Einen ausführlichen Bericht mit vielen wichtigen Details zum

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Einen ausführlichen Bericht mit vielen wichtigen Details zum
Hospitation Villa Wewersbusch (30.06. – 01.07.2016)
Das Bergische Internat
Die Villa Wewersbusch ist eine private Ergänzungsschule mit insgesamt ca. 200 Schülerinnen
und Schülern (davon 90 im hauseigenen Internat), die 850,- und mehr im Monat als
Schulgeld bezahlen. Die Abschlussprüfungen werden zwar in Klasse 10 und 13 auch von
Externen abgenommen, weshalb auch Inhalte und Kompetenzen der staatlichen
Bildungspläne vermitteln müssen, dennoch ist die Schule relativ frei in der Ausgestaltung der
Jahre bis dahin. Diese Voraussetzungen werden radikal genutzt.
Vorstellung von Bildung und Lernen
Ziel ist es, die Schülerinnen und Schüler nicht zu Personen werden zu lassen, die
sinnentleerte Inhalte der Bildungspläne aufnehmen und reproduzieren sollen. Im Gegenteil:
Sie sollen zu Produzenten Ihrer eigenen Lerninhalte werden über:
1. Recherchieren
2. Produzieren
3. Präsentieren
Ein Bild wurde gleich zu Beginn der Hospitation bemüht: Wenn man die meistgesuchten
Begriffe in einem Business-Netzwerk wie LinkedIn und die staatlichen Bildungspläne
übereinanderlege, so fänden sich kaum Parallelen. Dies gelte es zu ändern.
Weg vom traditionellen LehrerInnenbild
Als Kontrastfolie für die eigene Zielsetzung beim Lehren dient ein Lehrerbild, in dem eine
veränderungsresistente Lehrperson die immer gleichen, wenig sinnstiftenden Inhalte eines
zentral vorgegebenen Bildungsplanes vermittelt, die die Schüler und Schülerinnen dabei zu
Tode langweilt und am Ende auch dadurch wenig nachhaltige Kompetenzen schafft.
Weg mit den Lehrwerken
Um diese Situation zu erreichen, müssen die traditionellen Formen der Wissensvermittlung
gehen: Es gibt z. T. keine zentrale Projektionsfläche mehr (es gibt sie zwar, aber sie ist
flexibel im Raum oder an der Seite angebracht, damit es kein „Vorne“ mehr gibt). Weiterhin
werden ab dem kommenden Schuljahr die letzten eingeführten Lehrwerke von Verlagen
abgeschafft. Input wird von den Lehrenden und Lernenden selbst kreiert, und zwar auf den
individuell bezahlten und verwalteten iPads der Schülerinnen und Schüler.
Organisiert wird dieser Prozess in iTunesU-Kursen, die quasi als „Hub“ bzw. Sammlung für
die erstellten Lernmaterialien bzw. eher Produkte genutzt werden. Oftmals gibt es kurze
Inputphasen durch Lehrerinnen und Lehrer und anschließend eine neigungsspezifische
Differenzierung, an deren Ende immer ein Produkt steht.
Inhaltsschaffende Apps
Wer dem App-Wahn verfallen ist, findet an dieser Schule zunächst keine Unterstützung. Das
Mantra lautet: Man benötigt hauptsächlich „inhaltsschaffende“ Apps. Es werden kaum
fachspezifische Apps genutzt. Dann reichen auch einmal 3 verschiedene Grundlagen-Apps
für das erste Jahr, so z. B. BookCreator (für Lesetagebücher uvm.), ein Mind-Mapping
Programm und Kahoot (für selbst erstellte Quizzes) sowie natürlich die Standard-OfficeAnwendungen (hier die Versionen von Apple wegen der iPads).
Medienkompetenz
Interessant ist, dass erst für das 5. Jahr des Bestehens der Schule an diesem Standort, also im
5. Jahr mit iPads, ein systematisches Mediencurriculum erstellt wird. Das zeigt aber lediglich,
dass man mit der Technik zunächst seine Erfahrungen sammeln musste, und die Vermeidung
der Fehler der Vergangenheit galt es dann anschließend zu systematisieren. Was ebenfalls in
diesen Bereich gehört: Die Internatsschüler vor Ort müssen ihre iPads nach der Schule
abgeben, alle Schülerinnen und Schüler während der Stunden auch die Handys und die
Internatsschüler auch abends. „Die sollen sich ohne Technik zu beschäftigen wissen: Sport,
Spiel, Gespräche, Unternehmungen in der Natur. Es gibt hier keine Playstation und der
Fernseher wird kaum genutzt.“
Die Rolle des Papiers
Einige Gedanken zum Thema Papier: Man wird es bei digitaler Arbeit nicht durchgängig los.
Das hat einige gute Gründe. Zunächst ist es schwierig, einen Text auf dem iPad zu lesen und
gleichzeitig „Content“ zu produzieren. Für den Splitscreen-Modus sind die iPads zu klein. So
kommt es wohl immer wieder zu Mischformen zwischen analog und digital. Zum anderen
geht auf kleinem Bildschirm auch mal der Überblick verloren, der auf einem A2-Plakat in
ganz anderer Qualität entstehen kann.
Der Unterricht – was verändert sich durch die Technik?
Es ist schwer, nach einem Vormittag in den Klassen 5-9 ein abschließendes Urteil über die
Frage zu fällen, inwiefern sich der Unterricht überhaupt verändert oder im Einzelnen
verbessert oder sogar verschlechtert. Was uns mitgeteilt wurde, war, dass der
Oberstufenunterricht – den wir leider nicht zu sehen bekamen - noch etwas „klassischer“
abliefe, da ja auf ein wissensbezogenes Abitur vorbereitet werden müsse. Diesen Gedanken
lohnt es allerdings aufzugreifen, denn das Gymnasium hat ja als Schulform insgesamt das
Problem, etwas mehr gedankliche (auch theoretische) Tiefe erreichen zu müssen, so wie es
an der Villa Wewersbusch in der Oberstufe dann auch benötigt wird, um das Abitur bestehen
zu können und vielleicht auch, um durch die entsprechende Vertiefung eine Form der
Allgemeinbildung zu erreichen, die den Lernenden Transfer und Kreativität in einer
komplexer werdenden Welt erst ermöglichst.
Was wir beobachtet haben, war durch die Bank normaler Unterricht, unterstützt mit Tablets.
Wer schon die Arbeit an Schulpreis-Schulen zu sehen bekommen hat, weiß, dass
Projektunterricht und Produktorientierung sich an guten Schulen weitestgehend
durchgesetzt haben, dass dezentrales Arbeiten mit bestimmen Phasen der Zentralisierung
absoluter Standard geworden sind, dass Neigungsdifferenzierung ebenso wie die
leistungsspezifische Differenzierung dort praktiziert werden, dass das Raumkonzept diese
Art des Arbeitens dann auch widerspiegelt (durch viele Sitzecken im öffentlichen Raum,
Nischen etc.). Das alles macht nicht die Technik möglich. Der Vorteil der Nutzung von
Technik liegt in der schnelleren Erfassung von Leistungsständen (Diagnose) und der
Möglichkeit, darauf zügig zu reagieren. Wenn man Apple und Google glauben möchte, liegt
ja die Zukunft darin, dass später einmal Algorithmen automatisch den Lernenden Aufgaben
zuweisen, die ihren jeweiligen Leistungsständen entsprechen. Die Diagnosetools werden in
Ansätzen bereits genutzt.
Die Leitfrage für den Unterricht, die wir uns stellten, war, ob die fast durchgehende Arbeit
mit Technik dazu führt, dass die Schülerinnen und Schüler vereinzeln oder ob die
Kollaboration durch das gemeinsame Erarbeiten von Produkten gefördert wird – was unsere
Hoffnung war. Ebendiese Hoffnung hat sich in der Hospitation nur teilweise bestätigt, zum
Beispiel, wenn in Klasse 5 mehrere Filmteams Videos über das Thema „Brüche“ in
Mathematik entstehen ließen, indem sie eine Waffel mehrfach aufteilten und so u.a. das
Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners erklären konnten.
Auch Gegenteiliges ließ sich beobachten: Gamification hat den Reiz, Schülerinnen und
Schüler z. B. über den Wettbewerb eines Quiz zum Lernen von zu Reproduktionswissen zu
bewegen. Gleichzeitig besteht in einem solchen Ellbogen-Klima auch etwas die Gefahr, den
Respekt vor dem Anderen vermissen zu lassen. Richtig ist sicherlich, dass wir Schülerinnen
und Schüler auf das Leben nach der Schule vorbereiten müssen, und da erwartet sie auf dem
Arbeitsmarkt als Arbeitnehmer oder auch als Unternehmer der Wettbewerb. Richtig ist
auch, dass wir unbedingt Elemente davon in der Schule einsetzen sollten. Genauso wichtig
ist jedoch auch das Klima in einem Team, wenn gute Ergebnisse erreicht werden sollen. Die
kritische Wertschätzung der Produkte Anderer – durch Lehrende und Lernende – war nur
vereinzelt vorhanden.
Spielen die nur im Unterricht?
Spiele-Apps sind in der Villa Wewersbusch verboten. Wenn jemand erwischt wird, werden
die iPads der gesamten Klasse gefilzt, erzählte ein Schüler der 7. Klasse. Gegebenenfalls wird
auch mal der App-Store gesperrt (was eine schlimme Strafe zu sein scheint). Im übrigen
werden Schülerinnen und Schüler durchaus zügig der Schule verwiesen, um den anderen
deutlich zu machen, dass sie sich an die Regeln zu halten haben. Dafür reicht es schon, 2x im
Pausenhof zu rauchen.
Haben wir nun Lernende beobachtet, die permanent zockten, während andere
Arbeitsergebnisse präsentierten? Ein klares „Nein“ – allen sind die Regeln klar, dazu gehört
eben auch, dass das eigene iPad aus ist, wenn jemand Anderes präsentiert. In der
Mittelstufe ist das abweichende Verhalten dann genauso präsent wie an allen anderen
Schulen auch: Da zockt schonmal die gesamte letzte Reihe Ego-Shooter, während vorne eine
Schülerin ihre Keynote-Präsentation über ein emotionales und bedeutsames Thema zeigt.
Wir wissen, dass in diesem Alter in den Köpfen der letzten Reihe aber überall in Deutschland
andere Themen wichtiger sind als ebendiese Präsentation vorn.
Werden die Ziele des Unterrichts erreicht?
Was sind die Ziele des Unterrichts? Wir würden den Protagonisten vor Ort jederzeit
zustimmen, dass der heimliche Lehrplan (auch wenn das Wort vor Ort nicht fiel) eigentlich
ein ganz anderer ist, als der Bildungsplan vorgibt. Neben der viel zu kurz kommenden Frage
der zweiseitig verstandenen Medienkompetenz („Ich beherrsche die Medien, nicht die
Medien mich“) sicherlich auch die intensive Förderung der Key Skills des 21. Jahrhunderts:
Kreativität, Kollaboration, aber auch kritische Recherche. Hier beweist die Villa
Wewersbusch einfach den Mut, sich auf den Weg zu machen und manche, heutzutage
einfach unsinnig erscheinende, Inhalte dabei wegzulassen, was ein konsequenter Schritt ist.
Gleichzeitig haben Gymnasien auch noch den Anspruch, kategoriales, z. T.
theoriegetriebenes, verknüpfendes Denken zu fördern, mit dem Ziel, zu einem
Erkenntnisgewinn zu kommen. Dass es dabei mit den Strukturen des 19. Jahrhunderts
heutzutage nicht mehr auskommt, ist inzwischen jedem, der an Schulentwicklung
interessiert ist, klar. Aus dieser Sicht heraus konnten wir an der Villa Wewersbusch sehen,
dass dort sehr viel Zeit in das Lernen von Methoden investiert wird, man könnte auch flapsig
sagen: inhaltlich kommt weniger dabei rum. Für die Villa Wewersbusch ist dies sicherlich
eine logische Folge ihres Ansatzes des „Weniger ist mehr“ und damit durchaus gewollt. Das
Gymnasium verfolgt einen höheren inhaltlichen Anspruch, um einen bestimmten
Durchdringungsgrad zu erreichen, der mir später neue, eigenständige Denkansätze
ermöglicht. Wie gehen wir mit diesem Dilemma um? Und lassen sich komplexe Sachverhalte
methodisch ebenso produktorientiert im Unterricht umsetzen? Vermutlich ja (siehe
Explainity-Videos uvm.), aber wir haben dort ein spannendes neues Arbeitsfeld, das über die
Arbeit an der Villa Wewersbusch hinaus geht.
Fragen als kritischer Freund:
1. Der Gedanke, einen Hub für alle Lernmaterialien zu haben (wie es z. B. die beiden
digitalen Notizbücher OneNote bzw. Evernote bieten), ist noch nicht klar definiert.
Ordnerstrukturen (wie auf dem klassischen Computer) sind sicherlich nicht die Form,
unser Wissen und unseren „Content“ in der modernen Gesellschaft und damit auch
in der modernen Schule zu strukturieren, aber ein Speicherort einfach irgendwo auf
dem Gerät ist auch nicht die Antwort (auch wenn die Suchfunktion gut ist), vor allem
dann nicht, wenn ich aus bereits erarbeiteten Wissensgebieten Neues schaffen will
bzw. dazwischen Verknüpfungen entstehen sollen. Hier sehe ich für das Arbeiten am
Gymnasium noch weiteren Bedarf nachzudenken.
2. Die (zum Schulkonzept passende radikale) Reflexion über die Technikorientierung
wird momentan noch abgelehnt. Diese wäre z. B. durch eine medienfreie Woche
denkbar (auch ohne Bücher etc.), um zu erfahren, inwiefern Medien auch mein
Leben bestimmen. Medienkompetenz ist hier m. E. noch nicht in aller Konsequenz
zuende gedacht, wenn man das Ziel hat, Schülerinnen und Schüler zu einem
selbstbestimmten Leben zu führen. Gerade einer Schule, die stark auf die technische
Dimension setzt, würde diese Methode der „digitalen Diät“, die viele Technik-Geeks
nutzen, gut zu Gesicht stehen. Lernen, gerade im Bereich der Persönlichkeitsbildung
und dem sozialen Miteinander, findet ja in der Face-to-Face Interaktion mit Anderen
statt.
3. Einer Einordnung der eigenen pädagogischen (!) Arbeit wollen sich die Protagonisten
der Schule zunächst entziehen. Es lassen sich viele Ansätze der Reformpädagogik
erkennen, u. a. auch das aufgabenorientierte Lernen (Task-based Learning), eine
Diskussion über diese Einbettung wurde jedoch tendenziell abgelehnt. Die
Vermutung ist hier, dass die Abgrenzung zu traditionellen Methoden der Vermittlung
zum Konzept der Außendarstellung gehören. Lieber orientiert man sich bei Inhalten,
Methoden und Raumgestaltung an den Großraumbüros (bzw. eher kreativen
Spielwiesen) von Unternehmen wie Apple und Google, deren Arbeitsplätze geprägt
sind von variablen Sitzmöbeln, differenzierter Lichtgestaltung und insgesamt so
angenehmem Ambiente.
Fazit
Alles in allem war diese Hospitation, für deren Ermöglichung wir sehr dankbar sind, vielleicht
ein Blick in die Zukunft des Lernens, vielleicht ein Blick in ein Labor, dem viel probiert wird
und in dem zunächst „alle Fehler gemacht“ werden, so der Geschäftsführer Florian Kesseler,
um zeitgemäßen Formen des Lernens näher zu kommen. Wir lernen gerne mit und
versuchen, mache Fehler bei der Umsetzung unserer aktuellen Lerndesigns zu vermeiden.