Targa Glorio
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Targa Glorio
Seite 44 Christophorus 320 Text Michael Sönke Fotografie Porsche Archiv, Uli Jooß Historie Targa Glorio Das David-Prinzip auf der Rennstrecke verkörpert kaum ein anderer Erfolg so sehr wie der Sieg von Umberto Maglioli mit dem 550 A Spyder bei der Targa Florio 1956. In Alleinfahrt bei brütender Hitze bezwang er nach 720 Kilometern auf Sizilien die übermächtige Konkurrenz mit 15 Minuten Vorsprung. Sein Mechaniker Werner Enz erinnert sich an den großen Triumph. Extrablatt, Extrablatt! Besondere Ereignisse erfordern besondere Maßnahmen. Weshalb im Juni 1956 eiligst eine Sonderausgabe des Christophorus gedruckt wurde. Die frohe Botschaft war der Schlagzeile zu entnehmen: „Unser schönster Sieg“. Was war passiert? Vor 50 Jahren hatte sich Umberto Maglioli bei der Targa Florio, dem ältesten und traditionsreichsten Autorennen Europas, mit dem Porsche 550 A Spyder den Sieg gesichert. Es war der erste Triumph der noch jungen Sportwagenfirma – unter härtesten Bedingungen und gegen eine schier übermächtige Konkurrenz. Nicht zuletzt die Luftkühlung des Spyder hatte sich in der Hitze Siziliens als überlegen erwiesen. Eigentlich war der Start nur als Versuchsfahrt gedacht gewesen, als Testlauf, ob die Teilnahme an Rennen für Porsche überhaupt Sinn macht. Das lässt – auch ein halbes Jahrhundert später – den Erfolg so bedeutend erscheinen. Zeitzeuge Werner Enz erinnert sich noch gern an den ersten von elf Targa-Siegen, vor allem aber an die ungewöhnlichen Rahmenbedingungen und Schwierigkeiten auf dem Weg zum Erfolg. Hinter besonderen Ereignissen stecken immer auch besondere Menschen. A Christophorus 320 Seite 45 Seite 46 Christophorus 320 Christophorus 320 Seite 47 Der Blick zurück: Umberto Magliolis Triumphfahrt riss die Zuschauer mit – Werner Enz und der Spyder waren dabei „So wie dieses Auto aussieht, können wir hier natürlich nicht starten!“ Umberto Magliolis mit Empörung vorgetragener Satz klingtWerner Enz noch nach 50 Jahren in den Ohren.Gerade waren er und Willi Enz, der mit ihm nicht verwandte zweite PorscheMonteur, in dem kleinen sizilianischen Ort Términi Imerese auf halbemWeg zwischen Palermo und Cefalù angekommen.Auf der Pritsche ihres Hanomags schlummerte der Porsche 550 A Spyder, den Maglioli fahren sollte. Die Enzens schauten sich etwas betroffen an.Was der italienischeGrand-Prix-Pilot und Targa-Sieger von 1953 meinte, war dem Zuffenhausener Duo schnell klar.„Es hat pressiert vor der Abfahrt, wie immer bei uns“, erzählt Werner Enz. Für die Lackierung des Spyder hatte die Zeit nicht ausgereicht. Zwischen dem nackten, wenig ansehnlichen Aluminium war sogar noch Spachtelmasse auszumachen. „Und mit so einem Auto wollte sich Umberto zwischen all den schönen Ferrari und Maserati nicht präsentieren.“ Der Wagen musste also dringend lackiert werden.Werner und Willi Enz legten eine Nachtschicht ein. Doch im Basislager des PorscheTeams, einer Fiat-Werkstatt in Términi Imerese, war beim besten Willen kein Silbergrau aufzutreiben. Lediglich ein Kübel Weiß stand zur Verfügung. Und so kam es, dass dieser Spyder nicht im Porsche-Outfit der fünfziger Jahre startete, sondern in der klassischen Farbe für deutsche Rennwagen – ganz in Weiß. waren immer noch nicht ganz überzeugt. Dann ließ Maglioli den entscheidenden Satz fallen:„Auf Sizilien gibt es das höchste Preisgeld, gleich nach Indianapolis!“DerWerkseinsatz war beschlossene Sache. Dass Porsche überhaupt bei diesem WM-Lauf gegen Ferrari und Maserati antrat, hatte auch mit Maglioli zu tun.Wochen vor dem Targa-Start war Porsche-Rennleiter Huschke von Hanstein wenig begeistert von dieser Idee.Am Abend nach demTraining zum 1000Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring schwärmte Umberto Maglioli im Gasthof „Zum Wilden Schwein“ in Adenau immer wieder von einem ganz besonderen Rennen auf Sizilien, der Targa Florio.„Was soll Porsche dort?“, zweifelte von Hanstein.1955 hatte Stirling Moss auf Sizilien mit dem Mercedes 300SLR gewonnen. Hatte Porsche gegen die hubraumstarken Mercedes, Maserati und Ferrari überhaupt eine Chance? Maglioli glaubte fest daran: „Der Porsche ist wendig, leicht, ideal für die Berge Siziliens.“ Von Hanstein und auch der interessiert amTisch sitzende Ferry Porsche So machten sich Willi und Werner Enz, der Fahrgestell- und der Motorenmann, auf den Weg gen Süden – mit dem Lkw des Hausfahrdienstes.„Die Rennabteilung hatte damals keine eigenen Lastwagen“, berichtet Werner Enz. Die Reise führte über rund 2400 KilometerLandstraße zunächst nachNeapel, zurVerschiffung nach Palermo. Die Italiener wollten den Transporter zunächst nicht aufladen. Das Lademanöver mit dem Kran schien den Hafenarbeitern zu riskant. Erst musste also der Spyder abgeladen werden, dann wurde erst der 3,5-Tonner und anschließend der 540 Kilogramm schwere Porsche aufs Schiff gehoben.Werner Enz kann sich an viele solcher Hindernisse erinnern. Heute ärgert er sich, dass er kaum Bilder von damals besitzt: „Huschke hat uns Monteure wissen lassen: Ihr seid zum Schaffen da und nicht zum Fotografieren.“ A Seite 48 Italienische Momente: Über 720 Kilometer führte die Targa Florio 1956, ganz Sizilien fieberte mit Christophorus 320 Mach mal Pause: Maglioli beim Tankstopp – es war der einzige Boxenaufenthalt des Spyder während des gesamten Rennens Seine persönliche Statistik hat der heute 76-Jährige noch gut im Kopf. Bei mindestens zehn Targa Florios gehörte Werner Enz zum Porsche-Team, „und acht Vortrainings kommen noch hinzu“. Die Fahrer wählten verschiedene Routen für den weitenWeg nach Sizilien. Dazu gehörte der Weg über das kurze Autostrada-Stück zwischen Trento und Rimini nach Bari, dann hinüber nach Kalabrien.Von dort die Fährroute von Reggio nach Messina, bevor die enge Straße zum Ziel Cefalù führte.„Dreieinhalb Tage Fahrt,2400 Kilometer“, gibt Enz über die Anstrengungen Auskunft. Vor der Alpenüberquerung stand das Misstrauen der Österreicher. Verplomben ließen sich die Renntransporter nicht, weshalb einer der Zöllner von Mittenwald über Innsbruck bis zum Brenner im Stuttgarter Lastwagen mitfuhr. „Die haben wirklich geglaubt, wir verkaufen unterwegs Teile“, sagt Enz lächelnd. Mit den italienischen Zöllnern am Brenner gab es auch Diskussionen. „Wir hatten es doch immer eilig, und konnten nicht vor dem Zoll einen halben Tag warten“, spielt Enz auf die lange Warteschlange vor der Grenze an. Also rauschte die Rennmannschaft vorbei an den hauptberuflichen Kollegen aus dem Transportgeschäft.„Die aufgebrachten Zöllner mussten wir dann mit Geschenken besänftigen“, weiß er weiter.Taschenmesser und Feuerzeuge mit Porsche-Wappen waren heiß begehrt. Erfolgreiches Quartett (von links): Willi Enz, Umberto Maglioli, Huschke von Hanstein und Werner Enz mit der Siegestrophäe Auf Italiens Landstraßen herrschte oft Überholverbot für Lastwagen, was unnötig Zeit kostete.Wenn die Carabinieri den (zu) schnellen MAN aus Zuffenhausen erwischten, öffneten sie erbost die rechte Tür des Führerhauses, verlangten nach „documenti e patente“, wieWerner Enz noch genau weiß. Der Beifahrer hob nur entschuldigend die Schultern, „ich bin doch gar nicht gefahren“. Erst da merkten die Polizisten, dass dieser Lkw anders als damals in Italien üblich das Lenkrad auf seiner linken Seite hatte.„Selbst die Italiener haben gelacht“, berichtet Enz.Wieder wechselte ein Feuerzeug den Besitzer. Das Rennen vor dem Rennen begleitete die A Laufbahn des Werner Enz bei Porsche. Seite 50 Christophorus 320 Siegertypen: Werner Enz umrahmt vom 550 Spyder (o.), 911 Carrera RSR (r.), 908 ⁄ 3 (u.) und dem 904 Coupé – allesamt Fahrzeuge, mit denen Porsche bei der Targa Florio gewann Er saß später auch als Meister und Obermeister der Rennabteilung im Truck häufig am Steuer. Und wenn die Beifahrer anmerkten, man könne doch mal einkehren, wurden sie in der Regel abschlägig beschieden. „Erstens fahren alle vorbei, die ich gerade überholt habe“, pflegte Enz zu argumentieren, „und zweitens habe ich ein Vesper dabei.“ 1951 stieß der Eltinger zur Rennabteilung, und blieb sein ganzes Berufsleben über dort, 43 Jahre lang. Über sich selbst redet der bescheidene Techniker nicht so viel. Aber seine langjährigen Kollegen wissen um die Qualitäten des engen Mitarbeiters von Ferdinand Piëch in der Ära der Porsche-Typen 908 oder 917. Enz war ebenso häufig im Konstruktionsbüro anzutreffen wie in der Werkstatt. Als „schwäbischer Tüftler“ im besten Sinne wird der Motorenfachmann mitunter bezeichnet. Er baute viele Versuchsmotoren auf, dazu gehörte auch der Porsche-TAG-Turbo, mit dem Niki Lauda und Alain Prost 1984 bis 1986 die Formel-1-WM gewannen.Und selbst am Porsche-V12 für den Footwork Anfang der neunziger Jahre war Enz beteiligt, der heute im Weissacher Ortsteil Flacht lebt. Zurück ins Jahr 1956: Magliolis Gattin Gerti war fürs Dolmetschen zuständig, später stieß Huschke von Hanstein hinzu, der als zweiter Fahrer gemeldet war. „Trocken und sehr heiß“– notierte die Rennleitung vor dem Start des Rennens über zehn Runden und 720 Kilometer. Der kleine Porsche war auf den engen Straßen konkurrenzfähig. Eugenio Castellotti stürmte zwar mit dem DreiLiter-Ferrari an die Spitze. Doch das Getriebe hielt nicht lange. Der große Piero Taruffi, der einen Graf Berghe von Trips bei der Mille Miglia 1957 schlagen sollte, litt unter einem Handicap: Nach einem Steinschlag ließ sich der Tank des Maserati nicht mehr ganz füllen. Zusatzstopps wurden notwendig. Die anderen Ferrari, Maserati und Osca hielt Maglioli im Porsche sensationell hinter sich. Wieder Werner Enz: „Zunächst mussten Willi und ich den Porsche aus 20-Liter-Kannen mit dem großen Trichter betanken. Erst als die Agip-Leute gemerkt haben, wie gut der Umberto im Rennen liegt, durften auch wir die Schnelltankanlage nutzen.“ Huschke von Hanstein sollte übernehmen. Doch nach dem zweiten Stopp wie auch nach dem dritten ist der Rennleiter in den Boxen nicht aufzufinden. Maglioli blieb im Wagen. Nach 7 Stunden, 54 Minuten und 52,6 Sekunden siegte er vor Taruffis Maserati und dem Ferrari vonOlivier Gendebien/Hans Herrmann.Von Hanstein hat seine Abwesenheit beim Fahrerwechsel später einmal so erklärt: „Ich bin dem Kassierer nicht mehr von der Seite gewichen, der wollte das Preisgeld unbedingt an einen Italiener auszahlen!“ Vielleicht hat der Schalk den Baron zu diesem Satz getrieben.Andere Stimmen sagen, dass von Hanstein schnell erkannt hatte, dass er mangels Streckenkenntnis dasTempo Magliolis nicht würde halten können.Wie auch immer: Porsche hat im Juni 1956 zum ersten Mal in der Geschichte bei einem ganz großen internationalen Rennen den Gesamtsieg erzielt. AlsWilli und Werner Enz Tage später nach Zuffenhausen zurückkehrten, ließ Ferry Porsche die gesamte Belegschaft zur Begrüßung B an der Schwieberdinger Straße aufstellen.Targa Glorio!