Fritz Lackinger - Vaterrepräsentanz und Perversion
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Fritz Lackinger - Vaterrepräsentanz und Perversion
Abschlußvortrag 22. Mai 2001 Die Repräsentanz des Vaters in der männlichen Perversion. ‚Common ground‘ und Differenzen zwischen den psychoanalytischen Hauptrichtungen Dr. Fritz Lackinger 1. Entstehung und Inhalt der Fragestellung In den Jahren 1995 bis 2000 konnte ich durch meine Tätigkeit in der Justizanstalt Mittersteig ungefähr 200 männliche Sexualdelinquenten psychologisch begutachten. Die meisten von ihnen wiesen das auf, was in der Literatur als Perversion oder, in moderner Terminologie, als Paraphilie beschrieben wird. In diesem Zusammenhang fiel mir auf, daß die Patienten ihre Väter entweder kaum erwähnten, ihre Rolle für unwichtig erklärten oder sie als besonders grausam und gewalttätig beschrieben. Um Ihnen ein Bild von solchen Patienten zu geben, möchte ich zwei sexualdeviante Patienten kurz vorstellen. Patient A verführte über Jahre hinweg Knaben zwischen 7 und 16 Jahren und Mädchen zwischen 4 und 8 Jahren zu sexuellen Handlungen. Gewalt wendete er keine an. Er zeigte eine ausgeprägte Seite 1 Anhänglichkeit an seine Mutter. Er sagte, er möchte nicht außerhalb ihres Einflußbereiches sein. Der Vater sei Alkoholiker gewesen und habe jetzt eine Leberzirrhose. Die Mutter meinte, daß nur ihre Zuneigung dem Sohn helfen könne. Der Gedanke an eine längerfristige Trennung von der Mutter erzeugte bei dem Untersuchten panische Angst. Vom Vater war nicht mehr weiter die Rede. Patient B wurde zum fünften Mal wegen Exhibitionismus vor jungen Frauen verurteilt. Er beschreibt sich als ‚schlimmes Kind‘, das nicht lernen wollte und vom Vater häufig geschlagen und ‚weggesperrt‘ worden sei. Der Vater wird als jähzornig, stur und ungerecht beschrieben. Er habe zu ihm wenig Vertrauen gehabt und sich bei Schwierigkeiten immer nur an die Mutter gewandt. Fehlende, verkommene, verstoßene, desinteressierte, distanzierte, grausame, ja sadistische Väter. In den meisten Fällen räumen die Patienten dem Vater keine wichtige (und jedenfalls keine positive) Rolle in ihrer Kindheit ein. Bei erneuter Durchsicht der Begutachtungsunterlagen fiel mir auf, daß die Patienten sogar den Interviewer gelegentlich dazu verführt hatten, an der Verleugnung des Vaters mitzumachen. Es fand sich dann oft kaum eine Erwähnung des Vaters in Sozialanamnese und Krankengeschichte. Bei längeren Psychotherapien mit solchen Patienten konnte ich jedoch mehrmals feststellen, daß das Vaterbild keineswegs unverändert blieb. Gelegentlich tauchten offen homosexuelle Übertragungen auf, die auf eine passiv-feminine Einstellung gegenüber einem idealisierten Vater zurückzuführen waren. In anderen Fällen veränderte sich v.a. das Mutterbild, dessen Idealisierung abblätterte und dadurch einen Vater Seite 2 zum Vorschein kommen ließ, der zuvor fast vollständig ignoriert worden war. Solche Erfahrungen ließen in mir den Wunsch nach einer theoretischen und systematischen Berücksichtigung der Bedeutung des Vaters in der Perversion entstehen. Ein oberflächlicher Blick in die psychoanalytische Literatur schien zunächst ein ähnliches Bild zu ergeben wie ich es von meinen devianten Patienten her kannte. Die Väter von Perversen werden üblicherweise kaum behandelt und wenn, dann werden sie als distanziert, blaß, gleichgültig oder abwesend beschrieben. Viele AutorInnen stimmen auch darin überein, daß bei Perversen häufig eine mütterliche Überstimulierung stattgefunden hat, während es nur wenige Beispiele gibt, in denen von einer wesentlichen Rolle des Vaters in der später entstehenden Perversion die Rede ist. Adam LIMENTANI schrieb in einer Besprechung von M. KAHNs Buch über ‚Entfremdung und Perversion’: „Die wiederholten Zwischenüberschriften wie ‚Die pathogene Rolle der Mutter in der gestörten Mutter-Kind-Beziehung‘ oder ‚Die Rolle der pathogenen Persönlichkeit der Mutter‘ sowie die Tatsache, daß es 10 Index-Bezüge zur Mutter, aber keinen einzigen zum Vater gibt, läßt den Leser in keinem Zweifel über die konzeptuelle Position von KHAN. In aller Fairness möchte ich erwähnen, daß im Text kurze Bezüge zur Wirkungslosigkeit oder exzessiven Zurückhaltung und Negativität einiger Väter vorkommen“ (Limentani 1980, S.435). Erst mit der in den letzten 15 Jahren anschwellenden Diskussion über die Bedeutung des sexuellen Kindesmißbrauchs änderte sich dies, wobei nun die Väter (neben den Müttern) zunehmend als übergriffig, Seite 3 verführend oder schlichtweg sexuell mißbrauchend dargestellt wurden. Auch in der psychoanalytischen Perversionsliteratur kamen die Väter nun mehr vor. ISAY (1987) berichtet etwa, daß seine perversen Patienten kein konsistentes Muster von umschlingenden und ungetrennten Müttern schilderten, daß sie jedoch einhellig Väter beschrieben, die in der Kindheit distanziert gewesen seien und zu denen sie keine wirkliche Beziehung hatten. ISAY meint jedoch, daß dies eine Fehlwahrnehmung sei, ähnliche jener, mit der typische heterosexuelle Männer jede Erinnerung an eine erotische Anziehung durch ihre Mütter abwehren. Indem er seinen perversen Patienten zu mehr Zugang zu ihrer erotischen Bindung an den Vater verhalf, habe sich ihre Analysierbarkeit wesentlich verbessert. Dies deckte sich ein Stück weit mit meinen Erfahrungen in der JA Mittersteig. Aber wie konnten solche empirischen Befunde mit der psychoanalytischen Theorie verbunden werden? Wie gelingt dies in den verschiedenen psychoanalytischen Ansätzen? Gibt es inzwischen gemeinsame Sichtweisen zwischen diesen Ansätzen oder gehen sie in ganz verschiedene Richtungen? Die folgenden Kapiteln stellen den Versuch dar, das Verständnis der väterlichen Repräsentanz in den verschiedenen Hauptrichtungen der psychoanalytischen Perversionstheorie vergleichend zu untersuchen und zusammenfassend zu bestimmen, worin ein ‚common ground‘ in der Psychoanalyse von heute besteht und was weiterer Forschung bedarf. Der Aufbau meiner Arbeit ist folgende: Freud, Ich-Psychologie, Kleinianer, Lacanianer, franz. Nicht-Lacanianer, anschließend eigenes klinisches Beispiel und zusammenfassende Diskussion. Seite 4 2. Der Vater in der Perversionsauffassung FREUDs Bei FREUD lassen sich 3 Phasen unterscheiden: A) Noch in den ersten Auflagen seiner Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905 und 1910) behandelte FREUD die Perversionen fast ausschließlich als Trieb-Phänomen. Sein erstes Axiom lautete, die Neurose sei das Negativ der Perversion. Perversionen repräsentierten schlicht ein Bestehenbleiben infantiler Triebregungen, die v.a. aus konstitutionellen Gründen keiner Verdrängung unterlagen. B) 1915 ergänzte FREUD in einem Zusatz zu den Drei Abhandlungen, daß den Perversionen nicht nur Fixierungen, sondern auch Verdrängungen zugrunde lägen (Freud 1905d, S.133 Anm.). Verdrängt würden frühe genitale Strebungen, wobei erst die Verdrängung zur Regression auf die prägenitalen, perversen Stufen führe. Dies ist eine gewaltige Umformung der Theorie, denn bis dahin waren die Perversionen gerade durch das Fehlen der Verdrängung charakterisiert worden. Nun meint FREUD, auch der später Perverse erreiche zunächst die frühe genitale Stufe (der Begriff phallische Stufe wird erst 1923 eingeführt), scheitere aber in einer spezifischen Weise am Ödipuskomplex. Dieser sei nicht nur der Kernkomplex der Neurosen, sondern auch der Kernkomplex der Perversionen. Die These wurde v.a. in FREUDs Studie Ein Kind wird geschlagen ausgeführt (vgl. Freud 1919e, S.213f.) und bleibt in FREUDs Denken über die Perversionen bis zum Schluß ein zentrales Axiom. Nach FREUD hat die Phantasie, ein Kind werde geschlagen, eine komplizierte Entwicklungsgeschichte, auf die ich hier im Detail nicht Seite 5 eingehe. Jedenfalls sind es typischerweise masochistische Männer, bei denen man diese Phantasie findet (vgl. Freud 1919e, S.217f.). Sie fühlen sich selbst immer irgendwie weiblich, jedenfalls nicht wirklich männlich. Die Ursache dafür sei das Vorherrschen des negativen Ödipuskomplexes. Aufgrund ihres unbewußten Verhaftetbleibens in ebendieser negativen ödipalen Einstellung, identifizierten sie sich mit der Mutter, wehrten aber gleichzeitig ihre Homosexualität ab, indem sie in der perversen Phantasie den Vater durch die Mutter ersetzten (ebd., S.220). Dies erkenne man daran, daß bei Männern, die diese Phantasie hätten, die züchtigenden Personen immer Frauen seien. Das Schlagen selbst repräsentiere v.a. eine Regression von der genitalen auf die anal-sadistische Stufe, wodurch eben die gewünschte Berührung der Genitalien durch Schlagen auf das Gesäß ersetzt werde. Dadurch könne gleichzeitig auch das Schuldgefühl befriedigt werden. Die Frage, woher die Neigung zu der besonderen Stärke des negativen Ödipuskomplexes kommt, wird von FREUD mit Hinweis auf die Konstitution beantwortet (ebd. S.221). Die Art, wie FREUD 1919 den Ödipuskomplex mit der Genese der Perversion in Verbindung bringt, rückt die Perversionen und die Neurosen noch näher zusammen, als dies bereits im ersten FREUDschen Axiom (1905) der Fall gewesen war, demzufolge die Neurose nichts als das Negativ der Perversion war. Tatsächlich findet ja FREUD die Phantasie, ein Kind werde geschlagen, sowohl bei neurotischen als auch bei perversen Patienten, wobei interessanterweise die weiblichen Patienten vornehmlich Neurotikerinnen, die männlichen vornehmlich Perverse waren. Seite 6 FREUD trifft zwischen den beiden Entwicklungsergebnissen aber keine prinzipielle Unterscheidung, abgesehen von der Vermutung, daß die Konstitution die beiden Geschlechter eben unterschiedlich disponiere. Was den Vater betrifft, so steht er in beiden Fällen am Beginn der ödipalen Besetzung durch das Kind. Beim Mädchen wird die Liebe zum Vater im positiven Ödipuskomplex zum Ausgangspunkt einer im wesentlichen neurotischen Entwicklung. Hingegen wird beim Knaben die libidinöse Besetzung des Vaters und der negative Ödipuskomplex zum Ausgangspunkt einer Perversion. Die Tatsache, daß der Vater für den Knaben sowohl libidinöses Objekt als auch anschließend Quelle der Bestrafung (Kastration) wird, scheint irgendwie dazu zu führen, daß die regressiv belebten prägenitalen Triebe nicht von der Verdrängung erfaßt werden. C) Die dritte Phase bringt schließlich die Analyse der spezifischen Abwehrmechanismen, die für die Perversion charakteristisch sind. Dabei geht es vor allem darum, den typischen Realitätsverlust der Perversen und damit den zentralen Unterschied zu den Neurotikern zu erklären. In FREUDs klassischer Fetischismus-Arbeit (1927) wird der Fetisch als Substitut des mütterlichen Penis betrachtet. Die Analyse zeige, so FREUD, daß Sinn und Absicht des Fetischs immer darin bestehen, den fehlenden Penis der Frau zu ersetzen. Der Penis der Mutter spiele in der präödipalen Zeit aller Kinder eine große Rolle, er solle später aufgegeben werden. Der Fetisch schütze ihn jedoch vor dem (psychischen) Untergang. Diese Idee war erstmals in der Leonardo-Studie (1910) vertreten worden, und kam durch eine Seite 7 spätere Fußnote auch in die Drei Abhandlungen. „Der Hergang war also der, daß der Knabe sich geweigert hat, die Tatsache seiner Wahrnehmung, daß das Weib keinen Penis besitzt, zur Kenntnis zu nehmen. Nein, das kann nicht wahr sein, denn wenn das Weib kastriert ist, ist sein eigener Penisbesitz bedroht, und dagegen sträubt sich das Stück Narzißmus, mit dem die Natur vorsorglich gerade dieses Organ ausgestattet hat” (Freud 1927e, S.312). FREUD nannte diesen Vorgang Verleugnung. Ihr zum Trotz bleibt jedoch auch beim zukünftigen Fetischisten der kindliche Glaube an den mütterlichen Phallus keineswegs unverändert. Er wird bewahrt und aufgegeben gleichzeitig. Und es findet eine primärprozeßhafte Kompromißbildung statt. Der weibliche Penis bleibt nur noch im Psychischen bestehen, in der äußeren Realität bekommt er einen Ersatz, eben den Fetisch. 1938 beschreibt er, welch schwerwiegende Folgen dieser Kompromiß mit sich bringt. Er führe nämlich zu einem „Einriß im Ich”, der nie wieder verheilen, sondern sich stetig vergrößern wird. „Die beiden entgegengesetzten Reaktionen auf den Konflikt bleiben als Kern einer Ich-Spaltung bestehen” (Freud 1940e, S.60). Verleugnung und Ich-Spaltung sind also für den späten FREUD die spezifischen Abwehrmechanismen der Perversion. Die Ursachen ihres Wirksamwerdens liegen außer in den weiterhin für wesentlich gehaltenen konstitutionellen Faktoren v.a. in einer besonders starken Kastrationsangst. Diese wird von FREUD einerseits mit einer traumatischen Konfrontation mit dem weiblichen Genitale in Verbindung gebracht, andererseits mit der väterlichen Seite 8 Kastrationsdrohung. Der grausame, sadistische Vater ist bei FREUD jedoch keineswegs die einzige Konstellation, die sexuelle Abweichung beim Sohn zur Folge haben kann. In einer späten Fußnote zu den Drei Abhandlungen wies er, wenn auch in Bezug auf die Homosexualität, auf die Bedeutung des Vorhandenseins beider Elternteile hin, und meinte: „Der Wegfall eines starken Vaters in der Kindheit begünstigt nicht selten die Inversion“ (Freud 1905d [1915], S.44). Das Verhältnis von Homosexualität und Perversion kann hier nicht diskutiert werden, für FREUD basierten beide über weite Strecken auf parallelen Mechanismen. 3. Der Vater in der ich-psychologischen Konzeption der Perversion 3.1. Frühe Triangulierung Wann taucht der Vater in der psychischen Welt des Kindes auf? Welche Rolle spielt er in den verschiedenen Subphasen der SeparationIndividuation? Wann nimmt das Kind eine separate Beziehung zwischen den Eltern wahr und wie reagiert es darauf? Solche Fragen wurden insbesondere von Ernst ABELIN (1971, 1975) aufgegriffen. Er entwickelte sein später berühmt gewordenes Konzept der frühen Triangulierung unter der Leitung von M. MAHLER im Masters Children Center. Frühe Triangulierung bezeichnet einen Prozeß, der von realen Beziehungen zu verinnerlichten Bildern führt. Es geht also um Repräsentanzen und Bilder, nicht um reale Personen. ABELIN bewegte sich innerhalb von MAHLERs Theorie der Separation/Individuation, die von einer ursprünglich symbiotischen Verbundenheit zwischen Mutter Seite 9 und Kind ausgeht, aus der sich das Kind Schritt für Schritt lösen muß. ABELIN (1971) betrachtete den Vater als eine zentral hilfreiche Person bei der Lösung von der symbiotischen Mutter. „Das Kind benötigt die Kontrastrepräsentanz eines dritten Objekts, um sich ... aus der Verschmelzung mit der Mutter-Imago loslösen zu können“ (Rotmann 1978, S.1127, zit. n. Metzger 2000). Abgesehen vom Vater als drittem Objekt wies ABELIN auch auf die elterliche Paarbeziehung hin, von der sich das Kind ausgeschlossen erlebt. Als Reaktion auf die Erfahrung des Alleinseins kommt es auch zur Entdeckung des Selbst. Denn nur indem es sich seines eigenen Begehrens (in Analogie zum väterlichen bzw. mütterlichen) bewußt wird, kann es sich an die Stelle eines der beiden Elternteile phantasieren. Es ist also im stereoskopischen Doppelspiegel seiner Eltern, daß sich das Kind erstmals selbst sieht, d.h. Subjekt wird. Unbewußte Imitation des symbiotischen Objektes wurde ein Wunsch nach dem Objekt und gleichzeitig eine Entdeckung des Selbst. Nach gelungener Triangulierung kann sich das Kleinkind als Mitglied einer kleinen Gruppe sehen, wobei die Binnenbeziehungen in der Gruppe libido- und aggressions-neutralisiert sind. Bei gescheiterter Triangulierung kommt es zu Defiziten im Selbstbild, bei der Objektliebe sowie bei der Besetzung abstrakter Denkprozesse, alles Phänomene, die für Patienten mit perverser Symptomatik besonders charakteristisch sind. 3.2. Sexuelle Identitätsstörung FREUD meinte, der Knabe beschreite von Anfang an einen heterosexuellen Entwicklungsweg, der weniger kompliziert sei, als der Seite 10 der Mädchen (vgl. etwa Freud 1933a, S.126ff). Dies erklärt jedoch die größere Häufigkeit von Perversionen bei Männern gerade nicht. Robert STOLLER, der sicherlich prominenteste Autor auf diesem Gebiet seit Mitte der 70er Jahre, betont demgegenüber, daß Kinder beiderlei Geschlechts zunächst eine primäre weibliche Identifizierung aufbauen. Männer müssen sich, um männlich zu werden, von der Mutter wieder des-identifizieren. Dies ist eindeutig der kompliziertere Weg zur Geschlechtsidentität, und daher auch der störungsanfälligere. Nach STOLLER liegt der Perversion v.a. eine Störung der Geschlechtsidentität zu Grunde, d.h. eine Störung der Entwicklung von Männlichkeit. Die STOLLERsche Perversionstheorie kann in folgenden 4 Punkten zusammengefaßt werden: A) Der Knabe beginnt sein Leben nicht als Heterosexueller (wie FREUD meinte), sondern muß sich vielmehr erst von der Weiblichkeit der Mutter loslösen und differenzieren. Männlichkeit ist kein angeborener Zustand, vielmehr ist eine gewisse rudimentäre Weiblichkeit auch bei Knaben naturgegeben. Die Symbiose mit der Mutter fördert keineswegs ein männliches Urgefühl. Die Entwicklung eines männlichen Ichs kann sich nur dann gegen die weibliche Uridentifizierung durchsetzen, wenn die Mutter die Entwicklung der Männlichkeit unterstützt. Fühlt die Mutter jedoch Ressentiments gegen Männer, dann wird ihre Ambivalenz die Störungen der Männlichkeit ihres Sohnes bis ins einzelne prägen. B) Die Furcht der Männer vor einer Bedrohung ihrer Männlichkeit läßt verschiedene Abwehrmaßnahmen gegen die Anziehungskraft Seite 11 einer neuerlichen Verschmelzung mit der Mutter entstehen. Die Symbioseangst bezieht sich auf ein inneres primitives Verlangen, obwohl die Abwehr dagegen (in Form von Chauvinismus und Frauenverachtung) (projektiv) auf äußere Zustände zielt. Ebendiese Abwehr ist die entscheidende Quelle der Feindseligkeit, die allen Perversionen innewohnt. Je weniger die Entidentifizierung von der Mutter gelungen ist, umso größer ist später die Symbioseangst, und umso mehr muß sie projektiv bekämpft werden. „Es bleibt zu fragen, ob Perversion auf primitivstem Niveau nicht äußerste Trennung ist: Muttermord (eher als Vatermord, wie FREUD vermutet haben mag)“ (Stoller 1975a, S.192). C) In perversen Phantasien, in perversen Inszenierungen und auch im erregten Betrachten pornographischer Darstellungen wird ein reales Kindheitstrauma, das sich gegen das eigene Geschlecht oder die eigene Geschlechtsidentität richtete, detailgetreu wiederholt. Die Wiederholung findet allerdings gewissermaßen spiegelverkehrt statt. Bei jeder perversen Handlung, sei es mit anderen oder alleine beim Masturbieren, wird ein Triumph gefeiert, ein Triumph über die Gefahr, der das eigene Geschlecht ausgesetzt war. Der Wiederholungszwang stammt aus der ‘ewigen’ Wiederkehr der unbewußten, traumatischen Bedrohung der sexuellen Identität aufgrund der fehlenden Auflösung der primären Identifizierung. D) Wesentlich für die ‘Fixierung’ der perversen Lösung ist die Lustprämie. „In der perversen Handlung erlebt man die traumatische oder frustrierende Situation, die den Prozeß in Gang setzte, immer und immer wieder, aber nun hat sie ein wunderbares, kein Seite 12 schreckliches Ergebnis, denn man entgeht nicht nur der Bedrohung, sondern erfährt eine ungeheure sinnliche Befriedigung in der Erfüllung“ (a.a.O., S.140). „Orgasmus ist folglich nicht nur eine Entladung oder Ejakulation, sondern ein glücklicher, megalomaner Befreiungsausbruch aus der Angst“ (a.a.O., S.142). Der Vater kommt bei STOLLER wenig vor. Die im vorletzten Abschnitt beschriebenen Einsichten in die Rolle des frühen Vaters haben sich also bislang noch kaum in der ich-psychologischen Perversionsliteratur niedergeschlagen. Im Sinne ABELINs ließe sich aber vielleicht ergänzen, daß das, was STOLLER als Mangel an DesIdentifizierung von der Mutter bezeichnet, auch ein Scheitern der frühen Triangulierung impliziert. Die Trennung von der Mutter gelingt eben gerade deshalb nicht, weil der Dritte fehlt, mit dem sich das Kind zur Herausbildung eines getrennten Selbst-Gefühls identifizieren könnte. Tatsächlich beschreibt STOLLER (1975b) die Väter der Perversen als zumeist distanzierte Männer, denen es an reifer Männlichkeit fehlt und die sich selbst im Unbewußten als kastriert erleben. Von einem Vater berichtet er, daß er von seiner Mutter bei mehreren Gelegenheiten als Mädchen gekleidet worden sei, ein anderer sagte, daß er eine jüdische Hausfrau werden wollte, wenn er wiedergeboren werden sollte. 4. Der Vater in kleinianischen Perversionsmodellen 4.1. Meltzers Konzept Donald MELTZER (1973) geht von FREUDs Konzept der Urszene aus (vgl. Freud 1918b), ergänzt dieses jedoch durch M. KLEINs Analyse Seite 13 der Phantasien über das Innere des mütterlichen Körpers. Sexuelle Erregung, Rivalität und Haß führen im Kontext der Urszene zu einem phantasierten Eindringen des Kindes in den elterlichen Koitus. Daran ist noch nichts Pathologisches. Der entscheidende Punkt, der normale infantil-polymorphe von perversen Zuständen unterscheidet, ist die Motivation, die im gesunden Fall eine grundlegend gute ist, nämlich die Suche nach einem Umgang mit ödipaler Eifersucht und ödipalem Haß, die die ansonsten liebende Haltung gegenüber den Eltern gefährden. Bei der perversen Sexualität kommt eine zusätzliche Figur in die Urszene: „der Fremde, der Außenseiter, der Feind der elterlichen Fruchtbarkeit, der familiären Harmonie, ja der Liebe. Es ist der Böse, der Zyniker, der Verderber, der Träger des Kainsmals“ (Meltzer 1973, S.90). Um die Herkunft dieses destruktiven Anteils zu verstehen, greift MELTZER auf M. KLEINs These zurück, daß eine primäre Spaltungund-Idealisierung von Selbst und Objekt notwendig ist, damit überhaupt eine Persönlichkeitsentwicklung in Gang kommen kann. Ohne sie ist das Überleben des Säuglings gefährdet oder es kommt zu einer autistischen Einkapselung. Durch diese Spaltung-und-Idealisierung entsteht aber auch ein Selbstanteil, der mit dem bösen Teil des Objektes verschmolzen und feindselig in seiner Absicht gegenüber den idealisierten Selbst- und Objektanteilen ist. Perversion bezeichnet nach MELTZER sexuelle psychische Zustände, die durch die Führung dieses destruktiven Persönlichkeitsanteils erzeugt werden. Ihr Kern ist immer der sexuelle Sadismus. Sie ist von überwältigendem Neid gegenüber der Güte, Großzügigkeit, Kreativität, Harmonie und Schönheit von guten Objekten geprägt. Im allgemeinen Seite 14 ist der böse Anteil nur unter bestimmten Umständen fähig, die gesamte Persönlichkeit zu dominieren. Die erste Bedingung ist ein sadistisches Über-Ich, das weitgehend vom Entwicklungsmilieu abhängt, aber den bösen Anteilen eine unangreifbare Struktur gibt. Die zweite Bedingung betrifft die Stärke des bösen Anteils, die wiederum mit der relativen Schwäche des guten Anteils, d.h. der Liebesfähigkeit, zusammenhängt. Dieses Kräfteverhältnis reflektiert sowohl konstitutionelle Faktoren als auch den Einfluß traumatischer Erlebnisse. Die Unterwerfung des guten durch den bösen Selbstanteil führt zu einer Verkehrung der Werte. „Teufel, sei Du mir mein Gott“, so lautet das Motto des Perversen. Die emotionale Qualität sexuell-sadistischer psychischer Zustände ist grundlegend manisch. Es ist nicht die Sinnlichkeit, die begehrt wird, sondern die triumphierende Abschaffung von depressiver und sogar von Verfolgungsangst. Die Anfälligkeit der ‘guten’ Anteile der infantilen Struktur hängt von drei Faktoren ab. Erstens von der Einstellung zu psychischem Schmerz, zweitens vom Grad an Integration der guten Anteile und drittens vom Ausmaß an Vertrauen in gute Objekte. V.a. der letzte Punkt ist für die Untersuchung der Vaterrepräsentanz von Bedeutung. Der modifizierende Umgang der Mutter mit den projektiven Identifikationen des Säuglings führt normalerweise zum Aufbau einer idealisierten inneren Brust, die als Zentrum der Abhängigkeit und als Kern der Hoffnung fungiert. Penis und Vater schützen diesen Kern in Zeiten, in denen er von den sadistischen Angriffen des Kindes zerstört zu werden droht. Das gute mütterliche Objekt kann also nur mit Hilfe eines guten väterlichen Objekts bewahrt werden. Während allerdings die guten Anteile der Persönlichkeit anfällig für die Spaltungstechniken des Seite 15 destruktiven Anteils sind, scheint dies umgekehrt nicht zu gelten. Der destruktive Teil, wenn er einmal stark genug ist, bewahrt seine Einheit und versucht seinen Einfluß auszuweiten. In der paranoid-schizoiden Position führt die Herrschaft des destruktiven Anteils zur Ermordung der inneren Kinder der Mutter. Hinter allen panischen Ängsten versteckt sich immer die Phantasie vom toten Kind. Nun kann bei einem gesunden Kind das in der Phantasie ermordete Baby wiederbelebt werden und zwar durch die reparative Kapazität der inneren Eltern und ihres kreativen Koitus. Falls aber die Abhängigkeit von der reparativen Kapazität der inneren Objekte durch ödipale Eifersucht und/oder destruktiven Neid verhindert wird, kann diese Wiedergutmachung nicht stattfinden. Wo Abhängigkeit von guten inneren Objekten durch schädigende masturbatorische Attacken unmöglich gemacht wird, stellt sich eine süchtige Beziehung zu einem bösen Selbstanteil her. Durch die Allwissenheit des destruktiven Teils wird eine Illusion von Sicherheit verkündet. Die zentrale Struktur der Perversion besteht aus ‚guten‘ kindlichen Anteilen, die in einer Stimmung der Verzweiflung ihre Abhängigkeit von den Eltern abgewandt und durch Passivität gegenüber bösen Selbstanteilen ersetzt haben. Im Prozeß dieser Kapitulation wird jeder psychische Schmerz beseitigt, v.a. wird die lauernde Panik scheinbar beschwichtigt. Der Impuls, zu pervertieren, ist dem süchtigen wie dem delinquenten Impuls verwandt, und zwar durch den Wunsch, gute Objekte aufgrund ihrer guten Eigenschaften hilflos zu machen. In anderen Worten: Der böse, destruktive, satanische Teil ist in ewiger Opposition zu den guten Objekten, v.a. dem kombinierten Objekt „Brust-und-Nippel“ der Mutter. Seite 16 Er sucht die guten Beziehungen anderer Selbstanteile zu diesem Objekt zu pervertieren und diese in süchtiger Passivität an sich zu binden. Zu diesem Zweck benützt er alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel: Verführung, Drohung, Zwang, Verwirrung, Intoleranz der guten Teile gegenüber depressivem Schmerz, u.ä.. Er versucht zu pervertieren und süchtig zu machen. 4.2. Eine Fallgeschichte In einem Artikel, der auch auf deutsch erschienen ist, hat MELTZER (1968, S.288 ff.) eine ausführliche Falldarstellung veröffentlicht, die auch die Bedeutung des Vaters in der Perversion sehr plastisch werden läßt. Der Patient, der ursprünglich nicht wegen einer Perversion sondern wegen somatischer Probleme in Analyse gegangen war, zeigte auch eine beträchtliche Charakterpathologie. Er neigte „etwa ständig zu Wortspielen und Karikaturen der Worte anderer Menschen, rief eine Flut geschickt getarnter pornographischer Limericks hervor, (und) sorgte für eine erbarmungslos zynische und snobistische Argumentationsweise“ (Meltzer 1968, S.289). Dieser Teil, der in Träumen als Fuchs in Erscheinung getreten war, wurde von MELTZER als „the foxy part“ bezeichnet. Er entsprach einem destruktiven inneren Objekt, dem sich der Patient über weite Strecken unterworfen hatte. Der zynische, schlaufüchsige Selbstanteil leitete sich aus einer Erfahrung her, wo sich nach dem Tode seines Vaters die Mutter tyrannisch und besitzergreifend auf ihn gestürzt hatte und er keinerlei Hilfe mehr in seinem Ringen mit seinen zerstörerischen ödipalen Phantasien Seite 17 erlebte. Die Entwertung und Verachtung gegenüber der Mutter spiegelte sich deutlich in seinem perversen Ritual. Dabei saß er in einer Chauffeursuniform auf dem Schlauch eines Autoreifens, hielt ein Glas Whisky in der Hand und masturbierte genital und anal. In einem Traum sah er sich auf einem Schlauch sitzend defäzieren. Der Schlauch repräsentierte die Mutter und der Inzest war zu einem analen Akt erniedrigt. Es gab aber auch folgende Erinnerung zu dem Traum. Sein Vater hatte während einer Spazierfahrt mit der Familie einen Reifenplatzer und mußte anschließend den Reifen reparieren, aufblasen und wiederanbringen, da das Reserverad fehlte. Als der kleine Junge seinem Vater zusah wurde er von sexueller Erregung überwältigt. Er entwickelte anschließend das Symptom, aus einem Reifen seines Fahrrads die Luft auszulassen, zu warten, bis ein Polizist herankam, und dann den Reifen mit dem Mund aufzublasen, während ihm der Polizist zusah. Die Reparatur des Reifens durch den Vater hatte sich mit der Urszenen-Phantasie des Jungen verbunden und zu einer sexuellen Erregung geführt. Das unmittelbar anschließende Symptom des Reifenaufblasens mit dem Mund repräsentierte noch eine mehr neurotische Verarbeitung, in der er sich selbst schlicht an die Stelle des Vaters setzte und das Schuldgefühl in Form des Polizisten erfolgreich externalisierte. Erst der Tod des Vaters und die dadurch deutlich werdende Unfähigkeit der Mutter, dem Kind weiterhin eine triangulierte psychische Situation zu bieten, ließen die guten Objekte des Jungen untergehen und eine narzißtische Seite 18 und sadistische Phantasie an ihre Stelle treten: er sei nicht nur der, der den Reifen aufgeblasen habe, sondern er könne ihn auch vollständig beherrschen und in eine Latrine verwandeln. MELTZER beschreibt weiter, wie sich „der Kampf darum, die Perversion aufzugeben, (...) deutlich als Kampf um die Entwicklung von Vertrauen in die Analyse und in die analytischen Eltern zu erkennen“ (a.a.O., S.292) gab. „Wie aber sein Vertrauen wuchs, so wuchs auch seine Identifikation mit einem guten und mutigen ‚Daddy‘“ (a.a.O., S.293). „In einem (...) Traum wurde er von einer Frau ausgeschimpft, weil er mit seiner Brennspirituslampe ein Feuer im Herd entfacht hatte. Sie befahl ihm dazubleiben und sagte, sie würde die Feuerwehr rufen; in der Zwischenzeit würde die automatische Spritze die Dinge unter Kontrolle halten. Mit einem Wort, seine innere Mutter verbot ihm seine manische Wiedergutmacherei und versicherte ihm, ihr innerer Penis reiche aus, bis ‚Daddy‘ einträfe“ (a.a.O., S.294). MELTZER beschreibt, wie der Patient nach weiterer Durcharbeitung der Thematik des Vertrauens und der Abhängigkeit in Bezug auf gute Objekte in der Übertragung seine narzißtisch-arroganten Formen der Abwehr weiter reduzieren und schließlich auch das letzte Festhalten an der Perversion aufgeben konnte. Auch wenn der Vater als äußere Person nicht wieder lebendig werden konnte, so konnte die Analyse doch das innere Vaterbild korrigieren. Er war nun nicht mehr einer, der einfach abwesend und deshalb völlig wertlos war, sondern er wurde zu einem, der einmal da war, der bewundernswerte Fähigkeiten hatte und der im Inneren der Mutter und seiner selbst einen wichtigen Platz bewahrt hatte. Seite 19 5. Der Vater in LACANs Theorie der perversen Struktur 5.1. Die zwei logischen Momente des „no(m)-du-pere“ LACAN meint, daß wir uns, wenn wir auf die Welt kommen, dem Begehren des Anderen als Partialobjekt anbieten, daß wir gewissermaßen sein Begehren gewinnen wollen. Der Perverse hat einen Vater, dessen Begehren ihm nicht deutlich wird. Deshalb identifiziert er sich besonders mit dem imaginären Objekt des Begehrens der Mutter, insofern dieses im Phallus verkörpert ist. Der imaginäre Phallus ist kein verschiebbares Symbol, sondern ein unsymbolisiertes, nichtrepräsentierbares Ding – und das Kind versucht, für sie dieses Ding zu werden. Es versucht ihr kleiner Ersatzpenis zu sein. Dabei nimmt das Kind unbewußt eine Subjektposition ein, in der es völlig identisch ist mit dem Objekt ‘klein a‘ der Mutter, also mit dem Objekt, das das Loch in der Mutter füllt. Der Andere (also in diesem Fall die Mutter) ist zwar nicht (mehr) ‘ganz’ für den Perversen. Sie hat einen Mangel, mit dem man sich identifizieren kann. Eine ‚Entfremdung‘ zwischen Mutter und Kind hat stattgefunden. Das unterscheidet seine strukturelle Situation von jener des Psychotikers, der als Subjekt des Begehrens gar nicht geboren wird, weil er an der Mutter kein Begehren wahrnimmt. Er bleibt mit der Mutter verschmolzen, sein Sein ist ihr Sein. Eine Seinsfrage stellt sich nicht. Hingegen: Auf die Frage, was bin ich?, antwortet der Perverse: Ich bin das, was meiner Mutter fehlt. Für ihn gibt es also die Seinsfrage, aber es gibt keine persistierende Frage, keine dauernde Frage seinen Lebenssinn Seite 20 betreffend. Eine vollständige Trennung von Kind und Mutter herbei zu führen, würde bedeuten, das Kind dazu zu bringen, nicht mehr der imaginäre Phallus der Mutter zu sein, sondern einen symbolischen Phallus zu haben. “Wenn der ‘Name-des-Vaters’ sprechen könnte, würde er sagen: ‘Du bist nicht der Phallus’” (J.-A. Miller: Donc, 29.6.1994, zitiert nach Fink 1997). Solange der Knabe der Phallus für die Mutter ist, kann er keine symbolische Position einnehmen. Er kann niemand sein, auf den die Mutter stolz ist, denn er ist jemand, mit dem die Mutter kuschelt und durch den sie vielleicht sogar einen Orgasmus bekommt. Er kann sich nicht in der Welt seinen eigenen ‘Namen machen’, er kann nicht nach symbolischen Attributen streben, denn er ist gefangen in der imaginären Unmittelbarkeit des mütterlichen Begehrens. LACAN meint: Erst wenn ein Begehren benannt wird, verringert sich das Gewicht des Bedürfnisses und eröffnet sich ein Raum des Begehrens. In einem solchen Raum kann sich ein Begehren bewegen und entwickeln und kann das Kind sein eigenes Begehren nach dem mütterlichen Vorbild formen. LACAN sagt, das Wort sei der Tod der Sache. D.h. mit der Benennung des “realen Mangels” wird dieser, nämlich der Mangel, ein Stück weit neutralisiert. Das Wort ist viel weniger gefährlich als das Ding. Wörter kann man mit anderen Wörtern verbinden, man kann einen Scherz machen usw. Sobald das Begehren der Mutter benannt ist, kann das Objekt, das das Kind für die Mutter war, nicht mehr existieren. Denn sobald ein Begehren artikuliert ist, bleibt es nicht unverändert, es wandert vielmehr metonymisch von einer Sache zur nächsten. Begehren ist ein Produkt Seite 21 der Sprache und kann daher gar nicht mit einem Objekt befriedigt werden. Anstatt mit einem Objekt identifiziert zu sein, wird das Kind zu einer Frage gedrängt, zu der Frage, was will meine Mutter? Etwas, was die ganze Reihe von konkreten Dingen, die ihr Begehren erwecken, verbindet, - der Phallus, allerdings der symbolische Phallus. Indem der Perverse zwar eine Frage vernimmt, aber nur eine präsymbolische Antwort findet, steht er zwischen dem Psychotiker und dem Neurotiker. Bruce FINK (1997) konzeptualisiert die lacanianische PerversionsTheorie, indem er zwei logische Momente innerhalb der väterlichen Metapher differenziert. Man könne sagen, daß der Perverse zwar ‚die Entfremdung‘ durchgemacht habe, nicht aber ‚die Trennung‘. Das erste Moment meint das väterliche Verbot der körperlichen Lust zwischen Mutter und Kind (das Verbot des Genießens). Die väterliche Metapher nimmt hier die Form des ‘no’-du-pere, des väterlichen Neins an. Das zweite Moment betrifft die Symbolisierung des mütterlichen Mangels, d.h. seine Konstituierung als Mangel per Namensgebung. Hier tritt die väterliche Metapher als die vom Vater gegebene Benennung des mütterlichen Begehrens auf (le nom-du-pere). 5.2. Die Inszenierung des Vaters: ein Fallbeispiel In lacanianischer Terminologie gesprochen, lag Freuds Betonung bei der Analyse der Perversion auf der hartnäckingen Verweigerung gegenüber dem Gesetz, also auf der Weigerung, Befriedigung zu opfern. LACANs Betonung liegt stärker auf der Funktion, die die Perversion in der Abwehr der Angst spielt. Was soll der perverse ‘Wille’, sein ‘Zwang zum Genießen’ verschleiern bzw. unbewußt machen? In wessen Dienst steht das Genießen beim Perversen? Seite 22 Wenn sich die Perversion auch häufig als ungebremste Suche nach Befriedigung darstellen mag, so ist ihre Funktion nach LACAN paradoxerweise doch gerade die Begrenzung der Befriedigung, die Etablierung des Gesetzes, oder das Erschaffen des Anderen als Gesetz. Das Ziel des Masochisten z.B. ist es, den ‚Partner‘ (d.h. den Anderen) dazu zu bringen, das Gesetz zu verkünden, d.h. eine Strafe für sein entgrenztes Verhalten zu verhängen. (Das sogenannte ‘Rütteln-amWatschenbaum’ ist eine weithin bekannte Variante davon.) Begehren ist für LACAN ja immer eine Abwehr, eine Abwehr gegen das Überschreiten einer bestimmten Grenze im Genießen (Lacan 1966, S.825). Hierin ist das Begehren des Perversen keine Ausnahme. Die grundlegende Phantasie (auch) des Perversen definiert ihn in Beziehung zum Gesetz. Während der Neurotiker (in seiner grundlegenden Phantasie) das begehrt, was ihm das Gesetz des Vaters verboten hat, begehrt der Perverse, daß das Gesetz überhaupt in Kraft tritt. LACAN spielt mit der französischen Sprache, wenn er ‘pere-version’ als sprachlichen Ausdruck jenes Appells des Perversen an den Vater auffaßt, durch den er hofft, daß die väterliche Funktion doch noch wahrgenommen und ausgeführt wird. FINK (1997, S.181ff.) beschreibt den Fall einer Mutter, die ihren kleinen Sohn als krank hinstellt, um ihn ständig betreuen zu können. Ihre Behandlung verwandelt ihn in ein rotes, geschwolles, pu-lassendes Objekt, das er selbst später als ‘lebendigen Dildo’ bezeichnet. “Auf der Seinsebene ist er das reale Objekt, das sie haben will, um sich ganz zu fühlen” (S.182). Der Vater führt keine Trennung von Mutter und Kind herbei und Seite 23 er ist auch in keiner Weise das Objekt des mütterlichen Begehrens. Da es außer ihm selbst nichts gibt, wohin das Begehren der Mutter gezogen würde, kann sich der Sohn auch nicht fragen, was denn das Begehren der Mutter sei, denn er weiß es. Er soll ihr reales Gegenstück im Leben sein. Es gibt da nichts Symbolisches in ihrem Begehren. Ein Objekt zu sein, ist das Gegenteil vom Haben eines symbolischen Platzes. Das bedeutet, daß wichtige Bedingungen für eine psychotische Entwicklung gegeben sind. Mit 6 Jahren wurde der Sohn Blinddarm operiert. Als er erwacht sitzt sein Vater mit dem herausgeschnittenen Appendix in einem Glas vor ihm und strahlt das entfernte Organ an. Von diesem Zeitpunkt an, verweigerte der Sohn das Mitspielen bei den ‘Behandlungen’ der Mutter. Er weigerte sich also, ihr Penis zu sein. Die Anwesenheit des Vaters nach der Operation scheint schließlich doch eine Art (Verlust symbolisierende) Kastration bewirkt zu haben. Eine Entfremdung zwischen Sohn und Mutter trat ein. Der Vater löscht hier die Mutter, indem er quasi das ihm Geschuldete eintreibt (nämlich das entfernte Organ). Die väterliche Metapher wird doch noch in Kraft gesetzt, der Sohn wird nicht psychotisch. Die Mutter betrachtet ihn jedoch weiterhin als ‘ihren kleinen Mann’. Seinen Penis bezeichnet sie als ‘ton bout’. Er muß ihr beim Anziehen helfen. Dabei empfindet er eines Tages eine plötzliche und schmerzhafte Lust in seinem Penis, eine Art Orgasmus, wie er es 20 Jahre später nennt. Während er für seine Seite 24 symbolischen (sprachlichen) Leistungen niemals gelobt wurde, empfand er Lust im Kontext einer narzißtischen Erweiterung seiner Mutter. Eines Tages hörte er seinen Vater, das mütterliche Genitale ‘bouton’ nennen, also eine Umdrehung ihrer Bezeichnung für sein Genitale (‚ton bout’). Zum ersten Mal bekommt ihr Mangel eine Metapher, einen Namen. Aber diese Benennung prägt sich nicht ein, vielleicht weil der Sohn nicht genau wußte, was der Vater meinte. Im Fetisch, den der Sohn später entwickelt, versucht er, den väterlichen Benennungsakt zu vervollständigen: Er verabscheut einzelne Knöpfe an Kleidern, wird jedoch sehr erregt, sobald mehrere identische Knöpfe in einer Reihe auftreten. In seiner Analyse sagt der Sohn später, daß je mehr Knöpfe da sind, umso gewichtiger wird der Beitrag des Vaters (la part du pere). Je mehr Knöpfe, umso weniger empfindet er das mütterliche Begehren als überwältigend, weil unbenennbar. Die Perversion dient hier dazu, die Kraft der väterlichen Symbolik zu vervielfachen, d.h. die väterliche Funktion zu stützen. Dieser Fetisch enthüllt eine zweideutige Einstellung des Sohnes zum Vater: “Ich weiß sehr gut, daß mein Vater das Begehren meiner Mutter nicht wirklich benannt hat, aber ich werde die Vervollständigung dieser Benennung inszenieren”. 6. Der Vater in der Perversionstheorie der französischen IPA-Hauptgruppe CHASSEGUET-SMIRGEL (1984b) geht im Anschluß an FERENCZI (1924) und GRUNBERGER (1966) davon aus, daß es im Kind „einen Seite 25 primären Wunsch gibt, eine Welt ohne Hindernisse, ohne Unebenheiten und ohne Unterschiede wiederzuentdecken, eine völlig glatte Welt, die mit einem seines Inhalts entleerten Mutterleib identifiziert wird, .... Hinter der Phantasie, den Penis des Vaters, die Kinder und die Exkremente im Mutterleib zu zerstören oder sich anzueignen - einer Phantasie, die M. KLEIN herausgearbeitet hat und die ihr zufolge für die frühen Stadien des Ödipuskonflikts spezifisch ist -, läßt sich ein noch grundlegenderer und archaischerer Wunsch feststellen, dessen Repräsentanz die Rückkehr in den Mutterleib ist“ (a.a.O., S.91f). Das Ziel sei, ein psychisches Geschehen ohne Barrieren mit frei fließender Energie wiederzufinden. Der Vater, der Penis, die Kinder und alle anderen frühen Repräsentanzen der Realität müssen zerstört werden, wenn das fötale Paradies wiedergefunden werden soll. Auch das Denken ist ein Hindernis, das den freien Zugang zum Mutterleib verwehrt. Sein Status ist dem des Vaters und seiner Abkömmlinge, dem Penis und den Kindern ähnlich. „Realität ist, daß nur der Vater und sein befruchtender Penis in der Lage sind, die Mutter zu befriedigen, was für den unreifen und unfruchtbaren Penis des kleinen Kindes nicht zutrifft, in welcher Illusion ihn die Mutter auch gewiegt haben mag“ (a.a.O., S.98). Es geht dabei nicht nur um den Unterschied der Geschlechter und der Generationen, die Realität ist insgesamt das Ergebnis von Unterschieden. Anders als in der Psychose wird in der Perversion der Ödipuskomplex zwar nicht vollkommen vermieden, er wird allerdings nur in seiner archaischen Matrix aufgenommen. Für CHASSEGUET-SMIRGEL stellt die anal-sadistische Phase diese archaische Matrix dar, d.h. sie ist Seite 26 eine primitive Skizze aber auch eine Parodie der Genitalität. Sie liefert dem Kind die Elemente, die es befähigen, dem Vater und seinen Attributen gleich sein zu wollen, wobei die genitale Entwicklung übersprungen werden soll. „In der Kotstange zeichnet sich der genitale Penis ab, die tägliche Trennung von den Fäzes ist ein Vorläufer der phallischen Kastration, die Kotproduktion antizipiert das Gebären von Kindern, die Exkremente im Rektum imitieren den genitalen Koitus“ (a.a.O. S.108). Kot=Penis=Kind, diese Gleichsetzung kann dabei in einem konkretistischen Sinn mißverstanden werden (vgl. SEGALs [1957] Konzept der „symbolischen Gleichsetzung“). Wir befinden uns dann im einem Lustprinzip-gesteuerten Geschehen. Das Kind bewahrt die Illusion, die Befriedigung nicht aufschieben zu müssen. In seiner Phantasie, die häufig durch das mütterliche Verhalten unterstützt wird, ist der Knabe ein adäquater Sexualpartner für die Mutter. Dadurch überspringt er den Prozeß der Identifizierung mit dem Vater, ein Prozeß, dessen Kern die Introjektion des väterlichen Penis ist. Normalerweise, wenn der ödipale Konflikt durchgearbeitet wird, versucht der Knabe nicht, die väterlich-genitale Dimension wegzuschieben, sondern sich diese durch Identifizierung anzueignen. Dies impliziert eine Projektion des Narzißmus auf den Vater, seinen Penis und seine Genitalität. Die Identifizierung führt zur Fähigkeit, auf Befriedigung zu warten und Ersatzobjekte bzw. symbolische Befriedigungen zu akzeptieren. Seite 27 7. Zusammenfassende Diskussion Ich möchte nun am Beispiel einer mehrjährigen Therapie mit einem pädophilen Exhibitionisten zeigen, in welcher Weise sich Aspekte aus unterschiedlichen theoretischen Zusammenhängen für meine Deutungsarbeit als hilfreich erwiesen. Der 35-jährige Patient hatte über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg häufig vor Kindern sein erigiertes Glied entblößt und versucht, den Kindern bewundernde Kommentare zu entlocken. Anschließend verbrachte der Patient eine gewisse Zeit im Gefängnis, und erst nach Ablauf der Probefrist kam er freiwillig zu mir in Therapie. Seine Mutter war zum Zeitpunkt seiner Geburt erst 17 Jahre gewesen, sein Vater war 20. Zwei oder drei Jahre nach seiner Geburt kam es zur Trennung der Eltern. Seinen Vater hat er erst als Erwachsener wieder gesehen. Über weite Strecken wuchs er bei seiner Großmutter auf, die seinen Vater immer als Taugenichts hinstellte und die dadurch Zorn und Unzufriedenheit mit ihm zum Ausdruck brachte, daß sie ihm prophezeite, er werde genauso enden wie sein Vater. Gleichzeitig verspürte er Scham und Beklemmung, wenn die Großmutter ihn in der Badewanne betrachtete und er ihren Blick auf seinem Penis spürte. Seine Mutter, die offensichtlich selbst in infantiler Abhängigkeit von ihrer Mutter verharrt war, sagte ihm einmal: Weißt Du, ich bin eigentlich gar nicht deine Mutter, ich bin mehr so etwas wie ein Kumpan. Seinen um zwei Jahre jüngeren Bruder hat er daher oft als gemeinsamen Sohn mit der Mutter empfunden. Gegen Mutter Seite 28 wie Großmutter hegte er seit der Pubertät einen tiefen Groll, und brach in der Therapie oft in unflätige Beschimpfungen gegen die beiden aus. Von seinem Vater wußte er fast nichts, war unsicher, inwieweit die negativen Erzählungen über ihn der Wahrheit entsprachen und wünschte sich, ihn kennenzulernen und von ihm eine verspätete Anerkennung als Mann zu bekommen. In der Therapie wurde rasch eine narzißtische Tendenz deutlich, als er meinte, er glaube nicht, daß ich ihm als Therapeut viel zu bieten hätte. Ich sei zu jung und er könne mich sicherlich leicht um den Finger wickeln. Als ich ihm eine Erhöhung der Stundenfrequenz von zwei auf drei Stunden vorschlug, vermutete er, daß ich lediglich mehr Geld haben wollte, um in der Karibik Urlaub machen zu können. Im Sinne MELTZERs scheint es sehr naheliegend, hier das Wirken eines destruktiven Selbstanteils zu sehen, der wechselweise bei ihm selbst oder projektiv beim Therapeuten untergebracht werden konnte. Die Funktion dieses Selbstanteils, der auch den perversen Akt selber regierte, konnte mit MELTZER als Abwehr v.a. depressiver (teilweise aber auch paranoider) Ängste verstanden werden. So wurden seine perversen Impulse etwa immer dann stärker, wenn sich die Beziehung zu seiner Frau und zu seinem Kind zu intensivieren schien und ein Gefühl der Abhängigkeit aufzutreten drohte. Dies mobilisierte eine sadistische Mutter- bzw. Großmutterphantasie, in die jedoch auch der beschädigte Vater im Sinne eines Vereinigten-Eltern-Objekts involviert war. Als der Patient schließlich das drei-stündige Therapie-Setting akzeptierte wandelte sich die Übertragung relativ rasch in eine Seite 29 vorwiegend idealisierende, wobei auch zunehmend homosexuelle Gefühle mir gegenüber auftraten. Es ging nun offenbar darum, die Befürchtungen, von mir abhängig zu sein und ausgebeutet zu werden, abzuwehren. Ich erschien ihm im Gegenteil als rettender Zufluchtsort vor den ihn attackierenden Frauen, sowohl in der Arbeit als auch in seiner Familie, wobei seine mißtrauischen Befürchtungen jedoch zwischendurch auch mich immer wieder einmal betrafen. Mit MAHLER und ABELIN konnte ich darin eine Wiederholung seiner nur in Ansätzen entwickelten frühen Triangulierung sehen. Während ihn seine Mutter als Kind quasi an die Großmutter abgegeben hatte und diese eine überstimulierende Idolisierung gepaart mit abwehrender Entwertung seiner analen Autonomiebekundungen inszenierte, erschien ihm der im zweiten Lebensjahr noch peripher vorhandene Vater als Retter aus der symbiotischen Umschlingung. Das Verschwinden des Vaters hatte es jedoch verhindert, daß dieser als unabhängiger Pol verinnerlicht hätte werden können. Die STOLLERsche These, daß der Perverse aufgrund seiner fehlenden Des-Identifizierung von der primären Bezugsperson im perversen Szenario immer aufs neue seine Traumatisierung in triumphalistischer Verkehrung wiederholen muß, bestätigte sich in der Analyse seines Exhibitionismus. Erinnerte er die unverhohlenen Blicke der Großmutter auf seinen kleinen Penis v.a. als abschätzig und kastrierend und als Teil der großmütterlichen Unterdrückung seiner Selbständigkeit, so präsentierte er nun seinen Penis vor Kindern, von denen er mit Sicherheit annahm, daß er ihnen groß und beeindruckend erscheinen würde. Dieses Verhalten mußte er mit zwanghafter Regelmäßigkeit immer dann wiederholen, wenn ihm in der Arbeit oder Seite 30 sonstwo eine Demütigung oder Kränkung zugefügt worden war. Wie STOLLER beschreibt, mußte immer ein gewisses Risiko in der Situation eingebaut sein, damit eine sexuelle Erregung entstehen konnte. Das Wesentliche am Exhibieren war aber gar nicht der Orgasmus, zu dem es auch nicht immer kam, sondern die Befriedigung, die durch Äußerungen des Beeindrucktseins hervorgerufen wurde. Seine besondere Kränkbarkeit (Kastrationsangst) ließ sich darauf zurückführen, daß er mit dem Vater als Taugenichts, d.h. mit dem kastrierten Vater, identifiziert war. Der perverse Akt schien mir auch auf imaginäre Art der Vervollständigung der väterlichen Funktion bzw. der Trennung von der präsymbolischen Mutter zu dienen. LACANs Betrachtungsweise schien sich sogar in doppelter Hinsicht zu bestätigen. Einerseits hatte der Patient auch das Bild eines mächtigen Vaters in sich, den er tatsächlich vermißt hatte und den er - als Exhibitionist - nicht anders als imaginärphallisch darstellen konnte. In der Identifizierung mit seinen kindlichen Opfern wollte er sich selbst sagen: Es gibt einen Vater, der mächtiger ist als die Großmutter. Zugleich mobilisierte er mit seinen Aktivitäten auch tatsächlich den gesellschaftlichen Vater in Gestalt der Polizei, die ihn schließlich überführte und einer Kastration zuführte, allerdings (in seiner Wahrnehmung) neuerlich keiner symbolischen. In der analytischen Arbeit mit diesem Patienten fanden sich auch zahlreiche Hinweise auf die anale Essenz seiner Perversion, oder – um mit CHASSEGUET-SMIRGEL zu sprechen - für sein Festhalten an der archaischen Matrix des Ödipuskomplexes. So liebte er beispielsweise blank geputzte dunkle Sportwagen, mit denen er am Gürtel andere Seite 31 Autos schneiden und sich in Kolonnen hineinpressen konnte. Meist begab er sich mit solchen Autos zu seinen Deliktorten. Die scheinbar phallischen Objekte erwiesen sich jedoch als bald als wertlos (d.h. als anale Phalli). Jedes solche Auto wurde ihm innerhalb von Tagen langweilig, mußte dringend „abgestoßen“ und gegen ein anderes eingetauscht werden. Eine Introjektion des väterlichen (genitalen) Penis hatte nicht stattgefunden, was sich ja u.a. gerade darin zeigte, daß er als Pädophiler die Generationenunterschiede verleugnete. 7.1. Ergänzende Konzeptionen Die Erfahrung zeigt also die klinische Nützlichkeit aller referierten Ansätze. Ich möchte hier keinen Vergleich der verschiedenen Perversionstheorien im Ganzen vornehmen, sondern mich ausschließlich auf die Konzeptualiserung der väterlichen Funktion beschränken. Es werden dabei unterschiedliche Aspekte sichtbar, die zunächst als Ergänzungen zueinander verstanden werden können. Der FREUDsche Vater des Perversen ist entweder ein Verführer, ein Sadist oder beides. Jede Variante erklärt mit unterschiedlichen Betonungen das Entstehen einer besonders starken Kastrationsangst, die durch einen Fetisch oder eine andere Perversion abgewehrt werden muß. Während FREUD seinen Blick hauptsächlich auf das Schicksal des phallisch-ödipalen Konfliktes richtete und Verleugnung und Spaltung als spezifisch perverse Abwehrmechanismen einer besonders kraß ausgeprägten ödipalen Kastrationsangst verstand, fokussieren alle späteren Perversionstheorien eine frühere Entwicklungsphase und untersuchen dementsprechend auch das Versagen des sogenannten „frühen Vater“ Seite 32 In der ich-psychologischen Theorie der frühen Triangulierung etwa tritt der Vater lange vor der ödipalen Phase auf, nämlich als „unkontaminierter Dritter“ im Prozeß der Loslösung von der Mutter. Wenn er dies nur unzureichend tut, bzw. wenn das internalisierte Vaterbild der Mutter negativ ist, mißlingt die Separation/Individuation, und das gestörte frühe Körperbild muß – wie GREENACRE zeigte durch Perversion stabilisiert werden. Die STOLLERsche Theorie baut diese Sichtweise nur insofern aus, als er von einer primären weiblichen Identifizierung aller Knaben ausgeht, die bei den Perversen mangels väterlicher Präsenz niemals grundlegend überwunden wird. Die männliche Identität braucht daher eine permanente Krücke, in der auch die Rache- und Haßgefühle eingebaut werden. MELTZER hält die Urszenenphantasien des Perversen für besonders sadistisch. Der väterliche Penis ist entweder von der Mutter beschädigt worden oder er ist seinerseits der Zerstörer der mütterlichen Organe. Seine schützende Funktion gegenüber dem Sadismus des Kindes ist jedenfalls unzureichend, weshalb Sicherheit nur durch (partielle) Unterwerfung unter einen inneren (perversen) Tyrannen erreicht werden kann. Die Kleinianer sehen in der Vorherrschaft der oralen und analen Aggression die Ursache für ein Nicht-Erreichen bzw. NichtDurcharbeiten der depressiven Position. Für den besonders sadistischen Charakter der frühen Urszenen-Phantasien kann auch der Vater bzw. der verinnerlichte Vater der Mutter mitverantwortlich sein. LACAN und seine Nachfolger gehen davon aus, daß in der Perversion die kindliche Identifikation mit dem imaginären Phallus der Mutter nicht Seite 33 überwunden werden kann. Der Grund dafür ist eine nur unvollständige väterliche Metaphorisierung des mütterlichen Begehrens. Das Versagen der väterlichen Metapher ist auch für die ausbleibende Symbolisierung des eigenen Begehrens verantwortlich. Da der Phallus nicht zum Signifikanten aller anderen Signifikanten wird, bildet sich kein Subjekt des Unbewußten heraus und der Perverse bleibt mit dem imaginären Objekt a der Mutter identifiziert. Die Perversion versucht die väterliche Funktion zu stützen bzw. zu vervollständigen. Für CHASSEGUET-SMIRGEL steht der Penis des Vaters in der frühkindlichen Mutterleibsphantasie generell für die Realität. Durch eine Abwehr der Realität, d.h. durch eine Nicht-Introjektion des väterlichen Penis, wird ein Festhalten am Lustprinzip bzw. ein eine Rückkehr in das anale Universum ermöglicht. Ebendies erlaubt es, die narzißtische Kränkung, die in der kindlichen Erkenntnis der unzureichenden Größe seines Penis besteht, zu verleugnen. Durch die Idealisierung der Analität in der Perversion wird die Realität aber – im Unterschied zur Psychose – zumindest als Parodie anerkannt. 7.2. Versuche zur Integration der Differenzen KERNBERG (1992) schlug vor, die Differenzen zwischen den verschiedenen Perversionstheorien dadurch zu überbrücken, daß man sie für Perversionen auf verschiedenen dynamischen und strukturellen Niveaus bezieht. FREUDs Thesen würden dementsprchend neurotische Perversionen beschreiben, während die Kleinianer eher die Perversionen von Borderline-Patienten analysiert hätten. CHASSEGUETSMIRGELS Theorie decke sich weitgehend mit seiner Auffassung der Perversionen von malignen Narzissen und von Psychotikern. Seite 34 Trotz solcher Integrationsversuche gibt es natürlich weiterhin davon unberührte Differenzen, deren weitere Entwicklung von zukünftiger Forschung abhängt. Dies betrifft etwa die Frage, ob der Vater im Unbewußten des Perversen überhaupt repräsentiert ist, ob es angeborene Kerne der väterlichen Repräsentanz gibt und ob die Vaterrepräsentanz bereits vor und unabhängig von der Urszenenphantasie auftritt. Ungelöst ist auch die Frage, ob die Perversion, ähnlich wie bei FREUD die Psychose, ein Selbstheilungsversuch einer defekten psychischen Struktur ist oder ob die Perversion im Wesentlichen als Wiederholung des Traumas aufgefaßt werden sollte. Der Selbstheilungsgesichtspunkt scheint mir besonders in LACANs Konzeption angelegt zu sein, was die übergeordnete Frage aufwirft, ob und wie das LACANsche System mit den anderen psychoanalytischen Hauptmodellen verbunden werden kann. 7.3. Schluß Das in der Einleitung aufgezeigte Klischee des fehlenden oder distanzierten Vaters wird in den verschiedenen psychoanalytischen Konzeptionen unterschiedlich verarbeitet. Während US-amerikanische Autoren häufig den realen Vater verantwortlich machen, steht bei den französischen und britischen PsychoanalytikerInnen die Repräsentanz, die Imago oder das Phantasma des Vaters im Vordergrund. Übereinstimmung scheint darin zu bestehen, daß die eigentliche väterliche Funktion nicht verinnerlicht wurde, wenn auch diese selbst wieder sehr verschieden definiert wird. Manche Autoren (etwa STOLLER) schlußfolgern daraus v.a. ein Fortbestehen der weiblichen Identifikation, oder zumindest (wie bei LACAN) eine fortgesetzte Seite 35 Identifikation mit dem mütterlichen Begehren besteht. Andere Autoren finden hingegen häufig sehr wohl eine Identifizierung mit dem Vater, allerdings eine mit einem kastrierten oder beschädigten Vater. Diese Vateridentifikation steht in einer komplexen Wechselwirkung mit dem Mutterbild. Die Mutter kann als Zerstörerin des Vaters erscheinen oder als Retterin vor dem Vater. In beiden Fällen steckt eine unbewußte gewalttätige Vorstellung vom elterlichen Koitus hinter den bewußten Elternbildern. Häufig existiert neben dem Bild des beschädigten Vaters auch ein super-phallisches Vaterideal, das allerdings leer und unsymbolisiert bleibt. Tatsächlich wird es jedoch in den perversen Akten häufig inszeniert oder gewissermaßen mobilisiert. Die Analyse hat also zahlreiche Ansatzpunkte für eine Rekonstruktion des inneren Vaters. Und diese erscheint mir als eine unverzichtbare Aufgabe in der analytischen Behandlung von Perversen. Denn wenn auch der reale Vater a posteriori nicht geändert werden kann, so besteht doch ein Entwicklungspotential für die Vaterrepräsentanz. Oft können Aspekte diverser Ersatzväter (Onkel, Großväter, väterliche Freunde oder Lehrer usw.) herangezogen werden, um in dem Patienten eine psychische Instanz heranwachsen zu lassen, die eben jene Funktionen zumindest partiell erfüllen kann, bei denen das ursprüngliche Vaterbild versagt hatte: Unterstützung der Loslösung von der Mutter, Stärkung der männlichen Identität, Schutz gegen eigene und fremde Aggression, Verkörperung des Signifikanten und damit der symbolischen Welt überhaupt und schließlich Vermittlung des Wartenkönnens angesichts eigener Unreife. Um die innere Verankerung dieser Funktionen dreht sich im Grunde die psychoanalytische Therapie der Perversion. Seite 36 Literaturangaben Abelin, E. L. 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