Juristisches Repetitorium Verwaltungsrecht AT Niedersachsen
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Juristisches Repetitorium hemmer Verwaltungsrecht AT Niedersachsen Fall 14, Seite 1 von 9 Fall 14 Hinweis: Das Volksfest In der Stadt W findet alljährlich am zweiten Wochenende im Juni ein Volksfest auf dem städtischen Marktplatz statt, der mehrmals im Jahr für öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung gestellt wird. Dabei sind auch Veranstalter wie Schausteller usw. vertreten. Die Stadt W schließt mit denjenigen Veranstaltern, die sie zulässt, „Mietverträge“ ab. Es ist davon auszugehen, dass das Volksfest nicht nach der GewO festgesetzt ist. Der Schausteller M, der bereits in früheren Jahren zugelassen war, wurde auch dieses Jahr zugelassen. Seine Ehefrau F, die ein von M unabhängiges Schaustellergeschäft betreibt, wurde dagegen von der Stadt W mit Bescheid vom 1. Juni nicht zugelassen mit der Begründung, die Begrenztheit des Platzes verlange eine Auswahl, wobei „Doppelverdiener“ zurückstehen müssten. Dabei sei M der Vorzug zu geben, da er seit Jahren zugelassen und daher „bekannt und bewährt“ sei, während F die Erstzulassung begehrt. Sowohl M als auch F haben in der Stadt W ihren Wohnsitz. Mit formgerechter Klage vom 14. Juni beantragte F beim örtlich zuständigen Verwaltungsgericht die Feststellung, dass die Ablehnung ihrer Zulassung zu dem Volksfest rechtswidrig war. F hielt diese Klage für erforderlich, da sie auf jeden Fall im nächsten Jahr an dieser Veranstaltung teilnehmen wollte und wieder mit einer Ablehnung aus den gleichen Gründen rechnete. Wie wird das Gericht entscheiden? Abwandlung: Die Stadt hat auch mit der F einen Mietvertrag abgeschlossen, diesen jedoch kurz vor Beginn des Volksfestes wieder gekündigt. Ist eine Klage der F zum Verwaltungsgericht zulässig? RAe Dr. Schlömer/Daxhammer April 12 Juristisches Repetitorium hemmer Verwaltungsrecht AT Niedersachsen Fall 14, Seite 2 von 9 neben der Erfüllung gemeindlicher Aufgaben der Widmungsakt.2 Dabei unterliegt der Widmungsakt keinen förmlichen Voraussetzungen. Die Widmung kann durch Satzung, durch einfachen Ratsbeschluss oder durch konkludentes Handeln („tatsächliche Indienststellung“) erfolgen. Es muss nur der Wille der Gemeinde erkennbar sein, die Einrichtung der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Lösung Fall 14 Die Klage hat vor dem Verwaltungsgericht Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist. A. Verwaltungsrechtsweg, § 40 I VwGO I. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit Das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit bestimmt sich hier nach der Natur des zwischen der Stadt W und F tatsächlich bestehenden Rechtsverhältnisses, wie es sich aufgrund des festgestellten Lebenssachverhaltes ergibt. Öffentlich-rechtlich sind dabei Streitigkeiten, deren Streitgegenstand sich nach öffentlich-rechtlichen Normen beurteilt. Es ist deshalb zu prüfen, aus welchen Normen sich ein Anspruch der F auf Zulassung ergeben könnte und erst dann ist festzustellen, ob diese Normen dem öffentlichen Recht oder dem Privatrecht angehören. 1. §§ 60b II i.V.m. 70 I GewO Als Anspruchsgrundlage kommt §§ 60b II i.V.m. 70 I GewO in Betracht. Es handelt sich vorliegend um ein Volksfest i.S.d. § 60b I GewO. Diese Vorschrift enthält aber lediglich eine Legaldefinition und besagt nichts über den strittigen Zulassungsanspruch. Eine Handlungsbefugnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts könnte allein aus § 70 II GewO entnommen werden, der über § 60b II GewO entsprechend angewendet werden kann. § 70 GewO setzt aber voraus, dass die Veranstaltung gemäß § 69 GewO von der Verwaltung festgesetzt ist. Da dies lt. Sachverhalt nicht der Fall ist, ist §§ 60b II i.V.m. 70 I GewO als Anspruchsgrundlage abzulehnen. 2. § 22 I NGO Ein Anspruch auf Zulassung könnte sich aus § 22 I NGO (nach neuer Rechtslage: § 30 NKomVG) ergeben. Dann müsste es sich bei dem Volksfest um eine öffentliche Einrichtung der Gemeinde handeln.1 Unter diesem in der Gemeindeordnung nicht definierten Begriff versteht man Einrichtungen, die von der Gebietskörperschaft durch Widmungsakt der allgemeinen Benutzung durch ihre Einwohner und in ihrem Gebiet niedergelassenen Vereinigungen zugänglich gemacht und die von der Gemeinde im öffentlichen Interesse unterhalten werden, egal in welcher Form sie in Erscheinung treten. Entscheidend für das Vorliegen einer öffentlichen Einrichtung einer Gemeinde ist demnach Merke: Voraussetzungen einer öffentlichen Einrichtung i.S.v. § 22 I NGO / § 30 NKomVG: Einrichtung der Gemeinde Widmungsakt im öffentlichen Interesse unterhalten Laut Sachverhalt findet das Volksfest auf einem im öffentlichen Eigentum stehenden Platz statt, der öfter für öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung gestellt wird. Indiz für das Vorhandensein einer (konkludenten) Widmung ist weiterhin die Tatsache, dass die Einrichtung und Unterhaltung eines Volksfestes im Bereich der örtlichen Kulturpflege anzusiedeln und damit eine Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde ist. Im Übrigen spricht selbst dann, wenn eine Widmung für eine Einrichtung, die eine Gemeinde in ihrem Aufgabenbereich geschaffen hat, nicht nachweisbar oder aus Indizien nicht zwingend ableitbar ist, eine Vermutung dafür, dass sie als öffentliche Einrichtung organisiert ist.3 Nach alledem kann festgestellt werden, dass es sich bei dem Volksfest um eine öffentliche Einrichtung i.S.v. § 22 I NGO / § 30 NKomVG handelt. Anmerkung: Für den Fall, dass es an einer eindeutigen Erklärung fehlt, hat die Rechtsprechung einen derartigen Erklärungswillen aus Indizien abgeleitet, etwa aus der Benutzungsordnung, allgemeinen Vertragsbedingungen oder der Vergabepraxis sowie aus einem tatsächlichen Willen. Wenn nach diesen Indizien ein Erklärungswille hinsichtlich der Natur der Einrichtung nicht feststellbar ist, hat die Rechtsprechung die Vermutungsregel entwickelt, dass für die Allgemeinheit nutzbare kommunale Einrichtung „öffentliche“ Einrichtungen sind4. Probleme ergeben sich, wenn die Einrichtung durch einen Träger privater Rechte betrieben wird. 2 1 Zum diesem Problemkreis vgl. L&L 2000, 58 ff. (Münchener Oktoberfest). RAe Dr. Schlömer/Daxhammer 3 4 Vgl. KÖRNER, § 18, Rn. 1; BayVGH, BayVBl. 1989, 149. Vgl. BayVGH, BayVBl. 1989, 149. GERN, Deutsches KommunalR, S. 293. April 12 Juristisches Repetitorium hemmer Verwaltungsrecht AT Niedersachsen Hier kann sich nämlich die Gemeinde auch der Einrichtung entledigt und sie damit „entwidmet" haben, indem sie diese völlig auf den privaten Träger übertragen hat. Sie kann aber auch weiterhin Mitspracherechte haben, z.B. aufgrund eines vertraglichen Vorbehalts oder aus gesellschaftsrechtlichen Befugnissen. In solchen Fällen scheidet zwar ein Zulassungsanspruch aus § 22 I NGO / § 30 NKomVG gegen die Gemeinde aus. In Betracht kommt jedoch ein öffentlich-rechtlicher Verschaffungsanspruch5. Fraglich ist dann die statthafte Klageart. Vertretbar ist eine allgemeine Leistungsklage, da das von der Gemeinde begehrte Handeln – Einwirken auf den Träger der Einrichtung – ein reines Realhandeln darstellt. Diskutiert wird auch eine Lösung über die Verpflichtungsklage. Begründen lässt sich dies damit, dass die Entscheidung der Gemeinde über das Bestehen des Verschaffungsanspruchs gegenüber dem Bürger einen Verwaltungsakt darstellt. Fall 14, Seite 3 von 9 dahinstehen, es liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor. II. B. Zulässigkeit der Klage I. Statthafte Klageart 1. Damit käme ein Zulassungsanspruch aus § 22 I NGO / § 30 NKomVG in Betracht und es würde sich damit um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i.S.d. § 40 I VwGO handeln, da die Vorschriften der NGO / des NKomVG unzweifelhaft dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind. 3. 5 6 7 RAe Dr. Schlömer/Daxhammer Verpflichtungsklage Die Zulassung stellt einen (begünstigenden) Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG i.V.m. § 1 I NdsVwVfG8 dar, der grundsätzlich mit der Verpflichtungsklage nach § 42 I 2. Alt. VwGO zu erstreiten ist. Jedoch ist das Volksfest mittlerweile beendet und der von F erstrebte Verwaltungsakt hat sich damit durch Zeitablauf erledigt9. Damit scheidet die Verpflichtungsklage als statthafte Klageart aus, da sie nunmehr sinnlos wäre. Anmerkung Eine Erledigung liegt vor, wenn die mit dem VA verbundene rechtliche Beschwer nachträglich weggefallen ist, d.h. wenn sein vollziehungsfähiger Inhalt gegenstandslos geworden ist. Entscheidend ist also der Wegfall des Regelungsgehaltes der Verwaltungsmaßnahme10. Problem: Abschluss von Mietverträgen Problematisch könnte noch sein, dass die Stadt W Mietverträge mit den zugelassenen Schaustellern abgeschlossen hat. Hiervon wird jedoch nur das Benutzungsverhältnis zwischen der Stadt und den Schaustellern betroffen, also (quasi auf der zweiten Stufe) die Frage des „wie“ der Ausgestaltung des durch die Zulassung begründeten Rechtsverhältnisses. Davon zu unterscheiden ist aber (auf der ersten Stufe) die Entscheidung über die Zulassung zu der öffentlichen Einrichtung. Diese Frage über das „ob“ der Zulassung ist stets öffentlich-rechtlich zu beurteilen (Zweistufentheorie6). Nach anderer Ansicht ist diese Theorie abzulehnen, da ein einheitlicher Lebenssachverhalt künstlich aufgespalten werde. Vielmehr sei der gesamte Sachverhalt öffentlich-rechtlich zu beurteilen (sog. öffentlich-rechtliches Einheitsmodell).7 Da im vorliegenden Fall die Entscheidung über die Zulassung - und damit die erste Stufe i.S.d. Zweistufentheorie - betroffen ist, kann der Streit Vgl. zum Ganzen eingehend Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 3, Rn. 26 a.E., wobei die dort zitierte abweichende Meinung von Ossenbühl im Hinblick auf BVerwG BayVBl. 1991, 600 nicht haltbar ist. Vgl. KOPP/SCHENKE, § 40 VwGO, Rn. 20; HEMMER/WÜST, VerwR II, Rn. 6. vgl. Ossenbühl DVBl. 73, 289. Da die Streitigkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Art ist und eine andere Rechtswegzuweisung nicht besteht, ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 I VwGO eröffnet. 2. Fortsetzungsfeststellungsklage Bei dieser Sachlage könnte als statthafte Klageart die Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 I 4 VwGO in Frage kommen, da Erledigung des VA durch den Zeitablauf vorliegt. Hier ist streitig, ob bei Erledigung vor Klageerhebung, § 113 I 4 VwGO analog angewandt wird, oder ob auf § 43 VwGO abgestellt werden kann. Das BVerwG hat diese Frage in einer jüngeren Entscheidung (NVwZ 2000, 64) offen gelassen. Es könnte an einer Regelungslücke fehlen, wenn die Feststellungsklage gem. § 43 I VwGO statthaft ist. a. Für die Feststellungsklage wird vorgebracht, dass diese Klageart statthaft ist, da die Berechtigung der Behörde den Verwaltungsakt zu erlassen, ein dann erledigtes, aber feststellungsfähiges Rechtsverhältnis darstellt. Es wird insbesondere auf den Vergleich mit der vorbeugenden Feststellungsklage hingewie8 9 10 Auf den Zusatz wird nachfolgend verzichtet. Vgl. HEMMER/WÜST, VerwR II, Rn. 109 ff. Vgl. HEMMER/WÜST, VerwR II, Rn. 107 f. April 12 Juristisches Repetitorium hemmer Verwaltungsrecht AT Niedersachsen Fall 14, Seite 4 von 9 könnte der Bürger die Feststellung betreiben, wenn er irgendein anerkennenswertes Interesse hat, im Fall der Erledigung nach Klageergebung nur in ganz bestimmten Fallgruppen. Zum zweiten ergeben sich Unterschiede hinsichtlich des Klagegegners, da bei der Feststellungsklage das allgemeine Rechtsträgerprinzip Anwendung findet, bei der Fortsetzungsfeststellungsklage aber § 78 VwGO analog angewandt wird. Zum dritten bestehen Unterschiede hinsichtlich Tenor und Rechtskraft eines Urteils, da bei der Fortsetzungsfeststellungsklage sehr präzise die Feststellung getroffen wird, dass der konkrete Verwaltungsakt rechtswidrig war. Dies ist bei der allgemeinen Feststellungsklage nicht der Fall, da nicht der Verwaltungsakt, sondern nur die Normen, die zu seinem Erlass ermächtigt haben im Vordergrund stehen. Daher ist die Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 I 4 VwGO die richtige Klageart. sen, wo die Frage, ob aufgrund einer Norm künftig ein Verwaltungsakt erlassen werden kann, ebenfalls ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis darstellt. Schließlich sei die allgemeine Feststellungsklage auch nicht subsidiär. Aus dem Wortlaut des § 43 II VwGO, „hätte verfolgen können“, folge lediglich, dass der Kläger vor Erledigung des Verwaltungsakts fristgerecht Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erheben muss. Sinn der Subsidiarität sei es die Umgehung der strengen Sachurteilsvoraussetzung der anderen Klagearten zu verhindern. Bei vorprozessualer Erledigung des Verwaltungsaktes innerhalb der Frist, bestehe diese Umgehungsgefahr nicht mehr, die Feststellungsklage sei daher nicht subsidiär. 11 b. Für die Beibehaltung der analogen Anwendung von § 113 I 4 VwGO wird eingewandt, dass der Verwaltungsakt kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis darstelle.12 Auch sei die Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsakts nicht auf die Feststellung eines Rechtsverhältnis gerichtet. Aus dem Text des § 43 II VwGO, „hätte verfolgen können“ ergebe sich, dass die Feststellungsklage auch subsidiär sei bei Erledigungssituationen, denn vor Erledigung der Verwaltungsaktes hätte der Kläger schließlich Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erheben müssen.13 Anmerkung: Eine andere Ansicht ist hier selbstverständlich gut vertretbar. Ein sehr gute Zusammenfassung des Streitstandes findet sich auch bei Schenke JuS 2007, 697. Anmerkung: Genau genommen handelt es sich im vorliegenden Fall um eine in zweifacher Hinsicht analoge Anwendung des § 113 I 4 VwGO. § 113 I 4 VwGO regelt unmittelbar nur den Fall, dass sich der angegriffene Verwaltungsakt nach Erhebung, aber noch vor Entscheidung einer Anfechtungsklage erledigt. Die erste Analogie ergibt sich aus der Anwendung des § 113 I 4 VwGO auf die Situation der Verpflichtungsklage. Die zweite Analogie ergibt sich daraus, dass § 113 I 4 VwGO auch dann anwendbar ist, wenn sich der Verwaltungsakt schon vor der Klageerhebung erledigt hat. Dies wird damit begründet, dass aufgrund von Art. 19 IV GG auch für diese Konstellation Rechtsschutz gewährleistet sein muss. Zudem sei nicht einzusehen, „warum die Erledigung unterschiedlich behandelt werden soll, zumal es häufig - besonders bei kurzlebigen Verwaltungsakt - vom Zufall oder der mehr oder weniger schnellen Bearbeitung durch die Behörde abhängt, ob im Zeitpunkt der Erledigung des Verwaltungsakts die Klage schon erhoben ist“.15 Allerdings fehlt angesichts gegenwärtiger Rechtsbetroffenheit bzw. Ansprüche die analogiebegründende Lücke, wenn bei nichtregeln- c. Insgesamt ist der zuletzt genannten Ansicht der Vorzug zu geben. Zwar überzeugt das Argument, der Verwaltungsakt sei kein Rechtsverhältnis nicht, da die Befugnis einen Verwaltungsakt zu erlassen ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis darstellt. Gegen die Anwendung von § 43 I VwGO spricht aber, dass es dann vom Zufall, nämlich dem Erledigungszeitpunkt abhängen würde, ob die Feststellungsklage oder die Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft ist. Dies ist problematisch, da es hier zu System- und Wertungswidersprüchen kommt:14 Zum einen ist das Feststellungsinteresse bei § 43 I VwGO wesentlich weiter zu verstehen, als das Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei § 113 I 4 VwGO, wo nur bestimmte Fallgruppen anerkannt sind. Dies könnte im Ergebnis zu einer Mehrbelastung der Gerichte führen, und im Fall vorprozessualer Erledigung 11 12 13 14 Renck JuS 1970, 113 f.; Schoch/Pietzcker § 42 I VwGO Rn. 86; Schrödter DVBl 1973, 366. Rozek JuS 2000, 1162; Fechner NVwZ 2000, 127. Schmitt-Glaeser/Horn Vewaltungsprozeßrecht, Rn. 361. Kopp/Schenke § 113 Rn. 99 m.w.N.; Ehlers Jura 2001, 415; Schenke NVwZ 2000, 1255. RAe Dr. Schlömer/Daxhammer 15 EYERMANN/FRÖHLER, § 42 VwGO, Rn. 191. April 12 Juristisches Repetitorium hemmer Verwaltungsrecht AT Niedersachsen Fall 14, Seite 5 von 9 setzt aber grundsätzlich nach ihrem Anwendungsbereich nur eine bereits begonnene Klage fort, das heißt, wenn schon diese ursprüngliche Klage wegen Verfristung unzulässig ist, dann kann diese Unzulässigkeit nicht durch eine (zufällige) Erledigung umgangen werden.17 Ob jedoch bei der Fortsetzungsfeststellungsklage ein Vorverfahren durchzuführen ist, wenn das erledigende Ereignis noch vor Ablauf der Widerspruchsfrist eintritt, ist umstritten. Mindermeinung: Vorverfahren erforderlich Nach einer Ansicht ist auch bei dieser Konstellation ein Widerspruchsverfahren durchzuführen.18 Der Zweck des Vorverfahrens liege primär in der Selbstkontrolle der Verwaltung und dieser Zweck könne auch durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts erreicht werden. H.M.: Vorverfahren nicht erforderlich Die herrschende Meinung lehnt dagegen die Erforderlichkeit eines Vorverfahrens bei Erledigung vor Ablauf der Widerspruchsfrist ab.19 Der Zweck des Vorverfahrens - der in der Situation der Verpflichtungsklage im Erlass des begehrten Verwaltungsakts besteht - könne nicht mehr erreicht werden, die Durchführung wäre reiner Formalismus. Zudem bindet die Feststellung der Rechtswidrigkeit durch die Behörde andere Behörden nicht; dem Bürger sei daher sofort gerichtlicher Schutz zuzusprechen. Hier wird der herrschenden Meinung aufgrund der überzeugenderen Argumentation gefolgt. dem Verwaltungshandeln ein „Rehabilitationsinteresse“ oder „Wiederholungsgefahr“ gegeben sind. Dann gilt § 43 VwGO.16 Beachten Sie im Übrigen die Ausführungen zur Fortsetzungsfeststellungsklage in den Polizeirechtsfällen. Die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage setzt voraus, dass die ursprüngliche Klage, hier die Verpflichtungsklage, zulässig war. Zu prüfen sind also die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verpflichtungsklage - abgesehen von Verwaltungsrechtsweg und Statthaftigkeit, da diese schon geprüft wurden. II. Klagebefugnis, § 42 II VwGO analog Die F müsste im Zeitpunkt der Erledigung einen möglichen Anspruch auf Zulassung zu dem Volksfest gehabt haben. Ein solcher Anspruch könnte sich möglicherweise aus § 22 I NGO / § 30 NKomVG ergeben. Somit ist die F klagebefugt. Weiter kommt ein Verletzung der F in ihren Grundrechten aus Art. 3 I, 6 I und 12 I GG in Betracht. Auch dies scheint nach dem Sachverhalt zumindest als möglich, so dass die F auch insoweit klagebefugt ist. Anmerkung: Aus Art. 3 GG allein folgt niemals ein Anspruch auf Gleichbehandlung, da er kein subjektives Recht des Bürgers normiert. Das subjektive Recht muss bestehen, es ergibt sich entweder aus anspruchsbegründenden Spezialnormen oder subsidiär aus den Freiheitsgrundrechten III. Anmerkung: Vom BVerwG wird die Durchführung eines Vorverfahrens nach Erledigung nicht nur für entbehrlich, sondern sogar für unstatthaft gehalten, da § 68 VwGO die Widerspruchsbehörde nicht zu Entscheidungen gemäß § 113 I 4 VwGO ermächtige. Dies erscheint jedoch im Hinblick auf § 44 VwVfG fragwürdig: Wenn die Verwaltung die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts feststellen kann, dann muss dies erst recht für seine Rechtswidrigkeit gelten. Die Frage ob unstatthaft oder nur entbehrlich kann jedoch grundsätzlich bei der Zulässigkeitsprüfung der Fortsetzungsfeststellungsklage offengelassen werden. Vorverfahren, §§ 68 ff. VwGO Die Durchführung eines Vorverfahrens gem. § 68 I VwGO ist gem. § 68 I 2 VwGO, § 8a Nds. AGVwGO nicht erforderlich, da die Vorschriften der NGO nicht zu den in § 8a III Nds. AGVwGO genannten Ausnahmen zählen. Exkurs: Auch wenn das Vorverfahren nicht gesetzlich ausgeschlossen wäre, wäre fraglich, ob und wann es im bei der Fortsetzungsfeststellungsklage durchzuführen ist. Dass die Durchführung eines Vorverfahrens (sofern es nicht ausgeschlossen ist) erforderlich ist, wenn das erledigende Ereignis erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist eingetreten ist, ist unumstritten. Dann wäre nämlich eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage wegen Fristversäumung unzulässig; die Klage nach § 113 I 4 VwGO IV. 17 18 16 ROZEK, JuS 1995, 416. RAe Dr. Schlömer/Daxhammer 19 Klagefrist Strittig ist, ob die Erhebung der Fortsetzungsfeststellungsklage fristgebunden ist. HEMMER/WÜST, Basics ÖR, Rn. 576. KOPP/SCHENKE, § 68 VwGO, Rn. 34. Vgl. zur h.M. HEMMER/WÜST, Basics-ÖR, Rn. 577 ff. April 12 Juristisches Repetitorium hemmer Verwaltungsrecht AT Niedersachsen Fall 14, Seite 6 von 9 ses die Vorfragenkompetenz habe, inzident über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts zu entscheiden. Das Führen von zwei Prozessen widerspräche dem Grundsatz der Prozessökonomie. Die Gegenmeinung leitet dagegen aus der Garantie des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 IV GG einen Anspruch auf den sachnäheren Richter ab. Nur der Richter am Verwaltungsgericht solle über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes entscheiden können. Zu folgen ist wohl der herrschenden Meinung. Dass es keinen absoluten Anspruch auf den sachnäheren Richter gibt, folgt aus der gesetzliche Wertung des § 17 GVG n.F., wonach Prozesse im jeweils angegangenen Rechtsweg durchzuentscheiden sind, auch wenn Teilfragen anderen Rechtsgebieten zuzuordnen sind. Somit kann die Vorbereitung von Amtshaftungsprozessen bei der analogen Anwendung des § 113 I 4 VwGO kein Feststellungsinteresse mehr begründen. Nach einer Ansicht ist § 74 II, I 2 VwGO auf die Fortsetzungsfeststellungsklage analog anzuwenden, da auch bei dieser Klageart ein Vorverfahren nicht erforderlich ist, sie aber als Unterfall der Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage fristgebunden sein müsse. Nach herrschender Meinung20 ist keine Klagefrist einzuhalten. Fristen dienen der Rechtssicherheit. Bei erledigten Verwaltungsakten könne es aber nicht darum gehen, möglichst schnell zu klären, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig war. Die Verwaltung wird zudem durch das Erfordernis des Feststellungsinteresses und dem Institut der Verwirkung vor einer Klage noch Jahre nach Erledigung geschützt Hier kann der Streit jedoch offen bleiben, da, auch wenn man mit der ersten Ansicht die Fristgebundenheit bejaht, die F hier innerhalb der Monatsfrist des § 74 II, I 2 VwGO Klage erhoben hat. Anmerkung: Soweit eine Streitfrage offen bleiben kann, muss sie von Ihnen nicht unbedingt entschieden werden; insbesondere dann nicht, wenn die Frage obergerichtlich kontrovers diskutiert wird. V. Fortsetzungsfeststellungsinteresse Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist gemäß § 113 I 4 VwGO nur zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat. Als Feststellungsinteresse gilt jedes anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Anerkannt sind insbesondere: das Vorliegen einer konkreten Wiederholungsgefahr; ein Rehabilitationsinteresse (insbesondere bei diskriminierenden Verwaltungsakten); die Vorbereitung eines Amtshaftungsanspruchs; Vorliegend ergibt sich das Fortsetzungsfeststellungsinteresse daraus, dass die F auch in Zukunft an dem jährlich stattfindenden Volksfest teilnehmen will und deshalb die konkrete Gefahr einer Wiederholung der angegriffenen behördlichen Entscheidung besteht. VI. Klagegegner, § 78 VwGO Klagegegner ist nach dem Rechtsträgerprinzip des § 78 I Nr. 1 VwGO die Stadt W. VII. Beteiligungs- und Prozessfähigkeit, §§ 61 f. VwGO Die F ist gemäß §§ 61 Nr. 1, 62 I Nr. 1 beteiligten- und prozessfähig. Die Stadt muss sich im Prozess durch den Bürgermeister vertreten lassen, § 62 III VwGO i.V.m. § 86 I 2 NKomVG. VIII. Zuständigkeit und Form Laut Sachverhalt hat F die Klage beim sachlich und örtlich zuständigen Verwaltungsgericht (§§ 45, 52 VwGO) erhoben und die Vorschriften über die ordnungsgemäße Klageerhebung (§§ 81 f. VwGO) beachtet. IX. Zwischenergebnis Nach alledem ist die Klage zulässig. C. Begründetheit der Klage ein sonstiger schwerwiegender Grundrechtseingriff (neue Fallgruppe des Bundesverfassungsgerichts).21 Anmerkung: BVerwG und h.M. gehen nunmehr davon aus, dass die Vorbereitung eines Amtshaftungsanspruchs bei der analogen Anwendung des § 113 I 4 VwGO (Erledigung vor Klageerhebung) kein Feststellungsinteresse mehr begründet. Hier könne der Betroffene ebenso gut sofort vor dem zuständigen Zivilgericht klagen, da die20 21 BVerwG, NvwZ 2000, 63 (= L&L 2000, 197). NVwZ 1999, 290 = L&L 1999, 382; strittig, ob eigene Fallgruppe oder Unterfall des Rehabilitationsinteresses. RAe Dr. Schlömer/Daxhammer Die Klage ist begründet, soweit die Versagung der Zulassung rechtswidrig war und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt ist, also wenn die F im Zeitpunkt der Erledigung einen Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungs- April 12 Juristisches Repetitorium hemmer Verwaltungsrecht AT Niedersachsen Fall 14, Seite 7 von 9 scheidungen des Verfassungsrechts und insbesondere der Grundrechte nicht genügend berücksichtigt wurden. Hier hat die Stadt zwei Kriterien für die Bevorzugung des M genannt: Erstens das Kriterium „bekannt und bewährt“, zweitens das Merkmal „Doppelverdiener“. Fraglich ist, ob dies sachgerechte Zulassungskriterien sind. akts hatte, §§ 113 V i.V.m. 113 I 4 VwGO analog. I. Anspruch auf Zulassung zum Volksfest gemäß § 22 I NGO / § 30 NKomVG Gemäß § 22 I NGO / § 30 NKomVG sind die Einwohner der Gemeinde im Rahmen der bestehenden Vorschriften berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen. Laut Sachverhalt hat die F ihren Wohnsitz in der Stadt W, ist also Einwohnerin der Gemeinde, vergleiche § 21 I NGO/ § 29 NKomVG. Dass es sich bei dem Volksfest um eine öffentliche Einrichtung i.S.d. § 22 I NGO / § 30 NKomVG handelt, wurde bereits in der Zulässigkeitsprüfung bejaht. Die Nutzung müsste ferner im Rahmen der bestehenden Vorschriften beabsichtigt gewesen sein. 1. Begrenzung durch den Widmungszweck Ein Anspruch auf Zulassung besteht nur im Rahmen des Widmungszwecks. Eine solche wird hier begehrt. 2. Begrenzung durch vorhandene Kapazitäten Die Zulassung kann nur im Rahmen der Kapazität der Einrichtung verlangt werden. Es besteht kein Anspruch auf räumliche Erweiterung öffentlicher Einrichtungen.22 Jedoch rügt die F insoweit nicht das Verfahren der Verwaltung, da sie nicht die Erweiterung des Platzes begehrt. 3. Fehlerhaftes Auswahlermessen Die Entscheidung der Stadt könnte jedoch deshalb rechtswidrig sein, weil die Stadt hinsichtlich der Zulassung der F ihr Auswahlermessen fehlerhaft ausgeübt hat. Lassen die Kapazitäten der öffentlichen Einrichtung eine Zulassung aller Bewerber nicht zu, so muss die Stadt bei der Zulassung ihr pflichtgemäßes Auswahlermessen ausüben. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass diese Ermessensentscheidung vom Verwaltungsgericht nur in einem eng begrenzten Rahmen überprüft werden kann (vergleiche § 114 S.1 VwGO). Rechtswidrig ist die Auswahlentscheidung nur, wenn eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt. Für eine Ermessensüberschreitung, also eine Verkennung der gesetzlichen Grenzen des Ermessensspielraums, sind dem Sachverhalt keine Anhaltspunkte zu entnehmen. In Betracht kommt aber ein Ermessensfehlgebrauch. Ein solcher liegt vor, wenn die Entscheidung der Behörde auf unsachgemäßen Erwägungen beruht. Dies ist insbesondere der Fall, wenn bei der Entscheidung die Wertent23 22 BayVGH NVwZ 1982, 121. RAe Dr. Schlömer/Daxhammer 24 a) Auswahlkriterium „bekannt und bewährt“ Der Grundsatz „bekannt und bewährt“ ist ein sachlich begründeter Verwaltungsgrundsatz.23 Die Verwaltung handelt daher nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie erprobten und seit Jahren zugelassenen Veranstaltern den Vorzug gibt. Es braucht daher nicht ein rotierender Wechsel stattzufinden. Auch ein striktes Prioritätsprinzip (sog. „Windhundverfahren“ = Vorrang der früheren Anmeldung) unabhängig von „bekannt und bewährt“ braucht nicht eingehalten zu werden, da Art. 3 I GG nicht eine formelle Gleichbehandlung verlangt, sondern eine an materiellen Gerechtigkeitskriterien ausgerichtete Gleichbehandlung.24 Es ist daher im Prinzip nicht zu beanstanden, wenn die Stadt den Ehemann der F, der seit Jahren zum Volksfest zugelassen ist, aufgrund seiner „Bekannt- und Bewährtheit“ erneut zugelassen hat, während die Ehefrau F dieses Kriterium nicht nachweisen kann. Jedoch ist zu beachten, dass das Prinzip „bekannt und bewährt“ dann zu einer rechtswidrigen Auswahlentscheidung führt, wenn Neubewerber faktisch auf Dauer ausgeschlossen werden, weil dann gegen das Gebot der wettbewerblichen Chancengleichheit verstoßen wird. Zwar dürfte weiterhin das Prinzip „bekannt und bewährt“ als Auswahlkriterium Anwendung finden, jedoch muss auch für Neubewerber die tatsächliche Möglichkeit der Zulassung geschaffen werden, etwa indem ein gewisses Kontingent nach einem rollierenden System oder dem Prioritätsgrundsatz vergeben wird. Hier ergeben sich aus dem Sachverhalt keine Anhaltspunkte, dass die Anwendung des „bekannt und bewährt“-Grundsatzes zu einer andauernden faktischen Zulassungssperre für Neubewerber führt. Somit ist die Verweigerung der Zulassung nicht aufgrund dieses Auswahlkriteriums rechtswidrig. b) Auswahlkriterium „Doppelverdiener“ Dieses Auswahlkriterium könnte mit Art. 6 I GG unvereinbar sein. Eheleute dürfen nicht allein deshalb, weil sie verheiratet sind, von der Staatsgewalt benachteiligt werden. Die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft kann zwar zum Anknüpfungstatbestand für wirtschaft- BVerwG, DÖV 1982, 82. OVG Lüneburg, NVwZ 1983, 49 ff. April 12 Juristisches Repetitorium hemmer Verwaltungsrecht AT Niedersachsen liche Rechtsfolgen genommen werden. Jedoch müssen sich für eine Differenzierung zu Lasten Verheirateter aus der Natur des geregelten Lebensverhältnisses einleuchtende Sachgründe ergeben. Die Berücksichtigung der durch die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft gekennzeichneten besonderen Lage der Ehegatten darf bei der konkreten Maßnahme den Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft nicht widersprechen und somit nicht als Diskriminierung der Ehe anzusehen sein.25 Vorliegend betreiben die Eheleute getrennte Schaustellergeschäfte. Es ist daher nicht gerechtfertigt, die Eheleute als einheitliches Unternehmen anzusehen und daher nur einmal in Bezug auf die Tätigkeit des Ehemannes zuzulassen. Die Stadt hat dies auch nicht getan, sondern ihre Entscheidung damit begründet, dass „Doppelverdiener“ zurückstehen müssten. Diese Argumentation widerspricht jedoch den Gerechtigkeitsvorstellungen, da sie die Eheleute diskriminiert. Zwar wirtschaften die Eheleute letzten Endes „in einen Topf“, jedoch wäre dies nur dann sachlicher Anknüpfungspunkt und mit Art. 6 I GG vereinbar, wenn die Eheleute für ihren jeweiligen Gewerbebetrieb typischerweise Ausgaben ersparen oder ihr geschäftliches Risiko mindern würden. Dies ist hier nicht der Fall. Die Eheleute ersparen hier praktisch keine Ausgaben, da sie unabhängig voneinander auftreten und zum Beispiel keine gemeinsamen Arbeitnehmer beschäftigen. Jeder von ihnen trägt sein jeweiliges geschäftliches Risiko. Somit verstößt die Nichtzulassung aufgrund des Auswahlkriteriums „Doppelverdiener“ gegen die Wertentscheidung des Art. 6 I GG. Folglich war der ablehnende Bescheid rechtswidrig. II. Fall 14, Seite 8 von 9 ter Eheleuten zurückstehen müssen. Sachlich gerechtfertigt wäre es dagegen, wenn die Stadt lediglich darauf abgestellt hätte, dass der Ehemann seit Jahren „bekannt und bewährt“ ist, was bei F nicht zutrifft. In dieser Richtung hat die Stadt jedoch ihr Ermessen nicht ausgeübt. Die zulässige Klage ist somit auch begründet. Anmerkung: Bei der ursprünglich zulässigen Verpflichtungsklage hätte ein sogenanntes Bescheidungsurteil gemäß § 113 V 2 VwGO ergehen müssen. Das Gericht kann sein Ermessen nicht an die Stelle des Ermessens der Behörde setzen. In der Folge hätte die Behörde ggf. durchaus den Versagungs-VA erneut erlassen können, wenn sie sich dabei etwa nur auf die Begründung „bekannt und bewährt“ gestützt hätte. Ein Vornahmeurteil gemäß § 113 V 1 VwGO käme nur in Betracht, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben wäre. Abwandlung: Es ergeben sich ausschließlich bei der Zulässigkeit weitere Probleme: 1. Im Rahmen des Verwaltungsrechtswegs wäre hier zusätzlich zu erörtern, dass es der F nicht um die Einhaltung des zivilrechtlichen Vertrages, sondern weiterhin um den öffentlichrechtlichen Zulassungsanspruch geht. Es kommt also weiterhin auf das „ob“ der Entscheidung an. Dies ist nach der Zweistufentheorie eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. 2. Bei der statthaften Klageart könnte fraglich sein, ob die F ursprünglich auf Abschluss eines Vertrages hätte klagen müssen. Nachdem dies aber ein zivilrechtlicher Vorgang ist (vergleiche möglichen Anspruch auf Vertragsabschluss aus §§ 826, 249 BGB), käme sie hiermit vor dem Verwaltungsgericht nicht weiter. Sie könnte aber eine Anfechtungsklage erheben. Angefochten würde dann die in der Kündigung konkludent enthaltene Rücknahme der ursprünglichen Zulassung. Ist die Anfechtungsklage erfolgreich, so lebt die ursprüngliche, von der Rücknahme gewissermaßen überlagerte, Begünstigung wieder auf, weil die Begünstigung durch den Rücknahmeakt keinesfalls endgültig beseitigt wurde, vergleiche § 43 II VwVfG.26 3. Bei der Klagebefugnis wäre dann zu erörtern gewesen, dass der öffentlich-rechtliche Anspruch der F auf Zulassung zum Volksfest keinesfalls bereits mit Abschluss des ursprüngli- Verletzung in subjektiven Rechten Die F wurde durch den Bescheid auch in subjektiven Rechten verletzt, weil sie aufgrund der Widmung einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung hatte, welche hier nicht erfolgte. Anmerkung: Als zulässige Auswahlkriterien kommen weiter in Betracht: Losentscheid, Rotation, Prioritätsprinzip, Dauer der Gemeindezugehörigkeit, Tradition, Neubewerberquote etc. Wichtig ist nur, dass die Auswahl nicht willkürlich ist und sich nicht auf rechtswidrige Erwägungen stützt. III. 25 Ergebnis Es war ermessensfehlerhaft, dass die Stadt darauf abgestellt hat, dass „Doppelverdiener“ un- BVerfGE 32, 267 (268). RAe Dr. Schlömer/Daxhammer 26 HEMMER/WÜST, VerwR I, Rn. 101. April 12 Juristisches Repetitorium hemmer Verwaltungsrecht AT Niedersachsen Fall 14, Seite 9 von 9 Ermessen, ein Recht auf Bescheidung besteht nicht.29 chen Mietvertrages, sondern eben erst mit tatsächlicher Zulassung erfüllt wird. 4. Schließlich hätte noch unter dem Prüfungspunkt allgemeines Rechtsschutzbedürfnis das Verhältnis zu eventuellen Rechtsbehelfen vor den ordentlichen Gerichten geklärt werden müssen. Nachdem die zivilrechtliche Leistungsklage auf Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen kein gegenüber der Verwaltungsgerichtsklage einfacherer Weg ist, entfällt nicht wegen deren bloßer Möglichkeit das Rechtsschutzbedürfnis für eine eventuelle Anfechtungsklage; das gleiche gilt für das Verhältnis zwischen § 256 I ZPO und § 113 I 4 VwGO. Weiterhin würde einer Verpflichtungsklage auf Zulassung zum Volksfest das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, da insoweit eine Anfechtungsklage ausreichenden Rechtsschutz gewährt.27 Exkurs: Bei der Prüfung eines Zulassungsanspruchs ist zu differenzieren: Innerhalb des Einrichtungsgebrauchs gibt es Spezialgesetze, die für eine bestimmte Benutzergruppe den Zugangsanspruch eigenständig regeln. Beispiele sind § 5 PartG, § 70 GewO, wenn eine Gemeinde Veranstalter eines Jahrmarktes ist. Für kommunale Einrichtungen enthalten die GO/KrO einen allgemeinen Anspruch der Kommunalbürger auf Zugang zu den kommunalen Einrichtungen. Subsidiär können unmittelbar aus Art. 3 I GG i.V.m. der Selbstbindung der Gemeinde, niedergelegt in der Widmung, Ansprüche folgen. Jede Nutzung über den Einrichtungsgebrauch hinaus ist „Sonderbenutzung“. Dieser Begriff leitet sich aus der Negation des Rechts auf Zugang ab. Sonderbenutzung ist daher Einrichtungsgebrauch durch Ortsfremde, durch Überschreitung der Zulassungsbegrenzung, die Nutzung bei Gefahrerhöhung, bei Kapazitätserschöpfung sowie widmungsfremde Nutzung. Die Erteilung der Sondernutzung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sie ist dem Einrichtungsträger aber auch nicht verwehrt. Deshalb steht die Entscheidung im - gesetzlich nicht geregelten – pflichtgemäßen Ermessen des Einrichtungsträgers. Geht es dabei um Sondernutzung, die noch im Sachzusammenhang zum Widmungszweck steht, leitet sich aus der individualfördernden Zielrichtung der Einrichtung ein Recht auf ermessensfehlerfreie Bescheidung ab.28 Widmungsfremde Nutzungen liegen außerhalb des auf Begünstigung des Einzelnen angelegten Einrichtungszweckes. Die Vergabe steht im 27 28 Vgl. HEMMER/WÜST, VerwR I, Rn. 101. BayVGH, NVwZ 1982, 120; BVerwG, NJW 1993, 609. RAe Dr. Schlömer/Daxhammer Wiederholungsfragen 1. Was ist eine öffentliche Einrichtung i.S.d. § 22 I NGO / § 30 NKomVG? 2. Erläutern Sie die Zweistufentheorie! 3. Erklären Sie den Begriff der Widmung anhand des NStrG! Vertiefungsfragen 1. Welche Funktionen hat das Widerspruchsverfahren? 2. Was versteht man unter Devolutiveffekt, was unter Suspensiveffekt? 3. Nach herrschender Meinung genügt als Sachurteilsvoraussetzung für eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage nicht, dass überhaupt ein Vorverfahren durchgeführt wurde. Vielmehr muss das Widerspruchsverfahren auch ordnungsgemäß durchgeführt worden sein. Wann ist das der Fall? 4. Die Schausteller S und K haben sich auf dem Volksfest beide um den einzigen Platz für einen AutoScooter beworben. S erhält den Zuschlag. Welche Klageart ist für K statthaft? 29 BVerwGE 39, 236 ff.; GewArch 1975, 88; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1989, 135. April 12