Raumtexte Miró. Malerei als Poesie 31. Januar bis 25. Mai 2015 Mit

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Raumtexte Miró. Malerei als Poesie 31. Januar bis 25. Mai 2015 Mit
Raumtexte
Miró. Malerei als Poesie
31. Januar bis 25. Mai 2015
Mit seinen phantasievollen Motiven gehört Joan Miró (1893–1983) zu den beliebtesten Künstlern des
20. Jahrhunderts. Ihm schwebte eine energiegeladene Kunst vor, die in das Leben hineinwirkt. Malen
bedeutete für ihn, eine andere, eigene Welt hervorzubringen. Nicht Wiedergabe der Realität, sondern
eine neue emotionale Bildsprache prägt sein Werk.
Die Ausstellung Miró. Malerei als Poesie widmet sich erstmals Mirós intensiver Auseinandersetzung
mit Literatur und seiner Freundschaft mit Schriftstellern. Mirós Kunst ist eine Grenzüberschreitung
zwischen Malerei und Dichtung.
Im Februar 1920 verließ der 27-jährige Miró seine Geburtsstadt Barcelona, um in Paris Inspiration zu
suchen. Hier befreundete er sich mit Schriftstellern, die einen radikalen Neuanfang machten. Sie
wollten eine Nicht-Sprache des Nicht-Denkens erschaffen. Der Angriff auf den Rationalismus war ihre
Provokation. Diese Anti-Dichtung sollte den Leser frei machen, in ihm Assoziationen wecken, ihn mit
inneren Bildern in Verbindung bringen.
Aus den Freundschaften mit Autoren des Dadaismus und Surrealismus zog Miró seine wichtigsten
Anregungen. Er übertrug das Konzept der Literaten auf die Malerei und erweiterte deren Grenzen:
Spielerisch verwendete er in seinen Gemälden Buchstaben, Wortfragmente und schriftartige Zeichen.
Neben 40 Gemälden aus allen Schaffensphasen zeigt die Ausstellung eine Auswahl aus den über 250
von Miró gestalteten Künstlerbüchern. Mit Leihgaben der Fundació Joan Miró in Barcelona, der
Fundació Pilar i Joan Miró a Mallorca und Museen in Europa und Amerika. In Zusammenarbeit mit der
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.
Zeichen und Zeilen.
Landschaften und Stillleben 1917–1924
Mirós künstlerische Anfänge waren vom Kubismus geprägt. Er malte Stillleben und Landschaften. In
Barcelona begegnete er den aktuellen Strömungen aus Frankreich; er sah Werke von Pablo Picasso,
Fernand Léger und Juan Gris. Die neuesten Tendenzen in Literatur und Poesie fanden über
französische und katalanische Avantgarde-Zeitschriften Verbreitung. Aufgrund der politischen
Neutralität Spaniens während des Ersten Weltkriegs war Barcelona Zufluchtsort vieler französischer
Künstler. Dort herrschte eine lebhafte kreative Atmosphäre. Durch Francis Picabia, der 1917 in
Barcelona die Zeitschrift 391 herausbrachte, lernte Miró den Dadaismus kennen. Im Frühjahr 1920
reiste er erstmals nach Paris mit der Absicht, seine Kunst dort „als ein Kämpfer und nicht als ein
Zuschauer des Kampfes“ voranzutreiben, wie er einem Freund schrieb.
Weitere Presse-Informationen und Bildmaterial:
Julia Boberski, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Bucerius Kunst Forum,
Telefon: +49 (0)40/36 09 96 78, Telefax: +49 (0)40/36 09 96 71, [email protected]
Monochromie als Wendepunkt.
Bild-Gedichte 1924–1930
Von 1921 an hielt sich Miró jeweils halbjährig in Spanien und in Paris auf. Er mietete ein Atelier in der
Rue Blomet 45. Dort wohnte auch der Maler André Masson, der zu einem seiner engsten Freunde
wurde. Durch ihn lernte Miró zahlreiche Autoren kennen: Michel Leiris, Tristan Tzara, Robert Desnos,
Max Jacob und Pierre Reverdy waren häufig bei ihm zu Gast. Gemeinsam lasen sie Nietzsche,
Dostojewski und die symbolistischen Dichter. Nicht der Kontakt zu anderen Malern, sondern der
Austausch mit Schriftstellern markierte Mirós Neubeginn. Er wendete seine Bildsprache ins
Phantastische und Zeichenhafte. 1924 gelangte er zu einer Auflösung des Raumes und der
Gegenstände. Die Horizontlinie, die seine Landschaften in Himmel und Erde geteilt hatte, verschwand
zeitweise. Zurück blieben monochrome, vom energischen Pinselstrich strukturierte Farbflächen in Blau
oder Braun. Auf diese einfarbigen Bildgründe setzte Miró schemenhafte Motive, die im
perspektivlosen Raum zu schweben scheinen. Diese Werke Mirós begeisterten die Surrealisten, die
aus Träumen und dem Unbewussten schöpften.
Nachtgedanken.
Die Zeit der Diktaturen 1933–1939
Eine düstere Stimmung dominiert Mirós Werk der 1930er Jahre und verlieh seiner Opposition zum
Faschismus in Deutschland und Spanien einen Ausdruck melancholisch-verzweifelter Aggression.
Nach seinem Militärputsch im Februar 1936 errichtete General Franco eine Diktatur, die bis zu dessen
Tod im Jahr 1975 dauerte. Wie viele seiner Mitbürger stand auch Miró unter Schock. Der fruchtbare
Boden seiner Landschaften der frühen Jahre wurde zu einer dem Menschen feindlichen Kampfzone.
Das Blau und Braun für Himmel und Erde verdunkelte sich oder nahm schrille Töne an. Menschliche
Figuren kehrten in die Malerei zurück. Verzerrt und schemenhaft zeigen sie Ängste und Unfreiheiten
und verbildlichen die bedrohliche Situation. Es ging nicht mehr um den Traum des Einzelnen, sondern
um den Albtraum aller. Selbst typisch surrealistische Kombinationen von Gegenständen arrangierte
Miró auf tiefschwarzem Grund.
Malerei als Poesie.
Malerbücher 1948–1983
In seinen Malerbüchern konnte Miró seine Kunst am engsten mit der Literatur verbinden. Miró
gestaltete mehr als 250 Bücher. Häufig arbeitete er an einem einzelnen Buch über Jahre im Dialog mit
dem Autor. Über Experimente mit Drucktechniken erweiterte Miró seine künstlerischen Möglichkeiten.
Für aufwendig produzierte livres de peintre (Malerbücher) gab es seit dem 19. Jahrhundert einen
spezialisierten Markt. Meist handelte es sich um Luxusausgaben in kleiner Auflage, deren Gestaltung
ein Künstler im Austausch mit dem Autor übernahm. Beide signierten jedes Exemplar. Das Verhältnis
von Text und Bild ging bei Miró über eine Illustration hinaus, weil seine Schöpfungen vom Text
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ausgehen, aber eigenständig sind. Livres de peintre wurden oft auf handgeschöpftem Papier
gedruckt, ihre Produktion übernahmen spezialisierte Drucker. Das ganze Buch, inklusive Umschlag
und Schuber, wurde zu einem Kunstwerk.
Sternbilder.
Entstehung der Zeichenwelt 1938–1959
Während des Zweiten Weltkriegs erweiterte Miró seine Zeichenwelt, die er aus der katalanischen
Landschaft abgeleitet hatte, um eine kosmische Dimension. Seine Serie Constellations erschien 1959
als Buch. In ihr komponierte er das schon in früheren Werken aufgenommene Motiv des Sterns als
Himmelsgeographie. Mit den Constellations, benannt nach den Sternenkarten zur Verortung der
Gestirne am Firmament, entwickelte Miró eine private Kosmologie. Gegen das zerstörerische Chaos
in der Welt stellte er ein harmonisches Gleichgewicht der Bildelemente. Er schuf ein Netz von Linien,
Zeichen und Farbflächen. Alles ist aufeinander bezogen, und die Dinge sind in eine höhere Ordnung
eingegangen. Mit den Constellations begann eine neue Phase in Mirós Werk. Von seinen
Dichterfreunden war André Breton der Erste, der auf sie aufmerksam wurde. Sie inspirierten ihn zu
Gedichten, die in der Buchausgabe den Werken Mirós zur Seite gestellt wurden. Mit seinen Gemälden
auf weißem und gelbem Grund entwickelte Miró die Kosmologie der Constellations weiter.
Rätselhafte Zeichenfolgen.
Schriftbänder 1944–1972
Mirós Bildzeichen wirken wie eine eigene Schrift. Diese Ähnlichkeit mit Texten findet in den
Schriftbändern der 1960er Jahre ihre stärkste Ausprägung. Miró ließ hier die traditionellen
Bildproportionen hinter sich und wählte extreme Querformate. Damit deutete er einen erzählerischen
Ablauf an. Die Gestaltung erinnert an traditionelle Schriftrollen. Seine Bildanordnung, die das
Horizontale betont, macht das Betrachten von Gemälden dem Lesen von Texten vergleichbar. Doch
fehlt diesen Zeichenfolgen die konventionelle Bedeutung, sie sind nicht lesbar. Miró kündigte die
gesellschaftliche Vereinbarung über die Schrift auf. Mit seinen Zeichen ging er zum Ausgangspunkt
von Schrift und Bild zurück, vor den Anfang der rationalen Entwicklung der westlichen Kultur. Diese
Befreiung von Verständigungsnormen ist Ausdruck eines starken Individualismus.
Schablonen-Lettern.
Chiffrenbilder 1968
Einzelne Buchstaben hatte Miró in seiner Malerei schon früh verwendet. Worte und Buchstabenfolgen
tanzen über seine Leinwände der 1960er Jahre. Diese Werke nannte er Chiffrenbilder. Das Wort
„Chiffre“ ist ein Lehnwort aus dem Arabischen, wo sifr „Null, leer“ bezeichnet. Mit den Leerräumen
zwischen den Buchstaben ließ Miró die Zeichen auseinanderdriften und bezog damit eine
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Gegenposition zur Konkreten Poesie. Diese bildhafte Gestaltung der Lyrik in den 1960er Jahren wollte
eine Übereinstimmung zwischen Inhalt und Form herstellen. Gegen solche Festlegungen arbeitete
Miró an. Buchstaben auf Bildern riefen im Jahr 1968 aber auch die Transparente der Pariser
Studentendemonstrationen ins Bewusstsein. Die Gemälde nahmen mit schablonierten Buchstaben die
politische Parole auf, verweigern sich aber deren Eindeutigkeit. So aktualisierte Miró die
Fragmentierung der Sprache, wie er sie aus dem Dadaismus der 1920er Jahre kannte.
Werke des Zorns.
Revolutionäre Zeiten 1966–1975
Das Unbehagen an der westlichen Gesellschaft, das die junge Generation 1968 auf die Straße trieb,
hatte auch Miró erfasst. Es drängte ihn zum malerischen Ausbruch, zur impulsiven Geste und zum
leidenschaftlichen kreativen Akt. In kräftigen schwarzen Graphismen spuken fratzenhafte Figuren über
seine Bilder. Den Einsatz bunter Farben beschränkte er auf ein Minimum. Oft bearbeitete Miró die teils
riesigen Leinwände auf dem Atelierboden und ersetzte den Pinsel durch gröbere Werkzeuge. Er
kleckste, kratzte, schüttete die Farben, malte mit den Fäusten und hinterließ Abdrücke seiner Hände.
Viele Werke vollendete er nicht. Mehr als das Ergebnis zählte der ungestüme Akt. In der befreiten
Bildsprache schlugen sich Einflüsse des Abstrakten Expressionismus nieder. Die schwarzen
Pinselspuren erinnern auch an die japanische Kalligraphie. Das Tiefschwarz und der aggressive
Malduktus mit scharfen Zacken und Linien wirken wie Fäuste, die sich im Protest erheben.
Sonnengesang.
Kosmische Welten 1965–1974
In seinem Spätwerk griff Miró Himmelsmotive wie Sterne, Monde und Wolken wieder auf. Ohne
Landschaften im traditionellen Sinn darzustellen, zeigt er einen universalen Blick auf die Welt, die eine
positive Energie ausstrahlt. Das Eingebundensein des Menschen in den Kosmos fand Miró im
Sonnengesang des Franz von Assisi zeitlos ausgedrückt. Miró illustrierte diesen für ihn so wichtigen
Text konzentriert auf wenige Elemente – ein Lobpreis auf die Gestirne und ihre Schönheit. Die kargen
schwarz-weißen Gemälde, die das Thema der Natur nur durch einen einzelnen schwarzen
Himmelskörper und die Horizontlinie aufrufen, stellen dem begeisterten Lob der Natur eine
melancholische Stimmung zur Seite. Miró blendete die negativen Kräfte der Moderne nicht aus,
bewahrte sich aber in den Bildern zum Sonnengesang den Glauben an die Einheit von Mensch und
Welt.
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