Warum Babies weinen - Hintergründe
Transcription
Warum Babies weinen - Hintergründe
Brigitte Hutterer Warum Babys weinen Diplomarbeit Ausbildungslehrgang 2009/2011 Bhuhuhurigitte huhuhu Brigitte Hutterer Warum Babys weinen Inhaltsverzeichnis 1.Einleitung ......................................................................................... 2 2. Babys erinnern den Schmerz .......................................................... 4 2.1. Die Verleugnung von Schmerz..................................................... 4 2.2. Pränatales Weinen ....................................................................... 5 2.3. Perinatales Weinen ...................................................................... 5 2.4. Muss die Geburt schmerzhaft sein? ............................................. 5 3. Schreien als spannungslösender Mechanismus.............................. 7 4. Ursachen von Stress und Trauma während der Säuglingszeit ........ 8 4.1. Prä- und perinatale Traumata....................................................... 8 4.2. Unerfüllte Bedürfnisse .................................................................. 9 4.3. Überstimmulation ....................................................................... 10 4.4. Entwicklungsfrustration .............................................................. 11 4.5. Körperlicher Schmerz................................................................. 11 4.6. Furcht und Angst........................................................................ 11 5. Reaktionen auf das Schreien ........................................................ 13 6. Wie Weinen unterdrückt wird......................................................... 14 7. Abschließende Worte .................................................................... 17 8. Literaturverzeichnis ....................................................................... 18 1 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen 1. Einleitung Bei meiner Arbeit als Kindergartenpädagogin habe ich täglich mit weinenden Kindern zu tun. Kinder im Vorschulalter weinen aus den unterschiedlichsten Gründen und in verschiedensten Spielsituationen. Weinen hat immer mit starken Gefühlen zu tun. Kinder können starke Gefühle, Gefühle der Ohnmacht, noch nicht ausreichend in Worte fassen. Weint ein Kind weil es sich wehgetan hat, können Erwachsene konkret etwas dagegen tun. Wunde versorgen, Trostsprüche sagen... Weint ein Kind aus Angst, weil es zum Beispiel erschrocken ist, oder schlecht geträumt hat, kann man Geborgenheit und Schutz geben. Man kann das Kind nach Gründen fragen, und meistens gibt es Antworten. In vielen Situationen genügt es auch einfach nur da zu sein. Kinder weinen aus Entäuschung, aus Wut und Verzweiflung. Die Angst, verlassen und nicht geliebt zu werden, führt auch im Kindergarten zu heftigen Schreiattacken und Gefühlsausbrüchen. Dazu ein Beispiel: Kevin, ein fünfjähriger Bub, spielte mit seinen Freunden im Garten des Kindergartens. Plötzlich lief er schreiend und tobend ins Haus. Ich lief ihm nach und fragte was los sei. „Die lassen mich nicht mitspielen!“ Er begann alle Stühle im Essbereich des Kindergartens umzuwerfen. Ich hielt ihn auf. Er schlug nach mir und versuchte das Glas der Gruppenraumtüre mit den Füssen einzutreten. Ich hielt ihn fest in meinen Armen und setzte mich mit ihm auf den Boden. Mit meinen Beinen bildete ich ein „Nest“ um Kevin Halt zu geben. Er tobte weiter. Ich sagte: „Ich bin bei dir, ich lasse dich nicht allein.“ Er schrie: „Die Mama hat mich nicht lieb!“ Ich schaukelte ihn ein bißchen hin und her. Er begann sich zu entspannen. Ich ermunterte Kevin zu weinen. Ich sagte: „Vielleicht geht es dir dann besser.“ Er antwortete: „Ich kann nicht weinen, es steckt mir da,“ und er zeigte auf seinen Hals. Als Kevin drei Jahre alt war trennten sich seine Eltern. Die Mutter hat einen neuen Partner. Für Kevin ist es schwer sich mit seiner neuen Lebenssituation abzufinden, sie anzunehmen und wieder Vertauen in seine Familie zu gewinnen. 2 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen Die seelische Not eines Kindes verlangt von den Erwachsenen, die es begleiten - sei es Mutter, Vater oder Pädagogin - sehr viel Empathie, Geduld und Liebe. Weinende Babys rufen bei Erwachsenen zum Teil heftige Gefühle hervor. Lässt sich ein weinendes Baby nicht beruhigen, fühlen sich die Eltern oft überfordert. Es fällt uns Erwachsenen leichter mit dem Weinen älterer Kinder umzugehen. Beim nicht endenden Weinen von Babys wissen wir oft nicht mehr weiter. Die Liebe ist der Blick der Seele. 3 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen 2. Babys erinnern den Schmerz Seit Jahrhunderten schreien und weinen Babys nach der Geburt, aber wir wollen dies noch immer nicht als Ausdruck von Schmerz anerkennen, der sich in ihrer Erinnerung festsetzt. Diesem Weinen wurde bisher kaum Bedeutung beigemessen. Statt auf diese Schreie als authentische Kommunikation zu reagieren, verursacht das Geburtspersonal durch die üblichen Routinen mehrfach Schmerz, in der Überzeugung, das unreife Gehirn des Kindes nehme ihn sowieso nicht wahr. Trotz modernen Wissens ist der Glaube des 19. Jahrhunderts, über die noch unausgereifte Entwicklung des Gehirns, verbreitet und rechtfertigt schmerzhafte Eingriffe, während viele Studien beweisen:Frühkindliches Weinen ist Kommunikation und will uns etwas Dringendes sagen. 2.1. Die Verleugnung von Schmerz Obwohl wissenschaftlich bewiesen, bestehen wir auf dem Aberglauben, die Sinne eines Babys seien nicht entwickelt und das Gehirn könne keine Erinnerung aufnehmen oder Erfahrungen und Erlebnissen Bedeutung verleihen. Der Schmerz eines Neugeborenen sei deshalb nicht das Gleiche wie unser Schmerz. Vor gar nicht allzulanger Zeit wurde so der Schmerz von Sklaven definiert. In ländlichen Gegenden Indiens gibt es auch heute noch die grausame Praxis, ein Zeichen mit heißem Eisen auf den Bauch des Säuglings aufzubrennen. Der Schmerz soll angeblich „gut für die Kinder“ sein. Noch vor weinigen Jahren war es üblich Babys ohne lokale Betäubung zu operieren. Es kam in ans Tageslicht, dass große Operationen bei Kindern bis zum Alter von 15 Monaten mit Hilfe von Cuare durchgeführt wurden. Dies lähmt das Muskelsystem, mindert jedoch nicht den Schmerz. Die Kinder erlebten den Schmerz also voll, konnten ihre Muskeln als Selbstverteidigung nicht bewegen und auch nicht schreien! Chirurgen beriefen sich auf Annahmen aus dem 19. Jahrhundert, die einfach falsch sind; Das frühkindliche Gehirn arbeite noch nicht und die Verwendung von Schmerzmitteln könne schädigender sein als die Operation selbst. Einen entscheidenden Wandel brachten Untersuchungen von Oxford Universität in England (1985). 4 K.J.S. Anand an der Brigitte Hutterer Warum Babys weinen 2.2. Pränatales Weinen Hörbares Schreien beginnt schon im Mutterleib. Es wurden Schreie von abzutreibenden Föten bereits in der 21., 22. Und 23. SSW aufgenommen. Dieses Vagitus Uterinus, das „Schreien im Bauch“ ist selten, aber gut belegt. Berichte darüber gibt es aus dem antiken Ägypten, Griechenland und Rom. Zwischen den Jahren 1546 und 1941 gibt es 131 beschriebene Fälle von 114 Autoren. Die Analyse moderner Tonbandaufzeichnungen ergab, dass das Weinen fast immer mit geburtshilflichen Prozeduren zusammenhing. Etwa 20 Prozent der weinenden Ungeborenen starben, ein Hinweis auf die dringende Natur der Schreie. Auch die Anwendung von Zangen, Injektionen, Einführung von Kathedern etc. kann Babys in Schreie versetzen. 2.3. Perinatales Weinen Babys sind für ihre Geburtsschreie berühmt. Ist dieses Schreien normal? Einige Babys sind ganz still und blicken statt dessen ihre Eltern mit vollkommener Konzentration an. Haben sie keine Schmerzen? Babys schreien, wenn sie in einen Kreißsaal kommen, der 10 bis 20 Grad kälter ist als ihr bisheriger Lebensraum. Sie schreien, weil sie abgewischt und abgewaschen, gewogen und gemessen werden. Sie schreien wegen Injektionen (Vitamin K) und antibakteriellen Augentropfen. Eine andere Art von Schmerz, der von Trennung und Isolation, führt ebenfalls zu Weinen und ist ein allgemeines Thema bei Geburtserinnerungen. 2.4. Muss die Geburt schmerzhaft sein? Es gibt die Meinung, es sei nicht zu vermeiden, dass jede Geburt mehr oder weniger eine Qual sei. Es liege am Druck des Kopfes auf die Wände des Geburtskanals oder an der endgültigen Trennung von der Mutter. Es gibt aber auch die andere Seite. Frederick Leboyer, der berühmte französische Kinderarzt, war einer der ersten, der glaubte, dass Babys tatsächlich so viel Schmerz 5 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen empfanden, wie sie zeigten. Zugekniffene Augen, zittern, heulen, sich winden, treten – dies alles waren für Leboyer Zeichen schrecklichen Distresses (1975). Er begann die Geburtsumgebung zu verändern. Bei seinen Geburten ohne Gewalt konnte er keinen Schmerz und Schrecken mehr beobachten. Es ist eine Ironie, dass die Medikamentisierung der Mutter die Geburt für Babys schmerzvoller gemacht hat. Die bereits gut entwickelten Sinnesorgane des Neugeborenen werden ständig verletzt. Der kleinkindliche Schmerz ist körperlich, emotional und mental. Er ist nicht so einfach zu messen wie die Einwirkungen von grellem Licht und Kälte, erscheint aber üblicherweise in durch Hypnose ausgelösten Geburtserinnerungen von Erwachsenen. Eingegraben auf tiefen und unbewussten Ebenen, manifestiert er sich als Depressionen, Phobien, Misstrauen und Schuldgefühlen (Cheek,1975; Janov,1983). Was können wir tun? Schmerz kann Teil eines natürlichen Prozesses sein, der sich unserer Kontrolle entzieht. Wir sollten jedoch auf sein Erscheinen vorbereitet sein. Dazu gehört die Zurückweisung des Mythos, Babys können keinen Schmerz fühlen. Schmerz ist nicht unausweichlich. Dies zeigen die „natürlichen“ Geburten in familiärer Umgebung, mit ständiger Unterstützung, der Freiheit, umher zu gehen, jede Position die sich richtig anfühlt einzunehmen und jeden Ton den die Gebärende machen will, zu erlauben. Diese Freiheiten verringern die Schmerzen von Mutter und Kind. 6 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen 3. Schreien als spannungslösender Mechanismus Eine primäre Funktion von Schreien ist die Kommunikation von Bedürfnissen und von Zuständen des Unwohlseins. Eine Intervention der Pflegeperson ist erforderlich, wie etwa Füttern, Halten, Veränderung der Position. Wenn ein Säugling ein Bedürfnis durch Schreien ausdrückt, gehört es zur Verantwortlichkeit der Pflegeperson, das Bedürfnis des Säuglings so schnell wie möglich zu erfüllen. Einige Babys schreien aber auch dann noch weiter, wenn sie gehalten und alle Wünsche befriedigt wurden. Das Schreien hat noch eine zusätzliche Funktion: Stresslösung (Solter,1984). Durch Schreien und Weinen gelingt es Babys offensichtlich, Schmerzen und Anspannungen zu lindern, die durch körperlichen oder emotionalen Stress und Traumata hervorgerufen wurden. Beispiel: Säuglinge schreien typischerweise während einer Impfung, aber auch noch einige Minuten danach. Das Weinen dauert manchmal viel länger als der akute körperliche Schmerz, und zwar wegen des emotionalen Schmerzes aufgrund von Angst, Verwirrung, Wut und vielleicht einem Gefühl des Verrats. Der physiologische Prozess des Schreiens erlaubt es all diesen Gefühlen sich zu entladen. Viele Experten stimmen darin überein, dass das Weinen während der Säuglingszeit ein wichtiges Ventil für Spannungen und Frustrationen und keineswegs schädlich für das Kleinkind ist. „Der einzige Weg für ein Baby, unerträgliche Spannung zu entladen, liegt darin, zu schreien. Schreien ermöglicht die Lösung der Spannung. Das Baby fühlt sich danach besser“ (S.Kitzinger,1989). 7 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen 4. Ursachen von Stress und Trauma während der Säuglingszeit 4.1. Prä- und perinatale Traumata Babys sind von Geburt an sensitive, intelligente und sehr verletzliche Wesen. Das beweist die pränatale Psychologie (Verny,1981; Chamberlain,1992). Das mütterliche Stressniveau während der Schwangerschaft und das Schreiniveau des Babys stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Dies ist durch Studien belegt. Stress während der Schwangerschaft kann verursacht werden durch Existenznöte, häufige Streitigkeiten mit dem Ehemann, Drängen das Kind abzutreiben oder große Ängstlichkeit um die Gesundheit des Babys. Auch die Geburt selbst kann eine extrem schmerzhafte, verwirrende und beängstigende Erfahrung für das Baby sein. Dazu gehören Geburten unter Verwendung von Medikamenten, Geburtszangen, Kaiserschnitt, extrem langen Wehen und Sauerstoffnot, sowie nach der Geburt plötzliche Kälte, grelles Licht, grobe Behandlung, scharfe Töne oder die Trennung von der Mutter (Janov,1983), aber auch medizinische Interventionen wie Augentropfen und Beschneidungen. Dr. William Emerson fand heraus, dass 55 Prozent von 200 Kindern Zeichen mittelschwerer bis schwerer Geburtstraumata zeigten (1987). Traumatische Geburten können lebenslange Probleme auslösen. Der Zusammenhang zwischen perinatalen Komplikationen und einer späteren Anfälligkeit von Kindern für emotionale und verhaltensmäßige Probleme ist bekannt (Bachelor,1991). Es zeigt sich auch ein Zusammenhang zwischen Nah-Tod-Erfahrungen während der Geburt und späterem suizidalem Verhalten (Roedding,1991). Mögliche Zusammenhänge zwischen Geburtstraumata und Angina, Asthma, Colitis, Migräne, Krankheiten des oberen Atmungsapparates Unregelmäßikeiten der Schilddrüse wurden ebenfalls festgestellt (Janov,1983). Physiologisch scheinen sich prä- und perinatale Traumata dahingehend auszuwirken, das diese Säuglinge sich aufgrund eines überaktiven sympathischen Nervensystems und einem Überschuss an Stresshormonen in einem andauernden Spannungszustand befinden. Diese biologische „Kampf- oder- Flucht- Reaktion“ mag den Kindern geholfen haben, das Geburtstrauma zu überleben, verursacht jetzt aber körperliche Probleme, da sie überflüssig geworden ist. Der erhöhte sympathische 8 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen Effekt wäre für die Schlafstörungen verantwortlich, die man bei geburtstraumatisierten Säuglingen häufig findet. Eine andere Folge ist eine schlechte Verdauung, entstanden durch hemmende Auswirkungen des sympathischen Nervensystems auf die Darmfunktionen. Exzessives Schreien wäre demnach ein biologischer Stress-Lösungs- Mechanismus, der überschüssige Chemikalien mit Hilfe von Schweiß und Tränen aus dem Körper entfernt, dadurch Energie freisetzt und den physiologischen Stress- Entspannungs- Zyklus abrundet. War das Geburtstrauma schwer, können Babys über mehrere Monate jeden Tag Wein- und Schreianfälle bekommen, bevor das Trauma vollständig gelöst ist. Man kann den Babys durch sanfte, Geburt simulierende Massagen und andere Techniken in einer empathischen Atmosphäre helfen, die ihr Weinen akzeptiert (Emerson & Schorr- Kon,1993). 4.2. Unerfüllte Bedürfnisse Es gibt während der menschlichen Entwicklung kritische Perioden, in denen bestimmte Bedürfnisse erfüllt werden müssen, um eine optimale Entwicklung zu gewährleisten! Die ersten neun Monate nach der Geburt sind die kritische Periode für das Bedürfnis nach Berührt- und Gehalten-Sein. In Extremfällen kann ein Mangel an körperlicher Nähe zu erhöhten Sterblichkeitsraten (Spitz & Wolf,1946), mentalem Zurückbleiben (Provence & Lipton,1962), gehemmtem Wachstum (Gardner,1972) und einer Neigung zur Gewalt (Restak,1979) führen. Unerfüllte Bedürfnisse nach Nähe sind die Folge, wenn Neugeborene in Inkubatoren oder alleine im Krankenhaus liegen müssen. Ungenügendes Halten kommt dann vor, wenn Eltern Angst haben, ihr Baby zu „verwöhnen“. Studien haben die positiven Auswirkungen häufigen körperlichen Kontaktes mit Babys gezeigt. In einer Studie über die Wirkung vermehrten Tragens von Babys berichteten Mütter, die gebeten wurden, ihre Kinder zwei Stunden pro Tag länger zu tragen, dass diese (im Alter von 6 Wochen) eine Stunde pro Tag weniger weinten als die Babys einer Kontrollgruppe von Müttern, die lediglich aufgefordert wurden, die visuelle Stimulation zu erhöhen (Hunziker & Barr, 1986). Eltern berichten auch über weniger häufiges Weinen, nachdem sie ihre Babys mit ins Bett genommen hatten und daher engen körperlichen Kontakt während der Nacht hielten (Kitzinger,1989). 9 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen Einige Babys scheinen sich aber taktil zurückzuziehen, sie scheinen Berührung und Nähe vermeiden zu wollen. Diese Babys wurden fast immer während der Geburt oder kurz danach traumatisiert. Statt die Schreie dieser Kinder als Wunsch, alleine gelassen zu werden zu interpretieren, dürfte sanftes Halten und Streicheln diesen Babys eher helfen, Wut und Schrecken loszulassen (Solter,1984). 4.3. Überstimulation Angemessene Stimulation ist unerlässlich für eine optimale Entwicklung, doch weiß man heute, dass „mehr“ nicht unbedingt „besser“ heißt, besonders im Falle sehr junger Kinder (Korner,1987; Spinelli,1987). Eine Stimulation, die sich nur wenig von vorherigen Erfahrungen unterscheidet, ist die beste. Zu helles Licht und laute Geräusche überstimulieren Babys, während sanftes Wiegen und Herzschlagtöne als angenehm aufgenommen werden (Barnard,1973). Zuviel an Stimulation kann nur schwer in die bereits vorhandenen kognitiven Strukturen integriert werden. Brazelton machte die Beobachtung, dass Kinder nach Schrei- und Weinperioden, die nach zuviel Stimulation folgten, tiefer schliefen. Neben dem Effekt Spannungen zu lösen, scheint das Weinen nach Überstimulation auch ein Mechanismus zu sein, der den Säugling davor schützt, weiter stimuliert zu werden. In vielen traditionellen Kulturen bleibt die Mutter bis zu 6 Wochen nach der Geburt mit ihrem Baby in einer warmen, ruhigen und manchmal dunkel gehaltenen Umgebung, während sich andere Frauen um ihre Bedürfnisse kümmern (Kitzinger,1989). Dies garantiert der Mutter Ruhe und Zeit sich mit ihrem Kind zu verbinden und schützt das Neugeborene vor Überstimulation und gibt Raum und Zeit für Erholung von einem möglichen Geburtstrauma. Es ist nicht überraschend, dass die Babys in diesen Kulturen weniger weinen und schreien als jene in den industrialisierten Ländern (Kitzinger,1989). Kinder unserer Zivilisation sind einem überwältigenden Spektrum an Stimuli ausgesetzt, beginnend beim lärmenden Krankenhaus, einem Zuhause mit andern Familienmitgliedern, Besuchern, Fernsehgeräten, Radios, Handys, und Staubsaugern. Dazu erwartet man von modernen Säuglingen, diese Geräusche auszuhalten, während sie vom Körper der Mutter mit seinem gewohnten Herzschlag, den Verdauungsgeräuschen und ihrer Stimme getrennt sind. 10 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen 4.4. Entwicklungsfrustrationen Dies sind entwicklungsgemäße Frustrationen und enstehen aus der Hilflosigkeit des Babys. Nach Spitz ist die „Frustration der Entwicklung innewohnend“ (Spitz, 1965). Der Versuch, eine neue Fähigkeit auszuüben, setzt immer die Fähigkeit voraus sie zu erlernen. Ein drei Monate altes Baby kann frustriert sein, wenn es versucht, ein Objekt zu greifen, oder ein sechs Monate altes, wenn es krabbeln will. Frustrationen bauen sich täglich auf und müssen in periodischen Anfällen lauten Weinens und Schreiens gelöst werden. 4.5. Körperlicher Schmerz Säuglinge erleben Temperaturveränderungen, Mittelohrinfektionen, Zahnschmerzen, Bauchschmerzen. Mit Schreien und Weinen kommuniziert das Baby, dass es Schmerzen hat. Weinen ist aber auch ein natürlicher Erholungsprozess. Schmerzmittel sind manchmal notwendig, sollten aber immer in einer unterstützenden Atmosphäre, die das Bedürfnis des Babys zu weinen akzeptiert, verabreicht werden. 4.6. Furcht und Angst Neugeborene erschrecken leicht durch plötzliche Bewegungen oder Lärm, was deshalb zu vermeiden ist. Geschieht es dennoch, sollte Trost und Sicherheit vermittelt, aber auch das folgende Schreien erlaubt werden. Babys ängstigen sich auch, wenn Eltern streiten, wenn sie angeschrien, geschlagen, oder misshandelt werden. Sie leiden unter elterlicher Krankheit, Stress, Angst, Wut oder Depression. Auch zu frühe Sauberkeits- und Sozialisierungsbemühungen, oder wenn der natürliche Schlafzyklus unterbrochen wird, kann Angst erzeugen. Sobald sich im Alter von 6 bis 8 Monaten feste Verbindungen formen, sind Trennungen von primären Pflegepersonen für das Kind sehr beunruhigend, auch wenn die „Trennungsangst“ ein Zeichen normaler und gesunder Entwicklung ist. Das Säuglingsalter ist daher keineswegs eine stressfreie Lebensstufe. Babys sind extrem verletzlich wegen ihrer völligen Abhängigkeit von anderen. Ziel wäre es, alle 11 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen Bedürfnisse zu erfüllen und Stress fern zu halten. Dies ist jedoch unvermeidbar, egal wie liebevoll Eltern auch sein mögen. Daraus folgt, dass jedes Baby in einem gewissen Ausmaß schreien muss. 12 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen 5. Reaktionen auf das Schreien Während einer Weinperiode sollten Eltern nach den direkten Bedürfnissen und Ursachen für Schmerz und Unwohlsein forschen. Sind alle Bedürfnisse befriedigt und medizinische Ursachen ausgeschlossen, kann man davon ausgehen, dass das Weinen oder Schreien der Stressreduzierung dient und somit eine heilende Funktion hat. Oft ist der genaue Grund kaum zu entdecken, trotzdem müssen die Eltern oder Pflegepersonen die wichtige Rolle als Nährende und Zuhörende erfüllen. Schreiende Babys profitieren enorm von einer aufmerksamen und empathischen Person, die in Ruhe ihre Gefühle annehmen kann. Kitzinger meinte zu Müttern, welche während der Schwangerschaft hohem Stress ausgesetzt waren: „Was sie tun können, ist, die Not ihres Kindes anzuerkennen und durch ihre Akzeptanz des Schmerzes abzusichern. Es geht nicht darum, eine Strategie nach der anderen auszuprobieren, um das Schreien ihres Babys zu stoppen. Es hilft nicht darum zu kämpfen, dass ihr Baby still ist.“ (Kitzinger, 1989) Die Bedeutung von Nähe und Akzeptanz während der Weinkrämpfe kann nicht genug betont werden. In der Vergangenheit wurde Eltern geraten ihre Babys nicht immer zu halten, sondern Schrei-Episoden zu ignorieren. Man hatte Angst sie zu verwöhnen. Man glaubte Babys nehmen keinen Schaden, wenn sie sich alleine „ausschrien“. Wird auf das Schreien des Babys nicht angemessen reagiert, stellen sich Gefühle extremer Machtlosigkeit und des Schreckens ein. Das Kind weiß nichts vom Erwachsenen im Nebenzimmer und erlebt seine Isolation in Todesangst, denn es ist für sein Überleben völlig von den Eltern abhängig. Weinende Babys sollten nicht ignoriert werden.Unterschiedliche elterliche Gefühle können die Fähigkeit empathischen Zuhörens während der Schrei-Episoden des Babys behindern. Eltern wollen ihr Baby natürlich „glücklich“ sehen. Deshallb können diejenigen, die die positiven Aspekte des Weinens nicht verstehen, sich ängstlich oder inkompetent fühlen, wenn ihr Baby unkontrolliert schreit. Einige Eltern interpretieren dies als Zurückweisung und nehmen an, dass ihr Kind nicht gehalten werden möchte. Wenn Eltern als Kinder selbst von ihrem Bedürfnis nach Weinen abgehalten, oder dafür bestraft wurden, kommt es verständlicherweise zu einem starken Drang, das eigene Baby ähnlich zu behandeln. 13 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen 6. Wie Weinen unterdrückt wird Nur wenigen Menschen wurde als Baby oder Kind erlaubt, ihr Bedürfnis nach Weinen zu erfüllen. Wohlmeinende Eltern oder andere Bezugspersonen versuchen, diese Art der emotionalen Befreiung zu unterdrücken. Methoden wie Schlagen, Schütteln,. Schreien oder Ignorieren des Kleinkindes fügen zusätzlichen Stress und Schmerz hinzu. Andere Maßnahmen, wie Wiegen, das Kind Tragen, Trösten, Beschwichtigen, übermäßig Füttern, erscheinen liebevoller und humaner.Die meisten dieser Techniken sollen jedoch das Weinen oder Schreien durch kurzfristiges Ablenken verzögern oder stoppen. Jede dieser Interventionen dient dem Zweck, die „emotionale Heilung durch Weinen“ zu unterdrücken und schädigen das Kind auf lange Sicht, weil sie den natürlichen Spannungs-Löse-Mechanismus stören. Die Praxis, weinende Kinder mit Drogen zu behandeln, gibt es seit Jahrhunderten. Es wurde sogar Opium verabreicht (Schnuller aus Baumwolltuch mit Mohn getränkt). Apotheken verkauften opiathaltige Mittel wie z. B.: Laudanum. Viele Kinder wurden abhängig, einige starben an einer Überdosis (Kitzinger, 1989). Auch heute werden von Kinderärzten Drogen für weinende Kinder verschrieben. Diese Rezepte gegen „Krampfanfälle“ beinhalten Sedativa (wie Belladonna und Phenobarbital), Antispasmotika, Antihistamine, Antazide und Analgeside. 25 Prozent aller Babys haben bis zu ihrem 18. Monat Sedativa erhalten (Kitzinger, 1989). Diese Drogen stören nicht nur den vitalen Heilungsmechanismus, sondern können gefährliche Nebenwirkungen haben. Sie machen das Baby lethargisch und stören seine Reaktionsfähigkeit. Wenn Kinder älter werden, werden verbale Phrasen zur Unterdrückung des Weinens verwendet. Oft werden diese von Generation zu Generation weitergegeben. Ausdrücke wie „Buben weinen nicht“ oder „wenn du nicht sofort zu weinen aufhörst, gebe ich dir wirklich Grund dazu“, fordern von den Kindern, ihre Gefühle und den Ausdruck schmerzvoller Emotionen zu unterdrücken. Durch diese vielen verschiedenen Versuche Wein- Episoden abzukürzen, lernen Kinder diese Unterdrückung. 14 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen Tatsächlich zeigen die meisten Babys im Alter von 6 Monaten bereits Zeichen bestimmter sich wiederholender Verhaltensweisen, genannt „Kontrollmuster“, die dazu dienen, starke Emotionen zurückzuhalten (Solter, 1984). Zu diesen Kontrollmustern gehören Daumenlutschen, Kuscheltier-Lutschen und häufiges fordern der Brust, auch wenn das Kind gar nicht hungrig ist. Die Verwendung von Schnullern ist weit verbreitet und wird auch in Krankenhäusern bei schmerzvollen medizinischen Prozeduren wie Beschneidung oder Impfung angewandt. Das überrascht nicht, weil Saugen und Schreien nicht gleichzeitig funktioniert. Der Saugreflex dominiert bei Neugeborenen das Bedürfnis zu weinen. Wenn Babys mit Schnullern weniger schreien, bedeutet dies nicht, dass sie weniger Schmerzen empfinden. Bleibt die Frage, ob diese künstliche Unterdrückung im Interesse des Kindes ist. Eine von Müttern weit verbreitet angewandte Technik ist es, aus Besänftigungsgründen, den Kindern die Brust zu geben, was im schlimmsten Fall zum Kontrollmuster übermäßigen Essens führt und der lebenslangen Neigung, Gefühle durch Essen zu unterdrücken. Eine Methode Kleinkinder zu beruhigen, ist die rhythmische Stimulation durch Wiegen, Schwingen, Hin- und Hergehen. Bewegungsstimulation ist bedeutsam für die Entwicklung. Jedoch als regelmäßige Antwort auf Weinen angewandt, führt sie zu einer Unterdrückung gesunden Schreiens und Weinens. Im Extremfall gewöhnen sich Kinder daran und entwickeln ihre eigenen Dämpfungsmittel wie Selbstwiegen, Kopfschlagen und später allgemeine Hyperaktivität, um Trauer, Angst und Frustration nicht spüren zu müssen. Diese Kontrollmuster lösen die unterschwelligen Stresseinheiten jedoch nicht auf, der beruhigende Effekt wirkt nur kurz und muss durch ständige Wiederholung aufgefrischt werden. Die Lösung von Stress und Trauma kann nur durch emotionale Befreiung, besonders Weinen, erreicht werden, was Babys spontan tun, sobald sie merken, dass ihre Emotionen angenommen werden. Wer dazu ermutigt wurde, in Mamas oder Papas Armen frei zu weinen, braucht keine sich wiederholenden, rhythmischen Aktivitäten wie nicht-säugendes Saugen oder Selbst-Wiegen. Diese Kinder sind während des Tages wachsam und reaktionsfreudig. 15 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen Das Weinen des Säuglings hat zweierlei Sinn. Es kommuniziert vitale und grundlegende Bedürfnisse. Das Weinen ist aber auch ein positiver Prozess, der eine zentrale Rolle bei der Auflösung von Traumata spielt. Durch die Entwicklung der Sprache ist das Kind zunehmend in der Lage seine Bedürfnisse mitzuteilen, die Kommunikationsfunktion des Weinens wird ersetzt. Die Heilungsfunktion des Weinens jedoch nicht. Menschen jeden Alters benötigen das Weinen als eine Art emotionaler Befreiung. 16 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen 7. Abschließende Worte Weinende, schreiende Babys wollen gehalten werden. Es soll ihnen erlaubt sein zu weinen. Unser eigenes inneres Kind sehnt sich danach zu weinen und gehört zu werden. Eltern und Bezugspersonen müssen auf die Intensität ihrer eigenen Emotionen vorbereitet und ermutigt werden, den eigenen Schmerz loszulassen. In einer hektischen Zeit zur Ruhe zu kommen und sich der Aufgabe des Elternseins mit all seinen Licht- und Schattenseiten zu stellen, ist eine große Herausforderung für junge Paare. Familienmentorinnen und Mamacoachess können Eltern begleiten und bestärken, damit in Zukunft traurige Ereignisse, wie die Misshandlung von Babys und Kleinkindern, ausgelöst durch Überforderung der Eltern, der Vergangenheit angehören. Nutzen wir doch die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft und hören wir unseren Babys zu. Sie haben viel zu sagen! Vom Fruchtwasser geschützt, tauchst du ein ins Leben. Wärme und Geborgenheit soll Dir von Anfang an zuteil werden. Ruhe und grenzenlose Liebe werden Dich begleiten. 17 Brigitte Hutterer Warum Babys weinen 8. Literaturverzeichnis Alberti Bettina: Die Seele fühlt von Anfang an (2008) Chamberlain, David: Babys erinnern den Schwerz. In: Harms, Thomas (2000): Auf die Welt gekommen. Die neuen Babytherapien. Berlin: Ulrich Leutner Verlag. Chamberlain, David: Woran Babys sich erinnern (2010) Solter, Aletha: Warum Babys weinen. In: Harms, Thomas (2000): Auf die Welt gekommen. Die neuen Babytherapien. Berlin: Ulrich Leutner Verlag. 18