Fritz Lackinger - Vaterrepräsentanz und Perversion

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Fritz Lackinger - Vaterrepräsentanz und Perversion
Abschlußvortrag
22. Mai 2001
Die Repräsentanz des Vaters in der
männlichen Perversion.
‚Common ground‘ und Differenzen zwischen den psychoanalytischen
Hauptrichtungen
Dr. Fritz Lackinger
1. Entstehung und Inhalt der Fragestellung
In den Jahren 1995 bis 2000 konnte ich durch meine Tätigkeit in der
Justizanstalt Mittersteig ungefähr 200 männliche Sexualdelinquenten
psychologisch begutachten. Die meisten von ihnen wiesen das auf, was
in der Literatur als Perversion oder, in moderner Terminologie, als
Paraphilie beschrieben wird. In diesem Zusammenhang fiel mir auf, daß
die Patienten ihre Väter entweder kaum erwähnten, ihre Rolle für
unwichtig erklärten oder sie als besonders grausam und gewalttätig
beschrieben.
Um Ihnen ein Bild von solchen Patienten zu geben, möchte ich zwei
sexualdeviante Patienten kurz vorstellen.
Patient A verführte über Jahre hinweg Knaben zwischen 7 und 16
Jahren und Mädchen zwischen 4 und 8 Jahren zu sexuellen
Handlungen. Gewalt wendete er keine an. Er zeigte eine ausgeprägte
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Anhänglichkeit an seine Mutter. Er sagte, er möchte nicht außerhalb
ihres Einflußbereiches sein. Der Vater sei Alkoholiker gewesen und
habe jetzt eine Leberzirrhose. Die Mutter meinte, daß nur ihre
Zuneigung dem Sohn helfen könne. Der Gedanke an eine längerfristige
Trennung von der Mutter erzeugte bei dem Untersuchten panische
Angst. Vom Vater war nicht mehr weiter die Rede.
Patient B wurde zum fünften Mal wegen Exhibitionismus vor jungen
Frauen verurteilt. Er beschreibt sich als ‚schlimmes Kind‘, das nicht
lernen wollte und vom Vater häufig geschlagen und ‚weggesperrt‘
worden sei. Der Vater wird als jähzornig, stur und ungerecht
beschrieben. Er habe zu ihm wenig Vertrauen gehabt und sich bei
Schwierigkeiten immer nur an die Mutter gewandt.
Fehlende, verkommene, verstoßene, desinteressierte, distanzierte,
grausame, ja sadistische Väter. In den meisten Fällen räumen die
Patienten dem Vater keine wichtige (und jedenfalls keine positive) Rolle
in ihrer Kindheit ein. Bei erneuter Durchsicht der
Begutachtungsunterlagen fiel mir auf, daß die Patienten sogar den
Interviewer gelegentlich dazu verführt hatten, an der Verleugnung des
Vaters mitzumachen. Es fand sich dann oft kaum eine Erwähnung des
Vaters in Sozialanamnese und Krankengeschichte.
Bei längeren Psychotherapien mit solchen Patienten konnte ich jedoch
mehrmals feststellen, daß das Vaterbild keineswegs unverändert blieb.
Gelegentlich tauchten offen homosexuelle Übertragungen auf, die auf
eine passiv-feminine Einstellung gegenüber einem idealisierten Vater
zurückzuführen waren. In anderen Fällen veränderte sich v.a. das
Mutterbild, dessen Idealisierung abblätterte und dadurch einen Vater
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zum Vorschein kommen ließ, der zuvor fast vollständig ignoriert
worden war. Solche Erfahrungen ließen in mir den Wunsch nach einer
theoretischen und systematischen Berücksichtigung der Bedeutung des
Vaters in der Perversion entstehen.
Ein oberflächlicher Blick in die psychoanalytische Literatur schien
zunächst ein ähnliches Bild zu ergeben wie ich es von meinen devianten
Patienten her kannte. Die Väter von Perversen werden üblicherweise
kaum behandelt und wenn, dann werden sie als distanziert, blaß,
gleichgültig oder abwesend beschrieben. Viele AutorInnen stimmen
auch darin überein, daß bei Perversen häufig eine mütterliche
Überstimulierung stattgefunden hat, während es nur wenige Beispiele
gibt, in denen von einer wesentlichen Rolle des Vaters in der später
entstehenden Perversion die Rede ist.
Adam LIMENTANI schrieb in einer Besprechung von M. KAHNs
Buch über ‚Entfremdung und Perversion’: „Die wiederholten
Zwischenüberschriften wie ‚Die pathogene Rolle der Mutter in der
gestörten Mutter-Kind-Beziehung‘ oder ‚Die Rolle der pathogenen
Persönlichkeit der Mutter‘ sowie die Tatsache, daß es 10 Index-Bezüge
zur Mutter, aber keinen einzigen zum Vater gibt, läßt den Leser in
keinem Zweifel über die konzeptuelle Position von KHAN. In aller
Fairness möchte ich erwähnen, daß im Text kurze Bezüge zur
Wirkungslosigkeit oder exzessiven Zurückhaltung und Negativität
einiger Väter vorkommen“ (Limentani 1980, S.435).
Erst mit der in den letzten 15 Jahren anschwellenden Diskussion über
die Bedeutung des sexuellen Kindesmißbrauchs änderte sich dies, wobei
nun die Väter (neben den Müttern) zunehmend als übergriffig,
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verführend oder schlichtweg sexuell mißbrauchend dargestellt wurden.
Auch in der psychoanalytischen Perversionsliteratur kamen die Väter
nun mehr vor. ISAY (1987) berichtet etwa, daß seine perversen
Patienten kein konsistentes Muster von umschlingenden und
ungetrennten Müttern schilderten, daß sie jedoch einhellig Väter
beschrieben, die in der Kindheit distanziert gewesen seien und zu denen
sie keine wirkliche Beziehung hatten. ISAY meint jedoch, daß dies eine
Fehlwahrnehmung sei, ähnliche jener, mit der typische heterosexuelle
Männer jede Erinnerung an eine erotische Anziehung durch ihre Mütter
abwehren. Indem er seinen perversen Patienten zu mehr Zugang zu ihrer
erotischen Bindung an den Vater verhalf, habe sich ihre
Analysierbarkeit wesentlich verbessert.
Dies deckte sich ein Stück weit mit meinen Erfahrungen in der JA
Mittersteig. Aber wie konnten solche empirischen Befunde mit der
psychoanalytischen Theorie verbunden werden? Wie gelingt dies in den
verschiedenen psychoanalytischen Ansätzen? Gibt es inzwischen
gemeinsame Sichtweisen zwischen diesen Ansätzen oder gehen sie in
ganz verschiedene Richtungen? Die folgenden Kapiteln stellen den
Versuch dar, das Verständnis der väterlichen Repräsentanz in den
verschiedenen Hauptrichtungen der psychoanalytischen
Perversionstheorie vergleichend zu untersuchen und zusammenfassend
zu bestimmen, worin ein ‚common ground‘ in der Psychoanalyse von
heute besteht und was weiterer Forschung bedarf. Der Aufbau meiner
Arbeit ist folgende: Freud, Ich-Psychologie, Kleinianer, Lacanianer,
franz. Nicht-Lacanianer, anschließend eigenes klinisches Beispiel und
zusammenfassende Diskussion.
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2. Der Vater in der Perversionsauffassung FREUDs
Bei FREUD lassen sich 3 Phasen unterscheiden:
A)
Noch in den ersten Auflagen seiner Drei Abhandlungen zur
Sexualtheorie (1905 und 1910) behandelte FREUD die Perversionen
fast ausschließlich als Trieb-Phänomen. Sein erstes Axiom lautete,
die Neurose sei das Negativ der Perversion. Perversionen
repräsentierten schlicht ein Bestehenbleiben infantiler Triebregungen,
die v.a. aus konstitutionellen Gründen keiner Verdrängung
unterlagen.
B)
1915 ergänzte FREUD in einem Zusatz zu den Drei
Abhandlungen, daß den Perversionen nicht nur Fixierungen, sondern
auch Verdrängungen zugrunde lägen (Freud 1905d, S.133 Anm.).
Verdrängt würden frühe genitale Strebungen, wobei erst die
Verdrängung zur Regression auf die prägenitalen, perversen Stufen
führe. Dies ist eine gewaltige Umformung der Theorie, denn bis dahin
waren die Perversionen gerade durch das Fehlen der Verdrängung
charakterisiert worden. Nun meint FREUD, auch der später Perverse
erreiche zunächst die frühe genitale Stufe (der Begriff phallische
Stufe wird erst 1923 eingeführt), scheitere aber in einer spezifischen
Weise am Ödipuskomplex. Dieser sei nicht nur der Kernkomplex der
Neurosen, sondern auch der Kernkomplex der Perversionen.
Die These wurde v.a. in FREUDs Studie Ein Kind wird geschlagen
ausgeführt (vgl. Freud 1919e, S.213f.) und bleibt in FREUDs Denken
über die Perversionen bis zum Schluß ein zentrales Axiom. Nach
FREUD hat die Phantasie, ein Kind werde geschlagen, eine
komplizierte Entwicklungsgeschichte, auf die ich hier im Detail nicht
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eingehe. Jedenfalls sind es typischerweise masochistische Männer,
bei denen man diese Phantasie findet (vgl. Freud 1919e, S.217f.). Sie
fühlen sich selbst immer irgendwie weiblich, jedenfalls nicht wirklich
männlich. Die Ursache dafür sei das Vorherrschen des negativen
Ödipuskomplexes. Aufgrund ihres unbewußten Verhaftetbleibens in
ebendieser negativen ödipalen Einstellung, identifizierten sie sich mit
der Mutter, wehrten aber gleichzeitig ihre Homosexualität ab, indem
sie in der perversen Phantasie den Vater durch die Mutter ersetzten
(ebd., S.220). Dies erkenne man daran, daß bei Männern, die diese
Phantasie hätten, die züchtigenden Personen immer Frauen seien. Das
Schlagen selbst repräsentiere v.a. eine Regression von der genitalen
auf die anal-sadistische Stufe, wodurch eben die gewünschte
Berührung der Genitalien durch Schlagen auf das Gesäß ersetzt
werde. Dadurch könne gleichzeitig auch das Schuldgefühl befriedigt
werden. Die Frage, woher die Neigung zu der besonderen Stärke des
negativen Ödipuskomplexes kommt, wird von FREUD mit Hinweis
auf die Konstitution beantwortet (ebd. S.221).
Die Art, wie FREUD 1919 den Ödipuskomplex mit der Genese der
Perversion in Verbindung bringt, rückt die Perversionen und die
Neurosen noch näher zusammen, als dies bereits im ersten
FREUDschen Axiom (1905) der Fall gewesen war, demzufolge die
Neurose nichts als das Negativ der Perversion war. Tatsächlich findet
ja FREUD die Phantasie, ein Kind werde geschlagen, sowohl bei
neurotischen als auch bei perversen Patienten, wobei
interessanterweise die weiblichen Patienten vornehmlich
Neurotikerinnen, die männlichen vornehmlich Perverse waren.
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FREUD trifft zwischen den beiden Entwicklungsergebnissen aber
keine prinzipielle Unterscheidung, abgesehen von der Vermutung,
daß die Konstitution die beiden Geschlechter eben unterschiedlich
disponiere.
Was den Vater betrifft, so steht er in beiden Fällen am Beginn der
ödipalen Besetzung durch das Kind. Beim Mädchen wird die Liebe
zum Vater im positiven Ödipuskomplex zum Ausgangspunkt einer im
wesentlichen neurotischen Entwicklung. Hingegen wird beim Knaben
die libidinöse Besetzung des Vaters und der negative Ödipuskomplex
zum Ausgangspunkt einer Perversion. Die Tatsache, daß der Vater für
den Knaben sowohl libidinöses Objekt als auch anschließend Quelle
der Bestrafung (Kastration) wird, scheint irgendwie dazu zu führen,
daß die regressiv belebten prägenitalen Triebe nicht von der
Verdrängung erfaßt werden.
C)
Die dritte Phase bringt schließlich die Analyse der spezifischen
Abwehrmechanismen, die für die Perversion charakteristisch sind.
Dabei geht es vor allem darum, den typischen Realitätsverlust der
Perversen und damit den zentralen Unterschied zu den Neurotikern zu
erklären. In FREUDs klassischer Fetischismus-Arbeit (1927) wird der
Fetisch als Substitut des mütterlichen Penis betrachtet. Die Analyse
zeige, so FREUD, daß Sinn und Absicht des Fetischs immer darin
bestehen, den fehlenden Penis der Frau zu ersetzen. Der Penis der
Mutter spiele in der präödipalen Zeit aller Kinder eine große Rolle, er
solle später aufgegeben werden. Der Fetisch schütze ihn jedoch vor
dem (psychischen) Untergang. Diese Idee war erstmals in der
Leonardo-Studie (1910) vertreten worden, und kam durch eine
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spätere Fußnote auch in die Drei Abhandlungen. „Der Hergang war
also der, daß der Knabe sich geweigert hat, die Tatsache seiner
Wahrnehmung, daß das Weib keinen Penis besitzt, zur Kenntnis zu
nehmen. Nein, das kann nicht wahr sein, denn wenn das Weib
kastriert ist, ist sein eigener Penisbesitz bedroht, und dagegen sträubt
sich das Stück Narzißmus, mit dem die Natur vorsorglich gerade
dieses Organ ausgestattet hat” (Freud 1927e, S.312).
FREUD nannte diesen Vorgang Verleugnung. Ihr zum Trotz bleibt
jedoch auch beim zukünftigen Fetischisten der kindliche Glaube an
den mütterlichen Phallus keineswegs unverändert. Er wird bewahrt
und aufgegeben gleichzeitig. Und es findet eine primärprozeßhafte
Kompromißbildung statt. Der weibliche Penis bleibt nur noch im
Psychischen bestehen, in der äußeren Realität bekommt er einen
Ersatz, eben den Fetisch.
1938 beschreibt er, welch schwerwiegende Folgen dieser Kompromiß
mit sich bringt. Er führe nämlich zu einem „Einriß im Ich”, der nie
wieder verheilen, sondern sich stetig vergrößern wird. „Die beiden
entgegengesetzten Reaktionen auf den Konflikt bleiben als Kern einer
Ich-Spaltung bestehen” (Freud 1940e, S.60).
Verleugnung und Ich-Spaltung sind also für den späten FREUD die
spezifischen Abwehrmechanismen der Perversion. Die Ursachen
ihres Wirksamwerdens liegen außer in den weiterhin für wesentlich
gehaltenen konstitutionellen Faktoren v.a. in einer besonders starken
Kastrationsangst. Diese wird von FREUD einerseits mit einer
traumatischen Konfrontation mit dem weiblichen Genitale in
Verbindung gebracht, andererseits mit der väterlichen
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Kastrationsdrohung. Der grausame, sadistische Vater ist bei FREUD
jedoch keineswegs die einzige Konstellation, die sexuelle
Abweichung beim Sohn zur Folge haben kann. In einer späten
Fußnote zu den Drei Abhandlungen wies er, wenn auch in Bezug auf
die Homosexualität, auf die Bedeutung des Vorhandenseins beider
Elternteile hin, und meinte: „Der Wegfall eines starken Vaters in der
Kindheit begünstigt nicht selten die Inversion“ (Freud 1905d [1915],
S.44). Das Verhältnis von Homosexualität und Perversion kann hier
nicht diskutiert werden, für FREUD basierten beide über weite
Strecken auf parallelen Mechanismen.
3. Der Vater in der ich-psychologischen Konzeption
der Perversion
3.1.
Frühe Triangulierung
Wann taucht der Vater in der psychischen Welt des Kindes auf? Welche
Rolle spielt er in den verschiedenen Subphasen der SeparationIndividuation? Wann nimmt das Kind eine separate Beziehung zwischen
den Eltern wahr und wie reagiert es darauf? Solche Fragen wurden
insbesondere von Ernst ABELIN (1971, 1975) aufgegriffen. Er
entwickelte sein später berühmt gewordenes Konzept der frühen
Triangulierung unter der Leitung von M. MAHLER im Masters
Children Center. Frühe Triangulierung bezeichnet einen Prozeß, der von
realen Beziehungen zu verinnerlichten Bildern führt. Es geht also um
Repräsentanzen und Bilder, nicht um reale Personen. ABELIN bewegte
sich innerhalb von MAHLERs Theorie der Separation/Individuation, die
von einer ursprünglich symbiotischen Verbundenheit zwischen Mutter
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und Kind ausgeht, aus der sich das Kind Schritt für Schritt lösen muß.
ABELIN (1971) betrachtete den Vater als eine zentral hilfreiche Person
bei der Lösung von der symbiotischen Mutter. „Das Kind benötigt die
Kontrastrepräsentanz eines dritten Objekts, um sich ... aus der
Verschmelzung mit der Mutter-Imago loslösen zu können“ (Rotmann
1978, S.1127, zit. n. Metzger 2000).
Abgesehen vom Vater als drittem Objekt wies ABELIN auch auf die
elterliche Paarbeziehung hin, von der sich das Kind ausgeschlossen
erlebt. Als Reaktion auf die Erfahrung des Alleinseins kommt es auch
zur Entdeckung des Selbst. Denn nur indem es sich seines eigenen
Begehrens (in Analogie zum väterlichen bzw. mütterlichen) bewußt
wird, kann es sich an die Stelle eines der beiden Elternteile phantasieren.
Es ist also im stereoskopischen Doppelspiegel seiner Eltern, daß sich
das Kind erstmals selbst sieht, d.h. Subjekt wird. Unbewußte Imitation
des symbiotischen Objektes wurde ein Wunsch nach dem Objekt und
gleichzeitig eine Entdeckung des Selbst.
Nach gelungener Triangulierung kann sich das Kleinkind als Mitglied
einer kleinen Gruppe sehen, wobei die Binnenbeziehungen in der
Gruppe libido- und aggressions-neutralisiert sind. Bei gescheiterter
Triangulierung kommt es zu Defiziten im Selbstbild, bei der Objektliebe
sowie bei der Besetzung abstrakter Denkprozesse, alles Phänomene, die
für Patienten mit perverser Symptomatik besonders charakteristisch
sind.
3.2.
Sexuelle Identitätsstörung
FREUD meinte, der Knabe beschreite von Anfang an einen
heterosexuellen Entwicklungsweg, der weniger kompliziert sei, als der
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der Mädchen (vgl. etwa Freud 1933a, S.126ff). Dies erklärt jedoch die
größere Häufigkeit von Perversionen bei Männern gerade nicht. Robert
STOLLER, der sicherlich prominenteste Autor auf diesem Gebiet seit
Mitte der 70er Jahre, betont demgegenüber, daß Kinder beiderlei
Geschlechts zunächst eine primäre weibliche Identifizierung aufbauen.
Männer müssen sich, um männlich zu werden, von der Mutter wieder
des-identifizieren. Dies ist eindeutig der kompliziertere Weg zur
Geschlechtsidentität, und daher auch der störungsanfälligere. Nach
STOLLER liegt der Perversion v.a. eine Störung der
Geschlechtsidentität zu Grunde, d.h. eine Störung der Entwicklung von
Männlichkeit.
Die STOLLERsche Perversionstheorie kann in folgenden 4 Punkten
zusammengefaßt werden:
A)
Der Knabe beginnt sein Leben nicht als Heterosexueller (wie
FREUD meinte), sondern muß sich vielmehr erst von der
Weiblichkeit der Mutter loslösen und differenzieren. Männlichkeit ist
kein angeborener Zustand, vielmehr ist eine gewisse rudimentäre
Weiblichkeit auch bei Knaben naturgegeben. Die Symbiose mit der
Mutter fördert keineswegs ein männliches Urgefühl. Die Entwicklung
eines männlichen Ichs kann sich nur dann gegen die weibliche
Uridentifizierung durchsetzen, wenn die Mutter die Entwicklung der
Männlichkeit unterstützt. Fühlt die Mutter jedoch Ressentiments
gegen Männer, dann wird ihre Ambivalenz die Störungen der
Männlichkeit ihres Sohnes bis ins einzelne prägen.
B)
Die Furcht der Männer vor einer Bedrohung ihrer Männlichkeit
läßt verschiedene Abwehrmaßnahmen gegen die Anziehungskraft
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einer neuerlichen Verschmelzung mit der Mutter entstehen. Die
Symbioseangst bezieht sich auf ein inneres primitives Verlangen,
obwohl die Abwehr dagegen (in Form von Chauvinismus und
Frauenverachtung) (projektiv) auf äußere Zustände zielt. Ebendiese
Abwehr ist die entscheidende Quelle der Feindseligkeit, die allen
Perversionen innewohnt. Je weniger die Entidentifizierung von der
Mutter gelungen ist, umso größer ist später die Symbioseangst, und
umso mehr muß sie projektiv bekämpft werden. „Es bleibt zu fragen,
ob Perversion auf primitivstem Niveau nicht äußerste Trennung ist:
Muttermord (eher als Vatermord, wie FREUD vermutet haben mag)“
(Stoller 1975a, S.192).
C)
In perversen Phantasien, in perversen Inszenierungen und auch im
erregten Betrachten pornographischer Darstellungen wird ein reales
Kindheitstrauma, das sich gegen das eigene Geschlecht oder die
eigene Geschlechtsidentität richtete, detailgetreu wiederholt. Die
Wiederholung findet allerdings gewissermaßen spiegelverkehrt statt.
Bei jeder perversen Handlung, sei es mit anderen oder alleine beim
Masturbieren, wird ein Triumph gefeiert, ein Triumph über die
Gefahr, der das eigene Geschlecht ausgesetzt war. Der
Wiederholungszwang stammt aus der ‘ewigen’ Wiederkehr der
unbewußten, traumatischen Bedrohung der sexuellen Identität
aufgrund der fehlenden Auflösung der primären Identifizierung.
D)
Wesentlich für die ‘Fixierung’ der perversen Lösung ist die
Lustprämie. „In der perversen Handlung erlebt man die traumatische
oder frustrierende Situation, die den Prozeß in Gang setzte, immer
und immer wieder, aber nun hat sie ein wunderbares, kein
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schreckliches Ergebnis, denn man entgeht nicht nur der Bedrohung,
sondern erfährt eine ungeheure sinnliche Befriedigung in der
Erfüllung“ (a.a.O., S.140). „Orgasmus ist folglich nicht nur eine
Entladung oder Ejakulation, sondern ein glücklicher, megalomaner
Befreiungsausbruch aus der Angst“ (a.a.O., S.142).
Der Vater kommt bei STOLLER wenig vor. Die im vorletzten
Abschnitt beschriebenen Einsichten in die Rolle des frühen Vaters
haben sich also bislang noch kaum in der ich-psychologischen
Perversionsliteratur niedergeschlagen. Im Sinne ABELINs ließe sich
aber vielleicht ergänzen, daß das, was STOLLER als Mangel an DesIdentifizierung von der Mutter bezeichnet, auch ein Scheitern der frühen
Triangulierung impliziert. Die Trennung von der Mutter gelingt eben
gerade deshalb nicht, weil der Dritte fehlt, mit dem sich das Kind zur
Herausbildung eines getrennten Selbst-Gefühls identifizieren könnte.
Tatsächlich beschreibt STOLLER (1975b) die Väter der Perversen als
zumeist distanzierte Männer, denen es an reifer Männlichkeit fehlt und
die sich selbst im Unbewußten als kastriert erleben. Von einem Vater
berichtet er, daß er von seiner Mutter bei mehreren Gelegenheiten als
Mädchen gekleidet worden sei, ein anderer sagte, daß er eine jüdische
Hausfrau werden wollte, wenn er wiedergeboren werden sollte.
4. Der Vater in kleinianischen Perversionsmodellen
4.1.
Meltzers Konzept
Donald MELTZER (1973) geht von FREUDs Konzept der Urszene aus
(vgl. Freud 1918b), ergänzt dieses jedoch durch M. KLEINs Analyse
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der Phantasien über das Innere des mütterlichen Körpers. Sexuelle
Erregung, Rivalität und Haß führen im Kontext der Urszene zu einem
phantasierten Eindringen des Kindes in den elterlichen Koitus. Daran ist
noch nichts Pathologisches. Der entscheidende Punkt, der normale
infantil-polymorphe von perversen Zuständen unterscheidet, ist die
Motivation, die im gesunden Fall eine grundlegend gute ist, nämlich die
Suche nach einem Umgang mit ödipaler Eifersucht und ödipalem Haß,
die die ansonsten liebende Haltung gegenüber den Eltern gefährden. Bei
der perversen Sexualität kommt eine zusätzliche Figur in die Urszene:
„der Fremde, der Außenseiter, der Feind der elterlichen Fruchtbarkeit,
der familiären Harmonie, ja der Liebe. Es ist der Böse, der Zyniker, der
Verderber, der Träger des Kainsmals“ (Meltzer 1973, S.90).
Um die Herkunft dieses destruktiven Anteils zu verstehen, greift
MELTZER auf M. KLEINs These zurück, daß eine primäre Spaltungund-Idealisierung von Selbst und Objekt notwendig ist, damit überhaupt
eine Persönlichkeitsentwicklung in Gang kommen kann. Ohne sie ist
das Überleben des Säuglings gefährdet oder es kommt zu einer
autistischen Einkapselung. Durch diese Spaltung-und-Idealisierung
entsteht aber auch ein Selbstanteil, der mit dem bösen Teil des Objektes
verschmolzen und feindselig in seiner Absicht gegenüber den
idealisierten Selbst- und Objektanteilen ist.
Perversion bezeichnet nach MELTZER sexuelle psychische Zustände,
die durch die Führung dieses destruktiven Persönlichkeitsanteils erzeugt
werden. Ihr Kern ist immer der sexuelle Sadismus. Sie ist von
überwältigendem Neid gegenüber der Güte, Großzügigkeit, Kreativität,
Harmonie und Schönheit von guten Objekten geprägt. Im allgemeinen
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ist der böse Anteil nur unter bestimmten Umständen fähig, die gesamte
Persönlichkeit zu dominieren. Die erste Bedingung ist ein sadistisches
Über-Ich, das weitgehend vom Entwicklungsmilieu abhängt, aber den
bösen Anteilen eine unangreifbare Struktur gibt. Die zweite Bedingung
betrifft die Stärke des bösen Anteils, die wiederum mit der relativen
Schwäche des guten Anteils, d.h. der Liebesfähigkeit, zusammenhängt.
Dieses Kräfteverhältnis reflektiert sowohl konstitutionelle Faktoren als
auch den Einfluß traumatischer Erlebnisse. Die Unterwerfung des guten
durch den bösen Selbstanteil führt zu einer Verkehrung der Werte.
„Teufel, sei Du mir mein Gott“, so lautet das Motto des Perversen.
Die emotionale Qualität sexuell-sadistischer psychischer Zustände ist
grundlegend manisch. Es ist nicht die Sinnlichkeit, die begehrt wird,
sondern die triumphierende Abschaffung von depressiver und sogar von
Verfolgungsangst. Die Anfälligkeit der ‘guten’ Anteile der infantilen
Struktur hängt von drei Faktoren ab. Erstens von der Einstellung zu
psychischem Schmerz, zweitens vom Grad an Integration der guten
Anteile und drittens vom Ausmaß an Vertrauen in gute Objekte.
V.a. der letzte Punkt ist für die Untersuchung der Vaterrepräsentanz von
Bedeutung. Der modifizierende Umgang der Mutter mit den projektiven
Identifikationen des Säuglings führt normalerweise zum Aufbau einer
idealisierten inneren Brust, die als Zentrum der Abhängigkeit und als
Kern der Hoffnung fungiert. Penis und Vater schützen diesen Kern in
Zeiten, in denen er von den sadistischen Angriffen des Kindes zerstört
zu werden droht. Das gute mütterliche Objekt kann also nur mit Hilfe
eines guten väterlichen Objekts bewahrt werden. Während allerdings die
guten Anteile der Persönlichkeit anfällig für die Spaltungstechniken des
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destruktiven Anteils sind, scheint dies umgekehrt nicht zu gelten. Der
destruktive Teil, wenn er einmal stark genug ist, bewahrt seine Einheit
und versucht seinen Einfluß auszuweiten.
In der paranoid-schizoiden Position führt die Herrschaft des
destruktiven Anteils zur Ermordung der inneren Kinder der Mutter.
Hinter allen panischen Ängsten versteckt sich immer die Phantasie vom
toten Kind. Nun kann bei einem gesunden Kind das in der Phantasie
ermordete Baby wiederbelebt werden und zwar durch die reparative
Kapazität der inneren Eltern und ihres kreativen Koitus.
Falls aber die Abhängigkeit von der reparativen Kapazität der inneren
Objekte durch ödipale Eifersucht und/oder destruktiven Neid verhindert
wird, kann diese Wiedergutmachung nicht stattfinden. Wo Abhängigkeit
von guten inneren Objekten durch schädigende masturbatorische
Attacken unmöglich gemacht wird, stellt sich eine süchtige Beziehung
zu einem bösen Selbstanteil her. Durch die Allwissenheit des
destruktiven Teils wird eine Illusion von Sicherheit verkündet. Die
zentrale Struktur der Perversion besteht aus ‚guten‘ kindlichen Anteilen,
die in einer Stimmung der Verzweiflung ihre Abhängigkeit von den
Eltern abgewandt und durch Passivität gegenüber bösen Selbstanteilen
ersetzt haben. Im Prozeß dieser Kapitulation wird jeder psychische
Schmerz beseitigt, v.a. wird die lauernde Panik scheinbar beschwichtigt.
Der Impuls, zu pervertieren, ist dem süchtigen wie dem delinquenten
Impuls verwandt, und zwar durch den Wunsch, gute Objekte aufgrund
ihrer guten Eigenschaften hilflos zu machen. In anderen Worten: Der
böse, destruktive, satanische Teil ist in ewiger Opposition zu den guten
Objekten, v.a. dem kombinierten Objekt „Brust-und-Nippel“ der Mutter.
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Er sucht die guten Beziehungen anderer Selbstanteile zu diesem Objekt
zu pervertieren und diese in süchtiger Passivität an sich zu binden. Zu
diesem Zweck benützt er alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel:
Verführung, Drohung, Zwang, Verwirrung, Intoleranz der guten Teile
gegenüber depressivem Schmerz, u.ä.. Er versucht zu pervertieren und
süchtig zu machen.
4.2.
Eine Fallgeschichte
In einem Artikel, der auch auf deutsch erschienen ist, hat MELTZER
(1968, S.288 ff.) eine ausführliche Falldarstellung veröffentlicht, die
auch die Bedeutung des Vaters in der Perversion sehr plastisch werden
läßt.
Der Patient, der ursprünglich nicht wegen einer Perversion
sondern wegen somatischer Probleme in Analyse gegangen war,
zeigte auch eine beträchtliche Charakterpathologie. Er neigte
„etwa ständig zu Wortspielen und Karikaturen der Worte anderer
Menschen, rief eine Flut geschickt getarnter pornographischer
Limericks hervor, (und) sorgte für eine erbarmungslos zynische
und snobistische Argumentationsweise“ (Meltzer 1968, S.289).
Dieser Teil, der in Träumen als Fuchs in Erscheinung getreten
war, wurde von MELTZER als „the foxy part“ bezeichnet. Er
entsprach einem destruktiven inneren Objekt, dem sich der
Patient über weite Strecken unterworfen hatte. Der zynische,
schlaufüchsige Selbstanteil leitete sich aus einer Erfahrung her,
wo sich nach dem Tode seines Vaters die Mutter tyrannisch und
besitzergreifend auf ihn gestürzt hatte und er keinerlei Hilfe mehr
in seinem Ringen mit seinen zerstörerischen ödipalen Phantasien
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erlebte. Die Entwertung und Verachtung gegenüber der Mutter
spiegelte sich deutlich in seinem perversen Ritual. Dabei saß er in
einer Chauffeursuniform auf dem Schlauch eines Autoreifens,
hielt ein Glas Whisky in der Hand und masturbierte genital und
anal. In einem Traum sah er sich auf einem Schlauch sitzend
defäzieren. Der Schlauch repräsentierte die Mutter und der Inzest
war zu einem analen Akt erniedrigt. Es gab aber auch folgende
Erinnerung zu dem Traum. Sein Vater hatte während einer
Spazierfahrt mit der Familie einen Reifenplatzer und mußte
anschließend den Reifen reparieren, aufblasen und
wiederanbringen, da das Reserverad fehlte. Als der kleine Junge
seinem Vater zusah wurde er von sexueller Erregung überwältigt.
Er entwickelte anschließend das Symptom, aus einem Reifen
seines Fahrrads die Luft auszulassen, zu warten, bis ein Polizist
herankam, und dann den Reifen mit dem Mund aufzublasen,
während ihm der Polizist zusah. Die Reparatur des Reifens durch
den Vater hatte sich mit der Urszenen-Phantasie des Jungen
verbunden und zu einer sexuellen Erregung geführt. Das
unmittelbar anschließende Symptom des Reifenaufblasens mit
dem Mund repräsentierte noch eine mehr neurotische
Verarbeitung, in der er sich selbst schlicht an die Stelle des
Vaters setzte und das Schuldgefühl in Form des Polizisten
erfolgreich externalisierte. Erst der Tod des Vaters und die
dadurch deutlich werdende Unfähigkeit der Mutter, dem Kind
weiterhin eine triangulierte psychische Situation zu bieten, ließen
die guten Objekte des Jungen untergehen und eine narzißtische
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und sadistische Phantasie an ihre Stelle treten: er sei nicht nur
der, der den Reifen aufgeblasen habe, sondern er könne ihn auch
vollständig beherrschen und in eine Latrine verwandeln.
MELTZER beschreibt weiter, wie sich „der Kampf darum, die
Perversion aufzugeben, (...) deutlich als Kampf um die Entwicklung von
Vertrauen in die Analyse und in die analytischen Eltern zu erkennen“
(a.a.O., S.292) gab. „Wie aber sein Vertrauen wuchs, so wuchs auch
seine Identifikation mit einem guten und mutigen ‚Daddy‘“ (a.a.O.,
S.293). „In einem (...) Traum wurde er von einer Frau ausgeschimpft,
weil er mit seiner Brennspirituslampe ein Feuer im Herd entfacht hatte.
Sie befahl ihm dazubleiben und sagte, sie würde die Feuerwehr rufen; in
der Zwischenzeit würde die automatische Spritze die Dinge unter
Kontrolle halten. Mit einem Wort, seine innere Mutter verbot ihm seine
manische Wiedergutmacherei und versicherte ihm, ihr innerer Penis
reiche aus, bis ‚Daddy‘ einträfe“ (a.a.O., S.294).
MELTZER beschreibt, wie der Patient nach weiterer Durcharbeitung
der Thematik des Vertrauens und der Abhängigkeit in Bezug auf gute
Objekte in der Übertragung seine narzißtisch-arroganten Formen der
Abwehr weiter reduzieren und schließlich auch das letzte Festhalten an
der Perversion aufgeben konnte. Auch wenn der Vater als äußere Person
nicht wieder lebendig werden konnte, so konnte die Analyse doch das
innere Vaterbild korrigieren. Er war nun nicht mehr einer, der einfach
abwesend und deshalb völlig wertlos war, sondern er wurde zu einem,
der einmal da war, der bewundernswerte Fähigkeiten hatte und der im
Inneren der Mutter und seiner selbst einen wichtigen Platz bewahrt
hatte.
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5. Der Vater in LACANs Theorie der perversen
Struktur
5.1.
Die zwei logischen Momente des „no(m)-du-pere“
LACAN meint, daß wir uns, wenn wir auf die Welt kommen, dem
Begehren des Anderen als Partialobjekt anbieten, daß wir
gewissermaßen sein Begehren gewinnen wollen. Der Perverse hat einen
Vater, dessen Begehren ihm nicht deutlich wird. Deshalb identifiziert er
sich besonders mit dem imaginären Objekt des Begehrens der Mutter,
insofern dieses im Phallus verkörpert ist. Der imaginäre Phallus ist kein
verschiebbares Symbol, sondern ein unsymbolisiertes, nichtrepräsentierbares Ding – und das Kind versucht, für sie dieses Ding zu
werden. Es versucht ihr kleiner Ersatzpenis zu sein.
Dabei nimmt das Kind unbewußt eine Subjektposition ein, in der es
völlig identisch ist mit dem Objekt ‘klein a‘ der Mutter, also mit dem
Objekt, das das Loch in der Mutter füllt. Der Andere (also in diesem
Fall die Mutter) ist zwar nicht (mehr) ‘ganz’ für den Perversen. Sie hat
einen Mangel, mit dem man sich identifizieren kann. Eine
‚Entfremdung‘ zwischen Mutter und Kind hat stattgefunden. Das
unterscheidet seine strukturelle Situation von jener des Psychotikers, der
als Subjekt des Begehrens gar nicht geboren wird, weil er an der Mutter
kein Begehren wahrnimmt. Er bleibt mit der Mutter verschmolzen, sein
Sein ist ihr Sein. Eine Seinsfrage stellt sich nicht. Hingegen: Auf die
Frage, was bin ich?, antwortet der Perverse: Ich bin das, was meiner
Mutter fehlt. Für ihn gibt es also die Seinsfrage, aber es gibt keine
persistierende Frage, keine dauernde Frage seinen Lebenssinn
Seite
20
betreffend.
Eine vollständige Trennung von Kind und Mutter herbei zu führen,
würde bedeuten, das Kind dazu zu bringen, nicht mehr der imaginäre
Phallus der Mutter zu sein, sondern einen symbolischen Phallus zu
haben. “Wenn der ‘Name-des-Vaters’ sprechen könnte, würde er sagen:
‘Du bist nicht der Phallus’” (J.-A. Miller: Donc, 29.6.1994, zitiert nach
Fink 1997). Solange der Knabe der Phallus für die Mutter ist, kann er
keine symbolische Position einnehmen. Er kann niemand sein, auf den
die Mutter stolz ist, denn er ist jemand, mit dem die Mutter kuschelt und
durch den sie vielleicht sogar einen Orgasmus bekommt. Er kann sich
nicht in der Welt seinen eigenen ‘Namen machen’, er kann nicht nach
symbolischen Attributen streben, denn er ist gefangen in der imaginären
Unmittelbarkeit des mütterlichen Begehrens.
LACAN meint: Erst wenn ein Begehren benannt wird, verringert sich
das Gewicht des Bedürfnisses und eröffnet sich ein Raum des
Begehrens. In einem solchen Raum kann sich ein Begehren bewegen
und entwickeln und kann das Kind sein eigenes Begehren nach dem
mütterlichen Vorbild formen. LACAN sagt, das Wort sei der Tod der
Sache. D.h. mit der Benennung des “realen Mangels” wird dieser,
nämlich der Mangel, ein Stück weit neutralisiert. Das Wort ist viel
weniger gefährlich als das Ding. Wörter kann man mit anderen Wörtern
verbinden, man kann einen Scherz machen usw.
Sobald das Begehren der Mutter benannt ist, kann das Objekt, das das
Kind für die Mutter war, nicht mehr existieren. Denn sobald ein
Begehren artikuliert ist, bleibt es nicht unverändert, es wandert vielmehr
metonymisch von einer Sache zur nächsten. Begehren ist ein Produkt
Seite
21
der Sprache und kann daher gar nicht mit einem Objekt befriedigt
werden. Anstatt mit einem Objekt identifiziert zu sein, wird das Kind zu
einer Frage gedrängt, zu der Frage, was will meine Mutter? Etwas, was
die ganze Reihe von konkreten Dingen, die ihr Begehren erwecken,
verbindet, - der Phallus, allerdings der symbolische Phallus. Indem der
Perverse zwar eine Frage vernimmt, aber nur eine präsymbolische
Antwort findet, steht er zwischen dem Psychotiker und dem Neurotiker.
Bruce FINK (1997) konzeptualisiert die lacanianische PerversionsTheorie, indem er zwei logische Momente innerhalb der väterlichen
Metapher differenziert. Man könne sagen, daß der Perverse zwar ‚die
Entfremdung‘ durchgemacht habe, nicht aber ‚die Trennung‘. Das erste
Moment meint das väterliche Verbot der körperlichen Lust zwischen
Mutter und Kind (das Verbot des Genießens). Die väterliche Metapher
nimmt hier die Form des ‘no’-du-pere, des väterlichen Neins an. Das
zweite Moment betrifft die Symbolisierung des mütterlichen Mangels,
d.h. seine Konstituierung als Mangel per Namensgebung. Hier tritt die
väterliche Metapher als die vom Vater gegebene Benennung des
mütterlichen Begehrens auf (le nom-du-pere).
5.2.
Die Inszenierung des Vaters: ein Fallbeispiel
In lacanianischer Terminologie gesprochen, lag Freuds Betonung bei der
Analyse der Perversion auf der hartnäckingen Verweigerung gegenüber
dem Gesetz, also auf der Weigerung, Befriedigung zu opfern. LACANs
Betonung liegt stärker auf der Funktion, die die Perversion in der
Abwehr der Angst spielt. Was soll der perverse ‘Wille’, sein ‘Zwang
zum Genießen’ verschleiern bzw. unbewußt machen? In wessen Dienst
steht das Genießen beim Perversen?
Seite
22
Wenn sich die Perversion auch häufig als ungebremste Suche nach
Befriedigung darstellen mag, so ist ihre Funktion nach LACAN
paradoxerweise doch gerade die Begrenzung der Befriedigung, die
Etablierung des Gesetzes, oder das Erschaffen des Anderen als Gesetz.
Das Ziel des Masochisten z.B. ist es, den ‚Partner‘ (d.h. den Anderen)
dazu zu bringen, das Gesetz zu verkünden, d.h. eine Strafe für sein
entgrenztes Verhalten zu verhängen. (Das sogenannte ‘Rütteln-amWatschenbaum’ ist eine weithin bekannte Variante davon.) Begehren ist
für LACAN ja immer eine Abwehr, eine Abwehr gegen das
Überschreiten einer bestimmten Grenze im Genießen (Lacan 1966,
S.825). Hierin ist das Begehren des Perversen keine Ausnahme. Die
grundlegende Phantasie (auch) des Perversen definiert ihn in Beziehung
zum Gesetz. Während der Neurotiker (in seiner grundlegenden
Phantasie) das begehrt, was ihm das Gesetz des Vaters verboten hat,
begehrt der Perverse, daß das Gesetz überhaupt in Kraft tritt. LACAN
spielt mit der französischen Sprache, wenn er ‘pere-version’ als
sprachlichen Ausdruck jenes Appells des Perversen an den Vater
auffaßt, durch den er hofft, daß die väterliche Funktion doch noch
wahrgenommen und ausgeführt wird.
FINK (1997, S.181ff.) beschreibt den Fall
einer Mutter, die ihren kleinen Sohn als krank hinstellt, um ihn
ständig betreuen zu können. Ihre Behandlung verwandelt ihn in
ein rotes, geschwolles, pu-lassendes Objekt, das er selbst später
als ‘lebendigen Dildo’ bezeichnet. “Auf der Seinsebene ist er das
reale Objekt, das sie haben will, um sich ganz zu fühlen” (S.182).
Der Vater führt keine Trennung von Mutter und Kind herbei und
Seite
23
er ist auch in keiner Weise das Objekt des mütterlichen
Begehrens. Da es außer ihm selbst nichts gibt, wohin das
Begehren der Mutter gezogen würde, kann sich der Sohn auch
nicht fragen, was denn das Begehren der Mutter sei, denn er weiß
es. Er soll ihr reales Gegenstück im Leben sein. Es gibt da nichts
Symbolisches in ihrem Begehren. Ein Objekt zu sein, ist das
Gegenteil vom Haben eines symbolischen Platzes. Das bedeutet,
daß wichtige Bedingungen für eine psychotische Entwicklung
gegeben sind.
Mit 6 Jahren wurde der Sohn Blinddarm operiert. Als er erwacht
sitzt sein Vater mit dem herausgeschnittenen Appendix in einem
Glas vor ihm und strahlt das entfernte Organ an. Von diesem
Zeitpunkt an, verweigerte der Sohn das Mitspielen bei den
‘Behandlungen’ der Mutter. Er weigerte sich also, ihr Penis zu
sein. Die Anwesenheit des Vaters nach der Operation scheint
schließlich doch eine Art (Verlust symbolisierende) Kastration
bewirkt zu haben. Eine Entfremdung zwischen Sohn und Mutter
trat ein. Der Vater löscht hier die Mutter, indem er quasi das ihm
Geschuldete eintreibt (nämlich das entfernte Organ). Die
väterliche Metapher wird doch noch in Kraft gesetzt, der Sohn
wird nicht psychotisch.
Die Mutter betrachtet ihn jedoch weiterhin als ‘ihren kleinen
Mann’. Seinen Penis bezeichnet sie als ‘ton bout’. Er muß ihr
beim Anziehen helfen. Dabei empfindet er eines Tages eine
plötzliche und schmerzhafte Lust in seinem Penis, eine Art
Orgasmus, wie er es 20 Jahre später nennt. Während er für seine
Seite
24
symbolischen (sprachlichen) Leistungen niemals gelobt wurde,
empfand er Lust im Kontext einer narzißtischen Erweiterung
seiner Mutter.
Eines Tages hörte er seinen Vater, das mütterliche Genitale
‘bouton’ nennen, also eine Umdrehung ihrer Bezeichnung für sein
Genitale (‚ton bout’). Zum ersten Mal bekommt ihr Mangel eine
Metapher, einen Namen. Aber diese Benennung prägt sich nicht
ein, vielleicht weil der Sohn nicht genau wußte, was der Vater
meinte. Im Fetisch, den der Sohn später entwickelt, versucht er,
den väterlichen Benennungsakt zu vervollständigen: Er
verabscheut einzelne Knöpfe an Kleidern, wird jedoch sehr
erregt, sobald mehrere identische Knöpfe in einer Reihe auftreten.
In seiner Analyse sagt der Sohn später, daß je mehr Knöpfe da sind,
umso gewichtiger wird der Beitrag des Vaters (la part du pere). Je mehr
Knöpfe, umso weniger empfindet er das mütterliche Begehren als
überwältigend, weil unbenennbar. Die Perversion dient hier dazu, die
Kraft der väterlichen Symbolik zu vervielfachen, d.h. die väterliche
Funktion zu stützen. Dieser Fetisch enthüllt eine zweideutige
Einstellung des Sohnes zum Vater: “Ich weiß sehr gut, daß mein Vater
das Begehren meiner Mutter nicht wirklich benannt hat, aber ich werde
die Vervollständigung dieser Benennung inszenieren”.
6. Der Vater in der Perversionstheorie der
französischen IPA-Hauptgruppe
CHASSEGUET-SMIRGEL (1984b) geht im Anschluß an FERENCZI
(1924) und GRUNBERGER (1966) davon aus, daß es im Kind „einen
Seite
25
primären Wunsch gibt, eine Welt ohne Hindernisse, ohne Unebenheiten
und ohne Unterschiede wiederzuentdecken, eine völlig glatte Welt, die
mit einem seines Inhalts entleerten Mutterleib identifiziert wird, ....
Hinter der Phantasie, den Penis des Vaters, die Kinder und die
Exkremente im Mutterleib zu zerstören oder sich anzueignen - einer
Phantasie, die M. KLEIN herausgearbeitet hat und die ihr zufolge für
die frühen Stadien des Ödipuskonflikts spezifisch ist -, läßt sich ein noch
grundlegenderer und archaischerer Wunsch feststellen, dessen
Repräsentanz die Rückkehr in den Mutterleib ist“ (a.a.O., S.91f). Das
Ziel sei, ein psychisches Geschehen ohne Barrieren mit frei fließender
Energie wiederzufinden. Der Vater, der Penis, die Kinder und alle
anderen frühen Repräsentanzen der Realität müssen zerstört werden,
wenn das fötale Paradies wiedergefunden werden soll. Auch das Denken
ist ein Hindernis, das den freien Zugang zum Mutterleib verwehrt. Sein
Status ist dem des Vaters und seiner Abkömmlinge, dem Penis und den
Kindern ähnlich. „Realität ist, daß nur der Vater und sein befruchtender
Penis in der Lage sind, die Mutter zu befriedigen, was für den unreifen
und unfruchtbaren Penis des kleinen Kindes nicht zutrifft, in welcher
Illusion ihn die Mutter auch gewiegt haben mag“ (a.a.O., S.98). Es geht
dabei nicht nur um den Unterschied der Geschlechter und der
Generationen, die Realität ist insgesamt das Ergebnis von
Unterschieden.
Anders als in der Psychose wird in der Perversion der Ödipuskomplex
zwar nicht vollkommen vermieden, er wird allerdings nur in seiner
archaischen Matrix aufgenommen. Für CHASSEGUET-SMIRGEL
stellt die anal-sadistische Phase diese archaische Matrix dar, d.h. sie ist
Seite
26
eine primitive Skizze aber auch eine Parodie der Genitalität. Sie liefert
dem Kind die Elemente, die es befähigen, dem Vater und seinen
Attributen gleich sein zu wollen, wobei die genitale Entwicklung
übersprungen werden soll. „In der Kotstange zeichnet sich der genitale
Penis ab, die tägliche Trennung von den Fäzes ist ein Vorläufer der
phallischen Kastration, die Kotproduktion antizipiert das Gebären von
Kindern, die Exkremente im Rektum imitieren den genitalen Koitus“
(a.a.O. S.108). Kot=Penis=Kind, diese Gleichsetzung kann dabei in
einem konkretistischen Sinn mißverstanden werden (vgl. SEGALs
[1957] Konzept der „symbolischen Gleichsetzung“). Wir befinden uns
dann im einem Lustprinzip-gesteuerten Geschehen. Das Kind bewahrt
die Illusion, die Befriedigung nicht aufschieben zu müssen. In seiner
Phantasie, die häufig durch das mütterliche Verhalten unterstützt wird,
ist der Knabe ein adäquater Sexualpartner für die Mutter. Dadurch
überspringt er den Prozeß der Identifizierung mit dem Vater, ein Prozeß,
dessen Kern die Introjektion des väterlichen Penis ist.
Normalerweise, wenn der ödipale Konflikt durchgearbeitet wird,
versucht der Knabe nicht, die väterlich-genitale Dimension
wegzuschieben, sondern sich diese durch Identifizierung anzueignen.
Dies impliziert eine Projektion des Narzißmus auf den Vater, seinen
Penis und seine Genitalität. Die Identifizierung führt zur Fähigkeit, auf
Befriedigung zu warten und Ersatzobjekte bzw. symbolische
Befriedigungen zu akzeptieren.
Seite
27
7. Zusammenfassende Diskussion
Ich möchte nun am Beispiel einer mehrjährigen Therapie mit einem
pädophilen Exhibitionisten zeigen, in welcher Weise sich Aspekte aus
unterschiedlichen theoretischen Zusammenhängen für meine
Deutungsarbeit als hilfreich erwiesen.
Der 35-jährige Patient hatte über einen Zeitraum von zwei Jahren
hinweg häufig vor Kindern sein erigiertes Glied entblößt und
versucht, den Kindern bewundernde Kommentare zu entlocken.
Anschließend verbrachte der Patient eine gewisse Zeit im
Gefängnis, und erst nach Ablauf der Probefrist kam er freiwillig
zu mir in Therapie. Seine Mutter war zum Zeitpunkt seiner Geburt
erst 17 Jahre gewesen, sein Vater war 20. Zwei oder drei Jahre
nach seiner Geburt kam es zur Trennung der Eltern. Seinen Vater
hat er erst als Erwachsener wieder gesehen. Über weite Strecken
wuchs er bei seiner Großmutter auf, die seinen Vater immer als
Taugenichts hinstellte und die dadurch Zorn und Unzufriedenheit
mit ihm zum Ausdruck brachte, daß sie ihm prophezeite, er werde
genauso enden wie sein Vater. Gleichzeitig verspürte er Scham
und Beklemmung, wenn die Großmutter ihn in der Badewanne
betrachtete und er ihren Blick auf seinem Penis spürte. Seine
Mutter, die offensichtlich selbst in infantiler Abhängigkeit von
ihrer Mutter verharrt war, sagte ihm einmal: Weißt Du, ich bin
eigentlich gar nicht deine Mutter, ich bin mehr so etwas wie ein
Kumpan. Seinen um zwei Jahre jüngeren Bruder hat er daher oft
als gemeinsamen Sohn mit der Mutter empfunden. Gegen Mutter
Seite
28
wie Großmutter hegte er seit der Pubertät einen tiefen Groll, und
brach in der Therapie oft in unflätige Beschimpfungen gegen die
beiden aus. Von seinem Vater wußte er fast nichts, war unsicher,
inwieweit die negativen Erzählungen über ihn der Wahrheit
entsprachen und wünschte sich, ihn kennenzulernen und von ihm
eine verspätete Anerkennung als Mann zu bekommen.
In der Therapie wurde rasch eine narzißtische Tendenz deutlich, als er
meinte, er glaube nicht, daß ich ihm als Therapeut viel zu bieten hätte.
Ich sei zu jung und er könne mich sicherlich leicht um den Finger
wickeln. Als ich ihm eine Erhöhung der Stundenfrequenz von zwei auf
drei Stunden vorschlug, vermutete er, daß ich lediglich mehr Geld haben
wollte, um in der Karibik Urlaub machen zu können. Im Sinne
MELTZERs scheint es sehr naheliegend, hier das Wirken eines
destruktiven Selbstanteils zu sehen, der wechselweise bei ihm selbst
oder projektiv beim Therapeuten untergebracht werden konnte. Die
Funktion dieses Selbstanteils, der auch den perversen Akt selber
regierte, konnte mit MELTZER als Abwehr v.a. depressiver (teilweise
aber auch paranoider) Ängste verstanden werden. So wurden seine
perversen Impulse etwa immer dann stärker, wenn sich die Beziehung
zu seiner Frau und zu seinem Kind zu intensivieren schien und ein
Gefühl der Abhängigkeit aufzutreten drohte. Dies mobilisierte eine
sadistische Mutter- bzw. Großmutterphantasie, in die jedoch auch der
beschädigte Vater im Sinne eines Vereinigten-Eltern-Objekts involviert
war.
Als der Patient schließlich das drei-stündige Therapie-Setting
akzeptierte wandelte sich die Übertragung relativ rasch in eine
Seite
29
vorwiegend idealisierende, wobei auch zunehmend homosexuelle
Gefühle mir gegenüber auftraten. Es ging nun offenbar darum, die
Befürchtungen, von mir abhängig zu sein und ausgebeutet zu werden,
abzuwehren. Ich erschien ihm im Gegenteil als rettender Zufluchtsort
vor den ihn attackierenden Frauen, sowohl in der Arbeit als auch in
seiner Familie, wobei seine mißtrauischen Befürchtungen jedoch
zwischendurch auch mich immer wieder einmal betrafen. Mit MAHLER
und ABELIN konnte ich darin eine Wiederholung seiner nur in
Ansätzen entwickelten frühen Triangulierung sehen. Während ihn seine
Mutter als Kind quasi an die Großmutter abgegeben hatte und diese eine
überstimulierende Idolisierung gepaart mit abwehrender Entwertung
seiner analen Autonomiebekundungen inszenierte, erschien ihm der im
zweiten Lebensjahr noch peripher vorhandene Vater als Retter aus der
symbiotischen Umschlingung. Das Verschwinden des Vaters hatte es
jedoch verhindert, daß dieser als unabhängiger Pol verinnerlicht hätte
werden können. Die STOLLERsche These, daß der Perverse aufgrund
seiner fehlenden Des-Identifizierung von der primären Bezugsperson im
perversen Szenario immer aufs neue seine Traumatisierung in
triumphalistischer Verkehrung wiederholen muß, bestätigte sich in der
Analyse seines Exhibitionismus. Erinnerte er die unverhohlenen Blicke
der Großmutter auf seinen kleinen Penis v.a. als abschätzig und
kastrierend und als Teil der großmütterlichen Unterdrückung seiner
Selbständigkeit, so präsentierte er nun seinen Penis vor Kindern, von
denen er mit Sicherheit annahm, daß er ihnen groß und beeindruckend
erscheinen würde. Dieses Verhalten mußte er mit zwanghafter
Regelmäßigkeit immer dann wiederholen, wenn ihm in der Arbeit oder
Seite
30
sonstwo eine Demütigung oder Kränkung zugefügt worden war. Wie
STOLLER beschreibt, mußte immer ein gewisses Risiko in der
Situation eingebaut sein, damit eine sexuelle Erregung entstehen konnte.
Das Wesentliche am Exhibieren war aber gar nicht der Orgasmus, zu
dem es auch nicht immer kam, sondern die Befriedigung, die durch
Äußerungen des Beeindrucktseins hervorgerufen wurde. Seine
besondere Kränkbarkeit (Kastrationsangst) ließ sich darauf
zurückführen, daß er mit dem Vater als Taugenichts, d.h. mit dem
kastrierten Vater, identifiziert war.
Der perverse Akt schien mir auch auf imaginäre Art der
Vervollständigung der väterlichen Funktion bzw. der Trennung von der
präsymbolischen Mutter zu dienen. LACANs Betrachtungsweise schien
sich sogar in doppelter Hinsicht zu bestätigen. Einerseits hatte der
Patient auch das Bild eines mächtigen Vaters in sich, den er tatsächlich
vermißt hatte und den er - als Exhibitionist - nicht anders als imaginärphallisch darstellen konnte. In der Identifizierung mit seinen kindlichen
Opfern wollte er sich selbst sagen: Es gibt einen Vater, der mächtiger ist
als die Großmutter. Zugleich mobilisierte er mit seinen Aktivitäten auch
tatsächlich den gesellschaftlichen Vater in Gestalt der Polizei, die ihn
schließlich überführte und einer Kastration zuführte, allerdings (in
seiner Wahrnehmung) neuerlich keiner symbolischen.
In der analytischen Arbeit mit diesem Patienten fanden sich auch
zahlreiche Hinweise auf die anale Essenz seiner Perversion, oder – um
mit CHASSEGUET-SMIRGEL zu sprechen - für sein Festhalten an der
archaischen Matrix des Ödipuskomplexes. So liebte er beispielsweise
blank geputzte dunkle Sportwagen, mit denen er am Gürtel andere
Seite
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Autos schneiden und sich in Kolonnen hineinpressen konnte. Meist
begab er sich mit solchen Autos zu seinen Deliktorten. Die scheinbar
phallischen Objekte erwiesen sich jedoch als bald als wertlos (d.h. als
anale Phalli). Jedes solche Auto wurde ihm innerhalb von Tagen
langweilig, mußte dringend „abgestoßen“ und gegen ein anderes
eingetauscht werden. Eine Introjektion des väterlichen (genitalen) Penis
hatte nicht stattgefunden, was sich ja u.a. gerade darin zeigte, daß er als
Pädophiler die Generationenunterschiede verleugnete.
7.1.
Ergänzende Konzeptionen
Die Erfahrung zeigt also die klinische Nützlichkeit aller referierten
Ansätze. Ich möchte hier keinen Vergleich der verschiedenen
Perversionstheorien im Ganzen vornehmen, sondern mich ausschließlich
auf die Konzeptualiserung der väterlichen Funktion beschränken. Es
werden dabei unterschiedliche Aspekte sichtbar, die zunächst als
Ergänzungen zueinander verstanden werden können.
Der FREUDsche Vater des Perversen ist entweder ein Verführer, ein
Sadist oder beides. Jede Variante erklärt mit unterschiedlichen
Betonungen das Entstehen einer besonders starken Kastrationsangst, die
durch einen Fetisch oder eine andere Perversion abgewehrt werden muß.
Während FREUD seinen Blick hauptsächlich auf das Schicksal des
phallisch-ödipalen Konfliktes richtete und Verleugnung und Spaltung
als spezifisch perverse Abwehrmechanismen einer besonders kraß
ausgeprägten ödipalen Kastrationsangst verstand, fokussieren alle
späteren Perversionstheorien eine frühere Entwicklungsphase und
untersuchen dementsprechend auch das Versagen des sogenannten
„frühen Vater“
Seite
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In der ich-psychologischen Theorie der frühen Triangulierung etwa tritt
der Vater lange vor der ödipalen Phase auf, nämlich als
„unkontaminierter Dritter“ im Prozeß der Loslösung von der Mutter.
Wenn er dies nur unzureichend tut, bzw. wenn das internalisierte
Vaterbild der Mutter negativ ist, mißlingt die Separation/Individuation,
und das gestörte frühe Körperbild muß – wie GREENACRE zeigte durch Perversion stabilisiert werden.
Die STOLLERsche Theorie baut diese Sichtweise nur insofern aus, als
er von einer primären weiblichen Identifizierung aller Knaben ausgeht,
die bei den Perversen mangels väterlicher Präsenz niemals grundlegend
überwunden wird. Die männliche Identität braucht daher eine
permanente Krücke, in der auch die Rache- und Haßgefühle eingebaut
werden.
MELTZER hält die Urszenenphantasien des Perversen für besonders
sadistisch. Der väterliche Penis ist entweder von der Mutter beschädigt
worden oder er ist seinerseits der Zerstörer der mütterlichen Organe.
Seine schützende Funktion gegenüber dem Sadismus des Kindes ist
jedenfalls unzureichend, weshalb Sicherheit nur durch (partielle)
Unterwerfung unter einen inneren (perversen) Tyrannen erreicht werden
kann. Die Kleinianer sehen in der Vorherrschaft der oralen und
analen Aggression die Ursache für ein Nicht-Erreichen bzw. NichtDurcharbeiten der depressiven Position. Für den besonders sadistischen
Charakter der frühen Urszenen-Phantasien kann auch der Vater bzw. der
verinnerlichte Vater der Mutter mitverantwortlich sein.
LACAN und seine Nachfolger gehen davon aus, daß in der Perversion
die kindliche Identifikation mit dem imaginären Phallus der Mutter nicht
Seite
33
überwunden werden kann. Der Grund dafür ist eine nur unvollständige
väterliche Metaphorisierung des mütterlichen Begehrens. Das Versagen
der väterlichen Metapher ist auch für die ausbleibende Symbolisierung
des eigenen Begehrens verantwortlich. Da der Phallus nicht zum
Signifikanten aller anderen Signifikanten wird, bildet sich kein Subjekt
des Unbewußten heraus und der Perverse bleibt mit dem imaginären
Objekt a der Mutter identifiziert. Die Perversion versucht die väterliche
Funktion zu stützen bzw. zu vervollständigen.
Für CHASSEGUET-SMIRGEL steht der Penis des Vaters in der
frühkindlichen Mutterleibsphantasie generell für die Realität. Durch
eine Abwehr der Realität, d.h. durch eine Nicht-Introjektion des
väterlichen Penis, wird ein Festhalten am Lustprinzip bzw. ein eine
Rückkehr in das anale Universum ermöglicht. Ebendies erlaubt es, die
narzißtische Kränkung, die in der kindlichen Erkenntnis der
unzureichenden Größe seines Penis besteht, zu verleugnen. Durch die
Idealisierung der Analität in der Perversion wird die Realität aber – im
Unterschied zur Psychose – zumindest als Parodie anerkannt.
7.2.
Versuche zur Integration der Differenzen
KERNBERG (1992) schlug vor, die Differenzen zwischen den
verschiedenen Perversionstheorien dadurch zu überbrücken, daß man sie
für Perversionen auf verschiedenen dynamischen und strukturellen
Niveaus bezieht. FREUDs Thesen würden dementsprchend neurotische
Perversionen beschreiben, während die Kleinianer eher die Perversionen
von Borderline-Patienten analysiert hätten. CHASSEGUETSMIRGELS Theorie decke sich weitgehend mit seiner Auffassung der
Perversionen von malignen Narzissen und von Psychotikern.
Seite
34
Trotz solcher Integrationsversuche gibt es natürlich weiterhin davon
unberührte Differenzen, deren weitere Entwicklung von zukünftiger
Forschung abhängt. Dies betrifft etwa die Frage, ob der Vater im
Unbewußten des Perversen überhaupt repräsentiert ist, ob es angeborene
Kerne der väterlichen Repräsentanz gibt und ob die Vaterrepräsentanz
bereits vor und unabhängig von der Urszenenphantasie auftritt. Ungelöst
ist auch die Frage, ob die Perversion, ähnlich wie bei FREUD die
Psychose, ein Selbstheilungsversuch einer defekten psychischen
Struktur ist oder ob die Perversion im Wesentlichen als Wiederholung
des Traumas aufgefaßt werden sollte. Der Selbstheilungsgesichtspunkt
scheint mir besonders in LACANs Konzeption angelegt zu sein, was die
übergeordnete Frage aufwirft, ob und wie das LACANsche System mit
den anderen psychoanalytischen Hauptmodellen verbunden werden
kann.
7.3.
Schluß
Das in der Einleitung aufgezeigte Klischee des fehlenden oder
distanzierten Vaters wird in den verschiedenen psychoanalytischen
Konzeptionen unterschiedlich verarbeitet. Während US-amerikanische
Autoren häufig den realen Vater verantwortlich machen, steht bei den
französischen und britischen PsychoanalytikerInnen die Repräsentanz,
die Imago oder das Phantasma des Vaters im Vordergrund.
Übereinstimmung scheint darin zu bestehen, daß die eigentliche
väterliche Funktion nicht verinnerlicht wurde, wenn auch diese selbst
wieder sehr verschieden definiert wird. Manche Autoren (etwa
STOLLER) schlußfolgern daraus v.a. ein Fortbestehen der weiblichen
Identifikation, oder zumindest (wie bei LACAN) eine fortgesetzte
Seite
35
Identifikation mit dem mütterlichen Begehren besteht. Andere Autoren
finden hingegen häufig sehr wohl eine Identifizierung mit dem Vater,
allerdings eine mit einem kastrierten oder beschädigten Vater. Diese
Vateridentifikation steht in einer komplexen Wechselwirkung mit dem
Mutterbild. Die Mutter kann als Zerstörerin des Vaters erscheinen oder
als Retterin vor dem Vater. In beiden Fällen steckt eine unbewußte
gewalttätige Vorstellung vom elterlichen Koitus hinter den bewußten
Elternbildern. Häufig existiert neben dem Bild des beschädigten Vaters
auch ein super-phallisches Vaterideal, das allerdings leer und
unsymbolisiert bleibt. Tatsächlich wird es jedoch in den perversen
Akten häufig inszeniert oder gewissermaßen mobilisiert. Die Analyse
hat also zahlreiche Ansatzpunkte für eine Rekonstruktion des inneren
Vaters. Und diese erscheint mir als eine unverzichtbare Aufgabe in der
analytischen Behandlung von Perversen. Denn wenn auch der reale
Vater a posteriori nicht geändert werden kann, so besteht doch ein
Entwicklungspotential für die Vaterrepräsentanz. Oft können Aspekte
diverser Ersatzväter (Onkel, Großväter, väterliche Freunde oder Lehrer
usw.) herangezogen werden, um in dem Patienten eine psychische
Instanz heranwachsen zu lassen, die eben jene Funktionen zumindest
partiell erfüllen kann, bei denen das ursprüngliche Vaterbild versagt
hatte: Unterstützung der Loslösung von der Mutter, Stärkung der
männlichen Identität, Schutz gegen eigene und fremde Aggression,
Verkörperung des Signifikanten und damit der symbolischen Welt
überhaupt und schließlich Vermittlung des Wartenkönnens angesichts
eigener Unreife. Um die innere Verankerung dieser Funktionen dreht
sich im Grunde die psychoanalytische Therapie der Perversion.
Seite
36
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