Drägerheft 395

Transcription

Drägerheft 395
Drägerheft
Big Data
Wo Daten mit
Sicherheit weiterbringen
395
Feuer-Zeug
Drägerheft 395
Wie sich ein Brandlabor
in Rowdys hineindenkt
Außer Atem
Technik für das Leben 2014
Thriller über einen
natürlichen Reflex
3. Ausgabe 2014 Künstliches Koma
Seele ohne Ausweg
Langzeitnarkose: Gefangen im eigenen Körper
Feuer, Wasser, Erde, Luft – ohne die vier Elemente kann der Mensch nicht leben. Und doch muss er sich vor ihren
Gefahren schützen: Seit 125 Jahren stehen Dräger und „Technik für das Leben“ auch für den Umgang mit ihnen.
„Diese vier Elemente zu bannen, gerade wenn sie wild stürmend und tosend daherbrechen, ohne
das bedrohte Menschenleben mit Kraft und Energie zu entreißen, und sie so wieder in die Schranken
zurückzuzügeln – das war, aus kleinsten Anfängen heraus geboten, die Arbeit des Drägerwerks.“
Hauptpastor Wilhelm Mildenstein, Marienkirche Lübeck, am 16. Januar 1928, anlässlich der Beerdigung von Bernhard Dräger
Sie ist nicht nur Heimatplanet, sondern – im engeren Sinn – die Erdkruste: von der
Ackerkrume über die TauTona-Mine in Südafrika, die noch aus 3.900 Meter Tiefe Gold fördert,
bis zur Forschungsbohrung SG-3 auf der russischen Kola-Halbinsel in 12.262 Meter Tiefe.
Mehr als 20 Millionen Menschen verdienen weltweit als Kumpel ihre Kohle. Ihre Arbeit ist ebenso
unverzichtbar wie gefährlich. Dieses Risiko mindern ein Ausbau der Bergwerke nach
dem Stand der Technik sowie die technische Ausrüstung und Ausbildung von Grubenwehren.
INH ALT
1.000 Quadratmetern
4 E R FAHR U N GE N
Aus aller Welt:
Helga Tschugg, leitende Pflegekraft aus
Innsbruck, und Andreas Friedl von der
dortigen Berufsfeuerwehr helfen den
Menschen auf verschiedene Art und Weise.
22
ATMEN
22 E S S AY
Atmung: Eine atemberaubende Reise
durch einen lebenswichtigen Reflex, den
man kaum bemerkt.
6 S T R E IF Z Ü GE
Der etwas andere Blick auf die Themen
dieser Ausgabe: und was es sonst noch
dazu zu sagen gibt.
28 K R ANK ENH AU S - I T
Datenschutz: In Krankenhäusern werden
immer mehr Daten digital verwaltet. Doch
wie sicher sind die Systeme, und wie wird
man den Anforderungen der Behörden
gerecht?
8 FO K U S
Langzeitnarkose: Im Koma empfinden
Menschen völlig anders. Künstlich in einen
veränderten Bewusstseinszustand gebracht,
kämpfen sie parallel zur Genesung ihres
Körpers ihren ganz eigenen Kampf. Wie
kann man ihnen diesen Weg erleichtern?
32 K R ANK ENH AU S
Hygiene: Die frühe Erkennung einer
Blutvergiftung kann Leben retten, doch
die Diagnose ist oft schwierig. Die Betroffenen haben nur dann gute Überlebenschancen, wenn schnell und beherzt
eingegriffen wird.
18 BR AN DSC HU T Z
Personenverkehr: Zündeln erlaubt! Gezielt
Feuer legen, um Schäden zu vermeiden –
das ist die Aufgabe des Brandlabors der
DB Systemtechnik GmbH.
38 G E S E L L S C H AF T
Datenflut: Das Informationszeitalter häuft
täglich immer größere Datenmengen an.
Big Data hat das Potenzial, sie nutzbar zu
machen – auch in der Medizin.
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
28
SCHÜTZEN
GET T Y IMAGES
PRÜFEN
ARNE WESENBERG
18
PETER THOMAS
FOTO : GET T Y IMAGES. TITEL-ILLUSTRATION: ALINE ABREU
Eine Oberfläche von rund
weist
ein Gramm Aktivkohle aus der Schale der Kokosnuss auf, die Stoffe aus der Luft bindet – mehr ab Seite 48.
44 MED I Z IN
Geschichte: Eine Sonderausstellung
in Mannheim beleuchtet noch bis
Mitte 2015 die Geschichte und Zukunft
der Medizintechnik.
48 SC HU LT ER BL I C K
Arbeitsplatzmessungen: Der DrägerAnalysenservice bestimmt Schadstoffe in
der Luft – auch wenn ihre Konzentration
noch so gering ist.
52 EINBLIC K
Alkohol-Interlocks: Der zweite Zündschlüssel – freie Fahrt gibt es nur für
den, der vorher gepustet hat und ohne
Atemalkohol ist.
3
ER FAHR UN GEN
AU S A L L E R W E LT
Menschen, die bewegen
Helga Tschugg, leitende Pflegekraft, Universitätsklinik Innsbruck/Österreich
schon, wie ungerecht das Leben sein kann, wenn man zur falschen
Zeit am falschen Ort ist. In einem unserer elf Betten liegt gerade
eine Frau nach einem Sturz aus großer Höhe in den Bergen, ebenfalls querschnittsgelähmt. Der Absturz war nicht hoch genug, wie
sie es sich erhofft hatte. Wie man mit all dem umgeht? 90 Prozent
unserer Patienten leben weiter. Ein Tiroler hatte vor 16 Jahren einen
Unfall. Er sitzt heute im Rollstuhl, spielt Posaune, fährt Mono-Ski.
Manchmal frage ich ihn, ob er kommen kann, um mit den Patienten zu reden. So einer wie er ist ein Energielieferant, auch für das
ganze Team. Aber man muss lernen, alles hierzulassen, in der Klinik – es in die Schublade zu legen, bevor man nach Hause geht.
Als kleines Mädchen wollte ich Säuglingsschwester werden. Nun
arbeite ich seit 30 Jahren in der Intensivpflege und bin bis heute
froh darüber. Ich mag es, Empathie weiterzugeben. Früher hatten
die Menschen mehr familiären Rückhalt, heute leben viele isolierter.“
FOTOS UND TEXTE: BARBARA SCHAEFER
„Die Skisaison in Sölden wurde bereits Ende Oktober eröffnet –
leider hatten wir gleich zwei Schwerverletzte: einen jungen Russen,
Snowboarder, der nach einem schweren Unfall querschnittsgelähmt
ist. Und einen Mann, der beim Ausladen seines Wagens überfahren
wurde. Weihnachten heißt für uns Urlaubssperre, dann wird es hier
voll und international. Tirol zählt 45 Millionen Übernachtungen pro
Jahr. Früher gab es saisonale Pausen, da waren die Ski-Openings
erst im Dezember.
Was ich mir beruflich wünsche? Schwierig zu sagen. Wenn einer
sich überschätzt, muss er mit dem Risiko leben. Wir hatten mal eine
Studentin, begeisterte Gleitschirmfliegerin, ein Profi. Sie stürzte
50 Meter im freien Fall in die Tiefe und verstarb drei Tage später.
Tragisch, aber sie wusste um das Risiko. Ich erinnere mich auch an
einen jungen Motorradfahrer, der von einem entgegenkommenden
Motorrad erfasst wurde. Er hat auch nicht überlebt. Da denkt man
4
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
Andreas Friedl, Ingenieur und Bereitschaftsoffizier, Berufsfeuerwehr Innsbruck/Österreich
„Ich bin seit 22 Jahren bei der Feuerwehr und habe schon einiges
erlebt: von der Katze auf dem Baum bis zum Waldbrand. 2008
brannte es zehn Tage lang, 40 Meter hohe Flammen schlugen aus
dem Wald. Unterhalb der Martinswand ist es im Sommer extrem
trocken, ein starker Föhnsturm blies noch dazu. Auch wenn Hubschrauber Wasser abwarfen: Wir gingen rein und hackten den
steilen Waldboden auf, denn Wurzelbrände können noch tief unter der Erdoberfläche schwelen. Der Wald schützt die Stadt. Innsbruck ist die einzige Großstadt Europas mit Siedlungen in lawinengefährdetem Gebiet – Ende Oktober hatten wir schon 1,80 Meter
Neuschnee auf den Bergen!
Kürzlich brannte es in einer Tiefgarage, 400 Batterien explodierten. Da kamen wir körperlich an unsere Grenzen. Bei der Personensuche in extremer Rauchentwicklung haben wir neben Dräger-
Atemschutzgeräten (Typ: PSS 5000) auch Twin-Packs dabei. Mit
zwei Flaschen verdoppelt sich der Luftvorrat. Unsere größte Herausforderung? Vermutlich der Brenner-Basistunnel. Wenn der in einigen
Jahren fertiggestellt ist, führen drei Röhren durch die 64 km lange
Ader im Untergrund. In einem Zug sind dann bis zu 1.000 Fahrgäste. Das mag man sich gar nicht vorstellen, wenn da etwas passiert.
Mein schlimmster Einsatz ist 15 Jahre her: Ein 18-jähriger Kanalarbeiter steckte kopfüber im Schacht fest. Wir hatten ihn schnell
heraus, doch im Schacht war Wasser. Wie elend er da zugrunde gegangen sein muss – das hat mich lange beschäftigt. Manchmal müssen wir auch Hunde aus dem Inn retten. Da stehen dann Leute auf
der Brücke und klatschen. Bei einer Personenrettung habe ich das
noch nie erlebt, aber so ist unsere Gesellschaft nun mal. Als Feuerwehrmann kann man gut sein kleines Helferleinsyndrom pflegen.“
S T R EIF ZÜGE
UM WAS ES HIER GEHT
Stichwörter
FOTOS: DDP IMAGES, PETER THOMAS, PATRICK OHLIGSCHLÄGER, GET T Y IMAGES
Jedes von ihnen deckt auf dieser
Doppelseite einen neuen Aspekt
eines Artikels auf, zeigt ihn aus
einer anderen Perspek tive. Denn
jedes Thema hat viele Facetten.
Die Erklärungen und Erläuterungen der Stichwörter werden
auch aus Lexika, Wör terbüchern
und Fachenzyklopädien zitiert –
und sie enthalten Streifzüge
durch andere Gebiete. Damit
man manchen Aspekt mit
anderen Augen sieht.
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ANDERE WELTEN
Nicht mehr Herr im eigenen Haus
In wunderbaren Momenten fühlt sich der Mensch mit sich und seiner Umwelt im
Einklang. Doch vielfach nimmt er schon im normalen Alltag widerstreitende Gefühle
wahr: Der Bauch will Schokolade, der Kopf legt sein vernunftgesteuertes Veto ein.
Sigmund Freuds Psychoanalyse brachte 1917 Ordnung in dieses Chaos, indem Freud
das Unbewusste beschrieb – auch als Kränkung, dass das Ich nicht mehr Herr im eigenen Hause sei. Ähnlich dürfte es Komapatienten ergehen: mehr ab Seite 8
WUNDERKAMMER
Begehbare Stätten der Aufklärung
Nicht nur das Internet bildet. Museen bieten Ausstellungen nach Themen geordnet,
stellen Dinge in einen erhellenden Zusammenhang, machen sie haptisch erlebbar.
Sie gingen aus „Wunderkammern“ genannten Kunstsammlungen des Barocks
hervor. Die Aufklärung wandelte den Blick vom Staunen in Wissenserwerb durch
Anschauung. Medizintechnik ist ebenfalls ihr Thema: mehr ab Seite 44
DRÄGERHEFT 395 | 3/ 2014
NEBEN DER SPUR
Hinterwäldler der Gesellschaft
Sie stören, sie zündeln, sie brechen Streit und Gewalt vom Zaun: Rowdys.
Ursprünglich bezeichnete dieser Begriff ungehobelte Hinterwäldler, die
aneckten und alles dafür taten. „Rowdytum“ ist aber auch die stigmatisierende
Bezeichnung für lediglich Unbequemes. Im Fall von Feuerteufeln jedoch ist
klar, welche Rowdys am Werk sind, vor denen die Bahn sich schützt:
mehr ab Seite 18
DIGITALISIERUNG
WAHRNEHMUNG
Die ganze Welt in 0 und 1
Der Nase nach
Gewöhnt haben wir uns an das Zehnersystem, denn zehn Finger haben beide
Hände. Doch Griechen und Chinesen beispielsweise rechneten im Fünfersystem, die Mayas in 20er-Schritten. Sumerer und Babylonier wiederum orientierten sich nicht am Menschen, sondern am Lauf der Sterne – ihr 60er-System
eignete sich besonders für astronomische Berechnungen. Damit räumte das
Universalgenie Gottfried Wilhelm Leibniz im Jahre 1697 radikal auf: Er entwickelte ein Dual- oder Binärsystem, das nur noch aus den Werten 0 und 1
besteht. Das sollte reichen zur Beschreibung der Welt und ließ sich universal
übersetzen: in Ja und Nein, in Gott und Teufel, Mann und Weib, aber auch in
Tag und Nacht. Etwas Drittes gibt es nicht, logisch. Der Strom ist an oder aus.
Claude E. Shannons bahnbrechende Kommunikationstheorie verknüpft Dualsystem und frühe Computertechnik. Er legte damit die Grundlage – auch
für das, was wir heute als „Big Data“ völlig neu sehen: mehr ab Seite 38
KEIME
Die 30 Millionen Riechzellen der menschlichen Nase nehmen beispielsweise Substanzen wie Methylmercaptan im Knoblauch
noch in unvorstellbar geringer Verdünnung
wahr. Hunde leisten da sogar noch mehr.
Doch bei vielen Schadstoffen kann man
sich auf Nasen aus Fleisch und Blut nicht
mehr verlassen. Dann helfen nur noch
Analysen, die die notwendige Sicherheit geben: mehr ab Seite 48
Angriffe
auf den Körper
Fühlt sich der Mensch unwohl, wird
gar krank, sind oft Keime die Ursache –
Mikroorganismen, die im Körper ihr
eigenes evolutionäres Programm der
Vermehrung verfolgen. Auf Kosten des
Wirts, der die Rechnung zu zahlen hat.
Die Quittung besteht zumeist in einer
Schwäche unterschiedlichen Grads, weil
der Körper alles für die Abwehr der
Eindringlinge mobilisiert. Deren Entdeckung überhaupt ist mit den Namen
Louis Pasteur und Robert Koch verbunden. Seitdem weiß man, was man
bekämpfen muss. Das aber ist nach
wie vor schwierig, etwa bei einer
Sepsis: mehr ab Seite 32
DRÄGERHEFT 394 | 2 / 2014
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FOK U S
L ANG Z EI T N ARKOS E
Zwischen den Welten
Grelles Licht, laut piepsende Maschinen, unbedachte Gespräche:
Intensivstationen können Patienten das Leben retten – und
sie auch verzweifeln lassen. Künstlich in einen veränderten
BEWUSSTSEINSZUSTAND gebracht, kämpfen sie parallel zur
Genesung ihres Körpers ihren ganz eigenen Kampf.
Wie kann man ihnen diesen Weg erleichtern?
ILLUSTRATIONEN: ALINE ABREU
Klein steht der
Mensch vor den
Empfindungen,
die ihn im Koma
erwarten können:
Was davon ist
Realität,
was Wahn?
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DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
THEMA
R U BR IK
A
n einem Montag wohnte die
Angst in Dorothea Knappes*
Haus. Es war Mittag, als sich
die Kopfschmerzen wie Pfeilspitzen in
ihre Schläfen rammten, ihr den Boden
unter den Füßen wegzogen und 13 Tage
Bewusstsein und vier Wochen Realität
raubten. Als sie die Augen wieder aufschlägt, den Pfleger beobachtet (der
gerade einer Kollegin zuruft, dass das
alles wohl keinen Zweck mehr hätte,
dann die Medikamente prüft), glaubt
sie, er lasse Gift in ihre Adern fließen.
Dann schließt sie die Augen wieder.
80 Prozent aller Intensiv patienten entwickeln ein Delir, 44 Prozent leiden
noch Wochen und Jahre später an einer
posttraumatischen Belastungsstörung,
ein Drittel wird depressiv. Dahinter
verbirgt sich ein veränderter Bewusstseinszustand, in dem sich die Patienten
befinden, die in einen medizinischen
Schlaf versetzt wurden.
Atmung: so eigenständig
wie möglich
Das, was im Volksmund „künstliches
Koma“ heißt, ist eigentlich gar kein
Koma, sondern eher eine Art Langzeitnarkose. „Das diabetische Koma,
das urämische Koma oder das nach
einem Schädel-Hirn-Trauma ist Ausdruck einer Störung des zentralen Nervensystems (ZNS)“, erklärt Michael
Bauer, Professor für Anästhesie am
Universitätsklinikum Jena. „Das ZNS
ist im Koma in seiner Funktion gestört,
während es unter der Analgosedierung reversibel runtergeregelt wird.“
Analgosedierung bedeutet Schmerzhemmung (Analgesie) bei gleichzeitiger Beruhigung (Sedierung) mit Medikamenten. Die Patienten werden in der
Regel invasiv beatmet, mittels Tubus,
oder über eine nichtinvasive Beatmung
dabei unterstützt. Anders als noch Mitte des letzten Jahrhunderts setzt man
heute darauf, so viel Eigenatemantrieb
des Patienten wie möglich zu erhalten.
Moderne Intensivbeatmungsgeräte helfen dabei. Die Narkosetiefe ist dann so
flach wie möglich und so tief wie nötig.
Gleiches gilt für die Dauer der Sedierung und der Beatmung.
In regelmäßigen Abständen wird die
Narkosetiefe durch Messung der Gehirnströme überprüft – mittels prozessiertem EEG (Elektroenzephalogramm) >
* Name geändert
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
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FOK U S
L ANG Z EI T N ARKOS E
„Patienten werden
nur so weit sediert,
dass sie das Drumherum ertragen“
> oder Sedierungs-Scores, wie der Richmond Agitation-Sedation Scale (RASS),
die auf Beobachtung und die klinische
Beurteilung des Patienten setzt. Auf
Intensivstationen wird diese Beurteilung
nach den aktuellen Leitlinien der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften alle acht Stunden empfohlen.
Hinzu kommen sogenannte Sedierungsfenster, innerhalb derer man den Patienten quasi kurz aufwachen lässt oder in
eine leichte Narkose bringt, um ihn neurologisch beurteilen zu können. „Wenn
der Patient unter Analgosedierung einen
Schlaganfall entwickelt, kann das vollkommen maskiert sein und übersehen
werden“, erklärt der Jenaer Spezialist
Michael Bauer. Eine möglichst flache
Sedierung bedeutet ein Bewusstsein, das
zwar verändert, aber nicht ausgeschaltet
ist. „Diese Handhabung beschleunigt die
Heilung, erleichtert das spätere Aufwachen und verkürzt die Verweildauer auf
der Intensivstation“, bekräftigt André
Gottschalk, Leiter der Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerzmedizin
am Diakoniekrankenhaus Friederikenstift in Hannover. „Patienten werden nur
so weit sediert, dass sie das Drumherum
ertragen. Sie sollen möglichst wach sein
und kommunizieren können – durch Händedruck oder Augenzwinkern.“
Ohne Orientierung und
Zeitgefühl
Vier Wochen brauchte Dorothea Knappe, um ihren Angehörigen und den Pflegekräften Vertrauen zu schenken. Die
64-Jährige steckte nach dem Aufwachen
im Delir – ohne Orientierung und Zeit- >
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DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
Wer beobachtet
hier wen? Im
Koma verschiebt
sich das Bewusstsein – winzige,
scheinbar nichtige
Details bekommen
beängstigende
Aufmerksamkeit
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
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FOK U S
L ANG Z EI T N ARKOS E
Beruhigend,
wenn der
Rhythmus von
Tag und Nacht
erhalten bleibt
> gefühl, verursacht durch einen unregelmäßigen Tag-Nacht-Rhythmus und das
Gefühl des Ausgeliefertseins. Es war wieder ein Montag, als sie in der Reha eine
Therapie begann und anfing zu verstehen, was mit ihr passiert war. Eine völlig
fremde Umgebung, ungewohnte Geräusche und Gerüche manipulieren die
unter Medikamenten getrübte Wahrnehmung – und lassen der Fantasie freien
Lauf. Wird dann noch sorglos mit dem
Zeitgefühl der Patienten umgegangen,
indem auch nachts das Licht brennt und
Geräte laut Alarm schlagen, kommen die
Betroffenen völlig aus dem Konzept. „Wir
achten sehr darauf, die Nacht auch weitestgehend Nacht sein zu lassen, dimmen das Licht, schalten die Geräte leiser, schließen auch mal die Türen zu den
Zimmern“, bemerkt André Gottschalk.
Tagsüber werde darauf Wert gelegt, möglichst häufig gewohnte Situationen für
den Patienten zu schaffen, etwa durch
regelmäßigen und häufigen Besuch.
In der Narkose erschossen,
vergiftet und gefoltert
Nicht von seiner Seite wich Clemens
Hagens Verlobte Kimberly Hoppe. Wegen
einer geplatzten Bauchschlagader verblutete er fast innerlich und konnte nur mit
Unmengen an Blutkonserven sowie zwei
Wochen Analgosedierung gerettet werden. Während sie an seinem Bett verharrte, schien er zu schlafen. Tatsächlich
suchten ihn Urängste heim. „Ich habe in
dieser Phase alles andere als geschlafen“,
sagt der Journalist über seine Zeit zwischen den Welten. „Und es war keineswegs friedlich: Ich bin um mein Leben >
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DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
Langzeitnarkose,
die nach schweren
Unfällen oder
lebensbedrohlichen
Erkrankungen
eingesetzt wird.
Körpertemperatur
wird abgesenkt
auf 32 bis 35˚ C
(normal ca. 37˚ C).
Hirnaktivität
eines Komapatienten (1),
bei vollem
Bewusstsein (2).
Das verlangsamt
den Stoffwechsel und
mindert den
Sauerstoffverbrauch –
so hat der Körper
mehr Reserven.
1
2
Ärzte übernehmen
die Kontrolle über die
Grundfunktionen
des Körpers.
Ernährt wird über eine
Magensonde oder
intravenös.
Anders als ein
natürlich eingetretenes
Koma kann das
künstliche von den
Ärzten jederzeit
beendet werden.
Risiken und
Nebenwirkungen eines
künstlichen Komas sind
nach Ansicht von
Experten eher gering.
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
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FOK U S
L ANG Z EI T N ARKOS E
Ein feindliches
Land ist das
Koma. Und groß
die Sehnsucht
nach Heimat
> gerannt, wurde erschossen, vergiftet und
gefoltert. Kimberly betrog mich mit anderen Männern, liebte mich nicht mehr.“
Seine lebensbedrohliche Situation
verarbeitete der 52-Jährige in schlimmsten Albträumen. „Alles war so realistisch, wirkte wie ein 3-D-Kino – mit mir
als Hauptfigur. Nur dass Kinofilme und
normale Albträume ein schnelles Ende
finden. Man wacht auf, geht in die Küche,
trinkt ein Glas Wasser, und alles ist wieder
gut. Diese Träume aber waren anders.
Ich hatte keinen Ausschaltknopf, konnte
nicht aufstehen. Das war eine Tortur für
die Psyche!“ Drei Monate und unzählige
Gespräche später konnte er all das zumindest ein Stück weit vergessen. Verarbeitet
hat er das Erlebte, indem er zusammen
mit seiner Verlobten ein Buch schrieb
(siehe auch Seite 16). Sie hatte eigenständig und unwissend, welch großen Gefallen sie ihrem Freund damit tat, gleich
am ersten Tag angefangen, Tagebuch zu
schreiben, und führte es am Krankenbett fort – eine Praxis, die immer populärer wird.
Das Intensivtagebuch kann Patienten
später eine bessere Orientierung geben
und eine immense Hilfe sein, posttraumatische Belastungsstörungen und andere psychische Leiden zu verarbeiten. Die
Idee stammt aus Skandinavien. Pflegekräfte und Angehörige führen für den
Patienten ein Tagebuch, sprechen ihn
direkt an, kommentieren die Geschehnisse und erklären, was um ihn herum
geschieht. Welche Maschinen an- oder
abgestellt werden, wer zu Besuch kommt,
welche Fortschritte gemacht werden.
Sind die Patienten wieder bei Bewusst-
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DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
Wenn Ängste
und unbewusste
Erlebnisse das
Leben beherrschen
sein, in welchem Stadium auch immer,
werden ihnen die Bücher ausgehändigt.
Das Problem, das Patienten in der Sedierung haben, weiß Pflegeforscher Peter
Nydahl, seien unbewusste Erlebnisse, die
ihr späteres Verhalten nach dem Aufwachen störten. Diesem Kontrollverlust wirken Intensivtagebücher entgegen.
Arbeit, die auf Beziehung baut
Von Menschen, die aus Angst nicht mehr
ins Fast-Food-Restaurant gehen können,
weil sie das Piepen an der Kasse an die
Intensivstation erinnert, weiß auch Peter
Ammann zu berichten. Der Psychologe
ist Spezialist auf dem Feld der prozessorientierten Komaarbeit – er schult auch
Pflegekräfte und Seelsorger im Umgang
mit Menschen in veränderten Bewusstseinszuständen. Für ihn ist es wichtig,
dass alle Beteiligten eins verstehen: „Wir
bestehen nicht allein aus Physiologie.
Körperliche Prozesse sind eng mit dem
Bewusstsein verbunden, beide beein- >
Delir
Wer um sein Leben ringt und den Kampf gewinnt, ist nicht zwangsläufig geheilt,
wenn er die Intensivstation verlässt. Das Delir, das meist nach wenigen Tagen
oder Wochen abklingt, wird nach neuesten Erkenntnissen für spätere kognitive
Störungen verantwortlich gemacht. Demnach litten bei einer Nachuntersuchung
40 Prozent der an einer Studie des Vanderbilt University Medical Center beteiligten
Patienten auch drei Monate später noch unter kognitiven Einschränkungen. Bei
34 Prozent von ihnen war diese Störung sogar noch ein Jahr später nachweisbar.
26 Prozent wiesen gar Defizite auf, die mit einer leichten Alzheimererkrankung
vergleichbar sind. Da die Dauer des Delirs eine Rolle zu spielen scheint, aber
noch nicht beeinflusst werden kann, empfehlen Mediziner vor allem vorbeugende
Maßnahmen. Fehlen von Tageslicht, keine Besucher und Isolation gelten als größte
Risikofaktoren für die Entwicklung eines Delirs.
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
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FOK U S
L ANG Z EI T N ARKOS E
Der behutsame Umgang
mit Komapatienten ist
ebenso wichtig, wie ihre
Erfahrungen zu würdigen
FOTOS: DRÄGERWERK AG & CO. KGAA, UKSH/KIEL
> flussen sich gegenseitig.“ Nicht nur der
behutsame Umgang mit Patienten, die
hilflos im Bett liegen, sei enorm wichtig,
sondern auch, die inneren Erfahrungen
von Menschen im Koma zu würdigen.
„Die meisten Kontakte zu Komapatienten sind zweckgebunden, denn sie
sollen etwas tun: reagieren und handeln“,
sagt Ammann. Da nehme die Prozessarbeit eine andere Richtung. „Ich nähere
mich ihrem Bewusstseinszustand und
hole die Patienten dort ab, wo sie sich
gerade aufhalten. Die ganze Arbeit basiert
auf Beziehung.“ Diese einzugehen müssen alle Beteiligten bereit sein. „Wenn ich
mich auf intensive Erfahrungen einlasse, kostet das natürlich Zeit. Aber es geht
auch um eine Haltung dem Patienten
gegenüber: Wie betrete ich den Raum?
Denke ich daran, dass er daliegt, oder
ignoriere ich es, weil ich glaube, dass er
eh nichts mitbekommt?“ Ammann wird
häufig hinzugezogen, um Patienten zu
helfen, die in ihrer Situation feststecken,
bei denen das „Weaning“ – die Entwöhnung vom Beatmungsgerät – nicht funktioniert. „Das Weaning ist ein ganz großer Schritt – und vor diesem Hintergrund
muss ich den Patienten auch betrachten. Gibt es vielleicht nicht medizinische
Gründe, warum er nicht wieder selbst
aktiv wird?“
Schalter an, Schalter aus – dass dieses
Prinzip für analgosedierte Patienten nicht
funktioniert, ist mittlerweile auf allen
Intensivstationen angekommen. Der richtige Umgang mit diesem Wissen ist ein
Prozess, in dem sich viele Kliniken bereits
befinden. Delir-Management, Intensivtagebücher und ganzheitliche Seelsorge,
16
Angehörige als aktiver Bestandteil am
Krankenbett, Geräuschreduktion und
nicht zuletzt der Respekt dem vermeintlich Schlafenden gegenüber sind Schritte,
die einem Komapatienten an der Schwelle zwischen Leben und Tod den richtigen
Weg weisen können. Dorothea Knappe
kann ihren negativen Erlebnissen mittlerweile begegnen. Unlängst hat sie der
Intensivstation, auf der sie sechs Wochen
lag, einen Besuch abgestattet und ihrer
Angst damit sagen können: Guten Tag und
auf Wiedersehen – aber in Zukunft lieber
ohne mich.
Isabell Spilker
Literatur:
Clemens Hagen, Kimberly Hoppe:
„Neun Minuten Ewigkeit: Eine Liebe zwischen
Leben und Tod. Unser Koma-Tagebuch“,
Eden Books, März 2014
Peter Ammann:
„Reaching out to People in Comatose States:
Contact and Communication“,
Books on Demand, Januar 2012
Thomas Kammerer:
„Traumland Intensivstation: Veränderte
Bewusstseinszustände und Koma –
interdisziplinäre Expeditionen“,
Books on Demand, März 2006
Links:
Peter Ammann
www.peterammann.de
Peter Nydahl
www.nydahl.de
Monitoring
mittels EEG
EEG-gestützte Monitoringverfahren
analgosedierter Patienten stellen
laut medizinischer Leitlinien eine
wichtige Option bei tiefer Sedierung
dar und sind auch empfehlenswert,
um bei neuromuskulär blockierten
Patienten eine zu flache oder zu
tiefe Sedierung zu erkennen. Sie
sollten unterstützend ab einem
RASS (Richmond AgitationSedation Scale) von weniger als
minus 3, also bei fehlender Reaktion auf Ansprache, hinzugezogen
werden. Der Infinity Delta-Monitor
ist in der Lage, sämtliche Bereiche
der intensivmedizinischen Überwachung in einem Gerät anzuzeigen.
Er wird in diesem Fall mit dem
EEG-Pod verknüpft, der die Hirnströme in Echtzeit darstellt und
eine kontinuierliche Onlineanalyse
ermöglicht. Dräger-Monitore bieten
ein modernes Alarm-Management
und können Patienten (über eine
Lautstärke- und Helligkeitsregelung
sowie an verschiedene Situationen
anzupassende Alarme) den TagNacht-Rhythmus erleichtern.
Dräger DeltaMonitor:
Nachrichten
aus dem
Innern des
Körpers –
mittels
EEG-Pod
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
Diese Tagebücher stiften Sinn
PETER NYDAHL ist Pflegeforscher am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel und hat die Intensivtagebücher einst aus Schweden nach Deutschland importiert.
Er hofft, dass sie bald flächendeckend für Patienten, die
mehr als drei Tage beatmet werden, geführt werden. Auch
deshalb leitet er Seminare und hält Vorträge zum Thema.
Klinik-Architektur:
heilende Wirkung
Fahles Licht, kahle Wände, unangenehme
Geräusche – das muss nicht sein:
Auf einigen Stationen der Berliner Charité
zum Beispiel genesen Patienten mit
bestimmten Krankheitsbildern in eigens
von Architekten und Mediengestaltern
hergerichteten Zimmern. Denn in Räumen,
die kühl, steril und voller medizinischer
Geräte sind, ist der Heilungsprozess
schnell gehemmt. Ein Höchstmaß an
Privatsphäre, technische Geräte im Hintergrund und gedämpfte Alarmgeräusche
machen die Zimmer fast schon zu gemütlichen Wohnräumen. Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderte Projekt „Parametrische
(T)Raumgestaltung“ erforscht, welchen
Effekt das Zimmer auf die Genesung
hat, wenn es einerseits gemütlich und
wohnlich ist, andererseits aber auch
über technische Finessen (wie eine LEDgesteuerte Zimmerdecke) Tageszeiten
darstellen kann.
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
Herr Nydahl, wie viele Kliniken in Deutschland nutzen das
Intensivtagebuch?
Wir haben im Frühjahr verschiedene Kliniken befragt: Von den 140 Stationen
nutzen es 44, neun weitere planen es.
Gibt es Gründe, es nicht zu nutzen?
Manche Kliniken haben nur kurze Verweildauern auf der Intensivstation –
nach einfachen Operationen etwa, da lohnt es sich nicht. Bei anderen liegt es
tatsächlich am Personalmangel. Derzeit gibt es leider keine Station, bei der
alle Pflegekräfte mitmachen.
Inwieweit können die Tagebücher Intensivpatienten tatsächlich helfen?
Wenn man Patienten fragt, woran sie sich erinnern, antworten die meisten:
„An nichts!“ Interessanter ist, sie nach ihren Träumen zu fragen. Abhängig von
der Art der Sedierung und dem Grad der Entzündung steigt das Risiko der
„delusional memories“ – der Erinnerungen, deren Herkunft sie nicht mehr
kennen. Das gilt vor allem für langzeitbeatmete Patienten. Ich erinnere mich an
einen jungen Motorradfahrer, der nach einem Thorax-Trauma eine Woche im
Rotorest-Bett lag. Er war tief sediert, hatte keine Erinnerung an die Zeit, erzählte
aber, davon geträumt zu haben, zur See gefahren zu sein und in einer Koje
gelegen zu haben, aus der er immer herauszufallen drohte.
Wie hätte ihm da ein Tagebuch helfen können?
Tagebücher helfen im Sinne der Salutogenese, der Gesundheitsentstehung,
wie der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky es einst definierte. Demnach
können wir gesunden, wenn wir etwas verstehen, um es besser handhaben zu
können, und lernen, damit umzugehen.
Verändert sich für Pflegekräfte die Beziehung zum Patienten, wenn sie
versuchen, seiner Gefühlswelt mit dem Tagebuch nahezukommen?
Vor allem jüngere Kollegen haben manchmal Schwierigkeiten damit. Ich sehe
das professionell. Man schreibt natürlich empathisch und überlegt, wie die
Situation aus der Sicht des Patienten aussehen könnte, und formuliert es dann
sachlich. Man liest auch mal die Einträge der Angehörigen, die auch aufgefordert
sind, mitzuarbeiten und zu schreiben. Aus Patientensicht sind deren Einträge
die wichtigsten. Patienten und Angehörige machen ganz unterschiedliche
Entwicklungen durch. Die Angehörigen sitzen am Bett, und die Patienten
träumen wirr. Danach wieder zusammenzufinden, dafür kann das Tagebuch
einen guten Beitrag leisten.
17
BR AN D SC HU T Z
PERSONENV ERKEHR
Feuer und Flamme
Die Bahn zählt zu den sichersten Verkehrsmitteln. Auch deshalb rücken
Experten der DB SYSTEMTECHNIK GMBH regelmäßig den Werkstoffen zu Leibe,
die später in den Zügen verbaut werden sollen – im hauseigenen Brandlabor.
S
chwarz und schwärzer legen sich
die dicken Rauchschwaden vor das
Feuer – bis der toxische Vorhang die
Flammen ganz verbirgt. In dem Versuchsraum herrscht jetzt Sichtweite null. Menschen wären hier orientierungslos. Giftig ist die Atmosphäre in der Smoke Box
sowieso, das zeigen die Messwerte auf
dem Computerbildschirm, der die Ergebnisse des angeschlossenen Spektrometers
wiedergibt. Die Tabelle listet verschiedene Kohlenstoff-, Stickstoff- und Schwefeloxide auf, dazu Methan, Cyanwasserstoff
und Bromwasserstoff. „Diese Werte sind
gewissermaßen der Fingerabdruck eines
Verbrennungsprozesses“, sagt Andreas
Böttger. Der Brandschutzingenieur testet an diesem Vormittag im Brandlabor
der DB Systemtechnik GmbH Schutzhüllen für Leuchtstoffröhren auf ihren
möglichen Einsatz in Eisenbahnfahrzeugen. Hierfür schneidet er Proben auf eine
definierte Länge und richtet sie in einem
speziellen Behälter aus. Ähnlich gehen
die Brandschutzexperten bei allen anderen Versuchen vor, um reproduzierbare
Messergebnisse für Faktoren wie Brandverhalten, Rauchgastoxizität und optische
Rauchdichte zu ermitteln. In der Rauchdichtekammer werden die wenige Zentimeter großen Proben durch eine konische
Heizwendel erhitzt, bis sie in Flammen ste-
18
hen. Aus der Prüfkammer wird zur Messung
ein Gasstrom entnommen, von den anteiligen Rußpartikeln gefiltert und dem Spektrometer zugeführt, das die Konzentration der
verschiedenen Schadgase ermittelt.
Fast 1.000 Versuche pro Jahr
Das Brandlabor ist seit knapp 15 Jahren
im brandenburgischen Kirchmöser zu
Hause. In diesem Jahr hat es der Ingenieurdienstleister der Deutschen Bahn für
rund 400.000 Euro erweitert, um Prüfungen nach der neuen europäischen Norm
DIN EN 45545-2:2013 (werkstofftechnischer Brandschutz in Schienenfahrzeugen) vornehmen zu können. Dafür ist es
von der Deutschen Akkreditierungsstelle
gemäß DIN EN ISO/IEC 17025 (Prüf- und
Kalibrierlaboratorien) akkreditiert worden.
Rund 1.000 Brandprüfungen führen die
Ingenieure Jahr für Jahr durch: vom dicken
Verbundwerkstoff für den Fußboden von
Regionalzügen bis zu zahlreichen Kunststoffen, die das Innere moderner Reisezüge prägen. „Wir untersuchen und zertifizieren nahezu alle Komponenten, die
später in Eisenbahnfahrzeugen zum Einsatz kommen“, bestätigt Dr. Katrin Mädler. Die Ingenieurin leitet die Abteilung
Werkstoff- und Fügetechnik mit ihren rund
30 Mitarbeitern. Die historischen Backsteingebäude in Kirchmöser, eine knap-
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
Feuer frei: Das definierte
Zündinitial der Propangasflamme im „kleinen
Brennkasten“ entspricht
dem eines Feuerzeugs
pe Bahnstunde von Berlin entfernt, liegen idyllisch zwischen Wäldern und Seen.
Dabei hat die 4.000-Seelen-Gemeinde eine
explosive Geschichte. Die Anlagen wurden
Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut, als
Sprengstofffabrik. Später entstand daraus
ein Entwicklungszentrum der Deutschen
Reichsbahngesellschaft – von diesem Kapitel zeugen heute neben dem Standort der
DB Systemtechnik und des Umweltservice der Deutschen Bahn zahlreiche private Unternehmen des Bahnsektors in der
Nachbarschaft.
Neben den Brandprüfungen im hauseigenen Labor erstellen und bewerten die
Ingenieure auch Brandschutzkonzepte für
Züge – etwa bei Neukonstruktionen wie den
Triebzug ICx, der künftig die Intercity-Züge
der Deutschen Bahn ablösen soll. Aber auch
bei umfassenden Renovierungen, dem
sogenannten Re-Design, sind die Fachleute aus Kirchmöser gefragt. Sie haben unter
anderem die technische Auffrischung des
ICE 1, ICE 2 und ICE T aus brandschutztechnischer Sicht begleitet. Die im März
2013 in Kraft getretene europäische Norm
für den Brandschutz in Eisenbahnfahrzeugen spiegelt jenen Fortschritt in Technik und Betrieb der Fernverkehrsstrecken
wider, der in den letzten Jahrzehnten mit
dem Neubau des Schnellfahrnetzes, der Planung immer längerer Tunnel und durch
die Indienststellung von Hochgeschwindigkeitstriebzügen einsetzte. Durch die DIN
EN 45545-2:2013 hat sich auch die gegenseitige Anerkennung von Brandprüfungen
durch die verschiedenen Zulassungsstellen der einzelnen Länder verbessert. „Die
Einführung der Norm war vor dem Hintergrund des zunehmenden Bahnverkehrs – >
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
19
BR AN D SC HU T Z
PERSONENV ERKEHR
Laboratmosphäre: Moderne
Messtechnik
prägt die Arbeitsplätze im brandenburgischen
Kirchmöser
Ab in den Ofen:
Die zugeschnittenen Proben
kommen in die
Smoke Box
> über mehrere Ländergrenzen hinweg –
wichtig“, sagt Dr. Christian Bohne. Der
Ingenieur leitet das Arbeitsgebiet Werkstofftechnik Fahrzeug. Zudem gebe es nun
ein ganzheitliches sowie wissenschaftlich
fundiertes Regelwerk, das – in Bezug auf
den Brandschutz in Schienenfahrzeugen –
ein einheitliches Sicherheitsniveau in
Europa gewährleiste.
Die Kontinuität der Anstrengungen
im Brandschutz reicht bei der Eisenbahn
noch viel weiter zurück. Denn während
der Schutz vor der Gefahr eines Brands im
Zug heute vor allem die Folgen von Vandalismus und technischen Fehlern betrifft,
reiste das Feuer lange Zeit in der Bahn mit,
trieb sie sogar an. Erst 1977 gewöhnte die
damalige Bundesbahn ihren Lokomotiven
das Rauchen ab: Ende der Dampftraktion,
das bei der Reichsbahn der DDR 1988 folgte. 30 Jahre später galt das dann auch für
die Fahrgäste – absolutes Rauchverbot in
Zügen seit September 2007.
Zentrale Gasversorgung
Der Versuch mit den Leuchtstoffröhren ist
inzwischen abgeschlossen. Brandschutzingenieur Böttger testet schon die Endkappen der Leuchtstoff-Schutzröhren, die aus
einem hellen Thermoplast bestehen. „Nun
hat unser kleiner Brennkasten seinen großen Auftritt!“ Er arbeitet mit einer Propangasflamme, deren Größe sich an einem
Feuerzeug orientiert – neben Farbsprühdosen und spitzen Gegenständen eines der
klassischen Werkzeuge beim Vandalismus
in und an Zügen. Die Versuche im kleinen
Brennkasten liefern Rückschlüsse auf die
Entzündbarkeit von Werkstoffen. Dazu wird
gemessen, wie sich die Flamme am Prüf-
20
objekt in der Vertikalen entwickelt, ob es ein
brennendes Abtropfen gibt und wann die
Flamme erlischt. Gespeist wird der Brenner über eine Gasversorgungsanlage von
Dräger, als Quelle dienen Druckflaschen in
einem gesicherten Unterstand im Freien.
Neben Propangas liefert die Anlage auch
Methan und Stickstoff (als Nullgas) sowie
ein aus Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und
Stickstoff bestehendes Prüfgas ins Labor.
Der im Nachbarraum stehende Brandschacht dient dazu, Materialproben für
drei Minuten mit einer Propangasflamme zu beaufschlagen. Die Energie, die
hier freigesetzt wird, entspricht der eines
brennenden Zeitungsstapels. Der Internationale Eisenbahnverband hat dieses als
„Papierkissen“ bezeichnete Zündinitial
exakt definiert. Bei diesen und anderen
Versuchen wird es in den Testapparaten
sehr heiß – bis zu 500 Grad Celsius werden
bei Messungen der seitlichen Flammenausbreitung erreicht. Dabei wird ein Prüfkörper diagonal zu einem Flächenbrenner
eingespannt, der die Oberfläche des zu prüfenden Werkstoffs mit bis zu 50 Kilowatt
Wärmeenergie je Quadratmeter bestrahlt.
Auch deshalb ist das Brandlabor klimatisiert. Die Proben lagern vor den Versuchen sogar in einer Klimakammer, die
auf 23 Grad Celsius und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit eingestellt ist. Bei diesen Bedingungen sind alle Materialien mindestens
48 Stunden zu lagern, um die reproduzierbaren Ergebnisse zu erhalten. „Kompositwerkstoffe, etwa Bodenplatten mit Holzkern
und aufgeklebten Schichten, werden sogar
14 Tage gelagert, damit Temperatur und
Kernfeuchte der Norm entsprechen“, sagt
Andreas Böttger.
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
FOTOS: PETER THOMAS
Ende der Dampftraktion:
1977 gewöhnte die damalige
Bundesbahn ihren Lokomotiven
das Rauchen ab
In der Hitze der Nacht:
Die Heizwendel
lässt von der Probe
aufsteigende Dämpfe
rot glühen
Schwarz auf weiß:
Was von den Tests
übrig bleibt, wird
dokumentiert und
aufbewahrt
Vielfältig: Diese
Anlage liefert
Druckluft, Propan
und weitere Gase
ins Brandlabor
Ganz gleich ob Proben in der Rauchkammer in Flammen aufgehen oder die
Brandschutzexperten Fußbodensegmente
mit sengender Hitze bestrahlen und mittels Sauerstoffverbrauchskalorimetrie die
Wärmefreisetzung eines Materials analysieren: Alle Prüfungen sollen zeigen, ob die
verwendeten Materialien die gewünschten Anforderungen erfüllen. Ausschlaggebend für die Zulassung eines Werkstoffs
ist die Gefahrenstufe des Eisenbahnfahrzeugs. Alle Züge und Wagen werden einer
bestimmten Stufe zugeordnet, die ein Produkt aus Betriebsszenario und Bauart darstellt – von Klasse 1 (nicht für Tunnel und
Erhöhungen vorgesehen) bis Klasse 4 (für
Tunnelabschnitte und Erhöhungen ohne
seitliche Evakuierungsmöglichkeiten). Bei
den Bauarten wird zwischen den Varianten N (Standardfahrzeuge), A (Automatischer Fahrbetrieb), D (Doppelstockfahrzeuge) und S (Schlafwagen) unterschieden.
Je höher die Gefahrenstufe, desto größer die Anforderungen an die getesteten
Werkstoffe.
Manchmal werden die Experten
sogar zu Brandursachenermittlern –
wie bei der Rekonstruktion eines Feuers
in der Zugtoilette auf dem Weg von
den Niederlanden nach Deutschland.
Auslöser des Kleinbrands: die Flamme
eines Feuerzeugs. Allerdings erwies sich
hier nicht Vandalismus als Triebkraft,
sondern die Suche eines Schmugglers
nach seinem Cannabis-Päckchen, das
er hinter einer Wandverkleidung versteckt
hatte. Ein Plus an Sicherheit kann auch
durch solche Ereignisse erreicht werden:
Die Erkenntnisse fließen in Neukonstruktionen ein.
Peter Thomas
21
E S S AY
AT M UNG
Von null auf
21 Prozent
Normalerweise atmet der Mensch
unbewusst – erst wenn dieser
Reflex eingeschränkt wird, tritt die
ATMUNG ins Bewusstsein. Und
doch wurden die physiologischen
Fakten dieser vitalen Funktion
erst spät entdeckt.
22
A
FOTO : ARNE WESENBERG
Die Kraft der Lunge:
Einen Luftballon
aufzupusten zeigt die
Kraft des luftleitenden
Systems
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
ls der Mann im blauen Neoprenanzug wieder an die Oberfläche
gelangt, sind 22 Minuten vergangen. 22 Minuten mit nur einem einzigen Atemzug. 3. Mai 2012: Im eiskalten
Wassertank einer Londoner Tauchschule hat Stig Åvall Severinsen, Yogameister, Mediziner und Apnoe-Taucher,
gerade einen Weltrekord gebrochen.
Eine Leistung, die nur dank jahrelangen Trainings, jahrtausendealten Kniffen der Atemkunst und vorbereitender
Reinsauer stoffatmung möglich war.
Denn wenn der Mensch für eins nicht
gemacht ist, dann zum Leben ohne
Sauer stoff, ohne den steten Rhythmus
von Ein- und Ausatmung.
Fremd mutet es an, wenn er auf
Lebewesen trifft, die keinen Sauerstoff
brauchen. Einst gehörte ihnen die Welt:
den Anaerobiern, den Luftlosen. Diese
Kreaturen leben zwar fort, an den Rändern heißer Quellen und unter der Erde,
doch das Prinzip der Atmung hat sie vor
2,4 Milliarden Jahren verdrängt. Damals
entdeckten Einzeller, Algen und Pflanzen die Fotosynthese, spalteten Kohlendioxid und reicherten die Atmosphäre
mit Sauerstoff an – von null auf 21 Prozent Volumenanteil. Er wurde zum hocheffizienten Verbrennungsstoff tierischen
Lebens und machte den Menschen erst
möglich.
Doch was genau ist die Atmung
eigentlich? „Was für eine Frage, eben
genau das!“, hätte die Antwort alter Philosophen gelautet: das Leben selbst! In
indogermanischen Sprachen (wie dem
Deutschen) ist die enge Bindung der
Begriffe erhalten. Das Sanskrit-Wort >
23
Kreisläufe bestimmen das
Leben, auch innerhalb des
menschlichen Körpers –
wissenschaftlich beschrieben
wurden sie erst spät
> „atman“, Zentralbegriff in der indischen
Philosophie, bezeichnet die ewige Substanz des menschlichen Selbst. Sein deutscher Verwandter („Atem“) benennt, was
man heute als Ein- und Ausatmen von
Luft versteht.
Mit Neugier und Mikroskop
Und seine seltenere Spezialform „Odem“
bedeutet das Althergebrachte: Atem als
Leben. Auf Englisch heißt Atem zwar
„breath“, doch verdeckt eine sprachliche Neuerung, dass das altenglische
Wort für Atem „þm“ (æthm) ist. „Qi“,
die alles durchdringende Lebenskraft
des chinesischen Daoismus, bezeichnet
ebenfalls den Atem. Die Menschen wussten stets um seine fundamentale Kraft,
doch erst die wissenschaftliche Moderne enthüllte funktionale Details. Mit
Neugier, Mikroskop und mechanischer
Pumpe wurde ein Weg eingeschlagen,
den Lebenshauch zu ersetzen und zu
stützen. Man lernte durch Forschung,
dass der Sauerstoff-Stoffwechsel 15-mal
mehr Energie gewinnt als der anaerobe. Ein 1,3 Kilogramm schweres Gehirn
(mit seinen 100 Milliarden Nervenzellen
und deren 100 Billionen Verästelungen)
ließe sich ohne „oxidativen Stoffwechsel“ nicht konstruieren, geschweige
denn erhalten. Das erklärt, warum
Retter bei einem Atemstillstand um
Sekunden ringen.
Atmung bezeichnet heute zweierlei.
Die „innere Atmung“ ist die Nährstoffverbrennung in der einzelnen Zelle, die
„äußere“ dagegen das, was sich bewusst
erleben lässt – die Züge der ein- und
ausströmenden Luft im Brustkorb, die
24
Einfach mal die Luft
anhalten: ApnoeTauchern genügt ein
einziger Atemzug,
um mehrere Minuten
unter Wasser zu
bleiben – schwere
Pressluftflaschen
und voluminöse
Tarierjackets brauchen sie nicht
Anpassung an Belastungen, etwa beim
Sport. Jede Zelle des Körpers und die spezialisierten Gasaustausch-Membrane der
Lunge verbindet der Kreislauf miteinander. Herz und Lunge sind so etwas wie
die Logistik-Provider im Organismus.
Sie müssen liefern: jederzeit, ununterbrochen, überallhin.
Die Atmosphäre mit sich tragen!
Es dauerte lange, bis die Atmung in dieser Weise verstanden wurde – und länger noch, bis die Grundlagen der Technik
geschaffen waren, die es selbstverständlich erscheinen lassen, dass Menschen
an Orten überleben, denen sie von Natur
aus nicht gewachsen sind: in Rauch und
Gasnebel, unter Wasser, im All. Man darf
staunen, dass es heute möglich ist, den
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
FOTO : FRANCK SEGUIN/CORBIS
AT M UN G
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
E S S AY
mechanischen Anteil der Atmung zeitweilig annähernd perfekt zu ersetzen.
Den Blutkreislauf, der Sauerstoff zu
allen Zellen trägt, erklärte erst der britische Arzt William Harvey im späten
17. Jahrhundert korrekt. Die Lungen, so
hatte es der lange alles überragende griechische Arzt Galenos verbindlich verkündet, brächten diverse Seelenkräfte in den
Leib und dienten sonst als kühlender Blasebalg. Dass es in Wahrheit um spezifische Gase geht, fanden Naturforscher
des 17. und 18. Jahrhunderts in mehreren Schritten heraus: Vincenzo Viviani
und Evangelista Torricelli wiesen 1643
mittels Pumpen den atmosphärischen
Luftdruck nach. Der englische Aristokrat
Robert Boyle nutzte die Luftpumpe, um
Glaszylinder leer zu saugen. Kerzen erloschen, Versuchstiere starben. Und 1676
zeigte Richard Lower, dass das Blut im
Lungenkreislauf mit etwas vital Wichtigem aufgeladen wurde. Erst im 19. Jahrhundert glückte es, das Bild der Atmung
zu vervollständigen: durch die Evolutionslehre, die Charles Darwin 1859 begründete, und durch das explosive Wachstum der
Physiologie als Wissenschaft in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Nach Hunderttausenden Experimentierstunden
werden Lungenatmung und Kreislaufsteuerung schließlich so genau verstanden, dass man endlich den einen Wunsch
erfüllen kann, den Alexander von Humboldt schon 1799 geäußert hatte: Wer in
tiefe Stollen gehen, wer Menschen vor
Feuer retten und in den Meeren tauchen
will, sollte seine Atemluft mit sich führen.
Um die Wende zum 20. Jahrhundert
greift schlagartig alles ineinander, was >
25
E S S AY
AT M UNG
Atmen versorgt den
Körper mit Energie –
eine Leistung,
die atemlos macht
DAS
MENSCHLICHE
GEHIRN
> auf getrennten Gebieten gereift ist: das
nun umfassende Wissen über die Körperfunktionen des Menschen. Die Technik der Kompression von Gasen und
ihrer anschließenden Druckreduktion.
Chemische Verfahren zur Sauerstoffgewinnung, mit denen sich Selbstretter
für den Bergmann bauen lassen. Mechanische Steuerungen für die rhythmische
Beatmung, welche eine wirksame Wiederbelebung erlauben: Basistechnologien, auf die Johann Heinrich Dräger
und seine Nachfolger ihre überraschenden Innovationen gründen. Was heute
einfach erscheint, 1.800 Liter Luft in
eine Flasche zu pressen und sie präzise
dosiert einatmen zu können, ist in Wahrheit die Frucht von Hunderten Jahren
Wissensdurst und Erfahrungsgewinn.
Ebenso das Filtrieren reiner Atemluft
und die der Selbstregulation des Körpers
angepasste Beatmungsunter stützung,
etwa während einer intensivmedizinischen Behandlung.
Nichts von dieser technischen Perfektion macht das Wunder Atmung
kleiner. Umso mehr staunt man, wenn
man einem Rekordtaucher wie Stig
Åvall Severinsen begegnet, und man
sieht, wie er den Strom des Lebens gezielt in die Regionen seiner Lungen
lenkt. Auch dann, wenn man längst mit
maschineller Hilfe zuschauen könnte: Der Dräger PulmoVista 500, für
die Optimierung der Beatmung von
Patienten konstruiert, könnte präzise
visualisieren, auf welche Weise er seinen Atem leitet. Es wäre ein Treffen verschiedener Ergebnisse mensch licher
Meisterschaft.
Silke Umbach
26
Rund 1,3 kg schwer,
mit seinen
100 Milliarden
Nervenzellen
und deren
100 Billionen
Verästelungen – ohne
„oxidativen Stoffwechsel“ könnte es
nicht existieren.
1
ATEMZUG
FÜR
22
1
MINUTEN*
ATEMZUG
IN
90
* unter Wasser brauchte
Apnoe-Taucher Stig Åvall Severinsen
am 3. Mai 2012: Weltrekord!
MINUTEN*
* Entenwal
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
VON
AUF
21 %*
CIRCA
25.000
* Die Anreicherung von Sauerstoff in der
Atmosphäre vor rund 2,4 Milliarden Jahren;
durch Einzeller, Algen und Pflanzen
MAL
ATMET
EIN
MENSCH
AM
TAG*
* und bewegt dabei – mit durchschnittlich
17 Atemzügen pro Minute – mehr als
12.000 Liter Luft.
FÜR DIE
AUFNAHME DES
SAUERSTOFFS
SIND ETWA
MILLIONEN
LUNGENBLÄSCHEN*
VERANTWORTLICH.
* Sie messen zwischen 50 und 250 Millionstel Meter
im Durchmesser. Ihre Oberfläche erreicht bis
zu 120 Quadratmeter.
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
ILLUSTRATIONEN: DEPOSITPHOTOS, SHUT TERSTOCK
300
27
K R ANK ENH AU S - I T
DAT ENSCHU T Z
Wie gut sind Europas
Kliniken in Sachen
Digitalisierung und
Vernetzung?
Im internationalen
Vergleich liegen die
USA an der Spitze
D
en Stolz über das Erreichte
trägt Henning Schneider, Leiter der Abteilung Informationstechnologie (IT) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), auch
Monate später noch in der Stimme. Im
Frühjahr 2014 wurde dem Krankenhaus
zum zweiten Mal offiziell bestätigt, dass
es die elektronisch verwalteten Daten
seiner Patienten auf höchstem Niveau
vor unerlaubtem Zugriff schützt. „Jeder
UKE- Mitarbeiter trägt täglich maßgeblich dazu bei“, sagt Schneider.
In Krankenhäusern ist der Datenschutz ein höchst sensibles Thema.
Dort werden besonders schützenswerte
Patientendaten erhoben, verarbeitet und
archiviert. Grundlage für das UKE-Zertifikat bildet der „IT-Grundschutz“-Katalog,
den das Bundesamt für Sicherheit in der
Informationstechnik (BSI) definiert. Hier
sind rund 40.000 Maßnahmen gelistet,
mit denen Organisationen ihre Hard- und
Software sowie die eigenen Notfallroutinen auf Herz und Nieren testen können. Alle drei Jahre muss das Zertifikat
erneuert werden. Schneider hat knapp
eine Million Euro und ein Fünftel der
Arbeitszeit seiner Mitarbeiter investiert.
„Sicherheit kostet Geld“, sagt er. „Man
braucht eine Zertifizierung, weil man
sich sonst nicht die Zeit dafür nimmt,
die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen
zu ergreifen.“
Eine testierte Netzinfrastruktur mag
vor externen Angriffen durch Hacker und
andere Datendiebe schützen – den missbräuchlichen Zugriff durch das Klinikpersonal aber verhindert sie nicht vollständig. Das UKE hat daher das Papier aus der
28
Verwaltung verbannt und auf die elektronische Patientenakte (EPA) umgestellt.
Die EPA vereint sensible Patientendaten
wie Adressen, Röntgenbilder und Medikation in einer zentralen IT-gestützten
Datenbank, auf die sich von überall
zugreifen lässt – egal ob Ärzte und Pflegepersonal sich gerade auf der Station oder
im Operationssaal befinden.
Acht Stufen der Digitalisierung
Allerdings regelt ein umfangreiches
Berechtigungskonzept, wer darauf zugreifen darf und wer nicht. „Mithilfe
der EPA können die Patienten nachvollziehen, wer ihre Daten eingesehen hat“,
erklärt Schneider die Vorteile der Digitalisierung. Die Daten können zudem nicht
mehr verloren gehen und sind stets auf
dem aktuellen Stand. „EPAs erhöhen
nicht nur die Zugriffssicherheit auf die
Patientendaten, sondern auch die Sicherheit des Patienten während der Behandlung.“ Wie stark sie genutzt werden,
ermittelt die Organisation Healthcare
Information and Management Systems
Society (HIMSS) über das EMR AMModell, das den Grad der bereits erreichten Digitalisierung auf einer achtstufigen Skala misst. Stufe 0 bedeutet, dass
ein Krankenhaus Patientendaten ausschließlich auf Papier verwaltet. Stufe
7 heißt, dass es keine papiernen Akten
mehr gibt.
Die regionalen Unterschiede sind
groß. Im internationalen Vergleich liegen
die USA an der Spitze. In Europa haben
die Niederlande und Spanien die Nase
vorn; dort hat bereits mehr als die Hälfte aller Krankenhäuser die Stufen 4 bis >
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
Der
elektronische
Patient
FOTO : GET T Y IMAGES
Adressen, Röntgenbilder, Diagnosen:
In Krankenhäusern werden immer mehr
Daten digital verwaltet. Doch wie
sicher sind die IT-Systeme vor
Hackerangriffen, und wie wird man
dem Thema DATENSCHUTZ gerecht?
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
29
DAT ENSCHU T Z
> 7 erreicht (siehe Seite 31). In Deutschland hingegen nutzten 2013 erst 12,8
Prozent der Krankenhäuser die elektronische Patientenakte auf einem relativ
hohen Niveau.
In einer anderen Kennzahl treten die
Unterschiede noch deutlicher zutage.
In Europa haben lediglich zwei Hospitäler die Stufe 7 erreicht. Das Hospital Marina Salud im spanischen Dénia
bei Valencia und das UKE in Hamburg.
In den USA hingegen zählt die HIMSSStatistik 179 Krankenhäuser in insgesamt 29 Bundesstaaten. Hier fördert
der Staat die Einführung der EPA. Mit
dem Health Information Technology
for Economic and Clinical Health Act
wurde 2009 auch ein Förderprogramm
von rund 26 Milliarden US-Dollar für
die Digitalisierung der Krankenhäuser
aufgelegt.
Zertifizierung ist aufwendig
In puncto Sicherheit aber bedeutet
Masse nicht automatisch Klasse. Denn
die Zahl der Krankenhäuser, die sich
in Sachen IT-Datenschutz hat zertifizieren lassen, erscheint auch in den
USA sehr übersichtlich. Ein Beispiel:
Die Health Information Trust Alliance
(HITRUST) ist ein privates Unternehmen, das 2008 das Zertifizierungsverfahren Common Security Framework
(CSF) vorstellte. CSF folgt dem Anspruch,
in puncto Datensicherheit alle regulatorischen und technischen Vorgaben an
IT-Systeme zu harmonisieren, die in der
US-Gesundheitsbranche zu befolgen
sind. Bis heute aber gibt es nur wenige
veröffentlichte Kundenreferenzen. Im
April 2014 gab HITRUST bekannt, dass
das Children’s Medical Center in Dallas
den CSF-Prozess erfolgreich durchlaufen habe – eine Premiere. „Wir freuen
uns sehr darüber, dieses wichtige Zertifikat als erstes Krankenhaus in Texas zu
erhalten“, sagte Geschäftsführer Chris
Durovich damals. „Es zeigt, welchen
enormen Aufwand wir betrieben haben,
um die Qualität und Sicherheit unserer
Informationstechnologie zu erhöhen.“
Die Zertifizierung folgte einem Rahmen-
30
Persönliche Treffen mit
Vertretern der Datenschutzbehörde schaffen
Transparenz
programm, das HITRUST und die texanischen Gesundheitsbehörden zuvor vereinbart hatten.
Auch in diesem Fall spielte die Größe des Krankenhauses eine entscheidende Rolle. Das Children’s Medical Center
ist die sechstgrößte Kinderklinik in den
USA. Warum ist das so relevant, und warum lassen sich vor allem kleine Kliniken nicht zertifizieren? „Dafür gibt es
drei wesentliche Gründe“, sagt Thomas
Jäschke, Professor für IT-Sicherheit an
der FOM Hochschule für Oekonomie &
Management in Essen. Erstens stehe das
Thema bei den Verantwortlichen nicht
ganz oben auf der Prioritätenliste, zweitens fehle es an Fachpersonal. „Und drittens müssen Datenschützer und IT-Leiter
für eine Zertifizierung eng zusammenarbeiten. Das aber scheitert oft an der mangelnden IT-Expertise des Datenschutzbeauftragten.“
FOTOS: ELENA/SHOTSHOP, SUPERBILD-YOUR PHOTO TODAY
K R ANK ENH AU S - I T
Vertrauen in die Cloud fehlt
Dabei sind die Sicherheit von IT-Systemen
und der Datenschutz keine individuelle
Kür, sondern gesetzliche Pflicht. Wer ihr
nicht nachkommt, dem können die deutschen Datenschutzbehörden im Zweifel
erhebliche Sanktionen auferlegen. Ganz
zu schweigen von dem Imageschaden, der
entstünde, wenn sich Datendiebe in die
EPA hackten und so Patientendaten in die
Hände Dritter gelangten. Datenschützer und die IT-Industrie haben verschiedene Versuche gestartet, dem sperrigen Thema Auftrieb zu verleihen. Die
Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
Eine bunte Reihe:
Patientenakten auf
Papier lassen sich
nicht vernetzen –
und nur schwer
verschicken.
Eine Digitalisierung
kann nennenswerte
Vorteile bieten
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
Alles im Blick:
Elektronische
Patientenakten
zeigen ihr Wissen
dort, wo es
benötigt wird
Elektronische Patientenakten: Wie häufig
werden sie in Krankenhäusern genutzt?¹
Nutzung (%)
eher starke Nutzung
(in den Stufen 4 bis 7)²
eher schwache Nutzung
(in den Stufen 0 bis 3)²
USA
61,0
39,0
Niederlande
50,8
49,2
Spanien
50,6
49,4
Österreich
38,1
61,9
Deutschland
12,8
87,2
Quelle: HIMSS
¹ = USA: Q2/2014; Rest: Q4/2013; ² = gemäß EMRAM = Electronic Medical Record Adoption Model
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
veröffentlichte im Juli 2011 eine „Orientierungshilfe zur datenschutzkonformen
Gestaltung und Nutzung von Krankenhausinformationssystemen (KIS)“. Darin
wurden die Anforderungen konkretisiert,
die sich aus den geltenden datenschutzrechtlichen Regelungen, den Vorgaben
zur ärztlichen Schweigepflicht für den
Krankenhausbetrieb und den Einsatz
von Informationssystemen in Krankenhäusern ergeben. Zudem wurden Maßnahmen zu deren technischen Umsetzung beschrieben. Eine überarbeitete
Fassung der Orientierungshilfe wurde
im April 2014 vorgestellt. Die IT-Industrie wiederum will den Krankenhäusern
mit Cloud-Angeboten beispringen.
Doch nachdem Edward Snowden die
Abhörpraxis der Geheimdienste publik gemacht hatte, ist das Vertrauen vieler IT-Verantwortlicher in die Sicherheit
von Cloud-Angeboten wie Schnee in der
Sahara geschmolzen. Auch die deutschen
Datenschutzbehörden reagierten. Im Juli
2013 kündigten sie an, aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken den Neubetrieb von Cloud-Anwendungen aus
„unsicheren Drittstaaten“ nicht mehr
zu genehmigen.
Im Datenschutzkonzept des UKE
sind Cloud-Dienste bislang nicht vorgesehen. Dennoch stimmt man sich
eng mit den Hamburger Behörden ab.
„Wir pflegen eine offene und transparente Zusammenarbeit“, erklärt Schneider
sein Erfolgsrezept. „Dazu gehört auch,
dass wir uns einmal im Quartal persönlich mit Vertretern der Datenschutzbehörde treffen.“
Frank Grünberg
31
R UBR IK
THEMA
Der
septische
Schock
Wettlauf mit
der Zeit
Bei einer BLUTVERGIFTUNG zählt jede Minute. Die Betroffenen haben nur dann gute
Überlebenschancen, wenn schnell und beherzt eingegriffen wird.
32
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
H YGI E N E
E
s gibt eine Erkrankung, an der
jeden Tag allein in Deutschland
137 Menschen sterben, die enorme Kosten verursacht und von der die
meisten nicht einmal den Namen kennen. Eine Krankheit ohne jedes Rampenlicht, mit hoher Sterblichkeit, schlimmen Spätfolgen und Dutzenden von
kläglichen Niederlagen bei der Entwicklung passender Medikamente: der septische Schock – die letzte Eskalationsstufe
einer Infektion, gegen die sich der Körper
mit sämtlichen Mitteln wehrt. Beim septischen Schock eskalieren Infektion und
Immunantwort. Beide Prozesse schaukeln sich gegenseitig hoch, mit fatalen
Folgen für den gesamten Organismus.
Diese Eskalation folgt einer schicksalhaften Choreografie, das Blut trägt
die Mikroorganismen in jeden Winkel
des Körpers. Das Immunsystem produziert daraufhin eine ganze Armada von
Immunzellen. Die generalisierte Entzündung schädigt die Innenseiten der
Blutgefäße, Flüssigkeit tritt aus, der Blutdruck sackt ab, die Gerinnungskontrolle
wird demontiert, und am Ende werden
sogar die Organe in die Knie gezwungen – wenn die Eskalation nicht frühzeitig gestoppt wird. Oft beginnt alles mit
einer Infektion der Atemwege, des Bauchraums, der Knochen oder der Weichteile.
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
K R ANK ENH AU S
Die Eskalation verläuft in drei Stufen.
Die erste ist die Sepsis, bei der Bakterien
im Blut eine Entzündung im gesamten
Körper auslösen, gefolgt von der schweren Sepsis, bei der ein Organ versagt,
meist die Niere. Beim septischen Schock
versagt zusätzlich der Kreislauf. Mit
jeder Stufe nimmt die Sterblichkeit zu.
Hippokrates, der berühmteste Arzt
des Altertums, stufte sie als Fäulnis des
Bluts ein. Über 2.000 Jahre später nannte der deutsche Medizin-Nobelpreisträger Paul Ehrlich sie „Horror autotoxicus“ – Grauen der Selbstvergiftung. Der
Volksmund spricht von einer Blutvergiftung. Nicht nur in Deutschland sterben
mehr Menschen an einem septischen
Schock als an Brust- oder Darmkrebs.
Wenige reden darüber. Auf den Intensivstationen ist der septische Schock die
führende Todesursache, bundesweit die
dritthäufigste Todesursache hinter HerzKreislauf-Erkrankungen und Krebs. Die
Sepsis tritt trotz aller medizinischen
Fortschritte immer häufiger auf, weil
die Bevölkerung älter und somit auch
kränker geworden ist, weil mehr komplizierte Operationen gemacht werden
und weil mehr multiresistente Keime im
Umlauf sind.
Wie bei allen akut lebensbedrohlichen
Erkrankungen zählt auch hier der Faktor Zeit. Eine heraufziehende Sepsis ist
nicht leicht zu erkennen, und schnell ist
es zu spät. Es gibt keinen einzigen Laborwert, der eine drohende Sepsis sicher diagnostizieren kann. Das Krankheitsbild ist
sehr heterogen. Die traditionell zur Diagnose herangezogenen Symptome und
Laborwerte sind sehr unspezifisch. Sie >
33
K R ANK ENH AU S
H YGIE N E
> können auch als Ausdruck eines Unwohlseins (miss)verstanden werden. Laut den
Kriterien der Deutschen Sepsis-Gesellschaft e.V., die den internationalen Leitlinien entsprechen, sollten Ärzte bei Fieber, einer beschleunigten Atmung, einem
schnellen Herzschlag und einer hohen
Zahl an weißen Blutkörperchen hellhörig werden. Diese vier Anzeichen werden auch als SIRS-Kriterien bezeichnet,
wobei die Abkürzung für Systemisches
Inflammatorisches Response Syndrom
steht. „Allerdings sind zwei Kriterien
bereits dann erfüllt, wenn ich joggen
gewesen bin“, sagt Dr. Matthias Gründling, Oberarzt an der Universitätsklinik
Greifswald. „Nach dem Laufen hat man
nämlich eine beschleunigte Atmung und
einen beschleunigten Herzschlag. Das
zeigt, wie schwer eine Sepsis zu erkennen ist und wie unspezifisch die Symptome anfangs sind.“
Die goldene Stunde
Bei einer Sepsis müssen die Mikroorganismen so schnell wie möglich unschädlich gemacht und die negativen Auswirkungen auf den Organismus eingedämmt
werden. Deshalb sollte möglichst früh
eine Antibiotikatherapie starten. Studien
haben gezeigt, dass jede Verzögerung und
jeder Fehlgriff bei der Wahl der Antibiotika die Prognose des Patienten verschlechtern. Ist bereits ein septischer Schock eingetreten, steigt die Sterberate mit jeder
Stunde, die Antibiotika später gegeben
werden, um sieben Prozent an. „Es gibt
eine goldene Stunde, in der die Behandlung den größten Erfolg haben kann“,
sagt Gründling. „Allerdings darf man die
Antibiotika nicht wahllos geben. Das würde die Resistenzentwicklung fördern.“
Gründling kennt das Dilemma, schnelle und sichere Diagnosen zu stellen und
dabei eine Übertherapie zu vermeiden.
„Wir haben unlängst während einer Konferenz über dieses Problem diskutiert. Am
Ende waren sich alle einig: Da es derzeit
keine bessere Behandlung als den schnellen Einsatz eines passenden Antibiotikums gibt, gibt es auch keine Alternative
zu dieser Therapie.“
34
Sepsis
kann
zum
Dieb
werden –
und
das
Leben
mitnehmen
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
Bei der Sepsis stockt auch die Arzneimittelentwicklung. Vor einigen Jahren
musste sogar das bis dahin einzige zugelassene Medikament wieder vom Markt
genommen werden. In der Liste der
gescheiterten klinischen Entwicklungen stehen inzwischen mindestens 25
entzauberte Hoffnungsträger. „Vielleicht
wurden die einzelnen Phasen und die
zugrunde liegenden Pathomechanismen
falsch gewichtet“, kommentiert Gründling die Situation. „Bei der Sepsis gibt
es nicht nur eine generalisierte Entzündung, sondern auch eine Immunschwäche.“
Sepsis oder Schlaganfall?
Nach allem, was man heute weiß, tritt
die Überaktivität des Immunsystems am
Anfang der Krankheit auf. Später sind
die Immunzellen so erschöpft, dass eine
Immunschwäche eintritt. Die meisten
Kandidaten aus der klinischen Entwick-
lung sind darauf ausgerichtet gewesen,
die Entzündung und die Aktivierung des
Immunsystems einzudämmen. Obwohl
diese Therapien vielleicht in der Frühphase wirken, sind sie schädlich, wenn
die Immunschwäche eingetreten ist.
Vielleicht müssen diese Einsichten bei der
klinischen Entwicklung stärker berücksichtigt werden.
„Weil sich die Sepsis oft als Begleiterscheinung einer anderen Erkrankung,
einer Operation oder eines Polytraumas
tarnt, müssen wir lernen, sie besser vorherzusehen“, sagt Gründling. „Dazu müssen wir nach ersten Anzeichen suchen.
Etwa indem wir regelmäßig alle relevanten Vital- und Laborparameter messen,
die Ausscheidungsmenge bestimmen und
ein feines Gespür dafür entwickeln, ob die
Patienten wegen einer drohenden Sepsis unruhig und verwirrt sind oder etwa
wegen eines Schlaganfalls.“ Bei Notfällen müsse die Sepsis so lange als Differenzialdiagnose in Betracht gezogen werden, bis sie sicher auszuschließen sei. In
Greifswald konnte die durchschnittliche
Sterberate von den in Deutschland üblichen 54 Prozent beim septischen Schock
durch besseres Training, sorgfältige Überwachung und konsequente Ergebniskontrolle auf 31 Prozent reduziert wer-
Häufigkeit einer
posttraumatischen
Belastungsstörung
nach:
Vergewaltigung
55,5 %
Krieg
38,8 %
Lebensrettung auf der Intensivstation
22 %
Misshandlung
11,5 %
Brand-/Naturkatastrophen
4,5 %
Quelle: lindgruen-gmbh.com für den World Sepsis Day
den (siehe auch: www.sepsisdialog.de).
Für die Erkennung einer Sepsis hat Dräger
nun zusammen mit der Universitätsklinik Greifswald eine Software entwickelt.
SmartSonar Sepsis speichert alle anfallenden Patientendaten und vergleicht
sie mit den Grenzwerten für eine Sepsis.
Werden diese überschritten, benachrichtigt das Programm das klinische Personal.
„Die Entscheidung, ob eine Infektion vor- >
Eine Infektion läuft Amok
Drei Stufen einer Eskalation
Quelle: lindgruen-gmbh.com für den World Sepsis Day
1. Sepsis: Die Infektion
breitet sich aus
2. Schwere Sepsis: Ein
Organ versagt, meist die Niere
3. Septischer Schock:
Der Kreislauf versagt
Gehirn
Infektion
Lungen
Leber
Nieren
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
35
K R ANK ENH AU S
H YGIE N E
In den Entwicklungsländern ist die Zahl der
Sepsis-Toten
besonders hoch
Entwicklungsländer
über 1.120
Sepsis-Tote pro
100.000
Menschen
Eine gute Intensivmedizin
rettet Leben
Quelle: lindgruen-gmbh.com für den
World Sepsis Day
> liegt und eine Antibiotikatherapie eingeleitet wird, trifft nach wie vor der Arzt.
Das Programm erkennt und meldet kritische Entwicklungen, sodass wir schneller
reagieren können“, sagt Gründling. Es ist
geplant, dass Gründling und seine Kollegen 2015 eine klinische Studie mit SmartSonar Sepsis machen. Die Studie soll auch
in Hamburg, Kiel und Dresden durchgeführt werden und randomisiert sein. Derzeit diskutiere man noch über die primären und sekundären Endpunkte. „Nach
allem, was wir wissen, sollte ein früheres Erkennen der Sepsis zu einem früheren Einsatz der Antibiotika und damit zu
einer geringeren Sterblichkeit führen. Es
ist aber auch denkbar, dass der frühere
Einsatz der Antibiotika die Spätfolgen der
Sepsis reduziert“, sagt Gründling.
Patienten, die eine schwere Sepsis
überlebt haben, leiden oft unter körperlichen, kognitiven und psychischen Spätfolgen. Im Gegensatz zu anderen Patienten
haben sie ein doppelt so hohes Risiko, in
den nächsten fünf Jahren zu sterben.
Viele entwickeln auch eine posttraumatische Belastungsstörung, weil sich die
dramatischen Stunden auf der Intensivstation tief in ihre Seelen gebohrt haben
(siehe auch Seite 8 ff.). In vielen Kliniken ist man deshalb dazu übergegangen,
Tagebücher zu führen, damit die Betroffenen später nachvollziehen können,
was in dieser Zeit passiert ist. Die kürzlich veröffentlichte Welt-Sepsis-Deklaration kennt vor allem ein Ziel: weniger
Sepsis und weniger Sepsis-Tote. Mit Aufklärung, Prävention und einem beherzten Eingreifen kann schon viel erreicht
werden.
Dr. Hildegard Kaulen
36
Schwellenländer
über 540
Sepsis-Tote pro
100.000
Menschen
Industrieländer
über 13
Sepsis-Tote pro
100.000
Menschen
Sepsis ist ein Notfall
Frühzeitiger Einsatz des richtigen Antibiotikums rettet Leben
Quelle: lindgruen-gmbh.com für den World Sepsis Day
100 %
Überlebende
in
Prozent
Effektiv
mit
Antibiotika
behandelte
Patienten
80 %
60 %
40 %
20 %
0
1
2
3
4
5
6
9
12 24 36
Stunden
Zeit bis
Therapiebeginn
Was genau macht der
SmartSonar Sepsis?
SIRS
FOTO : DRÄGERWERK AG & CO. KGAA
10 %
Die Software unterstützt den Arzt bei der möglichst frühen und
exakten Erkennung eines SIRS sowie den Eskalationsstufen einer
Sepsis. Sie bewertet und klassifiziert bis zu 30 Vitaldaten, alle
Verlaufsdaten der zurückliegenden 24 Stunden und die wichtigsten Informationen zur Diagnose. Sie ermittelt daraus einen SepsisSchweregrad, dem ein farbiges Symbol zugeordnet wird.
Der SmartSonar Sepsis bekommt die Daten derzeit über das
Patientendaten-Managementsystem (PDMS) ICM von Dräger.
Geplant ist auch eine Schnittstelle zur Dräger Innovian Solution
Suite. Eine Übersichtsseite listet alle beobachteten Patienten.
Die Detailseite zeigt aktuelle wie entscheidungsrelevante Werte
und einen 24-Stunden-Trend sowie ein mögliches Organversagen
an. Über das Logbuch kann nachvollzogen werden, wie eine Therapieentscheidung zustande gekommen ist. Alle medizinischen
Entscheidungen sind hinterlegt und bis zu sieben Tage sichtbar.
Eine chronologisch geordnete Tabelle zeigt den Wechsel des
Sepsis-Status an und gibt an, was zum Statuswechsel geführt hat.
20 %
40 %
bis
zu
80 %
28-TageSterblichkeit
Eine systemische Reaktion
auf eine nicht spezifische Schädigung
mit mindestens zwei der folgenden
Symptome:
• Temperatur: > 38 ˚C oder < 36 ˚C
• Herzfrequenz: > 90/min
• Atemfrequenz: > 20/min oder
PaCO² < 33 mmHg
• Leukozyten: > 12.000/mm³ oder
< 4.000/mm³ oder > 10 %
unreife neutrophile Granulozyten
Sepsis
SIRS mit vermuteter
oder nachgewiesener
Infektion
Schwere Sepsis
Sepsis mit ≥ 1 Organdysfunktion
• Kardiovaskulär
(volumenrefraktäre
Schock
Hypotension)
• Renal
• Respiratorisch
• Hepatisch
• Hämatologisch
• ZNS
• Metabolische Azidose
ohne erkennbare Ursache
Quelle: Sepsis-Leitlinie der Deutschen Sepsis-Gesellschaft e.V.
Sepsis ist eine häufige, aber wenig beachtete Erkrankung
Quelle: lindgruen-gmbh.com für den World Sepsis Day
377
331,8
223
Lunge
Brust
Häufigkeit
pro 100.000 Einwohner
in den USA
22,8
Prostata
Sepsis
Kosten
für staatlich unterstützte
Forschung in
Millionen US-Dollar
208
91 $
Schlaganfall
Krebs
Herzinfarkt
HIV
Prostata
Brust
317 $
Lunge
1.236 $
2.277 $
2.900 $
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
37
BIG DATA
ILLUSTRATION: GET T Y IMAGES
Die
Vermessung
der
Welt
38
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
DAT E N F LU T
G E S E L L S C H AF T
Das Informationszeitalter häuft täglich immer größere DATENMENGEN an.
Wie lassen sich aus dieser Quantität neue Erkenntnisse gewinnen? Die
Erwartungen an die Ergebnisse sind gewaltig – auch in der Medizin.
W
2012 sollen
weltweit
2,8 Zettabyte
an Datenvolumen
entstanden sein –
das entspricht
einer Zahl mit
22 Stellen.
Experten gehen
davon aus,
dass es bis
2020 sogar
40 Zettabyte
werden können
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
as wäre wenn? Wenn die
Geschwindigkeiten moderner
Verkehrsmittel sich alle zwei
Jahre verdoppelten? Heute 200 km/h, in
zwei Jahren 400 km/h und in vier Jahren 800 km/h. Bald wären alle Menschen
Nachbarn. Jeder könnte sich zu jeder Zeit
an jedem Ort mit jedem treffen. Bei Computern gibt es diese Beschleunigung wirklich: Prozessoren werden immer leistungsstärker, Speicher immer größer,
sodass sich Daten immer schneller analysieren, sortieren und verschieben lassen. Mit einem ähnlichen Effekt: Die
Daten rücken zusammen. Mit Big Data
verbinden Experten gewaltige Hoffnungen. In den Datenmengen sollen grundlegend neue Erkenntnisse für die Wissenschaft stecken – und neue Chancen für
die Wirtschaft. Auch in der Medizin weckt
Big Data große Erwartungen. Wie breiten
sich Krankheiten aus, wie lassen sie sich
frühzeitig erkennen und erfolgreich therapieren? Auf solche und andere Fragen
soll Big Data Antworten finden.
Das „Big“ sagt schon, worum es geht:
um Größe. Und darum, Datenberge
anzuhäufen, um aus ihnen mit cleveren
Rechenmethoden wertvolles Wissen zu
destillieren. Qualität aus Quantität. Die
Technologie-Analysten des Beratungsunternehmens Gartner definieren Big Data
als „Informationsbestände mit großem
Volumen, hoher Geschwindigkeit und
breiter Vielfalt, die nach neuen Verarbeitungsformen verlangen, um verbesserte
Entscheidungen, Erkenntnisse und Prozesse zu ermöglichen“. Gartner spricht
auch von den „drei V“: Volume, Velocity,
Variety – Menge, Geschwindigkeit, Vielfalt.
Vor ein paar Jahren noch galt ein Terabyte
(eine Billion oder 1.000.000.000.000 Byte)
als große Datenmenge. Heute fassen die
meisten Festplatten so viel. Im Jahr 2012
erzeugte die Menschheit ein Datenvolumen von 2,8 Zettabyte (siehe auch Grafik
Seite 42). Mobiltelefone, Kameras, RFIDEtiketten, Kreditkarten, Sensoren, Server – sie alle tragen zur anschwellenden
Datenflut bei. Daten, und mit ihnen zu
rechnen, das mag etwas trocken klingen.
Wie spannend jedoch die Ergebnisse sein
können, zeigt eines der ersten Big-DataProjekte überhaupt: Google Flu Trends.
Im Jahr 2009 kündigte der Internetkonzern Google dieses Projekt im weltweit
renommierten Wissenschaftsmagazin
„Nature“ an. Die Idee: aus den Anfragen an die Google-Suchmaschine bevorstehende Grippewellen vorherzusagen.
Einfach wie genial. Wenn die Menschen
in einer bestimmten Gegend vermehrt
„Fieber“, „Wadenwickel“, „Apothekennotdienst“ oder andere Suchbegriffe mit
Grippebezug googeln, dann muss etwas
im Anflug sein.
„Mit großen Datenbeständen
können wir Dinge tun, die vorher
nicht möglich waren“
Nicht nur die Medien feierten das Projekt.
Auch die amerikanische Seuchenschutzbehörde CDC war begeistert, die Ausbreitung
einer Grippe ohne eine einzige Patientenuntersuchung verfolgen zu können – in
Echtzeit, und zudem spottbillig. Die Google-Entwickler brauchten sich nicht einmal
in das Thema zu vertiefen. Sie überließen
die ganze Arbeit einfach den Algorithmen.
Es wirkte, als hätten sie Wissen aus dem >
39
G E S E L L S C H AF T
DAT EN F LU T
Big Data ist keine Zauberei, ebenso
wenig, wie einst die Alchemie
wertlose Metalle in Gold verwandeln
konnte – doch Big Data kann
Goldadern erschließen
> Nichts gezaubert, wobei das so natürlich
nicht stimmt: Kein Konzern verfügt über
größere Datenmengen als Google. Dabei
war Google Flu Trends nur die Demonstration eines viel umfassenderen Prinzips.
Auch der Mediziner und Google-Vordenker Larry Brilliant geriet ins Schwärmen:
„Ich stelle mir einen Menschen vor, der
online geht und vor einem Cholera-Ausbruch in seiner Straße gewarnt wird.“
Aus den Datenschätzen lassen sich nicht
nur Infektionswellen vorhersagen, sondern auch Finanzkrisen und Hungersnöte. „Mit großen Datenbeständen können
wir Dinge tun, die vorher nicht möglich
waren“, sagt Kenneth Cukier, Big-DataExperte beim britischen Wirtschaftsmagazin „Economist“. „Der einzige Weg,
die globalen Herausforderungen zu meistern – die Menschen zu ernähren, sie mit
Energie und Medizin zu versorgen –, liegt
in der effektiven Nutzung von Daten.“
Das Geburtsjahr von Google Flu Trends
kann auch als der Beginn von Big Data
gelten. Die Techniken des Datenschürfens („Data Mining“) waren bereits einige Jahre zuvor entstanden, doch erst 2009
wurde das Thema „big“. Es entbrannte
ein regelrechter Hype. Ein viel beachteter Beitrag im Digitalkulturmagazin
„Wired“ sah schon „das Ende der Theorie“ kommen. Wissenschaftliche Theorien und statistische Modelle könnten eines
Tages überflüssig werden, prophezeiten
die Autoren. „Mit genügend Daten sprechen die Zahlen für sich.“
Tatsächlich gelangen Wissenschaftlern Durchbrüche, die sie sonst wohl
nicht geschafft hätten – zumindest nicht
so schnell. Einst dauerte die Decodie-
40
rung des menschlichen Genoms wegen
der aufwendigen Rechnerei ein ganzes Jahrzehnt. Mit heutigen SequenzierAutomaten wäre sie an weniger als einem
Tag zu schaffen. Ein weiterer Triumph: Die
Entdeckung des Higgs-Teilchens am Europäischen Kernforschungszentrum CERN.
Der Beschleuniger LHC erzeugt jährlich
15 Petabyte (15.000.000.000.000.000 Byte)
an Daten, das entspricht ungefähr
15.000 Jahren digitaler Musik. Aus diesem
Wust mussten die Forscher das schwache
Signal des Higgs-Teilchens herausfiltern.
Ein wesentlicher Bereich der heutigen
Teilchenphysik besteht im Wälzen großer
Datenmengen. Aber ist diese Entwicklung
tatsächlich das Ende der Theorie? Physiker
würden das bestreiten. Sie brauchen ihre
Theorien weiterhin, auch um zu wissen,
wonach sie in den Datenbergen suchen.
Überhaupt lässt sich feststellen, dass die
erste Big-Data-Euphorie zu weit ging.
Computer identifizieren verdächtige Krankheitsmuster
Nun werden die Grenzen von Big Data
sichtbar – aber auch die Chancen. Es ist
eben nicht so, dass die Zahlen für sich
sprechen. Der trügerische Anschein von
Objektivität ist ein Risiko. Algorithmen
sind fehlbar, sie erledigen den Schritt von
den Daten zum Wissen nicht von allein.
Das mussten auch die Entwickler von
Google Flu Trends erfahren. Der Politikwissenschaftler David Lazer glich die
Prognosen mit der Wirklichkeit ab und
stellte fest, dass Flu Trends regelmäßig
danebenlag. Immer wieder hatte das System falschen Alarm ausgelöst. Die Medien, die Flu Trends zunächst bejubelt hat-
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
ten, überschütteten es nun mit Häme.
„Google Flu Trends irrt sich drei Jahre
in Folge“, schrieb das eigentlich technologiefreundliche Magazin „New Scientist“. Lazer fand keineswegs nur Schlechtes über Flu Trends heraus. Er zeigte, dass
den Entwicklern einige folgenreiche –
aber vermeidbare – Fehler unterlaufen
waren. Wenn man das System in einem
größeren Kontext sieht, bleibt es sehr nützlich. Kombiniert man beispielsweise die
Prognosen von Flu Trends mit den klassisch erhobenen Befunden der Seuchenschutzbehörde CDC, erhält man Vorhersagen, die deutlich zuverlässiger sind
als Flu Trends und CDC jeweils für sich
genommen. Big Data kann also eine wichtige Ergänzung herkömmlicher Methoden
sein. Mittlerweile erschließen Entwickler,
Wissenschaftler und Mediziner das wahre Potenzial. So können Forscher der Universität Toronto frühgeborenen Babys das
Leben retten, indem sie ihre Vitalfunktionen aufzeichnen und mit Big-Data-Methoden auf verdächtige Muster analysieren.
Die Algorithmen warnen mit hoher Treffsicherheit vor bevorstehenden Infektionen. Das funktioniert nur, weil Computer diese verdächtigen Muster aus riesigen
Datenmengen extrahiert haben – mit bloßem Auge wären sie nicht zu erkennen.
Überhaupt: Leben retten. Am New
York Genome Center erproben Onkologen
Big Data als Waffe gegen Krebs. Die Idee:
die Therapie auf jeden Einzelfall zuzuschneiden. Die Ärzte nehmen eine Gewebeprobe des Tumor und sequenzieren das
Erbgut, um die Mutationen der Krebszellen zu erkennen. Anschließend richten sie
die Medikation auf diese Mutationen aus.
Die Kunst dabei ist, die harmlosen Mutationen von jenen zu unterscheiden, die
das Tumorwachstum befeuern. Dabei soll
ein Großrechner helfen. Die Mediziner
füttern ihn mit den Gendaten, der Rechner gleicht sie mit einer gewaltigen Datenbank ab, in der zig Millionen medizinische
Fachartikel gespeichert sind, und entwickelt einen Therapievorschlag. Damit
nimmt der Großrechner eine Schlüsselrolle im Behandlungsprozess ein, macht den
Menschen damit aber nicht überflüssig.
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
Die Werkzeuge der
Datenschürfer
Immer noch müssen Ärzte die Therapievorschläge bewerten, müssen Forscher die
Fachartikel schreiben, die der Computer
durchforstet. Und seine Vorschläge können
nur so gut sein wie die Daten, über die er
verfügt. Big Data ist keine Zauberei – ebenso wenig, wie einst die Alchemie wertlose
Metalle in Gold verwandeln konnte. Doch
Big Data kann Goldadern erschließen, die
mit früheren Mitteln unerreichbar waren.
Statistiker sagt Wahlergebnisse
in allen US-Bundesstaaten
richtig voraus
Der Datenanalyse-Markt wächst laut dem
Magazin „Economist“ um rund zehn Prozent pro Jahr – doppelt so schnell wie
die gesamte Softwarebranche. Und auch
im Gesundheitswesen boomt Big Data.
Der maßgebliche Kopf hinter Google
Flu Trends, Matt Mohebbi, hat den Konzern inzwischen verlassen und ein eigenes Start-up gegründet. Die Geschäftsidee
ist, mit Big-Data-Methoden eine Entscheidungshilfe dafür zu geben, welche Medikamente ein Patient verschrieben bekommen
soll – wohlgemerkt: Entscheidungshilfe.
Big Data hat auch Gebiete erfasst, die man
normalerweise nicht mit Computern und
Algorithmen in Verbindung bringt – etwa
die Politik: Bei seinem erfolgreichen Wahlkampf um die zweite Amtszeit als amerikanischer Präsident im Jahr 2012 verließ
sich Barack Obama wesentlich auf BigData-Analysen. Ein hundertköpfiges Team
von Analysten, ausgestattet mit gewaltiger
Rechenpower, wertete Umfragen, Presseberichte und soziale Medien aus. Der
Statistiker Nate Silver sagte mit cleveren
Algorithmen sogar die Wahlergebnisse in >
Das Durchforsten großer Datenmengen nach wertvollen „Nuggets“ ist
eine spezielle technische Herausforderung. Zunächst braucht man dazu
geräumige Datenspeicher. Doch
Kapazität ist nicht alles, es kommt vor
allem auf Geschwindigkeit an. Die
Daten müssen schnell abrufbar sein.
Gewöhnliche Festplatten mit üblichen
Datenverbindungen sind meist zu
langsam. Für Big-Data-Anwendungen
werden oft „Solid State Drives“ und
„Direct Attached Storage“-Systeme
eingesetzt, die blitzschnell reagieren
können. Die Berechnungen geschehen
häufig in massiv parallel verarbeitenden
Datenbanken („massively parallel
processing“, MPP), die also viele
Rechenprozesse gleichzeitig ausführen
können. Um auf diese Weise Zeit zu
sparen, muss die Berechnung in
mehrere Teile gegliedert werden, die
nebeneinanderher laufen können – das
geht oft nur mit viel Einfallsreichtum
der Programmierer. Die Algorithmen,
die dabei ausgeführt werden, können
ganz simple Suchmethoden sein oder
raffinierte Rechenwerkzeuge – wie
statistische Analysen oder genetische
Algorithmen, die sich selbst in einem
Selektionsprozess immer weiter
verbessern. Inzwischen bieten einige
IT-Unternehmen auch fertige Hardware- und Software-Lösungen für
Big Data an.
41
G E S E L L S C H AF T
DAT EN F LU T
Der Kern besteht darin, aus
gewaltigen Datenmengen entsprechende
Vorhersagen zu destillieren
> sämtlichen 50 US-Bundesstaaten richtig
voraus – und schlug damit alle Demoskopen, die es mit traditionellen Werkzeugen versuchten. Zwei Jahr später, bei den
US-Kongresswahlen im November 2014,
gehörte Big Data bereits zum Standardarsenal vieler Kandidaten. Eine ganze
Reihe von Unternehmen bietet Big-DataDienstleistungen für Politikprofis an.
FiscalNote zum Beispiel, gegründet 2013
im Silicon Valley in Kalifornien, prognostiziert die Ergebnisse von Abstimmungen in
den Parlamenten der Bundesstaaten und
im Washingtoner Kongress auf der Grundlage von Wahlergebnissen, Umfragen und
Wahlkampfbudgets. Die Algorithmen
haben bereits jetzt eine Treffergenauigkeit von 95 Prozent, in den nächsten Jahren soll sie auf 99 Prozent steigen. Ein
ähnliches Ziel im ökonomischen Sektor
Maßeinheiten für Datenmengen
Präfix
Bytes
Datenmenge
Byte
1
Ein Buchstabe
Kilobyte (KB)
1.000
Eine Textseite
Megabyte (MB)
1.000.000
Ein kleines Foto
Gigabyte (GB)
1.000.000.000
Ca. 8,5 Minuten HD-Video-Material
Terabyte (TB)
1.000.000.000.000
Ca. 250.000 MP3-Dateien
Petabyte (PB)
1.000.000.000.000.000
Die geschätzte Speicherkapazität aller
Rechenzentren weltweit 2002
Exabyte (EB)
1.000.000.000.000.000.000
Die fünffache Datenmenge aller
jemals gedruckten Bücher
Zettabyte (ZB)
1.000.000.000.000.000.000.000
Die geschätzte Menge aller jemals
von Menschen gesprochenen Worte
würde digitalisiert 42 ZB entsprechen
Yottabyte (YB)
1.000.000.000.000.000.000.000.000
Unfassbar viel
Quellen: Alle Angaben sind Wikipedia und der Studie „How Much Information?“ (2009) entnommen
42
verfolgt das New Yorker Start-up Estimize,
das mit ausgeklügelten Algorithmen die
künftigen Erträge von Unternehmen aus
den Finanzdaten der Vergangenheit vorherzusagen versucht.
Noch ist das alles ein vornehmlich
amerikanisches Phänomen. Doch auch
deutsche Unternehmen beginnen sich
der Sache anzunehmen. So wird beispielsweise versucht, die Überwachung der
ICE-Züge auf Big-Data-Methoden umzustellen. Vernetzte Sensoren sollen den
Zustand von Türen, Klimaanlagen und
Antriebssystemen überwachen und Algorithmen aus den Daten frühzeitig Schäden erkennen. Auch Hochschulen reagieren: Die erste deutsche Professur für Big
Data Analytics hat die Bauhaus-Universität
in Weimar geschaffen. Ein Schwerpunkt
der Forschung besteht darin, mit neuen
Methoden der Datenanalyse die Leistung
von Suchmaschinen zu verbessern.
Mit dem Hunger auf Daten
wächst die Neigung, sie zu
missbrauchen
Angesichts dieser Erfolge dürfen die
Beschränkungen nicht in Vergessenheit
geraten. Der Kern von Big Data besteht
darin, aus Datenmengen, die für menschliche Augen unmöglich zu überschauen sind, mit bloßer Rechenkraft Vorhersagen zu destillieren. Wie fundiert
und zuverlässig können diese Vorhersagen sein? Weil ihr Zustandekommen so
intransparent ist, lässt sich das in vielen
Fällen schwer einschätzen. Ein heftig
umstrittener Fall ist die Klimaforschung
mit ihren daten- und rechenintensiven
Modellen der Erdatmosphäre. Auf ihren
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
„Je mehr Daten,
desto persönlicher“
FOTO : MARION VOHLA, VLAD SASU
PROF. DR. CHRISTIAN HESSE lehrt
Mathematische Statistik an der Universität
Stuttgart. Er ist einer der führenden deutschen
Experten für Big Data.
Prognosen gründen weitreichende politische Entscheidungen. Selbst die Klimaforscher sind sich nicht immer einig über
die Fehlermarge. Gerade weil sie für den
menschlichen Geist nicht nachvollziehbar sind, haben Big-Data-Analysen nicht
zwingend die Überzeugungskraft wissenschaftlicher Argumente.
Und dann ist da noch der Einwand,
den kein noch so großer Erfolg entkräften
kann: Mit dem Hunger auf Daten wächst
die Neigung, sie zu missbrauchen. Eine
Krankenversicherung zum Beispiel, die
sich Zugang zu den Kreditkartentransaktionen ihrer Versicherten verschafft und
ihnen dann eine Risikoprämie für Übergewicht aufbrummt, wenn sie Kleider in
Übergrößen bestellt haben, überschreitet
die Grenze zur Schnüffelei. Gerade weil
in den Daten so viel Potenzial steckt, muss
die Privatsphäre der Nutzer geschützt bleiben. Das größte Big-Data-Unternehmen
der Welt ist der amerikanische Geheimdienst NSA. Allein das im Jahr 2013 in
Betrieb genommene Datenzentrum in
Bluffdale im Bundesstaat Utah soll laut
dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“
eine Speicherkapazität von einem Yottabyte haben – eine Billion Terabyte! Aus diesen Datenmengen, abgefischt vor allem
aus den globalen Kommunikationsnetzen, versucht man staatsfeindliche Aktivitäten vorherzusagen. Algorithmen können Menschen schnell zu potenziellen
Terroristen erklären. Nichts zeigt deutlicher, dass Big Data trotz des großen
Potenzials nie die ganze Wahrheit sein
kann. Wenn aus Daten Wissen generiert
werden soll, gehört die menschliche Perspektive stets dazu.
Tobias Hürter
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
Professor Hesse, derzeit wird viel über
die Möglichkeiten von Big Data diskutiert:
Wo liegen die Grenzen?
Christian Hesse: Big Data findet seine natürlichen Grenzen an den persönlichen
Rechten der Menschen. Inzwischen ist es möglich, kostengünstig das Genom
von Patienten zu sequenzieren und auszuwerten. Wenn eine Krankenversicherung
diese Daten dazu nutzt, um Versicherten mit der Anlage einer Erbkrankheit eine
Risikoprämie aufzubrummen, dann überschreitet sie diese Grenzen.
So weit die Ethik, und technisch gesehen? Braucht es nicht immer
noch den Arzt, der auf den einzelnen Patienten eingeht?
Ja, den braucht es – schon um gezielte Untersuchungen durchzuführen.
Aber bei Big Data in der Medizin geht es ja gerade darum, Therapien individuell
auf Patienten zuzuschneiden. Je mehr Daten, desto persönlicher.
Wie funktioniert das?
Man nimmt alle Daten, die von einem Patienten zur Verfügung stehen. Messwerte,
Medikationen, Gendaten – das können Zigtausende Datenpunkte sein – und
gleicht sie mit den Daten von Millionen anderer Patienten ab. Mit der „NächsteNachbarn-Methode“ findet der Computer ähnliche Fälle. Er kann sehen, welche
Therapien erfolgreich waren, und den Arzt mit Vorschlägen unterstützen.
Warum ist das besser als der herkömmliche Ansatz?
Üblicherweise geht es ja so: Ein Arzt lernt, welche Symptome auf welche
Krankheiten hindeuten. Dazu kommen die Erfahrungen aus seiner Praxis. Das
ist ein vergleichsweise kleiner Radius. Big-Data-Verfahren stützen sich auf
ein viel breiteres Fundament.
Kann Big Data damit ärztliche Diagnosen überflüssig machen?
Nein, aber wesentlich unterstützen. Was Big Data überflüssig macht, ist der
bisherige Ansatz mit seiner Komplexität und Fehleranfälligkeit. In Deutschland
werden jährlich 300.000 Krankenhausaufenthalte und mehrere Tausend
Todesfälle durch fehlerhafte Medikamentendosierungen verursacht.
Big-Data-Verfahren können helfen, zumindest einige davon zu vermeiden.
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R UBR IK
THEMA
Diese komplett
eingerichtete Zahnarztpraxis stammt aus
dem ersten Drittel
des 20. Jahrhunderts
G ESCH I CH T E
Mit Herzblut ins
Museum
Eine neue Sonderausstellung beleuchtet die Geschichte und
Zukunft der MEDIZINTECHNIK. Dem Besucher öffnet sich
noch bis Sommer 2015 ein faszinierendes Kaleidoskop
technischer, wissenschaftlicher und sozialer Entwicklungen –
mit mehr als 700 Exponaten.
Seelensitz
und Technik:
Ein Herz mit
modernem
Unterstützungssystem eröffnet
die Sonderausstellung
im Mannheimer
Technoseum
DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014
MEDI Z IN
D
ie Melodie des Lebens legt sich
mit wuchtigem Beat über den
Eingang zur Ausstellung im
Mannheimer Technoseum. „Herzblut“
heißt diese Reise durch die Medizintechnik auf rund 900 Quadratmetern – von
den Anfängen im Anatomischen Theater
und der Aufklärung bis zu den Visionen von Robotern in der Medizin. Den
Takt gibt gleich zu Beginn die Projektion einer Magnetresonanz tomografieAufzeichnung des schlagenden Herzens
vor, untermalt vom rhythmischen Herzklopfen. Vor der Installation steht ein
transparenter Torso, dessen Herz an ein
modernes Unterstützungssystem angeschlossen ist. Dieses Exponat steht für
die Schnittstelle der Medizintechnik zu
jenem Organ, das – je nach Perspektive –
als Sitz der Seele oder Hochleistungsblutpumpe gilt.
Noch bis zum 7. Juni 2015 folgt „Herzblut – Geschichte und Zukunft der Medizintechnik“ zwei Erzählsträngen: Einerseits geht es darum, wie Medizintechnik
den Blick auf den menschlichen Körper
prägt und die Möglichkeiten von Diagnose und Therapie erweitert. Spiegelbildlich dazu wird gefragt, wie sich diese Technik fortentwickelt. Beide Ebenen
ergeben einen ganzheitlichen Blick auf
die Ideen und Innovationsgeschichten,
zu denen neben vielen lebensrettenden
Entwicklungen auch Gräueltaten wie die
Menschenversuche während der NS-Zeit
gehören.
Vor der Behandlung steht das Begreifen dessen, was im Körper bei einer
Krankheit passiert: Innovationen auf
Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse >
45
M ED I Z IN
GESCH I CH T E
> eröffnen seit dem 19. Jahrhundert neue
Blicke auf und in den Körper. So begründen Röntgenaufnahmen (deren erst noch
zu interpretierendes Bild der Schriftsteller Thomas Mann als „Innenporträt“
genau fasste), Stethoskop, Blutdruckmessgerät und Fieberthermometer neue
Diagnosemöglichkeiten auf der Grundlage exakt quantifizierbarer und damit
vergleichbarer Gesundheitsdaten. Die
Heilkunst machte sich wissenschaftliche
Methoden und Instrumente zunutze. Diese Vermessung des Körpers gehört auch
zu den Grundlagen neuer Behandlungsmethoden bis zur Operation unter Narkose. Und sie bereitet jenen Labor verfahren
den Weg, auf denen heute rund zwei Drittel aller Diagnosen beruhen.
Zwei Gase für die
Narkose: Der Mischnarkoseapparat
Roth-Dräger (1910)
arbeitete mit Äther
und Chloroform
Letzte Rettung Stahlsarg: Die Eiserne
Lunge revolutionierte
in den 1930er-Jahren
die Medizintechnik.
Dank ihr überlebten
Tausende Menschen
todbringende Seuchen – mancher blieb
sogar Jahrzehnte
in der monströsen
Maschine gefangen
Blauer Heinrich hinter Glas
Viele Pionierleistungen haben sich zu
medizinischen Standards entwickelt.
„Das Selbstmessen des Blutzuckers oder
des Blutdrucks beispielsweise ist heute
eine Selbstverständlichkeit – vor 100 Jahren wäre das undenkbar gewesen“, sagt
Dr. Alexander Sigelen. Der Historiker hat
die Ausstellung in zweieinhalb Jahren mit
einem Team konzipiert. Sie wollten darin
nicht allein Einblicke in den Maschinenraum von Arztpraxen, Krankenhäusern,
Laboren und Apotheken gewähren, sondern vitale Verbindungen zu den Lebenswelten der verschiedenen Epochen herstellen. So gehören zu den Exponaten
auch der Porzellanhandgriff einer Toilettenspülung und der „Blaue Heinrich“,
eine weit verbreitete Taschenspuckflasche für Tuberkulosepatienten, als
Symbole der Hygienebewegung.
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Hochtechnologie der
Messingära: das
Bedienpult eines frühen
Röntgengeräts – mit
Röhren, Analogskalen
und Marmorplatte
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Kleiner Griff, große
Wirkung: Toilettenspülung als Symbol der
Hygienebewegung.
Seit 2001 gibt es sogar
den Welttoilettentag
Eindrücklich zeigt die Schau die Entwicklung der Anästhesie als technikorientierte Wissenschaft im vergangenen Jahrhundert. Zwei nebeneinander platzierte
Leihgaben von Dräger spannen dabei
den Jahrhundertbogen von der Frühzeit der Narkose bis zum heutigen Stand
dieser Technologie. Aus den Anfängen
des 20. Jahrhunderts stammt der RothDräger-Mischnarkoseapparat. Den neuesten Stand der Technik leistungsfähiger
Anästhesiearbeitsplätze zeigt direkt daneben ein Dräger Perseus A500.
Polio: Geißel der Menschheit
Zeichen
der Zukunft:
Bionische
Prothetik
steuert
technische
Gliedmaßen
über Muskeloder Nervenimpulse
Neben diesen Leihgaben zeigt sich Technik auch in weiteren Bereichen der Ausstellung – etwa wenn es um die sichere
Beherrschung von Gasen in der Medizin
geht. Das trifft auf den kompletten Operationssaal aus den 1950er-Jahren mit Narkose- und Beatmungstechnik von Dräger
ebenso zu wie auf die legendäre Eiserne
Lunge zur Beatmung von Polio-Patienten.
Die heute nahezu vergessenen Maschinen waren damals bei vielen Erkrankten die einzige Hoffnung während der
Polio-Epidemien. Denn bis zur Erfindung
eines Impfstoffs (durch den US-Immunologen Jonas Salk, 1954) war Kinderlähmung eine der schlimmsten Geißeln der
Menschheit. Insgesamt zeigt die Mannheimer Ausstellung mehr als 700 Exponate, viele davon aus der seit 25 Jahren
bestehenden Sammlung des Technoseums zur Medizintechnik mit heute
rund 3.000 Objekten. Ästhetisch zieht sich
dabei die Präsentation der Geräte wie ein
roter Faden durch die Ausstellung. Das
betont auch Ruudi Beier, der Gestalter der
Schau: „Es ist uns wichtig, die Exponate
nicht nur im Kontext ihrer Wirkung zu
zeigen, sondern auch eindeutig als technische Geräte.“
Peter Thomas
www.technoseum.de/ausstellungen/herzblut
Der rund 450 Seiten starke Katalog zur
Ausstellung ist im Museum für 24,95 Euro und
im Buchhandel für 29,95 Euro erhältlich.
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Feine
Nase
Was liegt da in der Luft?
Der DRÄGER-ANALYSENSERVICE
bestimmt verschiedenste Substanzen
und deren Konzentrationen – in
Operationssälen, Industrieanlagen
oder in Büros.
Ein Röhrchen im
Glaskolben
aufzubauen ist
Präzisionsarbeit
A RB E I T SP L AT ZM ES SU N GE N
Kurven wie beim EKG
Mitte der 1980er-Jahre stand der Analysenservice nur der Entwicklung im eigenen
Haus zur Verfügung. Mittlerweile lassen
hier auch Krankenhäuser die Konzentration von Narkosegasen in ihren Operationssälen untersuchen. Uta Speth, Mitarbeiterin der ersten Stunde, erinnert
sich noch genau daran, wie aufwendig
die weitgehend manuellen Analysen und
ihre Auswertung damals waren: „Die
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FOTOS: PATRICK OHLIGSCHLÄGER
W
ie bringt man nur diesen „Schwamm“ von rund
1.000 Quadratmetern in
einem schmalen Glasröhrchen unter?
„Das ist im Prinzip ganz einfach“, sagt
Dirk Rahn-Marx. „Es braucht nur ein
Gramm Aktivkohle!“ Nicht irgendeine,
sondern solche, die aus Kokosnussschalen gewonnen wird – mit einer besonders
großen Oberfläche. Im Analysenservice
von Dräger, den der Chemie-Ingenieur
leitet, fängt man Flüchtiges und Unsichtbares ein: Substanzen aus der Luft, um sie
zu identifizieren und zu quantifizieren.
Die schwebenden Stoffe setzen sich in den
Poren der Aktivkohle fest und reichern sich
dort an. So lassen sich noch Substanzen
bestimmen, deren Konzentration in der
Größenordnung von Milliardsteln (ppb:
parts per billion) liegt. Das ist ungefähr
so, als wolle man fünf Menschen innerhalb der gesamten Erdbevölkerung finden.
Dirk Rahn-Marx leitet den
Dräger-Analysenservice – und
ist immer noch fasziniert
von seiner Arbeit
Ergebnisse wurden auf langen perforierten Papierstreifen gespeichert, zusammengerollt und mit Gummibändern gesichert!“ Heute werden unter anderem
Gaschromatografen und Massenspektrometer eingesetzt, die binnen einer Stunde
die Einzelstoffe aus der Luftprobe trennen
und grafisch darstellen können – wie ein
Elektrokardiogramm (EKG). Jeder Zacken
(Peak) ist eine gefundene Substanz und die
Höhe des Ausschlags ein Maß für ihre Konzentration in der Probe.
„Wir unterscheiden hauptsächlich
zwischen Messungen am Arbeitsplatz, im
Büro sowie im Freien“, sagt Dirk RahnMarx, „prüfen beispielsweise aber auch
Druckluft in der Produktion auf ihre Reinheit.“ Da wurde etwa ein Büro renoviert,
und nach dem Wiedereinzug leidet die halbe Mannschaft an Kopfschmerzen. Liegen
S C HU LT ER BLIC K
da Schadstoffe in der Luft? Oder eine Chemiefabrik möchte über die gesetzlichen
Vorschriften hinaus prüfen, was sich von
ihrer Produktion noch in der Luft jenseits
des Werkzauns befindet. Dann gibt es Menschen, die fest davon überzeugt sind, ihr
Nachbar wolle sie durch „irgendwelche
Ausdünstungen“ vergiften. In diesen und
anderen Fällen kann der nach ISO 17025
akkreditierte Dräger-Analysenservice helfen.
„Dafür lassen wir uns erst einmal
sehr genau die Lage erklären“, schildert
Rahn-Marx einen typischen Durchlauf.
Diese Informationen – die im Firmengeschäft fast immer von Experten kommen –
kreisen die Aufgabe und die gesuchte(n)
Substanz(en) näher ein. Es ist ein Unterschied, ob man nach Formaldehyd, Benzol oder Terpenen sucht, die im Holzfußboden eines frisch renovierten Büros
nachgewiesen werden sollen. Nach dieser Aufgabe richten die Dräger-Experten
ihr Instrumentarium aus – und der Kunde weiß, welche Röhrchen oder Mess-Sets
für seine Fragestellung die richtigen sind.
Die Sammelröhrchen sind oft mit Aktivkohle oder anderen chemo-physikalischen
„Schwämmen“ gefüllt. Methanol etwa
oder die in der Kunststofffertigung anfallenden Ausgangsstoffe (Isocyanate) lassen
sich hiermit nicht einfangen. Dazu sind
andere poröse Materialien wie Silikagel
notwendig – oder solche, bei denen ein Filter mit einer chemischen Substanz imprägniert wurde, damit der zu messende Stoff
bereits bei der Probenahme zu stabilen
Verbindungen reagiert (Chemisorption).
Die Probe nimmt in den meisten Fällen
der Kunde nach einer von zwei Methoden: >
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SC HULT ER B L IC K
ARB E I TS P L AT Z MES S UN GE N
„Das ist mitunter so, als wolle man
fünf Menschen innerhalb der
gesamten Erdbevölkerung finden“
> Kurz- oder Langzeitmessung. Die Kurzzeitmethode wird vor allem an Arbeitsplätzen bei Konzentrationen im ppm-Bereich
(parts per million: Teile je Million; Milligramm je Kubikmeter) genutzt. Hierzu
wird das an beiden Enden verschmolzene
Glasröhrchen mit einem speziellen Werkzeug geöffnet, das ähnlich wie ein Bleistiftanspitzer funktioniert. Das Röhrchen
wird dann zur Probenahme in eine automatische Pumpe (z. B. Dräger X-act 5000)
eingesetzt, die eine Durchleitung von definierten Luftmengen erlaubt. Anders ließe
sich später die Konzentration des Schadstoffs nicht berechnen.
Für die Langzeitmessung gibt es spezielle Diffusionssammler, die an beiden
Enden mit Celluloseacetat verschlossen
sind. „Durch diese Filter“, so Rahn-Marx,
„diffundieren die Schadstoffe aus der
Umgebungsluft auf die Aktivkohle – Ausdünstungen von Lacken zum Beispiel.
Über die Messdauer können wir dann die
Konzentration ermitteln.“ Die ORSA-Diffusionssammler werden mit einem Clip im
Raum oder etwa am Jackenkragen befestigt. „Ist die Probe ordnungsgemäß gesammelt, schickt der Kunde sie nach Lübeck,
wo sie mit einer individuellen Nummer
erfasst und bei rund sechs Grad Celsius
gelagert wird – damit sie frisch bleibt und
sich in Gehalt wie Konzentration so gut wie
nicht ändert.“ Im nächsten Schritt werden
die Proben analysiert. Dazu wäscht man
die gesammelten Substanzen aus der Aktivkohle und füllt eine definierte Menge dieser Flüssigkeit in kleine Glasbehälter, mit
denen die Analysegeräte bestückt werden.
Gaschromatografie mit Massenspektrometer, Thermodesorption, Flüssigchromato-
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grafie und Infrarot-Spektrometrie zählen unter anderem zu den Verfahren, mit
denen die Proben nach allen Regeln der
Kunst und allen möglichen Molekülen
durchleuchtet werden („Screening“).
„Daraus resultieren dann oft lange
Listen von Substanzen und ihren Konzentrationen“, zeigt Dirk Rahn-Marx auf eine
EKG-Kurve (Chromatogramm), die das
Ergebnis visualisiert. Das ist allerdings
nur ein Zwischenergebnis. „Nun müssen
wir, gestützt auf eine riesige Datenbank,
alle Signale identifizieren und die Ergebnisse auf Plausibilität prüfen.“ Sind die
Schadstoffe identifiziert und ihre Konzentrationen festgestellt, geht es an die Dokumentation. Auf die wiederum kann der
Kunde sich verlassen, auch wenn ihn das
Ergebnis mitunter überrascht.
Mancher kann es nicht fassen
So stellte der Analysenservice in einer
Druckluftprobe Öl fest. Der Kompressor
arbeitete definitiv ohne Schmierung, nur
stand wegen dieser Messung die Produktion beim Kunden still. „Der wollte das
Ergebnis nicht so recht glauben, ließ sie
wiederholen – mit demselben Ergebnis“,
erinnert sich Rahn-Marx. Schließlich seien
sogar zwei Experten des Unternehmens zu
Dräger gekommen und hätten den Analysenservice auditiert. Doch dort war alles in
Ordnung. „Daraufhin“, sagt Rahn-Marx,
„haben wir den Prozess der Probenahme
beim Kunden genauer untersucht. Tatsächlich hatte er die Probe durch einen
neuen Kunststoffschlauch gezogen, der
noch Spuren ölähnlicher Dämpfe ausgaste. Und genau die haben wir gefunden!“
Als die Druckluft dann direkt am Ventil
abgenommen und gemessen wurde, war
alles in Ordnung.
Vielschichtige Kunstwerke
Das wirft einen Blick darauf, bei hochpräzisen Messungen immer die gesamte Prozesskette im Auge zu behalten. Und die
fängt schon bei der Produktion der Sammelröhrchen an. Neben der vollautomatischen Fertigung werden einige noch
per Hand gefüllt, etwa die mit Aktivkohle. Selbst die einfachen Röhrchen enthalten durch Halteelemente getrennte
Sammel- und Kontrollschichten. Es gibt
aber auch kompliziert aufgebaute Sammelsysteme, die zusätzlich einen imprägnierten Glasfaserfilter (u. a. für Formaldehyd) oder ein Molekularsieb (u. a. für
Lachgas) enthalten. Manche von ihnen
gleichen durch ihren vielschichtigen
Aufbau wahren Kunstwerken. Ihre Produktion erfordert viel Erfahrung. „Einige Kollegen machen das schon seit Jahrzehnten“, sagt Rahn-Marx. Nach vielen
Kontrollen werden die Enden der meisten
Röhrchen mit einer zweimal zehnflammigen Maschine zugeschmolzen. Vor der
Auslieferung folgen nochmals Kontrollen,
damit die Voraussetzungen für hochpräzise Messungen gegeben sind. Selbst dann,
wenn mancher mit den hieb- und stichfesten Ergebnissen nicht zufrieden ist, wie
Dirk Rahn-Marx sich schmunzelnd erinnert: „Noch nie konnten wir nachweisen,
dass jemand seinen Nachbarn mit Gasen
vergiften wollte.“
Nils Schiffhauer
Fotostrecke:
So entsteht ein Dräger-Röhrchen
www.draeger.com/395/analyse
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IMPRESSUM
Herausgeber: Drägerwerk AG & Co. KGaA,
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Redaktionelle Beratung:
Nils Schiffhauer
Artdirektion, Gestaltung, Bildredaktion
und Koordination: Redaktion 4 GmbH
Schlussredaktion: Lektornet GmbH
Druck: Dräger+Wullenwever print+media
Lübeck GmbH & Co. KG
ISSN 1869-7275
Sachnummer: 90 70 384
Die rotierenden
Röhrchen werden
durch Gasflammen
steigender Größe
verschmolzen
Die Beiträge im Drägerheft
informieren über Produkte und
deren Anwendungsmöglichkeiten im Allgemeinen. Sie haben
nicht die Bedeutung, bestimmte
Eigenschaften der Produkte
oder deren Eignung für einen
konkreten Einsatzzweck
zuzusichern. Alle Fachkräfte
werden aufgefordert, ausschließlich ihre durch Aus- und
Fortbildung erworbenen Kenntnisse und praktischen
Erfahrungen anzuwenden. Die Ansichten, Meinungen und
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sowie der externen Autoren, die in den Texten zum
Ausdruck kommen, entsprechen nicht notwendigerweise der Auffassung der Dräger werk AG & Co.
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Im Chromatogramm
zeichnen sich viele
kleine und große
Zacken ab, denen
dann Substanzen
zugeordnet werden
FOTOS: PATRICK OHLIGSCHLÄGER
Im Gaschromatografen
werden die Proben
nach allen Regeln der
Kunst durchleuchtet
Die Dräger Safety AG & Co. KGaA, Lübeck, ist
Hersteller folgender Produkte: PSS 5000 (Seite 5),
Probenahmen (Seite 48 ff.), X-act 5000 (Seite 50)
sowie Interlock 7000. Die Dräger Medical GmbH,
Lübeck, ist Hersteller des PulmoVista 500 (Seite 26),
SmartSonar Sepsis (Seite 33 ff.) sowie des Intensive
Care Managers (ICM; Seite 37) und Perseus A500
(Seite 47). Die Draeger Medical Systems, Inc. (Telford,
USA), ist Hersteller der Inifinty Delta Monitore
(Seite 16) und Innovian Solution Suite (Seite 37).
www.draeger.com
EIN BL IC K
ALKOHOL-IN T E RLOCKS
Handteil für die
Bedienung und den
Atemalkoholtest
1
7
4
5
6
3
Das Interlock 7000 prüft, wie tief ein Fahrer ins Glas geschaut
hat. Je nach Promillegrenze lässt sich die Zündung einschalten und der Motor starten oder eben nicht. Die atemalkoholgesteuerte Wegfahrsperre besteht aus einem Handteil 1 und
einer Steuereinheit 2 – optional sind ein GPRS-Modul und eine
Kamera erhältlich.
Selbst bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ist das Gerät
nach wenigen Sekunden einsatzbereit. Das biologisch abbaubare Mundstück 3 ist beheizt, wie auch der Sensor im Innern
des Handteils mit seinem farbigen Display 4 samt Benutzerführung (derzeit in 23 Sprachen). Pustet der Fahrer in das Mundstück, leitet ein Balg die Atemprobe an den Sensor, ohne dass
Speichel oder Essensreste darauf gelangen. Über die Öffnung 5
entweicht die Atemluft. Nach erfolgreicher Messung signalisieren farbige Leuchtdioden 6 parallel zu unterschiedlichen Signaltönen den jeweiligen Status: Freigabe (grün), Nicht-Freigabe
(rot) oder die Aufforderung, den Test zu wiederholen (blau). Die
Daten gelangen über ein Spiralkabel 7 zur Steuereinheit und
werden dort verschlüsselt gespeichert. Die für alle Lichtverhältnisse geeignete Infrarotkamera (mit biometrischer Gesichtserkennung) stellt sicher, dass die Atemprobe ausschließlich vom Fahrersitz abgegeben wird. Aufnahmen während der Fahrt können einen
möglichen Fahrerwechsel feststellen und gegebenenfalls Aktionen einleiten. Das GPRS-Modul eröffnet die Datenkommunikation mit einem Server über eine Mobilverbindung. Es enthält
auch ein GPS-Modul zur Bestimmung des Standorts bei festgelegten Ereignissen, etwa einem Wiederholungstest. Das Modul
kann zudem bestimmte Auffälligkeiten übertragen, die das Gerät
erkennt. Entwickelt wurde das Interlock 7000 für den präventiven Einsatz in Lkw, Bussen und Taxen – aber auch für Teilnehmer sogenannter Trunkenheitsfahrerprogramme mit ihren zum
Teil sehr individuellen Vorgaben.
FOTO : DRÄGERWERK AG & CO. KGAA
Warten oder starten?
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FOTO : BLIND
Die Steuereinheit
übernimmt die
Auswertung und
einiges mehr
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