Frankreich: Neue Fiskalimpulse nach Kabinettumbildung Jospins
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Frankreich: Neue Fiskalimpulse nach Kabinettumbildung Jospins
Aktuelle Themen 6. April 2000 Frankreich: Neue Fiskalimpulse nach Kabinettumbildung Jospins Am 27. März hat Ministerpräsident Lionel Jospin ein Revirement in seinem Kabinett bekannt gegeben. Nach Rückziehern in der Rentenreform, in der Reform der Finanzverwaltung und des Schulwesens, nach dem Scheitern der Verhandlungen zur Einführung der 35-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst sowie nach einer unglücklichen Debatte über die Verwendung der höheren Steuereinnahmen soll eine Umbildung des Kabinetts die Handlungsfähigkeit der Regierung stärken und Lionel Jospin frühzeitig für die Präsidentschaftswahlen 2002 positionieren. Schwierige politische Lage zwang zu einem Revirement ... Vier neue Minister im Mittelpunkt Kern der Kabinettsumbildung ist die Neubesetzung von vier Ministerposten. Laurent Fabius ersetzt Christian Sautter als Wirtschafts- und Finanzminister, Jack Lang ist Nachfolger Claude Allègres als Bildungsminister, Michel Sapin nimmt die Position Emile Zuccarellis als Minister für die Staatsbediensteten ein und Catherine Tasca löst Catherine Trautmann als Kultur- und Kommunikationsministerin ab. ... im wesentlichen in vier Ministerien Fabius folgt Sautter als Finanzminister Die bedeutendste Neubesetzung im Kabinett Jospin ist Laurent Fabius als neuer Wirtschafts- und Finanzminister. Fabius ist ein politisches Schwergewicht der französischen Sozialistischen Partei (PS). Der Absolvent der Eliteuniversität Ecole Nationale d’Administration (ENA) wurde 1984 unter Mitterrand im Alter von 37 Jahren jüngster Premierminister des 20. Jahrhunderts. In seine zweijährige Amtszeit fielen einerseits das Ende der Verstaatlichungspolitik der frühen MitterrandJahre, andererseits aber auch die Affäre um das vom französischen Geheimdienst versenkte Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior sowie der Skandal um HIV-infizierte Blutkonserven, von dessen Verantwortung er erst im vergangenen Jahr gerichtlich freigesprochen wurde. Fabius war seit 1997 Präsident der Nationalversammlung. Mit Fabius wird ein politisches Schwergewicht Finanzminister Fabius löst den erst seit fünf Monaten im Amt befindlichen Christian Sautter ab. Dieser hatte nach dem Rücktritt Dominique Strauss-Kahns begonnen, die französische Fiskalpolitik verstärkt an den Bedürfnissen der unteren Einkommensschichten auszurichten und damit die politische Balance der Regierung im politischen Spektrum leicht nach links verschoben. Zuletzt war er am Vorhaben gescheitert, die französische Finanzverwaltung zu reformieren. Mit Fabius folgt nun ein Politiker, der als liberaler Sozialdemokrat im Stile eines Tony Blairs gilt. Neben einem erneuten Anlauf zur Finanzverwaltungsreform wird Fabius‘ hauptsächliches Anliegen eine Kurskorrektur der Fiskalpolitik sein. Grundsätzlich bleibt das Ziel der Senkung der Steuer- und Abgabenlast weiter bestehen: So soll die gegenwärtig etwas aus dem Ruder gelaufene Steuerquote (1999: 45,6%) bis 2002 wieder auf ihr Niveau von 1995 (43,7%) gesenkt werden. Fabius gilt als liberaler Sozialdemokrat Kurskorrektur in der Fiskalpolitik steht bevor Jedoch hat Fabius bereits angedeutet, dass ihm dieser Plan seines Vorgängers nicht weitreichend genug sei. So will er zusätzlich zu den ohnehin angekündigten Steuersenkungsvorhaben die Abgabenlast in den kommenden beiden Jahren um zusammen EUR 13,7 Mrd. senken. Ohne die Maßnahmen spezifiziert zu haben, denkt er offenbar an 8 Economics Zusätzliche Steuersenkungen sind bereits angekündigt Aktuelle Themen 6. April 2000 Steuersenkungen, die allen Bevölkerungsschichten zugute kommen sollen. Auch eine Senkung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer wird nicht ausgeschlossen. Hiermit würde er die Linie seines Vorgängers korrigieren, dessen Reformvorhaben vor allem den unteren Einkommensschichten zugute kommen. Spielraum für Veränderungen hat Fabius auch beim vor kurzem noch von Sautter angekündigten Nachtragshaushalt für 2000. Dieser hat in seiner bisherigen Form ein Volumen von EUR 7,6 Mrd. und beinhaltet Ausgabensteigerungen in verschiedenen Bereichen i.H.v. zusammen EUR 1,5 Mrd., eine Senkung der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt auf 19,6% (EUR 2,7 Mrd.), eine Senkung der Einkommensteuerlast der untersten Einkommensschichten (EUR 1,7 Mrd.) sowie eine Senkung der Wohnsteuer (EUR 1,7 Mrd.). Da es nun in Fabius‘ Verantwortung liegt, den Nachtragshaushalt gesetzlich zu verankern, sind auch hier Nachbesserungen möglich. Zusätzlichen Spielraum liefert ihm dabei die Sozialkasse Unedic, die aufgrund der günstigen Situation am Arbeitsmarkt mit einem deutlichen Überschuss rechnet, der den in bisherigen Planungen anvisierten Überschuss um nochmals EUR 0,9 Mrd. übertreffen dürfte. Nachbesserungen am Nachtragshaushalt 2000 sind möglich Ausgabenkürzungen sind nicht mehr tabu Eine Neuerung in der französischen Fiskalpolitik ist auch, dass sich Fabius im Gegensatz zu Sautter ausdrücklich für Ausgabenkürzungen im Staatshaushalt einsetzt. Dies könnte eine Trendwende in der französischen Fiskalpolitik bedeuten, die sich bisher auf Verteilung der Früchte der guten Konjunktur beschränkt hat. Ein Konsolidierungskurs auf der Ausgabenseite, sofern er sich gegen protestbereite Interessengruppen durchsetzen lässt, könnte dann für die Finanzierung der angekündigten Steuersenkungen eventuell sogar mehr als ausreichen. Bevor aber mehr Klarheit bezüglich der Pläne des Finanzministers beseht halten wir an unserer bisherigen Prognose für das Haushaltsdefizit (s. Grafik) fest. Auch die Diskussion zur Rentenreform könnte mit Fabius neue Impulse bekommen. Denn der neue Minister ist Befürworter von Pensionsfonds und eröffnet damit das Feld für eine Vielzahl neuer möglicher Reformpläne, die unter dem Duo Sautter/Jospin strikt abgelehnt wurden. Ebenfalls dürfte die Debatte um die Besteuerung von Stock Options in eine neue Runde gehen, da Fabius erklärter Gegner einer erhöhten Besteuerung dieser Einkommensbestandteile ist. Konsolidierungskurs auf der Ausgabenseite vorstellbar Öffentliches Defizit % BIP 7 6 5 4 3 2 1 0 93 94 95 96 97 98 99 00 01 Politisches Zusammenspiel mit Jospin kritisch Bei allen eventuellen Neuerungen bleibt jedoch abzuwarten, wie das politische Zusammenspiel zwischen Fabius und Jospin funktionieren wird. Denn Fabius hat Ambitionen auf die Position des Premierministers, sollte Jospin die Präsidentschaftswahl 2002 für sich entscheiden. Dafür muss er genug eigenes Profil zeigen, um das nötige politische Gewicht eines künftigen Premierministers in die Waagschale werfen zu können. Andererseits aber darf er sich nicht zu weit von Jospins eher traditionell sozialistischer Linie entfernen, damit er von diesem im Erfolgsfall auch berücksichtigt wird. Taktische Positionierung vor den Wahlen dürfte wichtig werden Harald Finger, + 49 69 910-31736 ([email protected]) Economics 9