Presseartikel von Norbert Fiebig - Erschienen im Betonprisma 91/2010

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Presseartikel von Norbert Fiebig - Erschienen im Betonprisma 91/2010
Reportage
Aus der Werkstatt ins Büro
Die Geschichte eines legendären Tischgestells
Egon Eiermann ist nicht nur Schöpfer berühmt gewordener
Stahlbetonbauten für Kirchen, Büros, Werkstätten oder
Wohnungen. Das „Eiermann-Tischgestell“ gilt als Insignie
der Arbeitswelt des Architekten: Kaum ein Büro, das es
nicht verwendet, das nicht seine reduzierte Ästhetik
für die Schaffung der eigenen Arbeitswelt nutzt, um
der Kreativität freien Raum zu bieten. Produziert wird
das Tischgestell in der Werkstatt von Adam und
Peter Wieland in Karlsruhe.
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Egon Eiermann und Adam Wieland
Adam Wieland ist ein sympathischer älterer
Herr, groß gewachsen, schlank. Seine feingliedrigen Hände sind eher die eines Künstlers als die
eines Metallbauers. Seine Werkstatt liegt in einem
ruhigen Vorort von Karlsruhe, einer Wohngegend.
Sein Sohn Peter und er begrüßen mich herzlich
und führen mich in den kleinen Büroraum. Er
ist ein wenig eng und vollgepackt. Die einzige
Gemeinsamkeit dieses Raumes mit klassischen
Architekturbüros bilden die Tischgestelle – hier
aber ganz ungewöhnlich in hellem Blau gestrichen.
Adam Wieland erzählt mit zurückgenommenem Stolz und mit leicht badischem Akzent, wie
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Auf meinen fragenden Blick hin erläuterte
er, fast entschuldigend, dass diese Querstreben der
einzige Nachteil des Gestells seien. Ansonsten
sei es einfach nur schlicht, zeitlos, praktisch, kostengünstig – und letztlich, in früheren computerlosen Zeiten auch als höhenverstellbarer Zeichentisch einsetzbar, legendär. Und natürlich habe es eine besondere Ästhetik dadurch, dass die
Tischplatte ob der Reduziertheit des Gestells im
Raum zu schweben scheint. „Egon Eiermann hat
dieses Gestell 1953 entworfen und es wird noch
heute von einem damaligen Mitarbeiter Eiermanns in Karlsruhe produziert und vertrieben:
Adam Wieland.“
Spätere Besuche in anderen Architekturbüros zeigten, dass die Annahme, Architekten würden nur einen einzigen Kleidungsstil bevorzugen,
natürlich falsch ist. Stattdessen aber offenbarte
sich ein ganz anderer gemeinsamer Nenner des
Berufsstandes: das Eiermann-Tischgestell als feste Konstante in der Arbeitswelt des Architekten. Kaum ein Büro, das nicht diese Tischgestelle verwendet – zum Arbeiten, für Besprechungen,
als Ablage- oder Modellbautisch; selbst in Teeküchen findet es seinen Platz. So selbstverständlich, dass die Verwendung anderer Tische auffällt und als befremdlich empfunden wird. Wie
kam es eigentlich zu dieser freiwilligen Uniformität bei einem so sehr auf Kreativität bedachten Berufsstand?
Architekten tragen schwarze Anzüge, weiße
Hemden, fast nie Krawatte und bevorzugen dunkle Hornbrillen. Von diesen Klischees hatte ich
gehört. Und von den Notizen auf den Zeichnungen der Häuser meines Vaters und Großvaters
wusste ich, dass sie eine bewundernswert saubere, fast kalligraphische Handschrift haben. Korrekte und auf Ordnung bedachte Menschen also. Dazu gibt es natürlich noch den Mythos des
Künstlers, der den Berufsstand, quasi als Gegenpol dazu, umweht.
Als ich später zum ersten Mal einen Architekten kennen lernte und ihn in seinem Büro
aufsuchte, war ich von der Reduziertheit, ja fast
Kargheit der Einrichtung beeindruckt. Man kennt
die Arbeitsräume von Rechtsanwälten – schick
und glatt wie zu sehr gestärkte Hemden. Oder
die oft altmodisch wirkende Einrichtung bei Notaren – meist schwere Eichenschreibtische. Büroinsignien einzelner Berufsstände, die vielleicht
für Bildung, Erfolg, Autorität und Reichtum stehen sollen. Das Büro dieses Architekten aber war
ganz anders: viel Tageslicht, helle Wände, weiße
Regale, darin sauber beschriftete Aktenordner.
Und weiße, aufgeräumte Arbeitstische, auf denen sich wenig mehr als Bildschirm, Tastatur, Notizblätter und Stifte befanden. Diese Schlichtheit
erinnerte an die Zeitlosigkeit eines Klosterraumes.
Und noch eine Episode ist mir von dieser ersten Begegnung im Kopf geblieben: Wir setzten
uns an einen der Arbeitstische. Als ich gemütlich die Beine unter dem Tisch verschränkte und
mit dem rechten Fuß an etwas Hartes unterhalb
der Tischplatte stieß, wollte ich mich zuerst bei
meinem Gesprächspartner entschuldigen. Dann
bemerkte ich, dass das weder Bein noch Fuß meines Gegenübers gewesen sein konnten. Ich beugte mich unter die Tischplatte und sah, dass ich
eine von zwei Querstreben eines simpel erscheinenden Tischgestells touchiert hatte. Und als mein
Kopf über der Tischplatte wieder auftauchte, sagte der Architekt ebenso stolz und trocken wie
selbstverständlich nur ein Wort: „Eiermann“.
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es dazu kam, dass so
viele Menschen an seibat mich, das fest
nen Tischen Architekverschweißte
tur erdenken: 1963
wurde an der ArchiTischgestell
tekturfakultät
der
seines Schreibtischs
Technischen Hochin handhabbare
schule Karlsruhe die
Stelle eines SchlosserStücke zu zersägen.“
meisters ausgeschrieben, also zu der Zeit, als
Egon Eiermann mit der
Realisierung seiner berühmten Betonkonstruktionen für verschiedene Kirchen beschäftigt war.
Im Bewerbungsgespräch fragte ihn Prof. Rolf Lederbogen, wie er denn die Stahlkuppel des von Eiermann entworfenen Neubaus der Gedächtniskirche in Berlin anfertigen würde – und verwies
dabei auf das Modell, das in seinem Arbeitszimmer stand.
Eines Tages kam Klaus Brunner, damals Assistent von Egon Eiermann und später Professor
in Dortmund, und bat, das fest verschweißte
Tischgestell seines Schreibtisches in handhabbare Stücke zu zersägen, da er mit seinem Citroën 2CV nach Freiburg umziehen wolle. Dieses
Tischgestell aus Stahlrohr war eines der wenigen Exemplare an der Fakultät, die Egon Eiermann
1953 entworfen hatte. Adam Wieland antwortete ihm, dass er bis zum nächsten Tag eine praktischere Lösung für den Transport finden werde: Er trennte die beiden räumlich diagonal zu den
Seitenteilen des Gestells angebrachten Querstreben ab und schweißte an deren Enden verschraubbare Laschen. Das Tischgestell bestand
jetzt aus vier leicht zu transportierenden Teilen.
Die von Eiermann räumlich diagonal gesetzten
Querstreben setzte Wieland der besseren Stabilität wegen senkrecht. Brunner war von dieser Modifizierung begeistert, und schon am folgenden
Tag bestellte ein Freund von ihm ein weiteres Modell. Mehr und mehr Studenten und Dozenten
wurden auf den Tisch aufmerksam. „Es war ein
Schneeballsystem“, so Wieland, „pro Semester kamen 100 neue Studenten an die Fakultät, die al-
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„Klaus Brunner
le bei Egon Eiermann hören wollten.“ Als Egon
Eiermann davon erfuhr, kam er zu seinem Leiter der Modellwerkstatt und „klopfte mir ob dieser Weiterentwicklung anerkennend auf die Schulter“, so Wieland. Bald schon wurde auch das Sitzungszimmer der Fakultät mit den neuen Tischen
ausgestattet.
Schreibtische für fast alle
Bis 1993 war Adam Wieland Werkstattleiter.
In dieser Zeit begleitete er Generationen von Studenten durch das Studium. Viele von ihnen, die
nach dem Studium ihre eigenen Büros gründeten,
erinnerten sich an die Schreibtischgestelle – und
richteten damit ihre ersten Arbeitsräume ein.
Adam Wieland fertigte seine Tischgestelle
zunächst nebenberuflich und machte sich 1993
mit der Produktion selbstständig. Er beliefert
Büros mit großen wie auch nicht so großen Namen: So stammen die Arbeitsplätze bei Behnisch
Architekten, David Chipperfield Architects, Henn
Architekten, Herzog & de Meuron, von Gerkan,
Marg & Partners, Wenzel und Wenzel aus seiner
Werkstatt. Die Architekten wiederum empfahlen seine Schreibtische an von ihnen realisierte
Universitäten und Hochschulen weiter: Unter anderem sind die Arbeitsplätze an der Hafencity Universität Hamburg, RWTH Aachen, ETH Zürich,
TU Darmstadt und der Bauhaus Universität Weimar zu großen Teilen mit seinen Tischen ausgestattet. Seinen bislang größten Auftrag realisierte er mit 900 Gestellen für das Gymnasium Bruckmühl.
Adam Wieland ist heute 74 Jahre alt. Vor zwei
Jahren hat sein Sohn Peter die Werkstatt übernommen, und Wieland Senior ist es zum Hobby
geworden, den Sohn bei der Arbeit zu unterstützen.
König der Architekten
Und was war Egon Eiermann für ein Mensch?
„Eiermann war der König der Architekten“, so
Adam Wieland. „Damals hatte er noch sein privates Büro an der Fakultät, und morgens parkte er
seinen Wagen an einem für ihn gekennzeichne-
ten Platz auf dem Fakultätsgelände direkt vor meiner Werkstatt.“ Er war ein Mensch, dem der Umgang mit seinen Studenten immer Spaß gemacht
hat. Und der stets und von allem so absolute wie
grundsätzliche Vorstellungen hatte. Wieland erzählt: „In einer seiner Vorlesungen ergab es sich,
dass er seine Studenten fragte, wie lang denn ein
Oberhemd sein müsse. Die Studenten waren ratlos. Da stellt sich Eiermann auf den Tisch, öffnete seine Anzugshose – und ließ sie fallen. Das
Hemd reichte ihm bis zu den Knien.“
1 2+2 = 1: Adam
Wieland zersägte
Fertigung in Handarbeit
das von 2 Egon Eiermann entworfene
Die Werkstatt von Peter und Adam Wieland
lässt so gar nicht vermuten, dass hier ein Tischgestell produziert wird, das längst zu den Designklassikern zählt. Der klein und eng wirkende Raum ist vollgestellt mit Regalen und Geräten, mit Stahlrohr-Rohlingen und fast bis zur Dekke gestapelten, fertig geschweißten Tischgestellteilen, die auf die weitere Oberflächenveredelung warten. Die alten Stanzgeräte sind Spezialanfertigungen und arbeiten laut, die Schweißgeräte zischen, irgendwo in der Ecke kämpft ein
Radio gegen die Geräuschkulisse an. Vier Mitarbeiter produzieren hier in Handarbeit. „Mein
Vater“, so Peter Wieland, „hat seinem Gestell nie
einem Namen gegeben. Für unsere Kunden ist
es der Eiermann-Tisch – wir verkaufen ihn seit
2008 unter der Bezeichnung E2.“
In einem Teil des Raumes schwebt oben an der
Decke, schräg herabhängend, das ursprüngliche
Eiermann-Tischgestell mit den räumlich diagonal platzierten Querstreben. Das große Vorbild
sozusagen. Die Ikone. Unter diesem Zeichen fertigen Peter und Adam Wieland das Gestell, das bei
ihnen schlicht Tisch oder „Zeichentisch“ heißt.
Für sie beide Handwerk und lebenserfüllend. Für
so manchen Architekten Symbol seiner Arbeitswelt und im wahrsten Sinne Grundlage seiner täglichen kreativen Arbeit.
Norbert Fiebig
Tischgestell und
schweißte an die
Enden der Querstreben verschraubbare
Laschen. 3 Der Zeichentisch und 4 das
Vorläufer-Modell
des Eiermanntischs:
Das 100 kg schwere, gusseiserne und
an einer Seite höhenverstellbare
Tischgestell aus der
Zeit von 1900 entdeckte Adam Wieland in der Werkstatt eines ehemaligen Schreiners von
Egon Eiermann.
5 Peter und Adam
Wieland (v.l.n.r.) in
ihrer Metallwerkstatt. Oben an der
Decke hängt das
ursprüngliche Eiermann-Tischgestell
mit den räumlich
diagonal platzierten
Querstreben – das
große Vorbild.
6-9 Mit vier Mitarbeitern werden die
Tischgestelle in
Handarbeit hergestellt.
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