Stellungnahme AG JP an Kristina Schröder.
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Stellungnahme AG JP an Kristina Schröder.
Fr. BM Kristina Schröder Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Glinkastr. 24 10117 Berlin Hannover, 21.02.2011 Stellungnahme der AG Junge Pflege des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe Nordwest e.V. zu den aktuellen Äußerungen von Familienministerin Kristina Schröder Sehr geehrte Frau Schröder, die Arbeitsgemeinschaft Junge Pflege ist schockiert von Ihrer Forderung Männer aus bildungsfernen Schichten in der Pflege zu beschäftigen. Wir beziehen uns auf die Aussage: „„Gerade solche aus bildungsfernen Schichten, die wegen schlechter Zeugnisse den Einstieg nicht geschafft hätten“, könnten in Pflegeberufen unterkommen, sagte Schröder.“1, 2. Ein Aussprechen dieser von Ihnen in Erwägung gezogenen Option wird von Pflegenden bundesweit als eine Beleidigung ihrer Profession angesehen. Der Gedanke, dass Pflege Ihrer Meinung nach gar nicht der aktuellen Zugangsvoraussetzung einer 3-jährigen Ausbildung bedürfe, lässt sich hinter Ihrer Äußerung vermuten. Eine Einstellung, die konträr zu den zukünftigen Anforderungen an unseren Berufsstand steht: Im Großteil Europas ist akademisierte Pflege eine Selbstverständlichkeit. Ein sich noch im Prozess hierhin befindliches Deutschland bildet bereits das Schlusslicht europäischer PflegeAkademisierung: Die Zulassung zur Pflegeausbildung erfolgt europaweit durchschnittlich erst nach 12 Schuljahren - in Deutschland bereits nach 10 Schuljahren3. Erst seit wenigen Jahren folgt Deutschland dem internationalen Akademisierungstrend, wobei bisherige Entwicklungen aufgehalten wurden, da Bemühungen von Berufsverbänden und Regierung in unterschiedliche Richtungen verlaufen. Aktuell werden über 50 pflegebezogene Studiengänge an Hochschulen angeboten4 – Tendenz steigend. Pflege wird grundständig, dual oder 1 www.welt.de, Artikel „Schröder will mehr Männer in Pflegeberufen“, 04.02.2011, (Quelle: http://www.welt.de/politik/deutschland/article12441333/Schroeder-will-mehr-Maenner-inPflegeberufen.html) 2 www.n-tv.de, Artikel „Quote für die Pflege? – Schröder wirbt um Männer“, 04.02.2011, (Quelle: http://www.n-tv.de/politik/Schroeder-wirbt-um-Maenner-article2526246.html) 3 Die Schwester Der Pfleger, Bibliomed-Verlag, Artikel „Die europäischen Krankenpflegeausbildungen im Vergleich“, Ausgabe 04/08 4 Siehe: www.pflegestudium.de 1 verknüpft mit Pädagogik oder Management studiert. Altenpflege ist, wenn auch noch spärlich, bereits ebenfalls eigenständig an Universitäten und Fachhochschulen mit dem Studiengang „Gerontologie“ angesiedelt5. Die Arbeitswelt der Pflegenden stellt einen Bereich dar, in welchem die wissenschaftlichen und technischen Anforderungen an das Personal stetig steigen. Komplexe Pflegearrangements sind entstanden. Neben demographischem Wandel und der zunehmenden Zahl chronisch Kranker, belastet die Verkürzung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer. Die Pflegewissenschaft bringt, wie jede andere Wissenschaft auch, neue Anforderungsmaßstäbe hervor, medizinischer Fortschritt erfordert zunehmende High-Tech-Kompetenzen seitens der Pflege und die Angebotspalette an Medikamenten steigt stetig. Könnte ein Jeder pflegen, so müsste dies bedeuten, dass er den aktuellen Anforderungen der Pflegewissenschaft intuitiv gerecht werden könnte – dies ist unmöglich. Zur Veranschaulichung: Neben fachlich notwendigem Wissen um Anatomie, Hygiene, Medizin etc. greifen wir exemplarisch einen Qualifikationsblock heraus: Beratung, Schulung, Anleitung. In Zukunft wird diesem Bereich - der Patientenedukation - eine enorme Bedeutung zukommen, da in einer Zeit knapper Kassen effizient gearbeitet werden muss. Pflege soll Bedürftigen und Angehörigen „Hilfe zur Selbsthilfe“ ermöglichen. Schulung wird somit u. a. das tägliche „Geschäft“ der Pflegenden sein. Sozialpädagogen und Lehrer benötigen hier nicht mehr Kompetenzen als Pflegende. Bei diesen Berufsgruppen wird die Notwendigkeit einer akademischen Ausbildung zur Berufsausübung nicht in Frage gestellt. Das Herabsetzen der Zugangsvoraussetzungen zu Pflegeberufen im Allgemeinen und explizit für Männer halten wir aus vielen Gründen für nicht tragbar. Ihren Vorschlag empfinden wir als: • Ablenkungsmanöver. Das historisch gewachsene Problem der geringen Männerquote in der Pflege ist nicht Ursache für den drohenden Pflegenotstand. Die Politik hat in der Vergangenheit trotz einschlägiger Prognosen viele Entwicklungen verschlafen. • Beleidigung. Die gesamte Pflegebranche wird abgewertet, wenn Dequalifizierungskampagnen im Zusammenhang mit der Berufsausübung vorgeschlagen werden. • Genderunkonforme Behandlung. Politisch erstrebte Emanzipation der Frau zielt auf Gleichbehandlung aus Ihnen bekannten Gründen ab. Bei Umsetzung Ihres Vorschlages würden Männer und Frauen nicht gleich behandelt werden. Dies dürfte nicht nur Missstimmungen im Team hervorrufen. Emanzipation des Mannes würde versagt werden. Dass ausgerechnet eine Familienministerin diesen Vorschlag unterbreitet ist dramatisch. • Kontraproduktives Konzept auf Mikroebene. Hochqualifizierte Männer, die bisher in der Pflege arbeiten, könnten sich im Job nicht mehr von neu zugelassenen „bildungsfernen“ Männern abheben. Wozu ihre bisherigen Bemühungen? Missstimmungen und Jobflucht wären die Folge. Das Ansehen in Team und Gesellschaft würde explizit für pflegende Männer sinken. Innerhalb von Pflegeeinrichtungen käme es zu Qualitätseinbußen und - im Gegenteil zu von Ihnen 5 www.studieren.de, Artikel „Studium mit Zukunft – Gerontologie“, (Quelle: http://studieren.de/gerontologie.0.html, Stand 15.02.2011) 2 genannten Vorteilen - durch Mann-zu-Mann-Pflege zu Nachteilen, da Männer im Durchschnitt weniger qualifiziert wären als Frauen. Jeder Arbeitgeber würde sich folglich mit einer hohen Frauenquote brüsten wollen um Qualität zu versprechen. • Kontraproduktives Konzept auf Makroebene. Das Ansehen der Pflege in der Gesellschaft sinkt weiter ab. Nachwuchspflegekräfte bleiben aus, da der Beruf öffentlich abgewertet wird. Notlösungen wie ausländische Pflegekräfte zu beschäftigen verschieben die Problematik in unermessliche Dimensionen. Minderqualifizierte erfahren enorme Überforderung und Frustration. Die Qualität pflegerischer Versorgung sinkt. Pflegefehler kosten Menschenleben, Patienten werden nicht angemessen versorgt. Selbst die beste Medizin oder fortschrittlichste Institution ist ohne hochqualifizierte Pflegekräfte machtlos. Schon jetzt kann aufgrund Personalmangels nicht mehr alles Notwendige umgesetzt werden. Die einzig zukunftsweisende Herangehensweise an die aktuellen Probleme in der Pflege beschrieb Ihr Ministerium bereits in der bis März 2009 bundesweit laufenden Fachkampagne „Berufsfeld: Moderne Altenpflege“ ganz eindeutig: „Ziel (…) ist es, für das Berufsfeld zu werben [und] es gesellschaftlich aufzuwerten“6. Arbeitsbedingungen, die lebenslanges Lernen und ein gesundes Arbeiten bis zur Rente ermöglichen, sowie leistungs- und verantwortungsgerechte Vergütung, zählen unserer Auffassung nach hierzu ebenso, wie ein respektvoller Umgang der Politiker mit dem Thema Pflege in der Öffentlichkeit. Diesen vermissen wir in Ihren Aussagen leider. Gerne sind wir als Arbeitsgemeinschaft bereit mit Ihnen in einen wissenschaftlichen Dialog zu treten. Als pflegerisch Ausgebildete und angehende Akademiker des Bereichs Pflege, bieten wir Ihnen an, Sie bei Ihrer Pflegepolitik in Form eines Beraterstabes zu unterstützen. Mit freundlichen Grüßen AG Junge Pflege im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe Nordwest (DBfK) e.V. ------------------------------Im Namen der AG Junge Pflege, Stefan Schwark Kontakt Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe Nordwest e.V. AG Junge Pflege Lister Kirchweg 45 30163 Hannover 6 www.bmfsfj.de, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Broschüre „Berufsfeld: Moderne Altenpflege“ S. 3, Dezember 2008 3