gute arbeit
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Zeitschrift des europäischen Sozialfonds und des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Technologie für die akteure des arbeitsmarktes thüringer kreative 04 / 2011 1. Jahrgang die themen dieser ausgabe: Δ Kreativwirtschaft Thüringen Δ Wertschöpfung sozial Δ Integration und Berufsorientierung | inh a ltsverz ei c h ni s Inhalt dieser Ausgabe Frauendomäne erobert – Schulbegleiter im Portrait auf Seite 18 Kreatives Thüringen – Das »gute arbeit« special ab Seite 4 Fotos: Medienbüro Anke Schmidt-Kraska, Candy Welz Titelfoto: Bauhausmaschine INHALT Δ Δ Δ Δ Δ Δ Δ Δ Δ Δ Δ Δ Δ Δ Δ Δ Δ Editorial ...............................................................................................1 Gleicher Mindestlohn für Ost und West.................................................2 Vom einsamen Kreativen zum internationalen Netzwerker . .................3 Bausteine mit Hirn und Akku ...............................................................4 Orientierung in gutem Design . .............................................................5 Ordentlicher Pappkamerad – Standhafte Papierideen . .........................6 Klang und Farben .................................................................................8 Satire mit Format ................................................................................10 Teamwork und eine gute Portion Eigensinn ..........................................12 Kreativer Nachwuchs ............................................................................14 Sozialwirtschaft: Beschäftigungsmotor und Standortfaktor...................16 Neuer Beruf und Hilfe für die nächste Generation ................................18 News ....................................................................................................20 Personalien...........................................................................................22 Service .................................................................................................23 Letzte Nachrichten................................................................................25 Impressum, Ausblick . ..........................................................................26 e d it or ial | Editorial Sehr geehrte Leserinnen und Leser, T hüringen ist kreativ: Rund 3.200 Unternehmen und 12.000 Menschen arbeiten hier in der Kreativwirtschaft, verlegen Bücher, entwickeln Software, drehen Filme, entwerfen Plakate, designen Kleidung und Gebäude. Dennoch: Selbstbewusstsein und Selbstverständnis der Branche sind in Thüringen bisher noch nicht ausreichend entwickelt, ihre Potentiale für Beschäftigung und Standortimage noch längst nicht ausgeschöpft. Ziel muss es sein, die überregionale Wahrnehmbarkeit der Branche zu verbessern, ihre Stärken besser herauszuarbeiten und Netzwerke zu entwickeln. Das wollen wir u.a. mit der neuen Thüringer Agentur für Kreativwirtschaft (ThAK) erreichen, die ich am 13. Januar 2012 in Erfurt offiziell eröffnen werde. Die ThAK bietet künftig allen Unternehmen und Selbständigen der Branche umfassende Beratung an. Mit Dirk Kiefer haben wir inzwischen auch einen fähigen Leiter dieser neuen Servicestelle gewonnen: Der studierte Musikwissenschaftler war nach Tätigkeiten in Hamburg, Berlin und London zuletzt im Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes tätig und kennt die Sorgen und Bedürfnisse der Branche aus langjähriger Beratungspraxis. Neue Beschäftigungschancen in kreativen Berufen – das ist der Themenschwerpunkt des letzten Heftes der »Guten Arbeit« im Jahr 2011. Dafür haben wir viele Ansätze, Initiativen und Praxisbeispiele aus Thüringen zusammengetragen. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch: Der Arbeitsmarkt in Thüringen und den neuen Ländern bleibt gespalten. Einerseits gibt es einen zunehmenden Fachkräftemangel, andererseits haben Ältere, Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte trotz guter Konjunktur kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Diese strukturelle Spaltung bleibt die wichtigste Herausforderung der Thüringer Arbeitsmarktpolitik. Und auch die Antwort auf diese Herausforderung muss zweiteilig sein: Einerseits müssen wir für bessere Löhne in Thüringen sorgen, um endlich die rote Laterne unter den Bundesländern los- und damit als Standort wieder attraktiv für Fachkräfte zu werden. Andererseits brauchen wir bei den Einkommen eine Auffang- und Haltelinie nach unten, um prekärer Beschäftigung und Niedriglöhnen einen Riegel vorzuschieben. Anfang 2012 werde ich deshalb einen Entwurf für ein bundesweites Mindestlohngesetz vorlegen, das wir dann hoffentlich als Thüringer Landesregierung in den Bundesrat einbringen werden. Sie sehen: Die Intention und das Anliegen dieser Zeitschrift – »Gute Arbeit« für die Menschen in Thüringen – bleibt auch im kommenden Jahr ganz oben auf der Agenda der Thüringer ESF- und Arbeitsmarktpolitik. Ich wünsche mir, dass Sie uns auf dem eingeschlagenen Weg weiter kritisch und konstruktiv begleiten. Der erste Schritt dazu kann die hoffentlich aufschlussreiche und anregende Lektüre der vorliegenden Ausgabe von »Gute Arbeit« sein. Ich freue mich auf Ihre Anregungen und Kommentare zum Heft – und wünsche Ihnen ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2012. Herzlichst Ihr Matthias Machnig thüringer minister für wirtschaft, arbeit und technologie 1 2 | arb ei tsm a rktpo li ti k Gleicher Mindestlohn für Ost und West Der Thüringer Arbeitsmarkt ist weiter auf gutem Kurs. Doch trotz kontinuierlichem Rückgang der Arbeitslosigkeit, einem stärkeren Selbstbewusstsein der Arbeitnehmer und neuen Jobperspektiven, ist der Niedriglohnsektor immer noch Realität. » J etzt in Zeiten des Aufschwungs muss dafür gesorgt werden, den Arbeitsmarkt durch gute Arbeit und faire Löhne dauerhaft zu stabilisieren«, sagte Arbeitsminister Matthias Machnig auf der Fachtagung »Soziale Teilhabe und berufliche Integration« Mitte Dezember in Erfurt. In Anlehnung an die Richtlinie für die ESF-Lohnkostenzuschüsse, auf die sich die Landesregierung unlängst geeinigt hatte, schlug er deshalb als Einstieg einen verbindlichen Mindestlohn von 8,33 Euro vor. Dieser baut auf der bundesweit gültigen Tarifvereinbarung in der Abfallwirtschaft, die einen gleichen unteren Lohn für Ost- und Westdeutschland hat, auf. 20 Jahre nach der Wende dürfe es keinen Zwei-Klassen-Mindestlohn geben, so Machnig. Thüringen habe den größten Niedriglohnsektor im Ländervergleich: 34 Prozent der Thüringer verdienen maximal 8,50 Euro brutto die Stunde. Hintergrund Noch gibt es in Deutschland keinen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn - anders als in 20 von 27 Mitgliedsländern der EU. Als Orientierung für einen gesetzlichen Mindestlohn bieten sich nach Analysen und Modellrechnungen des WSI (Wirtschafts-und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-BöcklerStiftung) mehrere Größen an: sozialstaatliche Standards wie die Pfändungsfreigrenze oder das Existenzminimum, eine der in der Wissenschaft verwendeten Armutsgrenzen oder die gesetzlichen Lohnuntergrenzen der europäischen Nachbarn. Zieht man die Pfän- dungsfreigrenze in Deutschland heran, müsste ein Gerichtsvollzieher einem alleinstehenden Erwerbstätigen im Monat derzeit einen Betrag von 1.299,99 Euro netto belassen, damit der seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Ein alleinstehender Beschäftigter mit einer 38Stunden-Woche müsste demnach aktuell mindestens 8,62 Euro brutto pro Stunde verdienen, um netto ein Einkommen auf Höhe der Pfändungsfreigrenze zu erzielen. Arbeitnehmer mit niedrigen Verdiensten haben ein Anrecht darauf, ihr Arbeitseinkommen mit Arbeitslosengeld II (ALG-II) aufzustocken. So erhält ein Alleinstehender in der Regel ergänzendes ALG II, wenn er netto weniger als 1.054 Euro im Monat verdient. Diese Grenze ergibt sich aus 754 Euro ALG-II-Anspruch (Regelsatz plus durchschnittliche Kosten der Unterkunft) plus 300 Euro an Freibeträgen, die das Sozialgesetzbuch erwerbstätigen Grundsicherungsempfängern zugesteht. Um dieses Niveau zu erreichen, benötigt ein alleinstehender Beschäftigter mit 38 Wochenstunden einen Bruttolohn von 8,91 Euro. Die Europäische Sozialcharta enthält auch eine Mindestlohnklausel. Die Vertragsstaaten sollen sich an eine Untergrenze von 60 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns im Lande halten. In Deutschland (Ost und West zusammen) lag diese Schwelle 2010 bei netto 8,12 Euro pro Stunde. Um sie zu erreichen, sind je nach wöchentlicher Arbeitszeit 12,24 bis 12,40 Euro Bruttolohn notwendig. Die Grenze zur Lohnarmut bietet einen zusätzlichen Orientierungspunkt. Die internationale Armutsforschung zieht die relative Lohnarmutsgrenze in einem Land meist bei 50 Prozent des durchschnittlichen Vollzeiteinkommens. Nach den derzeit aktuellsten Daten lag der durchschnittliche Bruttolohn in Deutschland 2010 bei 21,48 Euro pro Stunde. Ein Vollzeitbeschäftigter muss also mindestens 10,74 Euro verdienen, wenn er nach dieser Definition nicht als »arm trotz Arbeit« gelten soll. Die gesetzlichen Mindestlöhne in EU-Ländern mit vergleichbarer Wirtschaftskraft wie Belgien, den Niederlanden und Frankreich sind derzeit zwischen 8,58 und 9 Euro die Stunde angesiedelt. In Luxemburg müssen mindestens 10,16 Euro gezahlt werden, in Irland 8,65 Euro. Durch einen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, wie ihn etwa der Deutsche Gewerkschaftsbund vorschlägt, würden rund fünf Millionen Beschäftigte finanziell besser gestellt. Das zeigt eine aktuelle Untersuchung der Prognos AG im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Denn derzeit arbeiten nach den Prognos-Berechnungen auf Basis des Sozio-ökonomischen Panels 1,2 Millionen Menschen für weniger als 5 Euro brutto in der Stunde. Weitere 2,4 Millionen verdienen zwischen 5 und 7,50 Euro pro Stunde. Noch einmal 1,4 Millionen Beschäftigte erhalten Stundenlöhne zwischen 7,50 und 8,50 Euro. Neben den Niedriglohnverdienern würden nach der Prognos-Expertise auch Staats- und Sozialkassen von einem gesetzlichen Lohnminimum profitieren, weil Transferzahlungen entfallen und mehr Steuer- und Sozialbeiträge fließen könnten. So würde ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro die öffentlichen Kassen um jährlich 7,1 Milliarden Euro entlasten. in t e r v ie w | 3 Vom einsamen Kreativen zum internationalen Netzwerker In den 3200 Unternehmen der Thüringer Kreativwirtschaft arbeiten über 12 000 Beschäftigte. Rund 850 Mio. Euro werden jährlich umgesetzt. Doch die Branche ist in Thüringen bisher kaum als solche wahrgenommen worden. Das Wirtschaftsministerium will die Kreativen stärken – ein Interview mit Wirtschaftsminister Matthias Machnig. D ie Potenziale der Thüringer Kreativwirtschaft sind noch nicht ausgeschöpft, wie weit ist die Gründung einer Thüringer Agentur für die Kreativwirtschaft (ThAK) gediehen? Machnig: Die Agentur wird mit Jahresanfang 2012 arbeitsfähig sein und als Ansprechpartner für die Unternehmen zur Verfügung stehen. Insgesamt wurden fünf Mitarbeiter eingestellt, die eigene Erfahrungen in der Kreativbranche mitbringen. Damit bekommt Thüringen bundesweit die leistungsfähigste Berater- und Unterstützerstruktur in der Kreativwirtschaft. men aus ganz Thüringen haben sich beteiligt, daraus hat eine unabhängige Jury elf Preisträger ermittelt. Die Ergebnisse sind durchaus beeindruckend. Wann wird es ein Gewerbezentrum für Unternehmen aus der Kreativwirtschaft in Weimar geben? Machnig: Das Gewerbezentrum wird nach jetzigem Planungsstand im September 2013 eröffnet werden können. Hier gibt es dann auf mehr als 1.000 Quadratmetern flexible Raumangebote für die Unternehmen. Damit wird eine derzeit sehr angespannte Raumsituation in der Weimarer Innenstadt deutlich abgemildert. Das Zentrum wird in unmittelbarer Nähe zur Bauhaus-Universität entstehen und damit auch den Forschungstransfer von der Hochschule in die unternehmerische Praxis stärken. Die Zahl der High-Tech-Gründungen ist in Thüringen seit 2007 von 250 auf inzwischen über 300 pro Jahr gestiegen. Gleichzeitig lag 2010 der Anteil der Betriebsgründungen – d.h. Gründungen von Unternehmen mit hoher wirtschaftlicher Substanz – an den Neugründungen in Thüringen um sechs Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt (Bund: 20,8 Prozent, Thüringen 27,0 Prozent). Mehr als 17.000 Thüringerinnen und Thüringer haben im Jahr 2010 den Schritt in die berufliche Selbständigkeit gewagt – das entspricht 768 Gewerbeanmeldungen pro 100.000 Einwohner. Gründungsfreudigste Stadt war dabei die Landeshauptstadt Erfurt mit 1.090 Anmeldungen je 100.000 Einwohner. Das geht aus dem »Thüringer Gründerreport« des Beratungsnetzwerks »Gründen und Wachsen in Thüringen« (GWT) hervor. Die Selbständigenquote liegt mit gegenwärtig 9,6 Prozent im Vergleich der neuen Länder im Mittelfeld und rund 1,3 Prozentpunkte unter dem gesamtdeutschen Durchschnitt. Das Land unterstützt solche Existenzgründungen gezielt durch Beratung und Coaching – z.B. über das »Thüringer Netzwerk für innovative Gründungen« (ThüInG) – getragen von der Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung Thüringen (STIFT). Wie erfolgreich ist die Idee mit den Wettbewerben, die die Thüringer Kreativität zeigen sollen? Machnig: Mit dem Thüringer Kreativradar haben wir erst jüngst einen solchen Wettbewerb durchgeführt. 99 kreative Unterneh- Gibt es weitere Pläne, um die Branche zu unterstützen? Machnig: Ja. Es wird nächstes Jahr, im Juni in Weimar, eine große, international angelegte Konferenz zu aktuellen Themen der Kreativwirtschaft geben, z.B. zu Finanzierung oder Unternehmensführung. Es ist wichtig, dass sich die Branche stärker vernetzt und Thüringen auch über die Landesgrenzen hinaus als kreative Region wahrgenommen wird. News: Zahl der High-Tech-Gründungen in Thüringen steigt 4 | t h ü ri nger kreati ve Bausteine mit Hirn und Akku Vor einem Jahr hat Leonhard Oschütz aus Weimar mit Kinematics den Thüringer Innovationspreis gewonnen. Damals war er noch Student an der Bauhaus-Universität. Der Designer hat ein Patent auf sein Gewinner-Exponat angemeldet und ist selbstständig. Mit Unterstützung des »Thüringer Netzwerks für Innovative Gründungen« (ThürInG) will er seine Erfindung auf dem Markt etablieren – für ein Spiel zwischen analog mit dem digital. E ine Raupe aus Legosteinen kriecht über den Arbeitsplatz von Leonhard Oschütz. Mit den Prototypen des ersten Bausatzes lassen sich ein Schmetterling, ein Hund und sicher noch weitere Tiere und Figuren zum Leben erwecken. Doch im Spielzeugladen wird Oschütz’ Erfindung nicht in den Regalen zu finden sein. »Ich habe diese Idee weiterentwickelt«, erklärt er. Seit gut zwei Jahren arbeitet der gebürtige Erfurter daran. Seine Intention ist es, die getrennten Märkte der analogen und digitalen Spiele zusammenzuführen. »Ich wollte dieses doch recht starre System zum Leben erwecken, es ermöglichen, dass die Figuren laufen und sich drehen können«, sagt Oschütz. Vor einem halben Jahr hat er sein Diplom erhalten und will nun mit einem Bundes-ESF-Gründerstipendium sein eigenes Unternehmen aufbauen. »Die Firma soll auf drei Mitarbeiter aufgestockt werden«. In Zusammenarbeit mit der Fachhochschule in Jena arbeitet er an einer Weiterentwicklung seiner Idee. Bis Ende 2012 will der Diplom-Produktdesigner die Marktreife schaffen. Die Idee, die Welt der Computerspiele mit traditionellem Spielzeug zu verbinden, habe er schon seit seiner Kindheit. »Ich bin mit Legosteinen und Computerspielen aufgewachsen und beides hat mich fasziniert«, so der Wahlweimarer. Der erste Bausatz enthält bewegliche Bausteine, die sich den Bewegungen anpassen, einen Baustein mit der Programmierung, das so genannte »Gehirn« und einen Baustein, der die Energie liefert. Diese Elemente lassen sich beliebig miteinander kombinieren und ermöglichen so die unterschiedlichen Formen. »Diese Art zu Spielen erhöht die Fähigkeit zu Abstrahieren. Kinder sind fähig, ihre Phantasie so zu schulen«. Nicht nur die Lauf- und Drehbewegungen können an den kleinen Knöpfen am »Gehirn«-Modul eingestellt werden. Eine Aufnahmetaste ermöglicht es, Bewegungsabläufe für ständige Wiederholungen zu programmieren. Oschütz rechnet damit, eine Vorserie während des ersten Stipendien-Jahres produzieren zu können. Der erste Bausatz soll zwischen 200 und 300 Euro kosten. Geplant sind auch Bausätze zu verschiedenen Spielthemen, »zum Beispiel Mondexpedition«, sagt Oschütz. Erfüllte sich mit seiner Arbeit einen Kindheitstraum: Leonhard Oschütz weiterführende links www.kinematicblocks.com www.esf-thueringen.de www.gfaw-thueringen.de t hü r in g e r k re at iv e | 5 Orientierung in gutem Design Bemjamin Dahl hat schon während des Studiums nebenbei als Selbstständiger gearbeitet. Jetzt ist der 27-Jährige sein eigener Chef. Er ist Diplomdesigner und sieht sich selbst gern als Informationsdesigner. Derzeit arbeitet der gebürtige Schweriner für die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig. Der Start in seine Selbstständigkeit wurde durch den ESF unterstützt. S eit 2004 lebt Dahl in Weimar. Für den 27-Jährigen, der in der Nähe von Schwerin aufgewachsen ist, ein guter Ort, um zu arbeiten. Schon während seines Studiums wurde er zum Freischaffenden. »Ich wollte eigene Projekte umsetzen und ohne diesen Status des selbstständigen Studenten hatte ich keine andere Chance, sie zu realisieren«. Sein derzeitiges Lieblingsprojekt ist ein Leit- und Orientierungssystem für die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig. Die Besucher sollen sich gut zurechtfinden. »Die Architektin ist auf mich zugekommen und damit auch ein Risiko eingegangen, weil ich ja gerade erst von der Uni kam«, erzählt Dahl. Doch das Risiko hat sich gelohnt, denn die rund 200 Schilder für das Leitsystem zu erstellen, sind für den ehemaligen BauhausStudenten eine Aufgabe, der er sich mit Leidenschaft widmet. »Das Spannendste ist, sich vorzustellen, wie sich die Nutzer orientieren. Die Schilder sind die letzte Oberfläche und das Leitsystem funktioniert wie eine Brücke, ist Vermittler zwischen Architektur und Nutzer. Das ist eine schöne Herausforderung«, sagt er. Doch bereits vor dieser Aufgabe hat er sich mit seiner Art der Gestaltung einen Ruf erarbeitet. Mit dem »Spacekidheadcup-Buch« – einer gewagten Dokumentation über das alljährliche Weimarer Seifenkistenrennen am 1. Mai ist seine vielseitige Arbeit für jeden sichtbar. Die meisten seiner Kunden kommen aus Weimar, er arbeitete aber auch schon für die STIFT oder für Auftraggeber in Berlin. »Vor kurzem erstellte ich Informationsgrafiken für eine Ausstellung in Koblenz.« In Weimar zu leben und deutschlandweit für Auftraggeber zu arbeiten, ist für den Designer aus den Norden eine gute Lösung. VIER Fragen an Benjamin Dahl Wie kreativ ist Thüringen? Die Leute, die hier in unserer Branche arbeiten, geben sich bei dem, was sie machen, viel Mühe – auf gute, traditionelle Art und Weise, in der manchmal auch viel Kreatives stecken kann. In Weimar stimmen die Größe, das Umfeld. Mir hat die Existenzgründungsförderung des Europäischen Sozialfonds vieles erleichtert, doch es hängt nicht davon ab. Es bleibt für die Kreativen hier ein hartes Brot, vom eigenen Tun leben zu können und auf verschiedene Arten professionell zu sein – man braucht natürlich seine Fähigkeiten, muss Vertrauen herstellen und innovativ und kreativ muss es auch sein. Worauf sind Sie stolz? Auf das Buch zum Spacekidheadcup und auf mein Diplom. Aber auch auf das kleine Symposium »Typogravieh lebt«, das ich während meiner Studienzeit organisiert hatte und das jetzt von neuen, begeisterten Leuten fortgeführt wird. Benjamin Dahl arbeitet für Kunden in ganz Deutschland. Ist Weimar das kreative Zentrum Thüringens? Schwer zu sagen, aber als Standort für Kreative wie mich sicherlich eine gute Wahl. Welche Arbeit macht Spaß? Informationsgrafiken und Ausstellungsgestaltung machen Spaß. Doch die Kunden suchen oft in den Ballungszentren weit ab von Thüringen. Mit Informationsdesign habe ich mir quasi eine Nische gesucht und ich will versuchen, dies auch als Mehrwert gegenüber dem klassischen Grafikdesign anzubieten. weiterführende links www.bennyd.de www.esf-thueringen.de www.gfaw-thueringen.de 6 | t h ü ri nger kreati ve Ordentlicher Pappkamerad – Standhafte Papierideen Sie waren einst zu dritt und haben letztes Jahr den Innovationspreis gewonnen. Doch zwei der einstigen Pappkameraden sind inzwischen nicht mehr dabei – Maximilian Bauer hat sich aus der Selbstständigkeit herausgezogen, Philipp Böhm lebt und studiert in Chicago. Der letzte Pappkamerad aus Weimar – Johannes Hein – führt das Geschäft weiter – mit Unterstützung des ESF. M it dem Gehsammler, der den Innovationspreis einbrachte, wird das Büro auf die Straße verlegt. Aus einem Stück Pappe sind sie gefertigt. In Weimar kann man die Papptaschen für Präsentationen und jede Menge Papier gelegentlich sehen, denn der als Marke geschützte »Gehsammler« wird beispielsweise im Bauhausatelier verkauft. Der Diplom-Designer Johannes Hein ist der letzte »Pappkamerad«. »Die Idee zu diesem Produkt hatten wir, als wir ein Projekt an der Weimarer Jenaplan-Schule betreut haben. Die Kinder mussten viel mit sich herumtragen und hatten dann auch noch diese unhandlichen Stehsammler unter dem Arm«, erzählt er. Mit dem »frischen Blick« der Jungdesigner wurde aus dem Stehsammler so ein bewegtes Objekt, ein Gehsammler, der »etwas Eigenständiges sein sollte«. Auf Messen haben die Jungunternehmer damals ihre Innovation vorgestellt und stießen auf Interesse bei Lehrern, BüromaterialHerstellern und Anbietern, die Werbemittel vertreiben. »Ich sehe eine große Chance in diesem Werbemittelmarkt, weil die Sammler ja individuell bedruckbar und mit den zwei integrierten Fächern auch bestens für Messematerial geeignet sind«, sagt Hein. Daher setzten die Weimarer auch auf den Werbemittelmarkt für ihr Nischenprodukt. Vor zwei Jahren wurde der »Gehsammler« als Marke geschützt, damit allzu eifrige Nachmacher geringe Chancen haben. Ein Ostthüringer Unternehmen produziert die Büro-Innovation in Serie für den Markt in Vom Bauhausstudenten zum Unternehmer: Johannes Hein mit seinen »Gehsammlern« Ostdeutschland, eine Firma aus der Nähe von Münster für den westlichen Markt in der aus Wellpappe bestehenden Version oder aus Vollpappe. Die Arbeitsschritte sind überschaubar: Bedrucken, Stanzen, Verkleben. Trotz des Materials und dem doch auf der Straße etwas intensiveren Gebrauchs, leide nicht die Haltbarkeit. Nach Firmenangaben hält der Sammler mehrere Jahre. Für Johannes Hein, den gebürtigen Dortmunder, war der Abschied des Trios und der Start als Einzelkämpfer eine richtige Entscheidung: »Ich glaube, mein Weg hat mich immer in die Selbstständigkeit geführt. Der Gehsammler ist auch nicht das Einzige, mit dem ich mich beschäftige. Als Designer bin ich in Weimar auch für Ausstellungen tätig«, t hü r in g e r k re at iv e | sagt Hein. Der »Pappkamerad«, der nicht nur Pappe festgelegt ist, freut sich, dass der »Gehsammler« gut verkauft wird. Seit 2007 fanden zigtausende einen Käufer. Der größte Abnehmer war ein Messeveranstalter, der gleich 4000 Stück orderte. Bei einem Stückpreis von rund vier Euro könne man zwar nicht davon leben, doch für den 29-Jährigen ist das auch nicht das vordergründige Ziel: »Ich habe noch nie versucht, davon zu leben. Finanziell funktioniert Ausstellungsdesign besser«, sagt Hein. Die Kunden kommen aus der Region. Derzeit ist eine Ausstellung im Rathaus über die Internationalisierung der Bauhaus-Uni von ihm zu sehen. Drei Fragen an Johannes Hein Wir kreativ ist Thüringen? Die Branchen untereinander nehmen sich kaum wahr. Das Klima ist allerdings gut. Wie sind die Bedingungen für Kreative? Ich habe im vergangenen Jahr eine ESFExistenzgründungsförderung erhalten. Das war auf jeden Fall eine Hilfe. Es war zwar nicht der Grund, sich selbstständig zu machen, aber es ist eine der wenigen ernst zu nehmenden Unterstützungen. Ich sehe mich künftig in einem Bereich, in dem ich frei arbeiten kann. Monatelange unbezahlte Praktika sind nichts für mich, aber leider Realität für junge Kreative. Ich freue mich derzeit, einige Projekte abschließen zu können. Mit Benjamin Dahl habe ich eine Imagebroschüre für die Bauhaus-Uni gestaltet, die Ausstellung im Rathaus ist fertig und ich bin frei, an etwas anderes zu denken. Für mich ist es wichtig, nur dann Aufträge anzunehmen, die mindestens zwei meiner selbst aufgestellten Kriterien erfüllen – Geld, Reputation, Spaß Worauf sind Sie stolz? Es liegt viel mehr vor als hinter mir. Vielleicht bin ich stolz, dass ich jetzt schon von meiner Arbeit leben kann. Ich habe mit Respekt und Sorgen begonnen. weiterführende links www.johanneshein.de www.esf-thueringen.de www.gfaw-thueringen.de 7 8 | t h ü ri nger kreati ve Klang und Farben Wer Außergewöhnliches bietet, muss überzeugen können. Auf diesen Weg haben sich vor drei Jahren Marc Sauter und Stefan Kraus aus Weimar gemacht. Mit Ihren Raum füllenden Klang- und visuellen Kompositionen sind sie inzwischen nicht nur in Weimar präsent. Die Bauhaus-Maschine ist europaweit bekannt. Foto: Candy Welz D er gebürtige Freisinger Stefan Kraus und der Heidelberger Marc Sauter sind seit fast zwei Jahrzehnten Weimarer. Der Musiker und Sounddesigner Sauter und der audiovisuelle Künstler Kraus leben seit drei Jahren von der neuen Kunstform. »Wir mussten unsere Kunden erziehen, haben aber jetzt schon längerfristige Geschäftsbeziehen zu Clubbesitzern und Firmen«, erzählt Kraus. Auch Institutionen wie die BauhausUniversität, die STIFT und das Deutsche Nationaltheater haben sich überzeugen lassen. »Dem audiovisuellem Format kann sich keiner entziehen, doch es gibt Qualitätsstufen und für uns ist Qualität wichtig, weil wir einen hohen Kunstanteil immer dabei haben wollen«, so Sauter. Die Zusammenarbeit der beiden begann Ende der 90er Jahre, als sie noch an der Universität studierten. »Uns geht es darum, einen Raum zu gestalten und eine erweiterte Realität mit Licht, Inneneinrichtung, Klang und Videoprojektionen zu erzeugen – es geht darum, von den Sinnen des Besuchers wegdenken«. Beim Festakt zum 150-Jährigen Bestehen der Bauhaus-Uni brachen sie mit ihrem Konzept »das Format eines drögen Festaktes auf«, erzählt Kraus. Bei den Aufträgen zwischen »50 und 50.000 Euro« ist Feingefühl gefragt und die beiden Künstler wägen ab, »wie weit man gehen kann«. Die techniklastige Kunst findet ihre Kunden. »Wir arbeiten ständig an irgendetwas, die Kunden finden uns«, erklären die beiden. Sie arbeiten für Thüringer Kunden, aber auch für Auftraggeber aus Heidelberg, Halle, Moldawien, Berlin, Caracas, Lüneburg. Der besondere, »gut vernetzte Kreis« sei klein, weil es gelte, ausgetretene Pfade zu verlassen. t hü r in g e r k re at iv e | 9 Eine neue visuelle und akustische Kultur ist ihr Arbeitsfeld: Marc Sauter (links) und Stefan Kraus Wie kreativ ist Thüringen? Kraus: »Die Region Weimar und Jena eine gute Atmosphäre für Kreative. Es gibt wahnsinnig interessante Leute, auch abseits der trendsklavischen Wege. Die Gebäude warten darauf, mit unserer Kunst bespielt zu werden.« Was haben Sie für Pläne? Kraus: »Ich liebäugele schon mit der Hochschule.« Sauter: »Ich möchte weiterhin frei arbeiten, man lebt nur einmal. Ich habe beste Erfahrungen mit meiner Selbstständigkeit gemacht. Natürlich gibt es nicht immer nur das Schöne, aber man bleibt nie stehen. Ich habe mir allerdings auch geschworen keinen gut bezahlten Müll zu machen. » Wie sind die Bedingungen für Kreative? Sauter: »Es gibt günstige Wohnräume, günstige Arbeitsräume. In München oder Berlin läuft viel über Sponsoring, aber da wird die Ästhetik in eine bestimmte Ecke gedrängt. Je freier man agieren kann, desto besser ist das Ergebnis. Ich habe mich damals mit einer ESF-Förderung selbstständig gemacht. Das war eine gute Hilfe.« Worauf sind Sie stolz? Sauter: »Ich bin besonders stolz auf eine bestimmte Art von Musik, auf eine Stimmung die dabei erzeugt wird, die eine gewisse Echtheit vermittelt.« Kraus: »Ich bin stolz darauf, dass wir bereits einen Beitrag für eine neue visuelle Kultur geleistet haben, um die Fernsehkultur im Raum auszubreiten. Das Publikum Vier Fragen an Marc Sauter und Stefan Kraus ist gemischt und altert mit. Es gibt keine Schere nach oben oder nach unten. Mit der Bauhaus-Maschine haben wir auch ein älteres Publikum erreicht. Das erleichtert auch weitere Projekte. Wenn wir für Firmen arbeiten, ist es immer gut, wenn da einer sitzt, der unsere Arbeit schon einmal erlebt hat.« weiterführende links www.psychon.net www.bauhausmaschine.de www.esf-thueringen.de www.gfaw-thueringen.de 10 | t h ü ri nger kreati ve Satire mit Format Seit 2006 gibt es in Jena den Macchiato Verlag von Antje Hellmann. Satire, Kinderbücher und Kalender »Made in Thüringen« haben sich seither auch im Rest der Republik bei einem kleinen, feinen Publikum einen Ruf erworben. Die vorher als Journalistin tätige Jenenserin setzt auf die Liebhaber guter Satire und ungewöhnlicher Kinderliteratur, arbeitet in einer Online-Redaktion, studiert zum zweiten Mal und ist Mutter. I ch bin kein Angestellten-Typ«, sagt die » Verlegerin über sich selbst. Sie ist auch nach eigenen Angaben »kein Karrieretyp«. Viel eher begreift sich Antje Hellmann als einen Menschen, dem es »wichtiger ist, zu verstehen und zu begreifen, als Geld zu verdienen«. Aus diesem Grund hat sie sich viele berufliche Felder gesucht: Verlag, Online-Redaktion und Studium. Das erste Buch, das im Macchiato-Verlag erschien, ein Jahr, nachdem sich Antje Hellmann mit Hilfe des Europäischen Sozialfonds selbstständig gemacht hat, fand große Resonanz, auch bei den einheimischen Medien: »Abducken…! Zumindest, sobald Turban und/oder Vollbart in Schussweite auftauchen; der nächste Karrikaturenstreit, er kommt bestimmt. »Ein Leben für den Terror«, auf dem Cover ausgewiesen als »Das meistgesuchte Buch der Welt« ist ein herzhaft boshaftes Heftchen«, so die Ostthüringer Zeitung über das erste Buch 2007. Es folgten weitere: »Unsere Vampire«, »Endeffekte« (Cartoons voller Gefühl und Nachhaltigkeit, wie das Leben selbst), »Muss man mal gemacht haben« (Cartoons für Leute, die wissen, wie es läuft) und die Kinderbücher »Der Osterhamster« und »FriederikeLia«. Zeichnungen und Texte der von ihr verlegten Bücher sind von Bernd Zeller, der sowohl beim »Eulenspiegel« als auch bei der »Titanic« arbeitete, 2004 die Satirezeitschrift »Pardon« neu belebte und bei Harald Schmidt als »Unser Ossi« auftrat. Seit den 90er Jahren kennen sich Hellmann und der Karikaturist. Gemeinsam arbeiteten sie an der der Jenaer Studentenzeitung »Akrützel«. Später kümmerte sich die heute 37-Jährige um die Zeitschrift »Dschungelbuch« und fand so auch ihre Leidenschaft für Verlagsarbeit. »Ich musste mich um die Anzeigen, das Redaktionsmanagement und um die Inhalte kümmern. Das habe ich fünf Jahre gern gemacht«, erinnert sie sich. Neben der Verlagsarbeit begann Antje Hellmann 2008 für eine Online-Redaktion zu arbeiten. »Das ist eine andere Ebene, selbst im Verlagswesen geht nichts mehr ohne die Online-Welt. Diese Grenze zwischen Inhalt und Technik finde ich reizvoll«, sagt Hellmann. Nachdem sie ihr erstes Studium in Jena 2005 abgeschlossen hat, arbeitet sie derzeit nebenbei in Leipzig an ihrem »Master of Content and Media Engineering«. »Man muss sich weiterbilden und dieses Studium gibt mir die Möglichkeit, Inhalte medienneutral zu verwalten«. Thüringen berge ein gutes Potenzial, sich dem Online-Geschäft zu widmen. »In Ilmenau haben wir die Techniker, in Weimar die Gestalter und nicht nur in Jena diejenigen, die inhaltlich gut arbeiten«. Ihren Weg um »gut arbeiten« und davon leben zu können, hat Hellman für sich derzeit gefunden. »Ich verdiene mein Geld beim Allgemeinen Anzeiger im Online-Bereich und nutze meine Kreativität für meinen Verlag. t hü r in g e r k re at iv e | Zwei Fragen an Antje Hellmann Wie schätzen Sie die Kreativ-Branche in Thüringen ein? Thüringen ist kein Szeneland. Ich sehe Möglichkeiten, die Online- und OfflineArbeitenden zusammen zu bringen, wie beispielsweise in Zirkeln, die es in den 20er Jahren gab, aber alles hat seine Grenzen. Wenn mehrere Kreative an einem Projekt arbeiten, gibt es natürlich auch einen Koordinationsaufwand, viele Meinungen und damit auch Konflikte. In Thüringen gibt es viele kreative Einsiedler, die Gesellschaftsmenschen zieht es daher oft nach Berlin. Fakt ist aber auch, als Gruppe ist man stark. Gerade für Neulinge in der Branche halte ich positive Beispiele für wichtig, denn es gibt unternehmerisches Potenzial. Ein sicherer Weg wie in anderen Berufen ist es nicht, und jeder Einzelne muss sich auch mit den Risiken auseinandersetzen. Welche Pläne haben Sie? Ich möchte wieder einige Bücher herausbringen und zum Beispiel Reproduktionen von Bernd Zellers Arbeiten für Ausstellungen deutschlandweit verschicken. Das hat Potenzial, auch, wenn man bedenkt, dass Originale hoch versichert sein müssen. Wir arbeiten auch an einer Möglichkeit, dass sich Kunden ihr eigenes Buch mit ihren Lieblingscartoons individuell online zusammenstellen können. weiterführende links www.macchiato-verlag.de www.esf-thueringen.de www.gfaw-thueringen.de Antje Hellmann verbindet beruflich »online« und ihren Verlag 11 12 | beru f sa u sb i ld u ng Teamwork und eine gute Portion Eigensinn Wenn man wie, Torsten Archut, schon lange im Filmgeschäft tätig ist, kann man Menschen einschätzen. Als 2008 ein junger Kameramann in spe an die Tür klopfte, weil sein Ausbildungsunternehmen Konkurs anmeldete, entschied er als Chef schnell. Der Lehrling wurde mit Unterstützung des ESF für Insolvenzlehrlinge eingestellt und ist heute beruflich sehr erfolgreich. Ein Interview mit dem Geschäftsführer der SAVIDAS filmproduction GmbH, Torsten Archut. W elchen Stellenwert hat Ausbildung? Archut: Seit dem Jahr 2000 haben wir vier Lehrlinge ausgebildet, zwei davon sind geblieben, zwei andere haben erfolgreich studiert. Einer, Robert Hentschel, hat 2005 sogar den deutschen Kurzfilmpreis für den Schnitt erhalten, montierte den letzten Peter Sodan »Tatort« in Leipzig und schneidet jetzt u.a. mehrere Staffeln von »Schloss Einstein« in Erfurt. Das besondere in unserer Branche ist, dass man eigentlich gar nicht ausbilden muss. Es gibt Universitäten in Thüringen, die ein Überangebot an studierenden Medienleuten schaffen. Der Schwachpunkt Thüringens, es gibt zu wenig Nachfrage im Land und so suchen viele der»jungen Wilden« dann schnell das Weite. Sie haben sich dennoch für die Ausbildung des Insolvenzlehrlings entschieden. Archut: Ja, wir haben 2008 nicht unbedingt Personal gesucht. Doch der junge Mann hat sich persönlich vorgestellt und ich hatte im Gespräch das Gefühl, ich habe einen hoch motivierten Menschen vor mir. Ich war mir sicher, seine Einstellung kann und wird für die Entwicklung des Unternehmens wertvoll sein. Wir investierten gleichzeitig mit seiner Beschäftigung in neue Kameratechnik. Dieses Engagement hat sich aus heutiger Sicht gelohnt. Sören Sterzing ist mittlerweile unverzichtbar für die Firma und einer der Besten in Thüringen. Wie kreativ ist Thüringen? Archut: Ich halte es da mit Mark Twain: »Menschen mit einer neuen Idee gelten so lange als Spinner, bis sich die Sache durchgesetzt hat.« Wir in Thüringen sind nicht mehr oder weniger kreativ als Visionäre in anderen Bundesländern. Was uns aber bei manchen Dingen fehlt, ist ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Nur ein Beispiel: Wenn der Standort des KIKAs in München wäre, würden die Mehrzahl aller Eigenproduktionen ausschließlich in Bayern umgesetzt werden. Daran hätten alle Beteiligten starkes Interesse. Die Macher, weil sie mit dem Land wirtschaftlich verbunden sind, die Kunden, weil eine Steigerung von kreativen Ideen erfolgt, das Land, weil junge Menschen interessante gut bezahlte Berufsangebote bekommen und dadurch bleiben. Ein zusätzlicher Mehrwert entsteht durch die Steigerung des Steueraufkommens im eigenen Land! Eine höhere Nachfrage steigert bekanntermaßen die Produktivität und für die Kreativwirtschaft bedeutet das mehr »Spielflächen«, um national Aufmerksamkeit zu erreichen. Wie sind die Bedingungen für Kreative am Standort? Archut: Eine gute Idee setzt sich langfristig durch. Doch ich beobachte an bestimmten Stellen in Thüringen einen Preisverfall, b e r u f s au s b il d u n g | 13 SAVIDAS-Geschäftsführer Torsten Archut: »Eine gute Idee setzt sich langfristig durch.« der interessante Projekte einbremst. Auch nicht stattfindende oder schlecht vorbereitete Ausschreibungen helfen dem fairen Wettbewerb und der wirtschaftlichen Weiterentwicklung nicht. Aber auch wir Kreativen müssen einen Beitrag für bessere Bedingungen schaffen. Wir brauchen funktionierende Netzwerke. Diese greifen einfach besser in Regionen wie Köln, Berlin oder Hamburg. Worauf sind Sie stolz? In erster Linie natürlich auf meine Kinder und ein wenig auf mich. Darauf, dass ich in den vergangenen zwölf Jahren als Unter- nehmer in einem schwierigen Markt eine gesunde, unabhängige und korruptionsfreie Wirtschaftsbasis geschaffen habe. Es gibt viele Produktionen auf die ich gerne zurückschaue, auch, weil sie Ergebnis von Teamarbeit sind. Kreative Produkte sind zwar kurzlebig und nicht immer fassbar, aber durch die Visualisierung ist ein Mehrwert erkennbar. Ich gestalte und produziere mit sechs fest Angestellten und vielen freien Mitarbeitern spannende Projekte. Meine Firma erscheint auf den ersten Blick klein, aber die Produktionen erreichen ein großes Publikum und machen uns dabei viel Spaß! Was wünschen Sie sich und Ihrem Unternehmen? Kontinuität ist wichtig. Langfristige Projekte wie Serienproduktionen wünscht sich wohl fast jeder Produzent in unserer Branche. Ich erhoffe mir, dass es mir weiterhin gelingt, motivierend und ideenreich zu wirken. weiterführende links www.savidas-film.com www.esf-thueringen.de www.gfaw-thueringen.de 14 | beru f sa u sb i ld u ng Kreativer Nachwuchs Uwe Chiarcos ist seit 15 Jahren selbstständig in der Thüringer Kreativbranche. Der Chef einer Werbeagentur hat jedoch seit Jahren noch ein zweites Berufsfeld. Er bildet für die Branche aus – damit die künftigen Fachleute auch in den Bereichen über Wissen verfügen, die bei ihren Arbeitgebern nicht zum Standard gehört. Die Ausbildung von Lehrlingen in Ergänzungslehrgängen wurde 2008 und 2009 durch den Europäischen Sozialfonds gefördert. D ie Ausbildung an der Akademie für Werbung und Kommunikation Erfurt hat bei den Arbeitgebern einen guten Ruf. Zu den Kunden, die ihre Auszubildenden und Mitarbeiter schicken, gehören u. a. die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen, Analytik Jena, Sparkasse Mittelthüringen, Volksbank Weimar, Goepel electronic, Coca Cola und Viba sweet. »Nicht alle decken das recht breite Ausbildungsprofil ab. Daher bestand Bedarf und auch die Möglichkeit, eine breite Ausbildung anzubieten«, sagt Chiarcos. Zu den Unterrichtsinhalten gehören Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft, Marketing und Marktforschung, Mediaarbeit, Kommunikationspolitik, Verkaufsförderung, Werbung, PR, Werbemittelgestaltung, Recht. Die Dozenten sind zumeist Praktiker. Bei den Ergänzungslehrgängen sind zehn bis 15 Teilnehmer im Jahr an der Akademie gemeldet. Beim Studium zum staatlich geprüften Kommunikationswirt werden die ersten drei Semester in Erfurt studiert, das vierte Semester in Kassel, bei der Akademie für Absatzwirtschaft. Bei letzterer wird auch die Prüfung abgelegt. »Wir arbeiten auch mit der gewerblichen Berufsschule in Gera zusammen und bieten auch dort Seminare«. Die Idee, eine Akademie für den Branchen-Nachwuchs zu gründen, hatte der Erfurter durch Erfahrungen mit den eigenen Lehrlingen. »Ich habe unsere Leute nach Kassel und Leipzig geschickt und mir irgendwann die Frage gestellt, warum es so etwas nicht in Thüringen gibt«, sagt der Agenturchef. Durchschnittlich zehn junge Frauen und Männer sind bei jedem StudienKurs dabei. Jedes Jahr beginnt ein neuer Jahrgang. Rund 6000 Euro kostet die Ausbildung, die zumeist bei den Teilnehmern über das Meister-Bafög finanziert wird. »Bei der Ausbildung geht es darum, Layout und Druck zu bewerten, Mediaplanung zu machen, ein Projekt mit einem Budget von 20.000 bis 30.000 Euro kalkulieren zu können«. Rund 900-Stunden dauert das Studium. »70 bis 80 Prozent der Absolventen nehmen eine gute Entwicklung«, freut sich Chiarcos. Zwei Fragen an Uwe Chiarcos Wie kreativ ist Thüringen? Das hängt nicht von den Kreativen ab, sondern von den Kunden. Es braucht mutige Kunden. Im Vergleich zu Regionen wie Leipzig ist Thüringen eine Provinz. Die Kunden haben viel Angst, Mut zu zeigen. Wird Kreativität gut bezahlt? Überhaupt nicht. Es geht ja schon los, wenn Kreative sich an Pitchings beteiligen. Das wird nicht bezahlt. Rechtsanwälte und Ärzte werden demgegenüber auch bezahlt, auch wenn das Ergebnis nicht immer erfolgreich ist. weiterführende links www.ak-erfurt.de b e r u f s au s b il d u n g | Akademiechef Uwe Chiarcos freut sich über den großen Anteil der Absolventen, die »eine gute Entwicklung nehmen«. 15 16 | f a c h krä f te Sozialwirtschaft: Beschäftigungsmotor und Standortfaktor Von einem Euro aus öffentlichen Kassen für die Sozialwirtschaft fließen 73 Cent an Steuern, Sozialabgaben und wirtschaftliche Effekten in den Regionen zurück. Doch die Branche in Thüringen leidet an Fachkräftemangel und Planungsunsicherheit. Die Arbeitsbedingungen und die Löhne sind wenig attraktiv. Das Thüringer Wirtschaftsministerium und das Thüringer Sozialministerium legten den ersten Sozialwirtschaftsbericht vor. D emnach steigt seit Jahren die Zahl der Beschäftigten, allein im Pflegebereich um über 60 Prozent seit 1999. Die Branche erwirtschaftet laut Studie rund zwei Milliarden Euro im Jahr – das sind 4,7 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung im Freistaat. »Die Sozialwirtschaft ist ein echter Wirtschaftsfaktor und mit 58.000 Beschäftigten einer der großen Arbeitgeber in Thüringen«, so Wirtschaftsstaatssekretär Jochen Staschewski. Zu den sozialen Dienstleistungen, die von der Studie erfasst werden, gehören unter anderem die Altenpflege, die frühkindliche Förderung, die Kinder- und Jugendhilfe, die Hilfen für Menschen mit Behinderungen und die Beratung von Menschen in Notlagen. Aufgrund der demografischen Entwicklung sinkt die Zahl potentieller Arbeitskräfte und die Zahl derer, die Hilfen in Anspruch nehmen, steigt. »Das Angebot an qualifizierten Fachkräften ist rückläufig«, so Sozialministerin Heike Taubert. Fast die Hälfte der befragten Einrichtungen konnten in den vergangenen zwei Jahren offene Stellen über einen längeren Zeitraum nicht besetzen. In mehr als jeder dritten Einrichtung gibt es derzeit einen Fachkräftebedarf, der nicht gedeckt werden kann. »Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, muss vor allem die Ausbildung und Qualifizierung intensiviert und attraktiver werden. Dazu gehört auch eine angemessene Bezahlung«, sagte Taubert. Wirtschafts- und Sozialministerium fordern daher vom Bund, die Thüringens Sozialministerin Heike Taubert und Wirtschaftsstaatssekretär Jochen Staschewski stellten den Sozialwirtschaftsbericht vor. Finanzierung des dritten Ausbildungsjahrs von Umschülern zu ermöglichen, die Ausbildung in Pflegeberufen zu modernisieren und die Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse in diesem Bereich zu erleichtern. »Das bisherige Beschäftigungswachstum ging auch mit einer Ausweitung prekärer Beschäftigung einher«, so Staschewski. Für die weitere Entwicklung der Unternehmen der Sozialwirtschaft empfiehlt die Studie mehr Planungs- und Finanzierungssicherheit. Dazu gehört auch ein leichterer Zugang zu Krediten. Derzeit prüft das Wirtschaftsministerium die Möglichkeit, Bürgschaftsprogramme oder einen Revolving- Fonds aufzulegen. f achk r äf t e | 17 Auszubildende wie Karolin Siegler sind in der Thüringer Sozialwirtschaft gefragt. Die 25-Jährige arbeitet im Senioren- und Pflegeheim »Georg Boock« in Erfurt. News: Fachtagung zu Fachkräftenotstand in der Pflege 77.000 Pflegebedürftige in Thüringen, 40.000 benötigte Fachkräfte. Frauen und Männer werden immer älter, junge Menschen rücken zu wenig nach. Dadurch sinkt die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter. Gleichzeitig steigt die Anzahl älterer Menschen. Das stellt die Gesundheits- und Pflegewirtschaft in den nächsten Jahren vor große Herausforderungen. Auf der GFAW-Fachtagung »Neue Wege in der Pflege - Fachkräftenotstand in der Pflege verhindern« am 29. November 2011 in Erfurt diskutierten Experten und Praktiker die aktuelle Fachkräftesituation in der Pflege, Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung. Thematisiert wurden auch der heutige Fachkräfte- und Qualifizierungsbedarf in der Pflege, Möglichkeiten der betrieblichen Gesundheitsförderung, Aspekte verbesserter Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen, Berufsorientierung im Gesundheits- und Pflegebereich sowie Erfahrungen mit dem Ehrenamt in der Pflege und Seniorenbetreuung. Foto: fotolia weiterführende links Der Sozialwirtschaftsbericht steht als Download unter diesem Link zur Verfügung: http://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmsfg/stabsstelle/schlussversion_swb.pdf 18 | qu a li f i z i eru ng Neuer Beruf und Hilfe für die nächste Generation Sie heißen Integrationshelfer, Schulassistent, Lernbegleiter, Schulbegleiter, Einzelfallhelfer und sie tun das Gleiche – sie helfen Kindern und Jugendlichen mit Behinderung. Seit 2009 dürfen Kinder mit Behinderung nicht vom allgemeinen Unterricht ausgeschlossen werden. Dadurch entstand ein neues Berufsbild. Rund 200 aktive Schulbegleiter gibt es derzeit in Thüringen, rund zwei Drittel arbeiten an Grund- und Regelschulen. Um sie auf ihre Aufgabe berufsbegleitend zu qualifizieren, entstand das ESF-geförderte Projekt QuaSI. D Qualifikation für Schulbegleiter – Silke Keil, Diane Baier und Sebastian Flack vom IBS in Erfurt stellen die Weichen. as Modellprojekt zur Qualifizierung von Schulbegleitern und Schaffung von Netzwerken für gelungene schulische Integration in Thüringen startete am 1. Mai 2009. »Wir haben ein Curriculum zur Qualifizierung von bereits aktiven Schulbegleitern entwickelt und bilden seit vergangenem Jahr aus«, sagt Silke Keil vom Institut für Berufsbildung und Sozialmanagement in Erfurt. Bisher wurden 45 Männer und Frauen ausgebildet, 30 davon haben die Kurse bereits beendet. »Unsere Teilnehmer haben früher als Therapeuten, Sozialassistenten oder Pädagogen gearbeitet, es gibt aber auch ehemalige Bäcker, Maler und Maurer«, so Keil. Die Schulbegleiter werden über das Jugendamt finanziert und an Regelschulen, Förderschulen, aber vor allem an Grundschulen eingesetzt. Sie begleiten die Kinder im Schulalltag, motivieren, gestalten die Lernumgebung und stehen auch in den Pausen zur Seite. »Es gibt Kinder mit geistigen, körperlichen und auch Mehrfachbehinderungen, die so beim Lernen unterstützt werden«, sagt Keil. Die Eltern müssen zuvor einen Antrag auf gemeinsamen Unterricht beim Schulamt stellen, jedes Jahr aufs Neue. Nicht nur durch die bürokratischen Hürden ist die Arbeit derzeit für viele Schulbegleiter ein Job für große Idealisten. »Es gibt Streitigkeiten bei der Zuständigkeit der Leistungsträger, Unsicherheiten auf Seiten der Schulen und Lehrer und Unsicherheiten auf Seiten der Träger von Schulbegleitungen, zum Beispiel was den Stundenlohn oder ein qu al if iz ie r u n g | 19 Festgehalt, Arbeitszeiten und Urlaubsregelungen angeht«, erklärt Keil. Einige Schulbegleiter arbeiten als 1 Euro-Jobber, andere erhalten ein Therapeutengehalt. Die Weiterbildung bei QuaSI ist nicht nur für die Mitarbeiter aus artfremden Berufen gedacht, sondern hilft auch ausgebildeten Pädagogen, die nicht automatisch in integrativen Fragen geschult wurden. Teile der zehnmonatigen Ausbildung sind unter anderem pädagogisches Arbeiten, Entwicklungspsychologie, Integrationspädagogik, Schulrecht, Pflege, Krankheitsbilder und Behinderungsarten. »Der Qualifizierungsbedarf ist groß. Bei uns arbeiten 18 Dozenten aus den unterschiedlichsten Bereichen. Aber das Studium ist die Voraussetzung, um den Kindern und Jugendlichen den bestmöglichen Start zu ermöglichen. Ziel ist, auch die Kinder mit Behinderungen auf den ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten«, sagt Keil. Evelyn Langert, 32, Gotha Ich arbeite seit April 2010 als Schulbegleiterin. Von 7.45 Uhr bis 14.15 Uhr betreue ich an der Regenbogenschule mein Betreuungskind Nils. Er leidet unter dem Ohtahara-Syndrom, einer seltenen Krankheit mit epileptischen Anfällen, von der weltweit nur ein paar Hundert Menschen betroffen sind. Im April habe ich meine Weiterbildung bei Quasi begonnen. Ich bin Quereinsteigerin in diesem Beruf. Nach einer Ausbildung als Köchin habe ich eine Tagesmutterausbildung abgeschlossen. Meine Arbeit als Schulbegleiterin erfüllt mich und ich freue mich, dass Nils meine Stimme erkennt. Evelyn Langert mit ihren und Tageskindern. Foto: privat Cathleen Letsch, 29, Gotha Ich bin gelernte Ergotherapeutin. 2007 kam ich aus dem Erziehungsurlaub nach Thüringen zurück und brauchte eine Arbeit. Ich habe mich als Mitarbeiterin in einem Kinderheim beworben. Seit August 2008 arbeite ich in einer integrativen Wohngruppe. Mein Betreuungskind Philipp ist 12 Jahre alt, lebt im Heim und geht auf die Lernbehindertenschule in Gotha. Ich begleite ihn während seines ganzen Schultages: im Unterricht, beim Sport. Zu meinen Aufgaben gehört es auch, zwischen ihm und seinen Mitschülern zu vermitteln. Felix Ernst – als Erzieher eine neue Aufgabe. Foto: Medienbüro Anke Schmidt-Kraska Frauendomäne erobert – Felix Ernst, 23, Mellingen 27 Stunden betreut Felix Ernst Alica. »Sie ist körperlich behindert und ich bin da, um alles möglich zu machen«, sagt der gelernte Erzieher. Seit 2009 ist er Alicas ständiger Begleiter in der Grundschule in Mellingen. Ihr gemeinsamer Tag beginnt um dreiviertel acht mit einem »zwischen Tür und Angel-Gespräch mit Alicas Mutter«. Danach begleitet er die kleine Rollstuhlfahrerin in den Unterricht, schreibt mit, macht mit ihr Laufübungen. »Am Anfang war das schon eine Umstellung für die Lehrer, auch weil ich eine recht unkomplizierte Art habe«, sagt Felix Ernst. An seinen Sonderstatus im Job hat er sich gewöhnt. Schon bei der Erzieherausbildung war er einer von drei männlichen Studenten – unter 22 Frauen. »Ein Bürojob kam für mich nicht in Frage, irgendetwas Technisches auch nicht, es sollte abwechslungsreich sein und da viele in meiner Familie einen pädagogischen Beruf haben, lag Erzieher nahe«, sagt er. Mit seinem 11-Jährigen Schützling verbindet ihn ein enges Vertrauensverhältnis. Er begleitet sie auch auf die Klassenfahrten, schreibt im Unterricht mit, »wenn Alicas Hände verkrampfen« und hat sich mit seiner unverkrampften Art nicht nur Freunde gemacht: »Ich quatsche auch mal im Unterricht. Für viele Lehrer war es am Anfang schon eine Umstellung, dass da noch ein Erwachsener saß, der nicht immer still daneben sitzt«, sagt der 23-Jährige. Oft ermuntert er die Schülerin, wenn ihr alles körperlich zu langsam geht und ihr Kopf viel schneller arbeitet. »Alica geht gern in die Schule, kann sich sehr gut ausdrücken, liebt Kunst und ist ein Mathe-As, außerdem ist sie die Klassenbeste«, sagt Ernst stolz. Über das Weiterbildungsseminar QuaSI hat er auch andere Schulbegleiter kennen gelernt. »Es ist schon sehr hilfreich, wenn man weiß, dass es anderen Leuten genauso geht und man sich austauschen kann. Außerdem fand ich unsere sehr kompetenten Lehrer gut«. Der gelernte Erzieher arbeitet rund 20 Stunden in der Woche als Schulbegleiter für Alica, weitere 10 Stunden wöchentlich ist er im Hort der Grundschule beschäftigt. weiterführende links www.schulbegleiter-thueringen.de 20 | n ew s News News Thüringen Thüringen Arbeitsminister Machnig fordert mehr Geld für die Integration von Langzeitsarbeitslosen. Foto: european comission Verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit bedarf besonderer Anstrengungen Thüringens Arbeitsminister Matthias Machnig hat die von der Bundesregierung geplanten Einschnitte bei der Förderung von Arbeitslosengeld-II-Beziehern scharf kritisiert. So soll der so genannte »Eingliederungstitel SGB II« im Jahr 2012 um rund 900 Millionen Euro (auf 4,4 Milliarden Euro) gekürzt werden – und damit um 18,9 Prozent gegenüber dem laufenden Jahr. Das geht aus einem aktuellen Schreiben des Bundesarbeitsministeriums an die Bundesagentur für Arbeit (BA) und die Optionskommunen hervor. Dabei waren die Mittel bereits im Jahr 2011 um rund 1,3 Milliarden Euro auf 5,3 Milliarden Euro zusammengestrichen worden – ein Rückgang um 19,7 Prozent gegenüber 2010. »Damit macht die Bundesregierung das genaue Gegenteil von dem, was jetzt eigentlich notwendig wäre«, sagte Machnig. Von den Kürzungen betroffen seien vor allem Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte, die bisher kaum vom Aufschwung am Arbeitsmarkt profitiert hätten. Besonders kritisierte der Minister, dass die Kürzung der Fördermittel direkt an den Rückgang der ALG-II-Bezieher gekoppelt werde. »Diese lineare Degression ist Unsinn«, so der Minister. Es sei zwar richtig, dass die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland deutlich zurückgegangen ist. Doch es seien zuerst immer die Arbeitsuchenden ohne große Vermittlungshemmnisse und damit auch ohne großen Betreuungsaufwand, die schnell wieder einen Job fänden. Der verfestigte Kern an schwerer vermittelbaren Arbeitslosen mit hohem Qualifizierungs- und Betreuungsaufwand verringere sich dagegen zunächst kaum. »Um hier spürbare Verbesserungen zu erreichen, sind längerfristige Anstrengungen und ein konstantes Niveau an Investitionen in Bildung und Vermittlung erforderlich.« Auch in Thüringen haben die Kürzungen des Eingliederungstitels drastische Folgen: So gehen die Mittel für die Qualifizierung und Eingliederung von ALG-II-Beziehern im nächsten Jahr um überdurchschnittliche 23,5 Prozent zurück – von 171 auf 131 Millionen Euro. Im Jahr 2010 hatten im Freistaat sogar noch 244 Millionen Euro an Eingliederungsmitteln zur Verfügung gestanden. Die Entwicklung macht sich auch auf lokaler Ebene bemerkbar: Die Mittel für die einzelnen Jobcenter sinken im kommenden Jahr zwischen 30,6 Prozent (Wartburgkreis) und 19,2 Prozent (Saale-Orla-Kreis). Bestanden! Seit einer Umstellung der Datenerhebung für die Berufsbildungsstatistik der statistischen Ämter des Bundes und der Länder kann nun erstmals ermittelt werden, wie viele Prüflinge im ersten Anlauf die Abschlussprüfung zum Ende ihrer beruflichen Ausbildung bestehen. Die vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) vorgenommene Auswertung für das Jahr 2009 zeigt ein erfreuliches Ergebnis: 91,2 Prozent der rund 477.700 jungen Männer und Frauen absolvierten ihre Abschlussprüfungen auf Anhieb erfolgreich; die Frauen schnitten dabei noch etwas besser ab als die Männer. Die meisten Erstprüfungsteilnehmer/-innen wurden im Beruf Einzelhandelskaufmann/-frau verzeichnet: Von 30.726 angetretenen Prüflingen waren 92,6 Prozent unmittelbar erfolgreich, gefolgt von 21.183 zur Prüfung angetretenen Verkäufer/-innen - Erfolgsquote 87,1 Prozent - und 19.470 Prüflingen im Beruf Bürokaufmann/-frau - Erfolgsquote im ersten Anlauf hier: 93,1 Prozent. Ein Blick auf die 25 einzeln ausgewerteten Berufe zeigt die Spannweite des Bestehens und Nichtbestehens im ersten Anlauf. Mit 97,8 Prozent war die Quote bei den 5.577 Elektroniker/-innen für Betriebstechnik am höchsten, während sich die 12.441 angetretenen Köche und Köchinnen mit fast 20 Prozent nicht bestandenen Erstprüfungen am schwersten taten. Über 90 Prozent der Auszubildenden können beim ersten Anlauf ihre bestandene Prüfung feiern. n e ws | 21 Datenkarte 2011 der Hans-Böckler-Stiftung Wie viele Beschäftigte werden in Deutschland nach Tarifvertrag bezahlt? Wie viele müssen nachts oder am Samstag arbeiten? Wie viele Frauen und wie viele Männer haben eine Teilzeitstelle? Wie viele können sich in ihrem Betrieb an einen Betriebs- oder Personalrat wenden? Wie hat sich die Zahl der mitbestimmten Unternehmen entwickelt? Wie groß ist das Armutsrisiko in verschiedenen Teilen Europas, wie hoch der gewerkschaftliche Organisationsgrad in den Ländern der EU? Die Datenkarte 2011 der Hans-BöcklerStiftung liefert im handlichen Taschenbuchformat die aktuellen Zahlen. Differenzierte Daten für das westliche und das östliche Bundesgebiet ergänzen die Zahlen für Gesamtdeutschland. Ein EU- und ein kompakter Bundesländervergleich runden die Karte ab. Die gedruckte Karte liegt in deutscher Sprache vor. Eine englische Version der Datenkarte sowie ausführlichere Informationen zu den einzelnen Bundesländern stehen auf den Internet-Seiten der Hans-Böckler-Stiftung als pdf-Dateien. www.boeckler.de Die Webseite der Böckler-Stiftung Thüringer Qualifizierungsberater an der Spitze. Thüringen hat Vorreiterrolle in Qualifizierungsberatung Thüringen nimmt eine Vorreiterrolle in der Qualifizierungsberatung ein. Zu diesem Ergebnis kam das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Das BIBB stellte fest, dass dank der Qualifizierungsberatung die Zahl der betrieblichen Weiterbildungen in Thüringen seit 2000 kontinuierlich gewachsen ist. Das Modellprojekt der Qualifizierungsberater wurde vom BIBB als Referenzprojekt für andere Bundesländer vorgeschlagen. Die Thüringer Qualifizierungsberater wurden durch das BIBB evaluiert. Untersucht wurde, wie das Programm wirkt und welche Ergebnisse zu verzeichnen sind. Das BIBB kam zu dem Ergebnis, dass das Thüringer Projekt erfolgreich ist. Von 2007 bis 2010 haben die Qualifizierungsberater 15.000 Unternehmen beraten und 2.000 Weiterbildungen für rund 20.000 Teilnehmer organisiert. Für die Unternehmen konnten in diesem Zeitraum 1.200 geeignete Fachkräfte gewonnen werden, die von den Betrieben eingestellt wurden. www.qualifizierte-fachkraefte.de | www.gfaw-thueringen.de Berufsbildung stärken, gute Arbeit ausbauen Bis zum Jahr 2020 werden rund 200.000 Fachkräfte in Thüringen benötigt. Die beiden Schwerpunktthemen des »Thüringer Mittelstandsforum 2011« waren daher Fachkräftesicherung und Personalmanagement. Fachleute von Hochschulen und Instituten, aus Wirtschaft und Politik diskutierten in Weimar. »Wir müssen jetzt die richtigen Schritte einleiten, wenn wir Fachkräfte für die kommenden Jahre sichern wollen«, sagte Jochen Staschewski, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Mit dem Landesarbeitsmarktprogramm, dem Weiterbildungsscheck und dem berufsbegleitenden Masterstudium habe das Wirtschaftsministerium bereits mehrere Maßnahmen ergriffen. »Aber auch die Zahlung guter Löhne und die Verbesserung der Mitbestimmung in den Betrieben sind zentrale Voraussetzungen, um gut ausgebildete Arbeitnehmer hier im Lande zu halten«, sagte der Staatssekretär. Zu den Maßnahmen, die das Wirtschaftsministerium zur Stärkung der beruflichen Bildung und Weiterbildung unternommen hat, zählt das »nulltes Ausbildungsjahr«, das Jugendlichen Orientierung geben soll, die noch nicht reif für eine Ausbildung sind. Mit den Kammern und der Regionaldirektion SachsenAnhalt/Thüringen der Bundesagentur für Arbeit wurde eine Vereinbarung zur Umsetzung dieser Einstiegsqualifizierung abgeschlossen. Auch habe das Ministerium das Projekt »Berufsstart Plus« mit rund 4 Millionen Euro gefördert, das Schülern ab Klasse 7 eine Berufsorientierung gibt. Hinzu kommen die Stärkung der Weiterbildung: Mit dem Weiterbildungsscheck und dem berufsbegleitenden Masterstudium werden Arbeitnehmer, die mitten im Berufsleben stehen, dabei unterstützt, sich weiterzuqualifizieren. »Die Stärkung der Berufsbildung ist ein weiteres zentrales Thema, um Fachkräfte für die Thüringer Unternehmen zu sichern«, so der Staatssekretär. www.bibb.de Lebenslanges Lernen verschafft bessere Chancen. Foto: european comission 22 | p erso na li en Personalien Gerd Fuchs Nach 20-jährigem Dienst in Thüringen: Gerd Fuchs verabschiedet sich in den Ruhestand. E SF-Fondsverwalter Gerd Fuchs verabschiedet sich Ende Januar in den Ruhestand. »Ich hatte Glück, als Pionier in Thüringen agieren zu können«, sagt der 65Jährige. Fuchs hatte seit 1992 maßgeblich an der inhaltlichen Ausrichtung der ESFFörderung in Thüringen mitgearbeitet. So wurde unter seiner Regie von 1992 bis 1994 das Aufbauwerk Thüringen zur Gesellschaft für Arbeits- und Wirtschaftsförderung mbH entwickelt. »Anfang 1992 war Thüringen Schlusslicht in Deutschland. Wir hatten hier die höchste Arbeitslosigkeit; jetzt nähern wir uns bei der Arbeitslosenquote dem Bundesdurchschnitt«. Bis 1999 betreute der Vater von sieben Kindern fachlich die aktive Arbeitsmarktpolitik in Thüringen und trug dazu bei, diese zu regionalisieren. Besonderes Augenmerk habe er auf die Einführung und Umsetzung innovativer Arbeitsförderprogramme wie »Arbeit statt Sozialhilfe«, »Soziale Wirtschaftsbetriebe«, und Strukturanpassungsmaßnahmen gerichtet, sagt Fuchs. Die Projekte JANA, JOB und JET zur Integration Jugendlicher nach der Berufsausbildung, FIT zur Eingliederung arbeitsloser Frauen und Lokales Kapital für soziale Zwecke seien ihm besonders wichtig gewesen. Zu den bekanntesten ehemaligen Sozialen Wirtschaftsbetrieben gehören u. a. Anker Bausteine und das Modeunternehmen Ute Stephan. »Mitte der 90er Jahre hatten wir 120.000 Menschen in Arbeitsmarktförderung. Das waren mehr Menschen als damals in Thüringen in der Industrie beschäftigt waren«. Ab 2000 wurde der ehemalige Abteilungsleiter beim Arbeitsamt Coburg mit der Umsetzung des Operationellen Programms des ESF betraut. Die Konzipierung und Steuerung der Thüringer TEAM-Wettbewerbe, der Aufbau der Europaservicebüros und die von der damaligen Sozialministerin Lieberknecht angeregte und im Kompetenzteam EU-Projekte umgesetzte Thüringer Initiative zur Integration und Armutsbekämpfung mit Nachhaltigkeit (TIZIAN) gehören dabei zu Aktivitäten mit hoher Innovationskraft. »Ich habe ein gutes Team mit vier einsatzfreudigen Mitarbeiterinnen; Hartnäckigkeit, Risikobereitschaft und Kommunikationsfreude braucht man aber auch für den Erfolg«, meint Gerd Fuchs. Der Abschied vom Dienstzimmer wird von einem Urlaub in der Sonne abgelöst. »Ruhestand bedeutet für mich, zunächst Zeit für die Familie und den Hund zu haben, zum Malen und zum Schreiben«. Und dass 2012 das EU-Jahr des aktiven Alterns und der Solidarität zwischen den Generationen sein wird, spricht den Ruheständler in spe sehr an. s e r v ice | 23 Servicethema Richtlinie zur Berufsorientierung erweitert Die Berufsorientierungsrichtlinie besteht aus zwei Säulen: Mehr interkulturelle Kompetenz bei der Berufsorientierung an Thüringer Schulen Foto: european comission D as Thüringer Wirtschaftsministerium erweitert die Richtlinie zur Berufsorientierung: Ab 1. Januar 2012 können an den allgemeinbildenden Schulen in Thüringen Projekte gefördert werden, die zur Stärkung der interkulturellen und sozialen Kompetenz beitragen. Auch sollen sich die Schülerinnen und Schüler im Rahmen von Projekttagen mit Demokratie im Alltag und mit antidemokratischen, rechtsextremen oder rassistischen Ideologien auseinandersetzen. »Globalisierung, Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Zuwanderung von Fachkräften führen auch in Thüringen zu kulturell gemischten Belegschaften«, sagte Arbeitsminister Matthias Machnig. Es reiche längst nicht mehr aus, in der Berufsvorbereitung Qualifikationsprofile und Abschlüsse vorzustellen. Frühzeitig müssten »Soft Skills« wie Team- und Kommunikationsfähigkeit, Konfliktmanagement und der Umgang mit Misserfolgen trainiert werden. Auch sollten sich die Schüler frühzeitig damit beschäftigen, welche Möglichkeiten es gibt, die eigenen Arbeitsbedingungen mit zu gestalten. »Arbeitnehmer haben Rechte – die Jugendlichen sollen lernen, dass sie sich an ihrer Arbeitsstelle einbringen und dass sie mitbestimmen können.« Machnig: »Jugendliche, die ihre Kompetenzen auf diesen Feldern stärken, steigern ihre beruflichen Entwicklungschancen.« Thüringens Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Christoph Matschie, hebt die Bedeutung einer praxisnahen und individuellen Berufs- und Studienorientierung hervor: »Thüringen lässt junge Menschen bei der Berufsorientierung nicht allein. Mit dem Thüringer Berufsorientierungsmodell, das noch besser auf die Interessen und Fähigkeiten junger Leute abzielt, setzen wir frühzeitig auf die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler.« Individuelle Förderung, fächerübergreifender und praxisorientierter Unterricht seien dabei die Schlüssel zum Erfolg. »Dazu gehört auch, dass sich die Schülerinnen und Schüler damit auseinandersetzen, wie Demokratie in Politik und Alltag funktioniert und in welchem Rahmen sie sich engagieren können.« Ab 2012 können diese Inhalte an den allgemeinbildenden Schulen in Thüringen vermittelt werden. Im Rahmen dieser Richtlinie sind qualifizierte Bildungsträger förderfähig. 1. Die praxisnahe Berufsorientierung kann an allen 440 allgemeinbildenden Schulen im Freistaat angeboten werden. Sie ergänzt die schulischen Angebote zur Berufsorientierung. Die Abstimmung über die förderfähigen Projekte erfolgt zwischen Arbeitsagentur, Wirtschafts- und Bildungsministerium und der Gesellschaft für Arbeits- und Wirtschaftsförderung des Freistaats Thüringen (GfAW). Die Projekte zur Stärkung der interkulturellen und sozialen Kompetenz werden in diesen Bereich der Richtlinie integriert. 2. Die Berufsvorbereitung unterstützt Jugendliche ohne Schulabschluss und Ausbildungsplatz. Projekte zur Berufsorientierung werden aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert. In der Förderperiode 2007 bis 2013 stehen insgesamt rund 63,5 Millionen Euro für diesen Zweck zur Verfügung. 83 Prozent der Mittel sind bereits bewilligt worden. Thüringer Integrationschance Der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Monaten in Thüringen gut entwickelt. Doch noch immer profitieren Arbeitslose mit Beeinträchtigungen nicht ausreichend von diesem Aufschwung. Geplant ist daher, die Richtlinie über ESF- und Landes-Förderung für die berufliche und soziale Integration im Rahmen des Programms »Arbeit für Thüringen und Zukunft Familie« (Integrationsrichtlinie) zu ändern. Integrationsprojekte des Landesarbeitsmarktprogramms sollen durch eine ergänzende ESF-Förderung und durch die Initiative 24 | s ervi c e Integration in den Arbeitsmarkt trotz Handicap. Foto: european comission TIZIAN weitergeführt werden. Damit wird eine nachhaltige berufliche Integration unterstützt. Bestehende Angebote sollen mit lokalen Akteuren, kommunalen Einrichtungen und überregionalen Versorgungsträgern vernetzt werden. Die Zusammenführung der relevanten Fördermöglichkeiten in einer Richtlinie erhöht die Transparenz. Bürokratische Hürden werden durch Pauschalen vermieden. Die neue Förderrichtlinie sowie die am 25.10.2011 in Kraft getretene Richtlinie für Lohnkostenzuschüsse (LKZ) bilden die Säulen für ein weiterentwickeltes Programm »Arbeit für Thüringen und Zukunft Familie«, das aufeinander abgestimmte Elemente der Beschäftigungs- und Integrationsförderung vereint und überwiegend aus ESF-Mitteln finanziert wird. In der neuen Integrationsrichtlinie sind neue Elemente vorgesehen: ▶▶ Integration von arbeitslosen Personen ▶▶ ▶▶ ▶▶ Richtlinienneuerung vorgesehen: Chancen für alle erweitern. Foto: european comission weiterführende links www.thueringer-wirtschaftsministerium.de www.esf-thueringen.de www.gfaw-thueringen.de mit besonders schwerwiegenden bzw. mehrfachen Beeinträchtigungen sowie von Familienbedarfsgemeinschaften Individuelle Integrationsbegleitung in regionalen Integrationsprojekten Projekte zur beruflichen Qualifizierung Projekte, die im Sinn eines Quartiermanagements und im Rahmen von Zielvereinbarungen mit lokalen Akteuren zur Aktivierung der Bewohner hinsichtlich ihrer gesundheitlichen, gesellschaftlichen und beruflichen Kompetenz führen n e ws | 25 Letzte Nachrichten Kündigungsschutz hilft über die Krise hinaus Während der Wirtschaftskrise ist das Wachstum in Deutschland stark eingebrochen. Die Beschäftigung blieb jedoch stabil. Die Regulierung des Arbeitsmarktes trug entscheidend zur guten Job-Bilanz bei. Forscher des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) haben umfassende Wirtschaftsdaten von 29 zumeist industrialisierten Staaten zusammengestellt. Anhand dieser ermittelten sie, welche Faktoren den Ausschlag gaben für die äußerst unterschiedliche Krisenperformance der Arbeitsmärkte. Ihr Ergebnis: Den stärksten – positiven – Einfluss auf die Entwicklung der Beschäftigung hatten Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer, also zum Beispiel der deutsche Kündigungsschutz. Weiterhin stellen sie einen positiven Zusammenhang fest zwischen der Arbeitsmarktperformance und einer starken Teilzeitquote vor der Krise sowie dem Ausmaß aktiver Arbeitsmarktpolitik, gemessen am Anteil entsprechender Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt. Für 2011 gilt: Eine gute Arbeitsmarktperformance während der Krise hat einen starken positiven Einfluss auf das Wirtschaftswachstum nach der Krise. Im Jahr 2012 verringert sich dieser Effekt, ist aber immer noch vorhanden. Gerade in Staaten wie Deutschland, Österreich und den Niederlanden, wo der wirtschaftliche Einbruch enorm, der Arbeitsmarkt aber relativ stabil war, erholte sich die Konjunktur bereits 2010, mit guten Prognosen für 2011, so die Autoren. Die Beschäftigung wird 2012 laut den Vorhersagen der OECD in allen drei Ländern höher sein als vor der Krise. In den Vereinigten Staaten, Spanien und Portugal hingegen, wo in der Krise viele Arbeitnehmer ihren Job verloren, bleibt die Arbeitslosigkeit hoch. Niedrig Qualifizierte mit hohem Risiko Beschäftigte mit niedriger Qualifikation tragen ein erhebliches Risiko, durch Krankheit dauerhaft arbeitsunfähig zu werden. Die Wahrscheinlichkeit, eine Erwerbsminderung zu erleiden, ist bei ihnen bis zu 10-mal so hoch wie unter Akademikern. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler vom Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin, des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA), des Robert Koch-Instituts (RKI) und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Kernergebnis der Datenanalyse: Vor allem die Qualifikation, aber auch Geschlecht und Wohnort beeinflussen die Wahrscheinlichkeit, aus Gesundheitsgründen nicht bis zum regulären Rentenalter arbeiten zu können. Haupt- oder Realschulabschluss, keine Berufsausbildung, männlich, wohnhaft in Ostdeutschland – Beschäftigte mit diesem Profil tragen das höchste Risiko, arbeitsunfähig zu werden. Es liegt gut zehnmal so hoch wie bei männlichen Akademikern, die in den alten Bundesländern leben. Die Qualifikation erweist sich in der Feinanalyse der Forscher als wichtigster Einflussfaktor. Das gilt in allen Altersgruppen, besonders weit öffnet sich die Bildungs-Schere aber bei den Älteren. Unter Frauen und Männern mit (Fach-) Hochschulabschluss gehen auch mit Ende 50 lediglich rund 5 von 1.000 Versicherten in die Erwerbsminderungsrente. Dagegen sind es bei niedrig qualifizierten Männern fast 25, bei niedrig qualifizierten Frauen 19. Beschäftigte mit mittlerer Qualifikation, das heißt mit abgeschlossener Berufsausbildung, liegen dazwischen. Hier verzeichnet die Statistik bei Männern rund 15 Zugänge, bei Frauen 13. www.boeckler.de Ohne Qualifikation – hohes Risiko. Foto: european comission die themen der nächsten ausgabe: Δ Beschäftigung und soziale Solidarität 2012 Δ Die richtige Chance für alle – Berufsorientierung Δ Nächster Halt: Heimat Thüringens Rückkehrer Wir wünschen allen Lesern der »Guten Arbeit« ein erfolgreiches Jahr 2012. impressum »gute arbeit« erscheint vierteljährlich. 1. Jahrgang, Ausgabe 4/2011 Herausgeber: Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie Max-Reger-Straße 4 – 8 D-99096 Erfurt Telefon: +49 (03 61) 37 97 - 999 Telefax: +49 (03 61) 37 97 - 990 E-Mail: [email protected] Internet: www.thueringer-wirtschaftsministerium.de »gute arbeit« wird aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds kofinanziert. Nachdruck und Verbreitung des Inhaltes – auch auszugsweise – ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers gestattet, ebenso die Aufnahme in elektronische Datenbanken und Mailboxes. Die fotomechanische Vervielfältigung von Teilen dieser Zeitschrift ist nur für den internen Gebrauch des Beziehers gestattet.