Eine Frau, ein Busen: Laetitia Casta, französische

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Eine Frau, ein Busen: Laetitia Casta, französische
Eine Frau, ein Busen: Laetitia Casta, französische Göttin
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CUP B
Seit sie 13 ist, will Lea nur eines: neue Brüste.
Mehr denn je sehnen sich
junge Frauen nach dem perfekten Busen.
VON A NDRE A SC HAFROT H
BIL D: STEEV E IUNCKER (VU, LAIF )
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enn irgendwo ein herrlich praller Busen in Sicht
war, wenn nur schon dieses Wort fiel, brach Lea
in Tränen aus. «Busen». — Jetzt geht es ihr besser, ihre Eltern haben unterschrieben, sie darf sich operieren
lassen: Lea ist 17. Sie erhält zwei neue Brüste. Seit fast fünf Jahren wartet sie darauf. Eine Ewigkeit. Lea hat die Jahre, die
Monate, die Tage gezählt.
Es begann, als sie 13 war: Lea sah jüngere Mädchen mit
grösseren Brüsten. Klar, ihre, aprikosengross mit spitzen Brustwarzen, konnten noch wachsen, aber Lea glaubte nicht daran:
Die Mutter und auch die ältere Schwester hatten kleine Brüste,
sozusagen nichts. Als sie 15 war, wurde Leas Problem zum
Drama. Fast jeden Abend schrie und heulte sie am Familientisch. Sie weinte sich in den Schlaf, sodass an manchem Morgen
die Augen zu Beulen angeschwollen waren und sie die Schule
sausen liess.
Bahnhof Stadelhofen, Zürich: Lea rennt nach Feierabend
die Rolltreppe zum Gleis hoch, den iPod-Knopf im Ohr, die
Gratiszeitung in der Hand. Eine ganz normale junge Frau, angehende kaufmännische Angestellte im zweiten Lehrjahr. Lange
Beine, blondes Haar, ein rundes Gesicht mit Mandelaugen und
vollen Lippen wie die von Scarlett Johansson. Sie trägt eine
transparente, schwarze Bluse, darunter schimmert ein pinkfarbenes T-Shirt. Ein Schal verbirgt die Brustpartie.
Lea schafft es gerade noch auf die S-Bahn nach Hause.
Sie wohnt bei ihren Eltern, in einer pastellfarbenen Siedlung
im Zürcher Oberland, mit Blick auf einen Streifen See am
Horizont. «Früher wäre ich oft am liebsten unsichtbar gewesen.
Da waren überall junge Frauen, denen ein ausgeschnittenes Top
wie angegossen stand. Bei mir sah alles nur dumm aus.» Lea
sitzt inzwischen zu Hause am Esstisch. Neben ihr der Vater, er
erzählt: «Als unsere Tochter uns anschrie, sie halte es nicht mehr
aus mit diesen Brüsten, sie müsse sich operieren lassen, war das
ein Schreck. Aber wir sahen das Ausmass ihrer seelischen Krise
und wollten helfen.» Die Eltern begleiteten Lea ins Kinderspital
und zur Frauenärztin, sie bekam die Pille verschrieben, die das
Wachstum ankurbeln sollte. Aber der Busen blieb klein. Die
Eltern schickten Lea zur Psychologin. Die fragte sie, was sie so
mache in der Freizeit. Lea verstand kein Wort. Sie hatte doch
nur dieses eine Problem: Brüste, die keine waren. Am Ende
blieben die Schönheitschirurgen. Lea und ihre Eltern gingen
von einem zum nächsten, aber überall hiess es: viel zu jung!
In den USA bekommen Teenager zum 16. Geburtstag Brüste wie Luftballons geschenkt. In der Schweiz ist ein Mädchen,
das wie Lea bereits mit 15 in der Praxis des Schönheitschirurgen
sitzt, noch die Ausnahme. Doch auch hier erwacht der Wunsch
nach operativer Optimierung früh: Laut einer Studie von 2007
hat ein Viertel der Frauen, die sich operieren liessen, schon
vor 20 daran gedacht. Bei einer Befragung in Deutschland
gaben vierzig Prozent der Mädchen zwischen 9 und 14 Jahren
an, sie würden sich gerne Fett absaugen lassen, und zehn Prozent wünschten sich eine Brustoperation. Es kommt vor, dass
Freundinnen zwischen 20 und 30 sich reihum die Brüste operieren lassen. Gerade jetzt, im Winter, lassen Frauen wieder an
sich schnipseln und stopfen, damit sie im Frühjahr parat sind:
schlanker Körper, voller Busen.
«Unser Verhältnis zum Körper wird technischer», sagt
Trendforscherin Karin Frick vom Gottlieb Duttweiler Institut.
Vielleicht stellen wir dereinst unsere Körper zusammen wie
unser Outfit, nach Lust und Laune, tragen den Busen mal gross
wie eine Bowlingkugel, mal klein wie einen Pingpongball. Oder
werfen noch rasch eine Pille für phosphoreszierende Haut ein,
bevor wir ins Nachtleben ziehen. Je verfügbarer die Techniken
zur Verschönerung werden, umso höher wird die ästhetische
Messlatte gelegt: Frauen mit grauen Strähnen sind so selten
geworden wie Jugendliche mit Pickeln. Und weil inzwischen
sämtliche jungen Gebisse mit ausgeklügelten Zahnkorrekturen
aufs Hollywood-Perlweiss-Lächeln getrimmt werden, wirken
krumme Zähne künftig noch schräger. Der Fortschritt in der
Schönheitstechnologie bringe mehr Möglichkeiten, aber auch
mehr Zwänge, sagt die österreichische Soziologin Waltraud
Posch: «Wir handeln individuell und vergessen, dass wir dabei
immer die Norm mitdenken.»
OBJEKT DER BEGIERDE
Deshalb geistert der perfekte Busen so kollektiv wie nie zuvor in
den Köpfen junger Frauen herum — als greifbares Objekt der
Begierde. Wenn sie im Starbucks an ihrem Macchiato nippen,
plaudern sie gleichmütig über Brustvergrösserungen wie über
die neusten Chucks oder die knackigen Ärsche vorbeigehender Männer oder Heidi Klums Topmodel-Show. Aufregung
kommt vielleicht auf, wenn sie die ganz neuen Trends der
Schönheitschirurgie drannehmen: Schamlippenverkleinerung
— «etwas für Schlampen». Die Bleichung des Analbereichs:
«schwul». Und Implantate für strammere Waden und Pobacken? «Einfach nur peinlich.»
Lea schaut in den Spiegel. Wie ein Gemälde hängt er in
ihrem Zimmer quer an der Wand. Am Rahmen baumeln die
wuchtigen Ohrringe für den Ausgang. Lea wählt glitzernde
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Kreolen, dann reisst sie Kleider aus dem Schrank, breitet sie auf
dem Bett aus. In zwei Stunden geht sie an eine Party. Sie wird
nicht mit knallig rot geschminkten Lippen hingehen und auch
nicht im hautengen Minirock. Lea steht auf Natürlichkeit, wie
sie sagt. Aber auch die will gestylt sein: «Ich bin Perfektionistin,
was mich selbst angeht.»
Es sind nicht Menschen mit zerknitterten Gesichtern, die
sich operieren lassen, es sind die Schönen, die schöner werden
wollen. Unerbittlich suchen sie nach einem Makel, den ausser
ihnen keiner sieht. Gutes Aussehen ist für sie Pflicht — und
auch ihr Recht. Sie kennen die Beschaffenheit ihres Äusseren bis
ins kleinste Detail. Lea kneift sich in die Wangen: «zu speckig».
Aber schlimm sei das nicht, schlimm ist nur der Busen. Wegen
des Busens geht Lea seit Jahren in keine Badi mehr, oder nur,
wenn es anders nicht geht: Sie behält dann ein T-Shirt an, zieht
es kurz aus, falls sie ins Wasser muss, danach gleich wieder an.
Dabei, sagt ihre Schönheitschirurgin, liegen Leas Brüste
keineswegs ausserhalb der normalen Bandbreite. Und Lea
sagt: «Die Männer finden meine kleinen Brüste okay.» Aber
sie würde nie zulassen, dass einer ihren Busen berührt. Und sie
weiss, sie ist nicht allein mit ihrer Scham. Manche Mädchen
behalten wie Lea beim Sex den BH an, weil sie ihre Brüste für
unzumutbar klein halten. Es gibt andere Mädchen, mit Brüsten
wie Wassermelonen, die betteln schon mit 14 darum, sie verkleinern zu dürfen. Weil die Männer ihnen nie in die Augen
sehen würden.
Wie Brüste auszusehen haben, ist ihnen allen klar: Cup
B, schön gefüllt. Der Busen ist eine Frage der Körbchengrösse geworden — mit nationalen Varianten. In Frankreich
sind Männer auf den Hintern fixiert, dort tuts vorne auch ein
satt gefülltes A. Schliesslich sind Brüste, evolutionsbiologisch
gesehen, ohnehin nur auf die Vorderseite der Frau geratene
Pobacken, die der aufrechte Gang des Menschen als neue sexuelle Locksignale erforderlich machte (sagt Desmond Morris).
Im übrigen Europa soll die Oberweite grösser sein, eben Cup
B, aber nicht so opulent wie in den USA: Dort, im Land der Big
Macs, hat der Busen aus Cup C zu quellen. Mindestens.
DER BH MACHT DEN BUSEN
Lea trägt immer einen BH. Es sind dicke Push-ups, die sie mit
zusätzlichen Kissen stopft. Mädchen kaufen sich heute ihren
ersten BH, sobald die Knospen spriessen. Denn der BH macht
den Busen: Er gibt den Brüsten diese volle Rundung, er drückt
sie hoch und zusammen, damit bei tiefem Ausschnitt ein Tal
zwischen Kugeln erscheint. Und er versteckt seine natürliche
Form und die Brustwarzen, die sich keinesfalls abzeichnen dürfen. Deshalb guckt der BH heute auch unter luftigen Sommerkleidern hervor. Darum sind sogar Bikini-Oberteile gepolstert,
deren Sinn einst gerade darin bestand, unter einem Hauch von
Stoff den Busen durchschimmern zu lassen.
Eine knappe Generation vor Lea sahen Frauen im BH in
erster Linie eine Art Gefängnis. Nach 1968 verbannten sie ihn
aus Protest gegen äussere Zwänge aus ihrer Garderobe. Sie entblössten ihre Brüste an Demonstrationen oder wuschen oben
ohne Autos. Sie zogen am Strand ihre Bikini-Oberteile aus oder
rollten ihre Einteiler hinunter bis an die Hüfte. Unvorstellbar
für Lea.
Das Idealbild des Busens ist so absolut wie historisch relativ.
Steinzeitmenschen verehrten die Venus von Willendorf, der die
Brüste bis zum Bauchnabel herunterhingen. Die Griechen insze-
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DIFFUSE LEIDEN
«Die Adoleszenz ist eine Zeit der inneren Stürme», sagt Monika
Gsell, Psychoanalytikerin in Zürich, die sich seit Jahren mit dem
Thema Schönheitsoperationen auseinandersetzt. Es sei die Zeit
diffuser Spannungen und Ängste, die mit aller Gewalt an die
Oberfläche drängen. «Auf einmal dreht sich das ganze Denken
und Fühlen um den einen äusseren Makel. Da die Ursachen psychischer Probleme meist unbewusst sind, suchen Menschen
nach einer plausiblen Erklärung. Man möchte das Leiden fassbar und rasch lösbar machen.»
Nora Ephron weiss das, fast nebenbei bemerkt sie, es sei ihr
natürlich schon klar, dass ihre Besessenheit damals letztlich wenig mit ihren Brüsten zu tun gehabt habe. Dennoch besteht sie
auf ihrer Obsession: Kein noch so vernünftiges Argument habe
je ihr unbändiges Verlangen nach anderen Brüsten schmälern
können. Auch Lea schert sich nicht um Einwände. Sie sitzt endlich, an diesem lang ersehnten Montagmorgen, im VorbereiD A S M A G A Z I N 6/2 0 1 0
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von zur
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Weltpremiere
Tim Burton's
Alice
im
nierten Aphrodites Apfelbrüste
als Symbol purer Erotik. Und
während der Renaissance feierten die Maler hoch gelegene,
baumnussgrosse Brüste. Dank
dem Korsett wurde der Busen
über die Jahrhunderte mal hochgedrückt, mal flachgepresst.
Auch andere technische Hilfsmittel versprachen Wunder, etwa
der «Bust Developer», der Ende
des 19. Jahrhunderts aufkam: ein
«Die Männer finden
saugglockenartiges Gerät, das
meine kleinen
über die Brust gestülpt wurde
Brüste okay», sagt Lea. und die Durchblutung fördern
sollte, damit der Busen grösser,
Aber nie würde
schöner, runder werde.
sie zulassen, dass einer
Klein, gross, klein —
wechselhaft war die Geschichihren Busen berührt.
te des Busens im letzten Jahrhundert.
In den Zwanzigerjahren
galt eine androgyne Figur als
schön, und Frauen schnitten
sich in einer emanzipatorischen Geste die Haare kurz. In
den Sechzigerjahren eroberte
die spindeldürre flachbrüstige
Twiggy die Welt, Urmutter
des anorektischen Topmodels.
Aber dazwischen, in den Fünfzigerjahren, regierten die wollüstigen Kurven der Marilyn Monroe. Auf bunten Plakaten warben
vollbusige Pin-up-Girls für Melonen. Ihre dicken Brüste in
steifen, spitz auslaufenden Büstenhaltern wiesen stramm in die
Horizontale.
In jener Zeit war Nora Ephron so alt wie Lea heute. Die
amerikanische Drehbuchautorin und Regisseurin von Hollywood-Schlagern wie «When Harry Met Sally» breitet in einem
berühmt gewordenen Aufsatz von 1975 minutiös ihre an winzigen Brüsten leidende Teenagerseele aus. Es könnte auch Lea
sein, die beschreibt, wie sehr ihr Badeanzüge ein Gräuel sind
und wie verzweifelt sie ihre Büstenhalter ausstopft.
Wunderland
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Verlosung ausgenommen. Die Gewinner werden direkt benachrichtigt. Es wird keine Korrespondenz geführt. Die Preise können weder umgetauscht noch in Bargeld umgewandelt werden.
Es besteht kein Kaufzwang. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
© Disney
tungszimmer des Operationszentrums Zumikon: «Jemand,
der zu dick ist, kann aufhören, sich mit Chips vollzustopfen»,
sagt sie, «ich kann meine Brüste beim besten Willen nicht selbst
grösser machen.» Fast 10 000 Franken wird sie die Operation
kosten, sie hat das Geld zusammengespart von ihrem kleinen
Lehrlingslohn und das Sparbüchlein mit dem Geld von Geburt
bis Konfirmation geplündert: «Ein Kollege hat zu mir gesagt,
für so viel Geld würde er sich lieber ein schönes Motorrad
kaufen, ich kaufe mir jetzt halt die Lösung meines Problems.»
Lea trägt ein weisses Operationshemd mit grauem Muster
und graue Frotteeschlappen. Den BH, den getigerten, musste
sie ausziehen. Ihre Ärztin wird noch Markierungen auf die Haut
zeichnen für die Operation. Sie sitzt ihr gegenüber, lächelt
Lea an. Dr. med. Cynthia Wolfensberger gleicht mehr einer
Gospelsängerin, aber sie ist Fachärztin für plastische und ästhetische Chirurgie. Geschickt dreht, wendet und drückt sie ein
Silikonkissen in einer Hand: «Es gibt runde Implantate, tropfenförmige, hochovale und querovale, spitze, breite, extraflache
— und natürlich alles in verschiedenen Grössen.» Eine halbe
Stunde später liegt Lea im Operationssaal und schläft. In ihrem
offenen Mund steckt ein Plastikschlauch, die Fussnägel sind rot
lackiert. Ihre Haut wird mit Desinfektionsmittel eingerieben,
sodass die Brustwarzen sich durch die Kälte zu kleinen Knoten
zusammenziehen. Dann wird ihr Körper in grüne Papiertücher
gepackt, nur die Brüste schauen hervor: zwei kleine Hügel,
wohlgeformt und symmetrisch.
Es gibt Frauenbrüste, die aufeinanderzukleben scheinen,
andere, die weit auseinander, besonders hoch, tief oder verschoben liegen. Es gibt Hühnerbrüste und asymmetrische
Warzenhöfe oder Brustpaare, bei denen eine Brust halb so
gross ist wie die andere. Bei Marilyn Yalom, der Verfasserin
des Standardwerks «A History of the Breast», klingt das schöner: «Die Brüste der Frauen schauen aus wie Zitronen, Orangen oder Grapefruits, wie Äpfel, Birnen und Melonen, wie
Rüben und Auberginen.» Junge Frauen wie Lea wissen natürlich, dass Bilder lügen können und Keira Knightleys perfekter Busen eine Illusion aus dem Photoshop ist: Und doch
fürchten sie in ihrem tiefsten Innern, unter den wattierten BHs
der anderen könnte sich dieser surreale Barbie-Busen verstecken — voll, rund und brustwarzenlos —, der sich dem Gesetz
der Schwerkraft entzieht.
Der Busen ist der wunde Punkt der Frau. Dort stülpen sich
Unsicherheiten im weiblichen Selbstverständnis, Zweifel und
Ängste im Umgang mit dem anderen Geschlecht quasi nach
aussen. Er ist das einzige Organ, bei dem man miterlebt, wie
es wächst. «Brüste», schreibt Ephron in ihrem Aufsatz, «haben
mehr mit Frauwerden zu tun als alles andere.» Das Verhältnis
der Frau zu ihrem Busen ist so intim wie fragil. Das hat auch damit zu tun, dass er seit jeher als Projektionsfläche dient: Brüste
sind ebenso zur christlichen Mystifizierung in der Darstellung
der stillenden Maria geeignet wie zur Ankurbelung des Pornogeschäfts. Die Brust steht als sprudelnde Milchquelle für Leben,
sie ist aber auch Herd tödlicher Krebsgeschwüre. Sie verkörpert
Sex in all seinen Facetten, steht aber auch für Brutpflege und
Mutterpflichten.
Doch eigentlich sitzt im Busen die weibliche Potenz.
Davon zeugen die Brustfetische früher Kulturen: vielbrüstige
Gottheiten oder solche mit grotesk überdimensionalen Brüs-
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ten. Die alten Ägypter statteten sogar einen männlichen Gott
mit Brüsten aus — God Hapi. Trotz all den späteren Vereinnahmungen ist die Brust als Symbol weiblicher Macht den Frauen
nie ganz abhandengekommen: 1969 trieben an der Frankfurter
Universität Studentinnen den weltberühmten Philosophen
Theodor W. Adorno in die Flucht — mit ihren nackten Brüsten.
In den Achtzigerjahren machte das Pornosternchen Cicciolina
Schlagzeilen, als es für das italienische Parlament kandidierte
und im Wahlkampf als Freiheitsstatue mit einer entblössten
Brust posierte. Und nicht so lange ists her, da schwappte eine
Welle freudiger Entrüstung durch die Medien: Angela Merkel,
die Bundeskanzlerin, blies an einem offiziellen Anlass zum ungewohnt weiblichen Angriff — mit ihrem ebenso freizügigen
wie proppevollen Décolleté.
Es brutzelt, der Geruch von versengtem Fleisch zieht
durch den Operationssaal. Das elektrische Messer schneidet
eine saubere Linie in die Brustfalte und verödet dabei die
Äderchen. Ohne zu bluten, klafft die Wunde. Cynthia Wolfensberger steckt ihre Finger hinein. Mit ganzer Kraft schiebt sie
Muskeln und Gewebe beiseite, dass die Brustdecke sich wölbt
und bewegt. Sie stopft eine Plastikhülle ins Loch und pumpt sie
auf. «Zu gross, nicht?», sagt sie zu ihren Helferinnen und lässt
Luft ab. So. Sie entfernt die Pumpe, nimmt das Implantat der
richtigen Grösse aus der Kartonschachtel, ein matt glänzendes
Silikonkissen, Marke Nagor. Setzt es ein. Zunähen, zweite
Brust, fertig. Nach einer Stunde recken sich Leas Brüste in die
Höhe. Zwei Matterhörner.
Drei Monate später, Lea steht in der Praxis ihrer Ärztin
und streicht sich wie so oft ihren schräg geföhnten Pony aus der
Stirn: «Doch, sie sind schön geworden.» Damit Frau Wolfensberger kontrollieren kann, zieht Lea den Pulli hoch und auch
den BH, einen roten mit schwarzen Spitzen. Zwei Brüste
tauchen auf, fest und rund, darunter zwei feine rote Linien, die
Narben. Nach der Operation hat Lea zwei Tage lang gekotzt
vom Narkosemittel, bevor sie ihren neuen Busen begutachten
konnte. Als sie dann mit den Fingern drüberfuhr, war er hart
und taub. Aber inzwischen kann Lea wieder auf dem Bauch
schlafen, und alles fühlt sich an wie früher, nur einfach grösser.
Und das Leben, fühlt es sich anders an? Nein, sagt Lea, es geht
weiter, der Stress in der Schule, der Ausgang am Wochenende.
Vielleicht, sagt sie, sind es weniger die neuen Brüste selbst, die
ihr Leben verändert haben, als das Wissen darum, ihren Körper
verändern zu können. Aber jetzt sind sie da, und das ist gut.
Klingt nicht ein leises Zögern aus diesem Satz? Nein. Nun ja,
sie trägt noch immer ihre alten BHs, immer noch Cup A. Aber
die Grösse passt zu ihr, das sagen alle. Nur für den Fall, dass sie
mal wieder etwas richten lassen müsste — schliesslich halten
Implantate kaum ein Leben lang: «Dann würde ich wohl eine
Nummer grösser wählen.»
•
Der Name des Mädchens wurde geändert.
AN DR E A S C HA F ROT H ist freie Journalistin in Zürich.
[email protected]