gute arbeit

Transcription

gute arbeit
Zeitschrift des europäischen Sozialfonds und des
Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Technologie
für die akteure des arbeitsmarktes
thüringer
kreative
04 / 2011
1. Jahrgang
die themen dieser ausgabe:
Δ Kreativwirtschaft Thüringen
Δ Wertschöpfung sozial
Δ Integration und Berufsorientierung
| inh a ltsverz ei c h ni s
Inhalt dieser Ausgabe
Frauendomäne erobert –
Schulbegleiter im Portrait
auf Seite 18
Kreatives Thüringen –
Das »gute arbeit« special ab Seite 4
Fotos: Medienbüro Anke Schmidt-Kraska, Candy Welz
Titelfoto: Bauhausmaschine
INHALT
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Editorial ...............................................................................................1
Gleicher Mindestlohn für Ost und West.................................................2
Vom einsamen Kreativen zum internationalen Netzwerker . .................3
Bausteine mit Hirn und Akku ...............................................................4
Orientierung in gutem Design . .............................................................5
Ordentlicher Pappkamerad – Standhafte Papierideen . .........................6
Klang und Farben .................................................................................8
Satire mit Format ................................................................................10
Teamwork und eine gute Portion Eigensinn ..........................................12
Kreativer Nachwuchs ............................................................................14
Sozialwirtschaft: Beschäftigungsmotor und Standortfaktor...................16
Neuer Beruf und Hilfe für die nächste Generation ................................18
News ....................................................................................................20
Personalien...........................................................................................22
Service .................................................................................................23
Letzte Nachrichten................................................................................25
Impressum, Ausblick . ..........................................................................26
e d it or ial |
Editorial
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
T
hüringen ist kreativ: Rund 3.200 Unternehmen und 12.000 Menschen arbeiten hier in der Kreativwirtschaft, verlegen
Bücher, entwickeln Software, drehen Filme,
entwerfen Plakate, designen Kleidung und
Gebäude. Dennoch: Selbstbewusstsein und
Selbstverständnis der Branche sind in Thüringen bisher noch nicht ausreichend entwickelt, ihre Potentiale für Beschäftigung und
Standortimage noch längst nicht ausgeschöpft.
Ziel muss es sein, die überregionale Wahrnehmbarkeit der Branche
zu verbessern, ihre Stärken besser herauszuarbeiten und Netzwerke
zu entwickeln. Das wollen wir u.a. mit der neuen Thüringer Agentur
für Kreativwirtschaft (ThAK) erreichen, die ich am 13. Januar 2012
in Erfurt offiziell eröffnen werde. Die ThAK bietet künftig allen Unternehmen und Selbständigen der Branche umfassende Beratung an.
Mit Dirk Kiefer haben wir inzwischen auch einen fähigen Leiter dieser neuen Servicestelle gewonnen: Der studierte Musikwissenschaftler war nach Tätigkeiten in Hamburg, Berlin und London zuletzt im
Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes tätig
und kennt die Sorgen und Bedürfnisse der Branche aus langjähriger
Beratungspraxis.
Neue Beschäftigungschancen in kreativen Berufen – das ist der Themenschwerpunkt des letzten Heftes der »Guten Arbeit« im Jahr 2011.
Dafür haben wir viele Ansätze, Initiativen und Praxisbeispiele aus
Thüringen zusammengetragen.
Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch: Der Arbeitsmarkt in Thüringen und den neuen Ländern bleibt gespalten. Einerseits gibt es einen
zunehmenden Fachkräftemangel, andererseits haben Ältere, Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte trotz guter Konjunktur kaum
Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Diese strukturelle Spaltung bleibt
die wichtigste Herausforderung der Thüringer Arbeitsmarktpolitik.
Und auch die Antwort auf diese Herausforderung muss zweiteilig sein: Einerseits
müssen wir für bessere Löhne in Thüringen
sorgen, um endlich die rote Laterne unter den Bundesländern los- und damit als
Standort wieder attraktiv für Fachkräfte zu
werden. Andererseits brauchen wir bei den
Einkommen eine Auffang- und Haltelinie
nach unten, um prekärer Beschäftigung und
Niedriglöhnen einen Riegel vorzuschieben.
Anfang 2012 werde ich deshalb einen Entwurf für ein bundesweites Mindestlohngesetz vorlegen, das wir dann hoffentlich als
Thüringer Landesregierung in den Bundesrat einbringen werden.
Sie sehen: Die Intention und das Anliegen
dieser Zeitschrift – »Gute Arbeit« für die
Menschen in Thüringen – bleibt auch im
kommenden Jahr ganz oben auf der Agenda
der Thüringer ESF- und Arbeitsmarktpolitik. Ich wünsche mir, dass Sie uns auf dem
eingeschlagenen Weg weiter kritisch und
konstruktiv begleiten.
Der erste Schritt dazu kann die hoffentlich
aufschlussreiche und anregende Lektüre der
vorliegenden Ausgabe von »Gute Arbeit«
sein. Ich freue mich auf Ihre Anregungen
und Kommentare zum Heft – und wünsche
Ihnen ein gesundes und erfolgreiches Jahr
2012.
Herzlichst Ihr
Matthias Machnig
thüringer minister für wirtschaft,
arbeit und technologie
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2
| arb ei tsm a rktpo li ti k
Gleicher Mindestlohn für Ost und West
Der Thüringer Arbeitsmarkt ist weiter auf gutem Kurs. Doch trotz
kontinuierlichem Rückgang der Arbeitslosigkeit, einem stärkeren
Selbstbewusstsein der Arbeitnehmer und neuen Jobperspektiven, ist der
Niedriglohnsektor immer noch Realität.
»
J
etzt in Zeiten des Aufschwungs muss dafür
gesorgt werden, den Arbeitsmarkt durch
gute Arbeit und faire Löhne dauerhaft zu
stabilisieren«, sagte Arbeitsminister Matthias
Machnig auf der Fachtagung »Soziale Teilhabe
und berufliche Integration« Mitte Dezember
in Erfurt. In Anlehnung an die Richtlinie für
die ESF-Lohnkostenzuschüsse, auf die sich
die Landesregierung unlängst geeinigt hatte,
schlug er deshalb als Einstieg einen verbindlichen Mindestlohn von 8,33 Euro vor. Dieser
baut auf der bundesweit gültigen Tarifvereinbarung in der Abfallwirtschaft, die einen gleichen unteren Lohn für Ost- und Westdeutschland hat, auf. 20 Jahre nach der Wende dürfe
es keinen Zwei-Klassen-Mindestlohn geben, so
Machnig. Thüringen habe den größten Niedriglohnsektor im Ländervergleich: 34 Prozent
der Thüringer verdienen maximal 8,50 Euro
brutto die Stunde.
Hintergrund
Noch gibt es in Deutschland keinen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn - anders als in
20 von 27 Mitgliedsländern der EU. Als Orientierung für einen gesetzlichen Mindestlohn
bieten sich nach Analysen und Modellrechnungen des WSI (Wirtschafts-und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-BöcklerStiftung) mehrere Größen an: sozialstaatliche
Standards wie die Pfändungsfreigrenze oder
das Existenzminimum, eine der in der Wissenschaft verwendeten Armutsgrenzen oder
die gesetzlichen Lohnuntergrenzen der europäischen Nachbarn. Zieht man die Pfän-
dungsfreigrenze in Deutschland heran, müsste
ein Gerichtsvollzieher einem alleinstehenden
Erwerbstätigen im Monat derzeit einen Betrag von 1.299,99 Euro netto belassen, damit
der seinen Lebensunterhalt bestreiten kann.
Ein alleinstehender Beschäftigter mit einer 38Stunden-Woche müsste demnach aktuell mindestens 8,62 Euro brutto pro Stunde verdienen, um netto ein Einkommen auf Höhe der
Pfändungsfreigrenze zu erzielen. Arbeitnehmer
mit niedrigen Verdiensten haben ein Anrecht
darauf, ihr Arbeitseinkommen mit Arbeitslosengeld II (ALG-II) aufzustocken. So erhält ein
Alleinstehender in der Regel ergänzendes ALG
II, wenn er netto weniger als 1.054 Euro im
Monat verdient. Diese Grenze ergibt sich aus
754 Euro ALG-II-Anspruch (Regelsatz plus
durchschnittliche Kosten der Unterkunft) plus
300 Euro an Freibeträgen, die das Sozialgesetzbuch erwerbstätigen Grundsicherungsempfängern zugesteht. Um dieses Niveau zu erreichen,
benötigt ein alleinstehender Beschäftigter mit
38 Wochenstunden einen Bruttolohn von 8,91
Euro. Die Europäische Sozialcharta enthält
auch eine Mindestlohnklausel. Die Vertragsstaaten sollen sich an eine Untergrenze von 60
Prozent des durchschnittlichen Nettolohns im
Lande halten. In Deutschland (Ost und West
zusammen) lag diese Schwelle 2010 bei netto
8,12 Euro pro Stunde. Um sie zu erreichen,
sind je nach wöchentlicher Arbeitszeit 12,24 bis
12,40 Euro Bruttolohn notwendig. Die Grenze
zur Lohnarmut bietet einen zusätzlichen Orientierungspunkt. Die internationale Armutsforschung zieht die relative Lohnarmutsgrenze
in einem Land meist bei 50 Prozent des durchschnittlichen Vollzeiteinkommens. Nach den
derzeit aktuellsten Daten lag der durchschnittliche Bruttolohn in Deutschland 2010 bei 21,48
Euro pro Stunde. Ein Vollzeitbeschäftigter
muss also mindestens 10,74 Euro verdienen,
wenn er nach dieser Definition nicht als »arm
trotz Arbeit« gelten soll. Die gesetzlichen Mindestlöhne in EU-Ländern mit vergleichbarer
Wirtschaftskraft wie Belgien, den Niederlanden
und Frankreich sind derzeit zwischen 8,58 und
9 Euro die Stunde angesiedelt. In Luxemburg
müssen mindestens 10,16 Euro gezahlt werden,
in Irland 8,65 Euro. Durch einen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, wie ihn etwa
der Deutsche Gewerkschaftsbund vorschlägt,
würden rund fünf Millionen Beschäftigte finanziell besser gestellt. Das zeigt eine aktuelle
Untersuchung der Prognos AG im Auftrag der
Friedrich-Ebert-Stiftung. Denn derzeit arbeiten nach den Prognos-Berechnungen auf Basis
des Sozio-ökonomischen Panels 1,2 Millionen
Menschen für weniger als 5 Euro brutto in der
Stunde. Weitere 2,4 Millionen verdienen zwischen 5 und 7,50 Euro pro Stunde. Noch einmal 1,4 Millionen Beschäftigte erhalten Stundenlöhne zwischen 7,50 und 8,50 Euro. Neben
den Niedriglohnverdienern würden nach der
Prognos-Expertise auch Staats- und Sozialkassen von einem gesetzlichen Lohnminimum
profitieren, weil Transferzahlungen entfallen
und mehr Steuer- und Sozialbeiträge fließen
könnten. So würde ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro die öffentlichen Kassen um
jährlich 7,1 Milliarden Euro entlasten.
in t e r v ie w |
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Vom einsamen Kreativen
zum internationalen Netzwerker
In den 3200 Unternehmen der Thüringer Kreativwirtschaft arbeiten über 12 000 Beschäftigte. Rund 850 Mio. Euro werden jährlich umgesetzt. Doch die Branche ist in Thüringen
bisher kaum als solche wahrgenommen worden. Das Wirtschaftsministerium will die
Kreativen stärken – ein Interview mit Wirtschaftsminister Matthias Machnig.
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ie Potenziale der Thüringer Kreativwirtschaft sind noch nicht ausgeschöpft, wie
weit ist die Gründung einer Thüringer Agentur
für die Kreativwirtschaft (ThAK) gediehen?
Machnig: Die Agentur wird mit Jahresanfang 2012 arbeitsfähig sein und als Ansprechpartner für die Unternehmen zur Verfügung
stehen. Insgesamt wurden fünf Mitarbeiter
eingestellt, die eigene Erfahrungen in der
Kreativbranche mitbringen. Damit bekommt Thüringen bundesweit die leistungsfähigste Berater- und Unterstützerstruktur
in der Kreativwirtschaft.
men aus ganz Thüringen haben sich beteiligt, daraus hat eine unabhängige Jury elf Preisträger ermittelt. Die Ergebnisse sind durchaus
beeindruckend.
Wann wird es ein Gewerbezentrum für Unternehmen aus der Kreativwirtschaft in Weimar
geben?
Machnig: Das Gewerbezentrum wird nach
jetzigem Planungsstand im September 2013
eröffnet werden können. Hier gibt es dann
auf mehr als 1.000 Quadratmetern flexible Raumangebote für die Unternehmen.
Damit wird eine derzeit sehr angespannte
Raumsituation in der Weimarer Innenstadt
deutlich abgemildert. Das Zentrum wird in
unmittelbarer Nähe zur Bauhaus-Universität
entstehen und damit auch den Forschungstransfer von der Hochschule in die unternehmerische Praxis stärken.
Die Zahl der High-Tech-Gründungen ist in Thüringen seit 2007
von 250 auf inzwischen über 300 pro Jahr gestiegen. Gleichzeitig lag 2010 der Anteil der Betriebsgründungen – d.h. Gründungen von Unternehmen mit hoher wirtschaftlicher Substanz – an
den Neugründungen in Thüringen um sechs Prozentpunkte
über dem Bundesdurchschnitt (Bund: 20,8 Prozent, Thüringen
27,0 Prozent). Mehr als 17.000 Thüringerinnen und Thüringer
haben im Jahr 2010 den Schritt in die berufliche Selbständigkeit gewagt – das entspricht 768 Gewerbeanmeldungen pro
100.000 Einwohner. Gründungsfreudigste Stadt war dabei die
Landeshauptstadt Erfurt mit 1.090 Anmeldungen je 100.000
Einwohner. Das geht aus dem »Thüringer Gründerreport« des
Beratungsnetzwerks »Gründen und Wachsen in Thüringen«
(GWT) hervor. Die Selbständigenquote liegt mit gegenwärtig 9,6
Prozent im Vergleich der neuen Länder im Mittelfeld und rund
1,3 Prozentpunkte unter dem gesamtdeutschen Durchschnitt.
Das Land unterstützt solche Existenzgründungen gezielt durch
Beratung und Coaching – z.B. über das »Thüringer Netzwerk für
innovative Gründungen« (ThüInG) – getragen von der Stiftung
für Technologie, Innovation und Forschung Thüringen (STIFT).
Wie erfolgreich ist die Idee mit den Wettbewerben, die die Thüringer Kreativität zeigen sollen?
Machnig: Mit dem Thüringer Kreativradar
haben wir erst jüngst einen solchen Wettbewerb durchgeführt. 99 kreative Unterneh-
Gibt es weitere Pläne, um die Branche zu unterstützen?
Machnig: Ja. Es wird nächstes Jahr, im Juni in Weimar, eine große,
international angelegte Konferenz zu aktuellen Themen der Kreativwirtschaft geben, z.B. zu Finanzierung oder Unternehmensführung.
Es ist wichtig, dass sich die Branche stärker vernetzt und Thüringen
auch über die Landesgrenzen hinaus als kreative Region wahrgenommen wird.
News: Zahl der High-Tech-Gründungen in Thüringen steigt
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| t h ü ri nger kreati ve
Bausteine mit Hirn und Akku
Vor einem Jahr hat Leonhard Oschütz aus Weimar mit Kinematics den Thüringer
Innovationspreis gewonnen. Damals war er noch Student an der Bauhaus-Universität.
Der Designer hat ein Patent auf sein Gewinner-Exponat angemeldet und ist selbstständig.
Mit Unterstützung des »Thüringer Netzwerks für Innovative Gründungen« (ThürInG)
will er seine Erfindung auf dem Markt etablieren – für ein Spiel zwischen analog
mit dem digital.
E
ine Raupe aus Legosteinen kriecht über den Arbeitsplatz von
Leonhard Oschütz. Mit den Prototypen des ersten Bausatzes
lassen sich ein Schmetterling, ein Hund und sicher noch weitere Tiere und Figuren zum Leben erwecken. Doch im Spielzeugladen wird
Oschütz’ Erfindung nicht in den Regalen zu finden sein. »Ich habe
diese Idee weiterentwickelt«, erklärt er. Seit gut zwei Jahren arbeitet
der gebürtige Erfurter daran. Seine Intention ist es, die getrennten
Märkte der analogen und digitalen Spiele zusammenzuführen. »Ich
wollte dieses doch recht starre System zum Leben erwecken, es ermöglichen, dass die Figuren laufen und sich drehen können«, sagt
Oschütz. Vor einem halben Jahr hat er sein Diplom erhalten und
will nun mit einem Bundes-ESF-Gründerstipendium sein eigenes
Unternehmen aufbauen. »Die Firma soll auf drei Mitarbeiter aufgestockt werden«. In Zusammenarbeit mit der Fachhochschule in Jena
arbeitet er an einer Weiterentwicklung seiner Idee. Bis Ende 2012
will der Diplom-Produktdesigner die Marktreife schaffen.
Die Idee, die Welt der Computerspiele mit traditionellem Spielzeug zu verbinden, habe er schon seit seiner Kindheit. »Ich bin mit
Legosteinen und Computerspielen aufgewachsen und beides hat
mich fasziniert«, so der Wahlweimarer. Der erste Bausatz enthält
bewegliche Bausteine, die sich den Bewegungen anpassen, einen
Baustein mit der Programmierung, das so genannte »Gehirn« und
einen Baustein, der die Energie liefert. Diese Elemente lassen sich
beliebig miteinander kombinieren und ermöglichen so die unterschiedlichen Formen. »Diese Art zu Spielen erhöht die Fähigkeit
zu Abstrahieren. Kinder sind fähig, ihre Phantasie so zu schulen«.
Nicht nur die Lauf- und Drehbewegungen können an den kleinen
Knöpfen am »Gehirn«-Modul eingestellt werden. Eine Aufnahmetaste ermöglicht es, Bewegungsabläufe für ständige Wiederholungen zu programmieren. Oschütz rechnet damit, eine Vorserie während des ersten Stipendien-Jahres produzieren zu können. Der erste
Bausatz soll zwischen 200 und 300 Euro kosten. Geplant sind auch
Bausätze zu verschiedenen Spielthemen, »zum Beispiel Mondexpedition«, sagt Oschütz.
Erfüllte sich mit seiner Arbeit einen Kindheitstraum: Leonhard Oschütz
weiterführende links
www.kinematicblocks.com
www.esf-thueringen.de
www.gfaw-thueringen.de
t hü r in g e r k re at iv e |
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Orientierung in gutem Design
Bemjamin Dahl hat schon während des Studiums nebenbei als Selbstständiger
gearbeitet. Jetzt ist der 27-Jährige sein eigener Chef. Er ist Diplomdesigner und sieht
sich selbst gern als Informationsdesigner. Derzeit arbeitet der gebürtige Schweriner
für die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig. Der Start in seine Selbstständigkeit
wurde durch den ESF unterstützt.
S
eit 2004 lebt Dahl in Weimar. Für den
27-Jährigen, der in der Nähe von Schwerin aufgewachsen ist, ein guter Ort, um zu
arbeiten. Schon während seines Studiums
wurde er zum Freischaffenden. »Ich wollte
eigene Projekte umsetzen und ohne diesen
Status des selbstständigen Studenten hatte
ich keine andere Chance, sie zu realisieren«. Sein derzeitiges Lieblingsprojekt ist
ein Leit- und Orientierungssystem für die
Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig.
Die Besucher sollen sich gut zurechtfinden.
»Die Architektin ist auf mich zugekommen
und damit auch ein Risiko eingegangen,
weil ich ja gerade erst von der Uni kam«,
erzählt Dahl.
Doch das Risiko hat sich gelohnt, denn die
rund 200 Schilder für das Leitsystem zu erstellen, sind für den ehemaligen BauhausStudenten eine Aufgabe, der er sich mit
Leidenschaft widmet. »Das Spannendste
ist, sich vorzustellen, wie sich die Nutzer
orientieren. Die Schilder sind die letzte
Oberfläche und das Leitsystem funktioniert
wie eine Brücke, ist Vermittler zwischen Architektur und Nutzer. Das ist eine schöne
Herausforderung«, sagt er.
Doch bereits vor dieser Aufgabe hat er sich
mit seiner Art der Gestaltung einen Ruf erarbeitet. Mit dem »Spacekidheadcup-Buch«
– einer gewagten Dokumentation über das
alljährliche Weimarer Seifenkistenrennen
am 1. Mai ist seine vielseitige Arbeit für
jeden sichtbar. Die meisten seiner Kunden
kommen aus Weimar, er arbeitete aber auch
schon für die STIFT oder für Auftraggeber
in Berlin. »Vor kurzem erstellte ich Informationsgrafiken für eine Ausstellung in
Koblenz.« In Weimar zu leben und deutschlandweit für Auftraggeber zu arbeiten, ist
für den Designer aus den Norden eine gute
Lösung.
VIER Fragen an Benjamin Dahl
Wie kreativ ist Thüringen?
Die Leute, die hier in unserer Branche arbeiten, geben sich bei dem, was sie machen,
viel Mühe – auf gute, traditionelle Art und
Weise, in der manchmal auch viel Kreatives
stecken kann. In Weimar stimmen die Größe, das Umfeld. Mir hat die Existenzgründungsförderung des Europäischen Sozialfonds vieles erleichtert, doch es hängt nicht
davon ab. Es bleibt für die Kreativen hier
ein hartes Brot, vom eigenen Tun leben zu
können und auf verschiedene Arten professionell zu sein – man braucht natürlich seine
Fähigkeiten, muss Vertrauen herstellen und
innovativ und kreativ muss es auch sein.
Worauf sind Sie stolz?
Auf das Buch zum Spacekidheadcup und auf
mein Diplom. Aber auch auf das kleine Symposium »Typogravieh lebt«, das ich während
meiner Studienzeit organisiert hatte und das
jetzt von neuen, begeisterten Leuten fortgeführt wird.
Benjamin Dahl arbeitet für Kunden in ganz Deutschland.
Ist Weimar das kreative Zentrum Thüringens?
Schwer zu sagen, aber als Standort für Kreative wie mich sicherlich eine gute Wahl.
Welche Arbeit macht Spaß?
Informationsgrafiken und Ausstellungsgestaltung machen Spaß. Doch die Kunden
suchen oft in den Ballungszentren weit ab
von Thüringen. Mit Informationsdesign
habe ich mir quasi eine Nische gesucht und
ich will versuchen, dies auch als Mehrwert
gegenüber dem klassischen Grafikdesign anzubieten.
weiterführende links
www.bennyd.de
www.esf-thueringen.de
www.gfaw-thueringen.de
6
| t h ü ri nger kreati ve
Ordentlicher Pappkamerad –
Standhafte Papierideen
Sie waren einst zu dritt und haben letztes Jahr den Innovationspreis gewonnen.
Doch zwei der einstigen Pappkameraden sind inzwischen nicht mehr dabei –
Maximilian Bauer hat sich aus der Selbstständigkeit herausgezogen, Philipp Böhm
lebt und studiert in Chicago. Der letzte Pappkamerad aus Weimar – Johannes Hein –
führt das Geschäft weiter – mit Unterstützung des ESF.
M
it dem Gehsammler, der den Innovationspreis einbrachte, wird das Büro
auf die Straße verlegt. Aus einem Stück Pappe sind sie gefertigt. In Weimar kann man
die Papptaschen für Präsentationen und jede
Menge Papier gelegentlich sehen, denn der
als Marke geschützte »Gehsammler« wird
beispielsweise im Bauhausatelier verkauft.
Der Diplom-Designer Johannes Hein ist
der letzte »Pappkamerad«. »Die Idee zu diesem Produkt hatten wir, als wir ein Projekt
an der Weimarer Jenaplan-Schule betreut
haben. Die Kinder mussten viel mit sich
herumtragen und hatten dann auch noch
diese unhandlichen Stehsammler unter dem
Arm«, erzählt er. Mit dem »frischen Blick«
der Jungdesigner wurde aus dem Stehsammler so ein bewegtes Objekt, ein Gehsammler, der »etwas Eigenständiges sein sollte«.
Auf Messen haben die Jungunternehmer
damals ihre Innovation vorgestellt und stießen auf Interesse bei Lehrern, BüromaterialHerstellern und Anbietern, die Werbemittel
vertreiben. »Ich sehe eine große Chance in
diesem Werbemittelmarkt, weil die Sammler ja individuell bedruckbar und mit den
zwei integrierten Fächern auch bestens für
Messematerial geeignet sind«, sagt Hein.
Daher setzten die Weimarer auch auf den
Werbemittelmarkt für ihr Nischenprodukt.
Vor zwei Jahren wurde der »Gehsammler«
als Marke geschützt, damit allzu eifrige
Nachmacher geringe Chancen haben. Ein
Ostthüringer Unternehmen produziert die
Büro-Innovation in Serie für den Markt in
Vom Bauhausstudenten zum Unternehmer:
Johannes Hein mit seinen »Gehsammlern«
Ostdeutschland, eine Firma aus der Nähe
von Münster für den westlichen Markt in
der aus Wellpappe bestehenden Version oder
aus Vollpappe. Die Arbeitsschritte sind überschaubar: Bedrucken, Stanzen, Verkleben.
Trotz des Materials und dem doch auf der
Straße etwas intensiveren Gebrauchs, leide
nicht die Haltbarkeit. Nach Firmenangaben
hält der Sammler mehrere Jahre.
Für Johannes Hein, den gebürtigen Dortmunder, war der Abschied des Trios und der
Start als Einzelkämpfer eine richtige Entscheidung: »Ich glaube, mein Weg hat mich
immer in die Selbstständigkeit geführt. Der
Gehsammler ist auch nicht das Einzige, mit
dem ich mich beschäftige. Als Designer bin
ich in Weimar auch für Ausstellungen tätig«,
t hü r in g e r k re at iv e |
sagt Hein. Der »Pappkamerad«, der nicht
nur Pappe festgelegt ist, freut sich, dass der
»Gehsammler« gut verkauft wird. Seit 2007
fanden zigtausende einen Käufer. Der größte Abnehmer war ein Messeveranstalter, der
gleich 4000 Stück orderte. Bei einem Stückpreis von rund vier Euro könne man zwar
nicht davon leben, doch für den 29-Jährigen
ist das auch nicht das vordergründige Ziel:
»Ich habe noch nie versucht, davon zu leben.
Finanziell funktioniert Ausstellungsdesign
besser«, sagt Hein. Die Kunden kommen aus
der Region. Derzeit ist eine Ausstellung im
Rathaus über die Internationalisierung der
Bauhaus-Uni von ihm zu sehen.
Drei Fragen an Johannes Hein
Wir kreativ ist Thüringen?
Die Branchen untereinander nehmen sich
kaum wahr. Das Klima ist allerdings gut.
Wie sind die Bedingungen für Kreative?
Ich habe im vergangenen Jahr eine ESFExistenzgründungsförderung erhalten. Das
war auf jeden Fall eine Hilfe. Es war zwar
nicht der Grund, sich selbstständig zu machen, aber es ist eine der wenigen ernst zu
nehmenden Unterstützungen. Ich sehe mich
künftig in einem Bereich, in dem ich frei arbeiten kann. Monatelange unbezahlte Praktika sind nichts für mich, aber leider Realität
für junge Kreative. Ich freue mich derzeit,
einige Projekte abschließen zu können. Mit
Benjamin Dahl habe ich eine Imagebroschüre für die Bauhaus-Uni gestaltet, die Ausstellung im Rathaus ist fertig und ich bin frei,
an etwas anderes zu denken. Für mich ist es
wichtig, nur dann Aufträge anzunehmen, die
mindestens zwei meiner selbst aufgestellten
Kriterien erfüllen – Geld, Reputation, Spaß
Worauf sind Sie stolz?
Es liegt viel mehr vor als hinter mir. Vielleicht bin ich stolz, dass ich jetzt schon von
meiner Arbeit leben kann. Ich habe mit Respekt und Sorgen begonnen.
weiterführende links
www.johanneshein.de
www.esf-thueringen.de
www.gfaw-thueringen.de
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8
| t h ü ri nger kreati ve
Klang und Farben
Wer Außergewöhnliches bietet, muss überzeugen können. Auf diesen Weg haben sich vor
drei Jahren Marc Sauter und Stefan Kraus aus Weimar gemacht. Mit Ihren Raum füllenden
Klang- und visuellen Kompositionen sind sie inzwischen nicht nur in Weimar präsent.
Die Bauhaus-Maschine ist europaweit bekannt.
Foto: Candy Welz
D
er gebürtige Freisinger Stefan Kraus
und der Heidelberger Marc Sauter
sind seit fast zwei Jahrzehnten Weimarer.
Der Musiker und Sounddesigner Sauter und
der audiovisuelle Künstler Kraus leben seit
drei Jahren von der neuen Kunstform. »Wir
mussten unsere Kunden erziehen, haben aber
jetzt schon längerfristige Geschäftsbeziehen zu Clubbesitzern und Firmen«, erzählt
Kraus. Auch Institutionen wie die BauhausUniversität, die STIFT und das Deutsche
Nationaltheater haben sich überzeugen lassen. »Dem audiovisuellem Format kann sich
keiner entziehen, doch es gibt Qualitätsstufen und für uns ist Qualität wichtig, weil wir
einen hohen Kunstanteil immer dabei haben
wollen«, so Sauter. Die Zusammenarbeit der
beiden begann Ende der 90er Jahre, als sie
noch an der Universität studierten. »Uns
geht es darum, einen Raum zu gestalten und
eine erweiterte Realität mit Licht, Inneneinrichtung, Klang und Videoprojektionen zu
erzeugen – es geht darum, von den Sinnen
des Besuchers wegdenken«. Beim Festakt
zum 150-Jährigen Bestehen der Bauhaus-Uni
brachen sie mit ihrem Konzept »das Format
eines drögen Festaktes auf«, erzählt Kraus.
Bei den Aufträgen zwischen »50 und 50.000
Euro« ist Feingefühl gefragt und die beiden
Künstler wägen ab, »wie weit man gehen
kann«. Die techniklastige Kunst findet ihre
Kunden. »Wir arbeiten ständig an irgendetwas, die Kunden finden uns«, erklären die
beiden. Sie arbeiten für Thüringer Kunden,
aber auch für Auftraggeber aus Heidelberg,
Halle, Moldawien, Berlin, Caracas, Lüneburg. Der besondere, »gut vernetzte Kreis«
sei klein, weil es gelte, ausgetretene Pfade zu
verlassen.
t hü r in g e r k re at iv e |
9
Eine neue visuelle und akustische Kultur ist ihr Arbeitsfeld: Marc Sauter (links) und Stefan Kraus
Wie kreativ ist Thüringen?
Kraus: »Die Region Weimar und Jena eine
gute Atmosphäre für Kreative. Es gibt
wahnsinnig interessante Leute, auch abseits
der trendsklavischen Wege. Die Gebäude
warten darauf, mit unserer Kunst bespielt
zu werden.«
Was haben Sie für Pläne?
Kraus: »Ich liebäugele schon mit der Hochschule.«
Sauter: »Ich möchte weiterhin frei arbeiten,
man lebt nur einmal. Ich habe beste Erfahrungen mit meiner Selbstständigkeit gemacht. Natürlich gibt es nicht immer nur
das Schöne, aber man bleibt nie stehen. Ich
habe mir allerdings auch geschworen keinen gut bezahlten Müll zu machen. »
Wie sind die Bedingungen für Kreative?
Sauter: »Es gibt günstige Wohnräume,
günstige Arbeitsräume. In München oder
Berlin läuft viel über Sponsoring, aber da
wird die Ästhetik in eine bestimmte Ecke
gedrängt. Je freier man agieren kann, desto
besser ist das Ergebnis. Ich habe mich damals mit einer ESF-Förderung selbstständig gemacht. Das war eine gute Hilfe.«
Worauf sind Sie stolz?
Sauter: »Ich bin besonders stolz auf eine
bestimmte Art von Musik, auf eine Stimmung die dabei erzeugt wird, die eine gewisse Echtheit vermittelt.«
Kraus: »Ich bin stolz darauf, dass wir bereits einen Beitrag für eine neue visuelle
Kultur geleistet haben, um die Fernsehkultur im Raum auszubreiten. Das Publikum
Vier Fragen an Marc Sauter
und Stefan Kraus
ist gemischt und altert mit. Es gibt keine
Schere nach oben oder nach unten. Mit
der Bauhaus-Maschine haben wir auch ein
älteres Publikum erreicht. Das erleichtert
auch weitere Projekte. Wenn wir für Firmen arbeiten, ist es immer gut, wenn da
einer sitzt, der unsere Arbeit schon einmal
erlebt hat.«
weiterführende links
www.psychon.net
www.bauhausmaschine.de
www.esf-thueringen.de
www.gfaw-thueringen.de
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| t h ü ri nger kreati ve
Satire mit Format
Seit 2006 gibt es in Jena den Macchiato Verlag von Antje Hellmann. Satire, Kinderbücher
und Kalender »Made in Thüringen« haben sich seither auch im Rest der Republik
bei einem kleinen, feinen Publikum einen Ruf erworben. Die vorher als Journalistin
tätige Jenenserin setzt auf die Liebhaber guter Satire und ungewöhnlicher Kinderliteratur,
arbeitet in einer Online-Redaktion, studiert zum zweiten Mal und ist Mutter.
I
ch bin kein Angestellten-Typ«, sagt die
» Verlegerin über sich selbst. Sie ist auch
nach eigenen Angaben »kein Karrieretyp«.
Viel eher begreift sich Antje Hellmann als
einen Menschen, dem es »wichtiger ist, zu
verstehen und zu begreifen, als Geld zu
verdienen«. Aus diesem Grund hat sie sich
viele berufliche Felder gesucht: Verlag, Online-Redaktion und Studium.
Das erste Buch, das im Macchiato-Verlag
erschien, ein Jahr, nachdem sich Antje Hellmann mit Hilfe des Europäischen Sozialfonds selbstständig gemacht hat, fand große Resonanz, auch bei den einheimischen
Medien: »Abducken…! Zumindest, sobald
Turban und/oder Vollbart in Schussweite
auftauchen; der nächste Karrikaturenstreit,
er kommt bestimmt. »Ein Leben für den
Terror«, auf dem Cover ausgewiesen als
»Das meistgesuchte Buch der Welt« ist ein
herzhaft boshaftes Heftchen«, so die Ostthüringer Zeitung über das erste Buch 2007.
Es folgten weitere: »Unsere Vampire«, »Endeffekte« (Cartoons voller Gefühl und Nachhaltigkeit, wie das Leben selbst), »Muss man
mal gemacht haben« (Cartoons für Leute,
die wissen, wie es läuft) und die Kinderbücher »Der Osterhamster« und »FriederikeLia«. Zeichnungen und Texte der von ihr
verlegten Bücher sind von Bernd Zeller, der
sowohl beim »Eulenspiegel« als auch bei
der »Titanic« arbeitete, 2004 die Satirezeitschrift »Pardon« neu belebte und bei Harald
Schmidt als »Unser Ossi« auftrat. Seit den
90er Jahren kennen sich Hellmann und der
Karikaturist. Gemeinsam arbeiteten sie an
der der Jenaer Studentenzeitung »Akrützel«.
Später kümmerte sich die heute 37-Jährige
um die Zeitschrift »Dschungelbuch« und
fand so auch ihre Leidenschaft für Verlagsarbeit. »Ich musste mich um die Anzeigen,
das Redaktionsmanagement und um die
Inhalte kümmern. Das habe ich fünf Jahre
gern gemacht«, erinnert sie sich.
Neben der Verlagsarbeit begann Antje Hellmann 2008 für eine Online-Redaktion zu
arbeiten. »Das ist eine andere Ebene, selbst
im Verlagswesen geht nichts mehr ohne die
Online-Welt. Diese Grenze zwischen Inhalt
und Technik finde ich reizvoll«, sagt Hellmann. Nachdem sie ihr erstes Studium in
Jena 2005 abgeschlossen hat, arbeitet sie
derzeit nebenbei in Leipzig an ihrem »Master of Content and Media Engineering«.
»Man muss sich weiterbilden und dieses
Studium gibt mir die Möglichkeit, Inhalte
medienneutral zu verwalten«.
Thüringen berge ein gutes Potenzial, sich
dem Online-Geschäft zu widmen. »In Ilmenau haben wir die Techniker, in Weimar die
Gestalter und nicht nur in Jena diejenigen,
die inhaltlich gut arbeiten«. Ihren Weg um
»gut arbeiten« und davon leben zu können,
hat Hellman für sich derzeit gefunden. »Ich
verdiene mein Geld beim Allgemeinen Anzeiger im Online-Bereich und nutze meine
Kreativität für meinen Verlag.
t hü r in g e r k re at iv e |
Zwei Fragen an Antje Hellmann
Wie schätzen Sie die Kreativ-Branche
in Thüringen ein?
Thüringen ist kein Szeneland. Ich sehe
Möglichkeiten, die Online- und OfflineArbeitenden zusammen zu bringen, wie
beispielsweise in Zirkeln, die es in den 20er
Jahren gab, aber alles hat seine Grenzen.
Wenn mehrere Kreative an einem Projekt
arbeiten, gibt es natürlich auch einen Koordinationsaufwand, viele Meinungen und
damit auch Konflikte. In Thüringen gibt es
viele kreative Einsiedler, die Gesellschaftsmenschen zieht es daher oft nach Berlin.
Fakt ist aber auch, als Gruppe ist man stark.
Gerade für Neulinge in der Branche halte
ich positive Beispiele für wichtig, denn es
gibt unternehmerisches Potenzial. Ein sicherer Weg wie in anderen Berufen ist es
nicht, und jeder Einzelne muss sich auch
mit den Risiken auseinandersetzen.
Welche Pläne haben Sie?
Ich möchte wieder einige Bücher herausbringen und zum Beispiel Reproduktionen
von Bernd Zellers Arbeiten für Ausstellungen deutschlandweit verschicken. Das hat
Potenzial, auch, wenn man bedenkt, dass
Originale hoch versichert sein müssen.
Wir arbeiten auch an einer Möglichkeit,
dass sich Kunden ihr eigenes Buch mit
ihren Lieblingscartoons individuell online
zusammenstellen können.
weiterführende links
www.macchiato-verlag.de
www.esf-thueringen.de
www.gfaw-thueringen.de
Antje Hellmann verbindet beruflich »online« und ihren Verlag
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| beru f sa u sb i ld u ng
Teamwork und eine
gute Portion Eigensinn
Wenn man wie, Torsten Archut, schon lange im Filmgeschäft tätig ist, kann man
Menschen einschätzen. Als 2008 ein junger Kameramann in spe an die Tür klopfte,
weil sein Ausbildungsunternehmen Konkurs anmeldete, entschied er als Chef schnell.
Der Lehrling wurde mit Unterstützung des ESF für Insolvenzlehrlinge eingestellt
und ist heute beruflich sehr erfolgreich. Ein Interview mit dem Geschäftsführer der
SAVIDAS filmproduction GmbH, Torsten Archut.
W
elchen Stellenwert hat Ausbildung?
Archut: Seit dem Jahr 2000 haben
wir vier Lehrlinge ausgebildet, zwei davon
sind geblieben, zwei andere haben erfolgreich studiert. Einer, Robert Hentschel, hat
2005 sogar den deutschen Kurzfilmpreis für
den Schnitt erhalten, montierte den letzten
Peter Sodan »Tatort« in Leipzig und schneidet jetzt u.a. mehrere Staffeln von »Schloss
Einstein« in Erfurt.
Das besondere in unserer Branche ist, dass
man eigentlich gar nicht ausbilden muss.
Es gibt Universitäten in Thüringen, die ein
Überangebot an studierenden Medienleuten schaffen. Der Schwachpunkt Thüringens, es gibt zu wenig Nachfrage im Land
und so suchen viele der»jungen Wilden«
dann schnell das Weite.
Sie haben sich dennoch für die Ausbildung des
Insolvenzlehrlings entschieden.
Archut: Ja, wir haben 2008 nicht unbedingt
Personal gesucht. Doch der junge Mann hat
sich persönlich vorgestellt und ich hatte im
Gespräch das Gefühl, ich habe einen hoch
motivierten Menschen vor mir. Ich war mir
sicher, seine Einstellung kann und wird für
die Entwicklung des Unternehmens wertvoll sein. Wir investierten gleichzeitig mit
seiner Beschäftigung in neue Kameratechnik. Dieses Engagement hat sich aus heutiger Sicht gelohnt. Sören Sterzing ist mittlerweile unverzichtbar für die Firma und
einer der Besten in Thüringen.
Wie kreativ ist Thüringen?
Archut: Ich halte es da mit Mark Twain:
»Menschen mit einer neuen Idee gelten so
lange als Spinner, bis sich die Sache durchgesetzt hat.« Wir in Thüringen sind nicht
mehr oder weniger kreativ als Visionäre in
anderen Bundesländern. Was uns aber bei
manchen Dingen fehlt, ist ein ausgeprägtes
Selbstbewusstsein.
Nur ein Beispiel: Wenn der Standort des KIKAs in München wäre, würden die Mehrzahl aller Eigenproduktionen ausschließlich
in Bayern umgesetzt werden. Daran hätten
alle Beteiligten starkes Interesse. Die Macher, weil sie mit dem Land wirtschaftlich
verbunden sind, die Kunden, weil eine
Steigerung von kreativen Ideen erfolgt, das
Land, weil junge Menschen interessante gut
bezahlte Berufsangebote bekommen und
dadurch bleiben. Ein zusätzlicher Mehrwert entsteht durch die Steigerung des
Steueraufkommens im eigenen Land!
Eine höhere Nachfrage steigert bekanntermaßen die Produktivität und für die Kreativwirtschaft bedeutet das mehr »Spielflächen«, um national Aufmerksamkeit zu
erreichen.
Wie sind die Bedingungen für Kreative am
Standort?
Archut: Eine gute Idee setzt sich langfristig
durch. Doch ich beobachte an bestimmten Stellen in Thüringen einen Preisverfall,
b e r u f s au s b il d u n g |
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SAVIDAS-Geschäftsführer Torsten Archut: »Eine gute Idee setzt sich langfristig durch.«
der interessante Projekte einbremst. Auch
nicht stattfindende oder schlecht vorbereitete Ausschreibungen helfen dem fairen Wettbewerb und der wirtschaftlichen
Weiterentwicklung nicht. Aber auch wir
Kreativen müssen einen Beitrag für bessere Bedingungen schaffen. Wir brauchen
funktionierende Netzwerke. Diese greifen
einfach besser in Regionen wie Köln, Berlin
oder Hamburg.
Worauf sind Sie stolz?
In erster Linie natürlich auf meine Kinder
und ein wenig auf mich. Darauf, dass ich
in den vergangenen zwölf Jahren als Unter-
nehmer in einem schwierigen Markt eine
gesunde, unabhängige und korruptionsfreie Wirtschaftsbasis geschaffen habe. Es
gibt viele Produktionen auf die ich gerne
zurückschaue, auch, weil sie Ergebnis von
Teamarbeit sind. Kreative Produkte sind
zwar kurzlebig und nicht immer fassbar,
aber durch die Visualisierung ist ein Mehrwert erkennbar. Ich gestalte und produziere
mit sechs fest Angestellten und vielen freien Mitarbeitern spannende Projekte. Meine
Firma erscheint auf den ersten Blick klein,
aber die Produktionen erreichen ein großes Publikum und machen uns dabei viel
Spaß!
Was wünschen Sie sich und Ihrem Unternehmen?
Kontinuität ist wichtig. Langfristige Projekte wie Serienproduktionen wünscht
sich wohl fast jeder Produzent in unserer
Branche. Ich erhoffe mir, dass es mir weiterhin gelingt, motivierend und ideenreich
zu wirken.
weiterführende links
www.savidas-film.com
www.esf-thueringen.de
www.gfaw-thueringen.de
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| beru f sa u sb i ld u ng
Kreativer Nachwuchs
Uwe Chiarcos ist seit 15 Jahren selbstständig in der Thüringer Kreativbranche.
Der Chef einer Werbeagentur hat jedoch seit Jahren noch ein zweites Berufsfeld.
Er bildet für die Branche aus – damit die künftigen Fachleute auch in den Bereichen
über Wissen verfügen, die bei ihren Arbeitgebern nicht zum Standard gehört.
Die Ausbildung von Lehrlingen in Ergänzungslehrgängen wurde 2008 und 2009 durch
den Europäischen Sozialfonds gefördert.
D
ie Ausbildung an der Akademie für
Werbung und Kommunikation Erfurt
hat bei den Arbeitgebern einen guten Ruf. Zu
den Kunden, die ihre Auszubildenden und
Mitarbeiter schicken, gehören u. a. die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen, Analytik Jena, Sparkasse Mittelthüringen, Volksbank Weimar, Goepel electronic, Coca Cola
und Viba sweet. »Nicht alle decken das recht
breite Ausbildungsprofil ab. Daher bestand
Bedarf und auch die Möglichkeit, eine breite
Ausbildung anzubieten«, sagt Chiarcos. Zu
den Unterrichtsinhalten gehören Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft, Marketing und
Marktforschung, Mediaarbeit, Kommunikationspolitik, Verkaufsförderung, Werbung,
PR, Werbemittelgestaltung, Recht. Die Dozenten sind zumeist Praktiker. Bei den Ergänzungslehrgängen sind zehn bis 15 Teilnehmer
im Jahr an der Akademie gemeldet. Beim
Studium zum staatlich geprüften Kommunikationswirt werden die ersten drei Semester
in Erfurt studiert, das vierte Semester in Kassel, bei der Akademie für Absatzwirtschaft.
Bei letzterer wird auch die Prüfung abgelegt.
»Wir arbeiten auch mit der gewerblichen
Berufsschule in Gera zusammen und bieten
auch dort Seminare«. Die Idee, eine Akademie für den Branchen-Nachwuchs zu gründen, hatte der Erfurter durch Erfahrungen
mit den eigenen Lehrlingen. »Ich habe unsere
Leute nach Kassel und Leipzig geschickt und
mir irgendwann die Frage gestellt, warum es
so etwas nicht in Thüringen gibt«, sagt der
Agenturchef. Durchschnittlich zehn junge
Frauen und Männer sind bei jedem StudienKurs dabei. Jedes Jahr beginnt ein neuer Jahrgang. Rund 6000 Euro kostet die Ausbildung,
die zumeist bei den Teilnehmern über das
Meister-Bafög finanziert wird. »Bei der Ausbildung geht es darum, Layout und Druck
zu bewerten, Mediaplanung zu machen, ein
Projekt mit einem Budget von 20.000 bis
30.000 Euro kalkulieren zu können«. Rund
900-Stunden dauert das Studium. »70 bis 80
Prozent der Absolventen nehmen eine gute
Entwicklung«, freut sich Chiarcos.
Zwei Fragen an Uwe Chiarcos
Wie kreativ ist Thüringen?
Das hängt nicht von den Kreativen ab, sondern von den Kunden. Es braucht mutige
Kunden. Im Vergleich zu Regionen wie Leipzig ist Thüringen eine Provinz. Die Kunden
haben viel Angst, Mut zu zeigen.
Wird Kreativität gut bezahlt?
Überhaupt nicht. Es geht ja schon los, wenn
Kreative sich an Pitchings beteiligen. Das wird
nicht bezahlt. Rechtsanwälte und Ärzte werden demgegenüber auch bezahlt, auch wenn
das Ergebnis nicht immer erfolgreich ist.
weiterführende links
www.ak-erfurt.de
b e r u f s au s b il d u n g |
Akademiechef Uwe Chiarcos freut sich über den großen Anteil der Absolventen, die »eine gute Entwicklung nehmen«.
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| f a c h krä f te
Sozialwirtschaft:
Beschäftigungsmotor und Standortfaktor
Von einem Euro aus öffentlichen Kassen für die Sozialwirtschaft fließen 73 Cent an
Steuern, Sozialabgaben und wirtschaftliche Effekten in den Regionen zurück.
Doch die Branche in Thüringen leidet an Fachkräftemangel und Planungsunsicherheit.
Die Arbeitsbedingungen und die Löhne sind wenig attraktiv. Das Thüringer Wirtschaftsministerium und das Thüringer Sozialministerium legten den ersten Sozialwirtschaftsbericht vor.
D
emnach steigt seit Jahren die Zahl der
Beschäftigten, allein im Pflegebereich
um über 60 Prozent seit 1999. Die Branche
erwirtschaftet laut Studie rund zwei Milliarden Euro im Jahr – das sind 4,7 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung
im Freistaat. »Die Sozialwirtschaft ist ein
echter Wirtschaftsfaktor und mit 58.000
Beschäftigten einer der großen Arbeitgeber
in Thüringen«, so Wirtschaftsstaatssekretär Jochen Staschewski. Zu den sozialen
Dienstleistungen, die von der Studie erfasst werden, gehören unter anderem die
Altenpflege, die frühkindliche Förderung,
die Kinder- und Jugendhilfe, die Hilfen
für Menschen mit Behinderungen und die
Beratung von Menschen in Notlagen. Aufgrund der demografischen Entwicklung
sinkt die Zahl potentieller Arbeitskräfte und die Zahl derer, die Hilfen in Anspruch nehmen, steigt. »Das Angebot an
qualifizierten Fachkräften ist rückläufig«,
so Sozialministerin Heike Taubert. Fast die
Hälfte der befragten Einrichtungen konnten in den vergangenen zwei Jahren offene
Stellen über einen längeren Zeitraum nicht
besetzen. In mehr als jeder dritten Einrichtung gibt es derzeit einen Fachkräftebedarf,
der nicht gedeckt werden kann. »Um dem
Fachkräftemangel zu begegnen, muss vor
allem die Ausbildung und Qualifizierung
intensiviert und attraktiver werden. Dazu
gehört auch eine angemessene Bezahlung«,
sagte Taubert. Wirtschafts- und Sozialministerium fordern daher vom Bund, die
Thüringens Sozialministerin Heike Taubert und Wirtschaftsstaatssekretär
Jochen Staschewski stellten den Sozialwirtschaftsbericht vor.
Finanzierung des dritten Ausbildungsjahrs
von Umschülern zu ermöglichen, die Ausbildung in Pflegeberufen zu modernisieren und die Anerkennung ausländischer
Bildungs- und Berufsabschlüsse in diesem
Bereich zu erleichtern. »Das bisherige Beschäftigungswachstum ging auch mit einer
Ausweitung prekärer Beschäftigung einher«, so Staschewski.
Für die weitere Entwicklung der Unternehmen der Sozialwirtschaft empfiehlt die
Studie mehr Planungs- und Finanzierungssicherheit. Dazu gehört auch ein leichterer Zugang zu Krediten. Derzeit prüft das
Wirtschaftsministerium die Möglichkeit,
Bürgschaftsprogramme oder einen Revolving- Fonds aufzulegen.
f achk r äf t e |
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Auszubildende wie Karolin Siegler sind in der Thüringer Sozialwirtschaft gefragt. Die 25-Jährige arbeitet im Senioren- und Pflegeheim »Georg Boock« in Erfurt.
News: Fachtagung zu Fachkräftenotstand in der Pflege
77.000 Pflegebedürftige in Thüringen, 40.000 benötigte Fachkräfte. Frauen und Männer werden immer älter, junge Menschen rücken zu wenig nach. Dadurch sinkt die Zahl der
Menschen im erwerbsfähigen Alter. Gleichzeitig steigt die
Anzahl älterer Menschen. Das stellt die Gesundheits- und
Pflegewirtschaft in den nächsten Jahren vor große Herausforderungen. Auf der GFAW-Fachtagung »Neue Wege in der
Pflege - Fachkräftenotstand in der Pflege verhindern« am 29.
November 2011 in Erfurt diskutierten Experten und Praktiker
die aktuelle Fachkräftesituation in der Pflege, Möglichkeiten
der Aus- und Weiterbildung. Thematisiert wurden auch der
heutige Fachkräfte- und Qualifizierungsbedarf in der Pflege, Möglichkeiten der betrieblichen Gesundheitsförderung,
Aspekte verbesserter Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen,
Berufsorientierung im Gesundheits- und Pflegebereich sowie Erfahrungen mit dem Ehrenamt in der Pflege und Seniorenbetreuung.
Foto: fotolia
weiterführende links
Der Sozialwirtschaftsbericht steht als Download unter diesem
Link zur Verfügung:
http://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmsfg/stabsstelle/schlussversion_swb.pdf
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| qu a li f i z i eru ng
Neuer Beruf und Hilfe
für die nächste Generation
Sie heißen Integrationshelfer, Schulassistent, Lernbegleiter, Schulbegleiter, Einzelfallhelfer
und sie tun das Gleiche – sie helfen Kindern und Jugendlichen mit Behinderung. Seit 2009
dürfen Kinder mit Behinderung nicht vom allgemeinen Unterricht ausgeschlossen werden.
Dadurch entstand ein neues Berufsbild. Rund 200 aktive Schulbegleiter gibt es derzeit in
Thüringen, rund zwei Drittel arbeiten an Grund- und Regelschulen. Um sie auf ihre Aufgabe berufsbegleitend zu qualifizieren, entstand das ESF-geförderte Projekt QuaSI.
D
Qualifikation für Schulbegleiter – Silke Keil, Diane Baier und Sebastian Flack vom IBS in Erfurt stellen die Weichen.
as Modellprojekt zur Qualifizierung
von Schulbegleitern und Schaffung
von Netzwerken für gelungene schulische
Integration in Thüringen startete am 1.
Mai 2009. »Wir haben ein Curriculum zur
Qualifizierung von bereits aktiven Schulbegleitern entwickelt und bilden seit vergangenem Jahr aus«, sagt Silke Keil vom Institut
für Berufsbildung und Sozialmanagement
in Erfurt. Bisher wurden 45 Männer und
Frauen ausgebildet, 30 davon haben die
Kurse bereits beendet. »Unsere Teilnehmer
haben früher als Therapeuten, Sozialassistenten oder Pädagogen gearbeitet, es gibt
aber auch ehemalige Bäcker, Maler und
Maurer«, so Keil. Die Schulbegleiter werden
über das Jugendamt finanziert und an Regelschulen, Förderschulen, aber vor allem an
Grundschulen eingesetzt. Sie begleiten die
Kinder im Schulalltag, motivieren, gestalten die Lernumgebung und stehen auch in
den Pausen zur Seite. »Es gibt Kinder mit
geistigen, körperlichen und auch Mehrfachbehinderungen, die so beim Lernen unterstützt werden«, sagt Keil. Die Eltern müssen
zuvor einen Antrag auf gemeinsamen Unterricht beim Schulamt stellen, jedes Jahr aufs
Neue. Nicht nur durch die bürokratischen
Hürden ist die Arbeit derzeit für viele Schulbegleiter ein Job für große Idealisten. »Es
gibt Streitigkeiten bei der Zuständigkeit der
Leistungsträger, Unsicherheiten auf Seiten
der Schulen und Lehrer und Unsicherheiten
auf Seiten der Träger von Schulbegleitungen,
zum Beispiel was den Stundenlohn oder ein
qu al if iz ie r u n g |
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Festgehalt, Arbeitszeiten und Urlaubsregelungen angeht«, erklärt
Keil. Einige Schulbegleiter arbeiten als 1 Euro-Jobber, andere erhalten ein Therapeutengehalt.
Die Weiterbildung bei QuaSI ist nicht nur für die Mitarbeiter aus artfremden Berufen gedacht, sondern hilft auch ausgebildeten Pädagogen, die nicht automatisch in integrativen Fragen geschult wurden.
Teile der zehnmonatigen Ausbildung sind unter anderem pädagogisches Arbeiten, Entwicklungspsychologie, Integrationspädagogik,
Schulrecht, Pflege, Krankheitsbilder und Behinderungsarten. »Der
Qualifizierungsbedarf ist groß. Bei uns arbeiten 18 Dozenten aus den
unterschiedlichsten Bereichen. Aber das Studium ist die Voraussetzung, um den Kindern und Jugendlichen den bestmöglichen Start zu
ermöglichen. Ziel ist, auch die Kinder mit Behinderungen auf den
ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten«, sagt Keil.
Evelyn Langert, 32, Gotha
Ich arbeite seit April 2010 als Schulbegleiterin. Von 7.45 Uhr bis 14.15
Uhr betreue ich an der Regenbogenschule mein Betreuungskind Nils.
Er leidet unter dem Ohtahara-Syndrom, einer seltenen Krankheit
mit epileptischen Anfällen, von der weltweit nur ein paar Hundert
Menschen betroffen sind. Im April habe ich meine Weiterbildung
bei Quasi begonnen. Ich bin Quereinsteigerin in diesem Beruf. Nach
einer Ausbildung als Köchin habe ich eine Tagesmutterausbildung
abgeschlossen. Meine Arbeit als Schulbegleiterin erfüllt mich und
ich freue mich, dass Nils meine Stimme erkennt.
Evelyn Langert mit ihren und Tageskindern. Foto: privat
Cathleen Letsch, 29, Gotha
Ich bin gelernte Ergotherapeutin. 2007 kam ich aus dem Erziehungsurlaub nach Thüringen zurück und brauchte eine Arbeit. Ich habe
mich als Mitarbeiterin in einem Kinderheim beworben. Seit August
2008 arbeite ich in einer integrativen Wohngruppe. Mein Betreuungskind Philipp ist 12 Jahre alt, lebt im Heim und geht auf die Lernbehindertenschule in Gotha. Ich begleite ihn während seines ganzen
Schultages: im Unterricht, beim Sport. Zu meinen Aufgaben gehört
es auch, zwischen ihm und seinen Mitschülern zu vermitteln.
Felix Ernst – als Erzieher eine neue Aufgabe. Foto: Medienbüro Anke Schmidt-Kraska
Frauendomäne erobert – Felix Ernst, 23, Mellingen
27 Stunden betreut Felix Ernst Alica. »Sie ist körperlich behindert
und ich bin da, um alles möglich zu machen«, sagt der gelernte Erzieher. Seit 2009 ist er Alicas ständiger Begleiter in der Grundschule in Mellingen. Ihr gemeinsamer Tag beginnt um dreiviertel acht
mit einem »zwischen Tür und Angel-Gespräch mit Alicas Mutter«.
Danach begleitet er die kleine Rollstuhlfahrerin in den Unterricht,
schreibt mit, macht mit ihr Laufübungen. »Am Anfang war das
schon eine Umstellung für die Lehrer, auch weil ich eine recht unkomplizierte Art habe«, sagt Felix Ernst. An seinen Sonderstatus im
Job hat er sich gewöhnt. Schon bei der Erzieherausbildung war er einer von drei männlichen Studenten – unter 22 Frauen. »Ein Bürojob
kam für mich nicht in Frage, irgendetwas Technisches auch nicht, es
sollte abwechslungsreich sein und da viele in meiner Familie einen
pädagogischen Beruf haben, lag Erzieher nahe«, sagt er. Mit seinem
11-Jährigen Schützling verbindet ihn ein enges Vertrauensverhältnis.
Er begleitet sie auch auf die Klassenfahrten, schreibt im Unterricht
mit, »wenn Alicas Hände verkrampfen« und hat sich mit seiner unverkrampften Art nicht nur Freunde gemacht: »Ich quatsche auch
mal im Unterricht. Für viele Lehrer war es am Anfang schon eine
Umstellung, dass da noch ein Erwachsener saß, der nicht immer still
daneben sitzt«, sagt der 23-Jährige. Oft ermuntert er die Schülerin,
wenn ihr alles körperlich zu langsam geht und ihr Kopf viel schneller
arbeitet. »Alica geht gern in die Schule, kann sich sehr gut ausdrücken, liebt Kunst und ist ein Mathe-As, außerdem ist sie die Klassenbeste«, sagt Ernst stolz. Über das Weiterbildungsseminar QuaSI
hat er auch andere Schulbegleiter kennen gelernt. »Es ist schon sehr
hilfreich, wenn man weiß, dass es anderen Leuten genauso geht und
man sich austauschen kann. Außerdem fand ich unsere sehr kompetenten Lehrer gut«. Der gelernte Erzieher arbeitet rund 20 Stunden
in der Woche als Schulbegleiter für Alica, weitere 10 Stunden wöchentlich ist er im Hort der Grundschule beschäftigt.
weiterführende links
www.schulbegleiter-thueringen.de
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| n ew s
News
News Thüringen
Thüringen Arbeitsminister Machnig fordert mehr Geld
für die Integration von Langzeitsarbeitslosen.
Foto: european comission
Verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit bedarf besonderer Anstrengungen
Thüringens Arbeitsminister Matthias Machnig hat die von der Bundesregierung geplanten Einschnitte bei der Förderung von Arbeitslosengeld-II-Beziehern scharf kritisiert.
So soll der so genannte »Eingliederungstitel SGB II« im Jahr 2012 um rund 900 Millionen Euro (auf 4,4 Milliarden Euro) gekürzt werden – und damit um 18,9 Prozent
gegenüber dem laufenden Jahr. Das geht aus einem aktuellen Schreiben des Bundesarbeitsministeriums an die Bundesagentur für Arbeit (BA) und die Optionskommunen
hervor. Dabei waren die Mittel bereits im Jahr 2011 um rund 1,3 Milliarden Euro auf 5,3
Milliarden Euro zusammengestrichen worden – ein Rückgang um 19,7 Prozent gegenüber 2010. »Damit macht die Bundesregierung das genaue Gegenteil von dem, was jetzt
eigentlich notwendig wäre«, sagte Machnig. Von den Kürzungen betroffen seien vor
allem Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte, die bisher kaum vom Aufschwung
am Arbeitsmarkt profitiert hätten. Besonders kritisierte der Minister, dass die Kürzung
der Fördermittel direkt an den Rückgang der ALG-II-Bezieher gekoppelt werde. »Diese
lineare Degression ist Unsinn«, so der Minister. Es sei zwar richtig, dass die Zahl der
Arbeitslosen in Deutschland deutlich zurückgegangen ist. Doch es seien zuerst immer
die Arbeitsuchenden ohne große Vermittlungshemmnisse und damit auch ohne großen Betreuungsaufwand, die schnell wieder einen Job fänden. Der verfestigte Kern an
schwerer vermittelbaren Arbeitslosen mit hohem Qualifizierungs- und Betreuungsaufwand verringere sich dagegen zunächst kaum. »Um hier spürbare Verbesserungen zu
erreichen, sind längerfristige Anstrengungen und ein konstantes Niveau an Investitionen
in Bildung und Vermittlung erforderlich.« Auch in Thüringen haben die Kürzungen
des Eingliederungstitels drastische Folgen: So gehen die Mittel für die Qualifizierung
und Eingliederung von ALG-II-Beziehern im nächsten Jahr um überdurchschnittliche
23,5 Prozent zurück – von 171 auf 131 Millionen Euro. Im Jahr 2010 hatten im Freistaat
sogar noch 244 Millionen Euro an Eingliederungsmitteln zur Verfügung gestanden. Die
Entwicklung macht sich auch auf lokaler Ebene bemerkbar: Die Mittel für die einzelnen
Jobcenter sinken im kommenden Jahr zwischen 30,6 Prozent (Wartburgkreis) und 19,2
Prozent (Saale-Orla-Kreis).
Bestanden!
Seit einer Umstellung der Datenerhebung für die Berufsbildungsstatistik der statistischen Ämter des Bundes und der Länder kann nun erstmals ermittelt werden, wie viele
Prüflinge im ersten Anlauf die Abschlussprüfung zum Ende ihrer beruflichen Ausbildung bestehen. Die vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) vorgenommene
Auswertung für das Jahr 2009 zeigt ein erfreuliches Ergebnis: 91,2 Prozent der rund
477.700 jungen Männer und Frauen absolvierten ihre Abschlussprüfungen auf Anhieb
erfolgreich; die Frauen schnitten dabei noch etwas besser ab als die Männer. Die meisten Erstprüfungsteilnehmer/-innen wurden im Beruf Einzelhandelskaufmann/-frau
verzeichnet: Von 30.726 angetretenen Prüflingen waren 92,6 Prozent unmittelbar erfolgreich, gefolgt von 21.183 zur Prüfung angetretenen Verkäufer/-innen - Erfolgsquote
87,1 Prozent - und 19.470 Prüflingen im Beruf Bürokaufmann/-frau - Erfolgsquote im
ersten Anlauf hier: 93,1 Prozent. Ein Blick auf die 25 einzeln ausgewerteten Berufe zeigt
die Spannweite des Bestehens und Nichtbestehens im ersten Anlauf. Mit 97,8 Prozent
war die Quote bei den 5.577 Elektroniker/-innen für Betriebstechnik am höchsten,
während sich die 12.441 angetretenen Köche und Köchinnen mit fast 20 Prozent nicht
bestandenen Erstprüfungen am schwersten taten.
Über 90 Prozent der Auszubildenden können beim ersten
Anlauf ihre bestandene Prüfung feiern.
n e ws |
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Datenkarte 2011 der Hans-Böckler-Stiftung
Wie viele Beschäftigte werden in Deutschland nach Tarifvertrag bezahlt? Wie viele müssen nachts oder am Samstag arbeiten? Wie viele Frauen und wie viele Männer haben eine
Teilzeitstelle? Wie viele können sich in ihrem Betrieb an einen Betriebs- oder Personalrat
wenden? Wie hat sich die Zahl der mitbestimmten Unternehmen entwickelt? Wie groß
ist das Armutsrisiko in verschiedenen Teilen Europas, wie hoch der gewerkschaftliche
Organisationsgrad in den Ländern der EU? Die Datenkarte 2011 der Hans-BöcklerStiftung liefert im handlichen Taschenbuchformat die aktuellen Zahlen. Differenzierte
Daten für das westliche und das östliche Bundesgebiet ergänzen die Zahlen für Gesamtdeutschland. Ein EU- und ein kompakter Bundesländervergleich runden die Karte ab.
Die gedruckte Karte liegt in deutscher Sprache vor. Eine englische Version der Datenkarte sowie ausführlichere Informationen zu den einzelnen Bundesländern stehen auf den
Internet-Seiten der Hans-Böckler-Stiftung als pdf-Dateien. www.boeckler.de
Die Webseite der Böckler-Stiftung
Thüringer Qualifizierungsberater an der Spitze.
Thüringen hat Vorreiterrolle in Qualifizierungsberatung
Thüringen nimmt eine Vorreiterrolle in der Qualifizierungsberatung ein. Zu diesem Ergebnis kam das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Das BIBB stellte fest, dass
dank der Qualifizierungsberatung die Zahl der betrieblichen Weiterbildungen in Thüringen seit 2000 kontinuierlich gewachsen ist. Das Modellprojekt der Qualifizierungsberater wurde vom BIBB als Referenzprojekt für andere Bundesländer vorgeschlagen. Die
Thüringer Qualifizierungsberater wurden durch das BIBB evaluiert. Untersucht wurde,
wie das Programm wirkt und welche Ergebnisse zu verzeichnen sind. Das BIBB kam
zu dem Ergebnis, dass das Thüringer Projekt erfolgreich ist. Von 2007 bis 2010 haben
die Qualifizierungsberater 15.000 Unternehmen beraten und 2.000 Weiterbildungen für
rund 20.000 Teilnehmer organisiert. Für die Unternehmen konnten in diesem Zeitraum
1.200 geeignete Fachkräfte gewonnen werden, die von den Betrieben eingestellt wurden.
www.qualifizierte-fachkraefte.de | www.gfaw-thueringen.de
Berufsbildung stärken, gute Arbeit ausbauen
Bis zum Jahr 2020 werden rund 200.000 Fachkräfte in Thüringen benötigt. Die beiden
Schwerpunktthemen des »Thüringer Mittelstandsforum 2011« waren daher Fachkräftesicherung und Personalmanagement. Fachleute von Hochschulen und Instituten, aus
Wirtschaft und Politik diskutierten in Weimar. »Wir müssen jetzt die richtigen Schritte
einleiten, wenn wir Fachkräfte für die kommenden Jahre sichern wollen«, sagte Jochen
Staschewski, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Mit dem Landesarbeitsmarktprogramm, dem Weiterbildungsscheck und dem berufsbegleitenden Masterstudium
habe das Wirtschaftsministerium bereits mehrere Maßnahmen ergriffen. »Aber auch
die Zahlung guter Löhne und die Verbesserung der Mitbestimmung in den Betrieben
sind zentrale Voraussetzungen, um gut ausgebildete Arbeitnehmer hier im Lande zu
halten«, sagte der Staatssekretär. Zu den Maßnahmen, die das Wirtschaftsministerium
zur Stärkung der beruflichen Bildung und Weiterbildung unternommen hat, zählt das
»nulltes Ausbildungsjahr«, das Jugendlichen Orientierung geben soll, die noch nicht
reif für eine Ausbildung sind. Mit den Kammern und der Regionaldirektion SachsenAnhalt/Thüringen der Bundesagentur für Arbeit wurde eine Vereinbarung zur Umsetzung dieser Einstiegsqualifizierung abgeschlossen. Auch habe das Ministerium das
Projekt »Berufsstart Plus« mit rund 4 Millionen Euro gefördert, das Schülern ab Klasse 7 eine Berufsorientierung gibt. Hinzu kommen die Stärkung der Weiterbildung:
Mit dem Weiterbildungsscheck und dem berufsbegleitenden Masterstudium werden
Arbeitnehmer, die mitten im Berufsleben stehen, dabei unterstützt, sich weiterzuqualifizieren. »Die Stärkung der Berufsbildung ist ein weiteres zentrales Thema, um Fachkräfte für die Thüringer Unternehmen zu sichern«, so der Staatssekretär.
www.bibb.de
Lebenslanges Lernen verschafft bessere Chancen.
Foto: european comission
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Personalien
Gerd Fuchs
Nach 20-jährigem Dienst in Thüringen: Gerd Fuchs verabschiedet sich in den Ruhestand.
E
SF-Fondsverwalter Gerd Fuchs verabschiedet sich Ende Januar in den Ruhestand. »Ich hatte Glück, als Pionier in
Thüringen agieren zu können«, sagt der 65Jährige. Fuchs hatte seit 1992 maßgeblich
an der inhaltlichen Ausrichtung der ESFFörderung in Thüringen mitgearbeitet. So
wurde unter seiner Regie von 1992 bis 1994
das Aufbauwerk Thüringen zur Gesellschaft
für Arbeits- und Wirtschaftsförderung
mbH entwickelt. »Anfang 1992 war Thüringen Schlusslicht in Deutschland. Wir hatten hier die höchste Arbeitslosigkeit; jetzt
nähern wir uns bei der Arbeitslosenquote
dem Bundesdurchschnitt«.
Bis 1999 betreute der Vater von sieben Kindern fachlich die aktive Arbeitsmarktpolitik in Thüringen und trug dazu bei, diese
zu regionalisieren. Besonderes Augenmerk
habe er auf die Einführung und Umsetzung
innovativer Arbeitsförderprogramme wie
»Arbeit statt Sozialhilfe«, »Soziale Wirtschaftsbetriebe«, und Strukturanpassungsmaßnahmen gerichtet, sagt Fuchs. Die Projekte JANA, JOB und JET zur Integration
Jugendlicher nach der Berufsausbildung,
FIT zur Eingliederung arbeitsloser Frauen und Lokales Kapital für soziale Zwecke seien ihm besonders wichtig gewesen.
Zu den bekanntesten ehemaligen Sozialen
Wirtschaftsbetrieben gehören u. a. Anker
Bausteine und das Modeunternehmen Ute
Stephan. »Mitte der 90er Jahre hatten wir
120.000 Menschen in Arbeitsmarktförderung. Das waren mehr Menschen als damals in Thüringen in der Industrie beschäftigt waren«. Ab 2000 wurde der ehemalige
Abteilungsleiter beim Arbeitsamt Coburg
mit der Umsetzung des Operationellen
Programms des ESF betraut.
Die Konzipierung und Steuerung der Thüringer TEAM-Wettbewerbe, der Aufbau der
Europaservicebüros und die von der damaligen Sozialministerin Lieberknecht angeregte und im Kompetenzteam EU-Projekte
umgesetzte Thüringer Initiative zur Integration und Armutsbekämpfung mit Nachhaltigkeit (TIZIAN) gehören dabei zu Aktivitäten mit hoher Innovationskraft. »Ich
habe ein gutes Team mit vier einsatzfreudigen Mitarbeiterinnen; Hartnäckigkeit, Risikobereitschaft und Kommunikationsfreude braucht man aber auch für den Erfolg«,
meint Gerd Fuchs.
Der Abschied vom Dienstzimmer wird von
einem Urlaub in der Sonne abgelöst. »Ruhestand bedeutet für mich, zunächst Zeit
für die Familie und den Hund zu haben,
zum Malen und zum Schreiben«. Und dass
2012 das EU-Jahr des aktiven Alterns und
der Solidarität zwischen den Generationen
sein wird, spricht den Ruheständler in spe
sehr an.
s e r v ice |
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Servicethema
Richtlinie zur Berufsorientierung erweitert
Die Berufsorientierungsrichtlinie
besteht aus zwei Säulen:
Mehr interkulturelle Kompetenz bei der Berufsorientierung an Thüringer Schulen Foto: european comission
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as Thüringer Wirtschaftsministerium erweitert die Richtlinie
zur Berufsorientierung: Ab 1. Januar 2012 können an den allgemeinbildenden Schulen in Thüringen Projekte gefördert werden, die
zur Stärkung der interkulturellen und sozialen Kompetenz beitragen.
Auch sollen sich die Schülerinnen und Schüler im Rahmen von Projekttagen mit Demokratie im Alltag und mit antidemokratischen,
rechtsextremen oder rassistischen Ideologien auseinandersetzen.
»Globalisierung, Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Zuwanderung
von Fachkräften führen auch in Thüringen zu kulturell gemischten
Belegschaften«, sagte Arbeitsminister Matthias Machnig. Es reiche
längst nicht mehr aus, in der Berufsvorbereitung Qualifikationsprofile und Abschlüsse vorzustellen. Frühzeitig müssten »Soft Skills« wie
Team- und Kommunikationsfähigkeit, Konfliktmanagement und
der Umgang mit Misserfolgen trainiert werden. Auch sollten sich die
Schüler frühzeitig damit beschäftigen, welche Möglichkeiten es gibt,
die eigenen Arbeitsbedingungen mit zu gestalten. »Arbeitnehmer haben Rechte – die Jugendlichen sollen lernen, dass sie sich an ihrer
Arbeitsstelle einbringen und dass sie mitbestimmen können.« Machnig: »Jugendliche, die ihre Kompetenzen auf diesen Feldern stärken,
steigern ihre beruflichen Entwicklungschancen.« Thüringens Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Christoph Matschie,
hebt die Bedeutung einer praxisnahen und individuellen Berufs- und
Studienorientierung hervor: »Thüringen lässt junge Menschen bei
der Berufsorientierung nicht allein. Mit dem Thüringer Berufsorientierungsmodell, das noch besser auf die Interessen und Fähigkeiten
junger Leute abzielt, setzen wir frühzeitig auf die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler.« Individuelle Förderung,
fächerübergreifender und praxisorientierter Unterricht seien dabei
die Schlüssel zum Erfolg. »Dazu gehört auch, dass sich die Schülerinnen und Schüler damit auseinandersetzen, wie Demokratie in Politik
und Alltag funktioniert und in welchem Rahmen sie sich engagieren
können.« Ab 2012 können diese Inhalte an den allgemeinbildenden
Schulen in Thüringen vermittelt werden. Im Rahmen dieser Richtlinie sind qualifizierte Bildungsträger förderfähig.
1. Die praxisnahe Berufsorientierung kann
an allen 440 allgemeinbildenden Schulen
im Freistaat angeboten werden. Sie ergänzt
die schulischen Angebote zur Berufsorientierung. Die Abstimmung über die förderfähigen Projekte erfolgt zwischen Arbeitsagentur, Wirtschafts- und Bildungsministerium
und der Gesellschaft für Arbeits- und Wirtschaftsförderung des Freistaats Thüringen
(GfAW). Die Projekte zur Stärkung der
interkulturellen und sozialen Kompetenz
werden in diesen Bereich der Richtlinie integriert.
2. Die Berufsvorbereitung unterstützt Jugendliche ohne Schulabschluss und Ausbildungsplatz.
Projekte zur Berufsorientierung werden aus
Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF)
gefördert. In der Förderperiode 2007 bis 2013
stehen insgesamt rund 63,5 Millionen Euro
für diesen Zweck zur Verfügung. 83 Prozent
der Mittel sind bereits bewilligt worden.
Thüringer Integrationschance
Der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten
Monaten in Thüringen gut entwickelt. Doch
noch immer profitieren Arbeitslose mit Beeinträchtigungen nicht ausreichend von
diesem Aufschwung. Geplant ist daher, die
Richtlinie über ESF- und Landes-Förderung
für die berufliche und soziale Integration im
Rahmen des Programms »Arbeit für Thüringen und Zukunft Familie« (Integrationsrichtlinie) zu ändern.
Integrationsprojekte des Landesarbeitsmarktprogramms sollen durch eine ergänzende
ESF-Förderung und durch die Initiative
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| s ervi c e
Integration in den Arbeitsmarkt trotz Handicap. Foto: european comission
TIZIAN weitergeführt werden. Damit wird
eine nachhaltige berufliche Integration unterstützt. Bestehende Angebote sollen mit lokalen Akteuren, kommunalen Einrichtungen
und überregionalen Versorgungsträgern vernetzt werden. Die Zusammenführung der relevanten Fördermöglichkeiten in einer Richtlinie erhöht die Transparenz. Bürokratische
Hürden werden durch Pauschalen vermieden.
Die neue Förderrichtlinie sowie die am
25.10.2011 in Kraft getretene Richtlinie
für Lohnkostenzuschüsse (LKZ) bilden
die Säulen für ein weiterentwickeltes Programm »Arbeit für Thüringen und Zukunft
Familie«, das aufeinander abgestimmte Elemente der Beschäftigungs- und Integrationsförderung vereint und überwiegend aus
ESF-Mitteln finanziert wird.
In der neuen Integrationsrichtlinie
sind neue Elemente vorgesehen:
▶▶ Integration von arbeitslosen Personen
▶▶
▶▶
▶▶
Richtlinienneuerung vorgesehen: Chancen für alle erweitern. Foto: european comission
weiterführende links
www.thueringer-wirtschaftsministerium.de
www.esf-thueringen.de
www.gfaw-thueringen.de
mit besonders schwerwiegenden bzw.
mehrfachen Beeinträchtigungen sowie
von Familienbedarfsgemeinschaften
Individuelle Integrationsbegleitung in
regionalen Integrationsprojekten
Projekte zur beruflichen Qualifizierung
Projekte, die im Sinn eines Quartiermanagements und im Rahmen von
Zielvereinbarungen mit lokalen Akteuren zur Aktivierung der Bewohner
hinsichtlich ihrer gesundheitlichen, gesellschaftlichen und beruflichen Kompetenz führen
n e ws |
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Letzte Nachrichten
Kündigungsschutz hilft über die Krise hinaus
Während der Wirtschaftskrise ist das Wachstum in Deutschland stark eingebrochen.
Die Beschäftigung blieb jedoch stabil. Die Regulierung des Arbeitsmarktes trug entscheidend zur guten Job-Bilanz bei. Forscher des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) haben umfassende Wirtschaftsdaten von 29 zumeist industrialisierten Staaten zusammengestellt. Anhand dieser ermittelten sie, welche Faktoren den
Ausschlag gaben für die äußerst unterschiedliche Krisenperformance der Arbeitsmärkte.
Ihr Ergebnis: Den stärksten – positiven – Einfluss auf die Entwicklung der Beschäftigung hatten Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer, also zum Beispiel der deutsche
Kündigungsschutz. Weiterhin stellen sie einen positiven Zusammenhang fest zwischen
der Arbeitsmarktperformance und einer starken Teilzeitquote vor der Krise sowie dem
Ausmaß aktiver Arbeitsmarktpolitik, gemessen am Anteil entsprechender Ausgaben am
Bruttoinlandsprodukt. Für 2011 gilt: Eine gute Arbeitsmarktperformance während der
Krise hat einen starken positiven Einfluss auf das Wirtschaftswachstum nach der Krise. Im Jahr 2012 verringert sich dieser Effekt, ist aber immer noch vorhanden. Gerade
in Staaten wie Deutschland, Österreich und den Niederlanden, wo der wirtschaftliche
Einbruch enorm, der Arbeitsmarkt aber relativ stabil war, erholte sich die Konjunktur
bereits 2010, mit guten Prognosen für 2011, so die Autoren. Die Beschäftigung wird 2012
laut den Vorhersagen der OECD in allen drei Ländern höher sein als vor der Krise. In
den Vereinigten Staaten, Spanien und Portugal hingegen, wo in der Krise viele Arbeitnehmer ihren Job verloren, bleibt die Arbeitslosigkeit hoch.
Niedrig Qualifizierte mit hohem Risiko
Beschäftigte mit niedriger Qualifikation tragen ein erhebliches Risiko, durch Krankheit
dauerhaft arbeitsunfähig zu werden. Die Wahrscheinlichkeit, eine Erwerbsminderung zu
erleiden, ist bei ihnen bis zu 10-mal so hoch wie unter Akademikern. Zu diesem Ergebnis
kommen Wissenschaftler vom Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin, des
Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA), des Robert Koch-Instituts (RKI) und des
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Kernergebnis der Datenanalyse:
Vor allem die Qualifikation, aber auch Geschlecht und Wohnort beeinflussen die Wahrscheinlichkeit, aus Gesundheitsgründen nicht bis zum regulären Rentenalter arbeiten zu
können. Haupt- oder Realschulabschluss, keine Berufsausbildung, männlich, wohnhaft
in Ostdeutschland – Beschäftigte mit diesem Profil tragen das höchste Risiko, arbeitsunfähig zu werden. Es liegt gut zehnmal so hoch wie bei männlichen Akademikern, die
in den alten Bundesländern leben. Die Qualifikation erweist sich in der Feinanalyse der
Forscher als wichtigster Einflussfaktor. Das gilt in allen Altersgruppen, besonders weit
öffnet sich die Bildungs-Schere aber bei den Älteren. Unter Frauen und Männern mit
(Fach-) Hochschulabschluss gehen auch mit Ende 50 lediglich rund 5 von 1.000 Versicherten in die Erwerbsminderungsrente. Dagegen sind es bei niedrig qualifizierten Männern fast 25, bei niedrig qualifizierten Frauen 19. Beschäftigte mit mittlerer Qualifikation, das heißt mit abgeschlossener Berufsausbildung, liegen dazwischen. Hier verzeichnet
die Statistik bei Männern rund 15 Zugänge, bei Frauen 13.
www.boeckler.de
Ohne Qualifikation – hohes Risiko. Foto: european comission
die themen der nächsten ausgabe:
Δ Beschäftigung und soziale Solidarität 2012
Δ Die richtige Chance für alle –
Berufsorientierung
Δ Nächster Halt: Heimat
Thüringens Rückkehrer
Wir wünschen allen Lesern der
»Guten Arbeit« ein erfolgreiches
Jahr 2012.
impressum
»gute arbeit« erscheint vierteljährlich. 1. Jahrgang, Ausgabe 4/2011
Herausgeber:
Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie
Max-Reger-Straße 4 – 8
D-99096 Erfurt
Telefon: +49 (03 61) 37 97 - 999
Telefax: +49 (03 61) 37 97 - 990
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Internet: www.thueringer-wirtschaftsministerium.de
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