Baden-Württemberg STIPENDIUM der Landesstiftung

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Baden-Württemberg STIPENDIUM der Landesstiftung
Baden-Württemberg STIPENDIUM der
Landesstiftung
Erfahrungsbericht
von
Johannes Roth
Heimathochschule: Pädagogische Hochschule Heidelberg
Gasthochschule: Universitas Pendidikan Indonesia, Bandung, West Java
Studiengang: Grund- und Hauptschullehramt (Deutsch, Geschichte, Politik)
Semester: 8
Zeitraum: August 2010 – Februar 2011
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Johannes Roth
Erfahrungsbericht Baden-Württemberg STIPENDIUM
Motivation
Der Wunsch, eine längere Zeit im Ausland zu verbringen, beschäftigt mich bereits seit der Oberstufe.
Durch meine Eltern geprägt, die bereits vor meiner Geburt für den Deutschen Entwicklungsdienst
(DED) in Malaysia eingesetzt waren, ist meine Sensibilisierung für Südostasien seit jeher stark. Mein
Vater ermöglichte es mir schließlich, im August 2008 für drei Wochen nach Indonesien zu reisen. Er
war derzeit über den DED auf Lombok (Nachbarinsel von Bali) eingesetzt. Mit einer kontroversen
Ansicht über das Land, jedoch überwältigt von der Kultur und Lebensweise der Menschen, die mir
begegnet waren, kam ich nach Deutschland zurück. Die Perspektiven, die sich mir durch die Position
meines Vaters als Entwicklungshelfer auftaten, gaben ihr Übriges hinzu.
Bewerbung
Bereits vor meiner Bewerbung auf das Baden-Württemberg STIPENDIUM mit dem Studienort
Bandung interessierte ich mich für einen Studienaufenthalt in Indonesien. Sicherlich begünstigten
meine Erfahrungen, die ich dort bereits gemacht hatte, mein Interesse. Als mir mein Freund und
Kommilitone Boris Heilscher davon erzählte, dass er sich für ein Baden-Württemberg STIPENDIUM
mit dem Studienort Bandung bewarb, wurden meine Pläne konkreter. Ich ließ mich von seiner
Begeisterung anstecken und entschied mich, auch am Bewerbungsverfahren teilzunehmen. Ich
kontaktierte zunächst Herrn Prof. Dr. Härle, den Prorektor für Studium, Lehre und
Medienentwicklung der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und Senatsbeauftragten für Bandung,
sowie Frau Henrike Schön, die Leiterin des Akademischen Auslandsamtes. Nach wenigen aber sehr
dichten Gesprächen über das Stipendium und etwas Erfahrungsaustausch über Indonesien, gab ich
meine Unterlagen ab.
Vorbereitung auf das Gastland
Bereits während der laufenden Bewerbung informierten Herr Heilscher und ich uns eingehend über
die Umstände, die uns erwarten sollten. Herr Heilscher, der im Nebenfach Geographie studiert, war
schnell über die besondere geographische Situation Indonesiens als vulkanologisch interessante
Inselkette im Bilde. Als Geschichts- und Politikstudent beschäftigte ich mich besonders mit der
kolonialen Vergangenheit und politischen Gegenwart Indonesiens, wobei sich unsere Interessen und
Recherchen häufig überschnitten. Auch nahmen wir Kontakt mit den Baden-WürttembergStipendiaten aus Bandung auf, die zu der Zeit an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg
studierten, sowie Frau Holkenbrink und Frau Makowitzki, die 2008/2009 am Austauschprogramm
teilgenommen hatten. Sprachlich bildeten Herr Heilscher und ich uns vorwiegend getrennt. Ich
lernte weitestgehend autodidaktisch mit dem „Lehrbuch für Indonesische Sprache“ von Erich-Dieter
Krause und verschiedenen Audiopodcasts aus dem Internet. Mit meinem Vater, der sehr gut
Indonesisch spricht, stand ich dabei in ständigem Austausch. Die relativ einfache grammatikalische
Struktur und der dem Deutschen ähnliche Klang der Wörter ließen mich beim Lernen schnell
vorankommen. Als ich im April schließlich die Einladung für das Auswahlgespräch bekam, begann ich,
meine Vorbereitungen noch weiter auszudehnen. Ich machte mir nun zunehmend Gedanken über
die Interessen der Pädagogischen Hochschule Heidelberg an der Universitas Pendidikan Indonesia
(UPI) in Bandung und des Landes Baden-Württemberg in Indonesien. Der Kontakt mit der UPI wurde
auch hergestellt. Vorwiegend kommunizierten wir mit Frau Nining, der Leiterin der
Deutschabteilung, und Herrn Neri, unserem Ansprechpartner des International Office. Unsere Emails
wurden stets freundlich und kompetent beantwortet. Der Direktor des International Office, Herr Sri
Harto, Herr Neri und deren Mitarbeiter taten sich durch ihr außergewöhnliches Engagement und
gutes Englisch hervor. Besonders in Visaangelegenheiten waren sie eine unverzichtbare und
zuverlässige Hilfe.
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Reisevorbereitungen und Visum
Nach dem Auswahlgespräch im April 2010 begannen Herr Heilscher und ich uns trotz zunächst noch
fehlender Zusage über den Erhalt des Stipendiums um unsere konkreten Reisevorbereitungen zu
kümmern. Der Kontakt mit den diplomatischen Vertretungen Indonesiens gestaltete sich dabei
kompliziert. Widersprüchliche Informationen auf den Webseiten der konsularischen Vertretung in
Frankfurt und der Botschaft in Berlin, die teils nur in indonesischer Sprache erhältlich waren,
machten es schwer, einen Überblick zu bekommen. Telefonisch erreichte man häufig nur die
Botschaft in Berlin, deren Mitarbeiter uns umgehend auf das Konsulat in Frankfurt verwiesen. Das
Telefon in Frankfurt war meist entweder besetzt oder wurde nicht abgenommen. Nicht genau
wissend, ob wir ein Sozial-Kulturelles-Visum für 60 Tage oder eine Aufenthaltsgenehmigung für sechs
Monate beantragen mussten, da beide für unseren Aufenthaltszweck infrage kamen, entschieden
wir intuitiv [??], das vorwiegend indonesisch geschriebene Formular der Berliner Botschaft für eine
sechs-monatige Aufenthaltsgenehmigung auszufüllen. Mit dem Zahlungsbeleg schickten wir die
Papiere ab und bekamen bald Antwort in Form eines Empfehlungsschreibens auf Indonesisch für das
Konsulat in Frankfurt mit zwei beigelegten, unbeglaubigten Kopien. Obwohl in Frankfurt von
beglaubigten Kopien die Rede war, schickten wir die Unterlagen ab und bekamen wenige Tage vor
Abflug ein Sozial-Kulturelles Visum für 60 Tage. Alle 30 Tage musste dieses verlängert werden, was
Herr Gumilar vom International Office für uns erledigte. Die Kosten dafür übernahm die Universität.
Aufenthalt im Gastland
Herr Heilscher und ich landeten am 28.August 2010 spät abends in Jakarta, was sich etwa 150 km
von Bandung entfernt befindet. Herr Neri hatte uns einen Fahrer nach Jakarta kommen lassen, der
uns, begleitet vom ehemaligen Baden-Württemberg-Stipendiaten Rudi Niadi, abholte. Der Fahrer
brachte uns direkt ins Campuswohnheim, in dem Herr Heilscher und ich zunächst ein
Zweibettzimmer bezogen. Gleich am nächsten Tag brachten uns Rudi Niadi und einige seiner
Kommilitonen in die Innenstadt Bandungs und führten uns herum. Am zweiten Tag wurden wir
schließlich offiziell von Frau Nining und Herrn Neri begrüßt. Bei einem offiziellen Abendessen in
einem Restaurant hatten wir Gelegenheit, weitere Beschäftigte der Universität und einige andere
Austauschstudenten kennenzulernen. Das Semester fing am ersten September an, wurde jedoch ab
dem zehnten September von den dreiwöchigen Lebaranferien zu den Feierlichkeiten von Idul Fitri
(Lichterfest) unterbrochen. Idul Fitri ist das wichtigste muslimische Fest in Indonesien und wird zum
Ende des Fastenmonats Ramadan gefeiert. Zwei Tage und Nächte wird in der Moschee gebetet und
gesungen, es wird gegessen, Böller werden gezündet und es wird gefeiert. Der überwiegende Teil
der Indonesier kehrt an den Ort seines Elternhauses zurück, was die Infrastruktur jedes Jahr aufs
Neue überlastet.
Land, Leute und Religion
Indonesien ist der größte Inselstaat und das viert-bevölkerungsreichste Land der Welt sowie das
größte Land Südostasiens. Indonesischen Angaben zufolge umfasst es etwa 17500 Inseln wovon
etwas mehr als 6000 von insgesamt rund 240 Millionen Menschen bewohnt sind. Die Hauptinsel ist
Java, die mit Jakarta auch Regierungssitz ist. Das bekannteste touristische Ziel ist die Insel Bali.
Wirtschaftlich ist Jakarta mit seinen etwa acht Millionen Einwohnern im Zentrum und bis zu 18
Millionen Einwohnern mit den Vororten das ökonomische Zentrum Indonesiens.
Die Stadt Bandung liegt in West Java und hat verschiedenen Angaben zufolge zwischen zwei und drei
Millionen Einwohner. Sie liegt eingebettet zwischen mehreren Vulkanen und Bergen auf etwa 800 m
Seehöhe. Sprache und Kultur sind neben der Einheitssprache Bahasa Indonesia, Sundanesisch. Durch
seine gemäßigten Temperaturen, die selten die 30°C überschreiten, ist es besonders bei den
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Einwohnern Jakartas als Ausflugsziel beliebt. Die zahlreichen Shoppingmalls und Factoryoutlets der
ortsansässigen Textilindustrie machen Bandung darüber hinaus zum Zentrum eines überregionalen
Shoppingtourismus. Die Straßenverhältnisse sind teilweise beengend und nicht für eine große
Verkehrsdichte ausgelegt. Der Zustand der Straßen ist gemessen an deutschen Verhältnissen
überwiegend mittelmäßig bis schlecht. Durch die neue Autobahn von Jakarta nach Bandung, die die
Fahrzeit von sechs auf etwa zwei Stunden verkürzt ist am Wochenende, vor und während Feiertagen
sowie zu den Stoßzeiten Stau. Der öffentliche Personennahverkehr wird über private Kleinbusse
gelöst. Diese Kleinbusse werden so umgebaut, dass bis zu 15 Leute darin Platz finden und sind
entsprechend ihrer Stammroute farbig lackiert. Es gibt sehr viele dieser sogenannten Angkots. Der
Einstieg erfolgt meist über Handzeichen und der Ausstieg auf Zuruf, der Preis ist Verhandlungssache.
Weitere Verkehrsmittel sind Taxis und Motorradtaxis (Ojek), über weitere Strecken Bus, Bahn und
Flugzeug. Sich in Indonesien fortzubewegen ist im Allgemeinen sehr preisgünstig, wenn auch nicht
immer westlichen Standards entsprechend.
Der Islam ist die am weitesten verbreitete Religion in Indonesien. Mit etwa 85-88% ist Indonesien
das Land mit den meisten Muslimen der Welt. Die meisten Muslime folgen der sunitischen
Auslegung des Islam. Der Islam ist offiziell nicht Staatsreligion. Das tägliche Leben ist jedoch stark
religiös geprägt. Islamische Banken, Unternehmen und Organisationen sponsern häufig schulische
und universitäre Einrichtungen, Schulmaterialien, Lehrerbildung und Forschung. Das Kopftuch ist
nicht obligatorisch, aber häufig gesehen. Große und kleine Moscheen werden oft im Abstand von
nur wenigen 100 Metern gebaut und viele Läden, Restaurants und sonstige Gebäude mit hohem
Publikumsverkehr bieten Gebetsräume an. Auch in Buchläden findet sich vorwiegend religiöse
(islamische) Literatur und in öffentlichen Gebäuden gibt es häufig eine Kleiderordnung nach
islamischen Maßstäben. Als Christ hatte ich nie das Gefühl, diskriminiert zu werden. Toleranz und
Freundlichkeit waren die überwiegenden Reaktionen, wenn über Religion gesprochen wurde.
Ausnahmen bestätigen allerdings auch hier die Regel. Unter jungen Menschen und Studenten ist es
in Indonesien vollkommen normal, religiös zu sein. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich
Kommilitonen vor oder nach dem Essen zur kurzen Gebetspause zurückziehen und sich der
Tagesablauf an den Gebetszeiten orientiert. Der elterliche Einfluss und traditionelle
Erziehungsmaßstäbe spielen hier vermutlich eine entscheidende Rolle. Bei der Planung von
Hochschulevents war es zum Beispiel wichtig zu bedenken, dass vor allem die weiblichen
Kommilitonen oft schon früh zuhause sein mussten. Selbst Wohnhäuser mit Studentenzimmern für
Frauen schließen nicht selten um 21 Uhr ihre Türen von innen ab.
Studium
Herrn Heilscher und mir wurde die Möglichkeit gegeben, mit anderen ausländischen Studenten den
Anfängerkurs für Indonesische Sprache und Kultur zu besuchen. Fünfmal wöchentlich, jeweils drei
Stunden täglich, lernten wir die indonesische Sprache, Traditionen, Höflichkeitsregeln und
traditionellen Tanz. Das Curriculum gestaltete sich variabel und auch die jungen Dozentinnen
wechselten sich häufig ab. Sprachlich und landeskundlich war dieser Kurs eine große Bereicherung,
besonders, weil wir dabei mit anderen Stipendiaten aus Russland, Südost- und Zentralasien in
Kontakt kamen.
In der Deutschabteilung der UPI besuchte ich keine Lehrveranstaltungen als Hörer. Frau Nining gab
uns keine konkreteren Vorgaben, was Herr Heilscher und ich zu tun hatten, solange es nur einen
Mehrwert für die Studenten darstellte. Was genau Herrn Heilschers und meine Aufgabe war, wurde
mir nicht gänzlich klar. Ich entschied mich auf ihren Vorschlag hin, zweimal die Woche einen
Konversationsclub zu gestalten. Im Konversationsclub wurde vor allem über landes- und
kulturtypische Themen aus Deutschland gesprochen. Da auch die niedrigen Semester anwesend
waren, war die Kursgestaltung zeitweise schwierig. Die Deutschkenntnisse sind besonders bei
Studienanfängern bis zum dritten Semester noch nicht sehr ausgeprägt, bis nicht vorhanden. Auch
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bei den höheren Semestern kam es häufiger zu sprachlichen Schwierigkeiten, besonders wenn es
sich um spezifischere Themen handelte. Das größte Problem war jedoch, die Studierenden zu
Mitarbeit und Kritik anzuregen. Oft hatte ich das Gefühl, dass Ansichten, die sich von denen anderer
Personen unterschieden, aus Höflichkeit nicht geäußert wurden. Die äußerst komplexen
Höflichkeitsformen wurden mir innerhalb der verschiedenen sozialen Kontexte bis zuletzt nicht
zweifelsfrei klar. Besonders aber aus sprachlichen Gründen entschieden die DAAD-Sprachassistentin
Susann Oettel und ich, den Konversationsclub zusammen abzuhalten. Frau Oettel hat unter anderem
Indonesisch studiert und war bereits ein Jahr in Indonesien. Sie weiß über die Sprache und
landestypische Eigenheiten gut bescheid. Ohne sie wäre der Konversationsclub kaum möglich
gewesen. Bei der Programmgestaltung ergänzten wir uns erfolgreich mit Ideen aus ihrem DAF- und
meinem Lehramtsstudium und standen stetig im Austausch. Die Vorbereitungen für die zwei
Clubnachmittage unternahmen wir meist zusammen. Da schnelles Internet in Indonesien nur äußerst
selten verfügbar ist und besonders aktuelle oder geschichtliche Informationen sowie Bild- und
Tonmaterial zu Deutschland fast nur darüber erhältlich sind, zogen sich die Vorbereitungen teils über
mehrere Nachmittage hinweg. Je nach Wetterlage, Krankheits- und Feiertagssituation erschienen bis
zu 30 Studierende zu den Veranstaltungen.
Veranstaltungen und Termine
Als Europäer ist man ein gern gesehener Gast in Indonesien. Man wird häufig eingeladen und
vorgestellt. Kurz nach unserer Ankunft wurden wir beispielsweise zu Aufnahmen für eine Begleit-CD
zu einem Deutschbuch für Anfänger in ein Tonstudio eingeladen. Auch Einladungen zu
Presseterminen und Vorstellungen, Besichtigungen universitärer Einrichtungen und Abendessen
waren keine Seltenheit.
Im Oktober reisten Herr Heilscher, Frau Oettel und ich zusammen mit einigen der Studierenden in
die Stadt Bogor zu einer Stipendienmesse. Unter unserer Anleitung und mit unserer Unterstützung
kochten die Studierenden dort deutsch-indonesische Kartoffelsuppe, die sie zu einem guten Zweck
verkauften. Leider gelang es Herrn Heilscher und mir nur bedingt, das Baden-Württemberg
STIPENDIUM vorzustellen, da wir zusammen mit Frau Oettel als einzige anwesende Ausländer eine
kleine Attraktion darstellten und eher fotografiert als gefragt wurden. Frau Oettel hatte folglich
ähnliche Probleme mit der Vorstellung des DAADs.
Im Goethe-Institut Bandung, in dem die ehemalige Baden-Württemberg Stipendiatin, Fita Andrianti
(2007/2008 an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg) arbeitet, hielten Herr Heilscher und ich
uns häufig auf. Im November hielten wir dort mit der Unterstützung von Frau Oettel und Frau
Andrianti einen Vortrag über Baden-Württemberg und stellten das Baden-Württemberg
STIPENDIUM vor einem etwa 60-köpfigen Auditorium vor, das vorwiegend aus Oberstufenschülern
und Studierenden des Fachs Deutsch bestand. Die Bibliothek und das W-LAN nutzte ich häufig zur
Vorbereitung auf den Konversationsclub. Im Goethe-Institut waren wir stets willkommene Gäste und
erhielten bei Bedarf immer die nötige Unterstützung sowie nützliche Tipps.
Auch auf Tagungen und Lehrerfortbildungen waren Herr Heilscher und ich als Redner oder
Teilnehmer eingeladen. Da die Einladungen oft sehr kurzfristig kamen und ich leider häufig krank
war, nahm ich jedoch an keiner der Lehrerfortbildungen teil.
Resümee und persönliche Wertung
Das Haus in dem Herr Heilscher und ich ab Oktober wohnten, lag in einem „Kampung“, einem Dorf in
der Stadt, in dem vorwiegend die arbeitende bzw. arbeitslose Bevölkerung lebt. Viele Studenten der
nahen Hotelfachschule wohnten mit uns in dem kleinen Haus, in dem es etwa zehn 6m² große,
möblierte Zimmer gab. Diese Wohnform wird „Kost“ genannt und ist die unter jungen Menschen am
weitesten verbreitete. Häufig saß ich bis nachts mit den Studenten oder den benachbarten Familien
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zusammen, unterhielt mich und musizierte mit ihnen. So versuchte ich während meines Aufenthalts
vor allem mit den Menschen in Kontakt zu kommen, die mir so großes Interesse und eine
überwältigende Gastfreundschaft entgegenbrachten. Darüber hinaus gab ich Nachhilfe in Deutsch
und Englisch bei Familien in der Nachbarschaft. Oft wurde ich von weiteren Familienmitgliedern
eingeladen und erzählte von Deutschland und den Unterschieden zu Indonesien. Häufig mit
entzaubernder Wirkung. Oft hat man das Gefühl mit einem konstruierten Bild des Westens in
Kontakt zu kommen, das der Wirklichkeit nur entfernt entspricht. Hoffnungen und Szenen aus meist
amerikanischen Filmen verschmelzen dabei nicht selten zu Vorstellungen von Sorglosigkeit und
grenzenlosem Komfort in der westlichen Gesellschaft, die oft vollkommen unreflektiert übertragen
werden. Mit meiner Kamera und offenen Augen und Ohren lernte ich dabei viel über das Leben in
Indonesien und die Vorstellungen der Einheimischen über den Westen. Die Probleme mit Bildung,
Analphabetismus, Korruption, Arbeits- und Chancenlosigkeit, dem Mangel an qualifizierter
medizinischer Versorgung und Aufklärung, aber auch Freundlichkeit, Gelassenheit und Offenheit, die
Improvisationsfähigkeit, der Verzicht und der Durchhaltewille der Indonesier waren dabei mein
Bildungsmehrwert. Über soziale Netzwerke stehe ich weiterhin in Kontakt mit den Studierenden vor
Ort und berate sie bei Problemen mit der deutschen Sprache, gebe Anregungen bei
kulturspezifischen Fragen sowie Literatur- und Filmempfehlungen. Auch das Baden-Württemberg
STIPENDIUM ist häufig Bestandteil einer Fragestellung. In den Onlinegruppen der
Konversationsclubs, die Frau Oettel weiterführt, bin ich fürs kommende Semester beratend aktiv.
Mit den Erkenntnissen, Erfahrungen und dem Gelernten über mich als den, der ich bin, und die Welt,
in der ich lebe sowie die Welt, die 14 Flugstunden weiter weg existiert, sehe ich beide Welten nun
aus einem anderen Blickwinkel. Ich habe Lebensweisen kennengelernt, die sich um 180° von den
unsrigen zu unterscheiden scheinen. Der Kulturschock war enorm. Ich habe unvergleichliche
Gastfreundschaft und Großzügigkeit erfahren, bin in Familien und Freundeskreise integriert worden,
habe aber auch Einblicke in eine Gesellschaft bekommen, in der der Einzelne wenig wert zu sein
scheint und man ohne Beziehungen oder Geld kaum weiterkommt. Bildung ist in Indonesien ein
Privileg derjenigen, die es sich leisten können. Viel stärker als in Europa oder Deutschland. Meines
Erachtens herrscht in diesem Sektor dringender Handlungsbedarf. Bildung bedeutet Zukunft. Ein
Schritt, in die meiner Ansicht nach richtige Richtung, ist es den Austausch zwischen
Bildungsinstitutionen weiter zu fördern und Stipendien noch bekannter zu machen. Das BadenWürttemberg STIPENDIUM leistet dazu bereits einen entscheidenden und wichtigen Beitrag.
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