Der Zauberring - Privatdetektivin Billie Pinkernell
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Der Zauberring - Privatdetektivin Billie Pinkernell
Der Zauberring Tamara Berger Von Tamara Berger Es war ein kalter und nebeliger Morgen. Eine Nachtigall die ihr Liedchen trällerte war noch zu hören, und auch die Eichhörnchen erwachten und machten sich auf Futtersuche. Sonst tat sich noch nicht besonders viel im Filoniawald. Nur aus einem kleinem, zierlichen Häuschen drang leichtes Gepolter. „Figaro du fauler Kater! Zeit zum Aufstehen!“, sagte eine Stimme. „Ich habe noch nie so einen trägen Kater wie dich gesehen!“ Die Stimme gehörte einem Mädchen namens Lily. „Mmmm!, murrte der schlaftrunkene Kater, jetzt schon?“ „Ja, ich komme heute schon wieder zu spät zur Schule! Die Febbis wird mir die Hölle heiß machen. Schon zum fünften Mal! Ich will doch keinen Rekord aufstellen!“ Lily war ein dreizehnjähriges, hübsches Mädchen, mit braunen schulterlangen Haaren und wunderschönen hellblauen Augen. Meistens trug sie ein dunkelblaues Sweatshirt und ausgewaschene Jeans. Nichts besonderes, es gibt doch viele solcher Mädchen, könnte man denken, wenn man sie auf der Straße gehen sehen würde. Lily war jedoch alles andere als normal. Sie war eine Hexe. Nein, nicht so eine mit Warze auf der Nase und Hexenhut, solche Hexen gibt es heutzutage nur ganz selten. Lily war noch eine Hexenschülerin, ein hübsches Mädchen das noch nicht allzu viel vom Hexen verstand. Sie besuchte die Schule für magische Lebewesen und Pflanzen und lebte mit ihrem silbergrauen Kater in einer Hütte im Filoniawald. Lilys Eltern waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als Lily sechs Monate alt war. Manchmal vermisste Lily sie ganz schrecklich, doch sehr viel Zeit zum Traurigsein blieb Lily nicht, denn Figaro und die anderen Tiere des Waldes hielten Lily auf Trab, aber Lily liebte ihre Tiere, von der kleinsten Spinne bis zum größten Elch und die Tiere liebten Lily. „Dann mach mal das du zur Schule kommst, aber vorher hexe mir noch ein Schälchen Milch!“, gab Figaro frech zurück. „Livena Livada!“, sprach Lily und vor dem hungrigen Kater stand ein Schüsselchen mit frischer Ziegenmilch. „Hey, gut gemacht Mädchen!, rief Figaro, daran könnte ich mich gewöhnen!“ „So, jetzt muss ich aber los!“, meinte Lily, und drückte dem verdutzten Figaro einen Kuss auf die feuchte Stupsnase. „Iiiii! Kannst du das nicht lassen?“ murrte der silbergraue, eitle Kater. „Tschüss Dicker, bis nach der Schule!“ „Ich bin überhaupt nicht dick!“, ärgerte sich Figaro. Seite 1 Der Zauberring Tamara Berger Als Lily aus dem Haus gegangen war, rollte sich Figaro auf den Rücken und begutachtete seinen runden Katzenbauch: „Oder doch?“, meinte er skeptisch und leckte sich eine etwas schmutzige Stelle an seiner Vorderpfote. Lange dachte er aber nicht mehr darüber nach, denn er schlief auf der Stelle ein und träumte von fliegenden Brathühnern und gegrillten Mäusen... „Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen Lily Mey?“, schnarrte Miss Febbis die fix und fertige Lily an.“ Ich, ähm, mein Besen, er, er“, fieberhaft suchte Lily nach einer passenden Ausrede. Sie war so schnell geflogen wie nur möglich, und Allenor, ihr Zauberbesen, hatte alles gegeben, aber trotzdem war sie zu spät gekommen. „Wieder mal verschlafen, nicht?“, fragte Miss Febbis. „Ja, Miss, es tut mir Leid, wird nicht wieder vorkommen.“ Lily konnte gerade noch erkennen wie Miss Febbis ein dickes, rotes Minus in ihr gefürchtetes rotes Büchlein eintrug. Dabei hatte sich Lily so fest vorgenommen, pünktlich zu kommen, aber nein, sie hatte wieder einmal versagt. Beschämt ließ sich Lily auf ihrem Platz nieder. „Nun lasst uns mit dem Unterricht fortfahren ... Doch weiter kam Miss Febbis nicht, denn durch die Lautsprecher der Klasse dröhnte die Stimme der Direktorin: „Da euer Lehrer, Mr. Linston, sich den Arm gebrochen hat, wird euer neuer Lehrer, Mr. Nilsson, euren morgigen Unterricht für Zaubertränke aller Art leiten. Bitte benehmt euch und seit brav und vorbildlich! Danke.“ Die Stimme der Direktorin verstummte und wurde durch Geflüster und Gemurmel der Mädchen ersetzt. „Das gibt’s doch nicht, ich habe ihn doch heute noch zur Schule gehen sehen!“, flüsterte Lily ihrer Freundin Fiona zu. „Anscheinend doch!“, murmelte Fiona und vertiefte sich wieder in das Comicheft, das sie unter der Schulbank versteckt hatte. Doch sie alle wussten, dass dieser Unfall kein Zufall sein konnte, da Mr. Linston der vorsichtigste und ängstlichste Lehrer der ganzen Schule war, und er sich mit einem schützenden Fluch gegen Verletzungen und Krankheiten belegt hatte, also war ein einfacher Bruch aus Ungeschicklichkeit, schier unmöglich. Noch lange dachte Lily darüber nach, und sie merkte nicht einmal wie es zum Unterrichtsschluss läutete. „Hey, Lily!, es hat geläutet“ riss Fiona Lily aus ihren Gedanken. „Hmmmm ...“ murmelte Lily. „Tschüss!“, rief sie der Freundin noch zu, bevor sie sich Allenor schnappte und aus dem Schulgebäude rannte. Kopfschüttelnd blickte Fiona Lily nach und verließ auch selbst die Schule. Der Flug mit Allenor tat Lily gut. Über die ganzen Dächer und Wolken hinweg zu brausen war eine echte Erleichterung. Und für einen Moment vergaß Lily alle ihre Probleme und was es mit dem geheimnisvollen Armbruch von Mr. Linston auf sich hatte. Seite 2 Der Zauberring Tamara Berger Als Allenor landete, seufzte Lily herzzerreißend sodass sich der Zauberbesen besorgt umdrehte. „Nein, nein, alles in Ordnung!“, lächelte Lily. „Bin wieder daaa! Figaro!“ Ein gähnender Kater kam aus Lilys Wohnzimmer. „Na, auch schon aufgestanden?“, lachte Lily und bückte sich um das glänzende Fell des Katers zu streicheln. „Wie war’s in der Schule?“, fragte Figaro immer noch müde. „Eigentlich wie immer , aber es ist etwas seltsames mit Mr. Linston geschehen ...“ und Lily erzählte ihm die ganze Geschichte. „Hmmm!“, überlegte Figaro, ganz schön knifflig! Aber darüber lässt’s sich viel besser bei einem Mittagessen nachdenken!“ „Oh, das habe ich doch glatt vergessen!, sagte Lily entschuldigend, was möchtest du?“ Ein saftiges blutiges Steak wenn’s recht ist!“, erwiderte Figaro erfreut. Er liebte es, sich sein Essen selbst auszusuchen. „Okay! Viva Siniwa, Steak erscheine!“, und vor dem hungrigen Kater stand wahrhaftig ein echtes Rindersteak. „Himmlisch!, hauchte Figaro, einfach göttlich!“ Für sich selbst zauberte Lily ihr Lieblingsgericht: Omelett mit Waldpilzen und Basilikum. Als die beiden aufgegessen hatten und Lily das Geschirr in die Spülmaschine hexte, schnurrte Figaro zufrieden. Und auch Allenor sollte etwas zu Essen bekommen. Als Lily ihr die frischen Waldbeeren gebracht hatte und den Haushalt ordentlich gezaubert hatte, machte sie sich über die Hausaufgaben. Als sie sich ihr Zauberbuch aus dem Schulrucksack nehmen wollte, stellte sie mit Schrecken fest, dass sie es in der Schule vergessen hatte. „Auch das noch!“, jammerte sie, dass kann auch nur mir passieren!“ Sie schnappte sich Allenor und flog mit ihr über den Filoniawald zur Schule. Das große, alte Gebäude war menschenleer, doch als sie an dem Lehrerzimmer vorbeiging, hörte sie die Stimmen der Direktorin und die von Miss Febbis: „Wenn jemand hinter die Geschichte von Mr. Linston kommt, sind wir geliefert und müssen die Schule schließen. Der Hexenrat tut alles was in seiner Macht steht um ihn zu finden, doch er ist und bleibt spurlos verschwunden ...“ Lily war sprachlos. Mr. Linston war verschwunden? Lily wusste, dass sie ihn am Morgen noch zur Schule gehen sah, und so schnell kann man ja bestimmt nicht verschwinden, oder? Leise schlich sie zu ihrem Klassenzimmer und blieb erschrocken hinter der Türe stehen. Eine in einen schwarzen Mantel gehüllte Gestalt durchwühlte gerade die Schubladen des Lehrertisches. Lily wusste genau, dass dieses gewisse Etwas nichts Gutes im Sinne hatte. Plötzlich hörte sie, wie sich hinter ihr etwas bewegte. Lily drehte sich um und erblickte einen kleinen Hubbelupf. Seite 3 Der Zauberring Tamara Berger Hubbelupfs waren kleine rundliche Wesen mit starkem, hellblauem Haarwuchs und großen, rehbraunen Augen, die es nur selten gab. Wenn sie aufgeregt waren, hüpften sie auf und ab, wie kleine Gummibälle. Dieser Hubbelupf musste aus dem Naturkundezimmer entwischt sein. Treuherzig blickte er Lily an. „Na, mein Kleiner?“, sprach Lily mit sanfter Stimme zu dem Hubbelupf. Da erstarrte Lily. Ihr Herz klopfte wie wild und ihre Beine waren wie gelähmt. Hinter ihr stand die unheimliche Gestalt. Lily spürte es deutlich. Übel riechender Atem stieg in Lilys Nase. Sie spürte wie das Wesen seinen Zauberstab hob und leise einen unverständlichen Zauberspruch murmelte. „Was ist den hier los?“, kreischte Miss Febbis als sie das Wesen mit dem Zauberstab auf Lily gerichtet, sah. Sofort ließ es von Lily ab und verschwand durch das offene Fenster im Klassenzimmer. „Ist alles in Ordnung Lily?“, fragte Miss Febbis besorgt. „I ...Ich denke sch ...schon.“, stotterte Lily. „Was suchst du denn noch hier um diese Zeit, und was hat das hier alles zu bedeuten? Am besten du vergisst, was geschehen ist, es ist besser so!“ Bevor Lily noch etwas erwidern konnte, begann Miss Febbis zu zetern: „ Was hat den dieser Hubbelupf hier zu suchen? Er muss wohl Mrs. Granch entkommen sein als sie ihn präparieren wollte.“ „P-präparieren?“ meinte Lily entgeistert. Sie musste sich dringend etwas einfallen lassen, sie konnte den süßen Hubbelupf doch nicht in sein eigenes Verderben laufen lassen ... „Meine Jeany präparieren? Sie war doch ein Geschenk von meiner Tante Elizabeth!“, sagte Lily schnell und nahm den kleinen Hubbelupf auf den Arm. „Auf Wiedersehen!“, verabschiedete sich Lily von ihrer Lehrerin und rannte schnell mit Jeany im Arm den Flur hinunter. „Was soll ich bloß mit diesem Mädchen machen!“, seufzte Miss Febbis kopfschüttelnd. Lily steckte den kleinen Hubbelupf in ihre Tasche und holte Allenor hinter einem Baum hervor. „Was war das bloß für eine Gestalt die mich mit einem Fluch belegen wollte! Und was haben Miss Febbis und die Direktorin nur gemeint damit, dass Mr. Linston verschwunden ist? Was soll ich denn mit dem Hubbelupf machen, ich bin doch den ganzen Tag in der Schule! Ich weiß nicht mehr was ich machen soll!“ Allenor schmiegte sich sanft an die verzweifelte Lily. „ Aber es muss doch eine Lösung geben, und wenn es eine gibt, dann werde ich sie finden!“ Lily trocknete sich ihre Tränen und stieg dann auf Allenor. „Los, Allie, schnell nach Hause, Figaro wird sich schon Sorgen machen oder vor lauter Hunger meine Dahlien anknabbern!“ Die Luft war kühl und Lily kuschelte sich Trost und Wärmesuchend an Allenor. Seite 4 Der Zauberring Tamara Berger Als Lily das kleine Häuschen betrat, erblickte sie ein Chaos wie nie zuvor. „FIIGAROO!“, stöhnte sie und hob eine zerknautschte Spielzeugmaus vom Boden auf. „Figaro? Wo bist du denn? Komm zeig dich, ich bin dir auch nicht mehr böse! Figaro?“ Lilys schlimmste Befürchtung hatte sich verwirklicht. Figaro war verschwunden, und es musste etwas mit dem unheimlichen Wesen das Lily verzaubern wollte zu tun haben. „Figaro! Nein, bitte komm zurück!“, weinte sie und warf sich auf die völlig zerrissene Couch. „Haujuhu?“, drang eine fragende Stimme aus Lilys Tasche. „Jeany, dich hab’ ich ja völlig vergessen!“, meinte Lily und holte den kleinen Hubbelupf aus der Tasche. Plötzlich sprang Lily auf und meinte entschlossen zu Jeany: „ Für JEDES Problem gibt es doch angeblich eine Lösung, oder?“ Jeany bejahte Lilys Aussage mit einem kräftigen Nicken. „Figaro kann doch nicht verschwunden sein! Er muss entführt worden sein, nur wer will den schon einen verfressenen, faulen Kater? Es sei denn dieser Jemand will ein Geheimnis aus ihm herauskitzeln, aber wer ist so dumm und vertraut einem so bestechlichen Kater ein Geheimnis an? Wenn jemand mit einem Hühnerbein vor seiner Nase herumwedelt plaudert er doch ohnehin alles aus! Je mehr Lily über das Verschwinden ihres Katers nachgrübelte, desto unmöglicher schien es ihr, eine Lösung zu finden. Da erblickte sie Belinda, eine stolze Schneeeule die sich gerade am Mangobaum niedergelassen hatte, und nun neugierig durch die beschlagene Fensterscheibe blinzelte. Lily öffnete das Fenster und streckte ihren linken Arm aus. Dankbar flatterte Belinda in das immer noch verwüstete Zimmer und setzte sich auf Lilys Arm. „Belinda, was treibt dich denn hier her, ich dachte du wolltest deinen Vetter in Holland besuchen?“ „Ja, das wollte ich ja auch, doch ich wurde bei der E-P (Abkürzung für Eulenpost) dringend gebraucht und ich bin auch ziemlich im Stress und muss auch gleich wieder los. Hier, die Ratte Euphigenie meinte, jemand hätte es vor langer Zeit für dich abgegeben, mit dem Befehl es dir erst nach deinem 13. Geburtstag zu geben.“ Belinda zog ein kleines Päckchen aus ihrem samtigen Federkleid und überreichte es der verdutzten Lily. „Danke Belinda, vielen Dank!“ rief sie der Schneeeule noch zu, bevor sie hinter den Wipfeln der Fichten und Tannen verschwand. „Post?, für mich?, das gibt’s doch nicht! Ich habe doch keine Verwandten mehr und ich kenne doch fast keine Menschenseele hier!“ Vorsichtig öffnete sie das rote Band, das um eine kleine Schachtel gewickelt war. Als Lily den Deckel abnehmen wollte, fiel ihr ein Brief mit der Aufschrift Für Lily in den Schoß. Hastig öffnete sie ihn und las: Meine Lily! Wenn du diesen Brief bekommst, wirst du bereits dreizehn Jahre alt sein. In der kleinen Schachtel befindet sich Seite 5 Der Zauberring Tamara Berger ein Ring, den ich dir schenken möchte. Ich vererbe ihn stolz an dich, Lily, er wird dir helfen wenn du nicht mehr weiter weißt und stets an deiner Seite weilen. Es ist ein magischer Ring und ihn gibt es nur einmal auf der Welt. Hüte ihn, wie deinen eigenen Augapfel, dann kann dir nichts geschehen. Verrate niemandem dem du nicht vertrauen kannst von ihm, denn viele werden nach ihm gieren. In Liebe, deine Mam! „Dieser Brief ist von Mam?“, hauchte Lily aufgeregt, griff in die Schachtel die mit Zeitungspapier ausgepolstert war und zog einen silbern glänzenden Ring hervor. Vorne war ein kleiner roter Stein in dem sich orange und gelbe Funken tummelten, befestigt. „Der ist ja wunderschön“, meinte Lily verträumt als sie ihn sich an den Finger steckte. Er passte wie angegossen, auf der Unterseite des Steines befand sich ein kleiner Knopf der fast nicht zu sehen war. Als Lily nach den Knopf tastete tat sich aber nichts und sie steckte ihn sich wieder an. „Mit so einem Glücksbringer kann mir doch gar nichts mehr passieren!“, meinte Lily an Jeany gewandt, die sich beim Anblick der riesigen Schneeeule sofort aus dem Staub gemacht hatte. Lily schnappte sich ihren fleckigen Lieblingsrucksack und sagte zu Jeany: „Du bleibst brav hier und rührst dich nicht von der Stelle bis ich wiederkomme, ja? Figaro ist vielleicht gerade in großer Gefahr und braucht meine Hilfe! Er ist doch mein Ein und Alles und ich weiß wirklich nicht was ich ohne ihn machen soll, auch wenn er mir manchmal wirklich auf die Nerven geht! Mach’s gut, kleines Mädchen, bin bald wieder da! Hoffe ich jedenfalls!“ Der Mond war bereits aufgegangen und die Sterne funkelten am Firmament. Lilys Hausaufgaben waren noch nicht erledigt, da sie das Buch, wofür sie eigentlich noch einmal zur Schule geflogen war, nicht mitgenommen hatte und jetzt gerade in der Schulbank versauerte. Dafür aber hatte sie aber einen niedlichen Hubbelupf vor dem grausamen Tode bewahrt und in ihm einen neuen Freund gefunden. „Tut mir Leid Allenor, aber wir müssen nochmal los, Figaro suchen, ich weiß auch schon wo...!“ Allenor war begeistert über die viele frische Luft und den unbegrenzten Auslauf, sodass sie Lily übermütig über die Spitzen ihrer neuen Adidas Turnschuhe wedelte. „Wir haben jetzt keine Zeit für Scherze Allie!“, meinte Lily mahnend zu ihrem geliebten Zauberbesen, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen. Allenor legte sich sofort kerzengerade auf den Boden und ließ Lily aufsteigen. Seite 6 Der Zauberring Tamara Berger „Flieg zuerst Richtung Schule, dann biege aber hinter der flennenden Hecke links ab, damit uns niemand sieht, du weißt ja, der alte Hausmeister Horrigan hat Augen wie ein Luchs!“ Die “flennende Hecke“ war eine Thuje, die vor langer Zeit von ein paar übermütigen Teenagern verzaubert wurde. Sie klagt jedem der an ihr vorbeigeht ihr Leid und hatte auch schon mit ihren Krokodilstränen für einige Überschwemmungen gesorgt. „Ich hoffe nur die Hecke schläft schon, sonst wird sie uns höchstwahrscheinlich verpetzen. Oh Mann das gäbe eine fette Strafarbeit!“ Schon bei dem bloßen Gedanken einen 10-seitigen Aufsatz über das Thema: “Warum ich nach Sonnenuntergang zu Hause sein muss, und mich nicht am Schulgelände aufhalten darf“ zu schreiben, ließ es Lily kalt über den Rücken laufen. Als Allenor Lily am Boden abgesetzt hatte, befahl Lily ihr sich hinter der riesigen Buche zu verstecken und dort auf sie zu warten. „Mach’s gut Allie, wünsch mir Glück!“, verabschiedete sich Lily von ihrem Zauberbesen und schlich sich vorsichtig an die Hecke heran. „Oh! Mein ganzes Leben muss ich hier verbringen, keiner will mit mir etwas zu tun haben und diese schrecklichen Gören verspotten mich immerzu! Oh, ich armes Ding habe mein ganzes Leben hier verbracht und niemand würdigt mich nur eines Blickes! Oh, wie undankbar diese Welt doch ist! Schniiief“ Die Thuje war so damit beschäftigt sich selbst zu bemitleiden, dass sie nicht bemerkte, wie sich Lily hinter ihrem Rücken zum Schultor schlich. Plötzlich hörte Lily eine quakende Stimme hinter sich: „Hast du schon etwas gefunden Eduard?“ „Nein Hedwig, nur so ein riesiges Wesen das ekelhaft nach Mensch stinkt!“ „Fasse es lieber nicht an, vielleicht ist es giftig!“ Als Lily sich umdrehte erblickte sie zwei winzige Gnome die sie mit weit aufgerissenen Äuglein musterten. „Wirklich schauderhaft dieses Wesen! Ob es beißt?“, fragte einer der beiden Winzlinge, der ein männlicher Gnom sein musste. „Ich weiß nicht! Aber es sieht nicht besonders klug aus. „Guten Abend! Ich heiße Lily Mey und ich beiße bestimmt nicht, aber was haben sie den um diese Zeit noch hier zu suchen? Ich dachte Gnome leben unter der Erde und kommen nur in außergewöhnlichen Notfällen aus ihren Wohnungen! „Es kann sprechen!“, hauchte die Frau des Gnoms und dieser erwiderte: „Ja, und es weiß wer wir sind“! Hallo Mensch – äh - Lily! Das gleiche kann auch ich dich fragen, ich dachte ihr Riesen liegt um diese Zeit schon in euren Nestern?“ „Hm, Ja, eigentlich schon, aber das ist eine etwas längere Geschichte ...“ „Denkst du, wir können ihr vertrauen?“ Seite 7 Der Zauberring Tamara Berger „Ja, ich denke schon.“ „Weißt du, unsere Springmaus, Karloss ist ihr Name, ist vor einiger Zeit verschwunden. Wir wissen nur, dass Karloss Endivienblätter liebt, doch wir kennen uns hier an der Erdoberfläche nicht gut genug aus, um zu wissen, wo wir hier Gemüsebeete finden können, könntest du uns eventuell helfen?“ „Ja, ich denke Mrs. Granch hat vorige Woche frische Pflanzen eingesetzt, vielleicht sind ja auch ein paar Endivienpflänzchen mit dabei,“ überlegte Lily laut und so machte sie sich mit dem Gnomenehepaar auf den Weg zum Schulgarten. Als Lily um die Ecke des Orchideenhauses spähte, erblickte sie Mrs. Granch die wie verrückt mit einem Besen auf das Beet und die frischen Pflänzchen einschlug: „Oh, nein! Meine Endivienpflanzen wirst du nicht ruinieren! Sie sind mein größter Stolz! Mach das du wegkommst!“ „Ja, das muss unser Karloss sein!“, meinte Eduard Gnom mit Kennermiene. Kannst du ihn nicht von diesem tollwütigen Riesen befreien?“, fragte Hedwig, seine Frau, mit bittendem Dackelblick zu Lily gewandt. „Na gut, das ist zwar nicht ganz einfach, aber auch nicht unmöglich! Ich werde sie einfach mit einem Zauber belegen, der sie für eine Stunde zu Stein verwandelt.“ Lily holte ihren Zauberstab aus dem Rucksack und mit einem schnellen Schwingen erstarrte die unwissende Lehrerin und in einem Bruchteil von Sekunden verwandelte sie sich in eine Statue aus Stein. „Es hat geklappt! Wenn das Zaubern in der Schule nur halb so gut wie hier laufen würde ...!“, freute sich Lily begeistert. Schnell stapfte Lily auf die Statue in Gestalt der Lehrerin zu und flüsterte: „Tut mir wirklich Leid, Mrs. Granch, aber das musste sein!“ Neben dem völlig zerzausten Besen fand Lily eine Springmaus die niemand anderer als Karloss sein konnte. Behutsam hob Lily die verdutzte Maus auf und brachte sie zu den Gnomen. „Vielen Dank Lily, wie können wir dir danken?“ „Ihr habt nicht zufällig einen ziemlich dicken Kater, silbergrau und frech, gesehen?“, fragte Lily hoffnungsvoll. „Nein, tut uns Leid, Katzen meiden wir grundsätzlich, sie sind so grausam, manchmal halten uns für Ratten.“, meinte Hedwig beleidigt und Lily nickte bekümmert. „Viel Glück bei der Suche nach deinem Kater! Und vielen Dank das du Karloss vor dieser Wahnsinnigen gerettet hast!, riefen die Gnome Lily noch zu, bevor sie in dem Loch, das als Verbindung von ihrer Behausung und der Erdoberfläche diente, verschwanden. Vorsichtig drückte Lily die Türklinke, die mit Schlangen mit weit aufgerissenen Mäulern geschmückt war, herunter. Als Lily das gewaltige Schultor öffnete begann es furchtbar zu quietschen. „Oh, nein! Auch das noch!“, fluchte Lily aufgeregt und hörte eine heisere Stimme hinter sich: „Wer ist da?! Zeige dich und du wirst noch einmal glimpflich davonkommen!“ Seite 8 Der Zauberring Tamara Berger Es war die unheimliche Stimme des Hausmeisters Horrigan, den Lily schon von Anfang an nicht leiden konnte. „Was jetzt?“, überlegte Lily fieberhaft. Die dumpfen Schritte der schweren Holzpantoffeln wurden immer lauter. Als Lily sich umdrehte erblickte sie einen uralten Schrank aus Bambusholz. Ohne zu zögern öffnete sie ihn und versteckte sich darin. „Ich sage es nicht noch einmal!“, drohte der Hausmeister der Lilys Umrisse in der Dunkelheit erkannt hatte. Plötzlich entdeckte Lily hinter sich ein eisernes Tor, das mit undefinierbaren Buchstaben vollgekritzelt war und das Lilys Kunstlehrerin Mrs. Beal bestimmt als “wahre Kunst“ bezeichnen würde. Als Lily versuchte die Tür zu öffnen ließ sich der Griffe nicht herunterdrücken und nicht einmal als Lily das Schloss mit ihrem Zauberstab knacken wollte, gelang es ihr. Plötzlich kribbelte es an Lilys Finger und als Lily ihren Finger betrachtete, erblickte sie wie die Funken wie wild umher tanzten und der Ring so hell leuchtete, dass das Licht sofort den unheimlichen Raum erhellte. Lily legte den Ring in ihre Hand, drehte ihn um und siehe da, der winzige Knopf leuchtete ebenfalls, nur in grellem Rot. Als Lily nach dem Ring tastete, hob sich der rote Stein und zum Vorschein kam ein winzig kleiner goldener Schlüssel. Mit nur zwei Fingerspitzen griff Lily nach dem Schlüssel. Als Lily ihn auf ihre Handfläche legte begann er leicht zu zittern und wie aus dem Nichts verwandelte sich das winzige Schlüsselchen in einen richtigen Schlüssel. „Cool, echt cool!“, murmelte Lily begeistert und steckte den mit gold überzogenen Schlüssel in das seltsame Schlüsselloch. Er passte ganz genau und als Lily versuchte die Türschnalle herunterzudrücken, öffnete sich die Tür mit einem lauten Knarren. Als Lily den alten völlig verstaubten Raum, der sich hinter der Tür verborgen hatte, betrat, erblickte sie am Ende des Raumes noch eine Tür, jedoch viel größer und sie war aus Bronze gefertigt. Das merkwürdige aber an dieser Türe war, dass sie kein Schloss besaß. „Nicht noch eine Tür!“, jammerte Lily. In der hintersten Ecke begann es zu rascheln. „W...Wer ist d ...da?“, fragte Lily mit zaghafter Stimme. „Und wer bist du?“, fragte eine piepsige Stimme zurück. Aus der dunklen Ecke purzelte eine kleine Ratte mit kleinen Knopfäuglein. „Ich bin Lily Mey, ich freue mich deine Bekanntschaft zu machen.“, antwortete Lily sehr erleichtert keine blutrünstige Bestie, sondern nur eine kleine Ratte, anzutreffen. „Sehr erfreut! Ich bin Hannibal. Ich habe schon jahrelang kein Lebewesen mehr hier unten gesehen, ich hätte nie gedacht hier noch einmal jemanden anzutreffen, es ist wirklich grässlich hier! Du bist bestimmt nicht freiwillig hierher gekommen?“ „Nein, so kann man das nicht sagen!“, meinte Lily, bückte sich hinunter zu Hannibal und ließ ihn auf ihre Hand krabbeln. Seite 9 Der Zauberring Tamara Berger „Ich suche nach meinem Kater, Figaro, er ist silbergrau, eine Maine Coon’ , wenn dir das etwas sagt, er wurde gekidnappt ich weiß auch nicht, aber meine innere Stimme sagt mir, dass er irgendwo hier unten ist, du hast ihn nicht zufällig gesehen, oder?“ „Nein, und ich bin wirklich froh darüber, Katzen fressen ja Ratten, du verstehst?“ „Ja, schon klar, aber du könntest mir vielleicht sagen, wie ich diese Tür da öffnen könnte?“ „Na ja, so ein merkwürdiges Schild ist an ihr befestigt, ich konnte es aber nicht lesen da ich ja leider viel zu klein bin!“ Vorsichtig richtete sich Lily mit Hannibal in der Hand auf und ging langsam auf das Bronzetor zu und wirklich war dort ein Schild angebracht auf dem mit schwer entzifferbaren Buchstaben geschrieben stand: Überall auf der Welt und auch in dir, es schwebt und läuft und fällt, ist Lebenselixier! Löst du das Rätsel, öffnet sich die Tür, Weißt du nicht die Antwort, bleibst du für immer hier! „Oh, nein“, stöhnte Lily, „ Im Rätsellösen war ich noch nie gut!“ „Na, na, nicht verzagen, Hannibal fragen! Heb mich mal hoch, ich bin von Natur aus ein sehr schlaues Köpfchen!“ Lily hob die kleine Ratte auf ihre Schulter und diese begann sofort zu überlegen: „Schwebt, läuft und fällt? Ist Lebenselixier? Oh Mann, ich versteh gar nichts mehr!“ „Hmmm! Ich glaube ...! Nein, doch nicht oder vielleicht ... Ja, jetzt hab’ ich’s! Es ist das WASSER! WASSER ist die Lösung! Wasser schwebt, Wasser läuft, Wasser fällt und man braucht es zum Leben- also Lebenselixier!“ Als Hannibal das Wort Wasser aussprach öffnete sich die Tür mit einem Knarren und Ächzen. „Du bist ein Genie Hannie!“, freute sich Lily und drückte den verdutzten Hannibal an sich. „Oh, vielen Dank, aber ich bevorzuge es bei meinem vollen Namen, Hannibal, gerufen zu werden.“, erwiderte Hannibal verlegen. „O, ja klar, sorry, wird nicht wieder vorkommen.“ Lily betrat den nächsten Raum und traute ihren Augen nicht als sie den mehreren hundertmeterlangen und bestimmt zwanzig Meter tiefen Swimmingpool erblickte. „Wow, ein Pool? Alles hätte ich hinter dieser Tür erwartet, aber bestimmt keinen Swimmingpool! Wer diese Schule erbaut hat, das war soweit ich weiß Richard Orlando im Jahre 1934. Seite 10 Der Zauberring Tamara Berger Meister Orlando war ja bekanntlich einer der klügsten Hexenminister in dieser Zeit war, aber ich glaube der hatte eine Schraube locker! Was hat eine riesige Wasserlache in einer SCHULE zu suchen? „Um weiterzukommen müssen wir wohl oder übel da rüber, was?“ „Hm, ja, etwas anderes wird uns nicht übrig bleiben!“, antwortete Lily. „Na gut: So wie das Wasser blau, so mache mich zur Meerjungfrau! Fivona Valeda!“ Kaum hatte Lily diesen Zauberspruch ausgesprochen und mit dem Zauberspruch gewedelt, so verwandelten sich auch schon ihre Beine in eine meeresblaue Fischflosse. „Und ich? Ich kann ja nicht einmal schwimmen!“, jammerte Hannibal. „Das haben wir gleich! Wärst du lieber eine Krabbe, oder eine Makrele?“ Ohne auf Figaros Antwort zu warten, zückte Lily den Zauberstab und anstelle einer süßen Ratte stand nun ein krabbenähnliches Wesen vor ihr. Seite 11 Der Zauberring Tamara Berger „HANNIBAL?“, kicherte Lily, „Bist du das?“ „Nein ich bin der Kaiser von China! Sehe ich wirklich so schlimm aus?“ „Na ja, so wie eine Mischung aus Ratte und Krebs eben aussieht!“ Noch immer kichernd sprang Lily kopfüber ins Wasser und ließ Hannibal auf dem Festland zurück. Als Lilys Kopf wieder auftauchte, rief sie: „Los Hannibal, das Wasser ist gar nicht kalt!“ „I..Ich warte hier draußen auf dich! Ich-!“ ohne Hannibal ausreden zu lassen streckte Lily die Hand aus, packte Hannibal, zog ihn ins Wasser und setzte ihn auf ihre Schulter. „Musste das sein?“, murrte er. „Ja, das musste sein!“ „Sag mal Lily, warum hast DU dich eigentlich verwandelt? Du kannst doch schwimmen!“ „Als Meerjungfrau bin ich wesentlich schneller als ein Mensch, ich spüre das ist kein Zufall, dass ich hier bin, jemand WOLLTE mich hierher locken. Und schon eine Zeitlang spüre ich, dass wir hier nicht alleine sind, irgendjemand oder irgendetwas beobachtet uns.“, antwortete Lily. Erschrocken blickte sich Hannibal um. Lily lächelte: „Keine Angst! Ich werd’ dich schon beschützen wenn’s hart auf hart kommt. Jetzt müssen wir aber auf die andere Seite, oder willst du noch länger hier bleiben?“ „Oh, nein, auf keinen Fall! Los geht’s!“, meinte die Ratte entschlossen. Mit einem Ruck tauchte Lily unter und ließ Hannibal alleine zurück. „Hey! warte gefälligst auf mich!“ Mit diesen Worten tauchte auch er unter und nach kurzer Zeit hatte er Lily eingeholt und klammerte sich an ihre Schwanzflosse. Was die beiden allerdings nicht wussten, war, dass einige Meter hinter ihnen ein grässliches, hungriges Monster, dem Wasser genau angepasst, hinter ihnen her spionierte. Es war nichts anderes als ein Tigerhai, der schon lange nichts mehr zu Fressen bekommen hatte. „Sind wir bald da?“, nörgelte Hannibal. „Nein, wir haben noch ein großes Stück vor uns!“, antwortete Lily. „Warum hast du uns nicht einfach auf die andere Seite gezaubert?“, fragte Hannibal. Es ist nicht schwer sich in eine Meerjungfrau zu verwandeln, aber ein Teleport funktioniert hier einfach nicht, aber eine kleine Erfrischung wird uns ganz sicher gut tun! Und die Energie des Zauberstabes steht, wenn er unter Wasser ist, außerdem fast auf dem Nullpunkt! Kapiert?“ „Hm, ja so in etwa!“ Der Hai war schon näher gekommen und roch das frische Menschenfleisch des Mädchens und das saftige Fleisch der Ratte. „Irgendwie ...ist...ist es hier ...unheimlich! Irgendetwas ...stimmt hier nicht!“, meinte Hannibal und drehte sich ganz zufällig um. Er blickte genau in die blutunterlaufenen Augen und die beutewitternde Haischnauze. Vorsichtig drehte er sich wieder um und flüsterte panisch: „ Leg` nen Zahn zu Lily, wir sind hier wirklich nicht so ganz alleine!“ Nun drehte sich auch Lily um und erblickte das riesige Monster, wie es gerade sein riesiges Maul mit den ellenlangen, spitzen Zähnen aufsperrte und nach Lilys Flosse schnappen wollte. Seite 12 Der Zauberring Tamara Berger So schnell sie konnte schlug sie mit ihrer Flosse und entkam noch knapp dem Biss des Haies. „Hannibal wir müssen so schnell wie möglich von hier weg! Das Monster hat nämlich vor uns zu fressen, und was sich Haie in den Kopf setzen, das machen sie nun mal auch! Halt dich jetzt gut fest Kleiner!“ Der Hai war Lily schon wieder so nahe, dass er mühelos nach Figaros Schwanz schnappen könnte, wenn er wollte, doch er liebte es, seine Beute zappeln zu lassen, denn er wusste genau das er so oder so seinen Willen bekam, denn solche mickrigen Lebewesen konnten ihm nicht entkommen. „Warum tauchst du nicht einfach auf, dann verwandelst du den Hai einfach in eine mickrige Forelle!“ „Das würde viel zu lange dauern, ich müsste dann erst mal den Zauberstab aus meinem Rucksack rauskramen und den Spruch aufsagen, inzwischen hätte uns der Hai mit einem Happs verschlungen.“ „Na dann mach schnell Mädchen, oder ich bin ein schwanzloser Krebs und somit auch eine schwanzlose Ratte!“ So schnell Lily konnte und so schnell es mit einer nörgelnden Ratte an der Flosse eben ging, flüchtete Lily vor dem schnellen Hai. In der Ferne konnte Lily schon den Beckenrand erkennen, doch sie wusste auch das der Hai es ihnen nicht leicht machen würde. Als Lily ihren Kopf nach Westen drehte, bemerkte sie das sich noch ein weiteres Ungetüm näherte. „Hannibal, wir werden umzingelt!“ Hannibal hörte Lily nicht zu. Er betete. „Ich bin nicht schnell genug und zaubern kann ich auch nicht! Aber ...Ja! Das ist es!“ Lily hatte ganz und gar auf den magischen Ring vergessen. Vorsichtig nahm Lily den Ring vom Finger, drückte den winzigen Knopf und drehte sich zu dem gewaltigen Monster um. Sie richtete den Ring genau auf seine dunklen, bösartigen Augen und konzentrierte sich genau auf ihren Wunsch. Weinige Sekunden später erleuchtete ein heller Strahl das Wasser und blendete den verwirrten Hai. Der zweite Hai, ein weißer Hai, der diesen Vorgang neugierig beobachtet hatte, machte sofort kehrt und ließ sich nicht mehr blicken. Der geblendete Hai aber konnte nichts mehr sehen, doch auf keinen Fall wollte er seine Beute entkommen lassen. Unsicher und wütend schnappte er um sich und verließ sich ganz und gar auf seinen Geruchssinn, der ihn nicht enttäuschen sollte. „Schnell, weg hier, bevor das Monster wieder ganz zu sich kommt!“ Als sie den Beckenrand schon fast erreicht hatten spürten sie wieder den röchelnden Atem des Hais im Nacken. „Oh, nein, dieses Mistvieh ist noch immer nicht erledigt!“, jammerte die Ratte. So schnell Lily konnte, schwang sie sich aus dem Wasser, um Haaresbreite hätte der Hai sie und Hannibal erwischt. Seite 13 Der Zauberring Tamara Berger „D..Das war k..knapp!“, japste Hannibal und spuckte all das verschluckte Wasser auf den Boden, „Mit dir hat man wirklich nichts als Ärger!“ „Ich weiß“, grinste Lily und drückte Hannibal erleichtert an sich. Mit einem Fingerschnippen verwandelten sich die beiden wieder in ihre Menschen und Rattengestalt. „Nicht schon wieder so eine blöde Tür!“, knurrte Hannibal als er sich kurze Zeit später ein wenig umsah. „Wenn wir durch die auch noch gehen, kommen wir vielleicht auch nicht mehr lebend raus! Wenn du da durchgehen willst, von mir aus, ich will dich nicht aufhalten, aber ohne mich, ich will nämlich noch weiterleben, in stinkenden Abfalleimern stöbern, im grünen Wasser der Kanalisation plantschen, anderen Ratten die Schlafplätze klauen und ...“, doch weiter kam Hannibal nicht. Ohne auf die jammernde Ratte zu achten hob Lily Hanibal auf ihre Schulter und öffnete die nächste Tür. Auch diesmal war es unfassbar, was Lily da sah. Hinter einem riesigen düsteren Friedhof lag auf einem Berg das unheimlichste Schloss das Lily jemals gesehen hatte. Das Schloss hatte hunderte von Türmen und Fenstern. Der Vollmond schien so hell wie nie zuvor und in der Ferne hörte Lily eine Turmuhr Mitternacht schlagen und einen Werwolf heulen. Nur ein heller Strahl des Mondes beschien das Schloss. Als Lily sich umdrehte, bemerkte sie, dass sie sich nicht mehr in der Schule befand sondern in einem düsteren Wald. Überall glaubte Lily hinter den Büschen etwas rascheln zu hören, oder hinter den Grabsteinen dunkle Schatten zu sehen. Lily fühlte sich sehr unwohl. „E..Es ist ziemlich dunkel hier!“, stotterte Hannibal, „Könntest du uns nicht etwas Licht zaubern?“ „Gute Idee!“, meinte Lily und zückte den Zauberstab: „Dunkelheit versperrt die Sicht, drum schenke uns ein Fünkchen Licht, dentreda livena !“ Kaum hatte sie den Zauberspruch beendet, hielt sie eine brennende Fackel in der Hand. „Oh Mann, wir leben hier doch in einer modernen Welt, du könntest vielleicht auch eine Taschenlampe oder wenigstens eine Laterne zaubern!“, nörgelte Hannibal. „Kannst du denn nichts anderes als immerzu herumnerven? Ich bin noch eine Hexenschülerin und keine ausgebildete Hexe und mit deiner schlechten Laune finden wir Figaro auch nicht schneller!“, sagte Lily wütend an Hannibal gewandt. „Mein’ ja nur!“, murmelte Hannibal beleidigt. „Lass uns nicht mehr streiten sondern dieses Gruselschloss mal genauer ansehen!“, erwiderte Lily freundlich. Den Berg hinauf führte ein schmaler ungepflasterter Weg. „Wenn wir da lang gehen brauchen wir bestimmt einen Tag! Lass uns noch ein Stückchen gehen und uns dann schlafen legen. Es würde nichts bringen, aus reiner Müdigkeit umzufallen!“ Die Fackel fest umklammert und die noch immer schmollende Ratte auf der Schulter machte sich Lily voller Entschlossenheit, ihren geliebten Kater zu finden, auf den Weg. Seite 14 Der Zauberring Tamara Berger Zur Linken und zur Rechten von Lily waren, so weit das Auge reichte, ein Meer aus Grabsteinen. Lily hatte schreckliche Angst hinter so einem Grabstein könnte ein Geist oder gar ein Zombie lauern, oder aus einem Grabstein könnte ein Skelett herausspringen und sie mit ins Jenseits nehmen. „Quatsch!!“, versuchte Lily sich zu beruhigen, „Mit solch einem Monster werde ich schon fertig!“ Hinter einer jungen Trauerweide ließen sich Lily und Hannibal nieder. Sie sammelten noch ein wenig Brennholz, zündeten ein Lagerfeuer an und legten sich schlafen. „Was ist wenn uns in der Nacht Werwölfe oder sonst welche Monster angreifen? Gegen die haben wir doch keine Chance! Nicht mal du!“, meinte Hannibal ängstlich. „Keine Angst mein Kleiner, das Feuer wird sie schon abhalten uns auch nur ein einziges Haar zu krümmen! Schlaf gut Hannibal!“, beruhigte ihn Lily. „Du auch“, antwortete die Ratte und kuschelte sich dicht an Lilys Schulter. „Gut, sehr gut! Sie kommen immer Näher! Ich dachte zwar die Haifischattacke würde sie ausschalten, aber was soll’s. Der Ring ist eben doch stärker als ich gedacht habe!“, höhnisch lachte eine boshafte Stimme. „Was wollen sie von uns?“, schrie eine ängstliche Männerstimme, „Wir haben ihnen nichts getan!“ „Ich will nicht euch, ich will das Mädchen! Wenn ich es habe, werde ich mächtiger sein als alle Magier und Hexen zusammen!“ wieder lachte die Stimme boshaft. „Sie werden Lily nicht bekommen!“, rief ein Kater. „O doch mein liebes Kätzchen, wenn sie dich wiederhaben will dann muss sie mir wohl oder übel gehorchen, oder“- eine gigantische Kralle legte sich an den Hals des Katers- „Oder, es geht dir an den Kragen, dir und deinem Menschenfreund!, fügte die Stimme kalt und unbarmherzig hinzu und brach in schallendes, boshaftes Lachen aus. Ein alter Uhu krächzte, gerade eben hatte er seine scharfen Krallen in den Rücken eines unschuldigen Kaninchens geschlagen, und danach gierig aufgefressen. Schweißgebadet wachte Lily auf. Mit weit aufgerissenen Augen blickte sie sich um. Zuerst nach links, dann nach rechts. Ein schmerzhafter Schrei gellte durch den Wald und den Friedhof. Dann wieder Stille. Wie in Trance stand Lily auf und folgte dem Schrei. Hannibal merkte von alledem nichts, er schlief tief und fest, und nicht einmal ein Stückchen Speck hätte ihn aus seinem Schläfchen reissen können. Mit kleinen Schritten wanderte das hypnotisierte Mädchen in den Wald hinein, ohne auch nur einmal stehen zu bleiben. Seite 15 Der Zauberring Tamara Berger Vor einer Höhle blieb Lily stehen. Sie erwachte aus der Trance und erschrak. Sie war mitten im Wald und kannte sich dort so gut wie gar nicht aus. Vorsichtig betrat Lily die Höhle. Angewidert trat sie einen Schritt zurück. Berge von Knochen und Totenschädeln häuften sich am Boden. In einer Ecke hörte Lily unappetitliche Schmatzgeräusche. Lily schrie laut auf. Ein Monster, so hässlich und widerlich wie sie es noch nie gesehen hatte blickte sie aus blutroten Augen an. Das Monster hatte keine Nase, dafür aber ein blutrünstiges Maul aus dem eine Blutspur und blutige Hautfetzen tropften. Mit einem Satz stand das Ungetüm vor Lily und begann zu kreischen. Ein Schrei, ein und derselbe, den Lily für einen Hilfeschrei gehalten hatte. Das Monster hatte Lily zu sich locken wollen, als leichte Beute sozusagen, und als Nachtisch. Lily griff hastig nach ihrem Ring doch nichts rührte sich. „Aber warum? Wieso tut sich denn nichts!“, flüsterte Lily. „Na ja, dann muss es jetzt eben anders funktionieren.“ Sie konzentrierte sich. Sie wurde ganz ruhig. Ihre Gedanken wurden klar und sie dachte nur an ein Tier. An ein bestimmtes Tier. An einen Wolf. Sich in Tiere zu verwandeln war eine Lilys leichtester Übungen, für die sie später ein Studium machen wollte. Viele von Lilys Lehrern behaupteten, sie hätte ein besonderes Talent für Tierverwandlungen, eine Kunst, die nur wenige Hexen und Magier beherrschten. Anstelle von Lily stand nun ein kräftiger Wolf, der die Zähne gefährlich fletschte, vor dem verwunderten Monster. Dieses aber ließ sich nicht abhalten. Ihm waren ein paar saftige Wolfkoteletts genauso recht. Es sprang auf und stürzte sich auf den Wolf. Lily hatte aber mittlerweile schon etwas Kampferfahrung und biss sofort zu. Das Monster kreischte auf. Aus seiner rechten Schulter tropfte giftgrünes Blut, das das Monster selbst gierig ableckte. Es saugte und biss an seiner Wunde herum und diese schwoll an und entzündete sich. Es wurde richtig verrückt. Lily nutzte diese Chance aus und griff an. Sie verbiss sich in den Fuß der hässlichen Kreatur und ließ nicht mehr los. Das Monster schrie und kreischte, doch die Instinkte des Wolfs kannten keine Gnade. Sie wollte nur eines- den Sieg! Das Monster wurde wegen des großen Blutverlusstes bewusstlos und Lily bekam sich wieder unter Kontrolle. Sie verwandelte sich zurück und eilte zu Hannibal: „ Los! Wir müssen weiter! Wir sind nicht mehr sicher hier!“ Schlaftrunken öffnete Hannibal die dunklen Knopfäuglein und gähnte: „Was is‘ los?“ Eilig hob Lily Hannibal auf und packte ihre Sachen zusammen. Seite 16 Der Zauberring Tamara Berger Ohne sich noch einmal umzudrehen flüchtete Lily mit dem nichts ahnenden Hannibal auf der Schulter. Lily rannte und rannte, den ganzen Tag irrten dife beiden durch den unheimlichen Wald. Stunden später stoppte sie völlig außer Atem unter einer uralten Weide. Warum läufste denn so schnell als wären hunderte von Katzen hinter dir her?“, fragte die Ratte. „Wenn du wüsstest, Hanniball!“, stöhnte Lily, setzte ein schiefes Grinsen auf und streichelte die Ratte. „Das war so, ...“ „Und du kannst dich wirklich in irgendein Tier verwandeln? Verwandle dich doch mal in ne Ratte! Das wär doch echt cool!“ „Nein! Zum Spaß darf ich das nicht, nur, wenn ich wirklich in Schwierigkeiten bin und außerdem nur, wenn mein Gegner auch ein Tier ist!“ „Aber ich dachte es war ein Monster das dich angegriffen hat!“, erwiderte Hannibal verwirrt. „Ja, das ist ja das Problem! Das Gesetz der Hexica (Bibel der Hexen) besagt, dass wenn man gegen das Gesetz der Tierverwandlung verstößt, man sich erst beim nächsten Vollmond wieder verwandeln darf, und bis dahin dauert es noch!“, seufzte Lily. „Aber was hätte ich denn auch anderes tun sollen, gegen solche Monster hilft nämlich der stärkste Zauber nichts!“ „Ich hab’ nen Bärenhunger! Kannst du mir nichts zu essen zaubern? Nur nen Happen für zwischendurch!“, wechselte Hannibal das Thema. „Na weil du es bist!“, ließ sich Lily bereitwillig überreden. Als sie in ihren völlig ruinierten Rucksack griff erschrak sie: „H...Hannibal, hast du vielleicht meinen Zauberstab gesehen?“ „Oh Mann, Lilymädchen! Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen das du deinen Zauberstab verloren hast?!“, stöhnte Hannibal und schüttelte den Kopf. „Na ja, Als ich mit diesem ekligen Monster gekämpft habe muss er mir aus dem Rucksack gefallen sein! Aber zurück geh’ ich sicher nicht, wer weiß, vielleicht hat das Monster nun auch seine Freunde zum Essen eingeladen! Wenn wir nicht hier wären wär das ja kein Problem, ich bräuchte nur Belinda schicken, die würde dann nach Edinburgh fliegen, in die Schmiede für Zauberhandwerk und im Nu wäre ein neuer Zauberstab da, dass noch dazu zu einem fast schon lächerlichen Preis, aber jetzt! Schon alleine wenn ich nur daran denke das jemand Figaro in seiner Gewalt haben könnte, dann wird mir ganz anders! Jetzt umzukehren wäre eine reine Zeitverschwendung!“, sagte Lily traurig und seufzte. „Sag mal Lily, warum bist du dir eigentlich so sicher das Figaro hier ist? Ich meine, er könnte doch überall sein auf der Welt, warum bist du dir so sicher?“, fragte die Ratte und putzte sich gründlichst das mit Erde und Lehm verklebte Fell. „Ich weiß auch nicht, irgendetwas führt mich, eine zweite Stimme scheint mir sagen zu wollen: Hier musst du lang gehen. Es ist wie ...“ Plötzlich juckte es an Lilys Finger. „W...Was ist das?“ Verwundert blickte Lily auf ihren Finger. „Ja klar! Mein Zauberring! Wie konnte ich ihn nur vergessen!“ Seite 17 Der Zauberring Tamara Berger Zärtlich strich sie über den wunderschönen Stein. Er funkelte und glitzerte und die Funken jagten wie wild umher, als wollten sie Fangen spielen. „Könnten wir uns nicht vielleicht etwas zu Essen wünschen? Ne Anchovipizza vielleicht oder ...“ „Nein, nichts da! Der Ring soll mich beschützen und nicht ne Pizza herzappen! Außerdem dürfen wir die kostbaren Kräfte des Rings nicht vergeuden! Wer weiß wofür wir sie nicht noch brauchen können ...“, erwiderte Lily streng. „Nicht mal n’ kleines Pizzabrötchen? Es kann ja auch eine ohne Belag sein, zum Beispiel ne Margherita! Ach Lilychen!“, bettelte Hannibal- jedoch ohne Erfolg. „Nein und nochmals nein! Hey! Warum suchst du uns nicht was zu futtern? Wurzeln, Pilze, Beeren! Ich hab’ sogar mal gehört ihr Ratten gehört ohnehin zu der Rasse der Trüffelschweine!“, gab Lily scherzhaft zur Antwort. „Na warte! Du kennst dich doch bei solchen Dingen besser aus, du Kräuterhexe!“, lachte Hannibal, sprang auf Lily zu und kitzelte sie von oben bis unten durch. „Niiicht! Aufhöreeen!“, japste Lily. „Los, komm!“,sagte sie kurze Zeit später als sie sich aus den Fängen der tollwütigen Ratte befreit hatte, „Wir sollten weiterziehen solange wir noch können! Es wird bald wieder dunkel werden und dann, dann sind wir den unheimlichen Kreaturen ausgeliefert.“ „Ich hab’ aber doch solchen Hunger!“, raunte Hannibal. Lily aber lächelte nur und meinte: „Vielleicht finden wir ja unterwegs was zu Futtern.“ Sie richtete sich auf und blickte sich um. Sie hatten noch einen langen Weg vor sich bis zum Schloss. Bei Tag jedoch sah es nur halb so gruselig aus als bei Nacht. „Meine Füße tun weh!“, jammerte die Ratte nach weniger als einem Kilometer, „Kannst du mich nicht tragen?“ „Würd ich ja tun ,aber meine Füße sind so schwer wie Blei! Die Höhenluft denk ich!“, antwortete Lily. „Warum nehmen wir nicht die Abkürzung da?“, meinte Hannibal und deutete auf einen schmalen Pfad den man wirklich nur sehen konnte, wenn man wusste das es ihn gab, für Hannibal war das aber kein Problem, für ihn war es ganz normal, eher kleine Dinge zu sichten, darauf war er ja spezialisiert. Dieser kleine Weg führte ebenfalls zum Schloss dafür jedoch war er auch viel kürzer. Nirgends stand auch nur ein einziger Grashalm, alles war sandig und lehmig. „Irgendwas kommt mir dabei komisch vor!“, antwortete Lily zögernd. „Ach, was soll den da komisch sein! Sei froh, dann können wir deinen Kater vielleicht eher finden!“ „Wenn du meinst!“, sagte Lily und betrat vorsichtig den „Weg“: „Du hast recht, es ist wirklich alles okay!“, meinte Lily erleichtert und ging weiter. Plötzlich, wie aus dem Nichts, begann der Boden zu beben und zu zittern. „W...Was ist das?“, fragte Lily ängstlich. „I ...Ich vermute, so was wie ein Erdbeben!“, gab Hannibal mit zitternder Stimme zurück. Doch mit seiner Vermutung lag er falsch, denn in diesem Moment wurde der feste, harte Boden weich. Seite 18 Der Zauberring Tamara Berger „Was geht hier vor?“, flüsterte Lily und klammerte sich an Hannibal der sich schützend in ihren Armen versteckte. Lilys Füße sanken ein, nur noch ihre Knöchel waren zu sehen. „Oh Gott! Hannibal hilf mir doch!“, schrie Lily entsetzt auf, doch es war bereits zu spät. Aus den Tiefen der Erde wölbte sich eine Hand die Lilys Bein packte und hinunterzog. Lily jedoch beruhigte sich und behielt einen kühlen Kopf. Sie nahm den Ring von ihrem schwitzigen Finger und drückte den Knopf auf der Unterseite. Schnell steckte sie den Ring wieder an und schloss die Augen. Rundherum wurde es hell. Hell und warm. Lily fühlte sich wie im Traumland. Sie schwebte und war befreit von ihren Sorgen und Ängsten. Sie war frei. Lily stand mit beiden Beinen auf dem wieder fest gewordenen Boden. „Cool!“, hauchte Hannibal und staunte über die unbegrenzte Macht die den so unscheinbaren Ring umgab. „Lass uns schnell zum Schloss laufen bevor noch irgendwas passiert!“, meinte Lily an Hannibal gewandt und wanderte los. Endlich erreichten sie das Ende des kahlen Untergrunds und betraten wieder die grüne Wiese. Fröhlich rannte Hannibal vor und freute sich: „Endlich mal wieder was grünes unter den Füßen. Oh wie habe ich dich vermisst Oh du wunderschöne Wiese!“ Gerade wollte Lily die Wiese betreten, als die Hand aus der Erde wieder auftauchte und sie mit einem Ruck hinunterziehen wollte. Lilys gesamter Unterkörper war schon im Erdboden versunken als Hannibal zornig schrie: „Lass sofort meine Freundin los oder du bekommst es mit mir zu tun!“ Die Ratte nahm Anlauf und sprang auf die an Lily ziehende, zerrende Hand und rammte seine scharfen Rattenzähnchen hinein. Die Hand ließ von Lily ab und wollte Hannibal abschütteln. Lily rettete sich auf das saftige Grün und rief Hannibal zu: „Spring Hannibal, ich fang dich auf, spring!“ Hannibal ließ sich das nicht zweimal sagen, ließ die wild gewordene Hand los und sprang in Lilys Arme. „Vielen Dank du verrückte Ratte, du bist mein Retter in der Not!“, bedankte sich Lily bei der verlegenen Ratte und küsste sie auf die Stirn. „Nichts zu danken My Lady, Sir Hannibal von Ratterich steht ihnen stets zu Diensten!“, grinste Hannibal. „Wow! Ich hab’ noch nie so was Gewaltiges gesehen!“, meinte Lily als sie sich kurze Zeit später aufmachten um ihr Ziel zu erreichen. Endlich waren sie beim Schloss angekommen, nach einem langen Fußmarsch und vielen bestandenen Abenteuern, das Größte jedoch würde sie bald erwarten. „Meinst du dass da drinnen dein Figaro gefangen gehalten wird?“, zweifelte Hannibal und musterte Lily, die entschlossen die raue Mauer hinauf zu einem der unzähligen Schlossfenstern blickte. „Ja!“, hauchte Lily und atmete die frische kühle Frühlingsbrise ein. Seite 19 Der Zauberring Tamara Berger „Ganz sicher.“ Leise schlichen sich die beiden um das Schloss herum, geradewegs zum Eingang. Vorsichtig und mit nass geschwitzten Händen griff Lily nach der Türklinke und drückte sie hinunter. Die Türe öffnete sich mit einem unheimlichen Knarren, das einem Mark und Bein gefrieren lassen könnte. Nichts besonderes für Hexen, etwas anderes aber für Ratten. Hannibal war starr vor Schreck und Lily hob ihn behutsam auf. „Keine Angst kleine Ratte, das war doch nur die Tür!“ „Das wusste ich doch!“, beteuerte Hannibal, der sich allmählich wieder von seinem Schrecken erholt hatte. Wie aus dem Nichts ertönte eine Melodie aus einer Orgel und die beiden drehten sich blitzartig um. Wie von Geisterhand wurden die Tasten einer uralten Orgel die mitten in der Vorhalle stand betätigt. Schnurstracks blickten Hannibal und Lily zur Orgel hin und erschraken. „W ...Was geht hier vor sich?“, flüsterte Lily ängstlich. Plötzlich schwirrte eine Fledermaus durch den Raum. Kreuz und quer, mit vielen Loopings flog sie herum und landete letztendlich vor Lily und der Ratte. Mit einem Knall und unheimlichem, grauem Rauch verwandelte sich die Fledermaus in einen blutrünstigen Vampir. Seine Augen blitzten bösartig im matten Licht das durch die Fenster drang, und zwei spitze, schneeweiße Eckzähne ragten aus dem Mund. In den Mundwinkeln klebte altes, dunkelrotes Blut und der Vampir hatte kohlrabenschwarzes Haar, das ihm wild zu Berge stand. Er trug einen dunklen Mantel aus Samt und seine Haut war sehr blass. Er versuchte Lilys Hand zu packen. Lily aber wich aus und schrie Hannibal laut zu: „Los, schnell raus hier! Vampire halten ohnehin kein Tageslicht aus, er wird uns also nicht folgen!“ So schnell sie konnten stürmten sie Richtung Ausgang. Plötzlich stolperte Lily über eine Teppichfalte und stürzte zu Boden. Der Vampir verwandelte sich zurück in eine Fledermaus und flog auf Lily zu. Diese wollte nach ihrem Zauberring greifen, doch der Ring war bei Lilys Sturz abgegangen und einige Meter hinter Lily gelandet. Immer näher kam die Vampirfledermaus, die gierig ihr Mäulchen aufsperrte und Lilys Hals anvisierte. Lily konnte sich nicht bewegen, da sonst die Fledermaus gleich zugebissen hätte, aber ohne Ring und ohne Zauberspruch war Lily machtlos, sie war dem Vampir ausgeliefert. Auch an eine Tierverwandlung war nicht zu denken, da nach Lilys Berechnungen erst wieder in zehn Tagen Vollmond war. Plötzlich hörte sie wildes Kampfgebrüll hinter der Fledermaus und im selben Augenblick schwang eine kleine Kreatur auf einem Seil zur Vampirfledermaus und verpasste ihr eine Kopfnuss. Die Fledermaus fiel zu Boden und blieb regungslos liegen. Verwundert blickte Lily zu der Gestalt die sie gerettet hatte und erkannte Eduard, den Gnom. „Sind sie es, Herr Gnom?“, fragte Lily noch immer unglaubwürdig. „Der, und kein anderer bin ich, aber nenne mich doch Eduard.“, antwortete er. Seite 20 Der Zauberring Tamara Berger „Vielen Dank für die Rettung, ohne dich würde ich jetzt wohl nicht mehr leben!“, bedankte sich Lily bei dem Gnom für die Rettung in letzter Not. „Alles okay Lily?“, fragte nun auch Hannibal, der alles ängstlich beobachtet hatte. „Ja, alles in Ordnung.“, gab Lily zur Antwort und hob den verloren gegangenen Ring vom Boden auf. „Los, lasst uns hier wegkommen bevor das Monster wieder zu sich kommt!“, meinte Eduard an Lily gewandt. „Das geht leider nicht, ich suche noch immer nach meinem Kater der sich hier irgendwo befinden muss!“ „Kein Problem, ich kenne einen zweiten Eingang zum Schloss wo garantiert keine Killerfledermäuse ihr Unwesen treiben!“, beteuerte der Gnom „Und außerdem würden sich Hedwig und ich über Besuch sehr freuen!“ „Bin ich nicht viel zu groß um in eure Wohnung zu gelangen?“ „Aber nein! Bei uns ist ohnehin alles mindestens zwei Meter hoch, unsere Erdhöhle bewohnten früher Erdtrolle, gewaltige Dinger sage ich euch!“ „Na wenn das so ist dann nehmen wir die Einladung dankend an, nicht wahr Hannibal?“ „Aber klar doch! Ich sterbe gleich vor Hunger.“ „Gut, Hedwig kocht gerade!“ Sie wanderten einen kleinen Abhang hinunter und Lily fragte Eduard Gnom: „Warum bist du eigentlich zum Schloss gekommen? “ „Na ja, ich habe Schreie, die wohl von dir waren, gehört. und dachte mir, da ist doch jemand in Schwierigkeiten und jemandem in Schwierigkeiten muss man doch schließlich als anständiger Gnom helfen. Außerdem habe ich eine gruselige Gestalt mit zwei Käfigen ins Schloss einziehen gesehen und da alle Bewohner hier in Regenbogenstadt meinten dass das nur Lord Nero, der schlimmste aber mächtigste Herrscher über die Unterwlelt sein kann, wollte ich auskundschaften ob das wahr ist.“ „Ja aber warum ist dieser Lord Nero hier in Regenbogenstadt und nicht in der Unterwelt? Und warum nennt ihr diesen düsteren Ort hier Regenbogenstadt?“ „Ich denke es ist besser alles von Anfang an zu erzählen: Vor nicht allzu langer Zeit lebten die magischen Wesen wie Zwerge, Einhörner, Drachen und Gnome glücklich und friedlich vereint an einem so wunderbaren Plätzchen, wo die Sonne so wunderschön schien und immer ein farbenfroher Regenbogen diesen Ort schmückte. Doch eines Tages schoben sich dunkle Wolken über die Sonne und grauer Nebel ließ den Regenbogen verschwinden. Viele böse Kreaturen versuchten die Herrschaft über diese Stadt zu gewinnen doch nur eine schaffte es: Lord Nero. Er stürzte unsere geliebte Königin, die Elbe Finn, vom Thron und ließ sie in ein dunkles Verlies, bewacht von dunklen Gestalten bringen. Mit ihm kamen seine treuen Untertanen. Schleimblüter, Vampire, Erdtrolle und alles bösartige von dieser Welt. Meine Frau und ich lebten früher in einer gemütlichen Wohnung tief unter der Erde, wo wir ungestört waren doch dann zerstörten sie alles, nahmen uns unser ganzes Hab’ und Gut. Seite 21 Der Zauberring Tamara Berger Wir suchten nach einer neuen Wohnung unter der Erde, doch alles hatten sie verwüstet! Wir mussten uns daran gewöhnen an der Erdoberfläche zu wohnen und das grelle Licht zu ertragen. Wir waren sichtlich erfreut als wir eine leer stehende Erdtrollhöle fanden. „So war das also! Hier war nicht immer alles so trostlos. Erst als dieser Nero antanzte hat sich alles verändert. Ich bin mir sicher, dass in einem der Käfige Figaro ist.“ Endlich waren sie bei der Höle der Gnome angekommen und Hedwig empfing sie mit offenen Armen: „Lily meine Kleine, wie geht es dir denn? Du bist ja ganz dünn geworden, was treibt dich denn hierher, immer noch dein Kater? Wer ist denn dieser süße junge Rattenmann? Das Essen ist sofort fertig, habt ihr auch Hunger?“ Lily erzählte die ganze Geschichte Hedwig und diese erwiderte empört: „Das ist doch alles nichts für so ein junges Mädchen wie dich! Kleine Mädchen sollen nicht kämpfen, sie sollen mit ihren Puppen spielen, so gehört sich das!“ Hedwig brachte Lily eine winzige Portion ihres Essens, das Lily nicht wirklich identifizieren konnte, aber eigentlich ganz gut schmeckte. Hannibal freundete sich mit Karloss an und die vegetarische Speise schien ihm gut zu schmecken. „Ich bin hundemüde, könnte ich mich nicht hier irgendwo hinlegen, nur ganz kurz, dann müssen wir auch schon wieder aufbrechen.“, fragte Lily und bestätigte ihre Aussage mit einem kräftigen Gähnen. „Aber natürlich, natürlich Mädchen leg dich ruhig ein wenig hin! Hier, damit dir nicht kalt wird nimm diese Strickerei, sie sollte eigentlich als Teppich für die ganze Wohnung dienen, aber dafür wäre sie ohnehin viel zu klein!“, sagte Hedwig und überreichte Lily eine selbst gestrickte Decke aus roter Schafswolle, die sich kuschelweich um Lilys Beine schmiegte. „Vielen Dank, das werde ich euch nie vergessen, eure Gastfreundschaft und alles! „O ja, vielen Dank!“, schmatzte Hannibal mit einem Mund voll von Hedwigs Essen. Obwohl Lily sich vorgenommen hatte, sich nur für eine Weile aufs Ohr zu legen, schlief und schlief sie. Anfangs dachte sich noch niemand etwas dabei: Sie ist eben müde, meinten alle. Doch als Hedwig nach Lily sah bemerkte sie, dass Lily sehr krank war. „O mein Gott! Das Kind hat ja hohes Fieber! Sie atmet ja gar nicht mehr richtig und sie zittert am ganzen Leib! Lily, hörst du mich? Komm, mach den Mund weit auf, ich habe hier Medizin für dich, etwas bitter aber sie enthält nur reife Alraunen, und ist Fiebersenkend. Lily, tut dir sonst noch etwas weh? Ach Lily!“, schnatterte Hedwig besorgt und strich über Lilys verklebtes Haar. „Aber was ist denn los? Was ist mit Lily?!“, fragte Hannibal, der sich prächtig mit Karloss amüsiert hatte und nun den Raum, in dem Lily mit der Wolldecke umwickelt, schlief, betrat. „Sie hat sehr hohes Fieber, es steht sehr schlecht um sie!“, antwortete ihm Hedwig und wagte nicht, dem niedergeschlagenen Hannibal ins Gesicht zu schauen. „Aber sie wird doch wohl wieder gesund, nicht wahr?“ „Ich weiß es nicht, aber ich werde alles tun um sie wieder gesund zu machen.“ Seite 22 Der Zauberring Tamara Berger Eduard war auf der Suche nach Futter gewesen und hatte ein paar Beeren, eine saftige Junikäferlarve und ein Thymianpflänzchen mitgebracht. Als er die kranke Lily erblickte, machte er sich abermals auf, um ein paar Hüfstocklinge für frischen Hüfstockltee zu suchen. Angeblich waren diese Hüfstocklinge ein Wundermittel gegen jede tödliche Krankheit, aber nur äusserst schwer zu finden. Bepackt mit einer winzigen Karre voll von dieser unscheinbaren Pflanze kam er schließlich nach Hause und überbrachte sie Hedwig die sich sofort daran machte, Tee daraus zu kochen. Hannibal saß neben Lily und streichelte über ihre schweißnasse Hand. Als der Tee fertig und nicht mehr allzu heiß war, setzte Hedwig die Fingernagelgroße Tasse an Lilys Lippen und flößte ihr das süße Gebräu ein. Plötzlich öffnete Lily die Augen: „Wo, wo bin ich? Ich habe schreckliche Kopfschmerzen. Hannibal, bist du das?“ „Ja, ich bin es Lilymädchen, Hannibal, wir sind hier bei Hedwig und Eduard Gnom, weißt du noch? Wir suchen nach Figaro, Figaro deinem Kater, aber du warst furchtbar krank.“ Hannibal schluckte einen dicken Kloß hinunter der ihm im Hals steckte. „Und wir wussten nicht, wussten nicht ob du jemals wieder gesund wirst.“ „Lily!“, wisperte Hedwig sanft. „Wie geht’s dir denn? Hast du Durst? Hier trink noch eine Tasse Tee. Wenn du Glück hast, kannst du morgen wieder aufstehen. Dieser Hüfstocklinge sollen ja Wunder bewirken!“ Als Lily sich später noch etwas ausruhte, hörte sie ein Gespräch zwischen den beiden Gnomen: „Es war eigentlich schon so gut wie unmöglich das Lily überhaupt wieder aufgewacht ist. Trotz der Hüfstocklinge hätte sie sterben können. Irgendetwas hat sie zurückgeholt, sie muss einen Schutzengel haben der es wirklich gut mit ihr meint ...“ „O ja!“, flüsterte Lily so leise das es niemand außer ihr hören konnte dem Ring an ihrem Finger zu. „Du bist das! Du beschützt mich und du wirst nie zulassen, dass mir etwas geschieht, nicht wahr?“ Nächsten Tag war Lily wieder putzmunter und verabschiedete sich von dem Gnomenehepaar. „Du wirst aber doch noch mal wiederkommen um uns zu besuchen?“, fragte Hedwig, die Lily und auch Hannibal schon sehr ins Herz geschlossen hatte. „Aber natürlich, sobald ich Figaro wieder gefunden habe, komme ich gerne nochmal.“, antwortete Lily und bedankte sich bei den Gnomen. Liebevoll strich die Gnomenfrau über das weiche, frisch gebürstete Fell Hannibals und meinte zu ihm: „Und du wirst mir auch immer auf das Mädchen aufpassen nicht wahr?“ „Na klar! Ich bin doch ohnehin Lilys Bodyguard, mit mir kann ihr doch überhaupt nichts passieren!“ Seite 23 Der Zauberring Tamara Berger Lily packte ihren Rucksack der nun auch noch mit Proviant voll gestopft war und machte sich mit Hannibal im Schlepptau und Eduard neben sich auf, zu dem Hintereingang des Schlosses. Nach einem kurzen Fußmarsch waren die drei an einem alten Stollen angekommen. „Aber ich dachte wir wollten zum zweiten Eingang des Schlosses?“, fragte Lily verwirrt und lugte unbehaglich hinein in den dunklen Stollen. „Aber ja, zuerst aber müsst ihr durch den Stollen und danach könnt ihr das Schloss betreten ohne gleich übel überrascht zu werden!“ „Gut! Dann nochmal vielen Dank für alles, auf Wieder-sehen!“, verabschiedete sich Lily und danach auch Hannibal. „Hier ist es aber wirklich sehr dunkel!“, schluckte Hannibal und hangelte sich an Lilys Hosenbein hinauf. Lily ließ die Ratte auf ihre Hand krabbeln und schlenderte den düsteren Weg des Stollens hinunter. Plötzlich aber endete der Weg. Stattdessen stand an der Stelle ein kleiner Wagen auf Schienen, die nicht mehr ganz so sicher aussahen, wie sie vielleicht einmal waren. Ich glaub’ da müssen wir weiter, oder?“, fragte Lily und verfolgte mit ihren Augen die Schienen die einmal steil nach unten und oben verliefen. „Cool! Das ist doch bestimmt so wie Achterbahn fahren oder?“, meinte Hannibal vergnügt, sprang von Lilys Arm und erkundete den Wagen. Lily erkannte Hannibal gar nicht wieder, so abenteuerlustig und mutig war er noch nie gewesen. „Na ja wenn sogar du dich darin fahren traust, dann kann es ja nicht so schlimm sein.“,seufzte Lily und stieg ebenfalls ein. „Na, das will ich jetzt lieber überhört haben Kleine!“, murrte Hannibal, doch in diesem Moment begann der Wagen sich zu bewegen und wurde immer schneller. Eigentlich lief danach ja alles ganz gut, bis der Wagen mit Volldampf auf eine Steinmauer zuraste. „O mein Gott, wir werden draufgehen!“, kreischte Hannibal. „He, jetzt dreh mal nicht gleich durch, ich mach ja schon was ich kann!“, versuchte Lily die aufgeregte Ratte zu beruhigen. Wie verrückt zerrte Lily an dem Hebel, der den Wagen eigentlich zum Stehen bringen sollte. Doch wie durch Hexerei ließ er sich keinen Millimeter bewegen. Hektisch nahm Lily den Ring von ihrem Finger und versuchte, damit den Hebel zu verzaubern, doch auch damit konnten sie sich nicht retten. Der Hebel war wohl mit einem mächtigeren Zauber belegt, als sie gedacht hatte. „Los Hannibal, leg dich hin, wir werden jede Sekunde an die Wand knallen!“, schrie Lily, legte sich hin und schützte ihren Kopf mit den zitternden Händen. Plötzlich machte es einen riesigen Knall und Tonnen von Steinen fielen auf den Wagen herab. Doch dieser fuhr, wenn auch etwas angeschlagen und von einigen Felsbrocken getroffen, noch einige Meter weiter, und wurde nicht vom Steinregen begraben. „Hannibal, ist mit dir alles in Ordnung?“, fragte Lily und blinzelte in das Sonnenlicht, das düster vom Himmel herunterschien. Seite 24 Der Zauberring Tamara Berger Nun waren sie aus dem Stollen draußen und vor ihnen lag nun das alte Schloss. „Hannibal?“, fragte Lily ein zweites Mal und sah sich nach ihm um. In einer Ecke lag die kleine Ratte und rührte sich nicht. „O mein Gott!“, schluchzte Lily und hob Hannibal behutsam auf. Seine kleinen, schwarzen Knopfäuglein waren geschlossen und er atmete nicht mehr. „Nein! Hannibal! Du kannst mich doch hier nicht einfach alleine lassen, ich brauche dich doch, hörst du?“ Lily weinte viele, bitterliche Tränen und konnte sich mit dem Tod der geliebten Ratte nicht abfinden. Nach einigen traurigen Momenten stieg Lily mit der leblosen Ratte auf dem Arm aus dem Wagen und legte sie behutsam auf den Rasen. „Hannibal, ich werde dich nie vergessen, du warst die beste Ratte die ich je gekannt habe, ich hoffe, es wird dir da oben gut gehen.“ Eine letzte Träne floss über Lilys blasse Wange und tropfte genau auf den Zauberring, in dem die Funken im Stein sofort aufgeregt zu tanzen begannen. Ein feiner heller Strahl des Ringes fiel auf die tote Ratte und diese öffnete vorsichtig ein Auge. „O Gott, mein Schädel brummt ja noch mehr als mein Magen! Hat mal jemand ein Aspirin für mich?“,fragte Hannibal und ein noch etwas schiefes Grinsen überzog sein Gesicht. „Hannibalchen, ich hatte ja solche Angst um dich! Ich dachte du wärst tot!“ Lily nahm Hannibal auf den Arm und knuddelte ihn, bis er fast keine Luft mehr bekam. „Hey! Einmal sterben reicht doch, du brauchst mich nicht zu erdrücken!“ Insgeheim liebte Hannibal es, geknuddelt und gestreichelt zu werden, doch er war nun einmal eine coole Ratte, und coole Ratten knuddelten eben nicht, da knuddeln ja total uncool war, meinte Hannibal zumindest. „Ich habe riesen Kohldampf, hättest du nicht ein wenig zu Essen für eine so süße Ratte wie mich?“ Nachdem Hannibal genüsslich alles verzehrt hatte, was Lily ihm vorsetzte, begann er wieder zu quasseln: „Es ist doch echt komisch.“ „Was ist komisch?“, erkundigte sich Lily. „ Na ja, zuerst bist du sterbenskrank und nur durch die Kräuter der Gnome wirst du wieder gesund. Ich meine, stell dir doch mal vor Eduard Gnom hätte uns nicht im Schloss aufgegabelt, dann hätte dir Hedwig nicht helfen können, und du wärst vielleicht nicht mehr hier. Danach bin ich abgekratzt und nur weil dich irgendwas magisches mit diesem Wunderring verbindet kannst du mich wieder lebendig machen! Da muss doch irgendetwas nicht stimmen! Irgendjemand will uns absichtlich umbringen und irgendetwas schützt uns und lässt nicht zu das uns etwas geschieht!“ „Es ist bestimmt dieser Lord Nero, der Figaro gekidnappt hat, und uns töten will. Mich wollte er durch einen unheilbaren Virus unschädlich machen und dich mit einem Unfall. Seite 25 Der Zauberring Tamara Berger Aber warum? Warum tut er uns das alles an? Ich kenne diesen Nero nicht und ich weiß auch nicht warum er mich so hasst, dass er mich umbringen will!“ „Tja, das werden wir wahrscheinlich bald erfahren, wenn wir deinen Kater retten wollen!“, meinte Hannibal und putzte sich sein noch immer verklebtes Fell. „Wahrscheinlich!“, seufzte Lily, der langsam bewusst wurde, was ihr mit der Rettung Figaros bevorstand. „Sag mal, Lily, du hast mir doch erzählt das deine Eltern bei einem Autounfall gestorben sind als du noch ein Baby warst, oder?“, fragte Hannibal. „Ja, wieso fragst du?“ „Du sagtest doch auch das du mit deinem Kater alleine in einem Haus im Filoniawald wohnst, aber du kannst doch nicht von klein auf allein für dich gesorgt haben!“ „Nein, natürlich nicht. Nach dem Tod meiner Eltern habe ich bei meiner Tante Elizabeth gewohnt, doch die starb vor drei Jahren, sie war schon sehr alt. Damals war ich zehn. Dann wollte man mich in ein Waisenhaus stecken. Doch es stellte sich heraus, dass auch ich wie meine Tante und wie meine Eltern Zauberkräfte besitze und so musste ich in eine Schule für Hexen und Hexer gehen, und da in der Nähe der Schule ja kein Waisenhaus ist, durfte ich in die kleine Hütte im Filoniawald ziehen, bekam einen Besen mit dem ich jeden Tag zur Schule flog, und auch Figaro, den ich von meiner Tante sozusagen als Abschiedsgeschenk, dass ich nicht so alleine bin, bekommen habe, zog bei mir mit ein. So, jetzt weißt du alles!“, gab ihm Lily zur Antwort. Du vermisst sie alle, nicht wahr? Deine Tante und deine Eltern und nun auch Figaro.“, sagte Hannibal mitfühlend zu Lily und blickte ihr tief in ihre traurigen, blauen Augen. „Ja, aber sonst ist es nicht so schlimm. Es ist ja nur weil Figaro das Einzige ist, das ich jetzt noch habe, auch wenn wir uns öfter streiten, und jetzt ist er auch nicht mehr da, aber ich bin fest davon überzeugt das ich ihn finde!“, meinte Lily. „Ja, ich glaub’ auch!“, plauderte die Ratte munter weiter und erzählte und erzählte, um Lily auf andere Gedanken zu bringen. „Ich denke wir sollten uns jetzt auf den Weg machen, es ist ja nicht mehr weit!“, unterbrach Lily Figaros Quasselei. Sie nahm ihren Rucksack, der schon ganz steif war und setzte Hannibal auf ihre Schulter. Kurze Zeit später waren sie bei der Hintertür des Schlosses angelangt und Lily öffnete vorsichtig das unverschlossene Tor. Schon das zweite Mal waren Lily und Hannibal nun schon im Schloss, doch diesmal waren sie in einem anderen Raum gelandet. Es roch grauenvoll nach Verfaultem und Mäusedreck. „Jaaaa!“, seufzte Hannibal genüsslich. „Hier riecht’s richtig nach zu Hause! Ein toller Duft! Sollte es eigentlich auch als Raumspray geben, nicht?“ „Also denjenigen, der diesen Spray kauft, den möchte ich gerne kennen lernen!“, lachte Lily und sah sich angewidert um. Man konnte nicht mehr viel erkennen, ein uralter Stuhl, dessen Polster mit mottenzerfressener Seide bezogen war, ein Tisch der ziemlich morsch aussah und ein Schrank aus Ebenholz der auch nicht mehr der Neueste war. Seite 26 Der Zauberring Tamara Berger In allen Ecken und Winkeln befanden sich Spinnweben und Spinnennetze, in denen gigantische Spinnen hungrig auf der Lauer lagen. Die graue Farbe blätterte schon an einigen Stellen der Mauer ab und ab und zu huschten Kakerlaken über den staubigen Fußboden. Sonst war es kahl und leer im Raum und es herrschte totenstille. „Oh Mann, so still ist es ja noch gruseliger als es mit Orgelgespiele war!“, stellte Hannibal fest. „Na ja, es wird wohl nicht umsonst Gruselschloss genannt.“, bemerkte Lily. Hinter den beiden fiel die Tür ins Schloss und beide drehten sich erschrocken um. „Nicht auch das noch! Wie sollen wir denn wieder rauskommen!“, stöhnte Lily und fuhr sich durch das ungekämmte Haar. „Wir werden jämmerlich verdursten, oder noch schlimmer: von einem Monster aufgespießt und einen grausamen Tod erleiden oder ...“ „Red’ doch nicht solchen Quatsch! Klar kommen wir hier wieder raus, und zwar MIT Figaro.“, unterbrach Lily die jammernde Ratte in ärgerlichem Ton. „Na da wär’ ich mir nicht so sicher, dieser Nero wird ihn bestimmt nicht so leicht rausrücken!“, murmelte Hannibal leise und beleidigt, doch Gott sei Dank hatte Lily nichts davon mitbekommen, man hätte für nichts garantieren können ... Vorsichtig betraten Lily und Hannibal das nächste Zimmer, in dem sie auf eine lange Wendeltreppe stießen. „Wir sind bald da!“, flüsterte Lily Hannibal geheimnisvoll zu. „Nun sei doch mal nicht mehr beleidigt, ich kann gut verstehn dass du Angst hast, ich habe sie ja auch, aber wir haben doch den Ring, er wird uns beschützen, ganz sicher!“ „Wenn du meinst! Ich habe aber überhaupt keine Angst, das vorhin war doch nur gespielt, ich bin eben ein guter Schauspieler!“, verteidigte sich die Ratte, der es insgeheim bei dem Gedanken, was sich hinter der Wendeltreppe verbergen könnte schon wieder kalt über den Rücken lief. Behutsam stieg Lily mit Hannibal auf der Schulter die Treppe hinunter und staunte nicht schlecht als sie einen langen Gang entlang lauter Gefängnisszellen entdeckte. „Wo sind wir den hier gelandet?“, fragte sie erstaunt und blickte in die erste Zelle hinein. Erschrocken stieß Lily einen spitzen Schrei aus. „Was ist denn? Das Monster, nicht wahr? Es wartet schon auf uns und ...“ „Nein, kein Monster aber ein ekeliges Skelett!“, sagte Lily, die sich allmählich von dem Schock erholte. „Hey! Hier rüber Mann!! Ich hab’ da drüben bei Zelle 1 was gehört! Du weißt doch, alle Eindringlinge sollen wir zum Boss bringen, sonst geht’s uns an den Kragen!“, ertönte eine Stimme von weiter hinten. Lily und Hannibal hörten sogleich dumpfe Schritte, die immer näher kamen. Seite 27 Der Zauberring Tamara Berger „Wir müssen uns verstecken!“, zischte Lily aufgeregt. „Ja, aber wo?“, flüsterte Hannibal mit zitternder Stimme zurück. „Los, hier rein!“, wisperte Lily und zerrte den ängstlichen Hannibal mit sich in eine kleine Abstellkammer, die sich gegenüber von „Zelle 1“ befand. Die Schritte kamen immer näher. Lily öffnete die Tür zur Abstellkammer einen Spalt breit und lugte hindurch. Zwei Gestalten in dunkle Mäntel gehüllt und mit einer scharfen Sense in den blassen Klauen schwebten herbei und durchsuchten die Zelle und suchten auch in jeder Ecke nach den Eindringlingen, aber auf die Abstellkammer kamen sie nicht. Das Gesicht dieser Geister, Monster, Ungeheuer, was immer es auch waren, war mit einer Kapuze bedeckt. „So hab’ ich mir immer den Tod vorgestellt!“, japste Hannibal und drohte ohnmächtig zu werden. „Ne, ich glaub’ das ist genau so einer, der auch in meinem Klassenzimmer war und mich töten wollte! Schlamblüter heißen diese Kreaturen, soweit ich weiß!“ flüsterte Lily Hannibal zu, der dadurch aber auch nicht sehr erleichtert war. Entschlossen griff Lily nach einem Besen der in einer der schmutzigen Ecken lehnte und öffnete die Türe noch ein wenig mehr. Gerade jetzt huschte einer der Schlammblüter an Lily vorüber und ohne zu zögern schlug Lily ihm mit voller Wucht mit dem Besenstiel auf den Kopf. Das Schlammblut sackte zusammen und lag bewusstlos auf dem Boden. „Was ist denn hier los? Ergib dich, kleine Göre, oder du musst dran glauben!“, ertönte eine Stimme hinter Lily. Doch Lily dachte nicht daran sich zu ergeben. „So, du willst also nicht, he?“, lachte die Kreatur höhnisch und versuchte Lily mit der Sense zu verwunden. Lily jedoch sprang und wich geschickt aus, sodass das Schlammblut sie nicht erwischte. Dem Schlammblut aber fiel nicht auf, dass Lily nicht alleine war. Hannibal machte sich in der Zwischenzeit daran, einen verrosteten Eimer aus der Kammer zu schleppen. Er stellte ihn mitten auf den Gang und versteckte sich wieder. Lily, die verstand, was die kluge Ratte damit bezwecken wollte, lenkte das Schlammblut direkt auf den Eimer zu. Sie selbst wich ihm aus, doch das Schlammblut stolperte darüber, schlug sich den Kopf und fiel ebenso zu Boden. „Wir sind doch ein echt tolles Team!“, freute sich Lily und Hannibal stimmte ihr, stolz über seinen unbegrenzten Mut, zu. „Ist, ist da jemand?“, hörten die beiden eine helle Stimme fragen. „Sind sie Finn, die Königin?“, erkundigte sich Lily und schnappte sich den Schlüsselbund der beim Sturz des Schlammblutes abgegangen war. „Ja, ich bin es!“, hörten Hannibal und Lily die helle Stimme sagen. Seite 28 Der Zauberring Tamara Berger Lily und Hannibal eilten auf die Zelle zu von der die Stimme gekommen war und Lily öffnete der Elbe die Zellentür. Finn war eine wunderschöne junge Frau mit einem sehr hübschen Gesicht. Sie hatte blaue Augen und rote Lippen. Ihr hüftlanges, goldblondes Haar bedeckte ihre zierlichen Flügel, die in allen Regenbogenfarben schimmerten. Sie trug ein langes himmelblaues Kleid aus Seide, das schon ein wenig schmutzig vom Staub geworden war. „Wie ist dein Name, Mädchen?“ „Ich bin Lily Mey und das ist Hannibal!“ Du bist Lily? Lily Mey? Meine Lily? Ich bin Finn Mey, deine Schwester!“ „Aber ich habe doch keine Geschwister!“, sagte Lily verwirrt. „Lord Nero wollte unsere Eltern umbringen, weil er den Ring, den, den du da am Finger trägst, haben wollte, er hätte dadurch unsterblich werden können. Mam wollte ihm den Ring aber nicht geben, die ganze Menschheit wäre damit gefährdet gewesen, er würde nämlich nicht nur unsterblich werden, sondern auch der mächtigste Magier aller Zeiten. So hat er sie beide getötet. Alle dachten es wäre das beste, dir von einem Autounfall zu erzählen und uns zu trennen. Mich gaben sie zu Tante Mariah und dich zu Elizabeth. Als ich dann erwachsen war und bei Mariah auszog, suchte ich dich. Ich hatte erfahren das Tante Elizabeth gestorben war und wollte dich zu mir nehmen. Ich hatte nicht gewusst wo ich dich suchen sollte, du hättest ja in Australien oder Afrika sein können, trotzdem suchte ich. Tage, Wochen, Monate. Als ich später nach Regenbogenstadt kam, nahmen mich die Leute freundlich auf und wählten mich zur Königin. Dann kam Nero, er zerstörte alles, die Liebe der Bewohner zueinander und die Häuser, Blumenwiesen, und sogar der Regenbogen verschwand. Stattdessen stehen nun überall Grabsteine. Aber das weißt du ja alles ...“ „Aber wir können nicht verwandt sein, du bist eine Elbe und ich ...“ „Und du bist eine Hexe, ja ich weiß. Großmutter war auch eine Elbe, aber ich habe auch Zauberkräfte, so wie du. Aber ohne meinen Zauberstab bin ich machtlos, Nero hat ihn mir weggenommen.“ „All die Jahre dachte ich, ich wäre ganz alleine auf der Welt, niemand, der sich Sorgen um mich macht, niemand, der mich lieben könnte. Aber ich hatte Figaro. Er war der größte Trost den ich hatte, und jetzt, jetzt hat ihn dieser Nero!“ Eine Träne rollte über Lilys Wange. „O Lily, es tut mir ja so leid!“, schluchzte Finn und schlang ihre schönen Arme um Lily. „Wie rüüührend!“, heulte Hannibal und kramte ein Taschentuch aus Lilys Rucksack. Lily erzählte von ihrem Abenteuer, Figaros verschwinden und den Kämpfen mit der Hand aus dem Erdboden, dem Monster und von den Schlammblütern. Seite 29 Der Zauberring Tamara Berger „Ich kann dich wohl nicht davon überzeugen mit mir zu kommen, was? Wir könnten zurück zu Tante Mariah, sie würde sich bestimmt freuen dich zu sehen, sie weiß nichts von dem Tod Elizabeths.“ „Ich würde gerne mit dir mitkommen, aber ich MUSS Figaro befreien, er braucht mich!“ „Ja, das ist mir klar, obwohl ich dich nicht gerne alleine hier zurücklasse!“ „Sie ist nicht alleine, ich beschütze sie ja!“, prahlte Hannibal. „Ja, das glaub’ ich gern!“, grinste Finn. „Das Schloss gehört eigentlich mir, wenn du Lord Nero besiegst, gehört es uns beiden. Es war nicht immer so schmutzig und düster. Wenn jemand Nero besiegen kann, dann du. Pass gut auf dich auf, kleine Schwester!“, verabschiedete sich Finn und küsste Lily auf die Stirn. „Mach’s gut Hannibal!“, rief sie der Ratte zu und stieg die Treppe hoch. „Und wir machen uns nun auch auf den Weg!“, sprach Lily und nahm Hannibal auf den Arm. Noch viele Türen öffneten sie, viele Treppen stiegen sie hinauf und hinunter, bis sie vor der letzten Tür standen. „Hier drinnen ist er, genau hinter dieser Tür!“ Mit „er“ war Figaro gemeint, das wusste Hannibal bereits. Behutsam drückte Lily die Türklinke hinunter und betrat das dunkle Zimmer. „Figaro?“, fragte Lily in die Dunkelheit hinein. „Lily?“, antwortete eine Stimme aus der Dunkelheit. „Figaro bist du’s?, rief Lily hoffnungsvoll und stürmte auf die Ecke zu aus der die Stimme kam. „Lily du musst hier weg, du bist in Gefahr! Er wollte dich hierherlocken, um den Ring zu bekommen!“ „Oh Figaro, ich hab’ dich ja so vermisst! Ist dir auch nichts passiert?“ Ohne auf die Hinweise von Figaro zu achten kramte Lily eine winzige Taschenlampe, die sie zum Abschied von Eduard bekommen hatte, aus dem Rucksack und knipste sie an. „Mr.Linston, was machen Sie denn hier?“, wunderte sich Lily, die neben Figaros Käfig in einem noch größeren, den hageren Mr.Linston entdeckte. „Guten Tag, Lilian!“, erwiderte dieser etwas unbeholfen und rückte seine runde Nickelbrille zurecht. „Du solltest wirklich von hier verschwinden, das ist kein Ort für ein kleines Mädchen!“ „Ich bin dreizehn! Warum behandeln mich alle wie ein kleines Baby!“, empörte sich Lily und versuchte das Schloss von Figaros Käfig zu öffnen. „Ich gehe erst wenn ich Sie und mein Katerchen von hier befreit habe!“ „Oh wie süß! Die kleine Lily trifft ihren Kater!“, hörte Lily hinter sich eine spottende Stimme. Wütend fuhr Lily herum und blickte in zwei kalte Augen. Die Pupillen waren ähnlich wie die einer Katze, die Farbe der Iris war eisblau. Im blassen Gesicht konnte Lily keine Nase erkennen, nur zwei dünne Schlitze die wohl so etwas wie Nasenlöcher waren. Darunter befanden sich dünne Lippen die sich zu einem fieses Grinsen formten. Seite 30 Der Zauberring Tamara Berger Die Hände waren lang und die Fingernägel, die man eigentlich nicht mehr Fingernägel nennen konnte, sondern eherKrallen, spitz und scharf, wie die Klinge eines Schwertes. „Nero!“, schnaubte Lily verächtlich und strich sich hastig die Haarsträhne hinter ihr linkes Ohr. „Du kennst ihn?“, fragte Figaro erstaunt. „Finn hat mir von ihm erzählt! Dieser miese Schuft hat unsere Eltern umgebracht.“ „Finn? Wer is’n das? Kenn ich die?“ „Finn ist meine Schwester. Erzähl’ ich dir später.“ „Schwester? Ich versteh immer nur Bahnhof!“ „Klappe du Mistvieh!“, schrie Nero Figaro an und trat gegen das Gitter des Käfigs. Figaro knallte mit dem Käfig gegen die Wand und blieb regungslos am Boden liegen. „Figaro!“, kreischte Lily entsetzt und griff durch die Gitterstäbe. Vorsichtig streichelte sie das warme, silbergraue Fell des Katers. Sie spürte den gleichmäßigen Herzschlag und war sichtlich erfreut. Wütend sprang Lily auf und schrie Nero ins Gesicht: „Du glaubst wohl du kannst alles machen, was? Was willst du überhaupt von mir!“ Nero jedoch ging nicht auf Lilys Frage ein. „Du hast deine süße Schwester also befreit? Weit wird sie sowieso nicht kommen. Ich habe mich schon gewundert wie du das alles geschafft hast! Meine Fallen waren alle professionell geplant, aber du hattest nur Glück. Sogar der Virus hätte dich spielend erledigen können. Aber diese vermaledeiten Gnome haben dich ja so rührend gesund gepflegt! Aber wie du diese ekelhafte Ratte wieder zum Leben erweckt hast, ist sogar mir ein Rätsel! Ich dachte vielleicht, ohne deine charmante Begleitung die dich ohnehin nur behindert, wärst du etwas schneller hier, aber was soll‘s. Wie hast du das gemacht?“ Hinter ihrem Rücken ließ Lily flink ihren Ring in ihrer Hosentasche verschwinden. „Hannibal war nicht tot! Er war nur bewusstlos!“ „Lüg mich nicht an!“, schrie Nero. „Ich weiß du hast den Ring! Gib ihn mir lieber gleich, sonst muss ich dem Mistvieh -“, Nero packte Hannibal, der mit großen Augen alles verfolgt hatte am Genick, „Und der nutzlosen Katze-“, er warf dem armen Figaro einen bösen Blick zu, „Ein bisschen weh tun!“ Hannibal jaulte auf als Lord Nero ihn rücksichtslos zu Boden schleuderte. Lily bückte sich, hob den sich vor Schmerzen windenden Hannibal behutsam auf und streichelte sachte sein Fell. „Du willst den Ring. Gut. Das ist mir klar, darum hast du Figaro gekidnappt, um mich hierherzulocken. Auf dem Weg waren Fallen die mich hätten Töten sollen, einer Leiche hättest du ja leicht den Ring wegnehmen können, es wäre so leicht gewesen wie einem Kind den Schnuller wegzunehmen! Aber wieso hast du auch Mr. Linston mitgenommen und was sollte dieses Monster in meiner Klasse!“ Seite 31 Der Zauberring Tamara Berger „Kluges Mädchen! Diesen Nichtsnutz von Lehrer haben zwei meiner Kumpanen gefunden als er sie beobachtet hatte. Dieses Risiko konnten wir natürlich nicht eingehen, so nahmen sie ihn mit. In der Schule waren sie, um etwas über dich herauszufinden. Wir wussten nichts über dich, nur, dass du den Ring hättest. Ich wusste auch das du eine Schwester hast. Die nahmen wir fest, wir dachten sie wüsste wo du bist und ob du den Ring hast, aber sie wusste nichts. Doch dann fanden wir das Häuschen. Du warst nicht da und der Kater wollte nicht sagen, wo du bist, also nahmen wir auch ihn mit, als Köder! Und wie du siehst-“, er lachte siegessicher, „hat der Fisch am Haken angebissen! Es nützt nichts lange um den heißen Brei herumzureden, ich weiß das du ihn hast, also gib ihn mir und du kannst den Kater wieder mitnehmen, bevor ich es mir wieder anders überlege.“ „Niemals!“, erwiderte Lily und blickte starr in die Augen Neros. „Du willst nicht!“, grinste er amüsiert und öffnete mit einem Fingerschnippen den Käfig von Figaro. Angewidert hob Nero Figaro aus dem Käfig und setzte seine Kralle an Figaros Hals. „Du gibst mir jetzt den Ring, oder dem Kater geht’s an den Kragen. Und keine falsche Bewegung!“ In diesem Augenblick öffnete Figaro ein Auge, zwinkerte Lily, die sofort verstand, zu und schloss es wieder. Hinter ihrem Rücken nahm Lily den Ring und drückte den Knopf, der ihn aktivierte. „Was überlegst du so lange, willst du deinen Kater nicht zurück haben?“ „Natürlich, hier ist der Ring!“ Lily öffnete ihre linke Hand und in dem Augenblick, als Nero den Ring nehmen wollte, biss Figaro ihm in die Hand, befreite sich aus der Umklammerung und stellte sich schützend vor Lily. Lily nahm den Ring in beide Hände und schloss konzentriert die Augen. Lord Nero hielt sich schmerzend die Hand, in die Figaro gebissen hatte. „Was ist das denn?!“, sagte er und blickte hinunter zu seinen Füßen. „Hey, der löst sich ja auf! Gut gemacht, Mädchen!“, lobte Figaro und beobachtete Nero, dessen Füße schon ganz aufgelöst waren. „Das wirst du mir büßen, Lily Mey! Ich bin noch nicht erledigt, ich komme wieder!“, rief er, bevor auch sein Kopf verschwand, und nur noch eine grellgelbe Pfütze übrigblieb. „Wir haben’s geschafft!“, jubelte Lily und drückte Figaro liebevoll. „Du bist also der berühmt berüchtigte Figaro, was?“, fragte Hannibal an den Kater gewandt. „Jep! Und du musst Hannibal sein. Normalerweise mag ich ja keine Ratten, Ratten haben kein so zartes Fleisch wie Mäuse obwohl sie auch ganz schmackhaft sind, aber dich werde ich nicht fressen und eine Ausnahme machen!“, grinste er und stupste sanft an Lilys Hand. „Los, lasst uns hier rauskommen!“ unterbrach Lily die beiden. Seite 32 Der Zauberring Tamara Berger Sie nahm einen der Schlüssel, die sie dem Schlammblut abgenommen hatte, und öffnete die Käfigtüre des Lehrers. „Kommen Sie, Mr. Linston.“ Als die vier aus der Türe traten, trauten sie ihren Augen nicht: Die Düsterkeit und Dunkelheit war mit einem Mal verschwunden. Auf den verdörrten Wiesen begannen die unterschiedlichsten Blumen zu wachsen. Die Sonne schien wieder heller, und all die Regenwolken waren verschwunden. Grabsteine verwandelten sich in Sträucher und Höhlen, in denen früher Drachen lebten. Das schönste allerdings war der Regenbogen, er schimmerte in allen Farben. Die ängstlichen Bewohner Regenbogenstadts waren alle aus ihren Häusern gekommen und tanzten und lachten miteinander. Es waren unzählige von Gnomenfamilien, Zentauren und auch ein Einhorn hatte sich unters Volk gemischt. Hier und da war sogar ein Silberdrache anzutreffen. Blumen- und Wetterelfen waren gekommen und spielten engelsgleich auf ihren Harfen. Wichtel und Zwerge verschenkten Hibiskusblüten mit Honignektar, und alle waren froh, dass die Bosheit aus ihrer Stadt vertrieben worden war. „Liiiilllly!“, rief eine Stimme fröhlich. Lily drehte sich nach allen Seiten und entdeckte Finn in der Menge. „Finn! Hallo!“, begrüßte Lily ihre Schwester und fiel ihr lachend in die Arme. „Du hast es geschafft! Ich wusste es! Ich hab’s gewusst!“, sang sie, nahm Lilys Hände und drückte sie freudig. „Zwei hungrige Helden lassen fragen ob’s hier auch was zu futtern gibt!“, meldete sich Figaro zu Wort. „Du bist Figaro? Ich bin Finn, Lilys Schwester“, erklärte die Elbe und erzählte Figaro von ihrer Geschichte. „Ich bring euch beiden mal was zu futtern und dir, Lily, am Besten auch!“, sagte Finn und schlenderte zu einem etwas älteren Zwerg, der unzählige Leckereien verkaufte. „Äh, Lilian?“, fragte eine Stimme hinter Lily und klopfte ihr zögernd auf die Schulter. „Ja?“ Es war Mr. Linston, der nach Lily gefragt hatte. „Ich bin dir zu großem Dank verpflichtet, Lilian Mey!“ Lily hasste es bei ihrem richtigen Namen, Lilian, angesprochen zu werden, da es aber ohnehin nur Mr. Linston tat, war es ihr eigentlich ziemlich egal. „Und ich bin sehr stolz darauf, dich zur Schülerin zu haben!“, sagte er und lächelte. „Vielen Dank, Mr. Linston!“, erwiderte Lily und nahm den schnurrenden Figaro auf den Arm. „Aber ohne dich, Figaro, und ohne Hannibal hätt’ ich’s bestimmt nicht geschafft!“ „Du machst mich ja ganz verlegen!“, grinste der Kater und leckte mit der rauen Zunge über Lilys Hand. „Lily, da ist Besuch für dich!“ Belinda die Schneeeule, Allenor, Jeany und zwei Ratten, die Lily aber nicht kannte, waren gekommen. „Als ich nochmals bei dir reinschauen wollte, hab’ ich nur die Kleine hier gefunden, und sie mitgenommen. Seite 33 Der Zauberring Tamara Berger Später habe ich auch Allenor, in der Nähe der Schule getroffen, und ich wusste das irgendetwas nicht stimmen konnte! Wir suchten nach dir und nach einer wirklich sehr, sehr langen Suche, das kannst du mir glauben, ist uns Finn begegnet, die uns alles erzählt hat, wir waren sehr in Sorge um dich!“, erklärte Belinda. „Haujuhu!“ Jeany freute sich sehr, ihre Lily wieder zu sehen und sprang ihr glücklich in die Arme. Auch Allenor war erfreut und wedelte überglücklich über die Spitzen von Lilys Schuhe. „Das hier ist Euphigenie, ich habe dir schon von ihr erzählt.“ Euphigenie war eine schon etwas ältere Rattendame mit einer winzigen Brille auf der Schnauze. „Freut mich dich kennen zu lernen!“, sagte sie freundlich und Lily konnte sie gleich gut leiden. „Das ist meine Großnichte, Anabelle!“, erklärte sie und zeigte mit dem kleinen Pfötchen auf ein Rattenmädchen in Hannibals Alter. Anabelle war sehr hübsch, fand Lily. Sie hatte ein Gänseblümchen hinter ihrem rechten Ohr und schönes, weißes Fell. „Hallo!“, begrüßte Anabelle Lily und lächelte verlegen. „Hallo ich bin Hannibal, ich habe Lily auf ihrer Reise begleitet!“, meldete sich Hannibal sofort zu Wort. Lily entging nicht, das er nur Augen für Anabelle hatte. Hannibal schien Anabelle ebenfalls zu gefallen, denn sie erwiederte gar nicht mehr so schüchtern sein Lächeln. Doch da kam auch schon Finn mit einem riesigen Teller voller Honigplätzchen und einem gegrilltem Hühnerschenkel für Figaro. Diesem lief schon beim bloßen Gedanken, in das saftige Fleisch zu beissen, das Wasser im Munde zusammen. Anabelle und Hanniball teilten sich liebevoll einen Keks und auch die anderen griffen gerne zu. „Ich bin so froh, das ich dich endlich gefunden habe, Lily!“, sagte Finn und griff nach einem zweiten Plätzchen. „Du, Figaro, Jeany und Allenor, ihr zieht doch zu mir in’s Schloss, oder?“ So gern Lily auch in ihrem Häuschen im Filoniawald lebte, ihre Schwester wollte sie nicht mehr verlieren. „Ja, sehr gerne Finn!“, antwortete sie und blickte zu Hannibal hinüber, der gerade einen Kekskrümel von Anabelle’s Schnäuzchen zupfte. „Hannibal, du kommst doch mit, ich meine, du wirst doch auch zu uns ziehen?“ „Würde ich wirklich gerne, aber Anabelle und ich haben beschlossen, zusammenzuziehen.“ „Ist doch kein Problem, sie kann doch auch hier wohnen, im Schloss ist genug Platz!“, meinte Finn und strich sich ihr Kleid zurecht. Seite 34 Der Zauberring Tamara Berger „Ich hasse Kleider! Ich freu’ mich wieder meine alten Jeans anzuhaben! Aber für eine Königin sind Jeans ja nicht das Richtige,leider!“, fuhr sie fort und zupfte unzufrieden am Saum des Kleides herum. „Ja dann nehmen wir das Angebot natürlich gerne an, nicht wahr Anabelle?“ „Ja, aber nur wenn’s keine Umstände macht.“ „Ach was, das kriegen wir schon hin, stimmt’s Lily?“ „Ja, bestimmt Finn!“, antwortete Lily verträumt und blickte über die Menge hinweg. Es ließ ihr jedoch keine Ruhe, was Nero gesagt hatte. „Ich komme wieder ...“ Was sollte das? Aber in einem war sie sich sicher: Ihre Freunde würden sie nicht im Stich lassen, das wusste sie. Mit ihnen an der Seite konnte ihr nichts passieren. ENDE © Tamara Berger Seite 35