Plattfuß oder Plateau?

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Plattfuß oder Plateau?
PR A XIS GESUNDHEIT
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TEXT: KIRSTEN AHRLING
Der Unterschied ist
deutlich zu erkennen: Der Huf links im
Bild ist flacher als der
auf der rechten Seite.
Er wirkt breiter und
der Kronsaum liegt
tiefer.
In Schieflage
Dr. Kerry Ridgway leitet für das Low
Heel/High Heel-Syndrom eine Wirkungskette ab: „Herrscht Asymmetrie
im Körper oder in den Gliedmaßen,
muss das kompensiert werden. Kompensation bedeutet immer eine Änderung der Körperhaltung, die sich wiederum auf den Bewegungsablauf auswirkt. Ist der Bewegungsablauf nicht
mehr symmetrisch, wird die Leistung
und eventuell auch die Gesundheit
darunter leiden“, sagt er. Bei betroffenen Pferden schließt er außerdem auf
Blockaden im sechsten und siebten
Halswirbel. Begründung: Das Pferd
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Rechts- oder Linksfüßer?
Dr. Ridgway begründet die Asymmetrie der Hufe unter anderem mit
der Händigkeit des Pferdes, also ob es
„Rechts- oder Linksfüßer“ sei und
demnach ein Bein vermehrt belaste.
„Der Huf ist dynamisch, wächst und
formt sich aus der Belastung heraus“,
sagt Thälke Riessen. „Da beim Pferd
etwa 60 Prozent des Körpergewichts
auf der Vorhand lasten, sind meist
die Vorderhufe von Asymmetrien betroffen“, so die Osteopathin. Dr. Paar
ergänzt: „Der stärker belastete Huf
entwickelt sich durch Druck und vermehrten Abrieb flacher. Der weniger
belastete Huf wird steiler.“
Hufschmied Uwe Lukas erklärt, wie
sich die Händigkeit eines Pferdes im
Alltag äußert: „Linkshändige Pferde
stellen beim Grasen das linke Bein
nach vorne. Linkshändige Springpferde versuchen immer auf dem linken
Bein zu landen, weil sie die Landung
so besser kompensieren können. Diese
Muster verstärken die Belastung des
bevorzugten Beines und somit auch
des Hufes.“ Gerade langbeinige
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Thälke Riessen
Die Pferde-Osteopathin
und Pferde- sowie Human-Physiotherapeutin
praktiziert im Münsterland und in Ostholstein. Sie hat
ihr Handwerk unter anderem
beim Deutschen Institut für Pferde-Osteopathie (DIPO) gelernt.
Dr. Michael Paar
Der Fachtierarzt für
Pferde und Leiter der
Klinik für Pferde in Sottrum zählt die Orthopädie zu seinen Spezialgebieten.
Die Klinik führt eine eigene Abteilung für Hufkorrekturen und
orthopädische Hufbeschläge.
Uwe Lukas
Der Hufschmied und
Buchautor arbeitete
bereits mit vielen Tierärzten zusammen in
den orthopädischen Abteilungen
unterschiedlicher Pferdekliniken.
Seit 1998 ist er verantwortlicher
Hufschmied der Tierklinik Telgte.
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Pferde mit dem Low Heel/High Heel-Syndrom haben nicht
etwa einen Schuhtick, sondern ein Problem. Bei ihnen ist ein Huf
steiler oder flacher als der andere – mit ungeahnten Folgen.
UNSERE EXPERTEN
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Plattfuß oder Plateau?
T
halte seinen Kopf dauerhaft schief,
um weiter ein horizontal ebenes Blickfeld zu haben.
Weiter sagt der Veterinär aus den
USA, dass ungleiche Hufpaare keine
Seltenheit sind. So stellte seinen Recherchen zufolge ein Hufschmied aus
Idaho bei rund 60 Prozent seiner vierbeinigen Kunden asymmetrische Hufpaare fest. Das bestätigt auch Hufschmied Uwe Lukas. „Es gibt kein
Pferd mit durchweg symmetrischen
Hufen. Haben die Hufwinkel eines
Hufpaares einen Größenunterschied
von etwa drei bis fünf Grad, sehe ich
das als Toleranzgrenze“, so der HufExperte. Er betont, dass ein solches
Pferd vermutlich lahmen werde, wenn
man seine Hufe genau angleichen
würde. „Man greift dann in die Biomechanik des Pferdekörpers ein. Es ist
falsch, nur den Huf alleine zu betrachten. Auch die Stellung der Gliedmaßen und die Winkelung der Gelenke
müssen bei der Hufbearbeitung berücksichtigt werden“, sagt Lukas.
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Das Low Heel/High Heel-Syndrom
reffender hätte es Dr. Kerry
Ridgway – ein Tierarzt aus den
USA, der sich intensiv mit
asymmetrischen Hufpaaren
auseinandergesetzt hat – in
seiner Veröffentlichung nicht formulieren können: Beim Namen „Low Heel/
High Heel“ denkt man sofort an unterschiedlich hohe Schuhabsätze. Wem
schon einmal ein Absatz abgebrochen
ist, der weiß, wie unangenehm der Höhenunterschied ist. Pferden mit einem
steilen und einem flachen Huf dürfte es
ähnlich gehen.
„No hoof, no horse“ – ohne Huf
kein Pferd. Der Huf ist die Basis. Wenn
hier etwas nicht stimmt, bleibt das
nicht folgenlos. Doch wie schlimm
können schon ein paar Millimeter Höhenunterschied zwischen zwei Hufen
sein? „Asymmetrische Hufpaare haben weitreichende Folgen in Form von
Ursache-Folge-Ketten im ganzen Pferdekörper“, fasst Pferde-Osteopathin
Thälke Riessen die Auswirkungen zusammen. „Wirbelsäulenblockaden,
die im schlimmsten Fall auch die organversorgenden Nerven irritieren
können, Muskelverspannungen, Sehnenschäden und frühzeitiger Gelenkverschleiß können durch asymmetrische Hufpaare entstehen.“ Der Leiter
der Klinik für Pferde in Sottrum, Dr.
Michael Paar, lenkt ein: „Es gibt aber
auch Pferde, die dabei komplett symptomlos bleiben. Eines ist jedoch klar:
Der Bewegungsapparat ist einer ungleichen Belastung ausgesetzt.“
Stellt das Pferd sein rechtes Bein
beim Grasen nach vorne, ist der
rechte Huf einer größeren Belastung ausgesetzt.
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Hufe vermessen
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Idealhuf
Vermessen Sie doch einmal die Hufe Ihres Pferdes. Alles
was Sie dazu brauchen, sind Lineal und Winkelmaß – zur
Not tut‘s auch ein Geodreieck. Die Größenangaben sind lediglich Richtwerte. Ein Nachmessen schärft jedoch Bewusstsein und Auge für Pferdehufe.
Die Fesselachse (rot eingezeichnet) ist eine gedachte
Linie, die das Fesselbein des Pferdes halbiert und mittig
durch den Huf, gerade nach unten verläuft. Verläuft diese
Linie parallel zur Vorder- und Trachtenwand, passen Huf und
Fesselstand zueinander. Knickt sie im Huf nach vorne oder
hinten ab, ist der Huf entweder zu flach oder zu steil.
Der Hufwinkel (grün) befindet sich zwischen Zehenwand und Fußungsfläche. Als Norm gelten am Vorderhuf
beim Warmblut 45 bis 55 Grad, beim Vollblut 48 bis 51 Grad
Pferde mit kurzen Hälsen seien vermehrt vom Low Heel/High Heel-Syndrom betroffen, stellt der Hufschmied
fest: „Sie müssen die Beine beim Grasen noch weiter auseinander stellen
und verlagern ihr Gewicht noch stärker auf das vorangestellte Bein.“
Doch nicht allein die Händigkeit ist
Schuld an den ungleichen Hufen. Dr.
Kerry Ridgway nennt außerdem unpassende Sättel und falsches Reiten als
Ursache für das Low Heel/High HeelSyndrom. Thälke Riessen bestätigt das:
„Passt der Sattel nicht, kann das Pferd
keine gleichmäßige Rumpf- und Rü-
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Die Maße
des Hufes:
Hufwinkel
(grün),
Zehenlänge
(gelb) und
Trachtenlänge
(blau).
und beim Pony etwa 54 Grad. Bei einem Hufwinkel von
über 60 Grad spricht man vom Bockhuf. Die Hinterhufe sind
immer etwas höher und enger als die Vorderhufe.
Die Zehenlänge (gelb) wird an der vorderen Hufwand
gemessen. Die Zehe eines Warmbluts ist an den Vorderhufen etwa zehn Zentimeter lang und die eines Vollbluts circa
neun Zentimeter. Beim Pony gelten sieben bis acht Zentimeter Zehenlänge als „Normalmaß“.
Für die Ermittlung der Trachtenlänge (blau) setzten Sie
das Lineal unterhalb des Ballens an und messen bis zur
Fußungsfläche. Diesen Wert setzen Sie ins Verhältnis zur
Zehenlänge. „Der Idealzustand ist bei den Vorderhufen ein
Verhältnis von ungefähr drei zu eins. Hinten sollte das Verhältnis bei zwei zu eins liegen“, erklärt Thälke Riessen.
ckenmuskulatur entwickeln. Im Extremfall kann das eine einseitig verkürzte Schrittlänge, einen Beckenschiefstand und asymmetrische
Bemuskelung des Pferdes zur Folge
haben“, erklärt die Expertin. So kann
auch der Reiter nicht mehr ausbalanciert auf dem Pferd sitzen. „Ein schief
sitzender Reiter belastet das Pferd einseitig und dieses Gewicht kommt
letztendlich wieder beim Huf an“, so
die Pferde-Osteopathin.
Dr. Michael Paar unterscheidet
mehrere Ursachen für unterschiedlich
hohe Hufe. „Manche Fohlen werden
nen-Stelzfuß, bei dem es quasi auf der
Zehe läuft und die Trachte nicht aufsetzen kann. Dr. Paar fügt hinzu, dass
es auch immer von Fütterung, Haltungsbedingungen, Bodenverhältnissen, Gliedmaßenstellung und zahlreichen weiteren Faktoren abhänge, wie
sich die Hufe eines Pferdes entwickelten. Und natürlich haben unterschiedliche Pferderassen auch ihre eigenen Hufformen.
Beim Huf fängt‘s an
Doch warum sind sehr steile und
sehr flache Hufe so ungesund fürs
Pferd? Pferde-Osteopathin Thälke
Riessen erklärt: „Beim flachen Huf mit
einer zu langen Zehe stehen Huf-,
Kron- und Fesselgelenk des Pferdes
dauerhaft in Überstreckung. Es
kommt zur Überlastung der oberflächlichen und der tiefen Beugesehne sowie der Hufrolle. Bleibt das über einen
langen Zeitraum so, steigt aufgrund
des vermehrten Knorpelabriebs die
Gefahr der Arthrose.“
Doch damit nicht genug. „Ist die
Zehe zu lang, kann das Pferd den Huf
nicht mehr gut abrollen. Der Oberarmkopfmuskel muss vermehrt arbeiten
und das Pferd entwickelt einen starken
Unterhals“, beschreibt die Expertin die
Auswirkungen. „Die Beschwerden können sich bis in die obere Halswirbelsäule, den Kiefer und das Zungenbein ziehen. Letztendlich erreicht die Folgeket-
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Beim flachen Huf
knickt die Fesselachse nach vorne
ab, beim steilen
nach hinten. Im
besten Fall verläuft sie ohne
Knick parallel zu
Vorderwand und
Trachte.
Flacher Huf
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Steiler Huf
Der Umformungshuf (l.) ist eine Übergangsform, bei der der Huf allmählich eine stumpfere
Form annimmt. Beim stumpfen Huf (r.) wird die Vorderwand mehr belastet.
te das Kreuzbein und somit die gesamte
Hinterhand des Pferdes.“ Der steile Huf
hingegen entlastet zunächst die tiefe
Beugesehne, langfristig kommt es hier
jedoch zur Verkürzung. „Die Beweglichkeit des Hufgelenks ist eingeschränkt“, erklärt Riessen. „Mit verkürzten Sehnen kann das Pferd in der
Bewegung nicht mehr so gut durchfedern. Wird das Hufgelenk nicht mehr
optimal belastet, begünstigt das wiederum eine Arthrose.“
Man muss also handeln – und dabei
nicht zu lange warten. „Beim Fohlen
sollte man nach den Sternen greifen“,
sagt Dr. Michael Paar. Sprich: nichts
unversucht lassen, die Fehlstellung zu
korrigieren. Doch die Zeitspanne, in
der die Wachstumsfugen des Fohlens
noch geöffnet sind, ist knapp bemessen. „Bei einigen Fehlstellungen sollte
man bereits in den ersten Lebenstagen
und -wochen geeignete Maßnahmen
ergreifen. Beim Bockhuf ist meines Erachtens der Zug schon nach sechs bis
sieben Monaten abgefahren“, so Paar.
Je älter das Pferd, desto vorsichtiger
ist Dr. Paar mit Korrekturen: „Ist das
Pferd ausgewachsen, darf man Fehlstellungen nicht radikal korrigieren.
Sonst bekommt das Pferd mit großer
Wahrscheinlichkeit einen Sehnenschaden.“ Das sieht auch Hufschmied
Uwe Lukas so: „Ich kann asymmetrische Hufe lediglich anpassen, um es
dem Pferd so komfortabel wie möglich
zu machen und die gefährdete Gliedmaße zu entlasten.“ Und auch der Reiter selbst könne etwas tun, meint Uwe
Lukas: „Korrektes Gymnastizieren und
Geraderichten entlasten den Huf auf
der hohlen Seite des Pferdes.“ ❚
mit Gliedmaßenfehlstellungen geboren, aus denen sich Hufdeformationen
entwickeln können. Hier werden auch
genetische Einflüsse diskutiert. Bei
älteren Fohlen kann sich die Unregelmäßigkeit entwickeln, indem Sehnenund Knochenwachstum nicht gleichmäßig ablaufen. Die Hufe können als
Folge einer Sehnen- oder Gelenkerkrankung unterschiedlich wachsen.
Das Pferd entlastet das schmerzhafte
Bein und somit auch den Huf dauerhaft, sodass dieser höhere Trachten
entwickelt“, erklärt der Tierarzt. Im
Extremfall hat das Pferd einen SehREITER REVUE INTERNATIONAL 10/2015 85