als PDF - Katharina von der Leyen

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als PDF - Katharina von der Leyen
TIERSCHUTZ
Notfälle
Unser Staat
regelt das schon.
So denkt, wer eine
Tierquälerei
bemerkt und sie
zur Anzeige bringt.
Aber ist dem so?
Das deutsche
Tierschutzgesetz
EIN ZAHNLOSER
TIGER?
TEXT
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Katharina von der Leyen
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dogs
Foto Andrea Degenhard Protokoll Madeleine Janssen
D
eutschland ist ein tierliebes Land. Wir halten rund
22 Millionen Haustiere, wir nehmen Tierschutz
ernst, die Tiere in deutschen Tierheimen werden nicht euthanasiert wie in vielen anderen
Ländern, sondern laut einer Statistik des Deutschen Tierschutzbunds gewöhnlich nach etwa
dreieinhalb Monaten vermittelt. Wir mischen uns
sogar in die Tierhaltung anderer Länder ein: Etwa 200 000 Hunde
aus dem Ausland finden jedes Jahr ein neues Zuhause bei uns, sogar die ganz schwierigen Fälle. Anders als in vielen anderen europäischen Ländern haben wir offenbar einen hohen ethischen und
moralischen Anspruch. Wir haben keine Hundefänger, nicht einmal Streuner, keine Welpenfabriken, es gibt keine professionellen
Hunderennen, kaum illegale Hundekämpfe. Der Tierschutz ist seit
2002 sogar im Grundgesetz verankert, was kein anderes Land erreicht hat. Trotz alledem ist unser Tierschutzgesetz mehr Schein als
Sein, durch das Gesetz lässt sich im Zweifelsfall wenig erreichen.
Dabei klingt alles vielversprechend. Das deutsche Tierschutzgesetz besteht aus 22 Paragrafen, in denen Tierhaltung, die Tötung
von Tieren, Tierversuche und „Eingriffe an Tieren für Bildungsund/oder Ausbildungszwecke“ geregelt werden. Außerdem finden
sich hier die Regelungen zu Haltung und Behandlung von Tieren
im Hinblick auf Handel, Landwirtschaft und Zucht. Seine tatsächliche Anwendung findet das Tierschutzgesetz aber erst in speziellen
Rechtsverordnungen und zahllosen Gesetzen, die damit in Zusammenhang stehen. Obwohl das Tierschutzgesetz mit dem Grundgesetz, dem Strafgesetzbuch, dem Bürgerlichen Gesetzbuch und
weiteren Gesetzen und Rechtsvorschriften verzahnt ist, bleibt häufig die Auslegung und Anwendung des Tierschutzgesetzes kompliziert oder ist seine Umsetzung zum Wohl der Tiere erschwert.
Im Auffanglager fand Chicos
Besitzer nur noch das Halsband
seines Hundes. Chico war tot
„Chico war drei Jahre alt, als er mir beim Spaziergang in
Demmin weggelaufen ist. Im Dezember 2012 war das. Irgendwann dachte ich: Der ist tot. Tatsächlich vegetierte mein
Boxermischling in einem Zwinger vor sich hin – im offiziellen
Tierheim der Region. Eigentlich ist das kein Tierheim, und der
Betreiber nennt es selbst nicht so. Frank Meyer * leitet einen
Sicherheitsdienst. Mit Liebe zum Tier hat der nichts am Hut.
Ein Jahr nach Chicos Verschwinden bin ich im Internet auf ein
Video von Tierschützern gestoßen, das sie heimlich in Meyers
Anlage gedreht haben. Darauf habe ich meinen Hund wiedererkannt – er trägt einen weißen Fleck auf der Nase.
Entlaufene Tiere gelten als Fundsachen. Und die müssen laut
Gesetz sechs Monate lang aufbewahrt werden. In Demmin war
es noch vor Kurzem anders: Hunde, die vier Wochen lang nicht
abgeholt wurden, gingen in Meyers Besitz über. Es gibt keine
Fotos von den Hunden und keine Internetseite des Lagers. Betroffene haben keine Chance, ihren vermissten Hund zu finden,
wenn sie nicht zufällig davon gehört haben.
Frank Meyer verdient viel Geld mit diesem Modell. Je länger
die Hunde bleiben, desto mehr hat er davon. Listenhunde lohnen
sich für ihn besonders: Bisher bekam er pro Tag 7,50 Euro für
jeden Listenhund, seit Neuestem sogar 8,37 Euro. Sein Vertrag
mit der Stadt Demmin macht all das möglich. Auch Chico hatte
er als gefährlich eingestuft. Dabei ist der Hund nie aggressiv
gewesen. Später habe ich erfahren: Eine Ethikkommission hat
Chico untersucht. Er hat sich verängstigt gezeigt, aber nicht
bissig. Danach sollte er freikommen. Nachdem ich das Undercover-Video gesehen hatte, bin ich zum Auffanglager gefahren.
Im Zwinger hing nur noch Chicos Halsband. Erst Anfang 2014
habe ich erfahren, dass eine Tierärztin ihn eingeschläfert hatte. Der Tierschutzbund hat wegen des Verdachts auf unangebrachte Euthanasie Anzeige gegen unbekannt erstattet.“
* Wegen des laufenden Verfahrens gegen „Frank Meyer“ wurde der Name von der
Redaktion geändert.
Der Grund: Viele Formulierungen darin sind schlicht schwammig.
Schon der erste Paragraf im Tierschutzgesetz ist schwer einzugrenzen: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“, heißt es da. Wer aber definiert
Schmerzen oder Leiden bei einem Tier? Leidet ein Hund im Sinn
des Gesetzes, dem für Bewegungen nur der Radius seiner Kette
bleibt? Leidet ein Pferd, das ein Leben im dunklen Stall und im
Dunst des aufsteigenden Ammoniaks seiner eigenen, meterhohen
Exkremente steht, ohne weitere Artgenossen weit und breit? Was
ist mit Tieren, die still leiden? Und wie soll ein Staatsanwalt, der
vielleicht nicht einmal Tierhalter ist, die Schmerzen einer Schlange
erkennen? „Das Tierschutzgesetz ist ein sehr unbestimmtes Gesetz“, sagt Dr. Siegfried Gerwert, der Leiter des Veterinäramts Kreis
Recklinghausen. „Es lässt sich unterschiedlich auslegen.“ Der
12 Hunde auf
8 Quadratmetern:
Tatbestand, aber
noch lange kein
Straftatbestand
Anwalt André Wagner nennt das „ein großes Problem“. Er ist Gründer und Leiter des Tierschutzprojekts „Tier + Recht“ und kennt die
Schwierigkeiten, einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz zur Anzeige zu bringen: „Da sieht ein Bürger beispielsweise einen völlig
vernachlässigten Pferdebestand, macht eine Strafanzeige und denkt:
Alles ist gut, jetzt geht die Maschinerie los, der Halter wird bestraft.
Doch von wegen! Pferde, die ohne Wasser, Futter und Schutz auf
der Weide stehen, Hunde, die zu zwölft in einem acht Quadratmeter großen, ungeheizten Raum ohne Korb oder Decken leben
müssen, werden zwar nicht artgerecht gehalten, das ist klar, aber
dieser Tatbestand führt noch lange nicht in den Straftatbestand.“
Das Tierschutzgesetz unterscheidet zwischen Ordnungswidrigkeit
und Straftatbestand nach Paragraf 17. Letzterer ist gegeben, wenn
jemand „ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder ihm
aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden
zufügt“. Dann greift das Strafrecht, das schärfste Schwert, das einen
Tierbesitzer treffen kann. Einem Tierquäler kann Haltungsverbot
für Jahre oder gar lebenslänglich verhängt werden ebenso wie hohe
Geldstrafen, damit sich jeder Verurteilte beim nächsten Mal reiflich
überlegt, wie er ein Tier behandelt.
Für die anderen Strafen aus dem sogenannten verwaltungsrechtlichen Bereich sind die Amtsveterinäre zuständig. Viele Entscheidungen hängen nicht zuletzt von ihrem Urteil ab, denn ohne den
jeweils zuständigen Amtstierarzt geht gar nichts. Er hat in Stadt
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Was der Staat regelt
Generell gilt für alle Tiere in Deutschland
das Tierschutzgesetz. Nicht artgemäße Tierhaltung kann bei der zuständigen Veterinärbehörde angezeigt werden. Sie ist über die
Stadt- oder Kreisverwaltung zu erreichen. Da
das Tierschutzgesetz sehr allgemein formuliert ist, werden Vergehen häufig nur als Ordnungswidrigkeit geahndet.
Eine Straftat liegt nur dann vor, wenn ein
Wirbeltier ohne vernünftigen Grund getötet
wird oder ihm aus Rohheit erhebliche
Schmerzen oder Leiden oder länger anhaltende
oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen
oder Leiden zugefügt werden. Als Leiden gelten
auch seelische, die zum Beispiel durch nicht
artgerechte Haltung verursacht werden. Straftaten können bei der Polizei oder der zuständigen Staatsanwaltschaft angezeigt werden.
Für Hunde und ihre Haltung gibt es darüber
hinaus konkrete Verordnungen, nicht rechtsverbindliche Leitlinien sowie Gutachten. Unter
folgenden Suchbegriffen finden Sie im Internet
weitere Informationen: „Tierschutzgesetz“,
„Tierschutz-Hundeverordnung“, „TierschutzNutztierhaltungsverordnung“, „Gutachten über
die Mindestanforderungen an die Haltung
von Säugetieren“. Außerdem beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz, www.bmelv.de.
Amtstierärzte sind aufgrund Paragraf 16a des
Tierschutzgesetzes „Beschützergaranten“ für
das Wohl der Tiere und die Einhaltung des Tierschutzrechts. Sie sind verpflichtet, gegen tierschutzrechtswidrige Handlungen und Zustände
vorzugehen. Es gibt kein Entschließungsermessen: Amtsveterinäre müssen immer handeln,
wenn in ihrem Zuständigkeitsbereich Verstöße
gegen Tierschutzrecht begangen wurden, noch
werden oder bevorstehen. Bleiben sie untätig,
begehen sie eine Straftat durch Unterlassen im
Sinn des Paragrafen 17 des Tierschutzgesetzes.
oder Landkreis die Aufgabe, Bestimmungen des Tierschutzgesetzes
durchzusetzen. Nur der Amtsveterinär kann Tiere beschlagnahmen, Bußgelder wegen Ordnungswidrigkeiten verhängen oder wegen erwiesener Unzuverlässigkeit die Sondererlaubnis nach Paragraf 11 aberkennen und die gewerbliche Zucht und Tierhaltung,
Ausbildung oder den Betrieb eines Tierheims verbieten. Nur der
Amtsveterinär ist ermächtigt, Maßnahmen gegen den Tierhalter zu
ergreifen. Er hat also eine für Mensch und Tier wichtige Aufgabe,
die die Gefahr allzu subjektiver Entscheidungen mit sich
Fotos Heiner Orth Protokoll Johanna Esser
Weil Rambo an der Leine war, wurde René mit Tierentzug gedroht
„Rambo ist ein Geschenk meiner Eltern, ein waschechter Zirkushund. Hundemutter und -vater sind ebenfalls in der Manege aufgewachsen. Ich wollte unbedingt einen Rüden, er sollte Rambo
heißen. Ganz geklappt hat es nicht: Rambo ist eine SchäferhundMix-Hündin, Anfang 2013 geboren. Wie jeder andere Hund ist sie
geimpft, gechipt und versichert. Ich erzähle das, weil wir Zirkusmenschen entweder für so eine Art Zigeuner oder sogar für asozial
gehalten werden. Man traut uns anscheinend nicht zu, dass wir uns
ordentlich um unsere Tiere kümmern. Dabei dürfen wir ganz offiziell Tiere halten, haben den Paragraf-11-Schein.
Rambo könnte es nicht besser gehen, denke ich. Sie schläft bei mir
im Campingwagen und kann rein und raus, wann sie will. Wenn ich
unterwegs bin, ist Rambo fast immer dabei, nur selten muss ich sie
alleine lassen. Dann binde ich sie an einer acht Meter langen Leine
am Campingwagen an oder sperre sie in den Camper. Länger als
zwei Stunden bin ich allerdings nur selten weg. Außerdem ist Rambo nie ganz alleine, irgendwer aus der Zirkusfamilie ist immer da
und hat ein Auge auf sie, spielt mit ihr oder geht spazieren.
Von Anfang an bin ich mit Rambo in die Hundeschule gegangen,
habe die Welpengruppe und den Junghundekurs besucht. Und dann
war sie plötzlich da, die anonyme Anzeige und damit das Veterinäramt. Ich selbst war nicht anwesend, als die Tierärztin vom Veterinäramt auf unseren Platz kam, habe anschließend aber sofort
dort angerufen und um ein persönliches Gespräch gebeten. Dieses
wurde zunächst abgelehnt und mit Zeitmangel begründet. Die haben
Rambo dort angebunden vorgefunden und kurz mit meiner Tante
gesprochen. Das war die ganze Prüfung, mehr taten sie nicht.
Später wurde mir erst in einem Gespräch am Telefon und dann
schriftlich mitgeteilt, dass ich innerhalb einer gewissen Frist
bestimmte Auflagen zu erfüllen hätte und dass die Anbindehaltung
in Deutschland generell verboten sei. Ich sollte draußen eine doppelwandig isolierte Hütte aufstellen, einen Zwinger bauen, Wasser
und Futter zur Verfügung stellen. Ich bekam eine Geldstrafe und
eine Verwarnung mit dem Hinweis, man würde mir Rambo wegnehmen, wenn ich die Haltungsbedingungen nicht ändern würde.
Welche Haltungsbedingungen?, habe ich mich gefragt. Bei mir
persönlich hat keiner nachgefragt. Dann hätte ich nämlich erzählen können, dass Rambo fast nie vor dem Camper angebunden
ist, bei mir im Bett schläft und dass ich mehr Geld für ihr Futter als
für mein Essen ausgebe. Ich habe bis heute keine Hütte und auch
keinen Zwinger aufgebaut, und ich binde Rambo auch nicht mehr
draußen an. Sie ist jetzt immer dabei, den ganzen Tag. Abends
fallen wir zusammen todmüde ins Bett. Auf die Kontrolle des Veterinäramtes warte ich noch, ich bin aber guter Dinge.
Die sollen ruhig kommen und sehen, wie gut es Rambo geht. Besser
als manch anderem Hund.“
Die Bernhardiner-Mixe waren so
verklebt mit Kot und Urin, dass die
Feuerwehr sie abwaschen musste
Verwahrloste und verhungerte Hunde inmitten von Kot
und Tierkadavern, das war die Wahrheit hinter den Mauern
eines bürgerlich wirkenden Einfamilienhauses in EdingenNeckarhausen. An einem Maiabend im vergangenen Jahr klingelten dort eine Gerichtsvollzieherin und die Polizei, sie sollten auf richterlichen Beschluss die zwölfjährige Tochter der
Familie woanders unterbringen.
An der Haustür stieg den Beamten ein starker Verwesungsgeruch in die Nase, sie duchsuchten das Haus. Fünf gepflegte
Berner Sennenhunde kamen ihnen entgegen. In einem Nebenraum fanden sie jedoch sechs Hunde, manche davon noch
Welpen, eine Schildkröte und einen Hasen, alle tot.
Neben den Tierkadavern vegetierten drei bis auf die Knochen
abgemagerte Bernhardinermischlinge im eigenen Unrat vor
sich hin. In einem Raum lagen Maden, Kot und Urin, Ungeziefer
schwirrte umher. In der Luft hing ein schwerer Ammoniakgeruch. Die Polizisten alarmierten die Feuerwehr, auch drei
Tierretter und eine Tierärztin machten sich auf den Weg. Die
Hunde waren mit Kot, Urin und Ungeziefer so verklebt, dass die
Feuerwehrleute sie erst mal abwaschen mussten. Erst dann
konnte die Tierärztin Braunülen legen und die Hunde für den
Transport fit machen. Die drei abgemagerten Tiere waren
extrem geschwächt, sie wurden von den Tierrettern in eine
Tierklinik gebracht. Mitten in der Nacht kam ein mobiler Hundefriseur hinzu, der die verdreckten Hunde noch einmal gründlich reinigte und schor. Die Bernhardinermischlinge fanden
später bei ihren früheren Züchtern ein neues Zuhause.
Nachbarn hatten den Amtstierarzt zuvor einmal gerufen,
weil ihnen etwas komisch vorgekommen war. Doch der zuständige Amtsveterinär hatte im Haus nie jemanden angetroffen.
Auch der Prozess gegen die Halter musste verschoben werden,
weil die Eltern inzwischen ihr Kind aus der Obhut des Staates
entführt haben. Sie sind auf der Flucht.
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bringt. Wenn der Amtsveterinär möchte, geht alles. Wenn er allerdings nichts tut, dann wird das Tierschutzgesetz zum zahnlosen Tiger. Natürlich muss ein Amtsveterinär im Lauf seiner Amtszeit lernen, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen. Nur weil man
sich eine Tierhaltung persönlich anders wünscht, liegt nicht automatisch ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz vor. „Dann heißt es
vom Veterinäramt: Ach, wieder so ein wildgewordener Tierschützer“, sagt Rechtsanwalt André Wagner, „und der Sache wird nicht
nachgegangen.“ Und genau hier liegt der Trugschluss, dem man als
aufmerksamer Bürger aufsitzt. Wer annimmt, dass es in dem Moment, in dem es zur Anzeige kommt, ein Leichtes wäre, von Amts
wegen unverzüglich zu reagieren, und ein auffällig gewordener
Tierhalter überprüft und wenn nötig ermahnt wird, der irrt. Das
dies häufig nicht geschieht, ist schwer nachvollziehbar, aber es ist
einerseits Teil unserer Gesetzeslage, andererseits einer von vielen
Arbeitsbereichen, die der zuständige Kontrolleur hat.
Zu den Aufgaben der Amtsveterinäre gehören Lebensmittel- und
Hygienekontrollen, Fleischbeschauungen, Kontrollen von Schlachthöfen, Tiertransporten, Tierversuchen und Nutztierhaltungen,
Tierseuchenbekämpfung und eben der Tierschutz. „Es kommt immer darauf an, wie die Veterinärämter personell aufgestellt sind“,
sagt Dr. Siegfried Gerwert. „Manche Ämter haben nur zwei Tierärzte, die alles machen müssen.“ Eine unzureichende Tierhaltung ist
da nur ein ganz kleines Segment. „Wir sichten alle Eingaben, die
eingereicht werden – dabei gibt es allein über tausend Tierschutzfälle im Jahr“, sagt Dr. Gerwert. „Ich habe das große Glück, den gigantischen Aufwand auf viele verschiedene Schultern verteilen zu
können. Aber Einzelkämpfer haben es schwer, zumal häufig auch
Kollegen fehlen, die sich in Sachen Tierschutz weiterbilden.“
Michael Sehr, Gründer der „Tierrettung Rhein-Neckar“ ist eine
Art Tierschutzpolizei. Er wird im Jahr zu über 1700 Tierrettungsnotfällen unterschiedlichster Art gerufen, davon durchschnittlich
vier bis sechs Tierschutzfälle im Monat, Tendenz steigend. Der
Wer glaubt, dass
ein Tierhalter, der
angezeigt wurde,
auch ermahnt
wird, der irrt
33-Jährige und sein Team arbeiten immer mit Polizei, Veterinäramt
und möglichst noch einem Rechtsanwalt zusammen. Weiß Sehr
nicht weiter, wendet er sich an die Amtsveterinärinnen des Landkreises Ludwigshafen. „Die sind sehr engagiert, die Zusammenarbeit ist immer einwandfrei.“ Nach seiner Erfahrung ist der Umgang
mit Amtstierärzten auf dem Land schwieriger: „Häufig sind sie
schon abgestumpft, weil das Niveau der Tierhaltung auf dem Land
Sie haben einen Fall
beobachtet? Was Sie jetzt
konkret tun sollten
1 2 Dokumentieren Sie jeden Missstand mit
Fotos oder Videos.
Schreiben Sie Ihre Beobachtungen auf,
mit Datum und Uhrzeiten. Was haben Sie
wo (Adresse!) beobachtet, an welchem Tag,
um wie viel Uhr? Wer sind die Zeugen? Je ausführlicher die Informationen, desto hilfreicher
ist Ihre Meldung für das zuständige Amt.
Zudem müssen der Hundehalter und dessen
Adresse genannt werden.
3 4 Klären Sie ansatzweise, ob der Tierhalter
gegen geltendes Tierschutzrecht verstößt.
Verständigen Sie das Veterinäramt.
Erstatten Sie beim zuständigen Amtstierarzt schriftlich Anzeige. Fügen Sie die erstellten
Bild- oder Videobeweise und alle Zeugenaussagen als eidesstattliche Erklärung hinzu. Bei
der Anzeige sollten die Verstöße gegen das Tierschutzgesetz, eine Verordnung, ein Gutachten
oder eine Leitlinie konkret aufgeführt werden.
Fotos Tierrettung Rhein-Neckar (3), Alexander Spieß/Recklinghäuser Zeitung
Wenn Sie darüber hinaus einen akuten Fall der
Tierquälerei beobachten, ein Schmerzen leidendes, verletztes oder misshandeltes Tier sehen
und nicht selbst handeln können oder wollen,
rufen Sie Polizei (110) oder Feuerwehr (112).
meist niedriger ist als in der Stadt. Die nehmen Tierschutz nicht so
ernst. Deren Haltung ist oft: Es geht immer noch schlimmer.“
Im vergangenen Jahr hatte er so einen Fall in Bad Dürkheim. Da
lebten drei Hunde in einem verlassenen Haus. Die Halterin kam ab
und zu und versorgte die Hunde mehr schlecht als recht. „Das Ordnungsamt machte Meldung im Dezember, aber das Veterinäramt
reagierte nicht bis Mai. Als uns, der Tierrettung, das gemeldet wurde, haben wir sofort die Halterin ausfindig gemacht und sind in das
Haus gegangen“, erzählt Michael Sehr. „Alles war voller Kot und
Urin. Die Hunde kamen ins Tierheim. Da kam es zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen das Veterinäramt, weil es erst so spät
reagiert hatte. Man erklärte, der Zustand in dem Haus sei nicht so
schlimm gewesen, man sei mit einem Ammoniakmessgerät durchgelaufen, man habe ja noch atmen können.“
Mit der Verzahnung der Gesetze haben selbst die engagiertesten
Amtstierärzte zu kämpfen. „Bei einer ordnungsgemäß angemeldeten gewerblichen Tierhaltung kann ich zu jeder Zeit irgendwo auftauchen und Einlass verlangen, nicht so bei privater Haltung“, sagt
der Amtsveterinär Gerwert. Da brauche ich einen richterlichen
Durchsuchungsbeschluss. Wenn noch nichts Handfestes vor-
Ein Zuchtwart versuchte, die
Foxterrier wieder aus den Autos
der Tierschützer zu holen
Erst eine Razzia durch Polizei und Veterinäramt deckte bei
dem damaligen Landesgruppenvorsitzenden Westfalen des
Deutschen Foxterrier-Verbands, Rudolf Brinkmann, unzumutbare Haltungsbedingungen auf. Dabei wurden 46 Hunde
sichergestellt. Brinkmann war zu diesem Zeitpunkt nicht nur
Landesgruppenvorsitzender, sondern auch Zuchtwart im Foxterrierverband und nationaler und internationaler Zuchtrichter im Verband für das Deutsche Hundewesen.
Als Polizei und Tierärzte die Herausgabe der Tiere forderten,
verbarrikadierte sich Brinkmann in einer Scheune. Die Feuerwehr brach sie auf, erst dann gab der Züchter des Zwingers
„vom Silvertbach“ nach. Im Inneren verschlug es den Beamten
den Atem: In völliger Dunkelheit lagen Dutzende von Hunden in
ihrem eigenen Kot. Es stank erbärmlich, Futter oder Wasser
gab es nicht. Im Schein der Taschenlampen kümmerten sich die
Tierschützer zuerst um die schwachen und jungen Tiere,
schließlich wurden alle Foxterrier im Tierheim Recklinghausen
untergebracht. Viele hatten in der Scheune ein schreckliches
Dasein gefristet, eingesperrt in engen Transportboxen.
Rudolf Brinkmann drohte damit, sich rechtlich zur Wehr zu
setzen, und versuchte, die Hunde wieder aus den Autos der
Tierschützer und Beamten zu holen. Er beruhigte sich erst, als
die Polizisten eingriffen.
Angewiesen wurde die Auflösung der Zucht von dem zuständigen Amtstierarzt für den Kreis Recklinghausen, Dr. Siegfried
Gerwert. Er hatte Strafanzeige erstattet und erwirkte ein Hundehaltungsverbot für den Züchter.
Das Tierheim leistete monatelange Arbeit mit den teils kranken und verhaltensauffälligen Tieren. Das Verwaltungsgericht
Gelsenkirchen urteilte im späteren Prozess, dass die Hunde
„erheblich vernachlässigt“ wurden. Die „Fortnahme und anderweitige Unterbringung“ seien rechtmäßig. Erst damit durften die Foxterrier in ein neues Zuhause vermittelt werden.
Luna ist ein echter Terrier. Andreas, Lunas Besitzer, liebt die
kleine Hündin sehr. Er ist jedoch Alkoholiker und in seiner Sucht
kaum berechenbar. Mehrere Male hat er bereits einen Entzug
gemacht, in erster Line für Luna. Zu groß war die Angst, man
könnte ihm den Hund wegnehmen.
Ohne Alkohol kann Andreas sein vierbeiniges Powerpaket
managen. Luna hört auf ihn, vertraut ihm. Wenn er betrunken
ist, zerbricht die heile Welt. Dann bindet Andreas Luna vor dem
Supermarkt an und lässt sie dort mehrere Stunden lang allein.
Da ist es dann passiert, Luna hat einen Passanten gebissen.
Solche Vorfälle häufen sich, Andreas wird mehrfach angezeigt
und bekommt vom Ordnungsamt eine Auflage: Luna darf nur
noch angeleint und mit einem Maulkorb das Haus verlassen.
Andreas verspricht, sich daran zu halten. Aber wenn er getrunken hat, vergisst er den Maulkorb, bindet Luna irgendwo an
und verschwindet. Andreas erhält eine weitere Verwarnung
und den Hinweis, man werde ihm Luna wegnehmen, wenn er
sich nicht an die Auflagen halte.
Das nützt aber alles nichts. Schließlich beißt die Terrierhündin
noch einmal zu, ein Kind ist das Opfer. Damit sind alle Chancen
verspielt. Das Ordnungsamt teilt Andreas mit, dass er Luna
abgeben müsse, es wird ein Hundehaltungsverbot ausgesprochen. Findet sich kein geeigneter Besitzer, kommt der Terrier
vorerst ins Tierheim.
Andreas bindet Luna in einer Nacht-und-Nebel-Aktion an
den Gartenzaun seiner Exfrau, die von nichts weiß. Dem Ordnungsamt erzählt er, alles sei geregelt und Luna habe ein neues
Heim. Das Ordnungsamt hakt bei Andreas’ Exfrau nach: Nichts
ist geregelt. Kurze Zeit später beißt Luna erneut zu, wieder
trifft es ein Kind. Luna kann nicht bleiben und wird weitergereicht. Diesmal hat die kleine Terrierhündin Glück: Sie kommt
auf eine kompetente Pflegestelle und wartet dort jetzt auf ein
richtiges Zuhause.
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Wenn nichts
Handfestes vorliegt, muss sich
das Veterinäramt
vor dem Besuch
ankündigen
froh, dass die Fristen so lang dauern. Dann kann er nämlich reagieren.“ Selbst bei offensichtlichen Mängeln in der Tierhaltung kann
das Amt Tiere nicht einfach beschlagnahmen. Die Rechtsstaatlichkeit schreibt vor, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt
wird. „Agiert der Staat gegen einen Bürger, gilt, wie im Grundgesetz
verbürgt, das Verhältnismäßigkeitsgebot“, sagt Rechtsanwalt Wagner. „Wenn beispielsweise Tiere in zu kleinen Boxen gehalten werden, kann man sie nicht gleich beschlagnahmen. Zuerst muss die
Auflage gemacht werden, die Boxen innerhalb einer Frist zu vergrö-
Foto privat Protokoll Johanna Esser
Wenn Andreas betrunken ist,
vergisst er den Maulkorb für Luna
und bindet sie irgendwo an
liegt, wird es schwierig. Einlass erzwingen kann ich nur bei Gefahr
im Verzug, und da muss ich mir schon sehr sicher sein.“ Dass das
Veterinäramt sich ankündigen muss, ist in vielen Fällen der blanke
Hohn, rechtsstaatlich aber vorgeschrieben. „Kritische Fälle wie Animal Hoarding oder ausbeutende Hundezüchter sind ja nicht so selten“, sagt Rechtsanwalt André Wagner. „Das Amt kündigt sich an,
dann packt der Ehemann zehn der Hunde ins Auto und fährt in den
Wald. Er wartet solange, bis der Amtstierarzt kommt und sagt: Hier
ist es ja sauber, und hier sind gar nicht zu viele Hunde! Kaum ist der
wieder weg, kommt der Ehemann wieder um die Ecke und lädt die
Tiere wieder ab. Das ist eindeutig ein Verstoß gegen Paragraf 11,
und damit greift Paragraf 16a des Tierschutzgesetzes, wonach das
Veterinäramt den ganzen Zuchtbetrieb stilllegen könnte. Aber das
muss man erst einmal beweisen können. In der Zwischenzeit gehen
die Missstände unverändert weiter.“
Im Fall der Beschlagnahmung von Foxterriern in Recklinghausen
(siehe das Protokoll auf Seite 79) hatte der Züchter den Amtstierärzten, die sich vorher angemeldet hatten, den Einlass ständig verweigert. „Irgendwann kam das dann auch dem Staatsanwalt komisch
vor, und es gab den Durchsuchungsbeschluss. Aber so etwas dauert
eben“, erklärt Dr. Gerwert. „Manchmal ist es für den Anzeiger nicht
ersichtlich, ob schon etwas unternommen wird, auch weil sich an
den Missständen erst einmal nichts ändert. Dabei laufen die Maßnahmen vielleicht bereits. Es geht immer um Fristen, die gesetzt
und eingehalten und dann überprüft werden müssen. In Deutschland gelten Gesetze ja auch zum Schutz des Bürgers. Wer eine neue
Garage bauen möchte, mag sich darüber ärgern, dass er die Genehmigung vom zuständigen Amt nicht sofort bekommt. Aber wenn
ihm gegenüber jemand ein Kraftwerk hinsetzen möchte, ist er ganz
ßern. Danach können Zwangsmittel angedroht und erst dann kann
die Beschlagnahme festgesetzt werden. Aber auch das muss zuerst
angedroht werden. Da rasselt erst einmal eine Litanei von Verfügungen los, bevor es zu einer Beschlagnahme kommt. Es sei denn,
es ist Gefahr in Verzug und die Haltung unerträglich.“
Die Sache bleibt schwierig. „Das Tierschutzgesetz, auch in seiner
Überarbeitung, hilft den Tieren kaum“, sagt der Präsident des
Deutschen Tierschutzbunds, Thomas Schröder. „Oftmals fehlen
Regelungen ganz, oder die vorhandenen Regelungen sind zu
schwach, um wirksam zu sein wie bei den Themen Tiersammelsucht und Qualzucht. Häufig wurden bürokratische Hürden aufgebaut, die so hoch sind, dass Hilfe für die Tiere in weite Ferne
rückt wie bei den Themen Wildtiere im Zirkus und Kastrationspflicht für Katzen.“ Selbst in juristischen Einrichtungen fehlt häufig ein Bewusstsein für die Besonderheiten tierrechtlicher Probleme, auch bei Rechtsanwälten. Ein Jurist, der sich im rechtlichen
Tierschutz nicht auskennt, wird Fehler machen, die dafür sorgen,
dass der ganze Fall im Sand verläuft. „Es gibt viel zu wenige Juristen
im rechtlichen Tierschutz und noch weniger Tierrechtler mit Kompetenz und Erfahrung in der praktischen Lösung eines konkreten
Tierschutzfalls“, sagt Jurist André Wagner. Dabei wäre es unglaublich wichtig, echte Präzedenzfälle zu schaffen. Nur dann käme man
vielleicht mit dem Tierschutzgesetz weiter, „weil sich eine Kultur
des rechtlichen Tierschutzes entwickeln kann, in der Tiere in rechtlichen Zusammenhängen nicht mehr wie rostige Maschinen, sondern wirklich als unsere Mitgeschöpfe behandelt werden“.
Bisher ist das deutsche Tierschutzgesetz so gut wie der jeweils
zuständige Amtstierarzt. „Wenn der nichts macht, sind wir verloren“, sagt der Ludwigshafener Tierretter Michael Sehr. Ein möglicherweise gepeinigtes Tier bleibt ohne rechtlichen Beistand, das
Tierschutzgesetz verkommt zum zahnlosen Tiger.
„Es hängt immer am persönlichen Engagement der Einzelnen“,
bestätigt der Amtstierarzt Siegfried Gerwert, „desjenigen, der den
Fall meldet, und dem des Veterinärs.“ Auch André Wagner sagt:
„Man kann nur etwas erreichen, wenn man solche Fälle für eine
bestimmte Zeit zu seiner Hauptaufgabe macht. Es ist unglaublich
zeitaufwendig. Aber nur dann kommt man weiter: immer wieder
nachfragen, eine Vertrauensbasis mit Staatsanwalt und Amtstierarzt aufbauen. Man muss die Welt nicht komplett retten. Aber der
Mehrwert solcher erfolgreichen Fälle ist, dass andere daraus Hoffnung schöpfen und weitermachen. Und darum geht es auch.“