das ganze Interview lesen

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das ganze Interview lesen
Report
Großes
DIENSTAG, 19. JUNI 2012
13
-Interview mit Ex-Irak-Geisel Susanne Osthoff
Mehr als 108 Syrer, darunter viele Kinder, wurden beim Massaker in Hula am 26. Mai hingerichtet
F: Bodmer, dpa, Rts
Darum helfe ich
nun den Syrern
Frau Osthoff, seit vielen Jahren
haben wir nichts von Ihnen gehört,
jetzt tauchen Sie plötzlich an der Seite des Kabarettisten „Fonsi“ an der
syrischen Grenze auf. Wie kam’s dazu?
Osthoff:ChristianSpringerundich
kennen uns seit dem Studium in
München. In letzter Zeit hatten wir
nicht viel Kontakt, aber wenn man
sich mit dem Orient beschäftigt, begegnet man sich immer wieder. Und
meine Mutter ist ein Fan von Fonsi.
Vor längerem war ich mit ihr bei einem seiner Auftritte in Kolbermoor,
so hat sich unser Kontakt wieder
mehr aufgebaut.
Und wann kamen Sie auf die Idee,
zusammenfürdenVereinOrienthelfer zu arbeiten?
Osthoff: Christian hatte die Idee
im Dezember 2011. Als er mich anrief und fragte, ob ich in den Libanon
mitfahre, um den syrischen Flüchtlingen zu helfen, habe ich innerhalb
von fünf Minuten zugesagt. Meine
Mutter und ein guter Freund sagten:
Auf jeden Fall, hilf den Armen! Die
wissen ja, dass mir das Spaß macht
und haben keine Angst um mich.
Was nützt es, in Deutschland rum
zusitzen und zu jammern. Auch
wenn ich in einer schwierigen Situation bin: Allah hilft mir immer weiter,eskommtdannwiederdienächste Tür, die sich für mich öffnet.
Ihre Mutter untersützt Sie, aber
was sagt Ihre Tochter, die mittlerweile 18 Jahre alt ist, zu Ihrem Engagement in der arabischen Welt – hat sie
Sorge um ihre Mama?
Osthoff:Ganzundgarnicht,meine
Tochter ist begeistert. Sie ist in den
Schulferien mit mir im Flüchtlingsgebiet und unterstützt mich. Meine
Tochterkenntmich,sieistselbersehr
eingebunden und organisiert mit ihrer Schule Aktionstage zur Entwicklungshilfe. Ihr Vater stammt von der
syrischen Grenze. Wir wollen irgendwann dort Urlaub machen und
ein normales Leben führen.
Sie trauen sich nach ihrer Entführung2005erneutineinKrisengebiet.
Wieviel Angst reist mit Ihnen mit?
Osthoff: Ich bin ja nicht im Krisengebiet. Die Kampfhandlungen finden nur in Syrien statt. Dort wo die
seinem Verein „Orienthelfer“ an der syrischen Grenze in Jordanien und im Libanon
tausende Flüchtlinge mit dem Nötigsten (tz
berichtete). In seinem Team: Susanne Osthoff (50). In der tz spricht sie über ihr Engagement für die Flüchtlinge und ihr Leben
seit der Entführung im Irak 2005.
eine Art Überbringer, freiwillig für
die Hilfsorganisation Medeor gearbeitet. Medeor weiß, ich bin zuverlässig. Durch mein Privatleben habe
ich über Jahrzehnte große Kontakte
aufgebaut, sonst könnte ich ja nicht
die Zollformalitäten in diesen Ländern durchführen.
Sie waren ganz alleine tätig?
Osthoff: Ich war alleine, weil sonst
macht das keiner. Das dauert über
-Interview mit
Monate, sie kriegen keinen Cent dafür. Das ist nicht gefährlich. Gut, ich
Susanne Osthoff
kanneinenAutounfallhaben.Wenn
Archäologin und Flüchtlingshelferin
sie sich mal in den Krieg rein versetzen: Es muss Leute geben, die die
Hilfsgüter hinbringen. Davon leben
Flüchtlinge sind, an der Grenze dann Tausende. Wenn’s den Fahrer
zum Libanon und zu Jordanien, nicht gibt, der das Auto fährt, der die
sind wir in der sicheren Zone. Wir Logistik durchführt, wird in Krierichten uns als Zivilisten mit unse- gen das Chaos noch größer.
WenigewürdensichfürdieFlüchtren Sprachkentnissen und unseren
Kontakten vor Ort danach, was linge so einsetzen und ihr Leben rismöglich ist und was nicht. Außer- kieren...
Osthoff: Wenn Sie das Elend sedem beschützt mich ja der Christihen, hat man die Verpflichtung zu
an. (lacht)
Wo liegt denn der Unterschied helfen. Ich war selber lange in diesen
ihrer humanitären Hilfe für die Sy- Lädern und bin dort fantastisch aufgenommen worden und harer im Vergleich zur Hilfe
beengeBeziehungenund
im Irak damals?
be enge Beziehungen und
Freundschaften aufgeOsthoff: Irak war
Spenden für
baut, mein Ex-Mann
ein ganz anderer
„Orienthelfer“
stammt von dort.
Fall und ist mit SyPostbank (Giro)
Unsere Energien in
rien nicht verdieses Projekt zu
gleichbar.ImIrak
Empfänger: Wadi Khaled
setzen ist sinnvoll,
war Krieg mit
Kontonummer: 46572805
wir können da was
KampfhandlunBankleitzahl: 70010080
bewegen.
gen. Dort bin ich
Können Sie uns die
in Konvois mitgeSituationvorOrtinJorfahren, Lastwagen
Situation vor Ort in Jordanien und im Libanon
vor mir von Ärzte ohne
beschreiben?
Grenzen. Die Tonnen von
Osthoff: In Syrien werden Kinder
Hilfsgütern habe ich in den Krankenhäusern abgegeben. Im Irak vor den Augen der Eltern gefoltert.
lag die Bedrohung in Plünderun- Man kann sich das nur schwer vorgen, Kämpfen, Ausgangssperren. stellen. Die Opfer sind sehr jung und
Die Amerikaner haben die Genfer höchst traumatsiert. Mütter fragen
Konventionen nicht eingehalten mich, wie sie ihren 10-jährigen Sohn
und die Konvois nicht beschützt, behandeln sollen, der gefoltert wurde. Es geht gerade um die Stabilisiedas war gefährlich.
Seit2005sindsieabernichtmehr rung der Familien: Wir bringen ihnen Windeln, Medizin, Spielzeug
in den Irak gefahren oder?
Osthoff: Doch. Eine meiner und Bettwäsche – das Nötigste
Haupttätigkeiten bis 2010 war, me- eben.
Für die Flüchtlinge sind Sie, wie
dizinischeHilfsgüterindenIrakzu
verfrachten, um Leute in armen wahrscheinlich auch Herr Springer,
Regionen zu unterstützen. Ich ha- Fremd – wie werden Sie aufgenombe als sogennanter Transmitter, men?
Im Interview-Foto links:
tz-Reporterin Christina
Lewinsky mit Christian Springer
und Susanne Osthoff (re.)
❋
❋
❋
Deutsche im Irak entführt
■ Kanzlerin verhandelt
■ Die Mutter betet
■ Freunde geschockt
■ Entführer eiskalt
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MÜNCHEN, MITTWOCH, 30. NOVEMBER 2005
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Führerschein weg!
Foto: firo
Der Bürgerkrieg in Syrien unter Machthaber
Baschar al Assad wird immer dramatischer
– Hunderttausende sind auf der Flucht.
Uno-Beobachter haben am Samstag angesichts der eskalierenden Gewalt ihren Einsatz ausgesetzt. Der Münchner Kabarettist
Christian Springer alias „Fonsi“ versorgt mit
Pizarro hatte
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Kontingent pro Flug.
Das mutige Leben
der Geisel
aus Glonn
Seite 30
Nachrichten
■ Deutsche fürchten Generationenkonflikt
Viele Deutsche erwarten wegen der von der Regierung angekündigten Sozialreformen große Konflikte zwischen den Generationen. Die meisten Opfer wird nach Einschätzung von rund der Hälfte der
Bundesbürger die junge Generation bringen müssen, so eine Allensbach-Umfrage.
■ Klimakonferenz: Europa droht Katastrophe
Europa droht nach Einschätzung der Europäischen Umweltagentur der dramatischste Klimawandel seit 5000 Jahren. Die Durchschnittstemperatur steige um ein Drittel schneller als im weltweiten Mittel, warnte die
EUA während der Weltklimakonferenz in Mon- Das kleine Quiz
treal. (siehe Karikatur
Wo tanzte man zuerst
auf Seite 2).
den Cha-Cha-Cha?
■ Handy-Urteil
Werbung für Schnäpp- a) in Frankreich
chen-Handys,
deren b) in Kuba
Kauf an einen Mobil- c) in Spanien
funk-Vertrag gekoppelt
d) in Westafrika
ist, muss Verbrauchern
Auflösung Seite 10
auf einen Blick Klarheit
über die Einstiegskosten
verschaffen, so ein Urteil des Bundesgerichtshofes.
■ Arzt verweigerte Hausbesuch: Verurteilt!
Ein Mediziner, der Hausbesuche verweigert, obwohl er Notdienst hat, kann seine ärztliche Zulassung verlieren, so ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Koblenz.
■ Kubaner in Kennedy-Mord verstrickt
Der kubanische Geheimdienst ist laut WDR tiefer
in die Ermordung des USTrendbarometer Präsidenten John F. Kennedy verstrickt als bisher
28.11.2005
29.11.2005
Deutscher Aktien-Index bekannt. Ein Ex-Agent
bestätigt, Kontakt zu dem
5196,75
Attentäter Lee Harvey
Oswald gehabt zu haben.
1,1793
1,1726
Gold-Kilobarren in Euro
13665
image
©
Weitere Berichte finden Sie auf den Seiten 2 – 4
Bambi für Caterina die Große
■ Zitat des Tages
5163,83
1Euro/Dollar
Ihr Mut beeindruckt jeden, der sie
kennt. Schon oft in ihrem Leben hat sich
Susanne Osthoff in ganz extreme
Situationen begeben. Doch jetzt
befindet sich die 43-Jährige aus Glonn
unfreiwillig in Lebensgefahr. Sie wurde
im Irak entführt. In einem Video verlangen die Täter, die Bundesregierung
solle die Zusammenarbeit mit der
irakischen Regierung einstellen, sonst
werde die Geisel erschossen. Was
Susanne Osthoff im Irak gemacht hat,
wie die Verhandlungen laufen:
13545
Börsenkurse Seite 16
Valente wird als Wegbereiter für Stars wie Mariah Carey geehrt
„Das neue Kabinett ist das
alte Kabinett. Und das alte
Kabinett war schon alt, als
es noch neu war.“
GRÜNEN-LANDTAGSFRAKTIONSCHEF SEPP DÜRR ZUR
KABINETTSUMBILDUNG UND
DEM ALTERSDURCHSCHNITT DER
BAYERISCHEN MINISTER.
Große Ehrung für Caterina Valente
Foto: ddp
tz München
Ein Ehren-Bambi für die große Caterina Valente! Die 74-Jährige wird
morgen für ihre internationale Karriere mit dem begehrten Medienpreis
geehrt. Die Jury der Hubert Burda
Media begründete ihre Entscheidung
damit, dass Valente über Jahrzehnte
bewiesen habe, wie erfolgreich ein
Star mit Musik made in Germany sein
könne. „Mit ihrer großen Stimme und
ihrem unvergleichlichen Charme war
sie eine Wegbereiterin für viele internationale weibliche Stars wie Mariah
Carey und Celine Dion.“
Valente wurde 1931 in Paris in eine
italienische Künstlerfamilie hineingeboren. In den 50er Jahren wurde sie
mit Evergreens wie „Ganz Paris
träumt von der Liebe“ und „Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu Strand
Bikini“ zu Deutschlands Schlagerstar
Nummer eins. 1954 begann sie eine
unvergleichliche Weltkarriere: Mit
ihrem Hit „Malaguena“ erreichte Valente als erster europäischer Star
Platz 1 der US-Hitparade.
So berichtete die tz am
30. November 2005
Entführung mit Rätseln
Susanne Osthoff wurde am 25. November
2005 im Norden des Irak von Rebellen für 24
TagealsersteDeutscheinGeiselhaftgenommen. Nach der Freilassung geriet sie ins Räderwerk der Medien, Rätsel entstanden um
die Archäologin. Angeblich wurde bei Osthoff Geld gefunden, das identisch gewesen
sein soll mit dem von der Bundesregierung
bezahlten Lösegeld. Auch über eine Zusammenarbeit mit dem BND wurde spekuliert.
Seit der Freilassung lebt sie zurückgezogen
– über ihren Wohnort schweigt sie.
Osthoff: Die Flüchtlinge sind
sehr schamhaft und laden uns mit
dem einzigen Glas, das sie noch
haben, auf einen teuren Saft ein.
Wir waren bereits bei ein paar Tausend Menschen. Sie sitzen in Baracken,GaragenundengenLöchern,
die sanitären Anlagen sind eine
Katastrophe. Langsam kommt der
Wiedererkennungseffekt, wir haben eine Vertrauensbasis zu den
Flüchtlingen.
Nutzt es Ihrer Meinung nach
was, dass Syrien von den Vereinten
Nationen auf die „Liste der Schande“ gesetzt wurde und damit zu den
Staaten zählt, in denen Kinder Opfer von bewaffneten Konflikten
sind, oder müssten die UN nicht
noch viel mehr tun?
Osthoff: Wir kriegen nur die Reaktion der Leute auf die UN mit,
die über Kofi Annan sagen, er soll
lieber rausgehen und den Syrern
helfen. Jetzt haben die Syrer die
Hoffnung auf den Westen komplett aufgegeben. Die angebliche
Hilfe ist dann eine alte Decke, die
nicht wärmt. Die Waschmittel sind
die billigsten, die zu Hautkrankheiten führen. Was wir sehen ist
eineSchande.Eswerdenangeblich
Millionen an Geldern geschickt,
aber die Umsetzung davon ist ein
großes Fragezeichen.
Die Hilfsgüter finanzieren Sie
durch Spendengelder Ihres Vereins,erhaltenSieauchHilfevonder
Bundesregierung?
Osthoff: Orienthelfer als Privatorganisation braucht mehr Unterstützung von der Regierung, um
Reglementierungen auf Hilfsgüter
nach Jordanien und Libanon aufzuheben.AberDeutschlandschaut
nur zu, das ist Voyeurismus auf
Kosten von Menschenleben. Von
der Bundesregierung haben die
meistenFlüchtlingeseiteinemJahr
keinen Knopf erhalten.
Sie gerieten nach Ihrer Entführung ins Kreuzfeuer der Medien
und lebten seitdem sehr zurückgezogen. Ist die Arbeit für Orienthel-
Osthoff nach der Freilassung im Interview
fer ein Grund, dass Sie wieder vermehrt in die Öffentlichkeit treten?
Osthoff: Nur in Kombination mit
Herrn Springer und wenn es der
Sache dient. Aus anderen Gründen auf keinen Fall.
Konnten Sie denn für sich einen
Weg finden, um mit diesem dunklen Kapitel fertig zu werden?
Osthoff:WissenSie,dieZeitnach
der Geiselnahme war so schlimm
und meine Lebensgrundlage wurde mir entzogen. Darüber möchte
ich in der Presse, auch zum Schutz
meiner Tochter nicht reden, bitte
haben Sie dafür Verständnis.
Wie geht’s jetzt weiter mit Ihrer
Arbeit für die Flüchtlinge?
Osthoff: Assads Ende ist vorprogrammiert. Christian und ich fliegen in zwei Wochen wieder in den
Libanon und werden den Flüchtlingen solange helfen, bis wir eines
Tages mit ihnen zurück nach Syrien gehen können und ihnen beim
Aufbau der Häuser helfen.
INTERVIEW: CHRISTINA LEWINSKY