Interkulturelle Lernerfahrungen in der authentischen Situation der

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Interkulturelle Lernerfahrungen in der authentischen Situation der
Interkulturelle Lernerfahrungen in der authentischen Situation
der Vorbereitung eines Schüleraustauschs mit einer französischen
Partnerschule: „Voilà Coblence!“
Das sind wir:
Wir sind eine soziale Brennpunktschule in einem Koblenzer Stadtteil mit ca. 350 Kindern.
Die Klasse 4a besteht aus 25 Schülern, davon sind 13 Jungen und 12 Mädchen.
Voraussetzungen:
Alle Kinder der Grundschule werden ab dem 3. Schuljahr in spiralischer Form an die
französische Sprache herangeführt.
Auch in der Klasse 4a sind 50 Minuten wöchentlich für die integrierte französische
Spracharbeit eingeplant. Ich unterrichte seit Beginn des Schuljahres auch Sachunterricht, so
dass sich hier eine integrierte FS-Arbeit anbietet.
Ausgangslage:
Seit 1976 findet jedes Jahr ein Schüleraustausch zwischen der Koblenzer Schule und einer
Grundschule in Frankreich statt.
Der Schwerpunkt der Fremdsprachenarbeit liegt demnach im 4. Schuljahr auf der
Vorbereitung dieses Austausches.
Im 3. Schuljahr wurde üblicherweise eine Klassenbrieffreundschaft mit einer Klasse der
Partnerschule angefangen, indem die Kinder mit Hilfe der Lehrerin einen gemeinsamen Brief
schreiben. Im 4. Schuljahr bekommt jeder Schüler einen eigenen Brieffreund.
Das abschließende Treffen ist für die Kinder die Konkretisierung der 4 Jahre Spracharbeit.
Die Situationen sind nicht mehr gespielt oder gestellt, sondern echt. Es wird in den Familien
gelebt, gegessen, gespielt, in der französischen Stadt eingekauft, alles wird selbst erlebt und
Unterschiede werden selbst wahr genommen.
Das war uns wichtig:
auf emotionaler Ebene:
-
Die Kinder sollen kulturelle Vielfalt und kulturelle Unterschiede, das „Anders-Sein“,
als Bereicherung erfahren.
-
Eventuelle Ängste und Vorbehalte gegenüber dem Fremden sollen durch die
Auseinandersetzung mit der fremden Sprache und dem Briefkontakt zu gleichaltrigen
Kindern der Zielsprache abgebaut werden, bzw. gar nicht erst aufkommen.
-
Die Kinder sollen sich für das Fremde interessieren.
-
Die Aussicht auf den Austausch und die vorhergehenden Brieffreundschaften sollen
Offenheit, Toleranz, aber bes. Verständigungsfähigkeit fördern.
auf sprachlicher Ebene:
-
Die Erkenntnis in den Köpfen der Kinder wecken:
! Um mich verständigen zu können, reichen schon non-verbale Gesten.
! Ich beherrsche bereits fremdsprachliche Strukturen, die mir eine elementare
Verständigung mit meinem Austauschpartner erlauben.
Das war geplant/Das hatten wir vor:
Gemeinsam mit meiner Kollegin, einer Französin, die diesen Austausch initiierte und die die
Kinder auch begleitete, überlegte ich mir anhand des bevorstehenden Programms, was die
Schüler für ein Wortmaterial brauchen würden, um sich mit ihren Brieffreunden verständigen
zu können. Dabei ist mir das geplante Stadtspiel durch Koblenz in die Hände gefallen und ich
dachte mir, es wäre wichtig, dass die Kinder wenigstens die wichtigsten Sehenswürdigkeiten
der Stadt ihren Partnern auf Französisch vorstellen könnten. Aus dieser Idee heraus erwuchs
die folgende Unterrichtssequenz.
Das haben die Kinder gemacht:
Als die Kinder den ersten eigenen Brief schreiben sollten, standen sie vor dem Problem, nur
erste elementare Erfahrungen mit der französischen Schriftsprache gemacht zu haben.. Nach
kurzem Überlegen hatten sie jedoch eine Lösung parat: Sie wollten ihre Hobbies und
Interessen, ihre Lieblingsfächer in der Schule, ihre Familie und Freunde einfach durch Bilder
darstellen! Hier griff also die Erfahrung aus der vorausgegangenen französischen
Fremdsprachenarbeit, dass man die Sprache auch durch „Flash-Cards“ einfach, verständlich
darstellen kann. Neben gemalten Kreationen klebten sie auch ein Foto von sich, ihrer Klasse
oder ihrer Familie auf den Briefbogen.
Nachdem sie dann auch Antwort von ihren französischen Partnern bekamen, machten sie die
Erfahrung: Ich kann alles verstehen, was mein Franzose geschrieben hat! Dieses Wissen
ermutigte sie zum Weiterschreiben.
Ich entschloss mich daraufhin, diese Vorbereitung auf den Schüleraustausch in einem
PROJEKT fortzusetzen. Die Kinder hatten tolle Ideen, wie sie weiterarbeiten konnten:
Sie beschlossen zum Beispiel, ihren Austauschpartnern ihre Schule vorzustellen. Dafür
wollten sie ein Video aufnehmen. Jetzt konnten sie schon einmal ihre Französischkenntnisse
unter Beweis stellen: „Bonjour. Je m`appelle Christine. J`ai dix ans. J`habite ici à
Coblence. Voilà mon école. Voilà ma classe. Voilà mon prof. Elle s`appelle Mme
Schiffmann. Voilà mon ami. Il s`appelle Martin. Il a aussi dix ans. »
Die Kinder hatten das Erlebnis, einen unmittelbaren, realen Anwendungsbezug für ihr Wissen
gefunden zu haben, eine wirklich authentische Situation und Redewendungen, die sonst als
Rituale die Arbeit mit der Fremdsprache eröffneten (Fragen nach dem Befinden, Nennen des
Namens und des Alters) fanden einen realen Anwendungsbezug. Gleichzeitig konnten sie das
erlernte Wortmaterial aus dem Bereich „C`est mon ècole, c`est ma classe“ wiederholen und
festigen.
Weihnachten näherte sich und die Franzosen hatten in ihrem letzten Brief über ihr
Brauchtum der „galette des rois“ berichtet. Nun wollten die deutschen Kinder auch etwas
über Bräuche in Deutschland berichten. So beschlossen sie, den Franzosen einen echt
deutschen Adventskalender zu schicken. Sie recherchierten sogar im Internet, um geeignete
Informationen für ihre französischen Partner zu finden. Ich stellte ihnen im Deutschunterricht
unterschiedliche Texte zu Verfügung, die über Weihnachten in Deutschland und Frankreich
berichteten. So hatten die Kinder auch hier vielfältige Möglichkeiten, an Informationen zu
gelangen. Nie war Arbeit am Text für die Kinder so interessant und aufschlussreich.
Schließlich wussten die deutschen Schüler alles über Weihnachten in Frankreich und
umgekehrt.
Die grundschulische Fremdsprachenarbeit bot sich während dieser Zeit ganz besonders an,
Wissen über das Land und die Kultur Frankreichs zu erwerben und die Kinder wurden
gleichzeitig neugierig darauf, dieses Land einmal kennen zu lernen.
Der Zeitpunkt des Austauschs rückte immer näher. Die Schüler hatten schon reichlich
Informationen anhand der unterschiedlichsten Möglichkeiten gesammelt. Doch plötzlich fiel
ihnen ein: „Wir müssen unseren Brieffreunden doch Koblenz zeigen können!“
Und sie machten sich auf die Suche nach den besonderen Sehenswürdigkeiten ihrer
Heimatstadt. Wir richteten in unserer Klasse einen Informationstisch ein mit den
unterschiedlichsten Arbeitsmaterialien: Die Kinder brachten Bücher über Koblenz,
Stadtführer und Atlanten mit. Ich besorgte auf dem Touristenbüro unterschiedlichstes
Prospektmaterial über die Stadt.
Gemeinsam erarbeitete ich dann mit den Kindern im Sachunterricht, welches ganz
besondere Sehenswürdigkeiten von Koblenz sind, die unbedingt den Franzosen gezeigt
werden sollen. Nach einer Stadtbesichtigung einigten wir uns auf folgende Sachen:
-
das kurfürstliche Schloss
-
das Deutsche Eck mit Rhein und Mosel
-
die Festung Ehrenbreitstein
-
das Ludwig-Museum exemplarisch für alle anderen Museen.
1. Sequenz:
Anhand von Bildkarten wurden die neuen Begriffe „le chateau“, „la forteresse“, „le Rhin
et la Moselle“ und „le musée“ eingeführt. Bei dieser Semantisierung aus dem integrativen
Ansatz heraus habe ich besonders darauf geachtet, dass die Kinder durch die
unterschiedlichsten sprachlichen Aktivitäten immer wieder in den Unterricht mit
einbezogen wurden.
Durch die Kombination non-verbaler (Bildkarten) und verbaler Impulse („Montre-moi...“,
„Où est...“) zielte ich zunächst auf das Hörverständnis der Kinder ab. Ein bewusst
reduziertes Sprechtempo, eine klare, deutliche Aussprache und die Eindeutigkeit der
Begriffe durch den Einsatz von Bildkarten waren dabei von besonderer Wichtigkeit, damit
die Kinder auch Hypothesen über das Gehörte bilden konnten.
Vor- und Nachsprechen sowie vielfältige Wiederholungsschleifen (laut, leise, nur die
Jungen/Mädchen, schnell, langsam...) halfen, eintönige, wiederholende Übungssituationen
zu vermeiden und die neuen Begriffe zügig zu festigen. Darüber hinaus trauten sich bei
den Echo-Spielen auch die schüchternen und unsicheren Kinder, im Schutz der Gruppe,
den Input zu imitieren.
2. Sequenz:
Nach einem anfänglichen Wiederholen der neuen Begriffe im Sitzkreis spielten wir ein
Kim-Spiel. Dabei mussten die Kinder, wenn auch in einer Spielsituation, bereits aktiv die
neuen Begriffe alleine sprachlich produzieren. Sehen, verstehen und sprachliche Reaktion
waren hier gefordert.
Das Spiel „salade de fruits“ schloss die fremdsprachliche Sequenz ab.
3. Sequenz:
Die IFA-Phase wurde ritualisiert von der Handpuppe „Lizette“ eröffnet. Nach dem
Begrüßungslied und dem Fragen nach dem Befinden, das die Kinder als konstante
Einstimmung in die Integrierte Fremdsprachenarbeit kennen, hatte Lizette ihnen eine
Tasche mit der Aufschrift „Voilà Coblence“ mitgebracht. „Voilà Coblence“ signalisierte
hier zum ersten Mal das Thema der Einheit und tauchte als roter Faden immer wieder auf.
In der Tasche waren die vier den Kindern bereits aus den vorhergehenden Sequenzen
bekannten Bildkarten. Sie packten sie aus und benannten sie auf Französisch: „Voilà la
forteresse“, „Voilà le Rhin et la Moselle“... Damit war der erste Satz des später folgenden
Dialoges erarbeitet. In einer sich anschließenden Phase des Hörverstehens fragten sich die
Kinder gegenseitig: „NN, où est le chateau, la forteresse.“ Auch dieser Satz war den
Kindern bereits durch das Spiel „salade de fruits“ bekannt und bereitete gleichzeitig den
zweiten Satz des Dialoges vor.
Ich hatte eine stark vereinfachte Karte von Koblenz vorbereitet, die die Kinder bereits aus
dem Sachunterricht kannten. In Stadtkarten bestimmten wir in der Vorbereitungsphase die
Lage unserer ausgewählten Sehenswürdigkeiten. Eindeutige Medien unterstützten in
dieser Entspannungsphase der Stunde Anschaulichkeit das Verständnis. Die Karte trug die
Überschrift „Voilà Coblence“, so dass auch hier der rote Faden der gesamten Einheit für
die Kinder erkennbar blieb. Die Kinder ordneten die Bildkarten den entsprechenden
Stellen auf der Karte von Koblenz zu und mit Abschluss der Zuordnung bauten wir
gemeinsam ein „Touristenbüro“ auf (Tisch vor der Tafel als Verkaufsstand), das praktisch
von ihnen erarbeitet wurde.
Anschließend folgte eine Dialogszene. Die Handpuppe Lizette übernahm hier zunächst
eine Mittlerrolle. Mit einem lustigen Hut versehen (Hut in frz. Farben) imitierte sie einen
französischen Touristen und motivierte so sie die Schüler. Sie ermöglichte hier, die
Interaktion zu fördern, die zunächst zwischen mir und Lizette verlief (bain de langue –
Sprachbad). Dann übernahmen die Schüler nach und nach die Rolle von Lizette und
schließlich die des Lehrers. Alle Sätze des Dialogs waren im Vorfeld der Stunde durch
verschiedene Aktivitäten sowohl des Hörens, des Verstehens als auch des Sprechens und
deren Kombination geübt worden:
„Bonjour monsieur/madame!“
« Bonjour ! »
« Je veux visiter Coblence. »
« Voilà Coblence ! » (mit Zeigen auf die zuvor erarbeitete Stadtkarte)
„Où est le château/la forteresse/le musée/le Rhin et la Moselle ? »
« Voilà … »
« Merci. Au revoir. »
« Au revoir. »
Zum Abschluss dieser Unterrichtseinheit schlugen die Kinder vor, mit dem restlichen
Prospektmaterial eine bunte Collage für ihre jeweiligen Brieffreunde zu erstellen.
In dieser Situation kam es dann zum Schrifteinsatz: Der Satz „Voilà Coblence“, den die
Kinder jetzt so oft gesehen hatten, bildete das Herzstück der Collage. Und auch „Voilà la
forteresse/le musée...“ schrieben die Kinder auf. Wir haben diese Collagen dann
zusammengerollt und in einer Art „Schriftrolle“ nach Frankreich geschickt.
Das haben wir verwendet:
-
selbstgebastelte Bildkarten mit den vorher ausgewählten und zu erarbeitenden
Sehenswürdigkeiten von Koblenz
-
ein stark vereinfachter „Stadtplan“ von Koblenz
-
Handpuppe Lizette als Mittler
-
Deutschlandfahne, Frankreichfahne
-
Tonkarton als Collagenvorlage
-
Informationsbroschüren zu Koblenz (aus dem Touristenbüro)
Das haben wir erreicht:
Alle Kinder hatten während des Stadtspiels die Möglichkeit, das neue Wortmaterial
anzuwenden. Hierbei fand das Gelernte auch bei den Kindern, die kein französisches Kind
als Gast aufgenommen hatten, einen authentischen, lebensnahen Anlass, um geübt und
vertieft zu werden.
Praxisbericht von Annette Schiffmann