- Katholische Kirche beim hr

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- Katholische Kirche beim hr
Beate Hirt, Frankfurt
Morgenfeier in hr2-kultur am Donnerstag, 26. Mai 2016, Fronleichnam
Seht her, das Brot! Seht her, der Mensch!
„Seht her, das ist, was uns wichtig ist! Seht her, das ist unser heiliges Brot!“ So könnte
man das Motto von Fronleichnam beschreiben, das heute gefeiert wird. Katholiken
denken heute besonders an Leib und Blut Jesu Christi. In jedem Mahlgottesdienst
werden - dem Glauben nach - Brot und Wein in Leib und Blut verwandelt. Und an
Fronleichnam tragen Katholiken dieses besondere Brot in Prozessionen durch die
Straßen, und sie feiern Gottesdienste im Freien. Sie wollen damit auch sagen: Seht
her, dieses Stück Brot ist etwas Besonderes für uns!
Aber: An diesem Fronleichnamsfest heute geht es für viele Katholiken auch noch um
ein anderes „Seht her!“ In Leipzig haben sich einige zigtausend Menschen zum
Katholikentag versammelt. Ihr Motto lautet: Seht, da ist der Mensch! Es ist ein Zitat
aus der Passion Jesu. Als Pontius Pilatus Jesus hinaus schickt zur Menschenmenge,
da sagt er diese Worte: Seht her, der Mensch, ecce homo auf Latein.
Ich finde: Beides hat miteinander zu tun. Seht her, dieses Brot! Und: Seht her, der
Mensch! Und ich möchte über dieses doppelte „Seht her!“ heute in der Morgenfeier
sprechen. Musikalisch habe ich Ihnen auch ein doppeltes Programm mitgebracht:
Musik rund um die Passion und rund um das Fronleichnamsfest. Zu Beginn möchte
ich Ihnen die Szene aus der Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach
vorspielen, in der Pilatus der wütenden Menge diesen Satz entgegenruft: Seht, welch
ein Mensch!
Musik 1: Johann Sebastian Bach, Evangelist / Chor / Pilatus aus der JohannesPassion (CD: Johann Sebastian Bach, Johannes Passion, Collegium Vocale Gent,
Orchestre de La Chapelle Royale, Paris, Philippe Herreweghe)
Seht, welch ein Mensch! Ecce homo! Oder heute an Fronleichnam auch: Seht her,
dieses heilige Brot! Das ist eine Aufforderung, hinzuschauen, wahrzunehmen, den
Kopf nicht weg zu drehen. Und damit ist es erst einmal auch eine Aufforderung,
stehen zu bleiben, innezuhalten. In der Passion ruft Pilatus dieses „Ecce homo!“ der
Menge entgegen, die Jesu Tod fordert. Es scheint, als wolle er sie damit zur
Besinnung bringen. Er will ihre Aufmerksamkeit auf den lenken, der da vor ihnen steht
– ein Mensch, der ausgepeitscht wurde, der halbnackt ist und eine Dornenkrone auf
dem Kopf trägt. Schaut ihn euch an, scheint Pilatus sagen zu wollen, unterbrecht eure
Wut und euer Geschrei, unterbrecht euer Tagesgeschäft – und nehmt diesen
Menschen wahr.
Seht her! Darin steckt die Aufforderung, den Menschen zu sehen – vor allem den
Menschen in seinem Schmerz. Nicht nur diesen Jesus damals vor 2000 Jahren.
Sondern Menschen zu allen Zeiten. Über die Jahrhunderte ist der leidende, gefolterte
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Jesus zum Symbol geworden für alle, die Verfolgung und Leid ausgeliefert sind. Und
er selbst hat diese Verbindung zwischen sich und den anderen schon gezogen: In der
berühmten Szene vom Weltgericht im Matthäusevangelium fragen die Menschen
Christus erstaunt: „Wann haben wir dich denn fremd und obdachlos gesehen und
aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben?“ Und seine Antwort lautet:
„Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das
habt ihr mir getan.“ (Matthäusevangelium 25,38.40). Wo immer ein Mensch leidet,
nackt und fremd ist, da muss man in ihm auch Jesus erkennen. Man muss dazu aber
natürlich vor allem: hinsehen. Einfacher ist es, wegzuschauen. Vor dem Schmerz die
Augen zu verschließen. Aber die Aufforderung lautet: Sieh hin, der Mensch!
Es gibt eine Zeile in einem Arioso der Johannespassion von Bach, die lautet: „Sieh
ohn Unterlass auf ihn!“ Die Ariosi oder Arien bei Bach machen ja genau das: Sie
halten inne, sie unterbrechen das dramatische Geschehen, und sie schauen hin auf
diesen leidenden Jesus. „Sieh ohn Unterlass auf ihn!“ Voller Mitgefühl ist diese Musik.
Musik 2: Johann Sebastian Bach, Arioso „Betrachte meine Seel“ aus der JohannesPassion (CD: CD: Johann Sebastian Bach, Johannes Passion, Collegium Vocale
Gent, Orchestre de La Chapelle Royale, Paris, Philippe Herreweghe).
Seht, den Menschen! Wer sich, wie hier der Betrachter der Johannespassion bei
Bach, wirklich dem Leid des Menschen aussetzt, der kann ja fast nicht anders, als
Mitgefühl und Mitleid zu entwickeln. Aus dem Sehen wird ein Urteilen – und ein
Handeln. Der Mensch, den ich leiden sehe – dem will ich dann auch helfen. Dem
Nackten, dem Fremden, dem Obdachlosen, von dem Jesus in der Bibel spricht – dem
reiche ich etwas zum Anziehen, zum Essen, dem besorge ich vielleicht sogar ein
Quartier.
Natürlich fallen mir da im Moment vor allem die Flüchtlinge ein. Seht, das sind
Menschen! möchte man auch da ja immer mal wieder rufen. Geflüchtete sind keine
Probleme, keine Fluten, keine Kostenbringer. Es sind Menschen. Ich finde es
großartig, dass unsere christliche Tradition offenbar noch so funktioniert, dass sehr
viele hier bei uns das auch so sehen. In den Fremden sehen sie Menschen – oder
sogar Gott selbst: „Was ihr dem Geringsten tut, das tut ihr mir.“
Gott identifiziert sich eben gerade mit den Menschen, die verfolgt werden, die
gedemütigt werden, die fliehen müssen. Aber natürlich auch mit Menschen, die unter
einer Krankheit leiden, die in Ängsten leben, denen Schweres zugemutet wird. Gott ist
immer besonders da gegenwärtig, wo Menschen leiden, das ist die große Botschaft
der Bibel. Er identifiziert sich mit den Menschen, die sich ohnmächtig fühlen, die sich
kaum wehren können. Ihnen ist er nah, ihnen steht er zur Seite.
In der Bibel gibt es für diesen leidenden und wehrlosen Menschen ein besonderes
Bild, ein sehr dramatisches: Es ist das Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird.
Jesus wird von Anfang so genannt: Lamm Gottes. Im katholischen Mahlgottesdienst
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hat dieses Bild vom Lamm Gottes einen besonderen Platz. Bevor das gewandelte
Brot, der Leib Christi, an alle verteilt wird, hebt der Priester die Brothostie in die Höhe
und spricht: „Seht, das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt!“ Da ist
es auch wieder: Dieses „Seht! Schaut hin!“ Im Englischen heißt es: Behold! Und: Seht,
das Lamm Gottes! heißt: Behold, the Lamb of God! Georg Friedrich Händel hat das in
seinem berühmten „Messias“ auf besonders eindrucksvolle Weise vertont.
Musik 3: Georg Friedrich Händel, Chorus “Behold the lamb of God” aus dem Messias
(CD: Georg Friedrich Händel, Messiah, Stockholm Kammerkören, Concentus Musicus
Wien, Nikolaus Harnoncourt).
Behold, the lamb of God! Seht, das Lamm Gottes! Oder auch: Ecce homo! Seht, den
Menschen! Immer wieder werden wir aufgefordert, hinzuschauen. Hinsehen ist eben
der erste Schritt zum Sich-Verändern und zum Handeln.
Und interessanterweise ist das Hinsehen, das Hinschauen auch etwas, was mit dem
Fest heute besonders zu tun hat, mit Fronleichnam. Das Fest stammt aus einer Zeit, in
der das Schauen, das Sehen überaus wichtig war. Im Mittelalter gab es die so
genannte „Schaufrömmigkeit“. Das Schauen von Brot und Wein im Gottesdienst, von
Leib und Blut Christi also, wurde den Menschen viel wichtiger als das eigentliche
Essen und Trinken der Gaben. Das hatte zu tun mit einem gewandelten Verständnis
der Messe. Während es in den ersten Jahrhunderten nach Christus darauf ankam,
sich beim gemeinsamen Teilen des Brotes an das letzte Abendmahl mit Jesus zu
erinnern, spielte im 12. und 13. Jahrhundert immer mehr das Sehen des Brotes eine
Rolle. Und so war der wichtigste Moment im Gottesdienst irgendwann auch nicht mehr
das gemeinsame Essen – sondern der Moment, in dem das gewandelte Brot
hochgehalten wurde, die so genannte Elevation. Gemeinschaft mit Jesus erlebten die
Menschen damals im Schauen, in der so genannten „Augenkommunion“, weniger in
der Kommunion, wie wir sie heute kennen, wenn wir in der Kirche Brot und Wein
austeilen und essen. Das heilige Brot sehen – das war das Wichtigste.
Aus dieser Spiritualität heraus entwickelte sich dann bald auch das eigene Fest
Fronleichnam. Das heilige Brot wurde in einem kostbaren Gefäß gezeigt, in der so
genannten Monstranz, es wurde angeschaut und verehrt – und eben auch durch die
Straßen getragen.
Diese Schaufrömmigkeit und Augenkommunion muten heute sicher etwas
mittelalterlich und seltsam an. Und ich bin froh, dass wir spätestens seit dem Zweiten
Vatikanischen Konzils in der katholischen Kirche auch wieder den Wert des
gemeinsamen Essens des Leibes Christi erkannt haben – und damit an die Wurzeln
des christlichen Gottesdienstes zurückkehren. Aber: Für mich steckt in dieser
Schaufrömmigkeit durchaus auch ein guter Gedanke: Eben dieser Gedanke des
„Schau hin! Sieh hin!“ Ich soll dieses Brot ansehen – und in ihm den leidenden
Christus entdecken. Und in diesem leidenden Christus eben auch: den leidenden
Menschen schlechthin.
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Eines der bekanntesten Gebete dieser Schaufrömmigkeit ist das „Ave verum corpus“.
Wolfgang Amadeus Mozart hat es unsterblich vertont. Der Text dieses Gebets lautet
übersetzt so: „Sei gegrüßt, wahrer Leib, geboren von Maria, der Jungfrau, der
wahrhaft litt und geopfert wurde am Kreuz für den Menschen; dessen durchbohrte
Seite von Wasser floss und Blut: Sei uns Vorgeschmack in der Prüfung des Todes!“
Musik 4: Wolfgang Amadeus Mozart: Ave verum corpus (CD: Mozart, Requiem und
Ave Verum Corpus, Kölner Kammerchor / Collegium Cartusianum / Peter Neumann).
Sei gegrüßt, du wahrer Leib des Herrn! Ave verum corpus! Diese berühmte Musik von
Mozart stammt aus der Frömmigkeit des heutigen Fronleichnamsfestes. Der Leib des
Herrn ist darin einerseits ein heiliger Leib, der sich in heiliges Brot verwandelt und in
goldenen Gefäßen verehrt wird – und doch steht er andererseits eben auch für sehr
Irdisches: für ganz profanes menschliches Leid: Sei gegrüßt, wahrer Leib! Geboren
von Maria, wahrhaft gelitten am Kreuz! Jesus hatte keinen himmlisch abgehobenen,
schmerzunempfindlichen Körper, es war ein ganz und gar menschlicher Leib, der ans
Kreuz genagelt wurde . Maria hatte Jesus unter Schmerzen geboren – und Jesus ist
in diesem Leib unter Schmerzen gestorben. Es gab Traditionen im Christentum, die
diese Leibhaftigkeit und Menschlichkeit Jesu und diesen Schmerz verleugnen wollten.
Die Jesus lieber als reinen Christus sehen wollten, mehr Gott als Mensch. Aber die
christliche Gemeinschaft als Ganzes hat in den letzten zweitausend Jahren immer
wieder betont: Nein, dieser Jesus ist nicht nur wahrer Gott gewesen, er war auch
wahrer Mensch.
Er hat gelitten wie wir. Seht dieser Mensch! Darin steckt auch: Seht, Gott selbst ist so
ein Mensch geworden! Er hat sich auf das menschliche Leid eingelassen! Er ist nicht
in den Himmel davon geflogen, als es kritisch und schmerzhaft wurde. Er hat dieses
Leid durchgestanden. Und er will jedem Menschen beistehen, der heute Schmerz und
Leid durchstehen muss. Es ist ein solidarischer Christus, ein solidarischer Gott.
Christen feiern an Fronleichnam keinen triumphierenden Gott, auch, wenn die
Prozessionen mit ihren Monstranzen, Fahnen und Gewändern vielleicht manchmal so
wirken. Der Gott Jesu ist keiner, der bei den Siegern und den Mächtigen wohnt. Es ist
ganz speziell ein Gott der Schwachen und Ohnmächtigen. Ein Gott, der sich in einem
gebrochenen Stück Brot zeigt und in einem gefolterten Menschen.
O heiliges Mahl, o sacrum convivium, so beginnt ein weiterer alter Text zu
Fronleichnam, er stammt von Thomas von Aquin. Sein Text geht so weiter: „Oh
heiliges Mahl, bei dem Christus verzehrt wird: Das Gedächtnis seines Leidens wird
erneuert, unser Geist wird erfüllt mit Gnade und uns wird ein Pfand der zukünftigen
Herrlichkeit gegeben.“ Hören Sie einen Ausschnitt einer modernen Vertonung von
Vytautas Miskinis.
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Musik 5: aus: Vytautas Miskinis: O sacrum convivium (CD: Klangfarben Gießen,
Fountains / Quellen. Geistliche Chormusik des 20. Jahrhunderts).
Um das sacrum convivium, das heilige Mahl und das heilige Brot der Christen geht es
heute an Fronleichnam. Seht her, dies ist unsere heilige Speise! Mit diesem Gedanken
tragen Christen in Prozessionen ihr gewandeltes Brot, Jesu Leib, durch die Straßen.
Oft unter einer Art Zelt, dem so genannten „Himmel“. Dieses Zelt: Es erinnert ein
wenig auch an die Weise, wie Gott vor tausenden von Jahren schon unter den
Menschen gewohnt hat, etwa, als das Volk Israel durch die Wüste wanderte. Gott
wurde in der Bundeslade und in einem Zelt quasi mittransportiert. Er war ein Gott, von
dem man schon damals die Vorstellung hatte: Er will mit den Menschen unterwegs
sein, er will ihnen immer nahe sein und beistehen, gerade dem geschundenen Volk
Israel, gerade denen, die verfolgt sind und fliehen müssen. Und auch im
Zusammenhang mit diesem Zelt Gottes taucht wieder diese Formulierung auf: Seht!
Am Ende der Bibel, im Buch der Offenbarung beginnen damit folgende Verse: „Seht,
die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie
werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren
Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine
Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht,
ich mache alles neu.“ Hören Sie zum Schluss dieser Morgenfeier eine Vertonung von
John Rutter: Behold, the tabernacle of God! Seht, der Tabernakel, die Wohnung
Gottes unter den Menschen!
Musik 6: John Rutter, Behold, the tabernacle of God (CD: The very best of John
Rutter, The Cambridge Singers, City of London Sinfonia conducted by John Rutter).
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