zürich - lesbian chic

Transcription

zürich - lesbian chic
05.12.2010
«Man glaubte mir erst, als ich eine Kur…
ZÜRICH
«Man glaubte mir erst, als ich eine
Kurzhaarfrisur trug»
Von Samira Zingaro. Aktualisiert am 04.12.2010
Zwei Frauen verfassen eifrig Blogeinträge für eine tolerantere Welt – und mehr
weiblich wirkende Lesben.
Artikel zum Thema
Plöt zlich lesbisch
Schwule und lesbische net zwerke in
zürich
At t rakt iver Esel
Ein Blog, eine Botschaft: Manuela Binggeli und
Chantal Genoud. (Bild: Doris Fanconi)
Links
lesbian chic
Etwas gesehen, etwas geschehen?
Schicke, weibliche Lesben? Zwei junge Frauen
unterhalten eine Internetplattform zu diesem Thema
und nehmen die hiesige Frauenszene unter die Lupe.
Chantal Genoud und Manuela Binggeli schreiben über
Ausgehtipps, knutschende Heteras, das richtige
Shampoo – und gegen Vorurteile. Wir trafen die beiden
Bloggerinnen an einem kalten Freitagmorgen in einer
Bar nahe des Hauptbahnhofs. Die Frauen warteten
zeitig. Intoleranz, erzählten sie, gebe es nicht nur
ausserhalb der Lesbenszene. Sondern auch innerhalb.
Mit Ihrem Blog «lesbian chic» wollen Sie weiblich
wirkenden Lesben eine Stimme geben. Warum ist
das nötig?
Chantal Genoud: Die Lesbenszene ist nach wie vor von
Codes beherrscht. Als ich mit 16 das erste Mal in die
Kanzlei an eine Frauenparty ging, hatte ich lange Haare.
Niemand nahm mir die Lesbe ab. Man glaubte mir erst,
als ich eine Kurzhaarfrisur und Männerkleider trug. Wir
werben mit unserem Blog für Vielfältigkeit und Toleranz
sowohl innerhalb wie auch ausserhalb der Lesbenszene.
Wir wollen unser Image neu definieren, weil das
gesellschaftliche Bild immer noch stark von der
männerhassenden Lesbe geprägt ist. Eine Frau im
Karohemd . . .
Manuela Binggeli:. . . die Bier trinkt, mit dem Lastwagen
vorfährt und rülpst. Als Erstes muss sich dieses Vorurteil
innerhalb der Lesbenszene ändern. Wir können ja nicht
Toleranz verlangen, wenn wir selber nicht tolerant sind.
Wenn wir der Gesellschaft zeigen, dass es uns eben auch
tagesanzeiger.ch/zuerich/…/print.html
1/4
05.12.2010
«Man glaubte mir erst, als ich eine Kur…
Haben Sie etw as Aussergewöhnliches
gesehen, fotografiert oder gefilm t? Ist Ihnen
etwas bekannt, das die Leserinnen und
gibt, dann können wir dazu beitragen, dass sich das doch
sehr einseitige Bild von frauenliebenden Frauen in der
Gesellschaft und in der Szene ändert. Die Zeit ist reif
dafür.
Leser v on Tagesanzeiger.ch/New snetz
w issen sollten? Senden Sie uns Ihr Bild, Ihr
Video, Ihre Inform ation per MMS an 4488
(CHF 0.7 0 pro MMS).
Die Publikation eines exklusiv en
Leserreporter-Inhalts m it hohem
Nachrichtenw ert honoriert die Redaktion
Wie ist denn eine «feminine Lesbe»?
Genoud: Eine feminine Lesbe unterwirft sich keinem
vorgefassten Rollenbild. Sie ist selbstbewusst und
authentisch. Sie definiert ihre eigene Weiblichkeit und
steht zu ihrer Schönheit.
m it 50 Franken. Mehr...
Binggeli: Und zu ihren Kurven.
Liegt diese Feminisierung der Lesben im Trend?
Binggeli: Wir stellen fest, dass im Vergleich zu früher 15- bis 18-jährige Lesben viel mehr zu ihrer
Weiblichkeit stehen.
Genoud: In der früheren Emanzipationsbewegung brauchte es solche Geschlechtercodes, um sich
abzugrenzen, um eine Art Kampfstellung einzunehmen. Je mehr Lesben aber in der Gesellschaft
toleriert sind, desto weniger ist es nötig, sich Codes zu unterwerfen.
Weshalb, Manuela Binggeli, tragen Sie denn kurze Haare?
Binggeli: Wie gesagt, für uns sind nicht alle langhaarigen Lesben per se feminin. Ich trug immer
lange Haare, bis vor einem Monat. Auch ich wurde an jeder Lesbenparty gefragt: «Aha, welches ist
dein bester schwuler Freund?» Heute nicht mehr.
Sie raten also allen Lesben dazu, sich möglichst weiblich zu stylen?
Binggeli: Ganz und gar nicht. Wir sagen nicht, dass alle Lesben feminin werden müssen. Wir
sagen bloss, dass es Toleranz braucht.
Genoud:Wir wollen keine Zwänge mehr. Ob chic oder nicht – jede soll selber entscheiden dürfen.
Wie erlebten Sie die Intoleranz ausserhalb der Homo-Szene?
Genoud:Wenn ich mit meiner Freundin Hand in Hand unterwegs bin und eine Gruppe Männer
nähert sich, dann lassen wir uns los. Auch hören wir oft: «Wääh. Lesben.» Kürzlich kam es bei
einer Kollegin von mir sogar zu einem Handgemenge. Sie und ihre Freundin wurden von zwei
Männern bedrängt. Die Polizei musste einschreiten. Auch hört man, dass im Niederdorf Angriffe
gegen Schwule zugenommen haben.
Binggeli:Männer rufen uns «Muschileckerinnen» zu oder solche Dinge. Meiner Meinung nach
bewegt sich die öffentliche Meinung auf die Extreme zu. Auf der einen Seite gibt es Leute, die mit
Homosexuellen absolut kein Problem haben. Und dann solche, die total homophob sind.
Muss man als Lesbe bis zu einem gewissen Grad auch politisch sein?
tagesanzeiger.ch/zuerich/…/print.html
2/4
05.12.2010
«Man glaubte mir erst, als ich eine Kur…
Genoud: Für mich ganz klar ja. Feminismus ist ein Kernwert von «lesbian chic». Wir sind als
Frauen und als Lesben noch lange nicht gleichberechtigt. Natürlich ist die Gesellschaft heute
toleranter, doch die Stimmung kann sich noch verbessern – aber leider auch jederzeit kippen.
Wieweit prägen Serien wie «L Word» heute das Coming-out junger Frauen?
Genoud: Ich befürworte solche TV-Rollen, weil Lesben in den Medien immer noch untervertreten
sind. Doch die Frauen dort sind auch nur ein Bild, das sich irgendwelche Marketingexperten
ausgedacht haben. Die Serie «L Word» bedient sich ebenso starrer Codes: Dort sind die gezeigten
Lesben zwangsläufig gestylt und hip.
Binggeli:Die Serie zeigt nicht das reale Leben. Junge Lesben, die zum ersten Mal ausgehen, merken
das schnell.
Sie werben für mehr Toleranz homosexuellen Frauen gegenüber, bedienen sich im
Blog aber selbst Bezeichnungen wie Lipstick-Lesbe, Drogen-Lesbe oder MainstreamLesbe. Das ist ein Widerspruch.
Genoud: Das ist eben kein Widerspruch, sondern zeigt auf, welche verschiedenen Formen von
Lesben es gibt – und wir haben nur eine kleine Auswahl davon genannt.
Welcher Typ Lesbe sind denn Sie?
Binggeli: Ich lasse mich in keine Schublade stecken. Ich bin Pro-Individualität.
Genoud: Ich bin eine weibliche Lesbe, doch sehr dynamisch und dominant. Oft werden meine
Freundin und ich gefragt, wer der Mann und wer die Frau in unserer Beziehung sei. Dabei haben
wir Lesben genau die Möglichkeit, solche Rollen zu durchbrechen.
Binggeli: So eine Frage kann nur von Heterosexuellen kommen. Das ist, weil sie zu wenig über uns
wissen und in ihrem Rollendenken zu festgefahren sind. Würde man Ehepaare nach ihrer
Rollenverteilung befragen, verhielte sich bei vielen auch der Mann nicht mehr als Mann im
klassischen Sinne.
Die heterosexuellen Frauen kommen im Blog eher schlecht weg.
Binggeli: Nein, nicht die Heteras, sondern die Modelesben. Diese verhalten sich lesbisch, weil sie
auf Partyfotos abgelichtet werden oder Männer anmachen wollen. Sie begreifen nicht, dass
Lesbischsein viel mehr bedeutet, als nur mit Frauen zu schlafen.
Gleichzeitig geben Sie auf Ihrem Blog explizite Tipps, wie man am besten eine Hetera
verführt.
Genoud: (lacht) Dass «lesbian chic» die Texte häufig mit Ironie, Witz und Sarkasmus würzt, ist
unser Markenzeichen. Unsere Leserinnen sind sich dessen sicherlich bewusst.
(Tages-Anzeiger)
Erstellt: 04.12.2010, 22:55 Uhr
tagesanzeiger.ch/zuerich/…/print.html
3/4