„Warum liebt ihr mich so?“ – „Ach, Oma!“ - SOS

Transcription

„Warum liebt ihr mich so?“ – „Ach, Oma!“ - SOS
06-2012
Generationengespräche Großeltern
und Enkel in aller Welt haben sich viel
zu sagen. Interview S. 12
Bomben der Gegenwart: Die Spuren des
Krieges erreichen die III. Generation. S. 24
Insel der glücklichen Kinder – Welche
das ist? Steht auf S. 44
DAS MAGAZIN FÜR KINDHEIT UND kulturen
SCHWERPUNKT: Grosseltern
„Warum
liebt ihr
mich so?“ –
„Ach, Oma!“
SOS-Kunststück: Große Kunst für die
gute Sache S. 54
Mein Sohn ist 16 und lügt. Ratgeber S. 62
Die ADAC-Stiftung »Gelber Engel«
unterstützt Unfallforschung,
Unfallpräventions-Projekte und
Unfallopfer.
ADAC-Stiftung »Gelber Engel«
Postfach 700 146 81031 München
Tel. (0 89) 76 76 67 58 www.adac.de /stiftung
-3ubuntu Inhalt
Editorial / Contributors
Impressum
Orte der Kindheit
Kurzgeschichten
Schwerpunkt: Großeltern
Ach, Oma!
4
4
6
8
12
ubuntu-Reporter haben Großeltern und Enkel in aller Welt besucht.
Gefunden haben sie Glück und Komplizenschaft, aber auch Sprachlosigkeit und
Sorge. Interviews aus Kenia, China, Österreich, Brasilien und Griechenland.
Die Bomben der Gegenwart
24
Immer mehr Kriegsenkel forschen nach: Sie wollen genau wissen, was in ihren
Familien geschah – um so auch ihr eigenes Leben besser zu verstehen.
Manchmal hat Jane Obilo Angst um ihren Enkel
Biko – manchmal er um sie. Manchmal macht er
ihr Mut – an anderen Tagen ist sie die Starke.
Jane Obilo lebt mit Biko und 21 weiteren
Enkeln in Kenia im Slum. Interview Seite 12
Eine Frage geht um die Welt
Seite 31: So wertvoll können 31 Euro sein
Wohin gehst du, wenn deine Mutter im Sterben liegt und
deine Frau in den Wehen? Für unseren Autor bedeutete der Generations-
30
31
32
wechsel das größte Dilemma seine Lebens.
Infografik: Geschlechterverteilung im Kinderzimmer
Playmobil-Rollenbilder
Geschichten, wie sie nur eine Russin erzählen kann
36
38
Foto Titel: Mariantonietta Peru; Fotos diese Seite: Mariantonietta Peru, Thomas Linkel, Paul Hahn
Alina Bronsky: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche. Literatur
Zu erobern gibt es viel auf Island – und viele
glückliche Eroberer. Warum es Kindern auf
der Insel so gut geht, lesen Sie auf Seite 44.
Übrigens: Diese Heuballen waren mal ganz
weiß – bis der Vulkan ausbrach.
Meine Welt von morgen
Verdammter Zwang zur Neutralität
41
42
Der Krieg in Syrien verlangt den Mitarbeitern der SOS-Kinderdörfer einiges ab.
Essay
Die Insel der glücklichen Kinder
44
In Island sind Kinder kein gesellschaftliches Accessoire, sondern eine Selbst­
verständlichkeit. Das tut ihnen sichtbar gut. Reportage
Winzige Erwachsene mit vollem Kalender. Glosse
Diese Meisterwerke können bald an Ihrer Wand hängen …
52
54
SOS-Kunststück, die Auktion, die Kindern hilft, startet im November.
Hungerkrise in Niger
58
Anhaltende Dürre und steigende Lebensmittelpreise haben dazu geführt,
dass acht Millionen Menschen zu wenig zum Essen haben. Die SOS-Nothilfe
unterstützt Kinder und ihre Familien. Helfen Sie zu helfen!
Das rote Bändchen am Fuß des Kindes bedeutet: Es ist stark unterernährt und wird in ein
Ernährungsprogramm aufgenommen. In Niger
nimmt die Hungerkrise bedrohliche Ausmaße
an. Die SOS-Kinderdörfer helfen. Seite 58
Fragen an Ulrich Sommer: der Eltern-Ratgeber
Die Kinder von Kreuzkölln, Berlin
Wissen
Wie waren Sie als Kind, Fatih Akin?
62
64
65
66
-4ubuntu Editorial/Contributors
Von links nach rechts:
Ingrid Famula, Andrea Seifert,
Simone Kosog
Nächste Ausgabe
Juni 2013
Beigelegt bei
Tagesspiegel, sowie Teil­
ausgaben der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung,
der Süddeutschen Zeitung und
der ZEIT.
Liebe Leserinnen und Leser,
Impressum
als „Ass im Ärmel“ junger Familien bezeichnet
die Verhaltensforscherin Sarah Blaffer Hrdy die
Großmütter, und der Gießener Professor für Biophilosophie Eckart Voland glaubt, dass sich die
Menschheit nur deshalb so entwickeln konnte,
weil schon in der Steinzeit Großmütter ihre Enkel
hüteten und die Mütter entlasteten. Dass Groß­
eltern in vielerlei Hinsicht besonders sind, davon
erzählt diese Aus­gabe von ubuntu – in Interviews
mit ihren Enkeln aus der ganzen Welt (S. 12), in
einem sehr persönlichen Text über den Wettlauf
zwischen Tod und Geburt (S. 32), in einem Bericht über die „Kriegsenkel“ (S. 24), die alles daran
setzen, die Vergangenheit zu erforschen.
Übrigens: Genauso besonders wie ihre Groß­
eltern sind auch die Enkel, das wissen die Omas
und Opas dieser Welt am besten. Niemand kann
so schwärmen wie sie, wenn sie von ihren Enkelkindern erzählen.
Chefredaktion
Ingrid Famula, Simone Kosog
Ihre ubuntu-Chefredaktion
Herausgeber
SOS-Kinderdörfer weltweit –
Hermann-Gmeiner-Fonds
Deutschland e. V.
Ridlerstraße 55
80339 München
Vorstand:
Dr. Wilfried Vyslozil
Bildredaktion
Andrea Seifert
Schlussredaktion
Adelheid Miller
Mitarbeiter dieser Ausgabe
Patrick Bierther, Angelika Dietrich,
Hubert Filser, Susanne Frömel,
Marcel Grzanna, Paul Hahn, Martina
Koch, Mariantonietta Peru, Claudia
Singer, Ulrich Sommer, Christine
Wollowski
Kaufmännischer Bereich
Ingrid Famula, Andrea Seifert
Gestaltung
ANZINGER | WÜSCHNER | RASP
München
Lithografie
MXM, München
Leserservice
Tel. 089/17 914-140 oder
[email protected]
www.sos-kinderdoerfer.de/ubuntu
Anzeigen
Großmann.Kommunikation
Gabriele Großmann
Grünwalder Straße 105 c
81547 München
Tel.: 089/64 24 85 64
Fax: 089/64 24 93 99
grossmann.kommunikation@
t-online.de
Druck
Appl – Echter Druck
Delpstr. 15, 97084 Würzburg
Thomas Linkel
Mariantonietta Peru
Gold für ubuntu
Zwar bereist Thomas Linkel
Die Fotografin Mariantoni-
Zum zweiten Mal in Folge ist
ganze Welt, aber seine große
Schönheit: In der Landschaft
of Corporate Publishing“ ausge-
für seine Fotoreportagen die
Liebe bleibt Island. Der Münchner kommt mindestens einmal
im Jahr hierher. Für die ubuntuReportage über die „Insel der
glücklichen Kinder“ (S. 44) musste er noch einen Zusatztermin
einlegen, da bei der ersten Reise
ein Vulkan ausbrach, in Folge
dessen so viel Asche in der Luft
war, dass die ganze Insel in
grau-gelb getaucht war. Fotografieren fast unmöglich.
etta Peru begegnet täglich der
Kenias, wo sie seit vielen Jahren
mit ihrer Familie lebt, in vielen
alltäglichen Szenen. Am aller-
liebsten macht sie Porträtaufnahmen. „Das ist, als würde ich
einem Menschen in die Seele
sehen.“ (S. 12)
ubuntu mit dem Preis „Best
zeichnet worden. Die Jury be-
gründete ihre Entscheidung so:
„ubuntu, das Magazin der
SOS-Kinderdörfer, wird seinem
südafrikanischen Namen voll
gerecht, der ‚Respekt, Verant-
wortung und Würde‘ bedeutet.
Transportiert wird das unver­
ändert modern: frisch, überraschend und sprachlich auf
hohem Niveau.“
Die Zeitschrift ubuntu und alle
darin veröffentlichten Beiträge und
Abbildungen sind urheberrechtlich
geschützt. Jede durch das Urheberge­
setz nicht ausdrücklich zugelassene
Nutzung oder Verwertung bedarf der
schriftlichen Einwilligung des Herausgebers. Eine Vermietung oder ein
Nachdruck, auch auszugsweise, sind
nicht gestattet.
Insbesondere ist eine Einspeicherung oder Verarbeitung der auch
in elektronischer Form vertriebenen
Zeitschrift in Datensystemen ohne
Zustimmung des Herausgebers unzulässig. Für unverlangt eingesandte
Manuskripte und Fo­tos wird keine
Haftung übernommen.
Leserbriefe an:
SOS-Kinderdörfer weltweit –
ubuntu
Ridlerstraße 55
80339 München
Fotos: Michela Morosini, privat
Verantwortlich für den
redaktionellen Inhalt:
Ingrid Famula (Adresse s. Herausgeber)
-6ubuntu Orte der Kindheit
Schatzsuche
Foto Jörg Böthling
Wie dunkler Nebel liegt er über Kra-
tern und schroffem Geröll: Der Kohlestaub
aus den Minen von Jharia in Ost-Indien.
Kinder krabbeln barfuß auf den scharfkan-
tigen Koksbrocken umher. Sie suchen einen
Schatz auf den Bergen in giftigen Dämp-
fen, die die Atemwege reizen und zerstören.
Ihr Schatz ist schwarz und rußig. Sie sam-
meln kleine Kohlebrocken, die die Megamaschinen der Minengesellschaft übersehen
haben. Füllen ihre Körbe. Bald sind auch die
Kinder so schwarz wie ihre Schätze.
Wenn sie die schwere Last auf ihren Köp-
fen nach Hause getragen haben, waschen
sie sich und gehen zu Schule. Später ver-
kaufen die Eltern die Kohle auf dem Markt.
Von dem Erlös bekommen die Kinder ein
bisschen Kleingeld für Süßigkeiten oder
zum Karussell fahren.
Doch die Minengesellschaft bohrt sich
durch das Dorf. Die Maschinen vergiften
mit ihren Dieselmotoren die Luft, sie frä-
sen sich in die Erde oder schaufeln riesige
Krater. Das Dorf liegt am Rande so eines
Kraters und wird bald darin verschwinden.
Schon jetzt können die Menschen dort
kaum leben. Kleine Feuer brennen unter der
Erde, denn die Kohle kann sich selbst ent-
zünden. Dann wird der Boden an manchen
Stellen so heiß, dass man sich nicht mehr
setzten kann.
Dennoch wollen die Dorfbewohner bleiben,
solange es geht. Trotz des rußigen Nebels,
trotz der giftigen Dämpfe. Denn hier finden
die Kinder ihre Schätze, die die Familien
brauchen, um zu überleben – aber glitzern
tun sie nicht.
-7ubuntu Orte der Kindheit
-8ubuntu Kurzgeschichten
Das tierische
Klassenzimmer
Damit Kinder den richtigen Umgang
mit Tieren lernen, ist in einer Grundschule
auf Teneriffa jetzt ein „Tierschutzzimmer“
eingerichtet worden. Das ortsansässige Tierheim hatte immer wieder Unterricht im
Tierschutz angeboten. Weil zunehmend
mehr Schulklassen kamen, fanden die Organisatoren, dass man das Angebot erwei-
tern müsse. In dem neuen Klassenzimmer,
eingerichtet vom Verein „Aktion Tier“, ler-
nen die Kinder alles über Haustiere, Wildtiere sowie Massentierhaltung.
Besser behutsam
streicheln als an
den Ohren ziehen:
Auf Teneriffa
lernen Kinder den
Umgang mit Kaninchen und Co.
Studierverbot für Frauen
Im Iran dürfen Frauen bestimmte
Fächer nicht mehr studieren. Zum gerade
Neulich …
Wenn die schönsten
geschichten das
leben schreibt, dann
gilt das auch für
die ganz kleinen. zum
beispiel diese.
digitaler käse
Ich hätte gerne fünf
Äpfel“, sagt die Besucherin zu Lasse, 3, der in
seinem Kaufladen steht.
Seine Antwort: „Habe ich
nicht!“ – Daraufhin die
Besucherin: „Dann nehme
ich Milch.“ – „Habe ich
auch nicht.“ – „Käse?“ –
„Auch nicht!“ – „Ja, du
hast ja gar nichts!“ Lasse:
„Das kriegst du alles im
Internet!“
Fallobst
Unterwegs im Zug. Ein
Mädchen regt sich über
den kleinen Bruder auf:
„Du hast wohl nicht mehr
alle Birnen im Hirn.“ –
Die Mutter korrigiert: „Du
meinst wohl: ‚Alle Tassen
im Schrank‘.“
Körperpflege
Unheilig
Bruno freut sich seit
Tagen aufs Oktoberfest.
„Dort bekomme ich ein
Riesen-Wattestäbchen!“,
erzählt er allen. Dann
ist es soweit, Besuch auf
der Wiesn – die Zuckerwatte schmeckt himmlisch!
Malea, 9 Jahre alt, hat
einige Jahre mit ihren
Eltern in Asien gelebt.
Zurück in Deutschland
fährt die Familie durchs
Allgäu, als der Vater
plötzlich eine Vollbremsung macht. Auf der
Straße steht eine Kuh.
Malea sagt erstaunt:
„Ich wusste gar nicht,
dass deutsche Kühe
auch heilig sind!“
lebenskünstler
Ein Vater geht mit seinem
Sohn an einer Straßenkehrmaschine vorbei. Der
Sohn sagt begeistert:
„Das möchte ich später
auch machen.“ Der Vater versucht zu argumentieren … Ob denn das
wirklich so eine gute Idee
sei. Dann sagt der Sohn:
„Ich will ja sowieso mehrere Berufe haben. Und
am Wochenende will ich
Mensch sein.“
Mann oder mutter
Gespräch zwischen der
Mutter und ihrer sechsjährigen Tochter. „Mama,
seit wann hast du
eigentlich Ohrringe?“ –
„Hmmmh … weiß ich nicht
genau, aber ich war auf
jeden Fall noch ein Mädchen.“ Die Tochter
schaut verwundert und
sagt: „Aber du bist
doch jetzt kein Junge!“
begonnenen Studienjahr haben 36 Uni­
boten, vor allem Fächer wie Ingenieurs­
wissenschaften, aber auch Sprach- und
Sich selbst überlassen
diengänge. Einige der Fächer widersprä-
Aids-Waisen in Simbabwe
werden in Zukunft vermehrt auf
sich allein gestellt sein. Das ist
das Ergebnis einer Simulation des
Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock. Lange
gab es in Simbabwe das Wort
„Waise“ gar nicht, weil elternlose
Kinder selbstverständlich von Verwandten aufgenommen wurden.
Doch mit der Aids-Epidemie änderte sich das. 2006 hatten elf Prozent
der Kinder beide Eltern verloren –
gleichzeitig gab es immer weniger
Verwandte, die sich kümmern
konnten. Der Demograf Emilio Zag­
heni hat jetzt ein Modell für Simbabwes Zukunft erstellt. Demnach
wird es 2020 zwar nur noch sechs
Prozent Waisenkinder geben, aber
Naturwissenschaften oder Wirtschaftsstuchen „der weiblichen Natur“, begründet das
Wissenschaftsministerium. Als die Schließung kurz vor Beginn des Studienjahrs
bekannt wurde, waren sogar konservative
Medien und Studenten empört. In Inter­
netforen bezeichnen Iranerinnen das Stu­
dienverbot als „Rückfall in die Steinzeit“
und „Talibanismus“.
Iranische Frauen engagieren sich seit ein
paar Jahren gesellschaftspolitisch: Sie kämpfen in Nichtregierungsorganisationen für
mehr Gleichberechtigung und protestieren
offen gegen das Regime. Das ist dem
konservativen Klerus gar nicht recht – er begreift Frauen als Hausfrauen und Mütter.
Der geistliche Führer Ajatollah Chamenei
hatte vor kurzem verlangt, dass sich die
iranische Bevölkerung verdopple: Kinder
statt Karriere.
Kind sein in Simbabwe könnte
für einige Jungen und Mädchen
bald bedeuten, ganz alleine
überleben zu müssen.
ihre Situation wird umso dramatischer sein, weil auch zahlreiche
Verwandte an AIDS sterben werden. Schon heute werden viele
Haushalte in Simbabwe von älteren Geschwistern geführt.
Fotos: Katerina Ilievska, Andrea Schmidt
versitäten 77 Studiengänge für Frauen ver-
-9ubuntu Kurzgeschichten
Vorbild sein – als
Fußballtrainer
In Uganda werden Jugendliche zu Kin-
derfußballtrainern ausgebildet. Die „Young
Coaches“ kommen unter anderem aus den
vier SOS-Kinderdörfern des Landes. Sie werden dafür geschult, benachteiligten Kin-
dern über den Sport soziale Kompetenzen zu
vermitteln. Bei der Ausbildung der jugend-
lichen Fußballtrainer arbeiten die SOS-Kinderdörfer mit Experten von Werder Bremen
und Bayer Leverkusen sowie lokalen Organisationen zusammen. Initiator des Pro-
gramms ist die Schweizer Stiftung „Scort“.
Die „Young Coaches“ sollen lernen, ihren
Schülern über den Sport Werte wie Fairplay
und Solidarität sowie den Umgang mit
Konflikten und Niederlagen zu vermitteln.
Aktuell nehmen 31 Jugendliche teil. Die
deutschen Fußballlehrer waren vom Enga-
Lernen um zu lehren: In Uganda bilden
deutsche Fußball-Experten jugendliche
Trainer aus, die dann ihrerseits mit den
Kindern ihres Landes arbeiten.
Recht auf
Kinderarbeit
Kinderarbeit soll in Bolivien offiziell
erlaubt werden, das fordert die Union der
Kinder- und Jugendarbeiter. Damit einhergehen sollen schulkompatible Arbeitszei-
ten, faire Arbeitsbedingungen und eine Krankenversicherung. So soll Ausbeutung ver-
hindert werden. Die Kindergewerkschaft
hat bereits einen Gesetzentwurf ausge­
arbeitet, über den die Regierung in diesem
Jahr entscheiden wird.
Offiziell ist es Jungen und Mädchen unter
14 Jahren in Bolivien verboten zu arbeiten.
Dennoch schuften über eine Million Kinder
in dem südamerikanischen Land täglich
ohne gesetzlichen Schutz in Bleiminen, auf
Fotos: Scort Foundation, Christian Lesske
Müllhalden oder als Schuhputzer. Weil
ihre Jobs illegal sind, werden die Kinder ausgenutzt und hintergangen. „Kinderarbei-
ter sollen von der Gesellschaft anerkannt und
geschützt werden“, fordert die Kindergewerkschaft.
Bereits vor zwanzig Jahren haben sich die
ersten Kinder zu einer Gewerkschaft zusam­
mengeschlossen.
gement der „Young Coaches“ beeindruckt.
„Sie hatten bereits klare Vorstellungen davon, was einen verantwortungsvollen Trai-
ner ausmacht“, sagte Peter Quast von Bayer
Leverkusen.
Bildung gegen Piraterie
Die SOS-Kinderdörfer planen in Dschibuti mit Unterstützung des Verbandes Deutscher Reeder (VDR) ein Zentrum für
E-Learning. Es soll Modellcharakter für die Region haben und der
Piraterie vorbeugen.
Das 2.500 Quadratmeter große Grundstück, auf dem das Zentrum
gebaut wird, liegt im Armenviertel Balbala. „Wenn die jungen Leute
eine Perspektive sehen und am Horn von Afrika eine soziale wirtschaftliche Entwicklung stattfindet, kann auch die Piraterie eingedämmt werden“, glaubt Ralf Nagel, Präsidiumsmitglied des VDR.
Dr. Wilfried Vyslozil, Vorstand der SOS-Kinderdörfer weltweit, hält
das Zentrum für ein kleines
Tor zur Welt: „Die Jugend­
lichen haben hier Internetzugang, Online-Medien, digitale
Bücher und Kontaktplatt­
formen.“ Die Eröffnung des
Zentrums ist für Herbst
2013 geplant. Die SOS-Kinder­
dörfer wollen das Bundes­
ministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und EntZugang zu Bildung und Entwicklung
wicklung für eine Teilfinansollen Jugendliche am Horn von Afrika
zierung gewinnen.
erhalten. Dort entsteht ein Zentrum
für E-Learning.
-10ubuntu Kurzgeschichten
Rote Lippen, goldener
Teint: Durchs Anmalen,
Bekleben und Schmücken
bekommen die Gips­
masken ihren eigenen
Charakter.
Bitte nachmachen!
Gipsmaskenlandschaft
… vorgeführt von SOS-Kindern
und Betreuern aus dem SOS-Feriendorf
in Caldonazzo, Norditalien
Material: Gipsbinden, Vaseline, eine
Schüssel Wasser. Je nach Laune Farben,
Glitzersteine, Federn und anderer Zierschmuck.
Anleitung: Zuerst schneidest du die
Gipsbänder auf eine Größe von etwa
10 x 10 Zentimeter. Damit man den Gipsabdruck später leicht wieder vom Ge-
sicht ablösen kann, cremst du dein Gesicht gut mit Vaseline ein, vor allem
auch die Augenbrauen und Wimpern,
und bindest die Haare zurück.
Jetzt müssen dir ältere Kinder oder
Erwachsene helfen! Die legen die durchnässten Gips-Quadrate Stück für Stück
auf dein Gesicht. Man muss den Gips
leicht andrücken und verreiben, um die
Konturen des Gesichtes gut auszufor-
men. Ob du Augen und Mund mit eingipsen willst, kannst du selbst entscheiden,
bei uns hat es die meisten Kinder nicht
gestört. Aber auf alle Fälle müssen die
Nasenlöcher frei bleiben, damit du Luft
bekommst!
Nach etwa zehn Minuten ist die Maske
fest und du kannst sie abnehmen. In
Caldonazzo legten wir sie in die Sonne
zum Trocknen. Bis jetzt sahen alle Mas-
ken noch ziemlich gleich aus, aber nun
In Rietberg können Schüler über
einen Teil des Schulbudgets entscheiden.
Als erste Kommune Deutschlands arbeitet
die ostwestfälische Stadt mit dem „Schülerhaushalt“, dessen Konzept die Bertelsmann
Stiftung entworfen hat. Die Schüler von
Gymnasium, Realschule und einer Förder-
schule bestimmen über jeweils 7.000 Euro –
bis zu 25 Prozent der frei verfügbaren Gel-
der. Das Prozedere: Jeder Schüler kann Vorschläge machen, dann wird abgestimmt.
Gemeinsam mit der Stadt­verwaltung arbei-
tet jede Schule zehn Vorschläge aus und
legt sie dem Stadtrat zum Beschluss vor. So
sollen die Schüler lernen, sich in Demo­
kratie zu üben.
Geburt auf fotos
In den USA engagieren immer mehr werdende Eltern einen
Profi-Fotografen, um die Geburt
ihres Kindes festzuhalten. Mary
Buffington, Fotografin aus Arkansas, reist seit zwei Jahren für
Geburts-Reportagen durchs Land.
Sie glaubt, dass die Reportagen
vor allem deshalb so populär sind,
weil sie viele kleine Momente
festhalten, die sonst unbemerkt
blieben. Bei der Geburt versuche
sie, sich so unsichtbar wie möglich zu machen. Die meisten Krankenhäuser geben ihre Einwil­li­
gung, sofern die Ärzte keine
Einwände haben.
nahmen wir Farben, Glitzersteine, Federn
und Stoffreste und schmückten sie.
Danach erkannte jedes Kind sofort seine
Maske.
Später haben wir die Masken an Stöcken
befestigt und auf der Wiese aufgestellt:
Sie wirken wie ein Zauberwald aus fantastischen und märchenhaften Gesichtern.
Schwierigkeitsgrad: Leicht. Wichtig ist
eine entspannte und vertraute Atmo-
sphäre, in der kein Kind Angst hat, sich
den Maskenbildnern zu überlassen.
Alter: Von drei bis 100.
Fotos: Walter Anyanwu
Kinder entscheiden
über ihr Schulbudget
-11ubuntu Kurzgeschichten
Radfahren soll ein Kinderrecht
werden, forderten die Teilnehmer der Kon-
Mit der Aktion wollten die Pädagogen auf
verabschiedeten die „Charta von Vancouver“,
vom Grasshoppers Kindergarten in Nord-
Fünen sagt, fühlen sich viele Kinderkrippen
davon bedroht, dass bald der Nachwuchs
ausbleiben könnte. Die betroffenen Eltern
nahmen das Angebot gerne an, bei den
Grasshoppers wurde die Hälfte der Kinder
zur Betreuung gebracht. Allerdings nutz-
ten nicht alle Eltern ihren freien Abend für
den beabsichtigten Zweck. Dorte Nyman:
„Viele sagten uns: Wir bringen zwar unsere
Kinder – aber mehr Nachwuchs werdet
ihr deshalb nicht von uns bekom­men.“
Dänemark steht in der Geburten­statistik weit
hinten – auf Platz 185 von 221 Ländern.
die an die Vereinten Nationen und alle Re-
10
der darin zu fördern, aktiv mobil zu sein.
0
gierungsorganisationen appelliert, die KinAuf der Konferenz erläuterte Paul Tranter,
Professor für Physik, Umwelt- und Mathe-
matikwissenschaft der Universität von Canberra, wie wesentlich es für die Entwick-
lung von Kindern sei, selbstständig mobil
zu sein – also Fahrrad zu fahren, zu Fuß
USA
aufmerksam machen. Wie Dorte Nyman
20
Australien
die sinkende Geburtenrate in Dänemark
ferenz Velo-City Global in Vancouver. Sie
United Kingdom
weiteren Nachwuchs zeugen.
40
Deutschland
Kinder gehütet – mit dem Ziel, dass die
Eltern sich der Leidenschaft hingeben und
60
Schweden
Mitarbeiter in dänischen Kinder­
Kinder, die per Rad zur Schule fahren
Anteil in %
Niederlande
krippen haben einen Abend lang kostenlos
Fahrräder für
alle Kinder
China
Geburtenrate ankurbeln
Asien Europa Australien Amerika
zu gehen und öffentliche Verkehrsmittel
zu benutzen. Deshalb müssten die Städte
kinderfreundlicher werden und Eltern und
unterzeichnet wurde. Wer das Recht der
fahren.
will, kann die Charta auf der Internetseite
Erzieher den Kindern erlauben, Rad zu
Die Charta von Vancouver gründet auf
der UN-Kinderrechtskonvention, die 1990
in Kraft getreten ist und von 140 Ländern
Kinder aufs Fahrradfahren unterstützen
der European Ciclysts Federation (EFC)
unterzeichnen: www.ecf.com/childrenhave-the-right-to-cycle
Anzeige
UBUNTU -der Circus
erfreut seit 18 Jahren die Herzen und
Gemüter der Menschen in Norddeutschland !
Für verhaltensoriginelle Kinder und
Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren, die
in ihrem familiären oder schulischen Umfeld
Belastungen ausgesetzt sind, die der Freude
am Leben und Lernen massiv
entgegenstehen, gibt es seit über 10 Jahren
für eine „Auszeit“ unsere Circus-Schule
UBUNTU -das Circusjahr
„Ich bin
weil wir sind
und wir sind
weil ich bin !“
Nach diesem Motto - es ist unsere
Übersetzung des Zulu-Wortes UBUNTU arbeiten und leben wir zusammen!
Über Fragen oder Anmeldungen zum
kommenden Schuljahr freuen wir uns:
UBUNTU -das Circusjahr
An der Heide 1-3 * 25358 Horst (Holstein)
Fon 04126 - 395510 * Fax 04126 - 395511
www.ubuntu.de * [email protected]
-12ubuntu Großeltern
Ach, Oma!
Ubuntu-Reporter haben GroSSeltern und ihre Enkel in aller Welt
besucht. Gefunden haben sie Glück, SpaSS und Komplizenschaft,
aber auch Sprachlosigkeit, Sorge und Sehnsucht. Gespräche aus
Kenia, China, Österreich, Brasilien und Griechenland.
-13ubuntu Großeltern
All ihre Enkel sollen
mal ein erfolgreiches
Leben führen, davon
träumt Jane Obilo im
Slum von Mombasa.
Wenn einen von beiden
der Mut verlässt, ist
der andere da, um ihn
wieder aufzurichten:
Steve Biko und seine
Großmutter Jane Obilo.
-15ubuntu Großeltern
„Ich hab dir nie gesagt,
wie dankbar ich bin!“ –
„Das zeigst du mir doch
Tag für Tag!“
Steve Biko Odhiambo, 22, lebt zusammen mit
seiner groSSmutter Jane Obilo, 60, und
ihren 21 weiteren Enkeln im Slum von Mombasa
in Kenia. dIe Hoffnung geben sie selbst hier
nicht auf.
Fotos und Interview Mariantonietta Peru jagten uns aus dem Haus.
B. O.: Ich habe immer schon gedacht, dass
da etwas nicht stimmt! Warum hast du uns
das nie erzählt?
J. O.: Weil ich nicht wollte, dass etwas zwi-
schen euch und euren Verwandten steht …
Damals kam ich nach Mombasa: mit meinen
Kindern und den Kindern, die mein Mann
mit seiner Zweitfrau hatte, sie war eben-
falls gestorben. Jetzt ziehe ich auch die Kinder meiner Tochter auf, die HIV positiv ist
und sehr geschwächt. Meine andere Tochter,
die Mutter von Biko und seinen Geschwis-
tern, ist bei einem Unfall gestorben. Ich habe
auch ein Waisenkind aufgenommen, das
niemanden mehr hatte.
Das Geld reichte ohnehin nicht und Sie
haben trotzdem noch ein weiteres Kind
aufgenommen?
J. O.: Hätte es denn auf der Straße leben
sollen? Ich habe immer die Hoffnung und
den Glauben, dass alles gut wird und dass
Biko, du bist 22 Jahre alt und wohnst
mit deiner Oma und 21 weiteren Kindern
in einer engen Hütte im Slum. Hast du nie
darüber nachgedacht auszuziehen?
Biko Odhiambo: Doch, immer wieder. Aber
letztendlich bin ich geblieben, weil ich es
unfair fand, sie mit all den Schwierigkeiten
allein zu lassen.
Jane Obilo: Biko unterstützt mich, wo er
kann: Vor drei Jahren hat er damit begonnen,
Müll zu sammeln und damit sein Geld zu
verdienen. Er hat sogar für seine Schwester
das Schulgeld bezahlt.
B. O.: Ich träume davon, später ein erfolgreicher Geschäftsmann zu sein und ein sicheres Einkommen zu haben.
J. O.: Das ist auch mein Traum – für alle
meine 22 Enkelkinder: dass sie später
in sicheren Verhältnissen leben, genug zu
essen haben und nie mehr hungrig ins
Bett gehen müssen.
Das heißt, heute reicht das Essen nicht
immer?
J. O.: Wenn ich morgens aufwache, ist mein
erster Gedanke: Werde ich den Kindern
heute etwas zu Mittag und zu Abend kochen
können? In der Früh um sechs gehe ich auf
den Markt, kaufe Mais, koche und verkaufe
ihn, aber wenn es schlecht läuft, reichen
die Einnahmen nicht. Ich muss ja auch noch
Schulgeld für alle Kinder zahlen und das
ist mir am allerwichtigsten: dass sie etwas
lernen und die Chance bekommen, mal
ein anderes Leben zu führen. Daran glaube
ich ganz fest.
B. O.: Früher war ich manchmal sauer, wenn
wir zum Beispiel mit der Schule einen Aus-
flug gemacht haben und ich nicht mitgehen
konnte, weil wir die 300 Schilling (drei
Euro) nicht hatten. Ich hatte das Gefühl, um
meine Rechte als Kind betrogen zu werden.
Meine Großmutter hat versucht, es mir zu
erklären, aber ich war wütend. Heute verstehe ich sie besser.
Wie passen so viele Kinder überhaupt in
Ihre kleine Hütte, Frau Obilo?
J. O.: Tagsüber sind wir die meiste Zeit
draußen. Nachts schlafen sie auf Matten
und bei mir im Bett. Die Größeren gehen
jeden Abend rüber zur Schule und schlagen
Gott uns hilft. Wenn ich meine Enkelkinder
fröhlich spielen sehe, wenn sie mich an-
strahlen und ich spüre, dass ich für sie etwas
Besonderes bin, dann ist das für mich das
schönste Geschenk.
B. O.: Alles, was ich heute kann, verdanke
ich meiner Großmutter. Sie hat nie die
Hoffnung verloren und uns immer wieder
gesagt, dass wir nicht aufgeben sollen.
Ich habe mir schon oft vorgenommen, dir
zu sagen, wie dankbar ich dafür bin, aber
irgendwie habe ich mich nie getraut.
J. O.: Das musst du mir doch nicht sagen,
Biko. Das zeigst du mir doch jeden Tag in
vielen kleinen Momenten.
dort ihr Lager auf, auf dem Boden oder
auf den Bänken. Bevor ich selbst schlafen
gehe, schaue ich nochmal, ob bei den Kindern alles in Ordnung ist.
B. O.: Ich hab immer Angst, dass sie
überfallen werden könnte, wenn sie nachts
draußen herumläuft.
J. O.: Die gleiche Sorge habe ich um Biko,
wenn er früh am Morgen zur Arbeit geht.
Die Slums sind nicht gerade die sicherste
Umgebung.
Wie sind Sie überhaupt im Slum von
Mombasa gelandet?
J. O.: Früher lebte ich mit meinem Mann
in Kisumu im Osten Kenias. Wir hatten ein
gutes Leben: Mein Mann war Lehrer, wir
hatten ein kleines Haus mit Küchengarten,
in dem wir unser eigenes Gemüse anbau-
ten. 1975 starb mein Mann – und alles änderte sich. Die Verwandten meines Mannes
In Kenia
lebt mehr als die Hälfte der Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Der Überlebenskampf
in den Slums und die AIDS-Pandemie zerstören viele Familien. Die SOS-Familienhilfe unterstützt Kinder, Eltern und Groß­eltern wie Jane
Obilo dabei, ihr Leben zu stabilisieren und
wieder ein sicheres Einkommen zu erwirtschaf­
ten. Auch Biko bekommt Hilfe beim Aufbau
seiner kleinen Müllentsorgungs-Firma.
-16ubuntu Großeltern
„Papa vermisse ich,
Mama nicht.“ –
„Natürlich vermisst
sie ihren Vater,
aber ihre Mutter ist
unmoralisch!“
Weil ihre Eltern zum Geldverdienen in die stadt
gezogen sind, wächst XU Mengjiao, 10, bei ihrer GroSS­
mutter Wang Yuanying, 70, in ostchina auf dem
Land auf. Ihre Eltern sieht sie nur wenige Tage im Jahr.
Interview Marcel Grzanna Wie hat sich das Leben von Mengjiao im
Vergleich zu früher verändert?
W. Y.: Als ich so alt war wie Mengjiao, habe
ich ums Überleben gekämpft. Wir haben
nur darüber nachgedacht, wie wir etwas in
den Magen bekommen. Unsere Kleidung
und Schuhe haben wir selbst gemacht. In
die Schule gingen nur wenige Kinder von
reichen Familien, die anderen nicht. Die Kinder heute haben ein sehr glückliches Leben
im Vergleich zu uns damals. Sie sollten
dankbar sein. Es ist ein Unterschied wie
Himmel und Hölle.
Wie sollten junge Leute ihre Großeltern
behandeln?
W. Y.: Wie die eigenen Eltern. Ich hoffe,
dass sie mir später genug zu essen kaufen
kann.
Mengjiao, wie sollte man seine Großeltern behandeln?
X. M.: Wenn ich Geld verdiene, werde ich
Großmutter viel Geld geben und viel gutes
Was ist es für ein Gefühl, das Enkel-
kind großzuziehen?
Wang Yuanying: Ein gemischtes. Ich bin
jetzt 70 Jahre alt und eigentlich zu alt, um
mich um sie zu kümmern. Wenn ich es aber
nicht tun würde, würde sie auf der Straße
herumlungern. Ihr Vater muss in der Stadt
arbeiten, um die Kosten der Familie zu de-
cken. Dazu zählt auch Mengjiaos Bildung.
Es gibt keine Alternative.
Haben sie Mengjiaos Eltern bestärkt, in
hier monatelang nicht sehen lassen. Also
solltest, würdest du es allein lassen?
sollte sie vergessen. Ihre Mutter ist so unmo-
will ihm beibringen, wie man schreibt.
nichts mehr von ihr wissen will. Mengjiao
ralisch.
Warum sagen sie dem Kind so etwas?
W. Y.: Weil es die Wahrheit ist.
Teilst du Geheimnisse mit Großmutter?
X. M.: Nein, das versteht sie nicht. Groß-
mutter weiß nicht, was ich mag. Sie schaut
der Stadt zu leben?
uns. Aber die Realität lässt uns keine Wahl.
Beim letzten Mal hat er dich gebissen. Die
Deswegen habe ich meinem Sohn gesagt,
dass er sicher sein kann, dass ich mich gut
um sie kümmern werde. Er soll hart arbeiten und Geld verdienen.
Wie ist es für dich, Mengjiao? (Das Mädchen blickt bei jeder Frage auf den Boden.)
Xu Mengjiao: Ich finde das sehr gut. Groß-
mutter hilft mir beim Wäschewaschen und
kocht mir etwas zu essen.
Hast du Verständnis für deine Eltern?
X. M.: Ich verstehe sie, weil sie das Geld
für meine Schule verdienen müssen. Wenn
mein Vater hier wäre, könnte ich später
nicht zur Oberschule oder sogar zur Universität gehen. Mama und Papa sind auch
W. Y.: Du sollst den Hund nicht streicheln.
Impfung hat 200 Yuan (25 Euro) gekostet.
Hilft Großmutter dir bei den Schulaufga-
der, die bei Großeltern aufwachsen. Und
sie sind besser in der Schule.
Was wollen sie Mengjiao mitgeben auf ihrem Lebensweg?
W. Y.: Wie wichtig es ist, fleißig zu lernen,
um sich eine Zukunft zu gestalten. Wenn
du an der Universität angenommen wirst,
dann ist das wie eine eiserne Reisschale.
Wenn du kein Geld hast, schauen die Leute
auf dich herab. Niemand respektiert dich.
schreiben. Papa hat mir immer geholfen.
Teilst du denn Geheimnisse mit deiner
Mutter?
X. M.: Ja, ich erzähle ihr, was in der Schule
passiert ist oder wenn ich eine neue Freundin habe. Großmutter interessiert das
nicht.
Würdest du dich besser fühlen, wenn
Mama und Papa hier wären?
X. M.: Das wäre viel besser. Keiner im Dorf
würde mich dann noch ärgern. Ich müsste
weil sie mich im Stich gelassen hat.
W. Y.: Nicht weinen, mein Schatz. Papa
Aber nicht ihre Mutter. Die Mutter hat sich
Geld geht heute gar nichts mehr.
W. Y.: Natürlich vermisst sie ihren Vater.
Kinder mit Eltern lesen auch mehr als Kin-
X. M.: Nein, sie kann ja nicht lesen und
keine Angst mehr im Dunkeln haben. Ich
könnte mit Papa fernsehen. (Eine Träne läuft
X. M.: Papa vermisse ich sehr. Mama nicht,
X. M.: Nein, ich werde es mitnehmen. Ich
ben?
Vermisst du sie?
wegen meiner Zukunft weggegangen.
Wenn du später einmal ein Kind haben
habe ich dem Kind erklärt, dass ihre Mutter
nicht einmal Fernsehen.
(Mengjiao streichelt einen Hund)
W. Y.: Ich wünschte, ihre Eltern wären bei
Essen für sie kaufen.
ihr die Wange herunter.)
beschafft das Geld für deine Schule. Ohne
In China
sind rund 60 Millionen Kinder von einem
ähnlichen Schicksal wie Mengjiao betroffen.
Auf der Suche nach Arbeit ziehen die Eltern
in weit entfernte Städte und lassen ihre Söhne
oder Töchter zurück.
Mengijao lebt in Ostchina in der Provinz
Anhui. Sie hat immerhin noch ihre Großmutter – es gibt Kinder, die völlig allein klar
kommen müssen.
Foto: Marcel Grzanna
Mengjiao und ihre Groß­mutter Wang Yuanying teilen Haus, Bett und Reis.
Geheimnisse teilen sie nicht.
-18ubuntu Großeltern
„Ich geh nicht mehr zu
Hochzeiten!“ –
„Bei mir würdest du eine
Ausnahme machen.“
Helmut Kutin, 71, ehemaliger Präsident der SOS-Kinderdörfer, war da, als Jeanne Mukaruhogo, 35, als kind
Herzkrank aus Burundi nach Österreich kam. Ihre Besondere beziehung hält bis heute.
Interview Martina Koch Jeanne die Dankesrede für die Professoren –
als Afrikanerin in breitem Tirolerisch. Ein
faszinierender Moment!
Seit Abschluss Ihres Studiums arbeiten
auch Sie für die SOS-Kinderdörfer, Frau
Mukaruhogo. Wie schaffen Sie es, Dienstliches und Privates zu trennen?
J. M.: Ich bewundere seine Hingabe an die
Arbeit und seine Disziplin, da versuche ich
mir viel abzuschauen. Ansonsten ist mir
wichtig, zwischen Arbeit und Privatleben
komplett zu trennen.
H. K.: Dennoch: Seit Jeanne für uns arbeitet,
hat sich unsere Beziehung noch intensiviert.
Sie ist auf meine Initiative hin nach Afrika
gegangen, wo sie als Personalkoordinatorin
tätig war. Ich fand es sinnvoll, dass sie als
ehemaliges SOS-Kind mit einer fantastischen
Ausbildung ihr Wissen in ihrer ursprüngli-
chen Heimat einbringt. Nicht alle MitarbeiHerr Kutin, nach 27 Jahren haben
Sie in diesem Jahr die Präsidentschaft bei
SOS-Kinderdorf International abgegeben.
Ihre neue Rolle bezeichnen Sie als die eines
Großvaters.
Helmut Kutin: Dieser bin ich mir vor etwa
drei Jahren bewusst geworden, als ich auf
den Philippinen war und eines unserer Kinder freudig „Lolo“ rief. „Lolo“ ist das phi­
lippinische Wort für „Großvater”. Das hat
mich erstmal aus der Fassung gebracht.
Andererseits war diese Offenheit in den Augen des Mädchens faszinierend. Da habe
ich meine Rolle für die Zukunft erkannt und
bekannt gegeben: Ich werde die Verwaltung
in jüngere Hände legen. Der Familie SOS-
Kinderdorf bleibe ich bis zu meinem Lebensende als nicht zu gütiger, aber doch ruhigerer Großvater erhalten.
Jeanne Mukaruhogo: Mich freut das sehr,
weil ich ihn jetzt öfter sehen werde.
Wie kommt es, dass Sie beide so eine enge
Beziehung zueinander haben?
H. K.: Das hat mit ihrer besonderen Geschichte zu tun. Jeanne ist mit zehn Jahren schwer
herzkrank aus Burundi nach Innsbruck gekommen, um hier operiert zu werden.
Plötzlich war sie in einem völlig anderen
Kulturkreis, dessen Sprache sie nicht ver-
stand. Mir war es damals wichtig sicherzustellen, dass es ihr gut geht, und ich habe
öfter nach ihr gesehen. Jeanne hat das Ganze mit einer unglaublichen Kraft und viel
Charme über die Bühne gebracht.
Die SOS-Kinderdörfer achten normalerweise sehr darauf, dass die Kinder in ihrem eigenen Kulturkreis aufwachsen.
Wieso sind Sie in Österreich geblieben,
Frau Mukaruhogo?
J. M.: In Burundi wäre eine angemessene
medizinische Nachsorge nicht möglich
gewesen, deshalb zog ich nach dem Krankenhausaufenthalt ins SOS-Kinderdorf Imst.
Waren Sie manchmal eifersüchtig, weil
Sie Helmut Kutin mit so vielen anderen
SOS-Kindern teilen mussten?
J. M.: Nein! Meine Geschichte ist einmalig
und die Zeit, die wir miteinander verbrin-
gen, ebenso. So wie andere Kinder auch ihre
besondere Beziehung zu ihm haben.
H. K.: Mein größtes Problem mit ihr ist, dass
sie noch keine eigene Familie hat.
J. M.: Unser Thema bei jedem Treffen seit
zwei Jahren.
H. K.: Ich begrüße jeden Lebensweg. Wenn
ter haben das akzeptiert und anfangs wurde
sie viel abgeschoben, nach dem Motto:
„Vorsicht, die ist so nahe am Präsidenten
dran …“ Aber sie hat das durchgestanden.
Jeanne will ihre Schwierigkeiten immer allein in den Griff kriegen.
Und der Großvater ist dazu verdonnert
zuzuschauen?
H. K.: Ein Großvater hat die Möglichkeit,
sich als eine Art Medizinmann einzubringen,
wenn’s mal in der Familie kracht – und
selbst das ist schwierig in Europa. Im asiatischen und afrikanischen Familiensystem
spielt das Alter noch eine wichtige Rolle.
Doch auch dort wirken sich Urbanisierung
und Globalisierung aus. Die Welt ändert
sich, und wenn man sich nicht mit ihr ändert, wird man von ihr geändert.
sich eine junge Frau voll und ganz auf den
Beruf konzentrieren will, akzeptiere ich das.
Aber wenn jemand eine Familie gründen
will, dann sag ich immer: „Mach es bald,
anstatt auf den Traumprinz zu warten.“
Aber ich mische mich nicht mehr ein. Jedes
Mal, wenn ich was organisiert hab …
J. M.: Ja, das sagst du immer.
H. K.: Ich gehe auch nicht mehr zu Hoch-
zeiten meiner Ehemaligen, weil ich dann
auch bei der Scheidung dabei sein darf.
J. M.: Aber bei mir würdest du eine Ausnahme machen. Du hast schon öfter Ausnah-
men für mich gemacht. Zum Beispiel wolltest du auch zu keiner Uni-Abschlussfeier
mehr gehen – aber bei meiner warst du. Das
war schön.
H. K.: Da standen diese 26 Studenten feier-
lich im Kongresszentrum und am Ende hält
In Österreich
wurde 1949 in Imst das erste SOS-Kinderdorf
gegründet. Helmut Kutin, der spätere Präsident, ist selbst im Kinderdorf Imst groß geworden, so wie später Jeanne Mukaruhogo und
viele andere Jungen und Mädchen. Heute gibt
es in Österreich elf SOS-Kinderdörfer und
zahlreiche Einrichtungen und Programme zur
Unterstützung von Kindern und ihren Familien.
Foto: Robert Parigger
Sie freuen sich,
bald mehr Zeit mit­
einander zu haben:
Jeanne Mukaruhogo und
ihr Großvater, Vater
oder väterlicher
Freund Helmut Kutin.
-20ubuntu Großeltern
„Als Junge habe ich regelmäßig in der Kultstätte
meiner Oma getrommelt.“ –
„Ich hab mich nie
für Religion interessiert!“
Der priester Manoel „Papai“ de Nascimento Costa, 70,
wurde Früher für seinen glauben, den candomblé, von
der schule verwiesen. sein Enkel Rômullo Ramos de
Costa, 16, wird heute für seinen berühmten groSSvater
bewundert.
Interview Christine Wollowski Wieviel Zeit verbringt ihr beide mitei­
nander?
R. R.: Wir wohnen direkt nebeneinander,
aber sehen uns oft drei, vier Tage nicht:
Wenn ich aufstehe, ist Papai schon aus dem
Haus, und wenn ich spät abends heimkom-
me, schläft er schon. Der Rhythmus ist ein
anderer. Früher war das anders, wir haben
viel gespielt, zum Beispiel mit Murmeln …
M. P.: … und Karten, Domino … Seit ich
mehr reise, essen wir nur noch gelegentlich
zusammen Mittag.
Kommen sich Familie und Priesteramt
manchmal in die Quere?
M. P.: Nicht mehr, als die Arbeit bei an­
deren Männern auch. Ein Handelsvertreter
muss auch reisen. Meine Reisen sind eben
religiös.
Was halten Sie davon, dass katholische
Priester nicht heiraten dürfen?
M. P.: In jeder Religion gibt es eigene Ge­
setze, die man als Geistlicher respektieren
muss, aber das ist schon Quälerei. Die ka-
tholischen Priester halten sich ja nicht unbedingt daran, wie man an den Pädophilie-
Fällen sieht. Für mich ist das eine größere
Sünde, als wenn ein Priester ins Bordell
ginge.
Rômullo, was sagen deine Freunde
M. P.: Ja, aber erst, wenn sie schon tot waren.
Candomblé-Priesters bist? Viele Leute möchte ich Tierarzt werden. In meinem Al-
dazu, dass du der Enkel eines berühmten
haben ja Vorurteile gegen die afro-brasilianische Religion, im vergangenen Jahrhundert war sie sogar verboten.
Rômullo Ramos de Costa: Meine Lehrerin
hat mich mal danach gefragt, deswegen
R. R.: Ich mag Tiere sehr, am liebsten
ter ist es schwer, durchzusetzen, was man
gerne möchte! Das ist jedes Mal ein Kampf
mit meiner Mutter. Es hat ewig gedauert,
bis sie mir endlich erlaubt hat, einen Hund
zu halten. Zum Glück hat mir mein Opa
wissen alle in der Schule, wer mein Opa ist.
dabei geholfen.
meine Freunde sind offene Leute.
mehr für Fußball interessiert – und für den
Die Lehrerin fand das aber eher toll und
Manoel Papai: Das war bei mir früher an-
ders! Ich war auf einer Klosterschule und weil
ich meinen Mitschülern in der Pause von den
Göttern erzählt hab, haben mich die Mön-
che von der Schule verwiesen. Heute könnte
ich sie dafür verklagen, inzwischen gehöre
ich zum Forum gegen religiöse Intoleranz
M. P.: In deinem Alter habe ich mich
Mutter bei den Festen, aber ich habe mich
nie für Religion interessiert. Nur die Opfertiere habe ich gerne festgehalten, wenn sie
gehäutet wurden, um daraus das Essen für
die Götter zu machen.
einzulassen, keine unehrlichen Mittel zu
nutzen …
R. R.: … auch wenn sie noch so leicht zur
Hand sind!
M. P.: Genau. Und sich selbst zu respek­
tieren – damit man von anderen respektiert
wird.
nicht als Zwang. Von meinen drei Töchtern
ist eine einzige engagiert dabei, die ande-
ren erinnern sich nur an die Religion, wenn
sie etwas brauchen. (lacht)
meins, aber das Christentum auch nicht.
R. R.: Früher war ich immer mit meiner
M. P.: Ich rate ihnen, sich nicht auf Drogen
Aber ich sehe die Religion als Option an,
Wie er für die Religion einsteht, seine HalBist du auch im Candomblé aktiv, Rômullo?
Leuten heute mit?
in der Kultstätte meiner Oma getrommelt.
R. R.: Ich glaube an Gott, eine Religion
tung …
und Ratgeber. Was geben Sie den jungen
Candomblé. Ich habe als Junge regelmäßig
hier in Recife.
R. R.: Ich bewundere meinen Opa sehr.
Als religiöser Führer sind Sie Vorbild habe ich aber nicht. Der Candomblé ist nicht
Was sie von Jesus erzählen, finde ich wenig
glaubhaft.
M. P.: Das fängt schon damit an, wer das
Ganze aufgeschrieben hat! Was waren das
für Leute? Wann war das? Für mich gibt
es viele Gottheiten, die alle einen Gott repräsentieren: Olorun. Er spricht Yorubá, unsere Sprache.
In Brasilien
wird die afro-brasilianische Religion
Candomblé noch an vielen Orten zelebriert.
Bei Festen treten die Gläubigen tanzend
und trommelnd mit den Gottheiten in Verbindung. Der Priester muss die afrikanische
Sprache Yorubá sowie das Muschelorakel beherrschen und ist Mittler zwischen der gött­
lichen und der menschlichen Welt.
Foto: Luiz Santos
Manoel Papai und
Rômullo können
über alles miteinander sprechen – falls
sie sich begegnen.
Meist ist der Priester
schon außer Haus,
wenn sein Enkel morgens aufwacht.
Nicht gestellt:
Penelope Tzaki und
ihre Enkelin Niki
mögen sich einfach
sehr, sehr gerne.
-23ubuntu Großeltern
„Wir reden, lachen …“ –
„Wir umarmen uns. Wir
streiten uns nie!“
Penelope Tzaki, 82, ist immer auf der seite ihrer
Enkelin. Sie hofft, dass Niki, 14, ihre Träume verwirklichen
kann – trotz der Krise in Griechenland.
Interview Simone Kosog N. P.: Natürlich! Mein Vater hat seine Ar-
beit verloren und ein Mädchen aus unserer
Klasse ist vor kurzem am Vormittag mit
seinem Vater auf der Straße gesehen worden.
Statt in die Schule zu gehen, hat es Was­
serflaschen verkauft, um Geld zu verdienen.
Jetzt haben sich alle Eltern zusammengetan
und unterstützen die Familie, damit das
Mädchen wieder in die Schule gehen kann.
P. T.: Glücklicherweise verdient eine mei-
ner Töchter gut. Sie unterstützt die ganze
Fa­milie. Aber für die jungen Leute ist das
schon tragisch: Sie haben keine Perspektive.
Niki möchte Tierärztin werden. Ich hoffe
sehr, dass sie es schafft!
N. P.: Meine Oma wünscht mir einfach
nur immer das Beste. Neulich hatte ich eine
Diskussion mit meiner Mutter, die nicht
wollte, dass ich mit meinen Freunden an ei-
nen bestimmten Ort gehe, weil er zu gefährlich sei. Meine Großmutter dagegen fand,
dass junge Leute sich amüsieren sollen.
Wie ist der Disput ausgegangen?
An dem Abend bin ich zuhause geblieben,
aber beim nächsten Mal mitgegangen.
Was tut ihr beide sonst so, wenn ihr zusammen seid?
Frau Tzaki, wie würden Sie Ihre Enkelin beschreiben?
Penelope Tzaki: Sie ist einzigartig, schön,
einfühlsam – ich liebe sie über alles!
Niki Panikolaou: Seit ich klein bin, gehe
ich jeden Tag zu Oma, wenn meine Eltern
arbeiten. Ich kann nicht beschreiben, was
ich für sie empfinde. Sie ist warmherzig,
sozial und obwohl sie in dieser ganz anderen
Zeit aufgewachsen ist, steht sie uns jungen
Leuten nah.
Ist es leichter, Oma oder Mutter zu sein,
Frau Tsaki?
P. T.: Die Liebe ist die gleiche, aber ich sag
es mal so: Wenn mein Enkelkind etwas an-
stellt, würde ich ihm trotzdem keinen Klaps
geben. Den eigenen Kindern schon eher.
N. P.: Aber Oma, du hast doch deine Kinder
auch nicht geschlagen.
P. T.: Das stimmt! Nur ein einziges Mal
habe ich deinem Vater einen Klaps gegeben,
aber den beiden Mädchen nie. Genauso wie
meine Eltern mich nicht geschlagen haben.
N. P.: Aber du erzählst oft, dass sie viel
Foto: Simone Kosog
strenger waren.
P. T.: Oh ja! Wir zwei Schwestern durften
nie ausgehen und wenn, dann musste einer
unserer Brüder dabei sein. Um acht Uhr
hatten wir im Bett zu sein – obwohl damals
das Leben noch viel sicherer war. Man
musste keine Angst haben ausgeraubt oder
vergewaltigt zu werden.
Was war sonst noch anders?
P. T.: Wir wohnten damals schon hier, mit-
ten in Athen, aber man würde den Ort nicht
wiedererkennen: Überall waren Getreide-
felder und viele Schafe, die Häuser waren
kleiner – das war schon schön.
N. P.: Das hätte ich gerne gesehen – aber
nur als Besucherin. Ich mag mein Leben!
P. T.: Recht hast du! Das Leben ist heute
N. P.: Fernsehen …
P. T.: Wir reden, lachen …
N. P.: Wir umarmen uns … alles Mögliche!
Wir streiten uns nie!
Nie?
N. P.: Nein – wir haben keinen Grund.
P. T.: Ich bin einfach sehr dankbar und froh,
dass es uns so gut geht! Es gibt nur eine
Sache, die ich nicht verstehe: Warum liebt
ihr mich alle so?
N. P.: Ach, Oma!
so viel leichter …
Wirklich? Obwohl Griechenland aufgrund
der Finanzkrise so viele Probleme hat?
P. T.: Aber wir hatten den Krieg! Ich war
zehn Jahre alt, als Italien Griechenland den
Krieg erklärte. Falls ich nicht irgendwann
Alzheimer bekommen sollte, werde ich diesen Moment nie vergessen.
Welche Träume hatten Sie damals?
P. T.: Das war keine Zeit zum Träumen.
Ich hatte nur den einzigen Wunsch, dass es
irgendwann besser würde. Damals ging
es für uns alle ums Überleben.
Niki, wie erlebst du die Krise heute?
N. P.: Wir sprechen zuhause nicht viel
darüber. Meine Eltern und meine Großmutter versuchen, sie von mir fern zu halten.
Aber du wirst trotzdem etwas mitbekommen.
Die Krise in Griechenland
hat auch für viele Kinder und Jugendliche
gravierende Auswirkungen und betrifft längst
auch die Mittelschicht. Deshalb haben die SOSKinderdörfer ihre Familienhilfe deutlich
ausgeweitet. Sie unterstützen bedrohte Familien mit Nahrungsmitteln, Kinderbetreuung,
Hausaufgabenhilfe und Therapien.
-24ubuntu Großeltern
Die Bomben
der Gegenwart
-25ubuntu Großeltern
Lange haben sie sich mit dem zufrieden gegeben,
was Eltern und groSSeltern über den krieg
erzählten, aber jetzt Forschen plötzlich immer
mehr Kriegsenkel nach. Sie wollen wissen, was
in ihren Familien wirklich geschah – um auch ihr
eigenes Leben besser zu verstehen.
Fotos Michela Morosini Text Hubert Filser
Als die Bombe in Schwabing hochging, war der dumpfe Knall
in der Wohnung von Ute Neuberger gut zu hören. Im Minutentakt
meldeten die Nachrichtenkanäle neue Details von der Sprengung
der 250-Kilogramm-Fliegerbombe, einem Überbleibsel des Zweiten
Weltkriegs. Rund um den Sprengkrater in der Münchner Feilitzsch-
straße sah es im August 2012 aus wie im Krieg, hieß es. Im Untergrund deutscher Städte liegen noch viele Bomben. „Für mich ist das
fast wie ein Symbol“, sagt Ute Neuberger. „So eine Bombe kann je-
derzeit hochgehen. So ist das auch mit unserer Erinnerung, jeden
Moment kann die Vergangenheit wieder hochkommen, auch wenn
sie jahrzehntelang vergraben war und der Krieg längst vorbei ist.“
Ein Journalist habe einen Tag nach der Sprengung einen guten Satz
in die Zeitung geschrieben, erzählt die 55-jährige Traumatherapeutin: Wie lange reicht die Vergangenheit in die Zukunft?
Das ist genau die Frage. Beim Gespräch in ihrer hübschen Schwabinger Hinterhofwohnung erzählt Ute Neuberger Dinge, die wahr-
lich Sprengkraft haben. Von einer Mutter, die beinahe täglich ge-
sagt hat, sie „wolle in die Isar gehen“, die sich schon, als sie mit ihr
Oben: Ute Neubergers Mutter
(Mitte), ihre Tante (links)
und ihre Großmutter (rechts).
Das Foto schickten sie dem
Groß­vater zu Weihnachten in die
französische Gefangenschaft.
Links: An den Wänden ihrer Alt­
bauwohnung möchte Ute Neu­
berger keine Bilder von damals
hängen haben. Die Fotos
sind alle in ihrem Album.
schwanger war, mit Schlaftabletten habe umbringen wollen. Und
später noch einmal, als sie sich und ihre Kinder in der Küche einschloss und den Gashahn aufdrehte, um zu sterben. Und dass sie
erst jetzt begriffen habe, welche traumatischen Erfahrungen aus
Polen zu fahren, um das ehemalige Gutshaus seiner Großeltern in
haben. „Ich musste früh erwachsen werden“, sagt Ute Neuberger.
plötzlich, dass es um dieses Haus gehen könnte“, erzählt er. Nachts
dem Krieg und den Monaten danach ihre Mutter so tief verstört
Das ist ein Satz, den man von vielen der sogenannten „Kriegsenkel“
hört – Menschen der Jahrgänge 1960 bis 1975.
Wenn man also Vertreter einer Generation in ganz Deutschland
besucht hat, Menschen aus Köln, München, Rosenheim oder Bonn,
von denen man dachte, dass der Krieg weit von ihnen entfernt sei,
kann man sicher sagen: Der Krieg reicht bis ins Jahr 2012. Wenn
diese Kriegsenkel die Geschichten ihrer Eltern und Großeltern er-
zählen, spürt man den großen Ballast, der über Generationen hin-
weg weitergegeben wurde. Deren unbewältigte Traumata haben
sich ihren Weg in die Enkel-Generation gesucht. Nicht bei jedem,
und auch bei jedem anders, jede Geschichte, die der Reporter in
diesen Wochen im September 2012 hört, trägt einen sehr persönlichen Stempel.
Der Münchner Andreas Bohnenstengel, damals noch in Hamburg
wohnend, erzählt, wie er an einem Sonntagnachmittag plötzlich
den dringenden Wunsch hatte, hunderte von Kilometern bis nach
Belkow zu besuchen. „Ich träumte immer von Häusern und dachte
klingelte er die heutigen Bewohner heraus und erklärte sein Anliegen. „Sie waren sehr nett, zeigten mir zwei Stunden lang das Haus
und boten mir sogar an zu übernachten. Aber ich wollte nur wieder
zurück. Ein bisschen komisch fanden die mich wohl schon“, sagt er
noch und lacht. „Wie schlimm die Flucht und wie demütigend die
Jahre nach dem Krieg für meinen Vater waren, hat er mir nie erzählt.
Er hat immer von einem großen Abenteuer gesprochen.“ Dessen
Vater war kurz vor Kriegsende auf dem Hof gestorben, die einst wohlhabende Familie musste das Gutshaus zurücklassen und floh mit
dem Allernötigsten Richtung Schleswig-Holstein, dort kamen sie bei
Bauern in einem Schweinestall unter. Das Haus wurde zum Projektionsort einer besseren Vergangenheit. „Mein Vater hat wohl tage-
lang geheult, auch die Jahre danach waren demütigend, sie waren
als Flüchtlinge nur geduldet“, erzählt Bohnenstengel. Er versteht
nicht, warum seine Eltern ihre Erlebnisse nie zu bewältigen versuchten. „Aber das ist ihr Leben, ich muss mein Leben leben.“
-26ubuntu Großeltern
Das alte Gutshaus der
Familie Bohnenstengel in Belkow, Polen –
damals (rechts) und
heute (unten). Bei der
zweiten Fahrt in die
Vergangenheit wurde
Andreas Bohnenstengel
von Vater, Onkel, Tante
und Bruder begleitet.
Die Kriegsenkel suchen sich ihre Antworten nun selbst, Andrea Pir-
ringer aus Rosenheim hat deshalb 77 Jahre nach Ende des Krieges
im April 2012 gemeinsam mit einer Mitstreiterin eine Selbsthilfe-
gruppe gegründet. Offenbar war die Zeit auch in München reif, wie
schon an anderen Orten in Deutschland. Die erste Kriegsenkel-Ini­
tiative entstand vor drei Jahren in Berlin. Bücher über Kriegsenkel
wie die von Sabine Bode, Bettina Alberti („Seelische Trümmer“) oder
Der Münchner Andreas Bohnen­
stengel mit seinen Kindern.
Um sich selbst und ihr Leben zu
verstehen, ergründen die
Kriegsenkel die Vergangenheit.
Anne-Ev Ustorf wirkten dabei wie Katalysatoren. Oder wie Ute Neuberger sagt: „Es war wie ein brodelnder Topf, der lange gedeckelt
wurde. Jetzt bricht etwas durch.“
Die Münchner Gruppe, zu der auch Ute Neuberger gehört, ist eine der
am schnellsten wachsenden in Deutschland. „Ich hätte nicht mit so
einer Resonanz gerechnet“, sagt Andrea Pirringer. Mittlerweile sind
fassen bekamen, diese entweder schwiegen so wie schon deren Eltern, oder so kühl und abweisend waren, dass die Kriegsenkel irgendwann aufhörten zu fragen. Dabei wollten sie gar nicht die Schuldfrage klären, sondern einfach nur ihre Eltern und Großeltern besser
verstehen, auch deren Gefühlskälte.
Anne-Ev Ustorf, Jahrgang 1974, merkt in ihrem Buch „Wir Kinder
der Kriegskinder“ an: „Fälschlicherweise glauben viele Menschen,
dass nur die Kriegskinder, die alt genug waren, um sich an konkrete,
belastende Ereignisse zu erinnern, heute noch mit den Folgen des
Erlebten zu kämpfen haben. Das Gegenteil ist der Fall.“ Eine der
ersten Autoren, die das Phänomen beschrieben haben, war die Köl-
nerin Sabine Bode. In ihrem Buch „Kriegsenkel“ schreibt sie: „Die
Generation der zwischen 1960 und 1975 Geborenen hat mehr Fragen
als Antworten: Wieso haben viele das Gefühl, nicht genau zu wis-
sen, wer man ist und wohin man will? Wo liegen die Ursachen für
diese diffuse Angst vor der Zukunft? Weshalb bleiben so viele von
ihnen kinderlos?“
rund 25 Mitglieder registriert, vorwiegend Frauen, fast alle mit aka-
demischer Ausbildung. Vor allem abends und nachts organisiere
sie die Selbsthilfegruppe, suche neues Material für die Webseite,
schreibe Mails an die Mitglieder, bereite neue Treffen vor. „Das ist
wie ein Baby, das ständig schreit“, sagt sie. Eigene Kinder hat sie,
wie viele der betroffenen Frauen, nicht. „Irgendwie ergab sich das
nie“, sagt die 40-Jährige. Mag sein, dass die Linie enden soll.
Einmal pro Monat treffen sich die Mitglieder in einem Selbsthilfe-
zentrum im Münchner Westend. Im Erdgeschoss haben die Verantwortlichen den Kriegsenkeln einen hellen, freundlichen Raum zur
Verfügung gestellt. Dort reden sie dann drei Stunden miteinander,
immer sonntags, und irgendwie immer über den „langen Schatten
des Krieges“. Wie ein Bleimantel scheint er sich über die Gefühlswelt zu legen.
Ute Neuberger erzählt von ihrer Mutter, die als Neunjährige einen
Fliegerangriff auf der Flucht miterlebte. Eine Bombe traf das Fuhr-
werk, riss den Bauch eines Pferdes auf, die Gedärme quollen heraus.
Ihre vier Jahre jüngere Schwester stand hilflos schreiend auf dem
Pferdefuhrwerk, die Flieger kamen zurück. Sie selbst hatte einen
Fotos: privat
Alle scheinen darunter zu leiden, dass sie ihre Eltern nie wirklich zu
-27ubuntu Großeltern
Koffer mit Dokumenten in der Hand, ihre Mutter hatte ihr einge-
keit“, sagt Andrea Pirringer. Da störten lästige Fragen nur. Nach au-
sie und dachte, sie müsste sich entscheiden: Koffer oder Schwester.
Das Thema Krieg habe man bewältigt, indem man sich neu als gut-
bläut, niemals den Koffer loszulassen, „egal was kommt“. Da stand
„Ich dachte immer, das Trauma reiche schon aus. Bis ich vor drei
Jahren erfahren habe, dass sie noch Schlimmeres erlebt hat“, sagt
ßen zeigten die Familien meist eine perfekte bürgerliche Fassade.
situierte, ordentliche Familie definierte. Niemand bekam offenbar
mit, wie oft sich gerade die Mütter in ihren heimlichen Depressio-
Neuberger. Völlig überraschend sprach ihre damals schon leicht
nen abkapselten, wie oft sie alkoholkrank waren. Kaum jemand
wollte es heraus: „Nammering“, sagte sie, und etwas von Zwiebel-
ihren Kindern völlig entzogen, so wie sie selbst ohne Vater aufwach-
demente Mutter von Dingen, die sie noch nie erzählt hatte, offenbar
säckchen und Leichen auf der Totenwiese.
Es sind Ereignisse, die zu den dunkelsten Kapiteln der deutschen
Geschichte gehören – und die Gefühlswelt eines neunjährigen Mäd-
chens, der Mutter von Ute Neuberger, traumatisch prägten. Der
Todeszug vom KZ Buchenwald Richtung Dachau kam im April 1945
in der Nähe des Ortes vorbei, an den die Mutter geflohen war. 4.500
Leute waren damals in Viehwagons gepfercht worden, praktisch
ohne Essen und Wasser, bewacht von SS-Leuten, die zunehmend
durchdrehten. In der qualvollen Enge krepierten die ausgemergelten Häftlinge zu Hunderten. Am Ende des Zuges hing ein eigener
Wagon für die Leichen. Wer nicht vor Entkräftung starb, den richte-
ten die SS-Leute hin, der kleinste Anlass genügte. 524 Menschen verscharrten die Wachleute auf einer sumpfigen Wiese bei Namme-
ring, die heute nur Totenwiese heißt. Drei Wochen später kamen
amerikanische Soldaten, ließen die Leute aus dem Dorf antreten,
thematisierte in der Wirtschaftswunderzeit, wie oft die Väter sich
sen mussten, weil der gefallen war oder nach der Gefangenschaft als
Fremder zurückkam. „Meine Mutter hat mich als Baby zwei Monate
allein bei den Großeltern zurückgelassen, so wie sie als Fünfjährige
nach dem Krieg monatelang ohne Eltern im Heim war“, sagt Beate
Bornmüller aus Köln. Das Trauma wiederholte sich.
Und den Kindern fehlte vor allem eines: Nähe. Und sie hatten das
Gefühl, irgendwie nicht richtig dazuzugehören. „Mein Vater war
sehr kalt und hart“, erzählt auch Clarissa Höschel aus Großinzemoos
nordwestlich Münchens. „Er war der ganz große Schweiger. Auch
meine Oma war komisch. Sie schlich immer wie ein dunkler Schat-
ten durchs Haus.“ Nach dem Tod des Vaters rekonstruierte sie die
Geschichte ihres Heimatdorfs Pohlschildern in Niederschlesien.
Und erfuhr dabei, dass ihre Großmutter vom Hof vertrieben worden
war, als der Krieg verloren war und die russische Armee anrückte.
um die verwesten Leichen zu exhumieren und zwangen alle Bewohner, sich die Toten genau anzuschauen, auch die Kinder: Look, what
you have done! „So habe ich Englisch gelernt“, habe ihr die Mutter
noch gesagt, erzählt Ute Neuberger. Ein Zwiebelsäckchen gegen den
Verwesungsgeruch rissen ihr die Soldaten weg. Es ist kein Wunder,
dass die Betroffenen solche Erlebnisse tief in sich vergraben. Nur
indem sie diese abspalten und wie in einer Black Box verschließen,
können sie weiterleben, sagen Psychologen. Das Schweigen sei eine
Schutzreaktion des Körpers, doch verarbeitet werden die Traumata
so natürlich nicht.
Jeder der befragten Kriegsenkel hat so eine Geschichte zu erzählen,
und jeder musste sie fast ohne Mithilfe der Eltern herausfinden,
manchmal sogar gegen deren Willen. „Es gab ein großes Bedürfnis
Fotos: privat, Pohlschildern-Archiv
nach Sicherheit, Normalität und nach einer gewissen Anständig-
Rechts: „Die Oma war
komisch“, sagt Cla­rissa Höschel über ihre
Groß­mutter Berta. Bei
ihren Recherchen fand
sie heraus, dass
Berta Höschel schwer
traumatisiert war.
Ganz rechts: Flucht aus
Pohlschildern in Nie­
derschlesien, der Heimat
der Familie Höschel,
im improvisierten Pferdewagen.
Links: Das einzige
Bild, das von Clarissa
Höschels Opa Max
existiert. Als ihre Oma
nach Kriegsende
zurückkehrte, war er
bereits erschlagen
und notdürftig vergraben worden.
-28ubuntu Großeltern
Oben: Offenbar zwangsarisiert: der Betrieb im tschechischen Jägerndorf, den
Stefan Ochabas Großvater leitete.
Rechts: Auch im „Compass“, einem Wirtschaftsverzeichnis aus der Nazizeit,
wird die Fabrik aufgeführt – mit Erich
Ochaba als Vorstand.
Sie hatte die Bombennächte in Dresden überlebt, war voller Hoffnung danach zurückgekehrt, hatte erfahren, dass ihr Mann mit ein-
geschlagenem Schädel eilig ohne Grabstein auf dem Friedhof verscharrt worden war, ist vielleicht sogar, wie so viele Frauen, mehrfach
vergewaltigt worden. „Nacht für Nacht versteckten sich die Frauen
auf Bäumen, in Scheunen oder Erdlöchern und hörten überall die
weniger glücklichen Frauen schreien“, sagt Clarissa Höschel. Darüber geredet hätten weder ihre Großmutter, noch die Eltern. „Ich
habe überall nur Leerstellen gesammelt. Und die musste ich irgendwie füllen.“
Kriegsenkel. Mit Informationen über Vertreibung, Schuld, Verge­
über Prag nach Theresienstadt gebracht und dann in Sobibor ermor-
tionen, die die Großeltern in sich vergraben haben, an die die Eltern
gesprochenen Verurteilung zu entziehen und mit Hilfe der Aussage
wal­tigung, Überlebenswillen, Verlassenheit und Tod. Mit Informa­
nicht herankommen konnten und wollten, weil sie mit dem Wieder­
aufbau und der Sehnsucht nach Sicherheit und Wohlstand beschäftigt waren.
In vielen Geschichten der Kriegsenkel liegt der Fokus auf dem traumatischen Erleben der Großeltern und Eltern, nicht auf ihren Taten.
Der Sozialpsychologe Harald Welzer stellt in seinem Buch „Opa war
kein Nazi“ fest, dass die Enkelgeneration zwar die NS-Ideologie noch
entschiedener ablehnt als die Generation zuvor, doch ihr Blick richte
sich nur auf die Politik, nicht aber auf das eigene Privatleben. Der
eigene Opa ein Nazi und vielleicht sogar ein Mörder? Zwei Drittel
det worden war. Nach dem Krieg schaffte er es, sich der schon auseines angeblichen Zeugen reinzuwaschen. Einem verwandten An-
walt gelang es später sogar, dem Großvater über den Lastenausgleich
eine Entschädigung für das verlorene Vermögen von Jägerndorf zu
be­sorgen. Als Stefan Ochaba kürzlich bei diesem mittlerweile alten
Verwandten zuhause war und im Schrank dessen alte Uniform und
die Totenkopfabzeichen sah, sei ihm klar geworden: „Das sind ihre
Orden, das ist deren Geschichte, nicht meine.“ Nach dem Besuch
sei er zwei Tage in Schockstarre gewesen, „aber dann ist der Kloß
von mir abgefallen.“
„Viele Gruppenmitglieder haben ein schwieriges Verhältnis zu ih-
der von Welzer Befragten stellen sich ihre Großväter lieber als Opfer
ren Eltern“, sagt Pirringer. Oft wüssten die Eltern nicht einmal, dass
wollen es die wenigsten.
wieder tauchten in den Gesprächen Sätze auf, die auf ein großes
des Regimes oder sogar als Widerstandshelden vor. Wirklich wissen
Stefan Ochaba ist da eine Ausnahme. Der Kölner fand in jahrelanger
Arbeit heraus, dass sein Großvater wohl unter eigenwilligen Umständen einen zwangsarisierten Betrieb im tschechischen Jägerndorf mit 1.200 Zwangsarbeitern übernommen und geleitet hatte,
und der ehemalige jüdische Besitzer des Werks, Rudolf Eibuschitz,
sich ihre Kinder in einer Selbsthilfegruppe organisiert haben. Immer
Gefühl der Verlassenheit schließen lassen. „Ich konnte die Liebe
meiner Eltern nicht spüren“, sagen manche. Andere schildern in der
Selbsthilfegruppe zum ersten Mal die „gedrückte Stimmung“ zu-
hause. „Die Erleichterung kommt schon nach dem ersten Treffen“,
erzählt Pirringer. Oft beschreiben die Kriegsenkel, was Psychologen
Fotos: privat
Die Leere füllen, das ist wohl die verbindende Komponente der
-29ubuntu Großeltern
„emotionale Sprachlosigkeit“, „Identitätsverwirrung“ und „Bindungs-
das war die Nazi-Sprache. Die Kriegsenkel wissen, dass dies keine
gezogen seien, ein häufiges Phänomen bei Kriegsenkeln. So als ob
das erhärtete Innenleben wieder zum Fließen zu bringen.
schwierigkeiten“ nennen. Und sie erzählen beiläufig, wie oft sie umsie ihren Platz nicht finden konnten. „Sich und den eigenen Weg
finden“, sei ein großes Thema bei Kriegsenkeln, sagt Pirringer. Der
Krieg scheint diesen Weg verschüttet zu haben.
Ist also diese diffuse „gedrückte Stimmung“ das eigentliche Erbe,
setzt sich so das Leiden auch über Generationen hinweg fort? „Klas-
sischerweise werden eigene, unverarbeitete Erlebnisse der Eltern in
der Interaktion mit dem Säugling wieder lebendig – geradezu wie
Gespenster aus der Vergangenheit“, sagt der Münchner Bindungsforscher und Kinder- und Jugendpsychiater Karl-Heinz Brisch. Forscher wie der Psychologie-Professor Franz Ruppert sind von der transgenerationalen Weitergabe von Traumata überzeugt.
Die Zahl der Fälle von Depressionen und Angststörungen nimmt
auch bei den Kriegsenkeln zu. Offenbar stellen die Kriegsenkel die
zweite Welle der Betroffenen dar, nach den Kriegskindern, die Mitte
der 1990 er Jahre im Rentenalter plötzlich mit traumatischen Be-
schwerden zu kämpfen hatten, oft ausgelöst durch Bilder aus dem
Floskel ist. Sie müssen den Stahl mit viel Energie schmelzen, um
Doch nun, im Jahr 2012, ist tatsächlich viel im Fluss. Es erscheinen
immer mehr Bücher der Enkelgeneration, die in ihrer Familie öf-
fentlich aufräumt, zum Beispiel das des jungen Bremer Historikers
Moritz Pfeiffer („Mein Großvater im Krieg 1939 – 1945, Donat Verlag).
„Meine Großeltern waren zeit- und teilweise Augenzeugen, ja sogar
mit ausführendes Organ eines Vernichtungskriegs und Genozids
unvorstellbaren Ausmaßes.“ Manchmal sei die Arbeit am Buch „un­
angenehm und schmerzhaft“ gewesen, schreibt Pfeiffer. Der Großvater habe sich oft vom Enkel „hintergangen und womöglich durch-
schaut“ gefühlt, aber irgendwann seine Meinung geändert. Ein
schwieriger Prozess, an dessen Ende der Großvater über die Recher-
chen sagte: „Es ist was Wahres dran.“ Er ließ die Arbeit binden und
verteilte sie an Freunde und Verwandte.
Es ist das Schöne an dieser Reise durch Deutschland zu den dunklen
Seiten, dass sich manchmal eben doch etwas auflöst. Man hört berührende Sätze wie den von Ute Neuberger: „Am Anfang war das
Irak- oder Balkan-Krieg. Jahrzehntelang hatten sie funktioniert,
alles eine Müllhalde, aber jetzt, wo ich mich damit auseinander
nen es Therapeuten, wenn sich Menschen plötzlich wieder an frühe-
tern ein Schatten zu liegen scheint: Die Kriegsenkel kämpfen, ma-
Familien gegründet, Firmen aufgebaut. „Traumareaktivierung“ nenres Leid erinnern. Das Unterbewusstsein entzieht sich der Kontrolle,
sagen Psychologen. Der Münchner Psychotherapeut Michael Ermann
legte in der bislang größten Studie zum Thema „Kriegskindheit“ im
Jahr 2010 ernüchternde Ergebnisse vor. Rund ein Viertel der Kriegskinder zeigte sich stark eingeschränkt in der psychosozialen Lebens-
setze, ist es für mich ein Goldberg.“ Auch, wenn auf ihren Gesichchen Therapien und reden nun endlich auch über ihre Ängste. Von
ihnen kann man viel lernen. Im Unterbewusstsein liegen schließlich noch viele Bomben, die hochgehen könnten. Manche ließen
sich rechtzeitig entschärfen.
qualität, jeder Zehnte war traumatisiert oder hatte traumatische Beschwerden wie Angstzustände, Krämpfe, chronische Schmerzen.
Die Kriegsenkel scheinen die Ängste ihrer Eltern geerbt zu haben.
Obwohl sie den Krieg nicht erlebt haben, erzählen sie von Verlustund Mangelerfahrungen, berichten darüber, dass ihnen die Kind-
heit geraubt wurde. Obwohl doch eigentlich ihre Eltern als Kinder
aus der Heimat vertrieben wurden, fühlen sich auch viele Kriegs­
enkel heimatlos und entwurzelt. Andrea Pirringer hat zum Gespräch
ein Buch über „Sozialisation und Traumatisierung“ der Kinder in der
Zeit des Nationalsozialismus mitgebracht. Wichtige Stellen hat sie
mit Leuchtstift markiert. Eine Stelle liest sie vor: „Wer als Produkt
einer vermeintlich erfolgreichen Erziehung dazu gebracht wurde,
Kontakte zu eigenen Gefühlen zu unterbinden, konnte auch später,
nach dem Zusammenbruch des NS-Staates, keine Gefühle zum Beispiel der Trauer über verursachte Schäden an anderen Menschen er-
leben.“ Für sie ist damals ein Virus eingepflanzt worden, das noch
Foto: privat
heute nicht ausgerottet ist. „Hart wie Kruppstahl“ müsse man sein,
Beate Bornmüller als Baby mit ihrer
Großmutter. Ihre Mutter musste als
Kind monatelang ohne ihre Eltern aus­
kommen – nun wiederholte sich das
Trauma in der nächsten Generation.
-30ubuntu Eine Frage geht um die Welt
Wie stellst du dir
die Welt in
100 Jahren vor?
Essen aus der Tube, Ein gewaltiges
Beben, völlig neue Tierarten –
so sehen Kinder Aus Uruguay, WeiSSruSSland oder Burundi die zukunft.
Erica, 17
Abidjan, Elfenbeinküste
Die Welt wird sich vollständig
entwickelt haben. Straßen und
Häuser werden wunderschön
und alle Länder reich und unabhängig sein.
Kenthia, 10
Gitega, Burundi
Jeder hat einen Würfel, in den er
alle seine Sachen hinein tun kann.
Wenn man auf einen Knopf
drückt, wird er winzig klein und
man kann ihn überall hin mit­
nehmen. Außerdem werden wir
nur noch Solarenergie benutzen.
Paul, 10
München, Deutschland
Ich stelle mir eine Welt vor, in der
alle Kinder glücklich sind. Jedes
Kind hat einen Laptop, das Essen
kommt aus der Tube, sodass die
Eltern nicht in der Küche stehen
müssen. All ihre Zeit verbringen sie
mit den Kindern und am Wochenende besuchen wir unsere Freunde
auf anderen Planeten.
Vlad, 12
Borowljany, Weißrussland
Die ganze Welt wird Ödnis sein.
Marcelo, 9
Florida, Uruguay
Jedes Kind wird Zugang zu Bildung haben. Es gibt keine reichen
oder armen Menschen mehr, alle
werden gleich sein.
Cálido, 14
Gabú, Guinea-Bissau
In 100 Jahren geht die Welt durch
eine Menge Veränderungen. Gott
wird kommen und über die Menschen richten.
Martine, 14
Ich glaube nicht, dass es einen
Tag des jüngsten Gerichts geben
wird, aber ein gewaltiges Beben
wird die Erde erschüttern.
Arturas, 7
Vilnius, Litauen
Falls die Menschen es schaffen,
die globale Erwärmung, Kriege
und Krankheiten in den Griff zu
kriegen, wird die Erde in 100
Jahren ein friedvoller, harmonischer Ort sein.
Gaone, 14
Tlokweng, Botswana
Bukavu, Demokratische Republik Kongo
Friedlich!
Ich hoffe, dass ich dann noch
leben werde – obwohl ich glaube,
dass die Erde in 100 Jahren
aufgrund der technologischen
Entwicklung von schlechten
Menschen bevölkert sein wird.
Mbalmayo, Kamerun
Zyra, 11
Lipa, Philippinen
Die Natur wird sich aufgrund des
Klimawandels völlig verändern. Es
wird neue Pflanzen und neue Tierarten geben. Die Menschen werden Früchte essen, die wir heute
noch gar nicht kennen.
Ruslan, 15
Almaty, Kasachstan
Martine, 16
Ich glaube, dass wir weniger
Chancen haben werden und weniger Jobs. Gleichzeitig wird es mehr
Kriminalität geben und schwerwiegende Klimaveränderungen.
Enrique, 17
São Domingos, Kap Verde
Die Menschen werden glücklich
und wohl versorgt sein. Sie werden
Feindseligkeit und Ärger vergessen. Jede menschliche Seele wird
von Güte und ewiger Liebe erfüllt
sein.
Angelina, 11
Temirtau, Kasachstan
Illustration: Tania Seifert
In 100 Jahren wird sich niemand
mehr anstrengen müssen, weil
Roboter alle Arbeit erledigen. Die
Menschen können sich ausruhen
oder am Meer spazieren gehen …
-31ubuntu Preisvergleich
31
Euro kostet
die grüngeflammte
125 g-Butterdose von
Gmundner Keramik
Foto: Miriam Bloching
Quelle: www.gmundner-shop.de
*Für 31 Euro im Monat werden Sie SOS-Pate unter
www.sos-kinderdoerfer.de
-32ubuntu Großeltern
Wohin gehst du, wenn deine
Mutter im Sterben liegt
und deine Frau in den Wehen?
Einer kommt, einer geht – Das ist der Zyklus der welt.
Für unseren Autor Patrick Bierther jedoch bedeutete der Generations­
wechsel das gröSSte dilemma seines Lebens.
Text und Foto Patrick Bierther
Als meine Frau mit unserem Kind
gen setzte sie sich in den Rollstuhl, so feier-
bei ihr gesessen und gekocht. Der Stations-
Nachtruhe. Ab dem dritten Monat spürte
Der Sommer ging, der Herbst kam, der Tu-
sagt er mir: Weihnachten noch zu erleben
schwanger ging, war es vorbei mit meiner
sie Kindsbewegungen. Wenn nachts unser
Sohn in ihrem Leib randalierte, schlief sie
weiter, fing aber ihrerseits an zu strampeln.
Der Vater daneben wurde und blieb wach.
In Wahrheit war es die Erkrankung meiner
Mutter, die mir den Schlaf raubte. Im Januar hatte sie ins Krankenhaus gemusst wegen akuter Atembeschwerden; nichts Ungewöhnliches, denn sie litt seit langem an
chronisch obstruktiver Lungenerkrankung,
Raucherlunge. Seit Jahren wurde sie regelmä­
ßig untersucht. Nie war die Rede von Lun-
genkrebs gewesen, doch im Februar erhielt
sie plötzlich die Diagnose: kleinzel­liges Karzinom, schnell wachsend, voraussichtlich
stark streuend, inoperabel. Sie müssen sich
darauf einstellen, dass Sie für den Rest Ihres
Lebens viel mit Ärzten zu tun bekommen
werden, sagte der Lungenspezialist.
Und das bekam meine Mutter. Sie wurde in
eine Krebsklinik verlegt, wo umgehend eine
Chemotherapie begann. Zum behandelnden
Oberarzt in der Onkologie fasste sie Vertrauen. Er strahlte Ruhe aus und war selten um
Ideen verlegen, wie er den Zustand seiner
Patientin palliativ behandeln könnte, also
lindernd; denn Heilung war nicht möglich.
Gegen die Atemnot verschrieb er Inhala­
tionen und Krankengymnastik. Gegen die
Schmerzen kombinierte er so lange, bis der
Medikamentenmix weitgehende Schmerz-
freiheit bei klarem Bewusstsein ermöglichte. Übelkeit trat auf, er bekam sie mit Tropfen in den Griff. Als unserer Mutter die
Haare auszugehen begannen, ließ sie sich
von meinem Bruder und mir den Kopf sche-
ren. Die Perücke trug sie zu unserer großen
Verblüffung tatsächlich, an schlechten Ta-
te sie auch meinen Geburtstag mit.
mor blieb. Zwischen den Krankenhausauf-
enthalten wegen der Chemotherapie und
Bestrahlungen war unsere Mutter zu Hause.
Es zahlte sich aus, in einem Ballungsraum
mit dichtem Verkehrsnetz und guter medizinischer Versorgung zu leben. Wir konnten
sie fast täglich besuchen: meine Frau und
ich, mein Bruder und seine Frau mit den
beiden Kindern.
Meine Frau und ich wünschten uns seit Jah-
ren ein Kind. Als der Ältere fühlte ich mich
sozusagen von meinem Bruder überrundet.
Aber ich wollte das Kind nicht deswegen,
sondern um seiner selbst willen, unseret­
wegen, vielleicht um meiner Mutter willen.
Sie hatte mich sehr jung bekommen. Das
war nicht gut gewesen, die Ehe meiner El-
tern scheiterte. Meine Mutter lebte allein.
Wir waren miteinander im Reinen, auch
wenn wir fast nie über unsere Beziehung
sprachen oder etwas Intimes wie Familienplanung.
Ich wollte kein Kind, solange ich jung war.
Dann nicht, solange ich so viel arbeitete und
dann nicht, solange wir nicht zusammen
wohnten. Nun war ich 43 und alles bereit,
nur die Biologie spurte nicht. Wir beschlossen, der Natur in diesem Jahr noch ihren
Lauf zu lassen und erst bei weiter ausbleibendem Erfolg ärztlich nachhelfen zu lassen.
Zum 1. Advent ist meine Frau schwanger.
Wir bestaunen noch das Teststäbchen, da
ruft mein Bruder an, der Zustand unserer
Mutter sei kritisch: Lungenentzündung.
Ich treffe unsere Mutter im Krankenhaus
verwirrt an. Mit fiebrigen Augen berichtet
sie von wabernden Spinnweben an der
Zimmerdecke. Ihre verstorbene Mutter habe
arzt ist ernst, ungesprächig. Schließlich
und zu Hause, das ist jetzt das Ziel.
In dieser Nacht sieht meine Frau ihren
Mann erstmals weinen.
Nach der Arbeit sitzen wir abwechselnd am
Krankenbett. Die Lungenentzündung klingt
ab. Meine Mutter hat inzwischen einen aus-
gezeichneten Draht zum Personal. Sie selbst
arbeitet als Sozialpädagogin in der Psychiat-
rie. Krankenhaus ist ihr als Betrieb vertraut,
sie nimmt lebhaft Anteil am Stationsklatsch,
bei ihrer Entlassung nach Hause spürt man
Bedauern.
Heiligabend beginnt wie alle Jahre wieder.
Meine Mutter hat für meine Frau und mich
gekocht. Ihr Hobby sind aufwändige Menüs
für ihre Gäste; wir haben sie gedrängt, es
nicht zu übertreiben. Abends werden mein
Bruder und seine Familie dazustoßen. Zuvor
setze ich mich neben meine Mutter aufs
Sofa und sage ihr: Wir werden Eltern, wir
bekommen ein Baby im August. Meine Mut-
ter macht einen Satz und stößt einen Freu-
denschrei aus. Wir trinken ein Glas Champagner zusammen, auch die werdende
Mutter. Es ist eine der seltenen Gelegenhei-
ten, bei der meine Mutter und ich einander
in den Armen liegen.
An Neujahr schmelzen wir Blei. Meine Frau
gießt eine Sense.
Meine Mutter erholt sich. Sie sucht das
Pflegebett für zu Hause selbst aus. Täglich
kommt der Pflegedienst und hilft ihr, die
Thrombosestrümpfe anzuziehen. Sie hält
die Putzfrau und ihre Söhne auf Trab: Einkaufen gehen, das ist nicht ein Besuch im
Supermarkt, sondern Supermarkt plus Discounter plus Kaffeegeschäft plus Drogerie.
So wie sie es immer selbst gehalten hat.
-33ubuntu Großeltern
Mit einem Freudenschrei hatte seine Großmutter
auf die Nachricht reagiert, dass da ein Enkel
unterwegs sei. Ihr großes Ziel war es, ihn noch
kennenzulernen.
-34ubuntu Großeltern
Wenn ich unter Zeitdruck gerate, macht
die mit einer unzureichenden Sauerstoff­
immer meine Mutter und kann mich mit
muskelschwäche. Betablocker. Anti-Throm-
mich das zornig. Und meine Mutter ist noch
versorgung einhergehen. Pillen gegen Herz-
einem einzigen Satz auf die Palme bringen.
bose-Spritzen. Gegen Schmerzen: Tropfen,
Wir fahren sie zu Praxen, zu Ämtern, besu-
Tabletten, Hartkapseln, Suspension in Beu-
chen sie im Krankenhaus, debattieren die
Patientenverfügung, halten Besprechungen
teln, schließlich Opioide.
mit Ärzten, feiern Muttertag und Geburts-
vielleicht bei einer zweiten Geburt dabei
tod wissen wir nicht zu helfen.
Ein Anruf am Abend: Meine Mutter ist in der
tag. Gegen die Angst vor dem Erstickungs-
Die Chemotherapie ist abgeschlossen. Die
Strahlentherapie muss wegen heftiger Ne-
benwirkungen abgebrochen werden. Die Intervalle zwischen den Krankenhausaufent-
halten werden kürzer. Unsere Mutter magert
um 20 Kilo ab. Immerhin sind ihre Haare
nachgewachsen, raspelkurz, es steht ihr aus-
gezeichnet, sie hätte diese Frisur schon vor
Jahren wählen sollen.
Wir verschweigen den Vornamen, den wir
für unseren Sohn ausgesucht haben. Aus
Aberglauben: Wenn wir den Namen erst zur
Geburt veröffentlichen, dann hält sie allein
schon aus Neugierde durch. Meine Mutter,
schlau: Ich möchte ihm doch zur Begrüßung ein Tuch sticken mit seinem Namen
darauf, den muss ich dazu ein paar Wochen
Geburt und Sterben
sind gekoppelt: Je
runder meine Frau wird,
desto mehr magert
meine Mutter ab.
vorher wissen. Ich kann ihr nicht sagen:
Mutter, du stickst kein Tuch mehr. Ich sage
ihr auch den Namen nicht.
Ich starre auf Schwarzweißbilder von Frauenkörpern, darin zwischen Gestöber jeweils
ein dunkler Fleck. Das ist unser Kind. Das
ist der Krebs.
Einer kommt, einer geht, sagt meine Mutter. Das soll fatalistisch klingen, legt aber
einen Schatten auf unsere Elternschaft,
weil es Geburt und Sterben koppelt. Und tatsächlich: Je runder meine Frau wird, desto
mehr magert meine Mutter ab.
Sie will ihren dritten Enkel unbedingt ken-
nenlernen. Der behandelnde Oberarzt ihres
Vertrauens sagt: Wenn Sie sich das ganz fest
vornehmen, klappt es ja vielleicht noch. Ich
denke immerzu: Was, wenn sie stirbt, während meine Frau niederkommt? Kann ich
dann in den Kreißsaal und mein Bruder ans
Sterbebett? Kann ich zu meiner Mutter und
sein irgendwann?
Notaufnahme, Pneumothorax, ein Lungen-
flügel kollabiert. Meine Frau will mitkommen. Die Krankenschwestern haben alle
Hände voll zu tun, wir sitzen vor dem Stationszimmer. Im Hintergrund schreit jemand
aus Leibeskräften. Anders als meine Frau
erkenne ich nach einigen Minuten die Stimme meiner Mutter. Sie schieben ihr einen
Schlauch zwischen den Rippen durch in
die Lunge. Wie lange das dauert. Schreie,
Schreie. Ich bereue, eine Schwangere mitgenommen zu haben, die bald Wehenschmerz
aushalten müssen wird.
Infekt folgt nun auf Infekt, die Ärzte spre-
chen von Zustandsverschlechterung, sagen
aber die Kontrolluntersuchungen ab. Wozu
soll ich kontrollieren, wenn ich keine The-
rapie-Optionen habe, fragt uns der behandelnde Oberarzt des Vertrauens.
Im Krankenhaus kann unsere Mutter nicht
bleiben, allein zu Hause schon gar nicht;
wir Söhne haben keine pflegerische Ausbildung, dafür Jobs und dazu Kinder und eine
Schwangere zu betreuen. Im Hospiz aber ist
kein Platz frei. Unsere Mutter zieht in ein
Pflegeheim.
Ihre größte Leidenschaft war es, Gesellschaften zu bewirten, nun nimmt sie ihre
Mahlzeiten ein zwischen überwiegend dementen Greisen.
Ihren Geschmackssinn hat sie verloren.
Ein Arzt ist zuständig für das Heim, Herr H.
Er kommt regelmäßig vorbei, schreibt Re-
zepte und geht wieder. Meine Mutter sieht
er einmal. Dann nimmt er sich die Verord-
nung vor über den in monatelanger Arbeit
von Fachleuten austarierten Medikamentencocktail und streicht hier dies, tauscht
dort das. Die Frau ist doch völlig benommen, wenn sie das alles schluckt, soll er ge-
sagt haben. Tatsächlich war meine Mutter
bis jetzt relativ schmerzfrei und wach. Ab
jetzt ist sie völlig benommen und hat mehr
Schmerzen.
Medikamente, die meiner Mutter verschrieben wurden: Tabletten, um den Reizhusten
zu unterdrücken und den Schleim in den
Atemwegen zu lösen. Aerosole zum Inha­
lieren. Tabletten gegen Herzerkrankungen,
Gegen die Magenprobleme durch all die Medikamente: Tropfen. Gegen Erbrechen: Tabletten und Dragees.
Gegen die Todesangst: Tavor.
Ein Säugling benötigt in den ersten sechs
Monaten ausschließlich Muttermilch.
Wir Söhne suchen Rat. Kann unsere Mutter
zurück ins Krankenhaus? Nein, sie ist aus­
therapiert. Kann ihr Hausarzt kommen?
Nein, er praktiziert am anderen Ende der
Stadt. Kann ein anderer Arzt kommen, irgendeiner? Nein, das macht kaum einer, es
ist finanziell unattraktiv. Kann man Herrn
H. umstimmen? Nein. Wollen wir Herrn H.
den Kiefer brechen?
Nicht für Geld und nicht für gute Worte gibt
es ein freies Zimmer im Hospiz, aber wir
können den Ernst der Lage deutlich und einige Wartelistenplätze gut machen. Es ist
unklar, was unsere Mutter noch versteht.
Sie schläft fast die ganze Zeit, bei einem
letzten Ausflug in ihre Wohnung sogar im
Stehen, als sie den Anrufbeantworter ab­
hören will. Auch meine Frau schläft viel,
die Sommerhitze macht ihr zu schaffen, ihr
Bauch ist eine Kugel.
Wohin gehst du, wenn deine Frau in den
Wehen liegt und deine Mutter im Sterben?
Ich habe nur eine Mutter. Wir bekommen
vielleicht nur ein Kind. Bei der Geburt hilft
uns ein Profi, im Sterben sind wir allein.
Das Kind nimmt mir die Entscheidung ab.
Seit fast anderthalb Jahren rede ich mit meiner Frau jeden Tag über Krebs, über meine
Mutter, manchmal auch über unser Kind.
Wir besichtigen den Kreißsaal, treffen die
Beleghebamme. Wir gehen aus. Eines JuliAbends essen wir einen Erdbeerbecher im
Eiscafé, anschließend setze ich mich ins
Arbeitszimmer. Ich höre trippelnde Schritte
zum Bad. Rumoren. Unruhe steigt auf: Entweder waren die Erdbeeren verdorben. Oder
die Fruchtblase ist geplatzt.
Es ist die Fruchtblase, vier Wochen zu früh.
Wir rufen die Hebamme an: Entspannt euch
mal, packt die Tasche für die Klinik und
meldet euch wieder, sobald die Wehen kommen. Meine Frau legt auf, da kommt die
erste Wehe. Die Hebamme verspricht sich zu
beeilen. 25 Kilometer Ruhrgebiet zwischen
ihr und uns.
Die Wehen folgen in raschem Takt. Die
Hebamme findet keinen Parkplatz. Endlich
-35ubuntu Großeltern
kommt sie die Treppe herauf, sie untersucht
nen Anruf: Es könne jetzt schnell gehen.
vollständig geöffnet. Wenn wir ins Kranken-
Wöchnerin – wir sind schon im Hospiz.
meine Frau und sagt: Der Muttermund ist
Ich fliege nach Hause, packe Kind, Windeln,
haus wollen, dann sofort. Meine Frau sagt:
Mein Bruder sitzt am Sterbebett. Seine Frau
Ich geh’ nirgendwohin, ich will mein Kind
bringt die Kinder fort. Im Zimmer steht ein
nicht auf der Straße kriegen. Die Hebamme
heißt mich den Parkettboden mit Handtüchern bedecken.
Im Heim treffen wir meine Mutter auf ei-
ter ihr, die Hebamme vor ihr, kauern wir im
sich mit dem Kind ins Bett. Wir berichten
Meine Frau auf dem Geburtshocker, ich hin-
Schlafzimmer. Zu dritt singen wir gegen den
Wehenschmerz an. Presswehen. Die Heb-
amme lässt meine Frau nach dem Schopf
des Babys tasten. Meine Mutter hat von einem dunkelhaarigen Kind geträumt. Meine
Frau presst. Ein Schwall Fruchtwasser spült
das Baby in die Arme der Hebamme. Auf den
Tüchern liegt und schaut uns ernst und
schweigend an: ein Mensch.
Béla.
Unser Sohn, dessen Hautfarbe von Grau
nach Rosa wechselt und dessen feuchtes
Haar dunkel glänzt. Der ganz sachte atmet
und so brodelnd wie seine Großmutter, nur
dass in deren Lunge kein Fruchtwasser ist.
Der Grund, warum meine Mutter entgegen
aller Wahrscheinlichkeit noch lebt.
Wir sind glücklich in dieser Nacht zu Hause.
Leise bewegen sich
die Vorhänge, als unsere
Mutter entschwebt.
Meine Mutter und unser Sohn sind einan-
der entgegengekommen: Sie hat ihr Sterben
verlängert, er einen Monat zu früh in die
Welt gedrängt. Jetzt ist er ausgerechnet im
Sternzeichen des Krebses geboren.
Wir haben keine Windeln gekauft, kein Babyöl, keine Feuchttücher. Morgens im Drogeriemarkt lasse ich mich von einer Ver­
käuferin fernsteuern. Auf dem Rückweg
klingelt mein Telefon. Meine Mutter will
mich sprechen, irgendwas mit Herrn H. An
einer Kreuzung, umtost vom Verkehr, brülle ich ihr die Nachricht in den Hörer und
dass ich mich morgen melden werde.
Nachmittags spricht sie Glückwünsche auf
unseren Anrufbeantworter. Es ist die letzte
Aufnahme, die ich von ihrer Stimme habe.
Ich habe es eilig jetzt. Was weiß ich schon von
Foto: André Appel
Sofa, auf dem ein elf Tage altes Baby an der
den Schmerzen einer Wöchnerin; 36 Stun-
den nach der Geburt verfrachte ich Frau und
Sohn ins Auto. Mein Bruder hat einen Kindersitz besorgt, das Begrüßungsgeschenk
unserer Mutter anstelle des Namenstuchs.
nem Stuhl dämmernd an. Meine Frau legt
von vorletzter Nacht. Die Großmutter zupft
an dem winzigen Fuß ihres Enkels und lächelt versonnen. Dann sagt sie: Das hätten
wir also auch geschafft.
Wir haben uns zu spät für einen Elternkurs
entschieden. Gelesen haben wir über Säug-
lingspflege mittlerweile so viel wie über
Krebs, aber trotzdem trauen wir uns erst
nach Tagen, unserem Sohn das getrocknete
Blut und Fruchtwasser aus den Haaren zu
waschen. Er ist blond.
Das Baby entwickelt sich prächtig. Meine
Mutter verfällt. Am Tag nach unserem Besuch beginnt sie Blut zu spucken. Sie muss
als Notfall in die Klinik. Wegen der Krankenhauskeime bringe ich es nicht fertig, bei
meinen Besuchen das Neugeborene mitzunehmen.
Das Hospiz meldet ein freies Zimmer.
Meine Mutter geht auf ihre letzte Reise
ohne Gepäck. Ich werde ihr den Koffer hinterherfahren. Sie verabschiedet sich von
dem Mann, der ihr Leben so stark mitgeprägt hat in den letzten anderthalb Jahren:
Na, dann werden wir mal meinen 63. Ge-
burtstag nächsten Monat vorbereiten. Der
ehemals behandelnde Oberarzt weicht ihrem Blick aus und schweigt. Die Zimmernachbarin hievt sich aus dem Bett, drückt
meiner Mutter die Hand, weint.
Eine Metastase im Nacken drückt die Lymph-
gefäße ab. Die Lymphe staut sich im rech-
ten Arm. Meine Handvoll Mutter sieht
rechtsseitig aus wie Popeye. Ich frage, was
denn gegen das Anstauen unternommen
Mutterbrust saugt. Die Großmutter liegt
grau, bewusstlos.
Wir sitzen.
Mittags gehe ich in die Kantine, um Frika-
dellen zu holen, entschuldige mich zuvor
für die Trivialität. Die Bedienung ist um-
ständlich, es dauert 20 Minuten, bis ich zurück bin. Als ich eintrete, schauen alle mich
an, meine Frau hat das Telefon am Ohr. Sie
wollte mich gerade anrufen, ich müsse sofort zurückkehren.
Wie bei der Geburt bin ich auch beim Sterben nur Statist.
Mein Bruder und ich halten jeder eine Hand,
ich bekomme die aufgedunsene. Unsere
Mutter wirkt ruhig, manchmal schnappt
sie nach Luft. In ihrer Nase klemmt ein Sauerstoffschlauch. Die Abstände zwischen den
Schnappern werden länger. Man hört das
Blubbern des Sauerstoffs, das Schnappen
und zwischendurch das Schmatzen unseres
Sohnes.
Dann hört man nur noch das Blubbern.
Es ist ein phantastisch sonniger Sommertag, die Luft wie Seide, die Fenster stehen
offen, ganz leise bewegen sich die Vorhänge, als unsere Mutter entschwebt.
Ich stehe auf und schließe den Hahn des
Sauerstoffgeräts.
Wir sitzen.
Dann reden wir, stundenlang. Das Hospiz
gewährt uns Zeit. Wir essen am Fuße des
Totenbetts und reden über unsere Mutter
und uns und den Tod und das Leben, das
kleine Bündel Leben.
Der Tag ist nicht nur sonnig, sondern auch
warm. Jemand im Raum beginnt zu stinken.
Unser Sohn hat die Windeln voll.
werde. Der ehemals behandelnde Oberarzt
antwortet: Das soll uns jetzt nicht mehr
kümmern.
Das soll uns jetzt nicht mehr kümmern?
Meine Mutter sagt: Ich fühl’ mich heute ir-
gendwie so himmlisch. Dann verladen zwei
Träger sie in einen Krankenwagen. Im Hos-
piz haben mein Bruder und seine Familie
inzwischen das Zimmer geschmückt mit
Bildern und Blumen. Wir lassen unsere
Mutter schlafen. Sie hat es schön hier. Morgen werden wir sie alle besuchen.
Am nächsten Vormittag, ich kaufe gerade
ein auf dem Wochenmarkt, erhalte ich ei-
Patrick Bierther
lebt mit seiner Familie im Ruhrgebiet.
Der Journalist arbeitet
unter anderem für
den Informationsdienst
Wissenschaft und
Buchverlage.
-36ubuntu Infografik
Playmobil-Frauen und Männer
Die Geschlechterrollen im Kinderzimmer
Alle Playmobil-Einzelfiguren („Special“) von 2006 bis 2011
Keltischer
Krieger
Ritter mit
Doppelaxt
Kleopatra
Meerjungfrau
Urlauberin
Gräfin
Medizinmann
Expeditionstaucher
Schlossgeist
Skateboarder
Tierpflegerin
Sternchenfee
Mama mit
Babyschale
Seeräuber
Frau auf
Luftmatratze
Weihnachtsmann
Mountainbikerin
Ordensritter
Mama mit
Kinderwagen
Mongolischer
Krieger
Baby/
Schaukelpferd
Pirat Einauge
Kosakenkämpfer
Rosengärtnerin
Frau mit Welpen
Mama mit
Baby-Jogger
Papa mit Grill
Quelle: Playmobil; Infografik: Ole Häntzschel / Matthias Stolz aus dem Buch Stolz’ & Häntzschels Welt der Informationen, Droemer-Knaur-Verlag
Tierärztin
mit Hund
-37ubuntu Infografik
Drachenprinz
Pirat
PolizeiSondereinsatz
Snowboarder
DoppelaxtRitter
Indianerhäuptling
Kapuzengeist
Samurai
Klempner
Astronaut
Space-Ranger
Gladiator
Arabischer Krieger
Radarkontrolle
Feuerwehrmann
Conquistador
König
Barbarenhäuptling
Tiefseetaucher
Schwanenritter
Cowboy
Musketier
Zauberer
Totenkopfpirat
Schwertwächter
MassaiKrieger
Römischer Tribun
Eiserner
Ritter
Geisterpirat
Straßenbauarbeiter
-38ubuntu Literatur
Geschichten, wie sie nur eine
Russin erzählen kann –
Die schärfsten Gerichte der
tatarischen Küche
Text Alina Bronsky Illustration Andreas Lechner
Wir waren eine zivilisierte Familie, wir gingen gut miteinan-
der um. Ich holte Aminat oft vom Kindergarten ab, um den jungen
Leuten zu helfen, die beide viel arbeiten mussten.
Ich fragte mich, was sie früher ohne mich gemacht hatten. Ohne
meine Ratschläge, ohne meine Hilfe. Oft nahm ich Aminat zu mir
nach Hause, weil es bei uns sauberer war und sie dort alles hatte,
was sie brauchte. Sulfia mochte es aber lieber, wenn Aminat in ihrer
Wohnung blieb, und wenn Sergej mich darum bat, erfüllte ich ihm
diesen Wunsch. Dann passte ich eben in Sulfias Wohnung auf Ami-
nat auf, auch wenn das weniger praktisch war. Wir spielten, ich las
ihr vor, wir malten zusammen, ich erzählte ihr lehrreiche Geschichten aus meinem Leben und dem Leben anderer Menschen. Sie hörte
zu, aber nicht sehr aufmerksam. Irgendwann war sie mit den Gedanken woanders und begann zu summen.
Ich hielt es für meine Pflicht, Aminat zu erziehen, ihr zu sagen, was
richtig und was falsch war. Ich war nicht umsonst studierte Päda­
gogin. Bei mir schmatzte sie nicht am Tisch und griff nicht mit den
Händen in eine gemeinsame Schüssel. Ich schlug ihr schon mal ins
Gesicht oder auf die Finger, wenn sie Sachen machte, die ich aus
guten Gründen ablehnte, wie in der Nase bohren oder sich zwischen
den Beinen kratzen. Ich nannte sie Schajtan und Ischak, aber liebe-
voll: Sie wusste sowieso nicht, was das bedeutete.
Ich packte auch in Sulfias Haushalt mit an, einer musste es ja tun.
Ich räumte auf, in der Küche, im Flur, im Schlafzimmer auch. Ich
nämlich nie geschrien, sondern nur hilflos „Mutter, warum. Mut-
ter, lass das. Mutter, bitte fass diesen Schrank nicht an“ ausgestoßen. Ich ließ sie schreien. Ich fand, jeder Mensch muss einmal in
seinem Leben schreien. Nach ein paar Minuten fand ich aber auch,
dass es genug war.
Als ich also der Meinung war, es sei genug, nahm ich meinen Stiefel
in die Hand und schlug Sulfia damit ins Gesicht. Sulfia griff sich mit
der Hand an die Wange. Da sprang Aminat auf mich zu, riss an dem
Stiefel, den ich immer noch in der Hand hielt, und brüllte: „Wenn
du meiner Mama noch mal wehtust, hab ich dich nicht mehr lieb!“
Ich war verblüfft. Das Liebhaben war ein beständiges Thema in un-
serer Familie. Wir wussten jederzeit, dass wir uns alle sehr lieb hatten. Wir sagten uns das oft, vor allem Aminat und ich. Ich ließ den
Stiefel sinken. Aminat rannte aber nicht weg, sie versteckte nicht
einmal ihr Gesicht. Sie stand breitbeinig da, wie ein kleiner Bau­
arbeiter, und sah mit ihren schwarzen Augen direkt in meine.
„Was hast du gesagt?“
Und sie wiederholte langsam und deutlich:
„Wenn du Mama noch mal wehtust, dann habe ich dich nicht mehr
lieb. Überhaupt nie mehr.“
„Warum sagst du das?“
„Weil ich keine böse Oma haben will“, sagte Aminat und hüpfte auf
einem Bein davon.
saugte Staub, wischte die Böden und putzte die Toilette. Ich wollte
Bin ich eine böse Frau?
rien ihres Stiefvaters auf der Klobrille und seinen Herpesviren an
auch deswegen so ungezogen, weil sie oft treffende Sachen sagte.
nicht, dass Aminat im Dreck aufwuchs, zwischen den Darmbakte­
den benutzten Stofftaschentüchern, die er herumliegen ließ. Ich
sammelte sie auf, suchte sie zwischen den Decken und Kissen im
Ehebett zusammen, hob sie vom Boden unter der Couch auf, wusch
sie in einer Schüssel, hängte sie zum Trocknen auf, bügelte sie an-
schließend. So auch mit der ganzen anderen Wäsche, die ich fand.
Sulfia war undankbar wie immer. Sie sagte nur: „Mutter, lass das
bitte.“ Irgendwann schrie sie mich sogar an. Das war, nachdem ich
in ihrem Schrank aufgeräumt hatte, Unterhosen, Büstenhalter und
Strumpfhosen sortiert und gefaltet, die löchrigen herausgelegt
und per Hand gestopft. Ich hatte das alles gemacht, obwohl ich in
dieser Zeit lieber ferngesehen oder eine Zeitschrift gelesen hätte,
und dafür schrie sie mich jetzt so laut an, dass Aminat in der Tür
auftauchte und „Mama, spinnst du?“ fragte. Sulfia hatte bis dahin
Ich hörte genau hin, wenn Aminat etwas aussprach. Sie wirkte
Ich bekämpfte ihre Art, alles auszusprechen, was ihr in den Sinn
kam, denn es traf sehr häufig ins Schwarze, und das mochten die
Leute nicht. Aminat reagierte empfindlich auf Dummheiten und
fasste die Schönheitsfehler anderer Menschen sehr präzise in Worte. So konnte es natürlich nicht weitergehen, und ich arbeitete hart
mit ihr. Aber ich hörte trotzdem genau hin, wenn sie etwas sagte.
An diesem Tag, an dem Aminat sagte, dass sie mich nicht mehr lieb
haben würde, zog ich mir den Stiefel wortlos wieder an und verließ
die Wohnung meiner Tochter Sulfia ohne einen Abschiedsgruß.
Ich fuhr mit dem Trolleybus nach Hause. Dabei hatte ich die ganze
Zeit Aminats Stimmchen im Ohr: „Ich will keine böse Oma haben.
Ich will keine böse Oma haben.“ War ich eine böse Oma? Ich be-
trachtete mein Spiegelbild in der schmutzigen Fensterscheibe des
-39ubuntu Literatur
Trolleybusses. Sah so eine böse Oma aus?
Anfangsjahre benutzend. „Unter dir leidet … leidet niemand. Du bist
blank geputzten Standspiegel. Ich sah überhaupt nicht wie eine
„Auch zu Sulfia?“
Zu Hause betrachtete ich mich eingehend, diesmal in meinem
Oma aus. Ich sah gut aus. Ich war eine schöne Frau und noch nicht
alt. Man sah mir an, dass ich Kraft hatte und intelligent war. Ich
musste mein Gesicht oft verschließen, damit andere Menschen
meine Ideen nicht lesen und stehlen konnten.
Ich ging in die Küche, wo mein Mann gerade Gemüseragout aß,
und fragte ihn, ob ich eine böse Frau war.
Er verschluckte sich und begann zu husten. Ich wartete geduldig. Er
hustete noch mehr. Seine runden Augen wurden starr vor Schreck.
Ich wartete. Er hustete weiter, ich klopfte ihm auf den Rücken.
„Und“, bohrte ich, „bin ich eine böse Frau?“
Er spießte ein Stück Aubergine auf seine Gabel. Ich entriss sie ihm,
bevor er den Mund erneut voll hatte.
„Bin ich eine böse Frau?“
Er sah auf den Boden. Seine dichten schwarzen Wimpern, die ich
einmal so geliebt hatte, flatterten wie bei einem jungen Mädchen.
Mir wurde warm ums Herz: Ich erinnerte mich an die Hungerjahre
meiner Jugend. Schade, dass Sulfia diese Wimpern nicht geerbt hat,
dachte ich. Aber gut, dass zumindest Aminat sie hatte.
„Also“, fragte ich, „bin ich eine böse Frau?“
„Aber wie kommst du denn darauf, Liebchen“, stammelte mein
Mann. „Du bist ganz, ganz wunderbar. Du bist die Beste. Du bist so
klug … Und so schön … Und du kochst so gut!“
„Aber das sagt doch gar nichts darüber aus, ob ich böse bin oder
nicht“, beharrte ich. „Ich kann eine tolle Köchin sein, und trotzdem
leiden alle unter mir.“
„Nein, mein Eichhörnchen“, sagte mein Mann, ein Kosewort unserer
so gut zu uns allen.“
„Sulfia …“ Mein Mann dachte nach. Ich wartete. „Sulfia“, sagte mein
Mann, „ist doch deine einzige Tochter. Du wolltest immer nur ihr
Bestes.“
„Das will ich immer noch.“
„Ja. Ich weiß.“
„Und denkst du, Sulfia weiß es auch?“
„Bestimmt. Also früher wusste sie es vielleicht nicht. Das ist ganz
normal bei einem Kind, dass es seine Eltern nicht zu schätzen
weiß. Aber jetzt ist sie groß, und ich glaube, jetzt ahnt sie, wie sehr
du sie liebst.“
Ich hörte aufmerksam zu. Ich war überrascht, dass mein Mann sich
so viele Gedanken gemacht hatte. „Bist du sicher?“ fragte ich. Mein
Mann wandte sich ab, stocherte in seinem Ragout und schielte
vorsichtig zu mir rüber, als hätte er Angst, dass ich ihm gleich sein
Essen wegnehmen würde. „Ganz, ganz sicher “, sagte er. „Du bist
meine Beste, meine Schönste … und du hast so ein gutes Herz.“
Wenn mein Mann das so sah, dachte ich, dann konnte es auch Aminat nicht entgangen sein. Dann konnte sie ihre Worte nicht ernst
gemeint haben. Dann war sie einfach nur frech.
Fünf Tage später kam ich nach Hause und fand einen Brief meines
Mannes auf der Fensterbank. In dem Brief stand, dass er eine andere
Frau liebte und ab jetzt mit ihr zusammenleben wollte. Er dankte
mir für die gemeinsamen Jahre und bat mich herzlich, ihn in Ruhe
zu lassen. Mehr stand nicht drin.
Es soll Frauen geben, die bei einer solchen Nachricht in Tränen
ausbrechen. Ihnen knicken die Beine ein, und dann lassen sie sich
-40ubuntu Literatur
Frau. Das war kein glänzender Status. Ich musste damit leben, dass
man mich schief ansah. Aber alles andere lag, mit Gottes Hilfe, in
meiner eigenen Hand. Mein Mann war feige: Er überließ es mir, die
Nachricht seiner Tochter und seiner Enkelin zu überbringen.
Ich beschloss, mir meinen Mangel an Kummer nicht anmerken zu
lassen. Ich fuhr zu Sulfia. Ich fand, das Ereignis zwang jetzt alle
dazu, frühere Unstimmigkeiten und den Gebrauch der Stiefel und
böser Worte zu vergessen. Bevor ich wegfuhr, ließ ich einen Brief
für Kalganow auf der Fensterbank. „Wir sollten zivilisiert miteinan-
der umgehen. Ich wünsche dir alles Gute, auch für die Gesundheit.
Bitte lass mir deine neue Telefonnummer da, damit alles beisammen
ist. Deine Rosa.“
Ich wusste, dass er noch mal vorbeikommen würde, um seine Sachen
abzuholen, und einen Moment abpassen würde, in dem ich nicht da
war. Wenn er mir schon in besseren Zeiten immer aus dem Weg gegangen war, würde er ausgerechnet jetzt kaum eine Begegnung
riskieren. Ich fuhr abends mit dem Trolleybus zu Sulfia. Sie öffnete
die Tür, ihr Gesicht war müde und abgewandt.
„Mutter? Komm rein.“
Ich hatte den Lippenstift weggelassen, mir nur ein wenig die Wan-
gen und die Stirn gepudert. Ich hatte meine einfachsten Kleider
auf die Küchenfliesen mit Schachbrettmuster sinken, und andere
Angehörige müssen große Schritte über sie machen, wenn sie zum
Kühlschrank wollen. So eine war ich nicht.
Ich kochte mir als Erstes einen Tee, und zwar nach allen Regeln der
Kunst. Ich wärmte die Kanne vor und übergoss die Teeblätter mit
kochend heißem Wasser. Wenn ich irgendetwas hasste, dann
schlecht gemachten, minderwertigen Tee. Ich trank meinen her­
vorragenden Tee mit kleinen Schlucken, aß selbst gekochte Stachelbeermarmelade und dachte nach.
Ich stellte mir vor, wie ich zur Tür reinkam und keiner da war, der
gerade in der Küche schmatzte. Der meine Nerven damit strapazierte, dass er mein vorbereitetes Essen kalt verzehrte, weil er nicht in
der Lage gewesen war, es aufzuwärmen. Überhaupt das Essen: Ich
könnte das Kochen jetzt fast komplett lassen. Ich würde mir morgens einen Haferbrei kochen und abends einen Salat machen. Wie
viel Zeit ich mir damit sparen könnte! In dieser Zeit könnte ich
lesen, fernsehen oder Gymnastikübungen machen.
Ich überlegte weiter. Ich würde mit niemandem sprechen müssen,
wenn ich von der Arbeit heimkam. Ich begann zu zählen, wie viele
Hemden ich pro Woche nicht mehr waschen und bügeln müsste,
Socken, Hosen, Unterhosen.
Einkaufen! Ich würde kaum noch schwere Einkaufstüten schleppen
müssen, weil ich jetzt viel weniger Lebensmittel brauchte. Ich wür-
de nicht mehr so viel Dreck wegräumen, denn ich machte keinen
Dreck. Ich könnte mit Gott reden, so viel ich wollte. Ich würde mich
viel weniger aufregen, weil niemand mehr da war, über den ich
angezogen, die ich sonst trug, wenn ich zu unserem Garten auf dem
Land fuhr. Nur die Stiefel mit den Absätzen behielt ich an.
„Alles in Ordnung?“ fragte Sulfia, nachdem sie mir endlich ins
Gesicht gesehen hatte.
„Weißt du es noch nicht?“
„Ist was mit dem Papa?“
„Das kann man wohl sagen“, sagte ich. Jetzt war sie erschrocken.
„Was ist passiert?“
„Dein Vater hat mich verlassen.“ Sie lehnte sich gegen die Wand.
Ihre Gesichtszüge entgleisten. „Was?“ fragte sie. „Was hast du gesagt?“
„DEIN VATER HAT MICH VERLASSEN.“
„Nein … Er? … Dich? … Nein.“
„Doch“, flüsterte ich. Sulfia sank vor mir auf die Knie und versuchte,
meinen Blick von unten einzufangen. „Mama“, sagte sie flehend,
„Mama, nicht!“ Sie dachte wohl, dass ich weine. Ich bedeckte mein
Gesicht mit den Händen, um sie in diesem Glauben zu lassen. Sulfia
stand schnell auf und legte ihre Hände auf meine, und ich zuckte
zusammen: Es war lange her, dass wir uns das letzte Mal berührt
hatten. „Mama“, bat sie mich hilflos. „Bitte, Mama, nicht traurig
sein.“
„Lass mich!“ sagte ich. Sulfias Lippen begannen zu zittern, als wäre
sie verlassen worden und nicht ich. „Es ist niemand gestorben“,
sagte ich für den Fall, dass sie es missverstanden hatte. „Wäre es dir
lieber, er wäre gestorben?“ Ich dachte nach. „Ja, das wäre vielleicht
sogar noch besser gewesen.“ Sulfia stellte keine Fragen mehr.
mich ständig aufregen müsste. Und ich könnte mich mit Männern
treffen. Neuen, jüngeren Männern, die Komplimente machten
und am Morgen wieder weggingen, nach Hause zu Mama oder zur
Freundin, mir doch egal. Die mir wieder das Gefühl gaben, eine
Frau zu sein. Denn ich muss gestehen, ich mochte es längst nicht
mehr, wenn Kalganow mich anfasste. Wenn er im Schlaf versehentlich mein Bein streifte, zuckte ich angewidert zurück. Absichtlich
machte er das alles ja längst nicht mehr.
Natürlich hatte dieser Brief auf der Fensterbank nicht nur Vorteile.
Im Leben gab es bekanntlich nichts geschenkt. Für meine Freiheit
musste ich zahlen. Zum Beispiel war ich ab jetzt eine verlassene
Aus: Alina Bronsky „Die schärfsten Gerichte
der tatarischen Küche“
© 2010, 2012 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
320 Seiten, Paperback, 8,99 Euro
-41ubuntu Ansichten
Meine Welt von Morgen
Christopher Daum (17) hat einen exakten Plan von der Stadt der
Zukunft.„Sie soll ausgewogen sein, es muss genügend Schulen, Biblio-
theken, Grünflächen, Radwege und Elektroautos geben. Alles muss gut
erreichbar sein.“ Seit zehn Jahren zeichnet Christopher Stadtpläne, die
so reich an Details sind, dass einem fast die Augen flirren. An „Kabo-
City“, seiner ersten Phantasie-Stadt, hat er vier Jahre lang gezeichnet. Da
fehlen weder Straßennamen noch Schallschutzwände oder Bäumchen
auf den Mittelstreifen der Boulevards.
An seinem aktuellen Plan musste er gerade eine Änderung vornehmen,
als er feststellte, dass eine Stadtbahnlinie am Bahnhof vorbeiführte statt
Foto: Paul Hahn
mit einer anderen Linie ein Kreuz zu bilden. Mit seinem Radiergummi
und ein paar feinen Bleistiftstrichen konnte er das korrigieren – und die
aufgebrachten Fahrgäste wieder beruhigen.
-42ubuntu Essay
„Verdammter
Zwang zur
Neutralität“
Das Wohl der Kinder
auch in Bürgerkriegszeiten jederzeit im
Auge zu behalten –
das ist die anspruchsvolle Aufgabe der
SOS-Mit­arbeiter in
Syrien.
Wo wir uns engagieren, tun wir das dauer-
haft, langfristig und nachhaltig. Wir waren
bereits seit Jahren in Somalia, als der Krieg
ausbrach. Auch im Sudan waren wir lange,
als es zu den ersten Kämpfen kam. Ebenso
wie in Jugoslawien, ehe es zerbrach. Oder
Bislang haben die SOS-Kinderdörfer in sol-
In diesen Ländern waren die Kollegen vor Ort
Leadership und außergewöhnliches Gefühl
bevor der Genozid in Ruanda einsetzte.
meist ein Spiegelbild des Landes – zusam-
mengewürfelt aus verschiedenen ethnischen
Vorstand
SOS-Kinderdörfer weltweit
Bürgerkriege führen Hilfsorganisa-
tionen regelmäßig an ihre Grenzen. Das
zeigt derzeit wieder der Konflikt in Syrien.
Menschen leben zwischen Terror und
Bombenhagel. Vor allem die Kinder leiden.
Gruppen. Sie arbeiteten stets gut zusam-
men, taten gewissenhaft ihre Arbeit. Bis der
Bürgerkrieg ausbrach und erste Tote unter
den Angehörigen der Mitarbeiter zu beklagen waren.
Die Mitarbeiter stehen dann oft paralysiert
vor einer grausamen Zerreißprobe. Fahre
ich mit der Arbeit fort? Setze ich mich weiter
ein für Kinder, Arme, Geschundene? Tue ich
Es besteht dringender Handlungsbedarf.
das an der Seite des Kollegen, dessen Stammes-/ Religions-/ Volksangehörige den Tod
Fronten, wenn man helfen will.
ben? Oder zerfrisst mich der Hass? Schaffe
Doch wie leicht gerät man zwischen die
Viele Organisationen mussten das schmerzlich spüren. Auch die SOS-Kinderdörfer
haben in vielen Jahren der Hilfe in Krisengebieten Kolleginnen und Kollegen verloren.
Allein in Somalia starben mehrere SOS-Mitarbeiter. Niemals waren die Kollegen oder
die Organisation das Ziel der tödlichen Geschosse. Aber auch verirrte Granaten und
Querschläger können Leben auslöschen.
Umso wichtiger ist es, strikt neutral zu blei-
ben, keiner Seite den Vorzug zu geben, mit
ihr zu sympathisieren. Das ist einfacher,
wenn man später zum Konflikt hinzukommt
und Hilfe erst anbietet, wenn der Krieg die
ersten Opfer fordert. Doch die SOS-Kinderdörfer sind keine reisende Hilfsorganisation.
eines meiner Angehörigen verschuldet ha-
ich es, das Ziel der Organisation über meine
persönlichen Empfindungen zu stellen?
Unsere Kollegen in Syrien stecken derzeit
in diesem schrecklichen Dilemma. Sie stammen aus den verschiedenen Bevölkerungs-
schichten Syriens. Aus der Schicht der regie-
renden Alawiten ebenso wie aus der Schicht
der meist armen Sunniten. Die Arbeit
schweißte sie über Jahre zusammen. Nun
für die prekäre Situation gerettet. Meist
waren ein oder mehrere starke Mitarbeiter
im Führungsgremium, die weder nach links
noch rechts sahen, sondern rigoros ihren
Job machten – zugunsten der Kinder und Familien. Natürlich verließen einige Mitar-
beiter ihre Posten. Doch die Mehrheit blieb,
wenn sie dieses starke Vorbild hatte.
Und es war stets auch behilflich, dass wir
eine große, erfahrene Organisation sind.
Die übergeordnete, neutrale Ebene gibt den
Kollegen vor Ort Halt und Hilfestellung in
Krisensituationen und kann auch Führungsaufgaben übernehmen, wenn es nötig ist.
So wirkt der verdammte Zwang zur Neu­
tralität erst paralysierend, dann aber dynamisierend. Die SOS-Kollegen in Syrien
haben sich „zusammengerauft“. Sie diskutieren fast täglich die Situation. Aber sie
haben sich entschlossen, jetzt erst recht all
ihre Kraft gemeinsam in ihre Arbeit, die
Hilfe von Schwachen, Armen, Vertriebenen,
zu legen.
herrscht Krieg. Menschen werden vertrie-
ben, leiden Not, sterben. Kann man noch
neutral bleiben, wenn Verwandte bedroht,
gefoltert oder getötet wurden? Muss ich
meinen Kollegen jetzt hassen, weil er der
„anderen“ Bevölkerungsgruppe angehört?
Kann ich ihn nicht hassen?
Und für die Organisation stellt sich die Frage:
Wie verhindert man ein Vakuum, in dem
alle ihren Platz verlassen und die Organisation nicht mehr funktioniert?
SOS-Kinderdörfer in Syrien
Seit über 30 Jahren ist SOS in Syrien aktiv.
Zwei SOS-Kinderdörfer, Jugendeinrichtungen
und Sozialprogramme bilden ein stabiles
Netzwerk, um Nothilfe zu leisten. Nachdem das
SOS-Kinderdorf Aleppo aufgrund der Gefechte
evakuiert werden musste, leben nun sämtliche Jungen und Mädchen im SOS-Kinderdorf
Damaskus.
www.sos-kinderdoerfer.de
Fotos: Andreas Friedle, Carole Alfarah
Essay: Dr. Wilfried Vyslozil
chen Situationen eine sehr entschlossene
Der Informationsdienst
der kinderzeit-Redaktion
per E-Mail – jeden
Donnerstag neu.
Fachliches und Inspirierendes aus
dem Kita-Leben
Sie erhalten Woche für Woche kostenlos
eine kompakte Mischung aus Beiträgen
der kinderzeit-Redaktion, aktuellen
Informationen rund um Pädagogik und
das Thema Kindererziehung im öffentlichen Raum. Der kinderzeit-Newsletter
berichtet unter anderem vom Alltag in
Kindergärten, über spielerisches Lernen,
Betreuung, Gesundheit und Bewegung
sowie über Grundschulthematiken ...
und ein bisschen Klatsch und Tratsch
darf auch nicht fehlen.
www.kinderzeit.de/
newsletterbestellung
-44ubuntu Reportage
Einzigartig, schön
und fordernd: Als
Kind muss man sich
in Islands Natur
seinen Platz erst
einmal erobern.
-45ubuntu Reportage
Die Insel der
glücklichen
Kinder
In island sind Kinder kein gesellschaftliches Accessoire,
sondern eine Selbstverständlicheit. Das tut ihnen sichtbar gut.
Fotos Thomas Linkel Text Susanne Frömel
-46ubuntu Reportage
Moderne Einrichtung, moderne
Ansichten: Milchbauer Einar Haraldsson
(Dritter von links) findet es okay,
wenn seine Kinder später einen anderen Beruf ergreifen.
Es gibt so Witze, die man machen
blickt zum Himmel und lächelt, bis sich auf
Das Klima dörrt die Insel aus. Hier und dort
land reist. „Nur ein Vulkanausbruch kann
wird ganz schnell vorbei gehen, du wirst
den Boden auf und entzieht ihm die letzte
kann, wenn man zum ersten Mal nach Ismich hindern, rechtzeitig zu deinem Ge-
burtstag wieder da zu sein“, rief ich noch
meiner Schwester zu, bevor es losging. Und
prompt passiert es, während man gemütlich seine Taschen in dieser hellen Sommer-
nacht auspackt und in die wilde Natur
schaut, dass hinten am Horizont über dem
Kegel des Grimsvötn eine gigantische Säule
aus verdampfendem Wasser hochsteigt und
am nächsten Tag der Himmel schwefelgelb
voll pulverfeiner Asche hängt, als hätte je-
mand das Höllentor aufgestoßen und vergessen, hinter sich zuzusperren. Sogar die
Schafe sind plötzlich gelb und die Stiefel
hinterlassen auf den Straßen Abdrücke wie
ihren Wangen tiefe Grübchen bilden. „Das
schon sehen.“ Es ist schleierhaft, wie jemand so früh am Morgen so gute Laune
haben kann. Noch seltsamer ist aber, dass
ihr 16-jähriger Sohn jetzt aus dem Haus
gefedert kommt und in die Hände klatscht.
Es ist halb acht Uhr an einem Samstag.
Jeder andere Teenie der Welt würde um
Vielleicht ist es so, dass
man zusammenhält,
wenn die Natur das von
einem fordert.
bei der Mondlandung.
Nicht, dass so ein bisschen Asche einem
diese Zeit noch grunzend im Bett liegen. Ar-
rechtzeitig zu Schwesters Geburtstag heim-
zug, obwohl der Wind den Herbst schon
fliegen könnte, allerdings schon. „Nein,
das geht natürlich nicht“, sagt Lilja Bödvarsdottir, während sie den Staub von ihrer
Türschwelle fegt. „Zu Familienfeiern muss
man kommen, das ist sehr wichtig.“ Sie
Lebenskraft. Darum treffen sich heute ein
paar Jungs aus dem Fußballclub und eini-
ge Väter, um Baumsetzlinge zu pflanzen.
Nicht ein paar Bäumchen, sondern 100.000
Stück.
Der Wagen biegt in einen Feldweg ein, hinter sich eine riesige Schleppe aus Staub. Die
anderen Jungs sind schon da. Arnar schnallt
sich einen Gärtnergürtel mit verschiedenen Fächern um die Hüften, der Gurt ist
zu lang und rutscht um seinen schmalen
Jungenkörper. Dann geht es los. Einer bohrt
ein Loch in den Boden, der andere setzt
den Setzling ein. Und weiter. Bald stehen
auf dem Gelände, das nur mit ein paar tro-
ckenen Halmen bewachsen ist, die ersten
Isländer die Laune verderben könnte.
Die Tatsache, dass man vielleicht nicht
wird die Tundra zur Wüste. Erosion bricht
nar trägt nur einen dünnen Trainingsan-
ankündigt, und lächelt. Er hat die gleichen
Grübchen wie seine Mutter und den wa-
chen Blick seines Vaters. Aber wahrscheinlich sieht man so aus, wenn man sein Land
retten will.
Bäumchen.
Vielleicht ist es so, dass man zusammen-
hält, wenn die Natur es von einem fordert.
Harte, lange Winter und schwierige Lebensbedingungen haben den Isländern einen
unverstellbaren Sinn für das Wesentliche
gegeben: Familie, Zusammenhalt, Probleme zu lösen, sobald sie da sind. So haben
sie die Jahrtausende überlebt, so haben sie
-47ubuntu Reportage
Mitte: Robust, wetterhart und
so eigen wie ihr Land sind die
Islandpferde.
Rechts: 100.000 Setzlinge pflanzen die Jugendfußballer und ihre
Väter. Gemeinsam übernehmen
sie so Verantwortung für ihr Land.
die Wirtschaftskrise überstanden, so sind
sie zu einem der kinder- und familien-
freundlichsten Länder der Welt geworden.
Im Schnitt bekommen die Frauen zwei Kin-
der, und das, obwohl die Erwerbsquote
beim weiblichen Geschlecht bei 82 Prozent
liegt. Beides sind europäische Spitzenwerte. Auch bei der Elternzeit liegt Island vor-
ne: Rund 89 Prozent der isländischen Väter
„Die Art, wie wir
miteinander umgehen,
ist einfach wärmer.
Vielleicht ist das der
isländische Weg.“
die Diskussion um Raben-Elternschaft aus-
denplan steht neben den üblichen Fächern
de Elternteile einer Arbeit nachgehen und
den Kindern auch beigebracht, wie man ver-
schließt. Auf Island ist es normal, dass bei-
trotzdem Kinder bekommen. Dass das ge-
lingt, liegt vielleicht auch am Schulsystem.
Die Schule, die Arnar und seine jüngeren
Brüder Dagur und Dadi besuchen, heißt
Flóaskóli und liegt in der Nähe von Selfoss.
Es ist eine ganz normale Schule, zumindest
für isländische Verhältnisse, aber wenn
man sie mit deutschen Augen betrachtet,
muss man fast ein paar Tränen des Neides
wegblinzeln.
Im Eingangsbereich ist in einem Mosaik das
Motto der Schule eingelassen: Kopf, Herz,
Hand. 18 Schüler pro Klasse, dazu eine Leh-
rerin und eine Hilfslehrerin. Auf dem Stun-
ländische Weg. Manchmal denke ich, dass
es gar nicht so lange her ist, seit wir aus
unseren Torfhäusern gekommen sind. Da-
mals herrschte ein inniges Zusammenspiel
der Generationen und vielleicht ist unser
respektvoller Umgang miteinander ein
Überbleibsel davon.“
Dazu gehört ein hohes Maß an Sozialkompetenz. An der Flóaskóli gibt es einen Jun-
nehmen drei oder mehr Monate in An-
spruch. Es hat sich ein Modell etabliert, das
ist einfach wärmer. Vielleicht ist das der is-
auch Tischlern, Nähen und Kochen. Da wird
nünftig einkauft, die Waschmaschine und
den Trockner bedient. Die Räume sind mit
modernstem Equipment ausgestattet und
sauber. Ein angenehmes Lernumfeld ist
wichtig, findet man hier.
„Kochen und waschen – das klingt vielleicht ungewöhnlich, aber was soll man
den Kindern denn sonst beibringen, als
Dinge, die ihnen wirklich beim Leben helfen?“, fragt Kristin Sigurdardottir, die Rektorin der Schule. Sie ist jetzt 40 und hat in
New Haven, Connecticut studiert, bis das
Heimweh sie wieder zurück getrieben hat.
„Die Art, wie wir miteinander umgehen,
gen, der drei andere Schüler drangsaliert
und bedroht. Kristin Sigurdardottir arbeitet
jetzt mit den Eltern des Jungen zusammen,
ein Psychologe besucht die Familie regel-
mäßig. „Wir erinnern die Eltern an ihre
Verantwortung und helfen, familieninterne Schwierigkeiten zu klären. Das ist unse-
re Pflicht als Gemeinschaft.“ Für gewöhn-
lich gibt es an der Flóaskóli keine Probleme.
Das sieht man auch oben im ersten Stock.
Dort sitzen ein paar Schüler der neunten
Klasse auf einer großen Sofaecke, Jungs
und Mädchen, Arm in Arm, die Beine aus-
gestreckt und verflochten wie bei einem
Teppichgewebe. Das ist jetzt aber inszeniert, oder? Kristin Sigurdardottir lächelt
entschuldigend. „So ist es nicht bei allen.
Aber diese Klasse … die lieben sich einfach.“
-48ubuntu Reportage
Alte Bekannte: Dagur
und das Kälbchen sind
beide hier auf dem
Bauernhof aufgewachsen. Rechts: Mit ihrer
Pflanzaktion wollen
sie die Erosion stoppen – Land retten.
-49ubuntu Reportage
-50ubuntu Reportage
Es ist die Klasse, in die auch Arnar geht.
Kind weckt mal der eine, mal der andere.
tenrate langsam, denn die Kinder werden
licher und lebenswichtiger Bestandteil der
sagt Tumi. „Es ist nicht der einfache Weg,
ge gebraucht, aber sie ist immer noch hö-
Dass Kinder auf Island ein selbstverständ­
Ge­sellschaft sind, bekommt man überall
zu spüren. In Restaurants regt sich nie-
mand auf, wenn es mal etwas lauter wird,
in Wohnsiedlungen wird selbstverständlich Schritt­tempo gefahren. Und sogar in
den Außenbezirken Reykjaviks schlängeln
sich zwi­schen den Häusern Reitwege, auf
denen Jugendliche mit ihren Islandpferden
Patchwork wird nicht als Problem gesehen,
aber allgemein sehen wir darin immer eine
Chance. Wie kann man bei Kindern nicht
positiv sein?“
Er hat eine Theorie. „In einer Gesellschaft
gibt es vier Entwicklungsstadien“, sagt
Tumi Kolbeinsson. „Die vierte Stufe findet
sich ungefähr zur Zeit der Industrialisie-
galoppieren. In einer dieser Siedlungen woh­
nen Tumi Kolbeinsson und Bjartey Sigurdardottir.
Wenn man Tumi Kolbeinsson fragt, wie­
viele Kinder er hat, sagt er: Vier. Das Ganze
ist ein bisschen kompliziert. Zwei davon
sind seine eigenen, zwei sind Beutekinder,
die seine jetzige Frau mit in die Ehe ge-
„Wir müssen begreifen,
dass sich in Patch­work-Familien nicht alle
gleich lieben.“
rung. Damals hatten die Leute viele Kinder,
male Familie. Aber in Europa ein so großes
Immerhin blieben zwei oder drei übrig, die
Hotelzimmer zu bekommen, ist fast un-
möglich.“ Morgens weckt er seine Tochter,
Bjartey weckt ihre Söhne, „so ist die Aufmerksamkeit gut verteilt.“ Das gemeinsame
Unten: Die Beine verwoben
und in intensivem Gespräch:
Die 9. Klasse an der Schule
Flóaskóli. „Die lieben sich
einfach“, sagt ihre Lehrerin.
ten,
der
ersten
Stufe
sagt
sich
die
Gesellschaft: Ich brauche kein Kind, aber
ich möchte eines, weil es so Spaß macht.
Ziemlich egoistisch, wenn man es genau
betrachtet.“
„Wir Deutschen befinden uns in Stufe
Eins?“
immer noch in Stufe Zwei. Das ist der Un-
terschied. Für uns sind Kinder noch etwas
Selbstverständliches, kein gesellschaftliches
Accessoire. Das ist etwas sehr Positives.“
2011 haben vier der amtierenden Minister
des Landes in Patchwork-Familien gelebt.
Das System Patchwork ist auf Island vollkommen akzeptiert, obwohl es natürlich
sagt. Es ist kompliziert und einfach zu-
gleich. „Auf Island sind wir eine ganz nor-
her, als tatsächlich nötig wäre. In der letz-
„Richtig. Und wir Isländer befinden uns
bracht hat und denen er kein Stiefvater ist,
sondern ein Bonusvater, wie man auf Island
nicht mehr so dringend für die Altersvorsor-
aber natürlich sind auch viele gestorben.
sich dann um die Alten kümmern konnten.
In der dritten Stufe sinkt die Kindersterblichkeit, aber die Geburtenrate bleibt hoch.
In der zweiten Stufe dann sinkt die Gebur-
nicht immer problemlos abläuft.
„Wir müssen begreifen, dass sich in einer
Stieffamilie nicht alle gleich intensiv lieben“, sagt Valgerdur Halldorsdottir. „Wenn
das gelingt, ist der Weg zu einer ehrlichen
Beziehung weit offen. Und ich habe noch
nie ein Kind kennengelernt, dass sich nicht
eine gute Beziehung wünscht.“ Valgerdur
-51ubuntu Reportage
Halldorsdottir ist die Patchworkbeauftragte
nicht gelingen würde.“
war es nicht mehr als ein Hobby. Aber ziem-
geringe Arbeitslosenquote von 2,6 Prozent
Dazu tragen auch Bedingungen wie eine
Islands. Als sie mit der Beratung anfing,
bei – es ist die niedrigste Europas. „Thetta
lich schnell machte das Wort der Stieffami-
reddast“, hört man häufig. Es bedeutet „Wir
lienberaterin die Runde.
schaffen das schon.“ Es ist ein schöner
„Viele Menschen mit unterschiedlichen
Grundsatz, weil er besagt, dass mit ein we-
Interessen unter einen Hut zu bringen, ist
nig Optimismus alles funktioniert. Sogar,
nie leicht. Wenn ich Menschen vermitteln
100.000 Bäume zu pflanzen.
kann, dass es falsch ist, in Familienbe­
Als Arnar abends nach Hause kommt, hat
ziehungen Dinge zu persönlich zu nehmen,
er eine Blase an der rechten Hand, aber er
ist schon viel gewonnen. Es kann nicht sein,
ist glücklich. Sie haben der Wüste ein Boll-
dass Kinder wie Immigranten in ihrem
werk aus kleinen Bäumen entgegen ge-
eigenen Haus leben, weil zu viel unausge-
setzt. Solche Aktionen gibt es überall auf
sprochen bleibt.“ Man müsse einfach akzep­
der Insel und es ist natürlich, dass die Kin-
tieren, dass Stieffamilien mit Bonuseltern
und Bonuskindern anders funktionierten
als klassische Familien-Konstellationen.
„Sobald die innere Akzeptanz da ist, folgt
automatisch die äußere. Man muss sich das
Leben ja nicht unnötig schwer machen.“
Valgerdur Halldorsdottir hat inzwischen
eine Art Gebotsliste von „Dos und Don’ts“ in
Patchworkbeziehungen entwickelt und ein
Buch zum Thema geschrieben. „Im Grunde“,
sagt sie, „geht es nur darum, Menschen
egal welchen Alters ein glückliches Leben
zu ermöglichen. Und es wäre doch gelacht,
wenn uns das auf dieser wunderbaren Insel
Island
ist die größte Vulkaninsel der Erde. Der
Inselstaat liegt südlich von Grönland. Nur
300.000 Bewohner müssen sich den Platz
untereinander teilen, der vergleichbar ist
mit der Fläche von Bayern und BadenWürttemberg zusammen.
der mitmachen.
„Wie sollen sie auch sonst ein Gespür dafür
bekommen, dass sie für ihr Land verantwortlich sind?“, fragt Einar Haraldsson, Ar-
nars Vater. Er ist Milchbauer; die Arbeit im
Stall übernimmt inzwischen weitgehend
eine hochtechnologisierte Melkmaschine
namens Astronaut. Von seinen fünf Kindern
will keines später mal seinen Job übernehmen. Auch Arnar nicht.
„Es ist okay“, sagt Einar Haraldsson. „Wir
haben ja alle nur ein Leben. Und jeder muss
das tun, was ihn am glücklichsten macht.“
Mitte: Bis zum Himmel und wieder
zurück. Platz haben die Kinder Islands
in allen Dimensionen.
Rechts: Brandur, drei Jahre alt, ist das
einzige gemeinsame Kind seiner Eltern.
Mutter Bjartay hat außerdem zwei Söhne
mit in die Familie gebracht, Vater Tumi
eine Tochter.
-52ubuntu Glosse
„Winzige
Erwachsene mit
vollem Kalender!“
Text Susanne Frömel Haben Sie Milo schon kennengelernt?
Milo ist knapp 1 Meter 40 lang, wiegt 36 Kilo
und hat braunes, langes Haar. Wenn die
Sonne darauf scheint, zeigt sich ein kupferner Glanz darauf, und wenn die Sonne noch
mehr scheint, sprießen auf Milos Nase win-
zige, ganz bezaubernde Sommersprossen.
Darüber hinaus baut Milo gerne Waffen aus
Holz, die er dann anderen Kindern auf den
das, was die Welt braucht. Ärzte, Lehrer,
quengelt, wirft sich auf den Boden und
mit Ritalin auf Linie gebracht werden. Ein
Kopf schlägt, er rotzt, spuckt, brüllt und
boy erzogen und in der Gewissheit, dass der
Vater immer das genaue Gegenteil von dem
sagt, was die Mutter gerade festgelegt hat.
Wenn man einen Nachmittag mit Milo
verbringt, kommen einem ganz unlautere
Ein Stückchen Alm
in der Großstadt – das
hätte doch was!
Gedanken. Das Wort Betäubungsmittelgeschoss schleicht einem durch den Kopf, die-
Rahmen zur persönlichen Entwicklung zu
Nashörner lahm zu legen und anschließend
neues, dass vor allem liebevolle Zuwendung
zu wiegen. Oder Kerker. Eine Art Festung,
aus der Ausbruch unmöglich ist. Leider übt
Milo eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf schüchterne Kinder aus, und dar-
um ist Milo gern gesehener Gast in anderen
Kinderzimmern. Zum Beispiel bei uns.
Während ich eines Abends das zerbrochene
Holzschwert, die paar blutigen Bandagen
und eine Million zerstreuter Legoteile auf-
sammele, stand Milos Mutter im Türrahmen und guckte zu. „Er ist eben ein bisschen wild“, sagte sie. „Er hat ADHS.“ Damit
machte sie kehrt, packte ihr Kind und mar-
schierte von dannen, um andere Leben, andere Wohnungen zu zerstören.
ADHS ist die moderne Entschuldigung für
Eltern und für die Gesellschaft, die es versäumt, den Kindern einen angemessenen
warum denn.
Es gibt ein Projekt, das Kinder mit ADHS-
Diagnose in die Berge schickt. Weit weg von
Computern, Stress und TV-Geräten. Und den
eigenen Eltern. Nach ein paar Wochen sind
die Kinder wie ausgewechselt, ruhig und fo-
se kleinen, bunten Pfeile, die sie in Tierreservaten vom Flugzeug aus abschießen, um
bisschen Elterntraining vielleicht? Nein,
geben. Dass dazu Grenzen gehören, ist nichts
nötig ist und die Notwendigkeit, das Kind
auf ein erwachsenes Leben vorzubereiten,
scheint den meisten Großstadteltern zu entgehen.
Wilde Kinder sind nichts Neues in der Geschichte der Menschheit. Das Bedürfnis der
Eltern, die Verantwortung darüber gänzlich
auf das Kind abzuschieben allerdings schon.
Die Orientierungslosigkeit des Kindes wird
mit Medikamentenkraft betäubt. Wie sagte
der Sohn einer entfernten Bekannten noch?
„Ich bin traurig, dass ich mich manchmal
so trüb im Kopf fühle, aber für Mama ist
es besser so.“ Die Mama nickte stolz und
merkte an, dass es in der Schule jetzt auch
viel besser klappe. „So schafft er wenigstens
das Abitur, das ist doch wichtig.“ Sicher,
noch mehr willenlose Dienstroboter – genau
kussiert. Leider kann man sie nicht ewig in
Berghütten halten, irgendwann müssen die
Milos dieser Welt wieder runter und das
Spiel geht von vorne los.
Dass Kinder einfach mal Platz brauchen,
um sich auszutoben und auszuprobieren;
dass sie nicht wie winzige Erwachsene mit
einem vollgestopften Terminkalender hantieren sollten, sondern einfach nur Freiheit
brauchen, darauf kommt niemand. Ein
Stückchen Alm in der Großstadt, das hätte
doch was.
Ich bin trotzdem für Ritalin. Ja, ich bin so-
gar eine entschiedene Befürworterin medikamentöser Ruhigstellung. Das liegt an
meinem Vater. Der ist nämlich Arzt, und
obwohl er meist ein wenig seltsam ist, wird
er manchmal von großer Weisheit durch­
flutet. „Ich verschreibe sehr gerne Ritalin“,
erklärte er mir mal. „Das gebe ich den El-
tern zum Schlucken. Dann geht es den Kindern gleich viel besser.“
Illustration: Andreas Lechner
tanzt auf den Tischen. Milo wird via Game-
Nachbarn nicken ab. Auch Milo soll bald
SOS
KINDERDÖRFER
Schalom und herzlich willkommen in Israel! Willkommen in den SOS-Kinderdörfern! Entdecken Sie auf einer zehntätigen Rundreise das Heilige Land, dessen raue Schönheit und kulturelle Schätze Sie begeistern werden. Tauchen
Sie ein in den Alltag der Menschen und treffen Sie in SOS-Einrichtungen Persönlichkeiten, die mit großem Engagement
die Idee Hermann Gmeiners fortsetzen. Für Frieden, Menschlichkeit und Versöhnung.
Zehntägige Rundreise mit den SOS-Kinderdörfern weltweit
vom 14.- 23. Februar oder 7.-16. November 2013 inkl. Besuch der SOS-Kinderdörfer Megadim
und Neradim (Israel) sowie Bethlehem (Palästinensisches Autonomiegebiet)
Ausführliche Informationen zur Reise erhalten Sie unter:
www.sos-kinderdoerfer.de/Reise
Foto: Roman März
Diese Meisterwerke
können bald an
Ihrer Wand hängen …
-55u buntu Versteigerung
… wenn Sie mitbieten bei SOS-Kunststück!
Vom 4. bis 14. November läuft die von
Experten hochgeschätzte Benefiz-Kunstauktion der SOS-Kinderdörfer weltweit
unter www.sos-kunststueck.de.
Text Ingrid Famula
Zum achten Mal seit 2003 werden 60 Originale der
angesagtesten zeitgenössischen Künstler der Republik
versteigert. Partner ist in diesem Jahr United Charity,
das größte deutsche Charity-Auktionsportal. Die Künstler spenden selbstlos ihre Werke, um mit dem Erlös den
Dürre-Opfern in Niger beizustehen (Seite 58).
Als Danke-Schön-Aktion der SOS-Kinderdörfer für ihre
Spender ins Leben gerufen, hat SOS-Kunststück in den
vergangenen Jahren bereits über 500 Bilder an neue
glückliche Eigentümer gebracht. Mit ihrem Engagement
bei der Kunstversteigerung haben sie einmal mehr Kin-
der in Not unterstützt – und sich selbst ein wunderbares
Geschenk gemacht: Erstklassige Kunst von hochklassigen Künstlern.
Andrè Butzer, Sven Drühl, Jonathan Meese, Robert Lucander, Thomas Zipp und viele andere waren bereit,
sich von ihren Werken zu trennen. Wer die Bilder genau unter die Lupe nehmen möchte, hat die Chance ab
4. November die Ausstellung in der „Veranstaltungs-
welt“ des ADAC in München (Hansastraße 19, Montag – Freitag 16 – 20 Uhr und Sonntag 12 – 17 Uhr, Eintritt frei)
zu besichtigen. Wem der Weg zu weit ist, der setzt sich
zu Hause gemütlich an den PC und lässt sich von guter
Kunst beeindrucken und überzeugen:
1. Auf der Internetseite www.sos-kunststueck.de finden Sie die Bilder mit allen Detailinformationen.
2. Von jedem Bild führt ein Link direkt zur Auktion
auf www.unitedcharity.de
Fotos: Roman März, Björn Hölle
3. Link klicken und mitsteigern!
Linke Seite: „Kein
mickriger Guruismus“
von Jonathan Meese
Rechts: „SD . N . N . 3“
von Sven Drühl
Oben: Kunstwerk
ohne Titel von
Bernhard Lehner
Rechts: Aquarell und
Buntstift ohne
Titel von Joe Naeve
Foto: Roman März
-57u buntu Versteigerung
Linke Seite: Collage von
Lucio Auri
Oben: Kunstwerk ohne Titel
von Alex Tennigkeit
Oben: „Es ist bedeckt“ von
Philip Hudgson Dorrel
Links: Skulptur „P12“ von Rainer
Hunold
Unten: „Noches de Establiments“
von Manfred Mayerle
Fotos: Roman März, Björn Hölle
Hilfe für die Kinder in Niger
Mit dem Erlös von „SOS-Kunststück“ sollen die
Kinder in Niger unterstützt werden. Dort bedroht
die anhaltende Dürre das Leben vieler Familien.
Erfahren Sie auf den folgenden Seiten, wie SOS die
Menschen in Niger stärkt, mit Nothilfe, ärztlicher
Betreuung oder Ausbildungskursen. Das Ziel: Gemeinsam mit den Familien Lösungen zu erarbeiten –
damit sie ihr Leben wieder meistern. Ab Seite 58.
Wir danken allen Sponsoren für ihr Engagement,
ohne das wir SOS-Kunststück nicht realisieren
könnten:
-58ubuntu SOS-Nothilfe
HungerKrise
in Niger
Fotos und Text Paul Hahn
Anhaltende Dürre und steigende
Lebensmittelpreise haben dazu
geFührt, dass acht Millionen Menschen zu wenig zu essen haben.
Die Lage ist bedrohlich. Die SOSKinderdörfer helfen Kindern
und ihren Familien.
Unterstützen Sie
die Arbeit der
SOS-Kinderdörfer
in Niger:
SOS-Kinderdörfer weltweit
Spendenkonto 222 22 000 00
(fünfmal die Zwei und fünfmal die Null)
BLZ 430 609 67
GLS Gemeinschaftsbank
Stichwort: ubuntu Niger
Behandlungen
ohne Pausen
Links: SOS-Krankenschwester
Yahanatu Manan Issa und ihre
Kollegen versorgen die Kinder
und ihre Familien im Gesund­
heits­zentrum in Takorka. Zu
viert sind sie für 19 Dörfer mit
42.000 Menschen zuständig.
Pausen gönnen sie sich kaum.
Viele Patienten sind unterer-
nährt. Sie sind dadurch so ge-
schwächt, dass ihr Immunsystem auch wenig Chancen hat,
Krankheiten abzuwehren.
Alarmstufe RoT
Links: Ein runder Bauch sagt
Malaria
Oben: Die achtjährige Aischa
wenig darüber aus, ob ein Kind
hat Schüttelfrost und hohes
aber die Oberarm-Messung. Bei
der momentan häufigsten
ausreichend ernährt ist, wohl
Ibrahim, zwei Jahre alt, zeigt
das Maßband Rot – Alarm-
stufe! Ibrahim wiegt nur 7.200
Gramm – ein Junge in seinem
Alter wiegt in Deutschland das
Doppelte. Ibrahim soll in ein
Spezial-Ernährungsprogramm
aufgenommen werden, doch
zunächst wird er aufgrund seines bedrohlichen Zustands ins
Krankenhaus überwiesen.
Fieber – Anzeichen der Malaria,
Krankheit. Sie bekommt Infu­
sionen zur Stärkung und AntiMalaria-Präparate.
Rechts: Viele Mütter kommen
erst, wenn der Zustand ihrer
Kinder schon dramatisch ist. Es
fehlt den Familien an allem,
auch an Geld für die Busfahrt
zur Krankenstation.
-60ubuntu SOS-Nothilfe
SOS-Nothilfe für
hungernde Familien
Rechts: Mitarbeiter der SOS-Kinderdörfer versorgen 100 Fami­
lien mit Mais und Hirse. Lang-
fristig sollen die Familien dabei
unterstützt werden, ihr Leben
wieder selbstständig zu meistern,
aber in der akuten Not werden
zunächst einmal Nahrungsmittel
dringend benötigt. Von einem
100-Kilo-Sack Hirse, der derzeit
50 Euro kostet, kann eine Fa­
milie mit sieben Kindern drei
Wochen lang leben.
kostbares Wasser
Oben: Wasser ist das große Thema in Niger – genug
gibt es eigentlich nirgendwo und oft müssen die
Menschen täglich lange Wege zurücklegen, um sich
und ihre Familien mit Trinkwasser zu versorgen.
Rechts: Am Rande des Flusses graben die Frauen ein
Loch, damit das Wasser möglichst sauber ist, wenn
sie es mit ihren Plastikschalen abschöpfen, in die
Eimer und anschließend in Kanister füllen.
-61ubuntu SOS-Nothilfe
SOS baut Getreidebanken auf
Unten: Das Getreide wird unter den Familien aufgeteilt.
Damit die Menschen zukünftig nicht mehr so sehr
von den Preisschwankungen abhängig und bedroht sind,
bauen die SOS-Kinderdörfer im Rahmen der Nothilfe
gleich nach der Ernte Getreidebanken auf. Später können
die Dorfbewohner dort unabhängig von den Weltmarktpreisen günstig Getreide und Saatgut kaufen.
Links: Sauberes Wasser aus dem Hahn – eine große
Erleichterung.
kleinkredite kurbeln
geschäfte an
Rechts: In heißem Fett backt
Mamou Younouss die traditionellen Krapfen „Fari Masa“. Mit
Hilfe eines Kleinkredits der SOSFamilienhilfe hat die Witwe ihr
kleines Geschäft aufgebaut. Sie
kann damit sich und ihre Kinder
ernähren. Einmal in der Woche
erhält sie außerdem von SOS-Mitarbeitern Unterricht im Lesen
und Schreiben. „In meinem Alter
fällt mir das nicht leicht, aber
ich bin glücklich, dass es klappt!“,
sagt Mamou Younouss.
-62ubuntu Ratgeber
„Seit mein Sohn in der Pubertät ist,
hält er sich an keine Abmachung mehr!“
Lieber Herr Sommer, bisher hatte
ist. Seien Sie bereit zum Gespräch, auch
ten Sohn, aber nun ist er 16 und in der Pu-
sind. Seien Sie auf jeden Fall ehrlich und
ich ein gutes Verhältnis zu meinem ältes-
bertät und seit einiger Zeit haben wir es
schwer miteinander. Er bricht häufig Abmachungen, ist unzuverlässig, und kleine
Lügen gehen ihm schnell über die Lippen.
Ich reagiere dann oft wütend, was sicher
auch nicht toll ist. Wie schaffen wir es,
wieder auf eine gute Ebene zu kommen?
Viktor B., Brunsbüttel
Wozu raten Sie mir?
wenn es um Fragen der Pädagogik,
Eltern-Kind-Konflikte und
ihre Lösung geht, haben die SOSKinderdörfer eine Menge zu
sagen! 60 Jahre intensive Arbeit
mit Kindern sind die Basis
dafür. Ulrich Sommer, Psychotherapeut für Kinder und Jugend­
liche, gibt Rat!
Man muss die Pubertät als eigene
Phase im Leben eines Menschen verstehen.
Es geht um die Verabschiedung aus der
Kindheit und um die Entwicklung einer ei-
genen Identität als Erwachsener. Das erfordert von den jungen Menschen viel Ausein-
andersetzung und Reibung mit anderen
und ist verbunden mit Verunsicherung und
Stress. Die Jugendlichen müssen neue Verhaltensweisen ausprobieren, an Grenzen
gehen, sie auch überschreiten und viel dis-
kutieren. Die Gleichaltrigen, an denen sie
sich orientieren, werden jetzt extrem wichtig. Gleichzeitig müssen sie sich von den
Eltern lösen und ihren eigenen Weg finden
und das geht oft nur im Streit und durch
Provokationen. Diese sind häufig umso heftiger, je besser die Beziehung vorher war.
Die Jugendlichen versuchen sich gut darzustellen, cool zu sein und überschätzen dabei
oft ihre Fähigkeiten und Kräfte.
zu Kompromissen, wenn sie gerechtfertigt
um wirkliche Auseinandersetzung bemüht.
Bieten Sie Ihrem Sohn ein Gegenüber, mit
dem er diskutieren, an dem er sich reiben,
aber auch orientieren kann. Die Jugendli-
chen spüren sehr genau, ob man sie ernst
nimmt. Wenn man versucht, autoritär drüber zu fahren, bekommt man eine entsprechende Antwort. Ihn wegen dieser Lügen
strafen zu wollen, erscheint mir sinnlos
und wird nicht gelingen, auch, weil er da-
für schon zu alt ist. Wenn man zu bequem
ist oder Auseinandersetzungen scheut, erntet man unter Umständen Verachtung.
Darüber hinwegzusehen würde ihn viel-
leicht glauben lassen, dass Sie die Dinge
nicht durchschauen, und er so weitermachen könnte. Das Ziel sollte sein, dass er
lernt, für sein Verhalten Verantwortung zu
übernehmen.
Wenn die Beziehung grundsätzlich gut ist,
wird sie an den aufrichtigen Auseinander-
setzungen, die von Wohlwollen und Verständnis getragen sein müssen, weiter
wachsen. Bis Sie das spüren, kann es durchaus ein harter Weg sein, aber er lohnt sich
für die vielen Jahre, die nach der Pubertät
kommen. Und daneben immer die Bitte:
Zeigen Sie Interesse, wirkliches Interesse
am Leben Ihres Sohnes. Nutzen Sie alle Ge­
legenheiten zum positiven Kontakt. Mit­
einander Spaß haben ist so wichtig.
Für die Eltern ist diese Zeit meist äußerst
nervenaufreibend. Wie Ihr Sohn halten sich
viele Jugendliche nicht an Vereinbarungen,
versuchen sich irgendwie durchzuschum-
meln und wenn man sie damit konfrontiert,
bekommt man noch freche Antworten. Wie
verhält man sich da richtig?
Zunächst ist es so, dass man als Vater oder
Mutter in der Pubertät die erste Rückmel-
dung für die vergangenen Jahre bekommt:
Trägt die Beziehung? Gelingt es trotz Dif­
ferenzen immer wieder in den Dialog zu
kommen? Wenn Sie, wie Sie sagen, bislang
eine gute Beziehung zu Ihrem Sohn hatten,
dann rate ich zu Gelassenheit und innerer
Klarheit. Diskutieren Sie, stellen Sie ihn,
was seine Lügen betrifft, zur Rede – mit viel
Wohlwollen und wenn es passt, mit Humor.
Manchmal auch zornig, wenn Ihnen danach
Ulrich Sommer
ist Psychotherapeut für Kinder und Jugend­
liche und Pädagogischer Leiter des Diagnoseund Therapiezentrums „Bienenhaus“ der
SOS-Kinderdörfer in Hinterbrühl, Österreich.
Kindern und Jugendlichen mit massiven Pro­
blemen wird dort stationär geholfen.
Haben auch Sie eine Frage an Ulrich Sommer?
Dann schreiben Sie an:
Redaktion ubuntu, SOS-Kinderdörfer
weltweit, Ridlerstr. 55, 80339 München
oder [email protected]
Illustration: Uli Knörzer
Fragen an
Ulrich Sommer
SCHENKEN SIE
KINDERN EINE KINDHEIT.
WERDEN SIE SOS-PATE.
www.sos-paten.de
-64ubuntu Portrait
Die Kinder
von …
Kreuzkölln
in Berlin
Wo Kreuzberg und
Neukölln aufeinandertreffen, fühlen sie
sich wohl: Tabata, 11,
und Thoraya, 10.
Sie lieben ihr Viertel,
weil immer etwas
los ist und die Menschen so bunt sind
wie exotische Tiere.
Foto und Text
Paul Hahn
„Kreuzkölln? Das Wort ist mir noch
nie begegnet!“ Thoraya, 10, blickt fragend
zu ihrer Freundin Tabata, 11, aber auch die
zuckt mit den Schultern. Klar kennen die
beiden Mädchen Kreuzberg, und in Neu-
kölln sind sie zu Hause. Doch dann über-
viel skeptischer. Tabatas Mutter Marlis
oder schreiben ihre Warnung an alle Hips-
vielleicht zwei Straßen im Kiez, und da, wo
richtig Angst!“ Sie meint vor allem die
nal, der Grenze zwischen Neukölln zu
rascht Thoraya mit ihrer Antwort: „Das sind
sie sich schneiden, treffen sich viele Menschen, da ist Kreuzkölln.“ Ganz intuitiv hat
die Zehnjährige auf den Punkt gebracht,
wofür es kein Ortsschild gibt.
Seit einigen Jahren wird der Reuterkiez, der
im Nordwesten Neuköllns liegt und direkt
an Kreuzberg grenzt, auch Kreuzkölln ge-
nannt. Ein Kunstname, der für den rasanten Wandel eines Stadtbezirkes steht – vom
Problemviertel zum angesagten Szenekiez.
Thoraya, die deutsch-ägyptische Wurzeln
hat, und Tabata, deren Vater aus dem Kongo
stammt, gefällt das. Daten wie 35 Prozent
Arbeitslosigkeit, 30 Prozent Ausländeranteil
oder Mietsteigerungen seit 2007 von über
25 Prozent, für die das Viertel auch steht,
sind für die beiden Mädchen abstrakte Größen. Für sie gleicht ihr Zuhause einer wun-
dersamen Zigarrenschachtel voller exotischer Tiere: „Da siehst du Punks mit bunten
Stachel-Haaren, Piercings und Tunnelohrringen. Oder Hippies im Schlabber-Look. Die
laufen ganz verträumt durch die Gegend“,
sagt Thoraya. Früher wohnte sie mit ihrer
Familie in Wittenberge im Nordwesten von
Brandenburg. „Da war es schon spannend,
wenn mal ein Auto vorbeifuhr.“ Ihre Freundin verdreht die Augen. „Da wäre ich ausgerastet.“
Viele der erwachsenen Einwohner Kreuz-
köllns sehen den Wandels ihres Viertels sehr
sagt: „Die Schickimickisierung macht mir
Preissteigerung. Was für Spekulanten oder
auch Szenegänger ein aufregender Prozess
ist, nennen viele langjährige Bewohner
einen Alptraum. Das Haus, in dem Marlis
seit 15 Jahren wohnt, ist erst kürzlich an
einen
Hamburger
Immobilien-Investor
verkauft worden. Nun geht unter den Mietern die Sorge um, dass die Miete erhöht
ter auf die Wände, wie am LandwehrkaFriedrichshain und Kreuzberg. „Kreuzkotze“ steht da riesig auf einem Hausdach.
Unterdessen turnen Tabata und Thoraya
in den roten Seilen eines Klettergerüstes
im Wildenbruchpark. Junge Pärchen liegen auf karierten Decken, Mütter beobachten ihre Kinder, die in der Sandkiste
graben. Der Ort ist eine kleine grüne
wird. „Ich bin alleinerziehend, ich kann
Oase – inzwischen. Bis vor einiger Zeit sa-
Umzug leisten“, sagt Marlis.
flaschen in der Hand.
mir weder eine hohe Miete, noch einen
Aber wenn es ihr gelingt, ihre Angst in
Schach zu halten, gerät auch sie fast ins
Schwärmen: „Früher konnte man die We-
serstraße zum Hermannplatz in Kreuzberg
kaum runterradeln. An jeder Ecke eine
verqualmte Kaschemme mit Typen in Ballonseide. Nun sind viele junge Leute ins
Viertel gezogen. Überall entstehen kleine
Läden oder Boutiquen, das gibt ein ange-
nehmes Flair.“ Dazu zählt auch „Madame
Zucker“, ein kleines Cafe, das direkt an
ihrer Hausecke aufgemacht hat, da, wo
noch vor knapp zwei Jahren ein KFZ-Gut-
achter sein Büro hatte. Nun wird in Wohn-
zimmeratmosphäre cremiger New Yorker
Cheesecake serviert; es gibt Biocafé und
WLAN.
Zu schön für Berlin? Manche Bewohner
vertreten diese Meinung äußerst aggressiv, werfen Scheiben solcher Läden ein
ßen auch hier eher Penner mit ihren BierAus Thorayas Hosentasche kommt Musik.
Sie hat ihr Handy lautgestellt. Im Takt wip-
pen die beiden Mädchen auf den Seilen,
fühlen sich wohl. Zuhause. Nie im Leben
würde Tabata woanders wohnen wollen.
„Berlin ist die coolste Stadt!“ Ihre Freundin Thoraya ist sich nicht ganz sicher, da
soll es noch was Cooleres geben: Kairo, die
Stadt, in der sie geboren wurde, und in der
ihre Großeltern, Tanten und Onkel leben.
Kairo, sagt sie, soll noch viel größer sein
als Berlin. Da will sie unbedingt mal hin.
Buchempfehlung
Uli Hannemann: Neulich in Neukölln
Aus der Sicht des Taxifahrers schildert der
Autor das Leben in Neukölln. Seine Erleb­
nisse hat er mit viel Sprachwitz und Sinn
für Skurriles aufgeschrieben.
Ullstein, Berlin 2007,
ISBN 978-3-548-26818-7
-65ubuntu Wissen
Begleitung für Eltern
Warum Kinder Schule
schwänzen
Zu viele Pfunde
Eltern können oft nicht einschätzen,
ob das Gewicht ihres Kindes zu hoch ist, so
das Ergebnis einer Untersuchung der Uni
Leipzig. Wenn ein Kind übergewichtig ist,
sei das für viele Eltern noch nicht problematisch – und sie tun nichts dagegen. Erst
wenn ein Kind eindeutig als fettleibig (adipös) eingestuft werde, würden Eltern aktiv
und nähmen an Präventionsprogrammen
teil. Die Familien von „nur“ übergewichtigen
Kindern waren häufig der Meinung, dass
kein Handlungsbedarf bestehe, weil sie gesund genug lebten oder das Gewicht des
eigenen Kindes im Rahmen liege. Fazit der
Forscher: In den Familien muss erst ein Bewusstsein für die negativen Folgen von
Übergewicht geschaffen werden, damit die
Programme Betroffene erreichen. 80 Pro-
Für einkommens­
schwache Familien und
Eltern mit Migrationshintergrund hat das
Bundesfamilienministerium das Programm
„Elternchance ist Kinderchance“ entwickelt.
4.000 Elternbegleiter
sollen die Fähigkeiten
der Kinder einschätzen
und Eltern über Bildungswege und Lernchancen aufklären. Psy­
chologen der Universität
Erlangen-Nürnberg
und Wissenschaftler des
Deutschen Jugendinstituts in München begleiten das Programm.
zent aller dicken Kinder werden später zu
übergewichtigen Erwachsenen.
Guten Morgen, Deutschland
In Deutschland kom-
men die meisten Babys zur
Frühstückszeit auf die Welt,
in Italien dagegen zwischen
dem ersten Cappuccino und
der Pasta zum Mittag, und
Fotos: © iStockphoto.com/Artem Gorokhov; Marcus Schwemin
in Spanien erblicken die
meisten Neugeborenen erst
nach der Siesta das Licht der
Welt. Das ergab eine Unter-
suchung der Leipziger Nabelschnurblutbank Vita 34.
Dr. Eberhard Lampeter, Ärztlicher Leiter der Blutbank,
vermutet, dass der Grund für
Deutschland offenbar der
gebnis der Studie erklären:
geszeiten die steigende Zahl
30 Prozent der Kinder kom-
men montags bis freitags zur
die unterschiedlichen Taan Kaiserschnittgeburten
ist. „Offenbar wählen viele
frühe Vormittag.“ Etwa
men hier per Kaiserschnitt
zur Welt, in Italien sind es
Kreißsaalteams für den
37 Prozent, in Spanien 25 Pro-
alen Termin. Das ist in
könnte auch das zweite Er-
Kaiserschnitt den für sie ide-
zent. Die Kaiserschnittrate
Die meisten Kinder kom-
Welt. Am Wochenende ge-
hen die Geburtenzahlen in
allen Ländern zurück.
Viele Schüler, die die Schule schwän-
zen, wurden vorher gemobbt. Das ist das
Ergebnis einer Studie des Universität-Klinikums Heidelberg. Die Forscher befragten
2.700 Acht- und Neuntklässler aus unter-
schiedlichen Schularten, warum und wie
häufig sie nicht in den Unterricht gehen.
Es zeigte sich, dass Schulschwänzer oft psychische Probleme wie Angst oder Depres­
sion haben. Viele hatten deutlich mehr
Mobbingerfahrungen gemacht als ihre Mitschüler. Die Untersuchung ist Teil der in-
ternationalen und von der EU geförderten
Studie WE STAY („Working in Europe to Stop
Truancy Among Youth“). Insgesamt werden
in fünf europäischen Ländern und Israel
etwa 10.000 Jugendliche befragt. Ziel ist es,
herauszufinden, welche gesellschaftlichen
Probleme hinter Schulschwänzen stecken
und was man dagegen tun kann.
Schlechte Luft macht
Kinder krank
Dass Luftverschmutzung
und erhöhte Ozon-Werte Kinder
schädigen, zeigt eine neue Studie,
die auf den Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) basiert.
Es wurde nachgewiesen, dass in
Regionen mit hohen Kohlenmo­
noxid-Werten Kinder mit geringerem Geburtsgewicht zur Welt
kommen. Der Grund: die Versorgung der Babys mit Sauerstoff ist
schlechter. „Das ist ein klarer
Hinweis darauf, wie sehr die Luftverschmutzung Kindern bereits
im Mutterleib schaden kann“, sagt
C. Katharina Spieß, eine der Autorinnen. Hohe Ozonwerte machen
vor allem zwei- bis dreijährige
Kinder krank: Sie leiden häufiger
unter Atemwegserkrankungen
oder Bronchitis, da vor allem die
Luft nahe dem Boden viel Ozon
aufweist. Kleine Kinder atmen davon viel mehr ein als Erwach­
sene. Zudem ist ihr Immunsystem
noch nicht voll ausgereift. Das
SOEP ist die größte und am längsten laufende multidisziplinäre
Langzeitstudie in Deutschland. In
die Studie flossen Daten von etwa
2.000 Kindern ein.
-66ubuntu Interview
Wie waren Sie
als Kind …
Fatih Akin
Sie haben dann tatsächlich in der Schule
Ihre ersten Filme gedreht und in der Theater-AG mitgewirkt. Andererseits waren Sie mit 16 Jahren Mitglied einer Stra-
Interview Martina Koch
Ihr Dokumentarfilm „Müll im Garten Eden“ erzählt von der Umweltver-
wachsen und bei Ihnen zuhause wurde
nur Türkisch gesprochen – und Sie schaff-
schmutzung in Çamburnu, einem türki-
ten es trotzdem aufs Gymnasium. Hatten
Ihres Großvaters – ein Ort Ihrer Kindheit?
Eher trifft’s das: Ich war ein schwieriger
schen Bergdorf. Es war einmal die Heimat
Nein, ich habe Çamburnu erst vor ein
paar Jahren zum ersten Mal bereist. Vorher
kannte ich es nur aus Erzählungen meines
Vaters. Mein Großvater ist noch vor der Geburt meines Vaters dort weggezogen.
Sie und Ihr älterer Bruder sind in Ham-
burg geboren, nachdem Ihre Eltern Mitte
der 1960 er Jahre nach Deutschland ge-
kommen waren. Was haben Sie als Kind
von der Türkei mitbekommen?
Sie es schwer in der Schule?
Schüler. Ich war immer einer, der alles so
gerade eben schaffte. Viele Lehrer wollten
mich gar nicht zum Abitur zulassen.
zu den Geburtsorten meiner Eltern gefahren.
Die wenigen Wochen, die wir immer dort
waren, haben mich sehr geprägt. Eine schöne Kindheit.
Was war so schön?
Mit dem Meer aufzuwachsen. Wir sind
liegen. Leider schätzte man die auf dem
Gymnasium nicht. Meine Fantasien taten
„Meine Eltern haben
mich davor bewahrt, in
kriminelle Strukturen
abzudriften.“
hung ergänzt, ich empfand die beiden eher
als gleichwertig. Beide waren recht streng –
und meistens auch noch einer Meinung.
Haben Sie ein Beispiel?
Meine Mutter war Grundschullehrerin,
ihr war der Wert von Bildung sehr bewusst.
Deshalb bestanden sie darauf, dass ich
Abitur mache und ein Studium, wobei es
ihnen egal war, was ich studiere.
Sie sind in einem Problemviertel aufge-
dertagen. Doch meine Eltern haben mich
davor bewahrt, so richtig in kriminelle Struk-
turen abzudriften. Wenn ich doch mal
heftig reagiert.
spüren?
Die haben mir viel mit ihrer Gesundheit
gedroht. Meine Mutter war zu der Zeit krebskrank. Die hatten die Gabe, mir zu vermit-
sie unglücklich ist. Ich musste versprechen,
keinen Mist mehr zu machen, damit sich
der Stressfaktor für sie nicht noch erhöht.
Sie stammen aus einem muslimisch ge-
prägten Elternhaus, waren in einem katholischen Kindergarten, verbrachten später
viel Zeit in einem evangelischen Jugend-
zentrum. War das Hin- und Herspringen
Dazu zählte schon früh der Wunsch, Meine Eltern haben sich bei unserer Erzie-
meisten Gangmitglieder kannte ich seit Kin-
teln, dass sie auch deswegen krank ist, weil
Fluss kippte.
waren Sie eher ein Papa-Kind?
durchschlagen wie am Gymnasium. Die
Welche Sanktionen bekamen Sie zu ich klug genug zu sehen, wo meine Talente
die meisten Lehrer und auch meine Mit-
Sie haben den Film Ihrem Vater gewidmet –
tätsrate hatte. Ich musste mich da ebenso
Probleme mit Autoritäten. Außerdem war
den Elbstrand. Baden konnte man da nicht,
weil der ganze Ostblock seinen Müll in den
Stadtteil, der eine hohe Jugendkriminali-
Ärger mit der Polizei hatte – haben die echt
Ich war schon damals ein Freigeist und hatte
fischen gegangen, haben bis spät abends am
Strand gesessen. In Hamburg gab es nur
nung meiner Eltern befand sich in einem
Woran lag’s?
Meine Eltern stammen beide von der
Schwarzmeerküste. In den Ferien sind wir
Das war eine Form von Rebellion. Die Woh-
schüler als Spinnereien ab.
Filme zu drehen. Wie kamen Sie dazu?
Früher, vor dem Internet, vor dem Satel­
litenfernsehen, funktionierte der kulturelle
Zugang zum eigenen Land für Einwander-
erfamilien oft nur über den Videorekorder.
Deswegen hatten viele türkische Familien
sehr früh einen, und wir eben auch. Da habe
ich viele Filme aufgenommen: Actionfil-
me, Science Fiction, Gruselfilme, querbeet.
Außerdem betrieben Bekannte von meinen
Eltern eine Videothek. Wir besuchten die
Leute eine Zeitlang jedes Wochenende, so
konnte ich viel gucken.
zwischen den Religionen nicht anstrengend?
Während meiner Kindheit und Jugend
nicht. Das ganze Theater um den Islam ging
ja erst mit dem 11. September los. Ich
glaube, heute hat es ein Kind mit meiner
Biographie schwerer in Deutschland.
Fatih Akin, 39
Der deutsch-türkische Regisseur, Drehbuch­
autor und Produzent Fatih Akin lebt mit
seiner Familie in Hamburg. Akins Regie-Arbeit
umfasst Filme wie das vielfach aus­gezeichnete
Liebesdrama „Gegen die Wand“ und die Hamburg-Komödie „Soul Kitchen“, aber auch Dokus
wie „Crossing The Bridge – The Sound of
Istanbul“. Am 6.12. läuft sein Dokumentarfilm
„Müll im Garten Eden“ an.
Foto: Achim Kröpsch
ßengang. Wie passt das zusammen?
AC362312
A C 3 6 2 3 1 2
Gerne können Sie sich auch telefonisch
informieren unter: 0800 50 30 300 (gebührenfrei)
oder besuchen Sie uns auf unserer Website
unter www.sos-kinderdoerfer.de
6.066
SOS-Familien leben in den 533
SOS-Kinderdörfern in aller Welt.
420.000
Mädchen und Jungen haben seit
dem zehnjährigen Bestehen der
Spenden- und Laufaktion „Kinder
laufen für Kinder“ mitgemacht.
57
Euro helfen, ein hungerndes Kleinkind in Afrika sechs Wochen lang
mit Spezialmilch und angereicherter Erdnusspaste zu versorgen.
In Minsk
sind jedes Jahr 250 Familien mit
geringem Einkommen kostenlos
während der Behandlung ihrer
Kinder an der Klinik für Kinder­
onkologie im SOS-Sozialzentrum
untergebracht.
2
In Caldonazzo
in Norditalien gingen 2012 bei der
ersten SOS-Olympiade 150 junge
Olympioniken aus sieben Ländern
an den Start.
32,40
In Salzburg
haben seit 2001 600 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ein
Zuhause im SOS-Clearing-House
gefunden.
506
Spendenaktionen gibt es auf
www.meine-spendenaktion.de
Siegerinnen gab es bei der
erstmaligen Verleihung des SOSKinderliteraturpreises 2012.
Euro kostet die Therapie für ein
an Tuberkulose erkranktes Kind
in Indien.
30
Jahre besteht die HermannGmeiner-Akademie in Innsbruck
als Schulungseinrichtung und
Begegnungsort für Mitarbeiter
aus der ganzen Welt.