Gemeinsame Stellungnahme des Deutschen Presserats, des
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Gemeinsame Stellungnahme des Deutschen Presserats, des
Gemeinsame Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates vom 05.11.2003 betreffend den Schutz der Intimsphäre vor unbefugten Bildaufnahmen (BT-Drs. 15/1891) Nach Vorlage von Gesetzentwürfen zum verbesserten Schutz der Intimsphäre durch Einfügung eines § 201a StGB durch die FDP-Fraktion am 29.01.2003 (BTDrs. 15/361), die CDU/CSU-Fraktion am 11.03.2003 (BT-Drs. 15/533) und mit Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg vom 11.03.2003 (BR-Drs. 164/03), hat nun auch der Bundesrat am 26.09.2003 beschlossen, einen eigenen Gesetzentwurf für ein Strafrechtsänderungsgesetz zum Schutz der Intimsphäre vorzulegen (vgl. BT-Drs. 15/1891). Letzterer enthält einen § 201a (Verletzung der Intimsphäre durch Bildaufnahmen) und geht im Verhältnis zu den drei erst erwähnten Entwürfen einen tatbestandlich und auch terminologisch eigenständigen Weg. Auf der Basis des Bundesratsentwurfs verständigten sich soeben die Rechtsexperten aller Bundestagsfraktionen auf eine interfraktionelle Initiative (vgl. Der Spiegel „Paparazzi in den Knast“, Nr. 6 vom 02.02.2004). Ein Entwurfstext dieser interfraktionellen Initiative existiert bislang noch nicht. Sämtliche Entwürfe waren bereits Gegenstand einer öffentlichen Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 24.09.2003. Da dort bereits von fast allen Sachverständigen größere Bedenken gegen die Entwürfe von FDP, CDU/CSU und Land BadenWürttemberg formuliert worden sind (vgl. Franke, Hügel, Helgerth, Pollähne, Kühl, Schaffeld und Eberle) und lediglich der schon zur Anhörung vorliegende Bundesratsentwurf von einigen der Sachverständigen für – bedingt – geeignet eingeschätzt wurde, konzentriert sich die Stellungnahme auf eine Bewertung lediglich des Bundesratsentwurfs. Der strafrechtlich nicht ausreichend gewährleistete Schutz der Intimsphäre vor unbefugten Bildaufnahmen soll nachgeholt werden. „Wer von einer in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindlichen anderen Person unbefugt Bildaufnahmen herstellt oder überträgt und dadurch deren höchst persönlichen Lebensbereich verletzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer eine (sc. hierdurch) hergestellte Bildaufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht.“ Unstreitig sind Fälle nicht zu billigen, in denen Personen Kameraaugen an versteckter Stelle z. B. in Hotel- oder Gästezimmern, Toiletten oder Umkleidekabinen installieren, um in die Privat- oder Intimsphäre Dritter unbefugt 2 einzudringen. Technisch bedient man sich hierzu – neben Videokameras – so genannter Web- oder Spy-Cams, Fernglaskameras, Armbanduhren sowie Schreibstiften mit kleinen Digitalkameras, ferner Handys mit Kamerafunktionen. Aus Sicht der Medienverbände und -unternehmen existieren im Hinblick auf die Presse- und Rundfunkfreiheit sowie den freien Zugang zu Informationen allerdings nachfolgende Bedenken gegen den Gesetzesvorschlag. 1. Erforderlichkeit einer Strafbarkeitsregelung a.) Grundsätzliche Bedenken Nach der Begründung des Gesetzentwurfs des Bundesrats weist der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre Lücken auf, weil eine den §§ 201, 202 StGB vergleichbare Vorschrift für den Bereich der Personenbildnisse nicht existiere, § 33 KUG andererseits zu kurz greife. Der neue Tatbestand des § 201a soll diese Lücken schließen. Die Unverletzlichkeit des höchstpersönlichen Lebensbereichs ist ohne Zweifel ein hochrangiges Rechtsgut, welches eines besonderen Schutzes bedarf. Bemerkenswert ist der Gesetzentwurf aber deshalb, weil gleichzeitig staatliche Eingriffsmöglichkeiten (auch) der visuellen Überwachung der Privatsphäre von Personen ausgebaut werden. Die letztgenannten Gesetzesaktivitäten beeinträchtigen nach unserer Ansicht den höchstpersönlichen Lebensbereich in erheblichem Maße und relativieren die Dringlichkeit, strafrechtliche Aktivitäten zu entwickeln. Die Vorentwürfe argumentierten noch damit, es sei Aufgabe des Staates, den von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 8 EMRK geschützten Bereich des Persönlichkeitsrechts im Zweifel auch unter einen besonderen strafrechtlichen Schutz zu stellen. Auch wenn der Bundesratsentwurf von dieser verfassungsrechtlichen Argumentation Abstand nimmt, sieht er dennoch die Notwendigkeit, eine neue Regelung im StGB einzuführen. Aus unserer Sicht erscheint es notwendig, darauf hinzuweisen, dass weder das Grundgesetz noch die EMRK den Staat dazu verpflichten, den persönlichen Lebens- und Geheimbereich unbedingt mit Mitteln des Strafrechts gegen Beeinträchtigungen durch Dritte zu schützen. Wenn der Gesetzgeber dennoch entsprechend tätig wird, müssen dabei auch die nicht minder verfassungsrechtlich gewährleisteten Zwecke Beachtung finden, in die ggf. mit solchen Aktivitäten eingegriffen werden könnte, hier die Presse- und Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Denn im Hinblick darauf, dass die Presse- und Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unstreitig die Informationsbeschaffung mit umfasst, droht der in den Gesetzentwürfen hervorgehobene Persönlichkeitsrechtsschutz mit der im Grundgesetz gleichermaßen verbürgten Presse- und Rundfunkfreiheit im Einzelfall zu kollidieren. Für solche Fälle ist eine differenzierte Interessenabwägung zwischen den widerstreitenden Rechtsgütern vorgesehen, die allen Umständen des Einzelfalles Rechnung zu tragen hat (s. BVerfG NJW 1984, 1741 f.). 3 Aber auch aus dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsgebots sind Zweifel an der Notwendigkeit des Gesetzesvorhabens anzumelden. Vor Einführung eines neuen Strafrechtstatbestandes ist die Frage zu beantworten, ob dieses Mittel erforderlich ist, weil andere, insbesondere außerstrafrechtliche Mittel nicht dazu zur Verfügung stehen. Zweifel bestehen insoweit, als aus unserer Sicht ein wirksamer Rechtsgüterschutz durch die bestehenden Gesetze bereits existiert (vgl. unter b.). Ein grundsätzliches Bedenken ergibt sich schließlich noch daraus, dass § 201a StGB-E ein Antragsdelikt darstellen soll. Dies macht deutlich, dass das öffentliche Interesse an der Kriminalisierung der in § 201a StGB-E genannten Praktiken – wenn überhaupt – gering ist. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die vorgesehene Strafnorm fragwürdig. b.) Rechtsgüterschutz durch bestehende Gesetze Sicherlich ist es richtig, dass die Strafvorschrift des § 33 KUG den hier verfolgten Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs nur in Teilbereichen gewährleistet. Der dort normierte Schutz ist aber wesentlich, weil damit die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung von – befugt oder unbefugt aufgenommenen – Bildnissen ohne Einwilligung unter Strafe gestellt wird. Strafrechtlich geschützt ist also bereits nach geltendem Recht die Privatund Intimsphäre vor Veröffentlichungen entsprechender Bildnisse. Nicht geschützt sind Personen bisher nach § 33 KUG vor dem Herstellen derselben. Aber gerade durch die Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung wird hauptsächlich das Recht am eigenen Bild verletzt. Dass jemand ein Foto ausschließlich zum persönlichen Gebrauch aufnimmt, ist eine seltene Ausnahme. Diese Strafvorschrift ist dabei vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Tathandlung jede Art der Verbreitung, auch die im privaten Bereich, umfasst (vgl. Schricker/Gerstenberg/Götting, Urheberrecht, 2. Aufl. 1999, § 22 KUG, Rz. 11; Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 1. Aufl. 2004, § 22 KUG, Rz. 9). Damit ist nur noch in untergeordnetem Maße das Persönlichkeitsrecht keinem strafrechtlichen Schutz ausgesetzt. Der aus Sicht des Gesetzgebers bislang nicht abgedeckte Persönlichkeitsschutz wird allerdings durch die im Zivilrecht bestehenden Unterlassungs-, Schadensersatz-, Geldentschädigungs- sowie Beseitigungs-, Auskunfts- und Vernichtungsansprüche kompensiert. Die höchstrichterliche Rechtsprechung der letzten Jahre mit Geldentschädigungsansprüchen in empfindlich hohen Bereichen ist durchaus geeignet, präventive Wirkung auf potentielle Rechtsgutverletzer auszuüben. Eine umfangreiche und ausgefeilte Kasuistik zu den §§ 22 ff KUG stellt diese Wirkung sicher. Ferner greifen teilweise auch die erst kürzlich in Kraft getretenen Regelungen des Gesetzes zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (GewSchG, BGBl. I 2001, S. 3513). Wird eine Person durch eine andere dadurch unzumutbar belästigt, dass sie ihr gegen den ausdrücklichen Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt, kommt ein (zivil-)gerichtliches Einschreiten in Betracht. Dazu kann nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 b) GewSchG auch die Herstellung von Bildnissen 4 z. B. mittels Handy gehören. Da damit ein nicht unerheblicher Teil der in Frage stehenden Verhaltensweisen bereits sanktioniert ist, sollten vor Schaffung eines weiteren Straftatbestandes die Erfahrungen mit dem neuen GewSchG abgewartet und ausgewertet werden. Auch das geltende Datenschutzrecht stellt dem von dem Eingriff Betroffenen genügend rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, auf unzulässige Eingriffe in seinen Persönlichkeitsbereich zu reagieren. Die §§ 43, 44 BDSG komplettieren hierbei den Rechtsschutz in Form des Nebenstrafrechts. 2. Gesetzessystematische Bedenken Nach der Gesetzesbegründung wurde § 201a StGB-E wegen der Vergleichbarkeit des Eingriffs mit der in § 201 StGB unter Strafe gestellten Aufnahme des nichtöffentlich gesprochenen Wortes und der weiteren im 15. Abschnitt geregelten Tatbeständen an dieser Stelle eingefügt. Dennoch muss dem entgegen gehalten werden, dass die bereits existierenden Kontextvorschriften des StGB zum Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs keinen einheitlichen Regelungskomplex darstellen, sondern sich in Tatbestandsfassung und Regelungsstil unterschiedlich darstellen. So betrifft § 201 StGB – entgegen der Formulierung der Bestimmung – beispielsweise nicht nur die „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“. Denn die Regelung umfaßt neben dem persönlichen Lebens- und Geheimbereich auch den geschäftlichen Verkehr. Auf weitere systematische Differenzen weist Dr. Ulrich Franke in seiner Stellungnahme an den BT-Rechtsausschuss vom 23.09.2003 hin. 3. Kritik am Begriff „höchstpersönlicher Lebensbereich“ a.) Bestimmheitsgrundsatz § 201a Abs. 1 StGB-E führt als Schutzgut – anders als die vorherigen Entwürfe – den „höchstpersönlichen Lebensbereich“ ein. Bei jeder Strafnorm, die neu eingefügt wird, ist das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB zu beachten. Danach kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Der gesetzliche Tatbestand ist nur dann bestimmt, wenn die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret umschrieben sind, dass sich Tragweite und Anwendungsbereich des Straftatbestandes erkennen oder durch Auslegung ermitteln lassen (BVerfGE 14, 174; 73, 234; BGHSt 11, 377). Die Gesetzesbegründung verweist hierbei auf den bereits im Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches von 1971 verwendeten Begriff des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ und führt dann aus, dass der Begriff enger als der in § 68a Abs. 1 StPO und § 171b GVG gebrauchte Terminus des „persönlichen Lebensbereichs“ sei und inhaltlich dem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwendeten und in der zivilrechtlichen Judikatur näher ausgeformten Begriffs der Intimsphäre entspreche. 5 Auch wenn damit die einschlägige zivilrechtliche Rechtsprechung für die Interpretation des Merkmals herangezogen werden kann, ergeben sich aus unserer Sicht sogleich grundsätzliche Schwierigkeiten. Der Begriff der Intimsphäre erscheint nicht geeignet, strafwürdige Handlungen von straflosen abzugrenzen. Zudem eröffnet sich ein weites Feld, wenn man bei der Auslegung des Begriffs Intimsphäre an die zivilrechtliche Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht anknüpft. Der aus dem Zivilrecht stammenden Sphärentheorie gelingt es nur mit einer aufwendigen Kasuistik, die Intimsphäre von der schlichten Persönlichkeitssphäre abzugrenzen. Zudem sei darauf hingewiesen, dass die in Bezug genommenen Vorschriften der StPO und des GVG Grenzen staatlichen Handelns markieren und die dort agierenden Personen rechtskundig sind, was vom Normalbürger, an den sich die neue Strafnorm wendet, gerade nicht erwartet werden kann. Für den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts, die Intimsphäre, finden sich bislang nur Negativabgrenzungen. Nach der Rechtsprechung umfasst die Intimsphäre die Bereiche Sexualität, Krankheit und Tod. Eine besondere Rolle spielen dabei Nacktaufnahmen. Dr. Roland Helgerth problematisiert diesen Punkt in seiner Stellungnahme an den BT-Rechtsausschuss vom 24.09.2003 (S. 5) zu den ersten Entwürfen nachvollziehbar. So würde sich jemand nach den Vorentwürfen (FDP, CDU/CSU und Baden-Württemberg) zu § 201a Abs. 1 tatbestandlich strafbar machen, wenn er am Strand Fotos seiner unbekleideten Kleinkinder fertigt und dabei unbekleidete oder halb bekleidete andere Badegäste mit erfasst. Diese Aspekte gelten für Bildaufnahmen durch professionell tätige Pressefotografen und Kameraleute entsprechend. Ordnet man zudem der Intimsphäre Krankheit und Tod zu, so würde ein breite Palette der Medienberichterstattung - z. B. über Verkehrsunfälle - einem beträchtlichen Strafbarkeitsrisiko ausgesetzt. Dieses Risiko wird in dem Bundesratsentwurf scheinbar dadurch ausgeschlossen, dass dieser den § 201a Abs. 1 in personeller Hinsicht tatbestandlich einschränkt auf den Schutz von Personen, die sich in einer Wohnung oder einem „gegen Einblick besonders geschützten Raum“ befinden. Der Begriff des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ weist diese Trennschärfe jedoch allein nicht auf. Nach alledem erscheint deshalb der Begriff „höchstpersönlicher Lebensbereich“ als ein im Sinne von Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB bestimmtes Tatbestandsmerkmal nicht geeignet. b.) Unklare Verwendung des Begriffs Der Bundesratsentwurf verwendet den Begriff der Intimsphäre in der Überschrift zu § 201a, benutzt in der Tatbestandsbeschreibung allerdings den Begriff des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“. Auch wenn damit aus Sicht des Gesetzgebers synonyme Begriffe gemeint sind, sollte unbedingt eine einheitliche Verwendung der Begriffe sichergestellt werden. 6 4. Verwendung des Begriffs „Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet“ Der Entwurf des Bundesrates beschränkt die Strafbarkeit auf die Herstellung etc. von Bildaufnahmen von Personen, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum, also in ihrem persönlichen Rückzugsbereich, befinden. Diese tatbestandliche Eingrenzung halten Presse und Rundfunk für bedenklich. Es werden erfahrungsgemäß Auslegungsschwierigkeiten entstehen. Zwar wird der Begriff der „Wohnung“ hinreichend bestimmt, der Begriff des gegen Einblicke besonders geschützten Raumes wird jedoch in der Begründung nur vage umschrieben. Wenn Gartenhecken oder Mauern das Kriterium für einen gegen Einblick besonders geschützten Raum sein sollen (vgl. Begründung, S. 7), dann können ohne Anstrengung öffentliche Räume in den Tatbestand einbezogen werden, z. B. Teile großer Gärten. Hier stellen sich etwa die Fragen, wann ein Raum gegen Einblick besonders geschützt ist, ob bereits Vorhänge genügen und wie offene Türen zu bewerten sind. Somit ist auch insoweit die Tragweite und der Anwendungsbereich des Straftatbestandes nicht hinreichend bestimmt. Dass der Gesetzentwurf möglicherweise Konstellationen journalistischer Tätigkeit erfaßt, die nicht gemeint waren, erhellt ein hypothetischer Fall, den Heiko Dilk in der Tageszeitung vorstellt („Paparazzos Albtraum“, taz vom 17.11.2003): Ein Fotograf erwischt einen hochrangigen Politiker dabei, wie er mit einer Frau, die nicht seine eigene ist, in einem Wohnwagen verschwindet. Nach dem Gesetzentwurf müsste der Fotograf sich gut überlegen, ob er ein Foto davon schießt. Es wird deshalb entscheidend darauf ankommen, wie sich innerhalb des Gesamtkomplexes inkriminierter Betätigungen - sog. Paparazzo-Methoden – eine zulässige Bildberichterstattung scharf abgrenzen läßt. Denn auch in Zukunft sollte sichergestellt sein, dass Bildjournalismus mit versteckter Kamera ausnahmsweise möglich und damit zulässig bleibt, um Missstände aufzudecken. Dabei gibt es unstreitig Personen, die das Fotografieren von Menschen der relativen und absoluten Zeitgeschichte im politischen, wirtschaftlichen oder unterhaltenden Zusammenhang beruflich betreiben, ohne Paparazzi zu sein. 5. Verwendung des Merkmals „übertragen“ Nach § 201a Abs. 1 StGB-E ist – bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen – auch das Übertragen von Bildaufnahmen strafbar. Hier wird ein völlig neuer Begriff eingeführt, der weder im Strafrecht, noch in den Medien- bzw. Telekommunikationsgesetzen bislang verwendet wird. Das TKG definiert in § 3 Nr. 22 lediglich den Begriff „Übertragungswege“. Möglicherweise handelt es sich auch um einen Unterfall der „öffentlichen Zugänglichmachung“, wie sie § 19a UrhG neuerdings eingeführt hat. Die Gesetzesbegründung zu § 201a StGB-E (s. Seite 7) geht scheinbar davon aus, dass es sich um einen Unterfall des Herstellens handelt: „Einbezogen sind aber nach dem Wortsinn des Merkmals und dem Sinn und Zweck der 7 Regelung Echtzeitübertragungen z. B. mittels sogenannter „WebCams“ oder „SpyCams“ ohne dauernde Speicherung der aufgenommenen Bilder. Dies wird durch das Merkmal des „Übertragens“ nochmals verdeutlicht. Nicht erforderlich ist insgesamt, dass der Täter die Aufnahmen (sofort) zur Kenntnis nimmt.“ Auch wenn mit dem Begriff wohl der rein übertragungs-„technische“ Vorgang gemeint ist, bleibt er im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG zu unbestimmt. 6. Verzicht auf notwendige Einschränkung der Strafbarkeit Der Entwurf vermeidet zwar, eine ganze Reihe von Alltagshandlungen - wie etwa Bildaufnahmen in der Öffentlichkeit, in bestimmten Refugien innerhalb der Öffentlichkeit oder nicht besonders geschützten Räumlichkeiten etc. - in den Tatbestand einzubeziehen. Allerdings enthält die Vorschrift – unabhängig vom Verzicht auf eine Bagatell-Klausel – auch keinen Rechtfertigungsgrund mehr, wie ihn noch die Vorentwürfe aufwiesen. Dieser Verzicht auf eine wie auch immer geartete Einschränkung des Anwendungsbereichs der Strafbestimmung, etwa den Rechtfertigungsgrund der „Wahrnehmung berechtigter öffentlicher Interessen“, ist allerdings bedenklich. Insoweit bleibt zu fragen, ob zu besorgen ist, dass dadurch eine nur schwer überschaubare Bandbreite von an sich nicht strafwürdigen Alltagshandlungen gerade im Umfeld der publizistischen Praxis mit erfasst wird. Bei den hier in Betracht kommenden Lebenssachverhalten liegen strafwürdiges und sozial adäquates und damit strafrechtlich unerhebliches Verhalten durchaus nah beieinander. Mit den Verfassern des BundesratsEntwurfs wird man davon ausgehen können, dass die Herstellung etc. von Bildaufnahmen in den in § 201a Abs. 1 und 2 StGB-E benannten Fällen aufgrund der engen Beschränkung der Örtlichkeit generell abstrakt geeignet ist, die Interessen des Betroffenen zu beeinträchtigen (vgl. Begründung, S. 6). In der Tat kann deshalb auf die Einfügung einer Bagatell-Klausel wie der des § 201 Abs. 2 S. 2 StGB bzw. des FDP-Entwurfs verzichtet werden. Um so wichtiger erscheint aber die Berücksichtigung einer Rechtfertigungsklausel. Zwar führt die Begründung des Bundesratsentwurfs aus, dass es der Normierung eines Rechtfertigungsgrundes der Wahrnehmung überragender Interessen entsprechend § 201 Abs. 2 Satz 3 StGB schon wegen der unterschiedlichen Struktur des § 201a StGB-E nicht bedürfe, denn die Vorschrift normiere anders als § 201 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB kein Verbreitungsdelikt. Dennoch fällt auch im Vorfeld einer Verbreitung bereits eine Bildherstellung zu journalistischen Zwecken im Rahmen der Recherche regelmäßig an. Der Prozess der Foto- und Filmaufnahme kann in der Sache nicht vom Vorgang der Verbreitung – d. h. der Veröffentlichung durch Presse oder Rundfunk – getrennt werden. Fotografen und Kameraleute müssen sich von der Herstellung ihrer Bilder bis zu deren Verbreitung darauf verlassen können, die miteinander konfligierenden Rechtsgüter im Einzelfall gegeneinander abwägen zu können. 8 Nach Absatz 2 des Bundesratsentwurfs könnte deshalb ein neuer Absatz eingefügt werden mit dem folgenden Wortlaut: „Taten nach Absatz 1 und 2 sind nicht rechtswidrig, wenn sie zur Wahrnehmung berechtigter öffentlicher Interessen begangen werden.“ Würde also ein Fotojournalist von einer in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindlichen anderen Person Bildaufnahmen herstellen, übertragen, entsprechend hergestellte Bildaufnahmen gebrauchen oder einem Dritten zugänglich machen und dieses Verhalten auch gleichzeitig den höchstpersönlichen Lebensbereich der betroffenen Person verletzen, wäre dies dann ausdrücklich gerechtfertigt, wenn er sich dabei auf eine journalistische Recherche und das Privileg der Berichterstattung stützen kann. Die ergänzende Aufnahme einer solchen Regelung wird auch nicht dadurch überflüssig, dass § 201a Abs. 1 StGB-E das Kriterium „unbefugt“ aufgenommen hat. Ein solcher in die Strafnorm ausdrücklich aufgenommener gesetzlicher Rechtfertigungsgrund vergleichbar dem § 201 Abs. 2 S. 3 StGB würde ein differenziertes Abwägungsgebot zwischen den Medienfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und dem Persönlichkeitsrechtsschutz statuieren. Alternativ zu einer solchen Lösung könnte auch eine Adäquanzklausel vergleichbar zu der in § 86 Abs. 3 StGB eingeführt werden. Danach entfiele die Strafbarkeit, wenn die Tatbegehung „der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient“. Entsprechende Sozialadäquanzklauseln verwendet das StGB im Übrigen in den §§ 86a Abs. 3, 130a Abs. 3 und 131 Abs. 3. Durch eine solche Regelung würde ein Tatbestandsausschluss vorgenommen, wenn die Handlung einem entsprechend anerkannten publizistischen Zweck dient. Mit Blick auf den Subsidiaritätsgrundsatz bleibt zu ergänzen, dass der Deutsche Presserat mit Schaffung seines Pressekodex wirksame Regelungen zur Gewährleistung der Persönlichkeitsrechte in der Presse in Form von Selbstkontrollregeln geschaffen hat. Diese wurden zudem mit der Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle Redaktionsdatenschutz gerade im Hinblick auf die Wahrung von Persönlichkeitsrechten mit einer größeren Verbindlichkeit ausgestattet. In diesem Zusammenhang ist hierbei insbesondere auf die Ziffer 4 des Pressekodex zu verweisen. Danach ist bei der Beschaffung von personenbezogenen Daten und Bildern auf die Anwendung unlauterer Methoden zu verzichten. Richtlinie 4.2 präzisiert diesen Grundsatz für Fälle der Recherche bei schutzbedürftigen Personen. Hier sind Journalisten zur besonderen Zurückhaltung aufgerufen. Der Gesamtkomplex des Persönlichkeitsschutzes ist in Ziffer 8 des Pressekodex behandelt. „Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen.“ Richtlinie 8.2 konkretisiert diesen Grundsatz durch den besonderen Schutz des Aufenthaltsortes. Danach genießen der private Wohnsitz sowie andere Orte der privaten Niederlassung, wie z. B. Krankenhaus-, Pflege-, Kur-, Haft- oder Rehabilitationsorte, einen besonderen Schutz. 9 Ergänzend zu diesen Regelungen, die präventive Zwecke verfolgen, präzisiert die umfangreiche Spruchpraxis des Beschwerdeausschusses des Deutschen Presserats die berufsethischen Pflichten in der journalistischen Praxis und stellt damit ein wirksames präventives Instrumentarium an die Hand, das – zumindest hinsichtlich der publizistischen Arbeit der Medien – Strafsanktionen insoweit überflüssig macht. Auch das ZDF verfügt über entsprechende Programmrichtlinien, die in vergleichbarer Weise den Schutz der Persönlichkeit, insbesondere auch der Intimspäre, als verbindliche Vorgabe für alle Sendungen und sonstigen Angebote des ZDF vorschreiben. 7. § 201a StGB-E als Antragsdelikt Nach dem neuen § 205 Abs. 1 StGB soll auch § 201a StGB-E ein Antragsdelikt sein. Dies ist zwar stimmig, macht aber zugleich deutlich, dass ein öffentliches Interesse an der Kriminalisierung solcher „Taten“ aus Sicht des Gesetzgebers grundsätzlich als gering eingeschätzt wird, entsprechende Verfahren also ausschließlich im privaten Interesse des Antragsberechtigten betrieben würden. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass auch aus Sicht der Betroffenen kaum Interesse an einer Strafverfolgung besteht. Das belegt der Umgang mit § 33 KUG, der ebenfalls ein Antragsdelikt ist. In der Praxis kommt der Norm kaum Bedeutung zu, weil regelmäßig auf die Antragstellung verzichtet wird (vgl. auch Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 1. Aufl. 2004, § 33 KUG, Rz. 3). Nicht nachvollziehbar ist des Weiteren, dass § 201a StGB-E im Katalog der Privatklagedelikte des § 374 Abs. 1 StPO nicht aufgeführt werden soll; in § 374 Abs. 1 Nr. 3 ist lediglich die Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 202 StGB) und in § 374 Abs. 1 Nr. 8 der Strafverstoß gegen § 33 KUG zitiert. Vermutlich ist dies bislang übersehen worden. 8. Strafbarkeit des Versuchs § 201a Abs. 3 StGB-E enthält – ebenso wie die Vorentwürfe – eine Strafbarkeit des Versuchs. Ähnlich wie bei den §§ 202 (Verletzung des Briefgeheimnisses), 202a (Ausspähen von Daten) und 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen) sollte nach Ansicht der Medienverbände und -unternehmen auch bei § 201a StGB-E auf die Versuchsstrafbarkeit verzichtet werden. Angesichts der Weite des Tatbestandes bei der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch unbefugte Bildaufnahmen erscheint der Verzicht sachgerecht. Andernfalls würde ein unangemessen weites, nicht strafwürdiges Vorfeld der Bildrecherche erfasst. Von diversen Experten wurde bereits dabei auch auf die große Schwierigkeit in der Praxis hingewiesen. Der Deutsche Presserat, der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger, der Deutsche Journalistenverband, die Deutsche Journalisten-Union in Ver.di, die Arbeitsgemeinschaft Deutscher 10 Rundfunkanstalten, das Zweite Deutsche Fernsehen und der Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation bitten um die Berücksichtigung ihrer Einwände gegen die vorgesehene Fassung von § 201a StGB-E. Sie bieten gleichzeitig an, ihre Position auch mündlich vertiefend zu erläutern. Bonn, den 06.02.2004