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Die Schule als Feld der Gewaltprävention:
Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Grenzen
Prof. Dr. Peter Wetzels
Universität Hamburg
Institut für Kriminalwissenschaften
Abteilung Kriminologie
1
Gymnasium Ansbach Chronologie des Amoklaufs
Warum ließ die Justiz das KillerPack immer wieder laufen?
In je
Amoklauf in Ansbach, S-Bahn-Mord in
München - Jugendgewalt scheint oft keine
Grenzen mehr zu kennen..
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Winnenden:
Tod des Amokläufers
Zwei Hinrichtungen in einem Autohaus
Polizeipsychologe
„Amoklauf ist kaum
verhinderbar!“
2
Unsere Jugend, ein gesellschaftliches Problem?
Anstiege der Jugendgewalt ?
Verrohung der Jugend?
Evidenzen und Problematisierungen.
3
Polizeilich registrierte jugendliche Tatverdächtige in Deutschland
(TVBZ 1993 bis 2008)
9 000
8 000
7 000
Delikte insgesamt
einf. Diebstahl
Ladendiebstahl
Gewaltkriminalität
Drogendelikte
einf. Körperverletzung
schw. Diebstahl
6 000
5 000
4 000
3 000
2 000
1 000
0
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
4
Vergleich der Entwicklung verschiedener Gewaltdelikte (TVBZ)
1 400
1 200
Gewaltkriminalität
1 000
einf. Körperverletzung
gef./schw. Körperverletzung
800
600
400
Raubdelikte
200
0
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
5
Entwicklung der Kriminalität im Hellfeld (BRD):
Gewaltkriminalität Jugendlicher (TVBZ, Index: 1993=100)
300
250
200
150
100
50
0
1993
1994
1995
1996
1997
Gewaltkriminalität
Raubdelikte
1998
1999
2000
2001
2002
2003
Tötungsdelikte
gef./schw. Körperverletzung
2004
2005
2006
2007
2008
Vergewaltigung
einf. Körperverletzung
6
Zum Hellfeld in Mecklenburg-Vorpommern
7
Bevölkerungszahlen Jugendlicher 1993 bis 2008
in Mecklenburg-Vorpommern
140 000
116 195
120 000
102 864
99 053
100 000
84 884
80 000
70 271
56 179
60 000
40 000
20 000
0
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
8
Entwicklung der jugendlichen Bevölkerung
in Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern
(indexiert: 1993=100)
130
120
110
100
90
Index MV
Index Bund
80
70
60
50
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
9
Polizeilich registrierte jugendliche Tatverdächtige in MV
(TVBZ 1993 bis 2008)
12 000
10 000
Delikte insgesamt
einf. Diebstahl
Ladendiebstahl
Gewaltkriminalität
Drogendelikte
einf. Körperverletzung
schw. Diebstahl
8 000
6 000
4 000
2 000
0
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
10
Vergleich der Entwicklung verschiedener Gewaltdelikte (TVBZ)
1 600
Gewaltkriminalität
1 400
1 200
einf. Körperverletzung
1 000
800
gef./schw. Körperverletzung
600
400
Raubdelikte
200
0
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
11
Veränderungen des Hellfeldes in Mecklenburg-Vorpommern:
Gewaltkriminalität Jugendlicher (TVBZ, Index: 1993=100)
350
300
250
200
150
100
50
0
1993
1994
1995
1996
Gewaltkriminalität
1997
1998
1999
Raubdelikte
2000
2001
2002
2003
2004
gef./schw. Körperverletzung
2005
2006
2007
2008
einf. Körperverletzung
12
Erkenntnisse aus kriminologischen Dunkelfeldstudien
zur Entwicklung von Jugendgewalt und Kriminalität
13
Entwicklung von Täter- und Opferraten seit 1998 an
verschiedenen Orten
14
Entwicklung von Täter- und Opferraten seit 1998 an
verschiedenen Orten
Opferrraten:
Raub: 8 Städte Rückgänge
KV: 5 Städte Rückgänge; 2 Stillstand; 1 Anstieg
15
Entwicklung von Täter- und Opferraten seit 1998 an
verschiedenen Orten
Opferrraten:
Raub: 8 Städte Rückgänge
KV: 5 Städte Rückgänge; 2 Stillstand; 1 Anstieg
Täterraten:
Raub: 6 Städte Rückgang, 1 Stillstand, 1 Anstieg
KV: 7 Städte Rückgänge, 1 Stillstand
16
Gewaltopferraten in Greifswald 1998, 2002 und 2006
im Vergleich zu anderen Orten
16,8
15,7
17,1
18,9
17,5
16,9
19,7
19,1
17,7
16,4
18,5
20
20,8
21,9
Jahresprävalenzraten bei Gewaltviktimisierungen
25
15
10
5
0
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17
Veränderungen des Anzeigeverhaltens der Opfer von Gewalt
KFN (Anzeige nach letztem Delikt)
29,5
Kiel
17,9%
21,9
15,8
14,8%
15,5%
Ham.
2008
1998
2008
1998
2008
10,6%
14,2%
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1998
2006
Hann.
Leip.
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1998
2005
1998
2005
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20,1
16,5
18,0 17,9%
19,8%
20,6
13,7
1998
Stutt.
27%
Greif swald 1998
Greif swald 2006
21,9%
26,2%
Greifswalder Studien
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18
Trends der Täterraten für Gewalt
(KFN Studien und Greifswalder Studien)
19
Bundesweite Trends der Veränderung der Gewalttäterraten
20
Bundesweite Trends der Veränderung der Gewalttäterraten
21
Veränderung der Einstellungen zu Gewalt:
Durchschnittliche Gewaltakzeptanz Jugendlicher
22
Wahrgenommene Gewaltmissbilligung bei Kontaktpersonen
23
Zwischenbilanz
Im Hellfeld der Jugendkriminalität sind relevante Anstiege in erster Linie im Bereich der
Gewaltkriminalität (nur bei Körperverletzung) zu erkennen.
Im Gegensatz dazu lassen sich in Dunkelfeldstudien keine Anstiege der
Körperverletzungsdelikte nachweisen, weder in Opfer- noch in Täterdaten.
Hinweise auf Anstiege der Mehrfach- und Intensivtäter bieten die Dunkelfeldstudien
nicht. Im Gegenteil: Intensivtäterraten gehen zurück.
Jugendkriminalität insgesamt geht ebenso zurück wie
die Gewaltkriminalität junger Menschen.
Es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Jugendgewalt registriert wird. Es steigen Anzeigequoten jugendlicher Opfer und Registrierungswahrscheinlichkeiten jugendlicher
Täter.
Der durchschnittliche Schweregrad der von Opfern berichteten Gewalterfahrungen
sinkt.
Ursachen für diese Entwicklung sind u.a.:
(1) Vermehrte Ablehnung von Gewalt bei Jugendlichen auf Einstellungsebene;
(2) Konfrontation mit innerfamiliärer Gewalt ist rückläufig;
(3) Sensibilität für Gewalt ist gestiegen bzw. Toleranz gegenüber Gewalt ist gesunken.
24
Gewalt und Schule
Die überwiegende Mehrzahl der physischen Gewaltdelikte
findet nicht innerhalb der Schule statt (ca. 80% außerhalb).
Gewalt innerhalb der Schule besteht zu erheblichen Anteilen
in verbaler Aggression und Mobbing.
Dieses kann jedoch ebenfalls ganz erhebliche individuelle
Folgen haben (z.B. zum Rückzug von der Schule/vom
Unterricht).
Gleichzeitig bieten sich solche Verhaltensweisen als
Anknüpfungspunkte für Normverdeutlichung und
Normlernen an.
25
Viktimisierung durch Schulgewalt/Mobbing im letzten Schulhalbjahr
bundesweite Daten, nach Häufigkeit kategorisierte Opferraten in %
nie
Ich wurde von anderen Schülern absichtlich
geschlagen oder getreten.
Andere Schüler haben mich erpresst und gezwungen,
Geld oder Sachen herzugeben.
Andere Schüler haben meine Sachen absichtlich
kaputtgemacht.
Andere Schüler haben mich gehänselt oder hässliche
Dinge über mich gesagt.
Ich wurde aus gemeinsamen Unternehmungen
ausgeschlossen, weil das andere Schüler gewollt
haben.
Andere Schüler haben mich wie Luft behandelt und
absichtlich nicht mehr beachtet.
Eine Lehrkraft hat mich vor anderen Schülern
lächerlich gemacht.
1- oder 3- bis 62-mal
mal
mehrmals
pro
Monat
einmal
pro
Woche
mehrmals
pro
Woche
gültige
N
79,1
15,5
3,2
1,0
0,4
0,8
43.703
98,4
1,0
0,3
0,1
0,1
0,1
43.635
86,3
10,7
1,7
0,6
0,3
0,4
43.596
56,1
27,3
8,4
3,9
1,2
3,1
43.620
89,3
7,8
1,6
0,6
0,2
0,4
43.613
79,8
14,5
3,0
1,1
0,4
1,2
43.595
73,2
20,0
4,0
1,3
0,6
0,9
43.581
Eine Lehrkraft hat mich richtig gemein behandelt.
72,6
17,7
5,0
1,9
1,0
1,8
43.598
Eine Lehrkraft hat mich geschlagen.
97,5
1,5
0,3
0,1
0,1
0,5
43.617
26
Mehrfachopfer (mindestens mehrfach monatlich) von Schulgewalt und
Mobbing nach Eingreifen der Lehrer (in %)
13,0
8,2
4,0
1,8
Eingreifen der Lehrer: eher ja
Eingreifen der Lehrer: eher nein
Gewalt durch Schüler
M obbing durch Schüler
27
Mehrfachopfer (mindestens mehrfach monatlich) von Schulgewalt und
Mobbing nach Eingreifen der Lehrer (in %)
13,0
8,2
4,0
1,8
Eingreifen der Lehrer: eher ja
Eingreifen der Lehrer: eher nein
Gewalt durch Schüler
M obbing durch Schüler
28
Entwicklung Raufunfälle und Frakturen an Schulen 1993-2006
(Quelle: Bundesverband der Unfallkassen und KFN 2009)
29
Optionen der Prävention
Schule als Ort
entwicklungsorientierter
Gewaltprävention
30
Systematisierung der Entwicklungsbedingungen
individuellen Gewaltverhaltens
Risikoerhöhende Bedingungen
Person
Risikosenkende Bedingungen
Umgebung
Person
Phasen
erhöhter
Vulnerabilität
Umgebung
Entwicklungsförderung
Resilienz - Kompetenz
Belastungen
Ressourcen
Bilanz
31
Zentrale Risikofaktoren für Jugendkriminalität und Gewalt
Ebene des Individuums/Persönlichkeit
geringe Selbstkontrolle
geringe soziale Kompetenzen
gewaltbefürwortende Einstellungen/gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen
Alkohol- und Suchtmittelkonsum
Ebene der Familie
Inkonsistenz des elterlichen Erziehungsverhaltens
elterliche Gewalt (gegen Jugendliche wie auch beobachtete Partnergewalt)
geringe elterliche Supervision/elterliches Desinteresse
Ebene der Schule
Schulschwänzen
geringe Schulbindung/geringe Schulattraktivität
negatives Klima in Schule/Klasse
geringe Supervision/unklare Regeln
Schulleistungsprobleme
Gleichaltrige/Freizeit
hohe Anzahl delinquenter Freunde
gewalt/delinquenzbefürwortende Normen in der Clique
häufiger Konsum gewalthaltiger Medieninhalte
Nachbarschaft/soziales Umfeld
sozio-ökonomische Benachteiligung/Belastung der Familie
unzureichende Freizeitangebote im Stadtteil
hohe Kriminalitätsbelastung des Stadtteils
hohe Fluktuation der Bewohner im Stadtteil/geringer Zusammenhalt
32
Effekte von Risikofaktoren sind:
alters- und entwicklungsphasenspezifisch
geschlechtsspezifisch
kumulativ
33
Biopsychosoziale Risikofaktoren der Dissozialität im
Entwicklungsverlauf
(angelehnt an Lösel & Bender, 2008)
familiäre Disharmonie
Erziehungsdefizite
Bindungsdefizite
fehlende Förderung
fehlende Supervision
Ablehnung
durch
Gleichaltrige
Anschluss
an
deviante Peergruppen
Probleme in
Partnerbeziehungen
Aufwachsen in
Multiproblemmilieu
Schwierigen
Temperament,
Impulsivität
Verzerrung der
sozialen Informationsverarbeitung
Problematisches
Selbstbild,
deviante Einstellungen
Persistenter
antisozialer
Lebensstil
kognitive Defizite,
Aufmerksamkeitsstörungen
Schulprobleme
Defizite in
Fertigkeiten und
Qualifikationen
Anpassungsprobleme
Schwierigkeiten
in Arbeit und Beruf
Genetische Faktoren,
neurologische Schäden
prä-, peri- und postnatale
Gesundheitschädigungen
Kindheit
Alter
Offene und verdeckte Formen der
Störung des Sozialverhaltens:
Lügen, Stehlen, aggressive
Ausbrüche, frühes Schulschwänzen,
Tierquälerei, Zündeln
Jugend
Jugenddelinquenz und Gewalt
in erheblicher Ausprägung und
Intensität; Syndrom eines
vielgestaltigen Problemverhalten
(Substanzmissbrauch,
Risikoverhalten)
Jungerwachsen
schwere Kriminalität,
antisoziale
Persönlichkeit
34
Folgerungen für die Prävention
35
Evidenzbasierte Prävention
1. Identifikation von Risiko- und Schutzfaktoren für Delinquenz und Kriminalität
durch die Forschung.
(Evidenzen I: Ursachen und aufrechterhaltende Bedingungen als
Ausgangspunkt der Konzipierung).
2. Entwicklung von Maßnahmen, die an diese Befunde anknüpfen.
Ziel: Reduzierung von Risiko- und/oder Stärkung von Schutzfaktoren.
•Universelle Prävention
(richtet sich auf alle)
•Selektive Prävention
(fokussiert bestimmte Risikogruppen,
bei denen das Problem noch nicht besteht)
•Indizierte Prävention
(richtet sich auf bereits mit Delinquenz
in Erscheinung getretene Gruppen)
Täter
proximale Risiken
Opfer
distale Risiken
personenbezogen
situationsbezogen
36
Evidenzbasierte Prävention:
Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis
Evaluationsforschung
(Identifiziert wirksame, nutzlose
und schädliche Programme über
methodisch ausgereifte Studien)
Präventionsforschung
Programmentwicklung und
Prüfung von Modellen
Grundlagenforschung
(Identifikation von Ursachen
und relevanten Risiko- und
Schutzfaktoren)
Systematische Übersichten
(stellen Wissen der Praxis zur Verfügung)
37
Übersichten über Modelle und deren Wirksamkeit
Blueprints of Violence Prevention (www.colorado.edu/csvp/blueprints)
(ca. 600 Programme geprüft; 11 erhalten Prädikat "wirksam", 18 erhalten Prädikat
"vielversprechend")
Sherman Report (erste Aufl. 1996; 2. Aufl. 2002)
(www.cjcentral.com/sherman/sherman.htm)
Von 625 Programmen, die untersucht wurden, konnten 28 als wirksam
klassifiziert werden.
Metaanalysen der Campbell Collaboration Group
(www.campbellcollaboration.org)
Veröffentlicht quantitative Zusammenfassung der Forschungsergebnisse aus
verschiedenen Ländern zu verschiedenen Themen, u.a. auch Wirkungsnachweise
von kriminalpräventiven Maßnahmen.
38
Aktionismus oder evidenzbasiertes Handeln?
• In Deutschland besteht kein Mangel an Präventionsideen und -modellen, wohl
aber ein Mangel an Wirkungsnachweisen, die methodischen
Mindestanforderungen genügen.
• Es ist eine Art Präventionsaktionismus zu erkennen, in dem allenfalls
Programmbeschreibungen und Prozessevaluationen in Projekte integriert
werden.
• Es findet zu selten eine kontrollierte, evidenzbasierte Programmentwicklung
und darauf aufbauende Konzeptfortschreibung statt.
• International sind entsprechende Entwicklungen einer evidenzbasierten
Kriminalprävention weiter fortgeschritten.
• Evidenzbasierte Kriminalprävention setzt allerdings eine
Kooperationsbereitschaft sowie die Fähigkeit der selbstkritischen Reflexion auf
Seiten von Wissenschaft und Praxis voraus.
• In Deutschland sind dazu erst in jüngerer Zeit erste Ansätze zu erkennen.
39
"Angesichts des wiederholt festgestellten, dürftigen
Standes der Evaluationsforschung in diesem Bereich
kann auch der vorliegende Bericht nicht zwischen
bewährter, guter und bester Praxis unterscheiden.
Eine der zentralen Herausforderungen in der Zukunft
wird deshalb die Überprüfung der praktischen
Bewährung sowie der Nachhaltigkeit der hier
dargestellten Strategien sein."
Zitat aus: Deutsches Jugendinstitut (2007). Strategien der Gewaltprävention
im Kindes- und Jugendalter. Eine Zwischenbilanz in sechs Handlungsfeldern.
München: DJI. (S. 25)
40
Deutschsprachige neuere Übersichten
Schindler, V. & Baier, D. (2007). Gewalterfahrungen von Kindern und Jugendlichen.
Ergebnisse von Schülerbefragungen 2005 und Möglichkeiten Erfolg versprechender
Prävention. Zentrale Geschäftsstelle der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und
des Bundes.
Scheithauer, H., Rosenbach, C. & Niebank, K. (2008). Gelingensbedingungen für die
Prävention von interpersonaler Gewalt im Kindes- und Jugendalter. Berlin: Deutsches
Forum für Kriminalprävention.
Eisner, M. (2006) Prävention von Jugendgewalt. Wege zu einer evidenzbasierten
Präventionspolitik. Zürich: Eidgenössische Ausländerkommission.
41
Evidenzbasierte Prävention:
Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis
Evidenzen II: Wissen über Modellwirkungen und Implementationserfordernisse
Evaluationsforschung
(Identifiziert wirksame, nutzlose
und schädliche Programme über
methodisch ausgereifte Studien)
Präventionsforschung
Programmentwicklung und
Prüfung von Modellen
Grundlagenforschung
(Identifikation von Ursachen
und relevanten Risiko- und
Schutzfaktoren)
Systematische Übersichten
(stellen Wissen der Praxis zur Verfügung)
Lokale Problemanalyse
(identifiziert Bedarf und lokal relevante
Risiko- und Schutzfaktoren sowie
potenzielle Akteure und deren Ressourcen)
Programmauswahl
Nutzt Erkenntnisse der
Evaluationsforschung um geeignete
Maßnahmen auszuwählen
Umsetzung
Realisierung und Monitoring der Maßnahme im lokalen Kontext.
Prüfung von Umsetzung und Wirkungen im lokalen Kontext.
42
Schulbasierte Prävention – Typen und Beispiele
Vorschulische Förderung sozialer Kompetenzen (3-5 Jahre)
• Perry Preschool Project
(2 Jahre, 2.5 Stunden pro Tag, wöchentliche Hausbesuche durch Lehrer,
Entwicklungsangepasster Lehrplan, max. 20 Kinder bei 2 spezielle ausgebildeten
Lehrkräften, geht auf individ. Bedürfnisse ein (Mittag für sozial-schwache Kinder))
Förderung sozialer Kompetenzen mit kognitiv-verhaltensorientierten
Elementen (5-11 Jahre)
• Fit und Stark fürs Leben
• I can problem solve
• Paths (Programm zur Förderung alternativer Denkstrategien)
(3 mal wöchentlich für 20 Minuten als Bestandteil des normalen Lehrplans in der
Primärschule, Lehrmaterial steht zur Verfügung, Betreuung des Lehrers)
• Faustlos
Programme zur Verbesserung des Schul- und Klassenmanagements
• Anti-Bullying-Programm (Olweus)
(setzt auf Individual-, Schul- und Klassenebene an, Festsetzung von Regeln,
Feststellung des Ist-Zustandes, Supervision)
Mediations- und Streitschlichterprogramme (Konfliktlotsen)
Maßnahmen gegen Schulschwänzen (z.B. ProgeSs)
Multimodale integrierte Programme
• PaC (Prävention als Chance – Gewaltprävention im Verbund)
43
Zur Wirksamkeit
•Aktuelle Metaanalysen zeigen positive Effekte schulbasierter
Programme. Für singuläre Programme sind Effekte aber klein.
•Effekte sind dann besonders gut wenn nicht isolierte
Einzelprogramme, sondern multimodale Maßnahmen durchgeführt
werden.
•Besonders günstig ist, wenn nicht nur Risikofaktoren beachtet,
sondern Ressourcen und Stärken gefördert werden.
Probleme:
Mangelnde Programmintegrität: Programme werden nicht so durchgeführt,
wie sie ursprünglich gedacht sind
Fehlende vorausgehende Problemanalyse; Modell nicht problemadäquat.
Hintergründe für solche Probleme:
• Finanzielle Restriktionen
• Unzureichende Aufwendungen für Aus- und Fortbildungen
• Mangelnde Beteiligung der Akteure an Planung und Einführung
44
Schulentwicklung und Gewaltprävention
"
Eine gute Schule wirkt von Hause aus gewaltpräventiv,
auch wenn das im engeren Sinne keine
Gewaltprävention ist.
"Dies bedeutet für eine Schule – egal ob sie Prävention
oder Intervention will – Schulentwicklung im Sinne von
Unterrichts-, Organisations- und Personalentwicklung
zu betreiben. ...
Schulentwicklung ist nicht mit gelingender
Gewaltprävention gleichzusetzen, gewaltpräventive
Einzelmaßnahmen entfalten ihre Wirkung jedoch dann
am besten, wenn Schule als System mit einbezogen
und Gewaltprävention in einem Prozess der
Schulentwicklung integriert wird."
(Aus Dünkel, Gebauer & Geng (2008), S.330 f.)
45
Zu Risiken und Nebenwirkungen ...
Präventionsmaßnahmen verändern nicht nur Verhalten
der Zielgruppe (günstigenfalls) im erwünschten Sinne;
sie ändern auch:
•Aufmerksamkeiten,
•Relevanzeinschätzungen,
•Schwellenwerte,
•Informationsflüsse und Bewertungsmaßstäbe.
Wer Prävention betreibt, sieht mehr und problematisiert
ggfs. stärker.
Das ist bei der Überlegung, welches sinnvolle Erfolgsbzw. Misserfolgskriterien sein sollen, zu beachten.
46
Prävention und die "Normalität"
der Mehrzahl jugendlicher Normverstöße
„Der Nutzen relativ enger sozialer Regeln liegt vielleicht nicht in erster Linie
darin, dass sie immer eingehalten würden. Es ist wenigstens ebenso
wichtig, dass es hinreichend viele Normen gibt, die man (ohne sozial
katastrophale Folgen) übertreten kann, wenn man auf der Suche danach
ist, wie man individuell das Dilemma lösen kann, eine autonome,
eigenständige und zugleich sozial integrierte, anschlussfähige und in
diesem Sinne „normale“ Person zu werden.“
„Jugendliche brauchen individuelle Privatheit, und damit Geheimnisse,
einschließlich der geheimen Verbotsübertretungen. Der Schwierigkeit, die
tatsächlich intolerablen Handlungen frühzeitig genug zu erkennen und
angemessen auf sie zu reagieren ohne die notwendigen und insgesamt
tolerablen Grenzerkundungen und aktionalen Proteste vollständig
unmöglich zu machen (und dadurch womöglich extremere Provokationen
zu provozieren) darf nicht dadurch ausgewichen werden, dass von einer
Gleichgültigkeit zu einer Totalüberwachung gewechselt wird.“
Lange & Greve 2002 (S.94).
47