Nichts für Aufschneider

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Nichts für Aufschneider
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Te c h n i k
Karosseriereparatur
Nichts für Aufschneider
Aluminium dient nicht erst seit
dem Audi A8 als Karosseriewerkstoff. Auch andere
Hersteller nutzen das leichte
Metall – zumindest für Fronthaube, Heckdeckel, Türen oder
Kotflügel. Wo hat die Werkstatt
konkret mit Aluteilen zu
rechnen? Was ist bei Richt- und
Lackierarbeiten zu beachten?
B
esondere Materialien erfordern besondere Sorgfalt. Um an Karosserieteilen aus Aluminium sorgfältig arbeiten
zu können, benötigt die Werkstatt Informationen über dieses Material: Wo wird Alu
verwendet, um welche Legierung handelt es
sich und wie sind diese Teile richt- und
schweißtechnisch zu behandeln? Arbeitsanleitungen und Schulungen bleiben in der
Regel den an die jeweilige Marke gebundenen
Autohäusern vorbehalten. Markenfremde
Werkstätten sind hier aber auch diejenigen
Spezialisten, welche im Auftrag vieler Autohäuser Karosserie- und/oder Lackarbeiten
ausführen. Wissen diese wirklich hundertprozentig, welcher Hersteller an welchem
Modell und bei welchem Karosserieteil
welche Aluminiumlegierung verwendet?
Wer denkt schon bei jedem instand zu
setzenden Fahrzeug an die vorherige Abtastung der Blechteile mit einem Magneten?
Erkennt der Instandsetzer das Aluminiumteil
erst während der Arbeit, besteht bereits die
Gefahr von Kontaktkorrosion. Und das ist
längst nicht der einzige Punkt, der bei Alureparaturen zu beachten ist.
Kleine und große Probleme
In Kleinserie produzierte Fahrzeuge mit
Ganzaluminiumkarosserie, egal ob in konventioneller Bauweise wie der Honda NSX
oder als Space-Frame-Konstruktion wie Audi
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Aluminiumreparaturen sind ein
Fall für Könner mit separatem
Arbeitsplatz, ebensolchem
Werkzeug und spezifischem
Fachwissen
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A8, BMW Z8 und Ferrari 360 Modena, stellen
in diesem Zusammenhang das geringere
Problem dar. Ihre Stückzahlen sind begrenzt
und die Hersteller bzw. Importeure haben
Kompetenzzentren eingerichtet, in denen
man den Werkstoff kennt und sich auf ihn
eingestellt hat. Deutlich schwieriger wird es
bei in größeren Stückzahlen gefertigten
Fahrzeugen mit häufig nur teilweisem und
zudem kaum bekanntem Alueinsatz. Mit
Unterstützung durch den Spezialwerkzeuglieferanten Wieländer+Schill haben wir
zusammengetragen, welche Modelle welcher Hersteller wo Aluminiumteile aufweisen. Die Tabelle steht auf Seite 19.
Alu ist nicht gleich Alu
Bei keiner der vollständigen oder teilweisen
Alukarosserien handelt es sich um den reinen
Stoff Aluminium, sondern stets um dessen
Legierungen, die recht unterschiedlich ausfallen können. Stabilitäts- und Bearbeitungsvorteile sind die Gründe hierfür. So muss
das Außenhautmaterial des Land Rover Defender längst nicht mit dem des neuen Audi
A2 identisch sein. Die Kenntnis der Legierungsbestandteile (Silizium, Mangan etc.)
des jeweiligen Karosseriematerials ist wichtig
für dessen Bearbeitung, etwa für die Auswahl des Schweißzusatzwerkstoffs. Spezifische Weiterbildung tut also Not. Der Kasten
„Schulungsanbieter“ beinhaltet eine Übersicht
von Alternativen zu den Weiterbildungsmaßnahmen der Hersteller und Importeure.
Nachfolgend einige Grundregeln für die
Arbeit an Aluminium.
■ Stahl- und Aluteile niemals mit denselben
Werkzeugen bearbeiten. Bei Aluminium
nur Edelstahl-Drahtbürsten verwenden.
■ Warm ausgehärtete Aluminium-Karosserien nur mit ebensolchen Ersatzteilen instandsetzen.
■ Vorsicht bei Erwärmung: Über 180 °C
riskiert man Festigkeitsveränderungen. Ggf.
Temperaturfühler oder Thermofarben verwenden.
■ Ausschließlich aluminiumverträgliche
Verbindungselemente (Schrauben, Niete
etc.) benutzen und ebensolche Schweißverfahren (MIG, WIG) anwenden.
■ Nicht zeitgleich schleifen und schweißen,
sondern zeitlich getrennt und bei aktivierter Staubabsaugung. Arbeitsraum und
Absauganlage regelmäßig reinigen.
Auch bei der Lackiervorbereitung fällt noch Aluminiumstaub an. Ein separates Arbeitsfeld tut also Not.
Zur Hageldellenbeseitigung an Aluminiumteilen benötigt man Werkzeuge mit größerer Auflagefläche.
Was ist Kontaktkorrosion?
Schulungsanbieter
erden zwei unterschiedliche Metalle
durch ein Elektrolyt verbunden,
entsteht ein galvanisches Element, welches das unedlere Metall zerstört. Geschieht das unbeabsichtigt, spricht man
von Kontaktkorrosion. Hintergrund: Bei
Elektrolytkontakt weisen Metalle einen
so genannten Lösungsdruck auf. Dieser
zwingt sie, Ionen abzugeben. Metalle mit
großem Lösungsdruck bezeichnet man
als unedel und umgekehrt. Oldtimerrestauratoren kennen das Problem von den
Verbindungsstellen zwischen Stahlchassis und Aluminiumkarosserie. Das Elektrolyt ist in diesem Fall die Luftfeuchtigkeit, Stahl das unedlere Metall.
PD
■
W
GFT, Schiltach,
Telefon 0 78 36/95 97 70,
www.karosserieschulung.de
■ Hagelschaden-Zentrum, Ulm,
Telefon 07 31/9 31 64 14,
www.hagelschaden-zentrum.de
■ Karosseriebauerinnung, Köln (für
Mitglieder), Telefon 02 21/9 69 37 90,
www.karosserie-innungköln.de
■ KTD, Calw, Telefon 01 70/8 93 01 89
■ Sikkens, Stuttgart (für Kunden),
Telefon 07 11/89 51-506,
www.sikkenscr.de
■ Wieländer+Schill, VillingenSchwenningen (produktbezogen),
Telefon 0 77 20/8 31 70
PD
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Wer Aluminium bearbeiten will, kommt um den Erwerb nur hierfür genutzter Werkzeuge und Geräte nicht herum
■
Keine harten und kantigen Richtwerkzeuge verwenden. Alu mehr drücken als
schlagen. Materialüberdehnung vermeiden.
Auch Aluminium korrodiert
Verwendet man bei der Reparatur von Aluteilen die gleichen Werkzeuge wie bei der
Stahlblechbearbeitung, lagern sich am Aluminium Stahlpartikel an, welche gemeinsam
mit der Luftfeuchtigkeit Kontaktkorrosion verursachen. Besonders brisant ist die Verwendung ein und derselben Schleifmittel. Aber
selbst für beide Materialien genutzte Ausbeulhämmer, Gegenhalter, Feststellzangen,
Hagel auf Alu –
das sollten Sie beachten
Bohrer und Nietwerkzeuge lösen diesen nur
schwer zu stoppenden Prozess aus. Lässt
man die Verwendung von Verbindungselementen (Niete, Schrauben, Gewindebolzen
und -einsätze) aus für Aluminium nicht
geeignetem Material außer Acht, spielt die
Material zerstörende Wirkung der Kontaktkorrosion nur eine untergeordnete Rolle.
Vielmehr lautet das Hauptproblem dieser
Korrosionsart Haftungsminderung. Wird das
Auftreten von Kontaktkorrosion nicht erkannt
und die Reparaturstelle anschließend
lackiert, löst sich das Lacksystem je nach
Umfang der Instandsetzung partiell oder
großflächig wieder ab. Ebenfalls nicht Material zerstörend, aber haftungsmindernd wirkt
die Bildung einer Oxidschicht an der Oberfläche des Leichtmetalls. Aluminiumoxid,
auch als Weiß- oder Edelrost bezeichnet,
lässt sich durch rasches Grundieren der Reparaturstelle vermeiden.
Doppelt sanfte Methode
Dellen – von der Mitte beginnend – gleichmäßig
und in kleinen Schritten rückverformen.
Wird außen begonnen, bleibt vom überdehnten
Material eine Nase zurück.
Quetsch- und Federeffekt bei Ausbeulwerkzeug
mit zu kleiner Auflagefläche.
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Auch Fahrzeuge mit vollständiger oder teilweiser Aluminiumkarosserie bleiben nicht
von Hagel- oder Parkschäden verschont. Die
von Stahlblechkarosserien bekannte „sanfte“
Reparaturmethode – ohne nachfolgend
nötige Lackierung – ist auch hier anwendbar. Ihr Einsatz an Aluminiumteilen erfordert
aber noch mehr Gefühl und eine zum Teil
veränderte Herangehensweise.
Aluminium hat die in diesem Zusammenhang unangenehme Eigenschaft, bei
punktueller Belastung weitaus stärker zu
federn als Stahl. Im Klartext: Beim Drücken
nach Stahlblechmanier ergibt sich keine
bleibende Verformung. Erhöht man den
Druck, noch dazu mit einem für Stahlblech
konzipier ten Werkzeug, besteht recht
schnell die Gefahr der Materialquetschung
mit anschließender Dellenbildung auf der
gegenüberliegenden, lackierten Seite. Spezielle Aluwerkzeuge mit deutlich größerer
Auflagefläche schaffen hier Abhilfe.
Eine weitere Gefahr besteht durch Materialüberdehnung. Dellen deshalb – in deren Mitte beginnend – gleichmäßig und in
kleinen Schritten rückverformen. Hinzu
kommt das generelle Problem der schlechten Zugänglichkeit durch stärkere Verstrebungen und häufig doppelwandig ausgeführte Teile. Die an unzugänglichen Stellen
bei Stahlblechkarosserien oft praktizierte
Notlösung, per Heißkleber einen Stift in
Dellenmitte zu befestigen, die Delle damit
umzukehren und anschließend durch Verformung nach unten zu beseitigen, ist bei
Aluminium untauglich. Der materialbedingt
erhöhte Kraftaufwand könnte die Lackschicht abreißen lassen.
Das Ulmer Hagelschadenzentrum
beziffert den zeitlichen Mehraufwand der
„sanften“ Aluminium- gegenüber der ebensolchen Stahlblechrückverformung mit 25
Prozent. Da Karosserieteile aus Aluminium
teurer sind als vergleichbare Teile aus Stahl,
rechnet sich diese Instandsetzungsmethode
trotzdem.
Neben dem Grundsatz, stets separate
Schleifmittel zu verwenden, sind im Lackbereich weitere aluminiumspezifische Besonderheiten zu beachten.
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An welchen Pkw ist wo mit Aluminium zu rechnen?
Marke und Modell
Audi A2
Audi A6
Audi A6 4,2 und S6
Audi A8
Audi TT
BMW 7er
BMW Z8
Ferrari 360 Modena
Honda Insight
Honda S2000
Honda NSX
Land Rover Defender
Mazda MX 5
Mercedes-Benz CL
Opel Omega
Peugeot 607
Range Rover
Renault Clio (79 kW)
Rover 75
Volvo V70
Volvo S80
VW 3-l-Lupo
Karosserieteil
gesamte Karosserie (Spaceframe)
Motorhaube
Motorhaube und Vorderkotflügel
gesamte Karosserie (Spaceframe)
Motorhaube
Motorhaube (teilweise)
gesamte Karosserie (Spaceframe)
gesamte Karosserie (Spaceframe)
gesamte Karosserie
Motorhaube, Türen, Heckdeckel
gesamte Karosserie
gesamte Karosserieaußenhaut (außer Dach)
Motorhaube
Frontschürze, Motorhaube, Türen, Dach,
Hinterkotflügel, Heckdeckel
Motorhaube
Motorhaube
Türen, Heckklappe
Motorhaube
Motorhaube
Motorhaube, Heckklappe
Motorhaube, Heckdeckel
Motorhaube, Vorderkotflügel, Türen, Heckklappe
Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Quelle: Wieländer+Schill
Zunächst die Schleifmittelkörnung. Sie sollte
nicht gröber als P180 ausfallen. Nach Meinung des Lackherstellers Sikkens ist selbst
P180 nur bei nachfolgendem Polyesterspachteleinsatz sinnvoll. Kurzum: Aluminium
so fein wie möglich und abgestimmt auf
den späteren Lackaufbau schleifen, denn
eine zu grobe Schleifkörnung zerstört die
Oberflächenstruktur des Leichtmetalls. Vor
dem Spachteln steht das Reinigen, was bei
der Aluminiumbearbeitung nicht durch Abblasen erfolgen darf. Die Aufwirbelung des
leichten Schleifstaubs könnte an nebenstehenden Fahrzeugen Kontaktkorrosion auslösen. Also zuerst den Schleifstaub vorsichtig
abpinseln, dann Fläche gründlich entfetten.
Zur Vermeidung der Oxidschichtbildung
zwischen Schleifen und Grundieren nicht zu
viel Zeit verstreichen lassen. Zur Grundierung empfiehlt Sikkens säurehärtende oder
wasserverdünnbare Materialien (so genannte Wash- bzw. Autowaveprimer) – Letzteres
insbesondere dann, wenn es sich um einen
lösemittelempfindlichen Serienlack handelt.
Beim nachfolgenden Lackaufbau kann der
Lackierer zu dem ihm vertrauten System
greifen. Betrifft die Schadenstelle sowohl
Stahl- als auch Aluminiumteile, ist an deren
Übergang besondere Vorsicht angebracht.
Bei freigelegten Untergründen das Aluteil
möglichst entfernen und getrennt bearbeiten. Ist der Aufwand hierfür zu groß, Teile
abwechselnd schleifresistent abdecken.
Getrennte Teile vor dem Lackieren wieder
zusammenfügen, denn beim Lacksystem
gibt es keine Unterschiede.
Peter Diehl
Fotos: Diehl
Gefahr im Verzug
Sikkens-Schulungsleiter Udo Klein empfiehlt
zur Alugrundierung säurehärtende oder wasserverdünnbare Materialien
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