Nichts für Aufschneider
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Nichts für Aufschneider
16 Te c h n i k Karosseriereparatur Nichts für Aufschneider Aluminium dient nicht erst seit dem Audi A8 als Karosseriewerkstoff. Auch andere Hersteller nutzen das leichte Metall – zumindest für Fronthaube, Heckdeckel, Türen oder Kotflügel. Wo hat die Werkstatt konkret mit Aluteilen zu rechnen? Was ist bei Richt- und Lackierarbeiten zu beachten? B esondere Materialien erfordern besondere Sorgfalt. Um an Karosserieteilen aus Aluminium sorgfältig arbeiten zu können, benötigt die Werkstatt Informationen über dieses Material: Wo wird Alu verwendet, um welche Legierung handelt es sich und wie sind diese Teile richt- und schweißtechnisch zu behandeln? Arbeitsanleitungen und Schulungen bleiben in der Regel den an die jeweilige Marke gebundenen Autohäusern vorbehalten. Markenfremde Werkstätten sind hier aber auch diejenigen Spezialisten, welche im Auftrag vieler Autohäuser Karosserie- und/oder Lackarbeiten ausführen. Wissen diese wirklich hundertprozentig, welcher Hersteller an welchem Modell und bei welchem Karosserieteil welche Aluminiumlegierung verwendet? Wer denkt schon bei jedem instand zu setzenden Fahrzeug an die vorherige Abtastung der Blechteile mit einem Magneten? Erkennt der Instandsetzer das Aluminiumteil erst während der Arbeit, besteht bereits die Gefahr von Kontaktkorrosion. Und das ist längst nicht der einzige Punkt, der bei Alureparaturen zu beachten ist. Kleine und große Probleme In Kleinserie produzierte Fahrzeuge mit Ganzaluminiumkarosserie, egal ob in konventioneller Bauweise wie der Honda NSX oder als Space-Frame-Konstruktion wie Audi 7/2000 Aluminiumreparaturen sind ein Fall für Könner mit separatem Arbeitsplatz, ebensolchem Werkzeug und spezifischem Fachwissen Te c h n i k 17 Karosseriereparatur A8, BMW Z8 und Ferrari 360 Modena, stellen in diesem Zusammenhang das geringere Problem dar. Ihre Stückzahlen sind begrenzt und die Hersteller bzw. Importeure haben Kompetenzzentren eingerichtet, in denen man den Werkstoff kennt und sich auf ihn eingestellt hat. Deutlich schwieriger wird es bei in größeren Stückzahlen gefertigten Fahrzeugen mit häufig nur teilweisem und zudem kaum bekanntem Alueinsatz. Mit Unterstützung durch den Spezialwerkzeuglieferanten Wieländer+Schill haben wir zusammengetragen, welche Modelle welcher Hersteller wo Aluminiumteile aufweisen. Die Tabelle steht auf Seite 19. Alu ist nicht gleich Alu Bei keiner der vollständigen oder teilweisen Alukarosserien handelt es sich um den reinen Stoff Aluminium, sondern stets um dessen Legierungen, die recht unterschiedlich ausfallen können. Stabilitäts- und Bearbeitungsvorteile sind die Gründe hierfür. So muss das Außenhautmaterial des Land Rover Defender längst nicht mit dem des neuen Audi A2 identisch sein. Die Kenntnis der Legierungsbestandteile (Silizium, Mangan etc.) des jeweiligen Karosseriematerials ist wichtig für dessen Bearbeitung, etwa für die Auswahl des Schweißzusatzwerkstoffs. Spezifische Weiterbildung tut also Not. Der Kasten „Schulungsanbieter“ beinhaltet eine Übersicht von Alternativen zu den Weiterbildungsmaßnahmen der Hersteller und Importeure. Nachfolgend einige Grundregeln für die Arbeit an Aluminium. ■ Stahl- und Aluteile niemals mit denselben Werkzeugen bearbeiten. Bei Aluminium nur Edelstahl-Drahtbürsten verwenden. ■ Warm ausgehärtete Aluminium-Karosserien nur mit ebensolchen Ersatzteilen instandsetzen. ■ Vorsicht bei Erwärmung: Über 180 °C riskiert man Festigkeitsveränderungen. Ggf. Temperaturfühler oder Thermofarben verwenden. ■ Ausschließlich aluminiumverträgliche Verbindungselemente (Schrauben, Niete etc.) benutzen und ebensolche Schweißverfahren (MIG, WIG) anwenden. ■ Nicht zeitgleich schleifen und schweißen, sondern zeitlich getrennt und bei aktivierter Staubabsaugung. Arbeitsraum und Absauganlage regelmäßig reinigen. Auch bei der Lackiervorbereitung fällt noch Aluminiumstaub an. Ein separates Arbeitsfeld tut also Not. Zur Hageldellenbeseitigung an Aluminiumteilen benötigt man Werkzeuge mit größerer Auflagefläche. Was ist Kontaktkorrosion? Schulungsanbieter erden zwei unterschiedliche Metalle durch ein Elektrolyt verbunden, entsteht ein galvanisches Element, welches das unedlere Metall zerstört. Geschieht das unbeabsichtigt, spricht man von Kontaktkorrosion. Hintergrund: Bei Elektrolytkontakt weisen Metalle einen so genannten Lösungsdruck auf. Dieser zwingt sie, Ionen abzugeben. Metalle mit großem Lösungsdruck bezeichnet man als unedel und umgekehrt. Oldtimerrestauratoren kennen das Problem von den Verbindungsstellen zwischen Stahlchassis und Aluminiumkarosserie. Das Elektrolyt ist in diesem Fall die Luftfeuchtigkeit, Stahl das unedlere Metall. PD ■ W GFT, Schiltach, Telefon 0 78 36/95 97 70, www.karosserieschulung.de ■ Hagelschaden-Zentrum, Ulm, Telefon 07 31/9 31 64 14, www.hagelschaden-zentrum.de ■ Karosseriebauerinnung, Köln (für Mitglieder), Telefon 02 21/9 69 37 90, www.karosserie-innungköln.de ■ KTD, Calw, Telefon 01 70/8 93 01 89 ■ Sikkens, Stuttgart (für Kunden), Telefon 07 11/89 51-506, www.sikkenscr.de ■ Wieländer+Schill, VillingenSchwenningen (produktbezogen), Telefon 0 77 20/8 31 70 PD 7/2000 18 Te c h n i k Karosseriereparatur Wer Aluminium bearbeiten will, kommt um den Erwerb nur hierfür genutzter Werkzeuge und Geräte nicht herum ■ Keine harten und kantigen Richtwerkzeuge verwenden. Alu mehr drücken als schlagen. Materialüberdehnung vermeiden. Auch Aluminium korrodiert Verwendet man bei der Reparatur von Aluteilen die gleichen Werkzeuge wie bei der Stahlblechbearbeitung, lagern sich am Aluminium Stahlpartikel an, welche gemeinsam mit der Luftfeuchtigkeit Kontaktkorrosion verursachen. Besonders brisant ist die Verwendung ein und derselben Schleifmittel. Aber selbst für beide Materialien genutzte Ausbeulhämmer, Gegenhalter, Feststellzangen, Hagel auf Alu – das sollten Sie beachten Bohrer und Nietwerkzeuge lösen diesen nur schwer zu stoppenden Prozess aus. Lässt man die Verwendung von Verbindungselementen (Niete, Schrauben, Gewindebolzen und -einsätze) aus für Aluminium nicht geeignetem Material außer Acht, spielt die Material zerstörende Wirkung der Kontaktkorrosion nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr lautet das Hauptproblem dieser Korrosionsart Haftungsminderung. Wird das Auftreten von Kontaktkorrosion nicht erkannt und die Reparaturstelle anschließend lackiert, löst sich das Lacksystem je nach Umfang der Instandsetzung partiell oder großflächig wieder ab. Ebenfalls nicht Material zerstörend, aber haftungsmindernd wirkt die Bildung einer Oxidschicht an der Oberfläche des Leichtmetalls. Aluminiumoxid, auch als Weiß- oder Edelrost bezeichnet, lässt sich durch rasches Grundieren der Reparaturstelle vermeiden. Doppelt sanfte Methode Dellen – von der Mitte beginnend – gleichmäßig und in kleinen Schritten rückverformen. Wird außen begonnen, bleibt vom überdehnten Material eine Nase zurück. Quetsch- und Federeffekt bei Ausbeulwerkzeug mit zu kleiner Auflagefläche. 00-asp-7-6-1 7/2000 Auch Fahrzeuge mit vollständiger oder teilweiser Aluminiumkarosserie bleiben nicht von Hagel- oder Parkschäden verschont. Die von Stahlblechkarosserien bekannte „sanfte“ Reparaturmethode – ohne nachfolgend nötige Lackierung – ist auch hier anwendbar. Ihr Einsatz an Aluminiumteilen erfordert aber noch mehr Gefühl und eine zum Teil veränderte Herangehensweise. Aluminium hat die in diesem Zusammenhang unangenehme Eigenschaft, bei punktueller Belastung weitaus stärker zu federn als Stahl. Im Klartext: Beim Drücken nach Stahlblechmanier ergibt sich keine bleibende Verformung. Erhöht man den Druck, noch dazu mit einem für Stahlblech konzipier ten Werkzeug, besteht recht schnell die Gefahr der Materialquetschung mit anschließender Dellenbildung auf der gegenüberliegenden, lackierten Seite. Spezielle Aluwerkzeuge mit deutlich größerer Auflagefläche schaffen hier Abhilfe. Eine weitere Gefahr besteht durch Materialüberdehnung. Dellen deshalb – in deren Mitte beginnend – gleichmäßig und in kleinen Schritten rückverformen. Hinzu kommt das generelle Problem der schlechten Zugänglichkeit durch stärkere Verstrebungen und häufig doppelwandig ausgeführte Teile. Die an unzugänglichen Stellen bei Stahlblechkarosserien oft praktizierte Notlösung, per Heißkleber einen Stift in Dellenmitte zu befestigen, die Delle damit umzukehren und anschließend durch Verformung nach unten zu beseitigen, ist bei Aluminium untauglich. Der materialbedingt erhöhte Kraftaufwand könnte die Lackschicht abreißen lassen. Das Ulmer Hagelschadenzentrum beziffert den zeitlichen Mehraufwand der „sanften“ Aluminium- gegenüber der ebensolchen Stahlblechrückverformung mit 25 Prozent. Da Karosserieteile aus Aluminium teurer sind als vergleichbare Teile aus Stahl, rechnet sich diese Instandsetzungsmethode trotzdem. Neben dem Grundsatz, stets separate Schleifmittel zu verwenden, sind im Lackbereich weitere aluminiumspezifische Besonderheiten zu beachten. 19 An welchen Pkw ist wo mit Aluminium zu rechnen? Marke und Modell Audi A2 Audi A6 Audi A6 4,2 und S6 Audi A8 Audi TT BMW 7er BMW Z8 Ferrari 360 Modena Honda Insight Honda S2000 Honda NSX Land Rover Defender Mazda MX 5 Mercedes-Benz CL Opel Omega Peugeot 607 Range Rover Renault Clio (79 kW) Rover 75 Volvo V70 Volvo S80 VW 3-l-Lupo Karosserieteil gesamte Karosserie (Spaceframe) Motorhaube Motorhaube und Vorderkotflügel gesamte Karosserie (Spaceframe) Motorhaube Motorhaube (teilweise) gesamte Karosserie (Spaceframe) gesamte Karosserie (Spaceframe) gesamte Karosserie Motorhaube, Türen, Heckdeckel gesamte Karosserie gesamte Karosserieaußenhaut (außer Dach) Motorhaube Frontschürze, Motorhaube, Türen, Dach, Hinterkotflügel, Heckdeckel Motorhaube Motorhaube Türen, Heckklappe Motorhaube Motorhaube Motorhaube, Heckklappe Motorhaube, Heckdeckel Motorhaube, Vorderkotflügel, Türen, Heckklappe Kein Anspruch auf Vollständigkeit. Quelle: Wieländer+Schill Zunächst die Schleifmittelkörnung. Sie sollte nicht gröber als P180 ausfallen. Nach Meinung des Lackherstellers Sikkens ist selbst P180 nur bei nachfolgendem Polyesterspachteleinsatz sinnvoll. Kurzum: Aluminium so fein wie möglich und abgestimmt auf den späteren Lackaufbau schleifen, denn eine zu grobe Schleifkörnung zerstört die Oberflächenstruktur des Leichtmetalls. Vor dem Spachteln steht das Reinigen, was bei der Aluminiumbearbeitung nicht durch Abblasen erfolgen darf. Die Aufwirbelung des leichten Schleifstaubs könnte an nebenstehenden Fahrzeugen Kontaktkorrosion auslösen. Also zuerst den Schleifstaub vorsichtig abpinseln, dann Fläche gründlich entfetten. Zur Vermeidung der Oxidschichtbildung zwischen Schleifen und Grundieren nicht zu viel Zeit verstreichen lassen. Zur Grundierung empfiehlt Sikkens säurehärtende oder wasserverdünnbare Materialien (so genannte Wash- bzw. Autowaveprimer) – Letzteres insbesondere dann, wenn es sich um einen lösemittelempfindlichen Serienlack handelt. Beim nachfolgenden Lackaufbau kann der Lackierer zu dem ihm vertrauten System greifen. Betrifft die Schadenstelle sowohl Stahl- als auch Aluminiumteile, ist an deren Übergang besondere Vorsicht angebracht. Bei freigelegten Untergründen das Aluteil möglichst entfernen und getrennt bearbeiten. Ist der Aufwand hierfür zu groß, Teile abwechselnd schleifresistent abdecken. Getrennte Teile vor dem Lackieren wieder zusammenfügen, denn beim Lacksystem gibt es keine Unterschiede. Peter Diehl Fotos: Diehl Gefahr im Verzug Sikkens-Schulungsleiter Udo Klein empfiehlt zur Alugrundierung säurehärtende oder wasserverdünnbare Materialien 7/2000