Beate Maxian - Kehrwasser Verlag
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Beate Maxian - Kehrwasser Verlag
Beate Maxian 6 Dirndlkrieg Nora Furtner trug ein Dirndl. Ein traditionelles, knöchellanges, grünes Alltagsdirndl mit weißer Bluse und roter Schürze. Das war nicht ungewöhnlich in Bad Goisern. Viele Menschen trugen im Inneren Salzkammergut Tracht. Urlauber, Eingebürgerte, Fremde und Einheimische. Diese Bekleidungsform war ein untrügliches Symbol für die Verbundenheit mit der Region. In einer zunehmend globalisierten Welt besannen sich nun einmal die Menschen wieder gerne auf ihre Wurzeln, war Nora Furtner überzeugt. Und die heimische Tracht gehörte zu den Wurzeln der Goiserer wie der Hallstättersee und das Dachsteinmassiv. „Wer Tracht begreifen will, muss sie tragen“, war Nora Furtners Credo. „Tracht ist das G‘wand unserer Region.“ Da war sie sich mit den vielen Trachtenvereinen im Salzkammergut einig. Zusätzlich entstammte Nora einer alten Trachtenmodenhersteller-Dynastie. In nur zehn Jahren hatte sie mehr erreicht, als all ihre Vorgänger in dem hundert Jahre alten Familienbetrieb zusammen. Aus einer kleinen Schneiderwerkstatt war eine europaweit bekannte Marke geworden: Furtner Trachtenmode. Bei der Vermarktung unterstütze sie ihr Mann Moritz. Der zwar wenig von Trachten verstand, dafür umso mehr von Marketing und Pressearbeit. Zusätzlich war Moritz ein Zahlenmensch, der permanent darauf achtete, dass genug Geld in der Kasse war. Deshalb konnte sich Nora voll und ganz auf die Entstehung und das 7 Aussehen der Furtner Trachten konzentrieren. Auf das Design, auf die Stickereien und die passenden Accessoires. Vor einem halben Jahr war Nora siebenunddreißig geworden und galt in der Branche inzwischen unangefochten als brillante Fachfrau. Die Hüterin der alpenländischen Tradition und des Brauchtums. Dieser Ruf eilte ihr voraus. Sie und Moritz wirkten und wohnten auf einer Anhöhe im ehemaligen Erbhof von Moritz‘ Ahnen, mit Holzbalkon im ersten Stock, grünen Fensterläden, handwerklichen und kunstvollen Ausschmückungen und saisonalen Dekorationen aus Naturmaterialien. Das alles verriet dem Besucher mit einem Blick, dass man spätestens auf dem Hof von Furtner Trachtenmode im Inneren Salzkammergut angekommen war. Im Hintergrund bildete der Predigstuhl die ergänzende Kulisse. Die Kunden aus dem Ausland, vorwiegend aus Deutschland, schwärmten von dem prächtigen Ambiente. Die Furtnerin war demnach zufrieden mit ihrem Leben. Es gab nur eine Sache die Nora Furtner störte. Vielmehr verdarb sie ihr die Freude an ihrem Dasein. Es war die, wie sie es nannte, modische Katastrophe, die in den letzten Jahren um sich griff und jetzt sogar in der rund 7.600 Seelengemeinde Bad Goisern Einzug hielt. Das Oktoberfestdirndl. Und genau so ein Dirndl trug Isabel Meingruber. „Das Wiesndirndl ist keine echte Tracht“, sagte Nora zu ihrer Freundin Michaela Auleitner, die zugleich seit Jahren die hauptverantwortliche Schneiderin bei Furtner Trachtenmoden war. Sie trafen sich jeden Dienstagmorgen zu einem Jour fixe außerhalb des Unternehmens im Cafe an der Unteren Marktstraße, um in Ruhe wichtige Anliegen zu besprechen. Die Handys stellten sie lautlos und auch sonst durfte niemand stören. Außer der Kellnerin, die ab und zu fragte, ob noch etwas gewünscht wurde. Sie saßen bei Kaffee und 8 ihrem üblichen Frühstück. Zwei Semmeln, Butter, Marmelade und ein weiches Ei. „Das G’wandl ist eine reine Zumutung“, pflichtete ihr Michaela bei. „Nicht nur Goisern ist inzwischen mit diesen Minikleidern im Trachtenlook infiziert worden. In der gesamten Region laufen diese jungen Dinger mit viel zu kurzen und tief ausgeschnittenen Dirndln herum“, fuhr Nora fort. „Das hat doch nichts mehr mit dem Ursprünglichen zu tun.“ „Geh, wenn’s nur die jungen Dinger wären, die damit herumlaufen, dann könnt man das ja noch als Unwissenheit durchgehen lassen“, meinte die Michaela. „Leider sieht man auch über 40jährige in pinkfarbenen Minidirndln. Und dazu tragens’ ganz hundsordinäre Stöckelschuhe anstatt passende Trachtenschuhe“, stöhnte die Michaela Auleitner. Die beiden Frauen waren sich einig, dass diese Entwicklung dem Untergang des Abendlandes gleichkam. „Stell dir vor, Michi. Der Moritz hat mir letztens gestanden, dass ihm so manches Oktoberfestdirndl gefällt“, empörte sich Nora. „Und dann hat er mich doch allen Ernstes gefragt, ob ich nicht einmal so ein Teil designen möcht’ und du solltest das dann gleich nähen. Das käm’ bei jungen Leuten sicher gut an und er könnt es gut vermarkten, meint er. Kannst du dir das vorstellen, Michi? Ausgerechnet mich fragt der so was!“ Michaela schüttelte ihren Kopf. „Das ist ja ungeheuerlich. Na, da müss’ ma dringend was unternehmen und gegen diesen abscheulichen Trend ankämpfen.“ Zusätzlich eröffnete doch tatsächlich wenige Tage vor der großen, jährlich stattfindenden Furtner Trachtenmodenshow, die dieses Jahr mit einem besonderem Höhepunkt aufhorchen ließ, ein Laden mit Oktoberfestdirndln im Angebot. Nahe jenem Haus, in dem Rudolf Steflitsch- 9 Hackl bereits in dritter Generation in bester Handwerkstradition die berühmten Goiserer erzeugte. Für Nora und Michaela eine unzumutbare Situation. Darüber hinaus war die Oktoberfestdirndl-Ladenbesitzerin gar keine Einheimische. Isabel Meingruber kam ursprünglich aus München. Vor drei Jahren angelte sie sich beim „Geign Dischgu“ den Holzinger Anton. Die Städterin blickte dem begehrten Junggesellen beim Geigenfest tief in die Augen, und schon war’s um ihn geschehen. Derweil hatte doch die Michaela ein Aug auf den feschen Geigenbauer geworfen. Nach zwei Jahren Fernbeziehung gab Isabel Meingruber ihr Leben in München auf und zog zu Nora und Michaelas Leidwesen nach Bad Goisern. Doch alles Negative hatte auch eine positive Seite. Erhielt das modische Grauen doch mit dem Einzug der hinterfotzigen Hexe endlich ein Gesicht und Nora und Michaela endlich ein Gegenüber, das es in weiblicher Solidarität zu hassen galt. Denn aus dem Weg gehen, konnten Michaela und sie der Münchnerin nicht. Der Anton und der Moritz waren Feuerwehrkameraden und gute Freunde. Zusätzlich tauchte Isabel Meingruber wie eine lästige Fliege bei allen Festivitäten auf, zu denen naturgemäß auch Michaela und Nora gingen. Sie machte sich beliebt im Ort und zeigte Interesse am heimischen Brauchtum. „Die Deitsche heuchelt des Interesse doch nur“, waren Michaela und Nora felsenfest überzeugt. Sie waren aber beide klug genug, diese Meinung für sich zu behalten, weil man ihnen das sonst als puren Neid auslegen konnte. Beim offiziellen Kennenlernen, einem Abendessen beim Moserwirt, machte Nora gute Miene zum bösen Spiel. Dennoch blieben an diesem Abend ihre Antworten nicht ganz ohne spitze Bemerkungen. 10 „Das freut mi fei, dass ich in dir sozusagen eine Verbündete gfunden hab“, hatte Isabel Meingruber gesagt. „Wie meinst jetzt das?“, hatte die Nora gefragt. „Na, die Trachten. Verstehst? Du produzierst das altheimische Dirndl und ich verkörpere im weiteren Sinn das Moderne“, meinte die um acht Jahre jüngere Bayerin. „Damit hat Bad Goisern ein neues und damit breiteres Angebot. Trendige Trachten sind wichtig. Das bringt Schwung und neue Kunden. Du musst wissen, zum Wiesndirndl greifen auch die jungen Leut’. Freiwillig“, hatte Isabel Meingruber versucht Nora das Oktoberfestdirndl schmackhaft zu machen. „Mich hat niemand zwingen müssen ein Dirndl anzuziehen“, hatte Nora entgegnet. „Mich schon. Und heut’ trag ich’s gern. Und dass man beim Wiesndirndl noch dazu die pralle Weiblichkeit ins rechte Licht rückt, ist ein angenehmer Nebeneffekt. Weil d’ Männer halt gar so gern schauen.“ Sie zwinkerte dem Anton und dem Moritz zu. Die beiden grinsten breit. „Tracht ist Kulturgut und kein aufreizender Fetzen“, hatte Nora Furtner erwidert. „Aus einer strengen Kleiderordnung ist im Laufe der Jahre Mode geworden. Nur falls du das noch nicht mitbekommen hast.“ Nora lächelte und schwieg, fügte jedoch in Gedanken hinzu: „Nur, weil du Funsen früher regelmäßig dein Geld als Kellnerin am Oktoberfest verdient hast, ist das noch lange kein Grund das Oktoberfestdirndl ins Innere Salzkammergut zu importieren und zu verkaufen.“ Dafür hatte Nora Furtner nicht jahrelang die Schulbank in der Höheren Lehranstalt für Mode in Hallein gedrückt, ihren Abschluss mit dem Schwerpunkt Tracht mit Bestnoten bestanden, das Vernähen der Kleider mit schwie- 11 rigen Stäbchenfalten an der Taille gelernt und sich in zahlreichen Kursen und Vorträgen weitergebildet, um sich nun mit Möchtegern-Trachtenkennern auseinandersetzen zu müssen. Rustikale Eleganz, so stand es in der Einladung, die Nora Furtner zur Boutique-Eröffnung erhalten hatte. Isabel Meingrubers Dirndl-Boutique in rustikaler Eleganz. „Wie kann man nur so an Bledsinn vazapfen“, schimpfte Nora und legte Moritz die Einladung auf den Schreibtisch. „Das ist keine rustikale Eleganz, auch keine Trachtenmode“, die Betonung lag auf dem Wort Mode. „Was die verkauft, das spottet jeder Beschreibung.“ „Grad du solltest wissen, dass auch Trachten der Mode unterliegen“, antwortete Moritz, was ihm einen strafenden Blick seiner Frau einheimste. „Die kurzen Dirndln gab’s schon in den 1970er Jahren, angelehnt an den Mini“, fuhr er unbeirrt fort. „Früher gaben Trachten Auskunft über Herkunft und Familienstand.“ „Du klingst wie eine alte Frau, Nora. Trachten in zeitgemäßer Neugestaltung stehen doch nicht im Widerspruch zur traditionellen Art“, versuchte er sie milde zu stimmen. „Heb dir diese Platitüde für unsere Pressemeldungen auf“, zischte Nora. Moritz zuckte mit den Achseln. „Ich weiß nicht, worüber du dich so aufregst. Außerdem versteh ich nicht, was du gegen die Isabel hast. Die ist doch sehr sympathisch.“ „Blöampi“, murmelte Nora. Es waren die blonden langen Haare, die endlos lang erscheinenden Beine und das üppige Dekolleté, was Isabel Meingruber so sympathisch machte, war sich Nora Furtner sicher. 12 „Sie hat ein Recht darauf in ihrem Geschäft zu verkaufen, was immer sie möchte“, beendete Moritz Furtner das Streitgespräch. Also auch er. Ihr eigener Ehemann hieß gut, was diese Meingruber in der Marktgemeinde aufführte. Diese bajuwarische Trutschen! Sie und Michaela waren demnach im Kampf gegen die Verrohung der Sitten ganz auf sich alleine gestellt. Die beiden Schaufenster zierten Modellpuppen in verschiedenen Wiesndirndln. Um ihre Hälse hingen Lebkuchenherzen. Mit weißer Zuckergussfarbe war der Name des Ladens: Isabel Meingrubers Dirndl-Boutique darauf geschrieben worden. Der Innenraum von der Dirndl-Boutique präsentierte sich bodenständig und ein klein wenig überladen geschmückt. Auf urigen Holztischen lagen blau- und rotweiß karierte Trachtenhemden und Lederhosen, dazwischen standen Glasteller mit Kräutern und Blüten. Blumenkränze hingen an den Wänden. Gestecke und Äpfel als Kerzenhalter, umwickelt mit allerlei Beeren sollten die Nähe zur Natur versinnbildlichen. Unzählige brennende Kerzen gaben dem Laden etwas Festliches. Die Dirndlkleider hingen in alten Bauernkästen, deren Türen offen standen. Generell war das Geschäft mit alten Bauernmöbeln eingerichtet worden. Nora musste sich eingestehen, dass die Einrichtung ihren eigenen Geschmack traf. Michaela tauchte an Noras Seite auf. „Da kann man nur hoffen, dass die nie vergisst, die Kerzen auszublasen, bevor sie den Laden verlässt. Sonst ist’s hier bald vorbei.“ Zwei Freundinnen von Isabel Meingruber in grellfarbigen Wiesndirndln reichten den Gästen auf großen Tabletts original Münchner Bier, Weißwürste und Lebkuchenherzen. Auf letzteren prangte ebenfalls der Schriftzug der Boutique. 13