Plattfuß oder Plateau?
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Plattfuß oder Plateau?
PR A XIS GESUNDHEIT FOTO: WWW.ARND.NL TEXT: KIRSTEN AHRLING Der Unterschied ist deutlich zu erkennen: Der Huf links im Bild ist flacher als der auf der rechten Seite. Er wirkt breiter und der Kronsaum liegt tiefer. In Schieflage Dr. Kerry Ridgway leitet für das Low Heel/High Heel-Syndrom eine Wirkungskette ab: „Herrscht Asymmetrie im Körper oder in den Gliedmaßen, muss das kompensiert werden. Kompensation bedeutet immer eine Änderung der Körperhaltung, die sich wiederum auf den Bewegungsablauf auswirkt. Ist der Bewegungsablauf nicht mehr symmetrisch, wird die Leistung und eventuell auch die Gesundheit darunter leiden“, sagt er. Bei betroffenen Pferden schließt er außerdem auf Blockaden im sechsten und siebten Halswirbel. Begründung: Das Pferd 82 REITER REVUE INTERNATIONAL 10/2015 Rechts- oder Linksfüßer? Dr. Ridgway begründet die Asymmetrie der Hufe unter anderem mit der Händigkeit des Pferdes, also ob es „Rechts- oder Linksfüßer“ sei und demnach ein Bein vermehrt belaste. „Der Huf ist dynamisch, wächst und formt sich aus der Belastung heraus“, sagt Thälke Riessen. „Da beim Pferd etwa 60 Prozent des Körpergewichts auf der Vorhand lasten, sind meist die Vorderhufe von Asymmetrien betroffen“, so die Osteopathin. Dr. Paar ergänzt: „Der stärker belastete Huf entwickelt sich durch Druck und vermehrten Abrieb flacher. Der weniger belastete Huf wird steiler.“ Hufschmied Uwe Lukas erklärt, wie sich die Händigkeit eines Pferdes im Alltag äußert: „Linkshändige Pferde stellen beim Grasen das linke Bein nach vorne. Linkshändige Springpferde versuchen immer auf dem linken Bein zu landen, weil sie die Landung so besser kompensieren können. Diese Muster verstärken die Belastung des bevorzugten Beines und somit auch des Hufes.“ Gerade langbeinige FOTO: PRIVAT Thälke Riessen Die Pferde-Osteopathin und Pferde- sowie Human-Physiotherapeutin praktiziert im Münsterland und in Ostholstein. Sie hat ihr Handwerk unter anderem beim Deutschen Institut für Pferde-Osteopathie (DIPO) gelernt. Dr. Michael Paar Der Fachtierarzt für Pferde und Leiter der Klinik für Pferde in Sottrum zählt die Orthopädie zu seinen Spezialgebieten. Die Klinik führt eine eigene Abteilung für Hufkorrekturen und orthopädische Hufbeschläge. Uwe Lukas Der Hufschmied und Buchautor arbeitete bereits mit vielen Tierärzten zusammen in den orthopädischen Abteilungen unterschiedlicher Pferdekliniken. Seit 1998 ist er verantwortlicher Hufschmied der Tierklinik Telgte. FOTO: WWW.ARND.NL/F. SORGE Pferde mit dem Low Heel/High Heel-Syndrom haben nicht etwa einen Schuhtick, sondern ein Problem. Bei ihnen ist ein Huf steiler oder flacher als der andere – mit ungeahnten Folgen. UNSERE EXPERTEN FOTO: PRIVAT Plattfuß oder Plateau? T halte seinen Kopf dauerhaft schief, um weiter ein horizontal ebenes Blickfeld zu haben. Weiter sagt der Veterinär aus den USA, dass ungleiche Hufpaare keine Seltenheit sind. So stellte seinen Recherchen zufolge ein Hufschmied aus Idaho bei rund 60 Prozent seiner vierbeinigen Kunden asymmetrische Hufpaare fest. Das bestätigt auch Hufschmied Uwe Lukas. „Es gibt kein Pferd mit durchweg symmetrischen Hufen. Haben die Hufwinkel eines Hufpaares einen Größenunterschied von etwa drei bis fünf Grad, sehe ich das als Toleranzgrenze“, so der HufExperte. Er betont, dass ein solches Pferd vermutlich lahmen werde, wenn man seine Hufe genau angleichen würde. „Man greift dann in die Biomechanik des Pferdekörpers ein. Es ist falsch, nur den Huf alleine zu betrachten. Auch die Stellung der Gliedmaßen und die Winkelung der Gelenke müssen bei der Hufbearbeitung berücksichtigt werden“, sagt Lukas. FOTO: M. GR. FELDHAUS Das Low Heel/High Heel-Syndrom reffender hätte es Dr. Kerry Ridgway – ein Tierarzt aus den USA, der sich intensiv mit asymmetrischen Hufpaaren auseinandergesetzt hat – in seiner Veröffentlichung nicht formulieren können: Beim Namen „Low Heel/ High Heel“ denkt man sofort an unterschiedlich hohe Schuhabsätze. Wem schon einmal ein Absatz abgebrochen ist, der weiß, wie unangenehm der Höhenunterschied ist. Pferden mit einem steilen und einem flachen Huf dürfte es ähnlich gehen. „No hoof, no horse“ – ohne Huf kein Pferd. Der Huf ist die Basis. Wenn hier etwas nicht stimmt, bleibt das nicht folgenlos. Doch wie schlimm können schon ein paar Millimeter Höhenunterschied zwischen zwei Hufen sein? „Asymmetrische Hufpaare haben weitreichende Folgen in Form von Ursache-Folge-Ketten im ganzen Pferdekörper“, fasst Pferde-Osteopathin Thälke Riessen die Auswirkungen zusammen. „Wirbelsäulenblockaden, die im schlimmsten Fall auch die organversorgenden Nerven irritieren können, Muskelverspannungen, Sehnenschäden und frühzeitiger Gelenkverschleiß können durch asymmetrische Hufpaare entstehen.“ Der Leiter der Klinik für Pferde in Sottrum, Dr. Michael Paar, lenkt ein: „Es gibt aber auch Pferde, die dabei komplett symptomlos bleiben. Eines ist jedoch klar: Der Bewegungsapparat ist einer ungleichen Belastung ausgesetzt.“ Stellt das Pferd sein rechtes Bein beim Grasen nach vorne, ist der rechte Huf einer größeren Belastung ausgesetzt. > REITER REVUE INTERNATIONAL 10/2015 83 PR A XIS GESUNDHEIT Hufe vermessen FOTO: HORSESINMEDIA/CHRISTIANE PINNEKAMP FOTO: TIERFOTOAGENTUR/ALEXA P. FOTO: IMAGO/BOPP FOTO: IMAGO/F. SORGE Idealhuf Vermessen Sie doch einmal die Hufe Ihres Pferdes. Alles was Sie dazu brauchen, sind Lineal und Winkelmaß – zur Not tut‘s auch ein Geodreieck. Die Größenangaben sind lediglich Richtwerte. Ein Nachmessen schärft jedoch Bewusstsein und Auge für Pferdehufe. Die Fesselachse (rot eingezeichnet) ist eine gedachte Linie, die das Fesselbein des Pferdes halbiert und mittig durch den Huf, gerade nach unten verläuft. Verläuft diese Linie parallel zur Vorder- und Trachtenwand, passen Huf und Fesselstand zueinander. Knickt sie im Huf nach vorne oder hinten ab, ist der Huf entweder zu flach oder zu steil. Der Hufwinkel (grün) befindet sich zwischen Zehenwand und Fußungsfläche. Als Norm gelten am Vorderhuf beim Warmblut 45 bis 55 Grad, beim Vollblut 48 bis 51 Grad Pferde mit kurzen Hälsen seien vermehrt vom Low Heel/High Heel-Syndrom betroffen, stellt der Hufschmied fest: „Sie müssen die Beine beim Grasen noch weiter auseinander stellen und verlagern ihr Gewicht noch stärker auf das vorangestellte Bein.“ Doch nicht allein die Händigkeit ist Schuld an den ungleichen Hufen. Dr. Kerry Ridgway nennt außerdem unpassende Sättel und falsches Reiten als Ursache für das Low Heel/High HeelSyndrom. Thälke Riessen bestätigt das: „Passt der Sattel nicht, kann das Pferd keine gleichmäßige Rumpf- und Rü- 84 REITER REVUE INTERNATIONAL 10/2015 Die Maße des Hufes: Hufwinkel (grün), Zehenlänge (gelb) und Trachtenlänge (blau). und beim Pony etwa 54 Grad. Bei einem Hufwinkel von über 60 Grad spricht man vom Bockhuf. Die Hinterhufe sind immer etwas höher und enger als die Vorderhufe. Die Zehenlänge (gelb) wird an der vorderen Hufwand gemessen. Die Zehe eines Warmbluts ist an den Vorderhufen etwa zehn Zentimeter lang und die eines Vollbluts circa neun Zentimeter. Beim Pony gelten sieben bis acht Zentimeter Zehenlänge als „Normalmaß“. Für die Ermittlung der Trachtenlänge (blau) setzten Sie das Lineal unterhalb des Ballens an und messen bis zur Fußungsfläche. Diesen Wert setzen Sie ins Verhältnis zur Zehenlänge. „Der Idealzustand ist bei den Vorderhufen ein Verhältnis von ungefähr drei zu eins. Hinten sollte das Verhältnis bei zwei zu eins liegen“, erklärt Thälke Riessen. ckenmuskulatur entwickeln. Im Extremfall kann das eine einseitig verkürzte Schrittlänge, einen Beckenschiefstand und asymmetrische Bemuskelung des Pferdes zur Folge haben“, erklärt die Expertin. So kann auch der Reiter nicht mehr ausbalanciert auf dem Pferd sitzen. „Ein schief sitzender Reiter belastet das Pferd einseitig und dieses Gewicht kommt letztendlich wieder beim Huf an“, so die Pferde-Osteopathin. Dr. Michael Paar unterscheidet mehrere Ursachen für unterschiedlich hohe Hufe. „Manche Fohlen werden nen-Stelzfuß, bei dem es quasi auf der Zehe läuft und die Trachte nicht aufsetzen kann. Dr. Paar fügt hinzu, dass es auch immer von Fütterung, Haltungsbedingungen, Bodenverhältnissen, Gliedmaßenstellung und zahlreichen weiteren Faktoren abhänge, wie sich die Hufe eines Pferdes entwickelten. Und natürlich haben unterschiedliche Pferderassen auch ihre eigenen Hufformen. Beim Huf fängt‘s an Doch warum sind sehr steile und sehr flache Hufe so ungesund fürs Pferd? Pferde-Osteopathin Thälke Riessen erklärt: „Beim flachen Huf mit einer zu langen Zehe stehen Huf-, Kron- und Fesselgelenk des Pferdes dauerhaft in Überstreckung. Es kommt zur Überlastung der oberflächlichen und der tiefen Beugesehne sowie der Hufrolle. Bleibt das über einen langen Zeitraum so, steigt aufgrund des vermehrten Knorpelabriebs die Gefahr der Arthrose.“ Doch damit nicht genug. „Ist die Zehe zu lang, kann das Pferd den Huf nicht mehr gut abrollen. Der Oberarmkopfmuskel muss vermehrt arbeiten und das Pferd entwickelt einen starken Unterhals“, beschreibt die Expertin die Auswirkungen. „Die Beschwerden können sich bis in die obere Halswirbelsäule, den Kiefer und das Zungenbein ziehen. Letztendlich erreicht die Folgeket- FOTO: WWW.ARND.NL/P. DA SILVA Beim flachen Huf knickt die Fesselachse nach vorne ab, beim steilen nach hinten. Im besten Fall verläuft sie ohne Knick parallel zu Vorderwand und Trachte. Flacher Huf FOTO: WWW.ARND.NL/P. DA SILVA Steiler Huf Der Umformungshuf (l.) ist eine Übergangsform, bei der der Huf allmählich eine stumpfere Form annimmt. Beim stumpfen Huf (r.) wird die Vorderwand mehr belastet. te das Kreuzbein und somit die gesamte Hinterhand des Pferdes.“ Der steile Huf hingegen entlastet zunächst die tiefe Beugesehne, langfristig kommt es hier jedoch zur Verkürzung. „Die Beweglichkeit des Hufgelenks ist eingeschränkt“, erklärt Riessen. „Mit verkürzten Sehnen kann das Pferd in der Bewegung nicht mehr so gut durchfedern. Wird das Hufgelenk nicht mehr optimal belastet, begünstigt das wiederum eine Arthrose.“ Man muss also handeln – und dabei nicht zu lange warten. „Beim Fohlen sollte man nach den Sternen greifen“, sagt Dr. Michael Paar. Sprich: nichts unversucht lassen, die Fehlstellung zu korrigieren. Doch die Zeitspanne, in der die Wachstumsfugen des Fohlens noch geöffnet sind, ist knapp bemessen. „Bei einigen Fehlstellungen sollte man bereits in den ersten Lebenstagen und -wochen geeignete Maßnahmen ergreifen. Beim Bockhuf ist meines Erachtens der Zug schon nach sechs bis sieben Monaten abgefahren“, so Paar. Je älter das Pferd, desto vorsichtiger ist Dr. Paar mit Korrekturen: „Ist das Pferd ausgewachsen, darf man Fehlstellungen nicht radikal korrigieren. Sonst bekommt das Pferd mit großer Wahrscheinlichkeit einen Sehnenschaden.“ Das sieht auch Hufschmied Uwe Lukas so: „Ich kann asymmetrische Hufe lediglich anpassen, um es dem Pferd so komfortabel wie möglich zu machen und die gefährdete Gliedmaße zu entlasten.“ Und auch der Reiter selbst könne etwas tun, meint Uwe Lukas: „Korrektes Gymnastizieren und Geraderichten entlasten den Huf auf der hohlen Seite des Pferdes.“ ❚ mit Gliedmaßenfehlstellungen geboren, aus denen sich Hufdeformationen entwickeln können. Hier werden auch genetische Einflüsse diskutiert. Bei älteren Fohlen kann sich die Unregelmäßigkeit entwickeln, indem Sehnenund Knochenwachstum nicht gleichmäßig ablaufen. Die Hufe können als Folge einer Sehnen- oder Gelenkerkrankung unterschiedlich wachsen. Das Pferd entlastet das schmerzhafte Bein und somit auch den Huf dauerhaft, sodass dieser höhere Trachten entwickelt“, erklärt der Tierarzt. Im Extremfall hat das Pferd einen SehREITER REVUE INTERNATIONAL 10/2015 85