und zum Beispiel keine gemeinsamen Arbeitnehmer beschäftigen. Jeder von ihnen trägt
sein jeweiliges geschäftliches Risiko.
Somit verstößt die Nichtzulassung aufgrund des
Auswahlkriteriums „Doppelverdiener“ gegen die
Wertentscheidung des Art. 6 I GG. Folglich war
der ablehnende Bescheid rechtswidrig.
II.
Fall 14, Seite 8 von 9
ter Eheleuten zurückstehen müssen. Sachlich
gerechtfertigt wäre es dagegen, wenn die Stadt
lediglich darauf abgestellt hätte, dass der Ehemann seit Jahren „bekannt und bewährt“ ist,
was bei F nicht zutrifft. In dieser Richtung hat
die Stadt jedoch ihr Ermessen nicht ausgeübt.
Die zulässige Klage ist somit auch begründet.
Anmerkung:
Bei der ursprünglich zulässigen Verpflichtungsklage hätte ein sogenanntes Bescheidungsurteil
gemäß § 113 V 2 VwGO ergehen müssen. Das
Gericht kann sein Ermessen nicht an die Stelle
des Ermessens der Behörde setzen. In der Folge hätte die Behörde ggf. durchaus den Versagungs-VA erneut erlassen können, wenn sie
sich dabei etwa nur auf die Begründung „bekannt und bewährt“ gestützt hätte.
Ein Vornahmeurteil gemäß § 113 V 1 VwGO
käme nur in Betracht, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben wäre.
Abwandlung:
Es ergeben sich ausschließlich bei der Zulässigkeit weitere Probleme:
1.
Im Rahmen des Verwaltungsrechtswegs wäre
hier zusätzlich zu erörtern, dass es der F nicht
um die Einhaltung des zivilrechtlichen Vertrages, sondern weiterhin um den öffentlichrechtlichen Zulassungsanspruch geht. Es
kommt also weiterhin auf das „ob“ der Entscheidung an. Dies ist nach der Zweistufentheorie eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit.
2.
Bei der statthaften Klageart könnte fraglich
sein, ob die F ursprünglich auf Abschluss eines
Vertrages hätte klagen müssen. Nachdem dies
aber ein zivilrechtlicher Vorgang ist (vergleiche
möglichen Anspruch auf Vertragsabschluss aus
§§ 826, 249 BGB), käme sie hiermit vor dem
Verwaltungsgericht nicht weiter.
Sie könnte aber eine Anfechtungsklage erheben. Angefochten würde dann die in der Kündigung konkludent enthaltene Rücknahme der ursprünglichen Zulassung.
Ist die Anfechtungsklage erfolgreich, so lebt die
ursprüngliche, von der Rücknahme gewissermaßen überlagerte, Begünstigung wieder auf,
weil die Begünstigung durch den Rücknahmeakt
keinesfalls endgültig beseitigt wurde, vergleiche
§ 43 II VwVfG.26
3.
Bei der Klagebefugnis wäre dann zu erörtern
gewesen, dass der öffentlich-rechtliche Anspruch der F auf Zulassung zum Volksfest keinesfalls bereits mit Abschluss des ursprüngli-
Verletzung in subjektiven Rechten
Die F wurde durch den Bescheid auch in subjektiven Rechten verletzt, weil sie aufgrund der
Widmung einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung hatte, welche hier nicht
erfolgte.
Anmerkung:
Als zulässige Auswahlkriterien kommen weiter
in Betracht: Losentscheid, Rotation, Prioritätsprinzip, Dauer der Gemeindezugehörigkeit, Tradition, Neubewerberquote etc.
Wichtig ist nur, dass die Auswahl nicht willkürlich ist und sich nicht auf rechtswidrige Erwägungen stützt.
III.
25
Ergebnis
Es war ermessensfehlerhaft, dass die Stadt darauf abgestellt hat, dass „Doppelverdiener“ un-
BVerfGE 32, 267 (268).
RAe Dr. Schlömer/Daxhammer
26
HEMMER/WÜST, VerwR I, Rn. 101.
April 12
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hemmer
Verwaltungsrecht AT Niedersachsen
Fall 14, Seite 9 von 9
Ermessen, ein Recht auf Bescheidung besteht
nicht.29
chen Mietvertrages, sondern eben erst mit tatsächlicher Zulassung erfüllt wird.
4.
Schließlich hätte noch unter dem Prüfungspunkt
allgemeines Rechtsschutzbedürfnis das Verhältnis zu eventuellen Rechtsbehelfen vor den
ordentlichen Gerichten geklärt werden müssen.
Nachdem die zivilrechtliche Leistungsklage auf
Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen
kein gegenüber der Verwaltungsgerichtsklage
einfacherer Weg ist, entfällt nicht wegen deren
bloßer Möglichkeit das Rechtsschutzbedürfnis
für eine eventuelle Anfechtungsklage; das gleiche gilt für das Verhältnis zwischen § 256 I ZPO
und § 113 I 4 VwGO. Weiterhin würde einer
Verpflichtungsklage auf Zulassung zum Volksfest das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, da insoweit eine Anfechtungsklage ausreichenden
Rechtsschutz gewährt.27
Exkurs:
Bei der Prüfung eines Zulassungsanspruchs ist
zu differenzieren:
Innerhalb des Einrichtungsgebrauchs gibt es
Spezialgesetze, die für eine bestimmte Benutzergruppe den Zugangsanspruch eigenständig
regeln. Beispiele sind § 5 PartG, § 70 GewO,
wenn eine Gemeinde Veranstalter eines Jahrmarktes ist. Für kommunale Einrichtungen enthalten die GO/KrO einen allgemeinen Anspruch
der Kommunalbürger auf Zugang zu den kommunalen Einrichtungen. Subsidiär können unmittelbar aus Art. 3 I GG i.V.m. der Selbstbindung der Gemeinde, niedergelegt in der Widmung, Ansprüche folgen.
Jede Nutzung über den Einrichtungsgebrauch
hinaus ist „Sonderbenutzung“. Dieser Begriff leitet sich aus der Negation des Rechts auf Zugang ab. Sonderbenutzung ist daher Einrichtungsgebrauch durch Ortsfremde, durch Überschreitung der Zulassungsbegrenzung, die Nutzung bei Gefahrerhöhung, bei Kapazitätserschöpfung sowie widmungsfremde Nutzung. Die
Erteilung der Sondernutzung ist gesetzlich nicht
vorgeschrieben, sie ist dem Einrichtungsträger
aber auch nicht verwehrt. Deshalb steht die
Entscheidung im - gesetzlich nicht geregelten –
pflichtgemäßen Ermessen des Einrichtungsträgers. Geht es dabei um Sondernutzung, die
noch im Sachzusammenhang zum Widmungszweck steht, leitet sich aus der individualfördernden Zielrichtung der Einrichtung ein Recht
auf ermessensfehlerfreie Bescheidung ab.28
Widmungsfremde Nutzungen liegen außerhalb
des auf Begünstigung des Einzelnen angelegten Einrichtungszweckes. Die Vergabe steht im
27
28
Vgl. HEMMER/WÜST, VerwR I, Rn. 101.
BayVGH, NVwZ 1982, 120; BVerwG, NJW 1993, 609.
RAe Dr. Schlömer/Daxhammer
Wiederholungsfragen
1. Was ist eine öffentliche Einrichtung i.S.d.
§ 22 I NGO / § 30 NKomVG?
2. Erläutern Sie die Zweistufentheorie!
3. Erklären Sie den Begriff der Widmung anhand des
NStrG!
Vertiefungsfragen
1. Welche Funktionen hat das Widerspruchsverfahren?
2. Was versteht man unter Devolutiveffekt, was unter
Suspensiveffekt?
3. Nach herrschender Meinung genügt als Sachurteilsvoraussetzung für eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage nicht, dass überhaupt ein Vorverfahren
durchgeführt wurde. Vielmehr muss das Widerspruchsverfahren auch ordnungsgemäß durchgeführt worden sein. Wann ist das der Fall?
4. Die Schausteller S und K haben sich auf dem Volksfest beide um den einzigen Platz für einen AutoScooter beworben. S erhält den Zuschlag.
Welche Klageart ist für K statthaft?
29
BVerwGE 39, 236 ff.; GewArch 1975, 88; VGH Mannheim,
NVwZ-RR 1989, 135.
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