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Vom Selfie zum Velfie
Das Selfie als Kommunikationsmittel und sein Einfluß als popkulturelles
Massenphänomen auf aktuelle künstlerische Positionen in der
Inszenierung des digitalen Selbst.
Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades „Mag.a art.“ (Magistra artium) in den
Studienrichtungen Kunst und kommunikative Praxis (Unterrichtsfach Bildnerische Erziehung)
und Design, Architektur und Environment (Unterrichtsfach Technisches Werken).
Eingereicht an der Universität für angewandte Kunst Wien am Institut für Kunstwissenschaften,
Kunstpädagogik und Kunstvermittlung bei ao. Univ.-Prof. Dr. phil. Roman Horak.
Vorgelegt von Mag.a art. Elke Mayr im Mai 2016, Wien.
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Kurzbeschreibung
Das Selfie erlebt die letzten Jahre einen großen Aufschwung in klassischen und sozialen Medien. Was genau die spezifischen Eigenschaften eines Selfies sind und wie aus
dem Selfie ein „Velfie“ (Videoselfie) wurde, möchte ich anhand der vorliegenden Arbeit
untersuchen. Selfies und „Velfies“ sind nicht nur Mittel der digitalen Selbstdarstellung,
sondern auch Kommunikationsmittel, die eine neue visuelle Kultur maßgeblich prägen.
Wir erleben derzeit eine Verschiebung von Sprache auf bildliche Elemente, in der visuelle Botschaften immer wichtiger werden. Das Selfie ist weniger als ein Abbild seiner
Selbst zu verstehen, sondern vielmehr als Kunstperformance, in der verschiedene Inszenierungen ausprobiert werden können. Der Fokus meiner Auseinandersetzung liegt
darüber hinaus auf Formen der digitalen Selbstdarstellung in aktuellen künstlerischen
Positionen.
Keywörter: Selfie, Velfie, Vine, digitale Selbstdarstellung, Selbstoptimierung, neue Kommunikatiosmittel,
Selbstdarstellungen in künstlerischen Positionen, Post Internet Art, Petra Cortright, Amalia Ulman, Ryan
Trecartin und Lizzie Fitch, Richard Prince, Leo Gabin, Vine Videos, Selbstoptimierung
Abstract
The Selfie experienced a boom in traditional and social media within the last years. I try
to examine what exactly the specific characteristics of a selfie are and how it developed
to „Velfie“ (Videoselfie). Selfies and Velfies are not a single way for digital self-portraits,
but also a tool of communication that characterize a new visual culture. We are currently experiencing a shift from language to pictorial elements within visual messages are
becoming increasingly important. A Selfie is less to see as a reflection of itself, but more
as an art performance where different ways of presentations can be tested. The focus of
my work are forms of digital self-staging in current art productions.
Keywords: Selfie, Velfie, VIne, digital self-expression, self-optimization, new communication tools, selfportrait in art productions, Post Internet Art, Petra Cortright, Amalia Ulman, Ryan Trecartin and Lizzie
Fitch, RIchard Prince, Leo Gabin, Vine Videos, self optimization
3
4
INHALTSVERZEICHNIS
1.
Einleitung 9
1.1
Ziel und Themenstellung der Arbeit 9
1.2
Persönliche Motive 10
2. Entstehung und Definiton des Wortes Selfie 11
2.1
Frühe Formen des Selbstportraits 12
2.2.
Differenzierung der Begrifflichkeiten “Selbstportrait” und “Selfie” 15
3. Formen der Selbstoptimierung
19
3.1
Kontrolle über das eigene Bild 19
3.2
Trend zur Selbstvermarktung im Web 2.0 19
3.4 Trend zur normierten Individualität 22
3.5.
Feedbackkultur 23
4. Wissenschaftliche Studien zur Selfienutzung 25
4.1. Selfiecity 25
4.2.
Dawn of the Selfie Era: The Whos, Wheres, and Hows of Selfies 27
on Instagram
5.
Selfies als neues Kommunikationsmittel 29
5.1 Belfie, Duckface und Sellotape
29
5.2. Verschiebung von einer sprachlichen zu einer visuellen Kultur 31
5.3. Selfies und Emoticons 33
5.4.
Soziale Netzwerke 35
5.5. Funktion des Hashtags
37
5.6.
Smartphone als Mittel zur Selbstkontrolle
39
6. Technische Entwicklungen
41
6.1 Selfie und Smartphone
41
6.2 Selfie Stick
42
6.3 Vom Selfie zum Velfie, von der Webcam zur Drohne 43
5
6.4 Vine Videos
44
6.5 Velfie App
45
6.6 Dubsmash
45
8. Selfies als popkulturelles Massenphänomen
47
8.1. Selfies als neue Autogramme
49
8.2. Selfies in Musikvideos
50
8.3. Politische Selfies 52
6.
Das digitale Bild und die Gefahr der Entfremdung 55
6.1. Trend zum perfektem Bild 56
6.2. Gefahren durch Selfies
57
6.3. Selfie als Spiegel und Kunstperformance
58
12. Moderne Kunst und der Umgang mit Selfies 61
12.1. Das Museumselfie oder Artselfie
63
13. Post Internet Art 67
13.1. Petra Cortright
68
13.2. Amalia Ulman 78
13.3. Ryan Trecartin und Lizzie Fitch
83
14. Richard Prince 88
15. Leo Gabin 93
16. Fazit
95
17. Literaturquellen
97
18. Abbildungsverzeichnis 104
19. Eidesstattliche Erklärung
109
20. Danksagungen
111
6
7
8
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit setzt sich auf theoretischer Ebene mit dem „Phänomen Selfie“
auseinander und versucht verschiedenste soziokulturelle Faktoren in Zusammenhang
mit dem Erfolg des Selfies zusammenzuführen. Fasziniert hat mich das Thema aus den
Beobachtungen meiner „Offline-“ wie auch „Online-“ Umgebung. Neben technischen
Entwicklungen, die vom Selfie zum Velfie über Vine Videos, Velfie Apps zu Dubsmash
führen, sollen die wesentlichen Merkmale eines Selfies aufgezeigt werden.
Die Diplomarbeit setzt sich mit folgenden Fragestellungen auseinander: Inwieweit verändern Selfies unsere Kommunikations- und Identitätskonstruktionen? Wie haben sich
Posen und Gesten im Vergleich zu Abbildungen im Selbstporträt verändert? Wie wird
das digitale Selbst in zeitgenössischen Kunstproduktionen dargestellt? Um dies zu beantworten, habe ich mich mit der Differenzierung der Begrifflichkeiten von Selbstporträt
und Selfie befasst, sowie mit unterschiedlicher Formen von Selbstoptimierungen, die
von der Kontrolle über das eigene Bild, dem Trend zur Selbstvermarktung im Web 2.0
über normierte Individualität bis hin zur Feedbackkultur reichen. Das Selfie hat viele
Variationen und ist als solches auf den ersten Blick nicht immer klar erkennbar. Im Kapitel „Belfie, Duckface und Sellotape“ versuche ich einen Überblick über die beliebtesten
Varianten zu geben. Posen und Gesten werden von Emoticons übernommen und übertrieben dargestellt, um als visuelle Kommunikationsform leichter verständlich zu sein.
Die unendlichen Möglichkeiten der digitalen Selbstinszenierung haben nicht nur großen
Einfluss auf die Jugendkultur, sondern auch auf zeitgenössische Kunstproduktionen. Das
„Museumselfie“ oder „Artselfie“ ist auch für Kuratoren und Museen attraktiv geworden,
da durch die Verbreitung in den sozialen Medien ein neues Zielpublikum erreicht werden kann. Im letzten Teil der Arbeit behandle ich aktuelle künstlerische Positionen, die
sich mit neuen Varianten der Selbstinszenierung auseinandersetzen.
1.1. Persönliche Motive
Aus meinen Beobachtungen sind mir zwei Szenen besonders in Erinnerungen geblieben.
Während meines letzten Aufenthalts in Barcelona im Sommer 2015 fiel mir eine Jugend9
liche auf, die minutenlang mit Selfie-Stick auf einem sehr belebten Platz hantierte und
verschiedene Posen und Perspektiven ausprobierte. Was mich daran erstaunte war ihre
tiefe Versunkenheit in der Suche nach der idealen Position. Ich hatte bei der Szene das
Gefühl, eine Performance zu beobachten, bei der das Mädchen in ihrer eigenen Welt
völlig versunken war. Ihre Verrenkungen und Bewegungen wurden zu einer Art Tanz, der
nur ein Ziel hatte: Das perfekte Selfie. Zweck und Zielbestimmung dieses Selfies waren
nicht mehr das Fotoalbum der Familie, sondern soziale Netzwerke.
Meine zweite eindrückliche Selfie-Begegnung hatte ich bei der Ausstellungseröffnung
von Olafur Eliasson im Herbst 2015, im Winterpalais Prinz Eugen in Wien, die ich im
Kapitel “Das Museumselfie oder artselfie” genauer beschreiben werde. Für mich war
dies die erste Ausstellung, in der Selfies explizit erwünscht waren. Mit meinem eigenen
Smartphone fügte ich mich in die Masse ein, die von einem barocken Raum in den anderen gedrängt wurde. Der Anblick von unzähligen Displays und sich verrenkenden Köpfen
in den kaleidoskopartigen Spiegelungen von Eliassons Installationen war eine neue Ausstellungserfahrung für mich: Nicht mehr die Kunstwerke selbst stehen im Mittelpunkt
des Geschehens, sondern die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung.
10
2. Entstehung und Definition des Wortes „Selfie“
Im Jahr 2002 tauchte der Begriff „Selfie“ am 13. September zum ersten Mal in einem
australischen Online Forum (ABC Online) auf. Ein Student postete nach einer feuchtfröhlichen Geburtstagsfeier eines Freundes ein Bild mittels MMS (Multimedia Messaging
Service) von seiner aufgerissenen Unterlippe mit dem Kommentar:
„Um, drunk at a mates 21st, I tripped ofer [sic] and landed lip first (with front
teeth coming a very close second) on a set of steps. I had a hole about 1cm long
right through my bottom lip. And sorry about the focus, it was a selfie. “
(OxfordWords Blog 2013)
Abb.1 Foto einer aufgeplatzten Lippe eines australischen Studenten, der angeblich das erste mal das Wort “Selfie” verwendete
Etwas mehr als zehn Jahre später, im Jahr 2013, erklärt das Oxford English Dictionary
„Selfie“ zum Wort des Jahres und wird heute ebenso geliebt wie gehasst.
Definition von „Selfie“:
• im deutschen Duden:
„mit der Digitalkamera (des Smartphones oder Tablets) meist spontan aufgenommenes Selbstporträt einer oder mehrerer Personen“ (Duden, 2016)
• im Oxford Dictionary:
„A photograph that one has taken of oneself, typically one taken with a smartphone or webcam and shared via social media: occasional selfies are acceptable,
but posting a new picture of yourself everyday isn’t necessary.
Early 21st century: from self + -ie.“
(Oxford Dictionary, 2016)
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Vergleicht man diese beiden Definitionen, fehlt in der deutschen Version eine sehr wichtige Aktion, die mit dem Selfie verbunden ist: das Teilen in sozialen Medien. Erst mit
dem Teilen und der sich daraus ergebenden Kommunikation, entweder in Form von Likes
oder Kommentaren, entfaltet sich das Potential des Selfie. (Vgl. Saltz, 2015)
Um die Liebe zur Selbstabbildung zu erklären wird immer wieder auf die Kunstgeschichte
zurückgegriffen und verschiedene Beispiele erwähnt, die in ihrer Darstellungsform viel
mit einem Selfie gemein haben. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen
Selbstporträts und Selfies. Auch wenn manch frühe Selbstporträts eine ähnliche Bildkomposition haben wie Selfies, war deren Zweck ein ganz anderer. Bevor ich auf dieses
Kapitel näher eingehe, möchte ich einige Beispiele der Kunstgeschichte beschreiben, die
wichtige Vorläufer von Selfies waren.
2.1. Frühe Formen des Selbstporträts
Ein Beispiel aus der Kunstgeschichte ist das Selbstporträt des Malers Francesco Mazzola aka Parmigianino mit dem Titel Selbstbildnis im Konvexspiegel, das 1524 entstand.
Parmigianino verwendete einen Konvexspiegel und gab dem Malträger eine gewölbte
Form.
Abb.2 Selbstbildnis im Konvexspiegel um 1524
12
Der Betrachter sollte den Eindruck gewinnen in dem Gemälde eine gespiegelte Oberfläche vor sich zu haben. Interessant ist auch, dass der Rahmen des Bildes, der in einem
Stück gedrechselt, profiliert und vergoldet wurde, die Täuschung des Spiegels perfekt
machen sollte. (Vgl. Kunsthistorisches Museum Wien) In diesem frühen Gemälde sind
alle wichtigen Eigenschaften eines Selfies zu finden: Das Gesicht des Subjekts aus einem schrägen Winkel, der verlängerte Arm, eine perspektivisch verkürzte und verzerrte
Komposition und greifbare Intimität. (Vgl. Saltz, 2015, 40) Das Gemälde befindet sich im
Kunsthistorischen Museum Wien.
Begibt man sich auf die Suche nach “der Geschichte der Selfies“ werden oft Selbstporträts von Rembrandt, Dürer und Van Eyck erwähnt. Doch um nicht zu viele Genres zu
vermischen, muss man hier klar zwischen Portrait und Selfie unterscheiden und hinterfragen, was der Sinn und Zweck der Bilder war und ist. Ausstellungen, die sich mit
dem Thema Selfie beschäftigen, bringen diese oft mit europäischen Künstlerselbstporträts seit der Renaissance in Zusammenhang. Andere Beispiele gibt es in Vergleichen
von Individualität und Intimität des Blicks wie sie auch bei Selbstporträts von Dürer und
Rembrandt zu sehen sind. Schon bei Van Gogh, Munch oder Frieda Kahlo ging es um
Selbstbildnisse, die anders als klassische Herrscherporträts, Individualität jenseits physiognomischer und sozialer Muster, ein lebendiges Gesicht zeigten. (Vgl. Halter, 2016, 4)
Der Kunstkritiker Jerry Saltz vergleicht Gemälde von Vincent Van Gogh in ihrer Intensität
und dem Bedürfnis der Welt etwas Persönliches zu sagen mit Selfies, sowie Arbeiten von
Andy Warhol und Cindy Sherman. (Vgl. Saltz, 2015, 38)
Bevor ich zu der Unterscheidung von Selbstporträt und Selfie komme, möchte ich noch
zu einem anderen Beispiel der frühen Fotografie kommen, die dem heutigen Selfie sehr
ähnlich ist.
Die Fotografie von Robert Cornelius (Abb.3), einem amerikanischen Pionier der Fotografie, der 1839 nachfolgendes Selbstporträt anfertigte, gilt als erstes noch erhaltenes
amerikanische Porträtfoto. Damals wandte man noch die Technik der Daguerreotypie
an, bei der ein Foto auf eine versilberte Kupferplatte durch ein chemisches Verfahren
abgebildet wurde. Belichtungen dauerten zu dieser Zeit noch zwischen 15 und 30 Minuten. Der Blick und die Körperhaltung von Robert Cornelius entspricht vieler aktueller Spiegel-Selfies von jungen Männern: verschränkte Arme, ein ernster Blick, der Kopf
13
leicht auf eine Seite gedreht, fehlt nur der ausgestreckte Arm mit dem Smartphone.
Schaut man auf die Entwicklung in der Kunstgeschichte, findet man in unterschiedlichen
Genren immer wieder Selbstdarstellungen, doch Selbstporträts haben mit Selfies nicht
so viel gemeinsam wie es am ersten Blick vielleicht scheint. Das kollektive Bemühen, das
erste Selfie ausfindig zu machen sollte das Massenphänomen leichter erklärbar machen
um innerhalb historisch etablierter Kanons besser analysiert werden zu können.
(Vgl. Donnachie, 2015, 54)
Abb.3 Selbstportrait von Robert Cornelius von 1839
Auch die fast ein Jahrhundert später gefertigte Lithografie von M.C. Escher mit dem Titel:
„Hand mit spiegelnder Kugel“ von 1935 (Abb.4) wird als erstes bedeutendes Prä-Selfie
des 20. Jahrhundert gehandelt. Die eigenartige kompositorische Struktur, der verkürzte
Arm und das durch den konvexen Spiegel verzerrte Gesicht des Künstlers lassen in der
Ästhetik große Ähnlichkeiten zu einem Selfie zu. (Vgl. ebda., 40) Mittlerweile gibt es im
Internet unzählige Bilder, die das Motiv der spiegelnden Kugel imitieren, von Parodien
mit Spongebob und Homer Simpson bis zu Selfies wie in Abbildung 5, die in einer M.C.
Escher Ausstellung 2015 in der Dulwich Picture Gallery in London aufgenommen wurde.
Trotz aller formaler Ähnlichkeiten, die zeitgemäße Selfies mit Selbstporträts der
14
Geschichte gemeinsam haben, ist der Zwecks wofür die Bilder gemacht wurden ein ganz
anderer.
“Den Ursprung des Selfies in vorangegangenen Genres der Selbstdarstellung
zu suchen ist auch deswegen kontraproduktiv, weil, trotz einiger formaler und
funktionaler Überlappungen von Selfie und älteren Genres der Selbstdarstellung,
das Selfie durchwegs als eine zeitgenössische Erscheinungsform, eine diskrete
Entität und/oder Aktivität hervortritt; aufgrund seiner Komposition, Technik, Verbreitung in Netzwerken, seines Konsums und seiner schieren Allgegenwart kann
es nicht einfach auf eine digitale Sanierung des Selbstporträts reduziert werden.“
(Donnachie, 2015, 54)
Abb.4 Hand mit spiegelnder Kugel von MC Escher,1935
Abb.5 Selfie in der Dulwich Picture Gallery von Junad Miah, 2015
2.2. Differenzierung der Begrifflichkeiten „Selbstporträt“ und „Selfie“
Im Gegensatz zu Selbstporträts oder anderen herkömmlichen Fotografien werden Selfies nicht für uns selbst aufgenommen, sondern für ein virtuelles Gegenüber. Der Unterschied zwischen einem Selbstporträt und einem Selfie ist vor allem der Zweck wofür es
gemacht wurde. Die Inszenierung von frühen Selbstporträts war meist erhaben, Makel
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wurden schöngemalt (heute werden sie digital bearbeitet) und das Porträt sollte den Abgebildeten in bestem Licht erscheinen lassen. Mit der Erfindung der Fotografie und einer
Technik, die für die breite Masse zugänglich war, wurden Abbildungen demokratischer.
Somit veränderten sich auch die Autorinnen und Autoren der Bilder. Ein Selbstporträt
entstand aber auch in Zeiten der Fotografie weniger spontan. Ein großer Unterschied
liegt im Zwanglosen und dem „Hier und Jetzt“ zum Selfie. Während Fotografien dazu
gemacht wurden, ein Dokument oder ein Erinnerungsstück zu schaffen, das auf einem
Bild dauerhaft festgehalten werden konnte, wird ein Selfie für eine Zustandsbeschreibung vom Hier und Jetzt gebraucht, das erst in dem Moment seine Bedeutung entfaltet,
nachdem es digital versendet worden ist. (Vgl. Ullrich, 2015, 33)
„Selfies sind Akteure in größeren sozialen Umgestaltungsprozessen, sie sind Impulse für die unmittelbare Beschäftigung mit abwesenden Zusammenhängen,
die durch die Wirkung der kommunikativen Infrastruktur und vernetzten Geräte
gegenwärtig sind. [...]Ihre Bestimmung ist Übermittlung, Beschäftigung, Reaktion, Antwort, in der Unmittelbarkeit jener Technologien, die beinahe mit Lichtgeschwindigkeit arbeiten.“ [...]Selfies weisen nicht die dokumentarische Permanenz oder interpretative Performance anderer Arten von Fotografie auf, weil sie
grundsätzlich dynamisch sind.“ (Levin, 2015, 104)
Ein Selbstporträt wird normalerweise nicht unter Fremden verbreitet und so vielen Menschen zugänglich gemacht wie ein Selfie. Natürlich kann auch ein Selfie ein Erinnerungsdokument sein, aber es ist nicht der eigentliche Zweck des Bildes, es wird in erster Linie
dafür gemacht, um in sozialen Netzwerken geteilt und kommentiert zu werden. Selfies
sind dazu da, eine Momentaufnahme zu beschreiben und sofort in diesem Moment geteilt zu werden um Feedback in Form von Kommentaren, likes, oder anderen Selfies als
Antwort zu bekommen. Es soll ausdrücken was man gerade macht und ist so etwas wie
eine Bestandsaufnahme des Jetzt. Ein Bild wird als Ersatz von Sprache als unmittelbare
Kommunikation genützt. Der Kunstkritiker Jerry Saltz erklärt in seinem Essay „Kunst auf
Armlänge“ Selfies zu einem neuem, eigenem visuellem Genre, das unsere soziale Interaktion, Körpersprache, Selbstbewusstsein und unsere Grenzen von Privatheit und Öffentlichkeit verändert. (Vgl. Saltz, 2015, 34) Im Vergleich zu einem herkömmlichen Selbst16
porträt ist die Rezeptionssituation bei einem Selfie eine andere. Die Betrachtung erfolgt
meist räumlich entgrenzt, an unterschiedlichen Orten und vor einem nicht eindeutig
definierten Publikum. Kommunikative Rahmungen von Bildern, die beim gemeinsamen
Betrachten von Bildern häufig stattfinden, müssen in Form von schriftlichen Verweisen
hinzugefügt werden. Dies könnte auch ein Grund dafür sein, dass nicht-intendierten Betrachterinnen und Betrachtern ein Selfie oft sinnlos und oberflächlich vorkommen mag,
weil sich dieser ohne Kontext nicht erschließt. Auch die Anschlusskommunikation erfolgt
nicht mündlich, sondern schriftlich, was zu einem essentiellen Bestandteil des Selfies
wird, weil ein Feedback unbedingt erforderlich ist. Kommt es zu keiner Reaktion, also
keinem Feedback, wird dies als fehlgeschlagener Kommunikationsakt gewertet. (Vgl. Autenrieth, 2014,2)
Wie bei Narziss die Spiegelung im Wasser, gehört beim Selfie die Spiegelung im Display
dazu, sowie eine schräge Perspektive und der ausgestreckte Arm im Bild. (Jedoch gibt
es einige technische Entwicklungen für das Selfie, die den ausgestreckten Arm obsolet
machen, auf diese werde ich im Kapitel technische Entwicklungen genauer eingehen).
Kennzeichnend für ein Selfie sind nicht die gestalterischen Mittel eines Selbstporträts,
sondern die Kombination des Selbstbildnisses mit einer sofortigen Möglichkeit der Distribution und Verhandlung über diverse Medienkanäle. Man könnte auch sagen, dass
ein Selfie mehr eine Art von Kommunikationsform ist. Es wird mit der bewussten Intention erzeugt, eine Botschaft zu übermitteln, die meist unmittelbar in Anschluss seiner
Herstellung verbreitet wird. (Vgl. ebenda) Ich teile nicht in Worten mit was ich gerade
mache, sondern mache ein Foto und teile es meinen „Freunden“ mit. Wie es mir gerade
geht, zeige ich in übertriebenen Posen, damit es auch wirklich leicht verständlich ist.
Mittlerweile gibt es durchaus bizarre Diskussionen darüber, was ein Selfie ist und was
nicht.
Im März 2016 knipste ein junger Brite ein Foto von sich und dem Entführer einer Egypt
Air-Maschine (genau genommen drückte eine Stewardess auf den Auslöseknopf), und
schickte es seinen Freunden via WhatsApp weiter mit der Bezeichnung „best selfie
ever“. Das Foto wurde im Netz weiterverbreitet und erreichte große Medienaufmerksamkeit. Der 26jährige Brite ist auf dem Bild mit einer „typischen“ Selfie Pose mit hoch
gezogene Augenbrauen und einem breiten übertriebenem Grinsen zu sehen. Betrachtet
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man das Bild des Briten, käme man nicht auf die Idee, dass er sich in einer gefährlichen
Situation befinden könnte. Neben ihm steht ein kleinerer älterer Herr, dessen leicht verdutzter, ernster Blick direkt zur Kamera gerichtet ist. Wäre auf dem Bild nicht auch noch
ein Sprengstoffgürtel zu sehen, könnte dies ein ganz normales Foto sein. Die Absurdität,
wo ein vermeintliches Opfer in einer gefährlichen Situation ein Foto von sich und dem
Täter macht und diese Situation mit einem Grinsen kommentiert, bewerten Psychologen
als puren Narzissmus. Warum man in so einer Situation so breit grinst, ist auf ein tief
verankertes Verhalten zurückzuführen, sobald der Blick auf eine Kamera fällt. Manche
Menschen sind in einem hohen Maße darauf konditioniert ein Lächeln aufzusetzen, sobald eine Kamera gezückt wird, egal wie verstörend die Umgebung ist. Zu dem Zeitpunkt
als das Foto gemacht wurde, war noch nicht klar, dass es sich bei dem Sprengstoffgürtel
des Entführers um eine Attrappe handelte und die Flugzeugentführung ohne Verletze
beendet werden konnte. Nachdem in allen sozialen Medien über dieses Bild berichtet
wurde, war für die Öffentlichkeit vor allem interessant, ob dieses Foto als Selfie bezeichnet werden dürfe oder nicht, weil der Brite das Foto nicht selber aufgenommen hatte.
Die Mehrheit war davon überzeugt, dass es kein Selfie sei.
18
3. Formen der Selbstoptimierung
3.1. Kontrolle über das eigene Bild
Ein großer Unterschied zum Selbstporträt ist die eigene Kontrolle über das Bild zu haben. Man kann in Ruhe hunderte Bilder mit seinem Smartphone schießen ohne eine andere Person dafür zu benötigen. Anschließend wählt man das beste Foto aus, bearbeitet
es mit ein paar Filtern und schon hat man das perfekte Bild, das fertig präpariert als
Statement in die digitale Welt hinausgeschickt wird. Mit einem Selfie wird weniger ein
Selbst entblößt als eines konstruiert. (Vgl. Scheer, 2015) Oft wird dem Selfie Spontanität
zugeordnet, doch bei genauerem Hinsehen sind die meisten Selfies zwar Zustandsbeschreibungen vom Hier und Jetzt, aber bevor sie veröffentlicht werden, durchlaufen sie
einer strengen Kontrolle. Passt der Winkel, die Frisur, die Mimik, wirkt das Gesicht gut,
oder sollte man den Kopf lieber doch etwas zur Seite drehen, usw. Solch ähnliche Kontrollen durchlaufen tagtäglich tausende Selfies bevor sie in soziale Netzwerke geschickt
werden. Digitale Bearbeitung, die gleich am Smartphone selber erledigt wird, ist Standard und soll das Abbild perfektionieren.
“Mit einem Selfie will man weniger ein schönes Bild machen, als vielmehr ein
standardisiertes Bild, das gewissen Normen entspricht. Ich glaube im Grunde
setzt man eher ein Identitätsmerkmal. Man spielt das Spiel mit. Durch diese
Geste fügt man sich in eine Reihe von Bildern ein, die sofort als Selfies erkennbar sind und bei denen man eine sehr standardisierte Pose einnimmt. Dadurch
spielt man das Spiel mit.” (Menrath, 2015)
3.2. Trend zur Selbstvermarktung im Web 2.0
Ein Selfie kann jeder Durchschnittsmensch machen, dafür braucht es keine Künstlerin
und keinen Künstler mehr. Jeder Mensch kann sich im Web 2.0 selbst „vermarkten“ und
inszenieren wie es vor einigen Jahren nur Prominenten vorbehalten war. Die zunehmende Ästhetisierung unserer Gesellschaft und die damit verbundenen Schönheitsideale
19
führen immer mehr dazu, dass das Erleben der Gegenwart im Hier und Jetzt immer mehr
in den Hintergrund gerät und der Fokus auf eine Bebilderung gerichtet ist, die man sich
zu einem späteren Zeitpunkt ansieht. Der Trend, schön arrangierte Speisen oder einen
perfekt angerichteten Latte Macchiato zu fotografieren und zu teilen, ist ein Aspekt der
bildlichen Ästhetisierung. (Vgl. Heinzlmaier, 2013, 183) Nicht nur Nahrungsmittel, sondern jegliche Art von Gegenständen oder auch Körper lassen sich ästhetisch inszenieren.
Ob man die neuesten Schuhe, sein gerade trainiertes Sixpack oder einen neuen Bikini
präsentiert, ist eigentlich egal. Es geht darum sich selber zu inszenieren und zu vermarkten und das so jung, dynamisch, lebensfroh, gut gelaunt und unbeschwert wie nur möglich. Hängebäuche, Körperfett, Falten, Krankheit oder finstere Gesichter versprechen
wenig positives Feedback und würden zu einem schlechten Image beitragen.
Prominente können sich heute durch Selfies nahbar geben und demonstrieren, dass sie
auch Privates mit ihren Fans teilen und sich auf diese Weise neu vermarkten. Mit dieser
Form der virtuellen Selbstinszenierung kann aber umgekehrt jeder „normale“ Mensch
zum Star werden.
Getrieben vom Kapitalismus gibt es unzählige Teenies, die stolz ihre neuesten Markenwaren wie Lippenstifte, Kleider, Taschen und Schuhe im Internet präsentieren. Diese Art
von Inszenierung findet meist auf YouTube statt. Leo Gabin, eine Künstlergruppe aus
Belgien, hat sich diesem Thema in einer künstlerischen Videoarbeit gewidmet, worauf
ich in einem späteren Kapitel eingehen werde. Es gibt viele jugendliche Selfie-Ikonen,
die auf YouTube darüber reden, welche Kosmetikartikel sie am Liebsten kaufen und ihre
neuesten Mode-Errungenschaften sowie Accessories präsentieren. Haben sie genügend
Follower und Likes, liegen die Chancen nicht schlecht, dass sie von großen Markennamen als Testimonials verwendet werden, um eine möglichst große, junge Zielgruppe von
Konsumentinnen und Konsumenten zu erreichen.
Ein Beispiel ist die 19jährige Australierin Essena O´Neil, die mit ihrem Mode-Blog und
glamourösen Selfies viel Aufmerksamkeit, Beliebtheit und auch Geld verdiente. Sie hatte
700.000 Follower auf Instagram. Doch die Jugendliche hatte irgendwann keine Lust mehr
sich selbst in den neuesten Bikinis oder Kleidchen zu präsentieren und entschied sich im
Herbst 2015 dazu, all ihre Accounts auf diversen Plattformen zu löschen und mit einem
Video an die Öffentlichkeit zu gehen. In ihrem „Geständnisvideo“ auf YouTube erklärt
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sie, dass sie oberflächlich gesehen ein Leben geführt habe, das sich viele wünschen. Sie
hatte Sponsoring Gelder und Modelverträge. Aber wirklich glücklich schien sie dieses
Leben nicht zu machen, denn eines Tages kam sie zu der öffentlichen Erkenntnis, dass
dies alles keine Bedeutung im wahren Leben hat. Sie löschte ihren Instagram Account
und erstellte ein Video mit dem Titel „Why I REALLY am quitting social media“, das sie auf
Youtube veröffentlichte. In einer Texteinblendung widmet sie ihr Geständnis ihrem eigenem 12jährigem Ich. Im Video ist O´Neil ungeschminkt und ungestylt in ihrem Wohnzimmer zu sehen und erzählt, wie unglücklich sie in den letzten Jahren gewesen sei. Sie
versuchte ihre innere Leere durch noch mehr Likes und Anerkennung füllen zu können,
doch irgendwann gelang ihr das nicht mehr. Ihre neue Message ist der Aufruf, dass jeder
Mensch sein „echtes Leben“ leben solle und sich vom „falschen Leben“, das online stattfindet, verabschieden solle.
Heute hat die junge Australierin ihren Instagram Account zwar wieder aktiviert, aber
nur einige kommentierte Fotos aus ihrer „IT-Girl“ Zeit online, die die Realität hinter den
schön anmutenden Bildern erklären sollen. Durch ihr „Geständnisvideo“ bekam sie auch
außerhalb von Australien ein großes Medienecho. Aktuell verbreitet sie unter „Social
Media is not real life!“ vegane Kochrezepte und setzt sich für die Aufklärung Jugendlicher Instagramer ein. Sie hat es erfolgreich geschafft ein neues „Ich“ von sich selbst zu
generieren. (Vgl. Witte, 2015)
Abb.6 Screenshot, Instagram, Essena O´Neil, 2016
21
Dieser plötzliche Sinneswandel und die weitere Online Präsenz brachten ihr nicht nur
Komplimente ein. Es haben sich nur die Spielregeln geändert, das Spiel ist gleichgeblieben. Auch der Wille zur authentischen Wahrheit muss im virtuellen Raum beglaubigt
werden. Die Leiden am Selfismus werden mit neuen, ungeschminkten Selfies dokumentiert um ein „Celebrity“ Girl zu bleiben. (Vgl. Halter, 2016) So leicht ist der Ausstieg aus
der digitalen Schau nun doch wieder nicht.
Über weitere Formen der Inszenierung von populären Menschen schreibe ich im Kapitel
Selfies als popkulturelles Massenphänomen.
3.3. Trend zur normierten Individualität
Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan spricht in seiner Spiegel Theorie davon,
dass der Mensch eine entwicklungspsychologische Phase bis zum 18. Lebensmonat erlebt, in der er sein Spiegelbild entdeckt und sich selbst und seinen Körper in dieser Phase
zum ersten Mal ganzheitlich wahrnimmt. Durch dieses Erleben des Spiegelstadiums wird
das ICH konstituiert und lustvoll erlebt, aber gleichzeitig tauchen Ängste auf, in denen
Verletzlichkeit erlebt wird. Der Akt sich selbst zu fotografieren und in verschiedenen Rollen auszuprobieren, die Bilder zu teilen und auf das Feedback der anonymen Betrachter
zu warten ist eine Form von Identitätsbildung. Der digitale Avatar, das Selfie, ist schon
alleine durch die Möglichkeiten der Bearbeitung am Handy meist perfekter und ein besseres Abbild seiner Selbst als das „wahre“ Ich. (Vgl. Wolf, 2015)
Obwohl Selfies auf den ersten Blick sehr spontane Fotos sind, folgen die meisten ganz
bestimmten Posen, die innerhalb der Community als anerkannt gelten und in weiterer
Folge mehr Likes und Kommentare bringen. Da es beim Selfie nicht nur um das Bild selber geht, sondern der Prozess des Teilens und des Feedbacks ein wesentlicher Bestandteil ist, verschieben sich auch dessen Inhalte. Das Teilen des Selfies ist sein Inhalt. (Vgl.
Rubinstein, 2015) Die Jugendforscherin Beate Großegger meint, dass es einen Trend zur
leidenschaftsloser Überanpassung gäbe. Sie vermisst wirkliche Überzeugung oder große
Loyalität, viele gehen den Weg, der normaler und einfacher erscheint. (Vgl. Großegger,
2014)
Jugendkulturforscher beschreiben den Impuls von Teenagern für ein imaginäres Publi-
22
kum zu performen und so ihre eigene Identität zu formen. Dieses sich Ausprobieren wird
über das Selfie ausgetestet. Posen und Verhaltensweisen werden zuerst privat erprobt
und dann für das vernetzte Publikum über soziale Medien vermittelt. Das Selfie wird zu
einem Medium des Experimentierens mit der Persönlichkeit, was sowohl für Kinder als
auch Erwachsene gilt.
Adam Levin beschreibt in seinem Essay „Das vernetzte Selbst. Codes, Konten und Rhizome“, dass sich der protokollarische Aspekt von Selfies in Kommentar-Threads und der
Kapazität jedes Nutzers bzw. jeder Nutzerin ein Bild zu liken, teilen, verbergen, entfernen und/oder Posts oder Kommentare zu melden, manifestiert. Unterstützende sowie
blockierende Aktionen halten so eine Online Community zusammen und bestärken ein
System gemeinsamer Werte. Soziale Netzwerke fördern somit Redundanz, auf indirekte
Verbindungen, Freunde von Freunden, deren Kommentare, Bilder etc. erscheinen auf
der Pinnwand von Menschen, die keine direkte Verbindung zu diesen Leuten haben.
(Vgl. Levin, 2015, 112)
Wie sehr das Selfie im Hier und Jetzt verankert ist, zeigen auch der Erfolg von Apps
wie Snapchat, Periscope und anderen Instant Services, die gepostete Bilder oder Videos
nicht speichern. So wie ein gesprochener Satz in einem Gespräch verblasst, verschwinden hier die Bilder, die wie gesprochene Sprache behandelt werden. (Vgl.Ullrich, 2015,
35) Dass mit dieser trügerischen Zerstörung von Bildern viele Jugendliche dazu verleitet
wurden, Nacktfotos von sich zu versenden und dies zu einigen Problemen führte, ist die
negative Seite von dieser scheinbaren Sicherheit. Das Speichern von Fotos ist auch in
diesen Apps möglich, wenn man dies per Sondereinstellungen anwählt oder noch einfacher, einen Screenshot erstellt.
3.4. Feedbackkultur
Kommunikation in Bildern ist ein wichtiges Ausdrucks- und Kommunikationsmittel von
Jugendlichen. Es wird vermehrt über Symbole kommuniziert, nicht mehr über gesprochene Sprache oder geschriebene Sprache. Deshalb „fremdeln“ viele Jugendliche mit
der traditionellen Schreib/Lesekultur. Für den Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier
etwa ist das Selfie Ausdruck einer asozialen, amoralischen „Generation Ego“, für die
23
Selbstdarstellung Pflicht und Selbstvergötterung ein Herzensbedürfnis ist. Jugendliche
sind Ausdruck einer „Ich Schwachen“ Persönlichkeit oder einer „Ich Schwachen“ Kultur,
die immer darauf aus ist sich ständig feedbacken zu lassen. (Vgl. Heinzlmaier, Ikrath,
2013) Für manche Jugendliche wird es unmöglich, selbstbestimmt Entscheidungen zu
treffen, da sie es gewohnt sind in einem Bewertungssystem zu handeln, das ihnen das
Gefühl gibt, ohne Fremdbestimmung keine eigenen Handlungen mehr setzen zu können.
Das Risiko für Fehlentscheidungen wäre zu groß, darum fragen sie vor vielen Entscheidungen in Form von einem geposteten Foto nach, ob diese auch für gut befunden werden oder nicht. Im Zweifelsfall legen sie damit Verantwortung ab und können sich auf
andere Menschen berufen.
Um Freundschaften zu festigen oder zu bestätigen, bedient man sich in sozialen Netzwerken auch ganz bestimmten Bestätigungskreisläufen. Eine Userin oder ein User, kurz
genannt „A“ postet ein Selfie, die Betrachterin/der Betrachter „B“, liked das Bild. Postet
„B“ kurze Zeit später auch ein Bild, erwartet sie oder er sich ein „gefällt mir“ von „A“.
Dieses wechselseitige „Gefallen“ kann unterschiedlichste Gründe haben und muss noch
lange nicht bedeuten, dass die Betrachterin oder der Betrachter das Bild gut findet, aber
die Autorin/der Autor wird es so verstehen, dass dies dem Gegenüber „gefällt“. Die Suche nach Authentizität spielt eine wichtige Rolle im Erfolg des Selfies, weil es ein Spiel
von Begehren und Verlangen sowie einer Sehnsucht nach Authentizität entspricht. (Vgl.
Donnachie, 2015, 78)
Obwohl in den letzten Jahren Begriffe wie „Generation Ego“ gebildet wurden und Selfies
als Zeichen für eine egozentrierte Generation gewertet werden, zeigen wissenschaftliche Studien, dass sich die Wertorientierung von Jugendlichen noch immer auf das soziale Umfeld bezieht. Auf die Frage welche Werte in ihrem Leben den höchsten Stellenwert
habe, gaben sie mit deutlichem Abstand zu anderen Begriffen „Freundschaft, „Partnerschaft“ und „Familie“ an. (Vgl. Gensicke, 2011,197) Das spricht auch für die Verwendung
von Selfies mit mehreren Freunden, die „usies“ genannt werden und für den Ausdruck
von Freundschaft hergestellt werden.
24
4. Wissenschaftliche Untersuchungen zur Selfienutzung
4.1. Selfiecity
Das Projekt Selfiecity ist von einem Team digitaler Künstler, Kunsthistoriker, Datenanalysexperten und Designern entststanden. Das Konzept wurde vom amerikanischen Medienwissenschaftlern Lev Manovich und der Software Studies Initiative entwickelt. Ziel
des Projektes war, den Stil von Instagram-Selfies in fünf ausgewählten „global cities“ zu
untersuchen und zu vergleichen. Für das Projekt wurden 140.000 Selfies von New York
City, Berlin, Bangkok, São Paulo und Moskau zufällig ausgewählt. Gesammelt wurden
Bilder, die innerhalb einer Woche im Oktober 2013 erstellt wurden. Microtasking Arbeiter von Mechanical Turk (Anmerkung: Eine von Amazon gegründete Plattform, wo
digitale Mini Jobs an Interessierte ausgelagert werden, meist erfolgt eine Entlohnung
pro Klick) wurden damit beauftragt, Bilddatenbanken nach Selfies zu durchsuchen und
zu sammeln und einige wenige, nämlich nur 3 Personen, wurden anschließend damit
beauftragt das Geschlecht zu bestimmen und das Alter der Person zu schätzen. Die Ergebnisse wurden von einem anderen Team noch einmal bewertet. Für jede Stadt wurden 640 Selfies ausgewählt. (Tifentale, 2014, 4)
Die Stimmungslage der Abgebildeten wurde mittels Gesichtsanalysesoftware bestimmt.
Dass die Einschätzung von Geschlecht oder auch die Altersangaben etwas willkürlich
bestimmt sind, merkt man bei den schön gestalteten Grafiken, wenn man zwischen den
möglichen Parametern wechselt, aber sich im Abbild der Selfies nicht wirklich etwas ändert. Besonders die Zusammenarbeit mit Microtasking Arbeitern in dieser Studie wird
aus ökonomischen, sozialen aber auch empirischen Gründen kritisch bewertet. Was
durch das Forschungsprojekt deutlich wurde, ist dass die Anzahl von Selfies im Vergleich
zu anderen Bildern auf Instagram nur einen Prozentsatz von 3-5% ausmachen, Photos
von Katzen, Essen, Autos, Füße, Hunde, Schuhen usw. waren beliebte Motive auf Instagram. Der prozentuelle Anteil von Frauen, die Selfies von sich machen, ist in den
meisten Städten höher, als der männliche Anteil. Außer in Bangkok, wo der prozentuelle
Wert von weiblichen Selfies nur etwas mehr als die Hälfte ausmacht, nämlich 55,2%. Im
Vergleich dazu liegt in Berlin der Wert der weiblichen Selfies bei 59,4,% in New York bei
25
61,6%, in Sao Paulo bei 65,4% und Moskau bei 82%.
Das Durchschnittsalter aller Selfie-Fotografen liegt bei 23,7 Jahren und nach der durchschnittlich gemessenen Bewertung, ob sich Menschen eher lächelnd, gut gelaunt oder
Abb.7 Screenshot von selfiecity.net
missmutig zeigen, liegt Moskau am letzten Platz, während Thailand viele lächelnde Selfies hat. Ob man von Stimmungslagen der abgebildeten Menschen weitere Rückschlüsse
ziehen kann ist fraglich, da der Zeitraum in dem gemessen wurde, nur sehr kurz war
und Oktober schon alleine klimatechnisch nicht die gleichen Voraussetzungen in allen
Ländern bietet. Insgesamt bietet die Plattform eine schön aufbereitete, spielerische
Oberfläche, aber meiner Meinung nach ergeben die einzelnen Auswertungen der Selfies
doch eher oberflächliche Themen, die nicht wirklich in die Tiefe gehen. Die Einteilung
in entweder Frau oder Mann lässt keine queeren oder transsexuellen Geschlechter zu
und warum insgesamt weniger Menschen in Moskau auf Selfies lächeln, lässt eigene
Mutmaßungen zu, wird aber nicht weiter erklärt. Vielleicht bietet dieses Projekt in den
26
nächsten Jahren bei weiteren Sammlungen noch aufschlussreiche Erklärungen. Im Moment liest man außer einigen Basic Daten der Ländernutzungen noch wenig aus dem
Projekt. Aktuell wurde an der Adaption „Selfiecity London“ gearbeitet, die Teil der „Big
Bang Data Exhibition“ war, die vom Dezember 2015 bis März 2016 in London zu sehen
war. Die interaktive Webseite hat bis jetzt schon einige Preise für Datenvisualisierungen
bekommen, wie zum Beispiel den Golden Award in der Kategorie Website von Kantar
Information is Beautiful 2014 Awards competition. (Manovich, 2015)
4.2. Dawn of the Selfie Era: The Whos, Wheres, and Hows of Selfies on Instagram
In der Studie von Wissenschaftlern der Universidade Federal de Minas Gerais im brasilianischen Belo Horizonte und KAIST in Südkorea von 2015 wurde untersucht wie sich
Menschen auf Selfies zeigen und welche Muster sich in der Interaktion zeigen. In dieser
Studie wurden insgesamt 2,3 Millionen Fotos von 740.000 Nutzern untersucht. Auch
hier wurde mit einer Gesichtserkennungssoftware gearbeitet, das Geschlecht, Alter und
einen Wert für den Gemütszustand der Fotografierten ermittelte. (Vgl. Nefzger, 2015) In
der Studie wurde deutlich, dass im Zeitraum von 2012 - 2014 die Anzahl von Selfies um
900 mal gestiegen ist, dass Selfies in sozialen Medien mehr Aufmerksamkeit erregen, als
andere Fotos und junge Frauen eine weitaus höhere Selfienutzung haben als Männer
(ausgenommen in Nigeria und Ägypten, wo eine männlich dominierte Nutzung festgestellt wurde). Außerdem wurde ein komplexer Zusammenhang zwischen der Landeskultur und der Nutzung von Selfies festgestellt. (Vgl. Souza, 2015)
Wie in Abbildung 8 zu sehen wurden bei der Studie nicht nur Selfies berücksichtigt,
die als solche eindeutig bezeichnet wurden, sondern auch Abwandlungen des Wortes,
oder gänzlich andere hashtags, die aber als Variationen eines Selfies interpretiert werden können. Die Studie zeigte, dass viele Bilder mit dem tag „selfie“ bezeichnet wurden,
aber Haustiere, Hintern, Füße oder persönliche Gegenstände auf dem Foto zu sehen
waren und nicht wie man vermuten sollte, ein Gesicht zeigten. Dass es vielerlei Arten
von Selfies gibt und diese ganz bestimmte Bezeichnungen haben, werde ich im Kapitel
5.1. Belife, Duckface und Sellotape erläutern.
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Abb.8 Screenshot von „Dawn of the Selfie Era: The Whos, Wheres, and Hows of Selfies on Instagram“
Bisher gab es noch kaum Studien, die sich in quantitativer Weise mit dem Phänomen
Selfie beschäftigt haben, da Artikel über das Phänomen Selfie oft auf Basis einiger weniger Interviews geschrieben werden. Zwar haben die sehr aufwändigen Studien bis jetzt
nicht so viele neue Aspekte aufgezeigt als man sie auch vorher bei qualitativen Ansätzen
vermuten hätten lassen, doch für die weitere Untersuchung der visuellen Nutzung von
Bildern sind diese Studien unerlässlich.
28
5. Selfies als neues Kommunikationsmittel
Bei Selfie Posen gibt es den Trend zur normierten Individualität. Mit der Nachahmung
von bestimmten anerkannten Posen, wird man mehr digitale Anerkennung, Likes und
Kommentare bekommen. Beobachtet man Jugendliche (oder auch jung gebliebene
Erwachsene) beim Selfie machen, fällt auf, dass ganz bestimmte Posen immer wieder
eingenommen werden, oft werden stark überzeichnete, verzerrte und exaltierte Gesichtsausdrücke verwendet. Auch wenn dies oft mit Kopfschütteln und Unverständnis
kommentiert wird, ist mehr hinter diesen Posen als Oberflächlichkeit, oder gar mangelnde soziale Kompetenz, weil Selfies meist in eine kommunikative Situation eingebunden
werden. Durch die Möglichkeit Bilder im Jetzt zu machen und auch genau so schnell
versenden und teilen zu können, sind diese zu einem Mittel der Kommunikation geworden. Mit Hilfe von Bildern kann man live mitteilen, an welchen Ort man ist, wie es einem
geht, was man erlebt und oft ist diese Form der Kommunikation schneller, witziger und
dramatischer als mit Worten. (Vgl. Ullrich, 2015, 33)
Damit die Bildsprache möglichst gut verstanden wird, muss sie übertrieben, unmissverständlich und prägnant sein sowie schnell wirken, um das virtuelle Gegenüber zu einer
Reaktion herauszufordern.
5.1. Belfie, Duckface und Sellotape
Im Folgenden möchte ich einige der beliebtesten Selfie Varianten kurz erklären, um
einen Überblick der beliebtesten Posen und Selfie Formen zu verschaffen.
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Belfie: speziell vom eigenen Gesäß, (englisch „butt“)
Bifie: im Bikini
Drelfie: im betrunkenen Zustand (englisch „drunk“)
Dronie: mit einer Drohne aufgenommenes Selbstporträt
Footsie: Fokussierung auf die Füße (englisch „foot“)
Helfie: Betonung auf die Haare (englisch „hair“)
Nudie: ohne Kleidung (englisch „nude“)
Pelfie: mit flauschigen Haustieren (englisch „pets“)
Relfies: mit kitschiger Kulisse, Kussmund (englisch „relationship“)
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Shelfie: im Wohnbereich mit Bücher, Accessoires auf Tischen oder Regalen
Suglie: mit besonders hässlicher Ausstrahlung (englisch „ugly“)
Usie: gemeinsam mit einer Gruppe (englisch „us“)
Welfie: beim sportlichen Work-out
(Vgl. Wikipedia, 2016)
Die Liste könnte noch beliebig weitergeführt werden, äußerst beliebt sind nämlich auch
Selfies mit Bären „beer selfies“, „Shower-Selfies“ oder „NoMakeUpSelfies“ das Frauen
ungeschminkt zeigt und bei vielen Prominenten die Runde machte. Unter dem gleichnamigen hashtag wurde 2014 für einen guten Zweck gesammelt, die Brustkrebsforschung,
für die innerhalb von 48 Stunden 2 Millionen Pfund gesammelt werden konnte. (Vgl.
Kiss, 2014) Andere Formen wie „HealthySelfie“, das gerne bei der Yogastunde oder einem Grünen Smoothie Drink aufgenommen wird und den gesunden Lebensstil der Abgebildeten betonen soll, „Bedstagram“ sogenannte Bettselfies, die, wie der Name schon
sagt, am besten auf Instagram gepostet werden sollen und auch „AfterSexSelfie“, das
wohl selbsterklärend ist. (Vgl. Helbing, 2014)
Abb. 9 Screenhot Megan Fox, Instagram, Abb.10 Screenshot Kim Kardashian, Instagram, Abb. 11. Screenshot zendaya Instagram,
Abb. 12 Sellotape Screenshot facebook
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• Duckface (Abb.9) : Eine Pose, die Enten huldigt. Die Lippen werden zu einem Entenmund geformt, die Wangen eingesaugt und die Augen weit aufgerissen.
• Fishgape (Abb.10): Fischemünder werden imitiert.
• T-Rex Hand (Abb.11) Die bisher größte Tiergattung wird hier in einer Pose einer bestimmten Handhaltung imitiert. Eine Anspielung auf den Tyrannosaurus Rex, eine
Hand wird gleich einer Klaue eines T-Tex leicht aufgespreizt und beiläufig am Kinn,
Wange oder Körper angelegt.
• Zwischen all den „schönen“ Posen setzten sich aber auch irritierende Formen wie
das Sellotape-Selfie (Abb.12) durch, besonders im Jahr 2014 war dieser „Trend“ äußerst beliebt und forderte regelrechte Contests. Bei dieser Variante wird der Kopf
mit Klebeband eingewickelt, je entstellter dabei Nase, Mund und Wangen werden,
desto besser.
Das Sellotape Selfie wurde bereits in einer Kunstaktion von Douglas Gordon von 2002
vorweggenommen, das der schottische Künstler „Monster Reborn“ nannte. In seiner
Arbeit, einem doppelten Selbstportät ist er auf der rechten Seite „normal“ zu sehen, auf
der linken Seite mit entstelltem Gesicht, das mit Klebebandstreifen verzerrt wurde. (Vgl.
Elliott, 2015, 255) Wie oft in der Kunst dauerte es sehr lange, in diesem Fall 12 Jahre, bis
bestimmte Trends und Posen für kurze Zeit massentauglich wurden.
5.2. Verschiebung von einer sprachlichen zu einer visuellen Kultur
Schon Walter Benjamin formulierte 1936, also noch weit vorab der Erfindung der Selfies, seine Überlegungen zum Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit folgendermassen:
„[...] Da das Auge schneller erfaßt, als die Hand zeichnet, so wurde der Prozeß
bildlicher Reproduktion so ungeheuer beschleunigt, daß er mit dem Sprechen
Schritt halten konnte.“ (Benjamin, 1936, 12)
31
Jugendliche benachrichtigen ihre Freunde nicht mehr mittels Textnachrichten wo sie gerade sind und was sie machen, sondern verschicken ein Selfie, oder ein anderes Bild,
auf dem zu erkennen ist wo sie gerade sind, was sie machen und wie es ihnen geht. Oft
bekommen sie nur in Form von Emojis Rückmeldung zu ihrer Statusmeldung. Text und
Worte sind für eine Kommunikation nicht mehr unbedingt notwendig. Doch auch außerhalb der Jugendkultur werden Bilder als Informationsträger immer wichtiger, weil wir
es mittlerweile gewohnt sind, dass jedes aktuelle Ereignis bebildert und innerhalb kürzester Zeit medial verbreitet wird. So informieren wir uns über wichtige Weltgeschehen
oder auch Banalitäten in Form von Bildern.
Dass es eine generelle Verschiebung zu einer visuellen Kultur gibt, meint auch Thomas
Macho, Kulturwissenschaftler und Philosoph aus Österreich.
“Dass Visualität so wichtig geworden ist, heißt aber, auch dass ganz bestimmte
Erwartungen, Hoffnungen, Wünsche an die Zukunft, Visionen und so weiter bishin zu Sterblichkeitsutopien an Bilder deligiert werden. Wir sind sozusagen alle
Selfperfomer geworden, weil man das Gefühl hat sonst in dieser Welt der visuellen Konkurrenzen gar nicht mehr bestehen zu können.” (Macho, 2015)
André Gunthert, Leiter des Lhivics (Labors zur zeitgenössischen Forschung zur Geschichte der visuellen Medien) an der EHESS (École des Hautes Études en Sciences Sociales) in
Paris meint:
“Das Selfie ist ein Bild, das sich in eine Konversation einbringt. Es wird verschickt,
es wird in soziale Netze hochgeladen und wird dann Objekt einer Diskussion, einer Konversation. Und es ist natürlich interessanter und unterhaltsamer, wenn
das Bild komisch ist und die Freunde darauf reagieren können und sich über einen
lustig machen können. “ (Gunthert, 2015)
Zusammenfassend kann man sagen, dass ein Selfie in sozialen Medien immer Teil einer
Kommunikation ist. Denn selbst wenn ein Selfie nur in Form von „Likes“ kommentiert
wird, ist dies auch eine Nonverbale Kommunikation in Form eines Feedbacks. Ein „Like“
kann auf vielerlei Arten gesehen werden, ist aber immer positiv konnotiert.
32
Seit kurzer Zeit ist es auf Facebook möglich, ein Bild nicht nur zu „liken“, sondern zwischen passenden Emoticons auszuwählen, die nicht nur einen Zuspruch eines Bildes
ermöglichen, sondern in dieser Form auch Gemütszustände, wie erstaunt sein, wütend,
traurig, usw. ermöglichen. Emoticons haben als Kommunikationstools ganz eigene Formen angenommen, die eng mit Selfies zusammenhängen.
5.3. Selfies und Emoticons
Emoticon ist ein Kunstwort, das aus den Wörtern „emotion“ und „icon“ entstanden ist.
Es sind also Zeichen des Ausdrucks von Gefühlen. (Vgl. Niedermeier, 2001) Schon das
erste Smiley, das eigentlich schon 1963 erfunden wurde, gehört dazu. Aber erst mit der
Entwicklung des Internets fanden Emoticons ihre Verbreitung. In den Anfängen wurden
sie mittels Tastaturzeichen gemacht, mittlerweile finden sie mit eigenen kleinen Programmen am Smartphone, Computer oder Tablet in grafischer Form Verwendung. Man
kann sie gut mit anderen Formen der Bildlichkeit vergleichen, die auch in allen sozialen
Medien, SMS, Whatsappnachrichten, Snapchats und so weiter vertreten sind.
Abb.10 Screenshot des Intagram Accounts von teklaangelina
Gefühle, Emotionen und Empfindungen werden durch Emojis kodifiziert und über Sta-
33
tusmeldungen übermittelt. Überzeichnete, plakative Selfie-Posen sollen bestimmte Gefühlslagen ausdrücken und werden in dieser Form von den Rezipienten in ihrer Bedeutung sofort erkannt. Besonders bei Instagram tauchen viele „Selfie-Tableaus“ auf, wo
Akteure in verschiedenen Posen mit dem jeweils dazugehörigen Emoticon zu sehen sind.
Es gibt einen unausgesprochenen Wettbewerb wer die Posen am Besten zum Ausdruck
bringt. (Vgl. Ullrich, 2015, 34) Auffallend ist hier, dass Emoticons weitgehend kulturübergreifend funktionieren zu scheinen. Interessant sind auch Beobachtungen, wie Selfies
in ihrer Ähnlichkeit zu Emojis die Körpersprache und Mimik der Menschen verändert. Je
öfter man bestimmte Selfie-Posen einnimmt und je mehr man mit Selfies von Freunden
oder auch Unbekannten konfrontiert ist, desto deutlicher prägen sich ganz bestimmte
Gesten, Kopfhaltungen und Grimassen aus. (Vgl. Ullrich, 2015, 35) So wie schon Kleinkinder die Mimik ihrer Eltern nachzuahmen versuchen, haben wir auch später die Tendenz
dazu, als hoch mimetische Wesen mit stets aktiven Spiegelneuronen die stärksten und
suggestivsten Ausdrucksformen von anderen zu übernehmen. Ein exemplarisches Beispiel für kodifizierte Posen bietet das Video des US Präsidenten Obama mit dem Titel
„Things everybody does but doesn´t talk about“ von 2015 (Abb.11), wo er vermeintlich
unbeobachtet vor dem Spiegel steht und sich auf eine Rede vorbereitet, dabei aber immer wieder typische Posen von Emoticons oder Selfies einnimmt.
Es ist derzeit eine Tendenz zu erkennen, die vermuten lässt, dass unser künftiger medialer Austausch mehr in Form von Bildern, vermutlich in bewegten Bildern, stattfinden
wird. Vielleicht sieht man in einigen Jahren Selfies als eine frühe Form von Kommunikationsmittel, wo Menschen ihre Gesichter und Körper semantisch konditioniert haben.
(Vgl. Ullrich, 2015,41) Das Sprichwort„ Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ bekommt
im Zeitalter der Bildergläubigkeit eine weitere Bedeutung als bisher. Wir leben tagtäglich mit einer riesigen Menge an Bildern, die uns darüber informieren, was in der Welt
passiert. Hinzu kommt ein neues gewaltiges Mitteilungsbedürfnis mittels Selfies, in denen nicht mehr nur ausgewählte, besondere Momente dokumentiert werden, sondern
auch gewöhnliche, tagtägliche Ereignisse. Der Medienwissenschaftler Jens Ruchatz bezeichnet Selfies als „Gesprächsbilder“, die eine visuelle Kommunikation von bisher unbekannter Intensität und Direktheit darstellen. Sie versprechen im Vergleich zu anderen
Massenmedien mehr Nähe, Echtheit und persönliche Ansprache. (Vgl. Halter, 2015,3)
34
Abb.11 Scan von „Things everybody does but doesn´t talk about“, 2015 (aus: Ich bin hier! Vom Rembrandt zum Selfie)
5.4. Soziale Netzwerke
Erste Soziale Netzwerke waren Friendster und MySpace die in den Jahren 2002 und 2003
entstanden. In diese Zeit fällt auch das Bild des australischen Studenten, der sein Foto in
einen Chatroom eines australischen Fernsehsenders gepostet hat.
Facebook entstand 2004, Twitter und Tumblr zwei Jahre später, Instagram folgte 2010
und Snapchat kam 2011 auf den Markt.
Im Jahr 2007/2008 wurden Smartphones eingeführt und damit stiegen die Nutzerzahlen
der sozialen Netzwerke innerhalb kürzester Zeit enorm an. Im Jahr 2015 erreicht facebook eine weltweite Nutzung von 1,5 Milliarden Menschen, 2010 lag die Zahl noch bei
600 Millionen. Die Nutzung von Twitter ist von 30 Millionen im Jahr 2010 auf 300 Millionen im Jahr 2015 gestiegen. (Statistica, 2016)
Die Einführung des Smartphones mit der gleichzeitigen Option seine Bilder auf sozialen
Plattformen zu veröffentlichen steht auch in direktem Zusammenhang mit dem Aufstieg
35
des Selfies. Besonders Instagram und die Möglichkeit Fotos mit Filter zu bearbeiten und
hashtags zu versehen, definierte das digitale Erscheinungsbild einer ganzen Jugendgeneration maßgeblich. Die „Generation Instagram“ war geboren und Selfies wurden zu
einem globalen Phänomen.
Inzwischen hat Instagram Twitter überholt und wird immer beliebter, wenn es darum
geht Inhalte zu bloggen. Die ständigen technischen Erweiterungen, die es ermöglichen
auf Instagram nicht nur Fotos zu posten, sondern auch Videos zu teilen, machen diese
Plattform für viele Userinnen und User interessant. Auch in dieser Entwicklung erkennt
man den Übergang von textbasierten Inhalten zu einer bildhaften Sprache.
Aufgrund der Präsentationslogik vieler Social Media Angebote liegt der Fokus des Selfies auf seiner Bedeutung für den Moment. Bei Facebook gibt es kontinuierliche Aktualisierungen in der Timeline, wo man sogar an „Jahrestage“ oder „schönste Highlights
des Jahres“ oder seit wie vielen Jahren man mit welcher Person befreundet ist, erinnert
wird. Facebook generiert aus den Fotoalben eine zusammengestellte Fotoshow, die bei
Gefallen auch veröffentlicht werden kann.
Besonders bei Snapchat, einer App für das Smartphone, wird der Moment des Fotos gelebt. Bilder die man verschickt, sind nur einige Sekunden sichtbar, bevor sie automatisch
gelöscht werden. Dass durch diese Entwicklung viele Jugendliche etwas zu wagemutig in
ihrer Bildauswahl wurden, ist eine Folge der trügerischen Sicherheit in die App. Screenshots oder erweiterte Einstellungen, wo Bilder auch bei Snapchat gespeichert werden
konnten, wurden so vielen Jugendlichen zum Verhängnis. Die Folge waren unfreiwillige
Veröffentlichungen von Nacktbildern, die nur für eine bestimmte Person gedacht waren.
Doch auch neben der Funktion des Bilderaustauschs wird Snapchat als Kommunikationstool bei Jugendlichen immer wichtiger. Die unzähligen Möglichkeiten von Filtern und
unterhaltsamen Spielchen wie Gesichtertausch, Smileys auf Köpfe setzen, einen animierten Regenbogen auf herausgestreckte Zungen setzen oder Gesichter zu Gruselfiguren zu
formen liefern unendliche Möglichkeiten für Selbstinszenierungen.
Die Entwicklung und technische Erweiterung von sozialen Medien ändert sich laufend.
Von engebetteten Videos, die von selber abspielen, während man durch die Inhalte
scrollt bis zu neuen Applikationen für Videodirektübertragungen wie Periscope, werden
auch für bisher klassische Medienformate der „mobile Journalismus“ immer wichtiger.
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Nachrichten werden nicht mehr in Zeitungen gelesen, sondern Inhalte aller Art werden
am Smartphone betrachtet. In der University of Southern California’s Annenberg School
of Communication and Journalism gibt es sogar eine eigene Klasse, die Studentinnen
und Studenten lehrt wie man Videos für soziale Medien produziert. (Vgl. Lichterman,
2015)
5.5. Funktion des Hashtags
• Definition von „hashtag“ im deutschen Duden:
„mit einem vorangestellten Rautezeichen markiertes Schlüssel- oder Schlagwort in einem [elektronischen] Text“ (Duden, 2016)
• Definition im Oxford Dictionary:
„(On social media sites such as Twitter) a word or phrase preceded by a hash
or pound sign (#) and used to identify messages on a specific topic“
(Oxford Dictionary, 2016)
Die Verwendung von Hashtags soll Usern ermöglichen zu einer bestimmten Community
dazuzugehören oder eine Möglichkeit ihren Bildern eine Art „Omnipräsenz“ zu geben,
da sie mit beliebten Begriffen mehr Aufmerksamkeit erhalten. In Grunde genommen
ist es aber vielmehr so, dass einzelne Instagram User auf bereits bestehende Begriffe
zurückgreifen.
„Das Hashtag-Verfahren bringt uns dazu, Elemente auf Bildern zu sezieren und
zu objektivieren, und es ermutigt uns, Bilder und womöglich auch uns selbst zu
fragmentieren.“ (Wendt, 2015, 86)
In erster Linie soll ein Hashtag dazu dienen eine größere Verbreitung des Bildes zu erreichen und damit mehr likes zu erhalten. Die Verwendung von ganz bestimmten Worten
verfestigen eine Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Wie in meiner Einleitung beschrieben
gibt es auch bei verschiedenen Ausstellungen „Vorgaben“ für Hashtags. Bei der Ausstellung von Olafur Eliasson war dies: #OlafurBaroque.
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Wer teil der „Community“ sein will, verwendet den Hashtag, wer lieber abseits und „individuell“ bleiben will, erfindet selber Begriffe oder schließt sich anderen Gruppen an.
Im Prinzip funktionieren Hashtags aber nicht anders als Bilder. So wie es auch bei Selfies den Trend dazu gibt, die immer gleichen Posen wieder zu verwenden, werden auch
bestimmte Begriffe immer wieder aufgenommen, weil sie als „erfolgreich“ gelten und
von anderen leichter akzeptiert werden als Begriffe, die bisher nur selten oder gar nicht
verwendet wurden. Der Trend zur Anpassung ist auch hier zu erkennen. Was man nicht
vergessen darf, ist, dass Hashtags von Computern „gelesen“ werden und Begriffe, die
nur von wenigen Menschen verwendet werden als weniger erfolgreich gewertet werden, oder gar als Misserfolg gesehen werden. (Vgl. Turner, 2012, 84)
Der Hashtag „Selfie“ ist derzeit nicht mehr unter den Top 100 von Instagram, die 10
Beliebtesten sind derzeit: fashion, like4like, friends, smile, instamood, amazing, family,
follow4follow, style, nofilter (Vgl. tophashtags, 2016).
Durch die Verwendung von Hashtags kann Sprache immer mehr mit Bildern mithalten,
obwohl wir tagtäglich mit mehr Bildern als mit Worten konfrontiert werden. (Vgl. Wendt,
2015, 94)
Es gibt aber auch viele Beispiele dafür, dass Hashtags auf den ersten Blick harmlose Selfies in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen können. Eines davon ist ein Selfie
von einem Teenager Namens John Quirke, der 2013 zu kurzer Berühmtheit kam, weil
er sich selber in der ehemaligen Gaskammer im Konzentrationslager Auschwitz fotografierte und sein Bild mit den Worten: „Selfie from the gas chamber in Auschwitz. #selfie #respect“ betitelte. Der Jugendliche ist auf dem Foto mit weit aufgerissenen Augen,
offenem Mund und von unten fotografiert zu sehen. Das Bild wäre ohne dem Kontext
von Ausschwitz völlig harmlos, doch das Selfie in Verbindung mit den Hashtags ergab
einen regelrechten „Shitstorm“ über den jungen Amerikaner. Mittlerweile gibt es eine
eigene Webseite mit dem Titel: „Selfies at Serious Places“, wo man Gesichter vor brennenden Häusern, Selbstmordversuchen von Menschen im Hintergrund, Beerdigungen
oder Kriegsdenkmälern betrachten kann. Nach der digitalen Steinigung zeigen sich viele
von den meist jugendlichen Fotografinnen und Fotografen bestürzt und einsichtig und
sehen ein, dass es wohl nicht die beste Idee war, ein Selfie an diesen Orten zu machen.
Doch warum regen diese Bilder so auf? Vielleicht, weil man das Gefühl hat, dass diese
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Menschen nichts als sich selber wahrnehmen und selbst in gefährlichen oder pietätlosen Situationen nur eines im Sinn haben: Sich selbst in den Mittelpunkt des Geschehens
zu stellen. Manche Betroffene sind mit Todesdrohungen konfrontiert worden, so wie
die junge Polin Breanna, die sich grinsend in Auschwitz fotografierte und damit einen
Shitstorm auslöste. Diese Bilder brachten eine Diskussion in Gange, wie man mit diesem
Phänomen umgehen solle. Es wurde darüber nachgedacht ein Selfieverbot in ehemaligen Konzetrationslagern zu verhängen, was man aber schlussendlich nicht als sinnvoll
erachtete. Der Vize-Exekutivpräsident ders Internationalen Auschwitz-Komitee meint
dazu:
„Der permanente Blick auf sich selbst durch das eigene Handy verstellt den Blick
auf die Gesichter und die Geschichten der anderen Menschen - das ist gerade
in Auschwitz eine traurige Beobachtung. Alles - auch der entsetzlichste Ort - ist
nur noch Hintergrund für das eigene Posieren. Das sind ziemlich armselige Zukunftsaussichten.“ (Heubner, 2014)
5.6. Smartphone als Mittel zur Selbstkontrolle
Bevor ich zu der Bedeutung der technischen Entwicklung des Smartphones und der damit verbundenen Möglichkeit komme Selfies zu machen und sofort teilen zu können,
möchte ich auf den Einfluss des Smartphones auf unser alltägliches Leben eingehen.
Gilles Deleuze hat zwischen dem Typus der Disziplinargesellschaft und der Kontrollgesellschaft unterschieden. Während in der Disziplinargesellschaft Menschen durch
Fremdsteuerung beherrscht werden, funktioniert die Kontrollgesellschaft durch Selbststeuerung. Der Mensch soll selbst das Gefühl bekommen, selbst zu wollen, was andere
von ihm verlangen. Das Smartphone funktioniert in diesem System als Instrument der
Selbststeuerung und Selbstkontrolle. Wir nützen die Allroundfunktion des Smartphones,
das unser Wecker ist, wir telefonieren, mails abrufen, im Internet surfen, Zeitung lesen,
unsere nächste Reise buchen oder uns zu unserem nächsten Ziel navigieren lassen. Es
ist für uns ein universales Steuerungsinstrument geworden. Das Smartphone hat auch
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meist den Fotoapparat oder die Videokamera abgelöst, es ist uns möglich, immer und
überall Bilder zu machen und sofort ins Internet zu stellen. Gleichzeitig willigen wir durch
die Nutzung von unzähligen Apps dazu ein, dass Unternehmen unsere Adressbücher
durchforsten können und unsere Daten benutzt, angeeignet und weiterverkauft werden. (Vgl. Heinzlmaier, 2015, 286) Die Nutzung des Smartphones als unser erweitertes
Selbst hat dazu geführt, dass wir uns nackt fühlen, wenn wir es nicht finden oder Phantomwahrnehmungen von Vibrationen oder Tönen wahrnehmen, weil es zu einem angenehmen Begleiter geworden ist und wir süchtig geworden sind, ständig unsere mails,
sms oder whatsapp Nachrichten zu checken. Unsere Offline Identitäten verschwimmen
mit dem Image unserer Online Identitäten, die uns und unsere Lebensweise transparent
machen.
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6. Technische Entwicklungen
Neben technischen Entwicklungen der Fotografie mit dem Schnappschuss, Fotoautomaten und Polaroid-Kamera war die Entwicklung des Smartphones maßgeblich für den
großen Erfolg von Selfies.
6.1. Selfie und Smartphone
IBM wollte 1992 ein Mobiltelefon entwickeln, das mehr kann als Telefonieren. Mit dem
IBM Simon konnten erstmals E-Mails und Faxe versendet werden und es war das erste
Gerät mit einem Touchscreen. Bereits 1999 gab es das erste Handy mit eingebauter
Kamera, Toshiba Camesse, das in Japan zum Kulthandy wurde. Nach und nach kamen
immer mehr Hersteller auf die Idee Kameras in ihr Smartphone zu integrieren. Erst 2007
wurde das iPhone aufgrund seines eigens entwickelten Betriebssystems zum Verkaufsschlager und trieb die Konkurrenz an, ähnliche Smartphones zu entwickeln. (Vgl. Steiles,
2012)
Derzeit übernehmen Smartphones immer mehr Funktionen von Computern. Wir können fotografieren und die Fotos direkt am Handy bearbeiten, sie weiterschicken oder
in soziale Netzwerke hochladen. Derzeit ist ein Smartphone eine Mischung aus Tablet
und Laptop und wird immer mehr in die Richtung erweitert mit Technik ausgestattet
zu werden, die bis jetzt nur in Computern eingesetzt wurde. Die Tendenz geht derzeit
zu Virtual Reality Brillen. Das Smartphone, immer dabei und so verwendet als wäre es
ein zusätzlicher Körperteil von uns, ist zu einem unerlässlichen Alltagsgerät für viele geworden. Schnell etwas im Internet nachschlagen, Öffnungszeiten abrufen, sich den Weg
von A nach B ansagen lassen oder Konzertkarten, Flugtickets oder Fahrkarten am Handy
speichern, es ist zu einem Allroundgerät geworden. Jederzeit bereit, nicht zu groß, passt
in (fast) jede Hosentasche und ist für viele von uns überlebenswichtig, zumindest haben
wir das Gefühl, dass es das sei. Die technische Entwicklung des Smartphones steht in
direktem Zusammenhang zum großen Erfolg von Selfies, denn ohne die Möglichkeit,
Aufnahmen sofort teilen zu können, wäre dieses Phänomen nie so verbreitet worden.
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6.2. Selfie Stick
Während Selfies anfangs von der Armlänge bestimmt wurden, wünschte sich so manche
oder mancher bald einen längeren Arm. 2001 erfand der Kanadier Wayne Fromm eine
verlängerte Halterung für ein Smartphone und einen Fernauslöser. 2005 lies er die Erfindung patentieren. Wirklich populär wurde der Selfie Stick aber erst 2014. (Vgl. Schipper,
2015) Mit Facebook, Twitter und YouTube breitete sich der Selfie Stick über Südostasien
und darüber hinaus wie ein Lauffeuer aus. In Südkorea nahm die Verwendung des Sticks
so große Ausmaße an, dass die Regierung diesen in Kombination mit Bluetooth Technologie registrierpflichtig machte. Wird man mit einem nicht registrierten Selfie Stick
erwischt, riskiert man eine hohe Geldstrafe und bis zu drei Jahren Haft. Mittlerweile
werden hunderttausende Armverlängerungen in den USA verkauft. In Touristenorten,
wo früher Strandtücher, Schmuck oder Sonnenhüte verkauft wurden, sind auch massenhaft Selfiesticks in das Repertoire eingezogen. Der Selfie Stick kann aber auch als Versuch
interpretiert werden seine eigene Fremd- und Selbstwahrnehmung gleichzuschalten, da
ein Selfie mit dem eingeschränkten Radius durch die Armlänge immer in einem Nahbereich von Scham und Befangenheit möglich ist. Nach Ansicht von Roman Bucheli könnte
uns durch den Selfie Stick die „Rückeroberung des Ichs“ gelingen, weil wir durch den
nötigen Abstand autonom werden und den Außenstehenden nicht mehr brauchen um
das Selbstbild über das Fremdbild zu vervollständigen. Die Länge des Selfie-Sticks signalisiert die Ausweitung der Ich-Zone und mit „dem kleinen Zauberstab“ gewinnt das Ich
die Kontrolle über das Selbstbild zurück. (Vgl. Bucheli, 2015) Der Selfie Stick befreit uns
von perspektivischen Verzerrungen, zu engen Bildausschnitten und körperlichen Verrenkungen und macht es uns möglich, unsere Selbstwahrnehmung außerhalb menschlicher
Reichweite zu setzen. Die nächste Stufe, die in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben zu einigen Problemen führen wird, aber den Blick auf uns selbst in noch größeren
Dimensionen möglich macht ist der Übergang vom Selfie Stick zu Drohnen. Darauf gehe
ich im nächsten Kapitel näher ein.
Für Museen wurde dieser Trend zu einem zwiespältigen Dilemma. Einerseits sind Selfies
vor Kunstwerken in manchen Museen sogar erwünscht, weil mit der Veröffentlichung
dieser Kunst einer breiteren Masse zugänglich gemacht wird, andererseits ist die Gefahr,
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die mit einer unvorsichtigen Handhabung mit Selfie Sticks einhergeht, erheblich. Besonders Selfies von Popstars oder anderen Celebritys vor Kunstwerken bringen dem Museum eine so große Medienaufmerksamkeit, die alle Zweifel vergessen lässt. Manche
Kunstwerke wurden zu idealen Selfie Hintergründen erkoren. Das Whitney Museum of
Amerian Art lies bei seiner letzten Jeff Koons Ausstellung sogar Karten drucken mit dem
Wortlaut: „Koons Is Great for Selfies!“ (Vgl. Grimes, 2015) und forderte die Besucherinnen und Besucher auf Instagram dazu auf ,Selfies zu machen und zu teilen: „We want
to see YOU in Jeff Koons: A Retrospective! Share your photos with the hashtags #Koons
#ArtSelfie, and we‘ll regram our favs every week. Don‘t forget to tag @whitneymuseum.“
Die Verwendung von Selfie Sticks brachte einige Probleme mit sich, in vielen Museen
werden sie als sperrige und scharfkantige Gegenstände gewertet und damit verboten.
Immer mehr Menschen gerieten in Gefahr sich zu sehr auf ihr Abbild zu konzentrieren
und echte Gefahren nicht mehr wirklich wahr zu nehmen. In Touristenmagneten wie
dem Louvre in Paris und dem MOMA in New York hat man Selfiesticks bereits verboten.
6.3. Vom Selfie zum Velfie, von der Webcam zur Drohne
Während vor ein paar Jahren Video-Selfies, kurz Velfies, noch mit Webcams von Computern aufgenommen wurden und ihre Anfänge in Plattformen wie Chatroulette fanden, entwickelte sich besonders durch neue iPhone Modelle mit einer hochauflösenden
Kamera auf der Frontseite in eine ortsungebundene Richtung. Ein Problem blieb der
eingeschränkte Handlungsraum, der zuerst durch Selfie Sticks erweitert wurde und nun
Richtung Drohnen geht, die man nicht mehr selber aktiv steuern muss.
Drohnen wie „Lily Camera“ oder „Air Dog“ sind wasserdichte ultraleichte fliegende Kameras, die nur eines im Sinn haben, nämlich um ihre Besitzerin oder ihren Besitzer zu
kreisen und dieser oder diesem zu folgen. Technisch funktioniert das mit einem GPS
Sender, der sobald er sich bewegt von der Drohne verfolgt wird. Die fliegenden Kameras
sind so programmiert, dass sie sich um einen selber drehen und sind vor allem auf Bewegung und Action ausgerichtet. Man wirft sie in die Luft, vier Propeller fangen zu rotieren an und die Drohne stabilisiert sich selbst. Im Gegensatz zu ferngesteuerten Drohnen
können diese keine Hindernisse erkennen, insofern müssen sich die zu Verfolgenden
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eine freie Fläche für ihre Aktionen suchen.
Auf Instagram, twitter, Vimeo und Youtube gibt es mittlerweile eigene Accounts für Drohnenvideos, die „dronie“ oder „dronies“ genannt werden. Ursprünglich wurden Drohnen
für Menschen entwickelt, die Extremsportarten wie Snowboarden, Motorradfahren, Kitesurfen oder ähnliches machen, aber voraussichtlich werden sich nicht nur Sportlerinnen und Sportler selber aus der Vogelperspektive sehen wollen. Jeder Mensch kann Star
seines eigenen Filmes werden und mit einer Drohne werden dafür spektakuläre Bilder
geliefert.
6.4. Vine Videos
Nachdem twitter das Startup Unternehmen „Vine“ im Jahr 2012 kaufte, kam die App
„Vine“ für das Smartphone 2013 auf den Markt, die besonders Jugendliche dazu animierte kurze 6 Sekunden Videos zu erstellen, die automatisch geloopt werden. Nachdem
die Vine App Spitzenreiter in den Downloads wurde, reagierte auch Instagram und führte 2013 ebenfalls eine Videofunktion mit 15 Sekunden ein. Der Trend geht zu „FamousViner“: Meist bisher unbekannte Jugendliche werden innerhalb von wenigen Monaten
zu Berühmtheiten und erreichen Millionen Follower. Sie dürfen sich „Top Viner“ nennen. Inzwischen gibt es eigene Vine Video Wettbewerbe und ganze Compilations können
auf Youtube bewundert werden. Bei manchen Videofestivals gibt es eigene Kategorien
für Vine Videos und immer mehr Marken entdecken den Trend für ihre Werbung. In
Deutschland wird 2014 eine eigene „Vine Acadamy“ gegründet, die Kurse für alle Interessierten anbietet, die Vine für Unternehmen, Marken oder privat nützen möchten.
Die Firma Opel nützte für eine Werbekampagne im Jahr 2015 den Trend zu Vine Videos
und erweiterte die Kampagne „Adam Rocks“ mit einer Kooperation des amerikanischen
„Vine Star“ Zach King, der für Opel 6 kurze Spots erstellte. (Vgl. Baldus, 2015) Der 24jährige Amerikaner wurde durch seine kurzen professionell bearbeiteten Vine-Videos bekannt, in denen er zaubertrickartige Szenen erstellt.
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6.5. Velfie App
Die App funktioniert ähnlich wie umgekehrtes Karaoke, man versucht Tonaufnahmen
von Stars, Schauspieler, Politiker oder sonstige bekannte Zitate zu synchronisieren und
das Video anschließend online zu verbreiten. Besonders Jugendliche liefern sich in dieser Disziplin einen Wettbewerb um die meisten Klicks. Besonders beliebt ist diese App in
Indien. Beliebte und bekannte Bollywoodstars synchronisieren mit großer Begeisterung
Dialoge aus Hindi Filmen oder populären Songs. Für neue Filme werden „dub contests“
ausgerufen, wo Fans ihre Lieblingsdialoge des Films synchronisieren sollen, um ihre
Filmstars treffen zu können.
In vielen indischen Betrieben sind Velfies zum wichtigen Bestandteil der Förderung von
Unternehmenskultur und Kommunikation unter Mitarbeitern geworden. Gibt man beispielsweise auf YouTube den Begriff „Velfie“ ein, erscheinen fast ausschließlich Videos
aus Indien. Eine neue App Namens „frankly.me“ wird derzeit sogar in politischer Funktion eingesetzt, über diese App kann man persönliche Fragen anhand von Video-Selfies
an Politiker stellen. Bei der letzten Landtagswahl in New Delhi wurde die App bereits
sehr aktiv genutzt. (Vgl. Wolf, 2015)
6.6. Dubsmash
In Europa ist diese App, die technisch mit der Velfie App zu vergleichen ist, an vordester
Stelle. Sie wurde von drei Mitte Zwanzig Jährigen Jugendlichen in Deutschland entwickelt. Sie erkannten den Puls der Zeit, ihre App wurde in knapp 200 Ländern verbreitet
und letztes Jahr 75 Millionen mal heruntergeladen. Auf YouTube erreichen vor allem
Teenager-Pärchen, die sich regelrechte Dubsmash Contests liefern, eine fast unglaubliche Anzahl an Klicks mit bis zu 10 Millionen. Aber auch auf kommerzieller Seite ist man
auf den Jugendhype aufgesprungen, es gibt inzwischen viele Wettbewerbe, die im Rahmen von Werbekampagnen oder Gewinnspielen zu Selfie Einreichungen aufrufen. Aber
auch nicht Profit basierende Organisationen versuchen über diese Themen Jugendliche
zu erreichen. EUREGIO (deutsch niederländischer Kommunalverband) rief zum Beispiel
zum Tag der Nachbarsprache zu einem Dubsmash Wettberb auf, wo dazu aufgefordert
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wurde sich mit der jeweils anderen Sprache in Form von Musik auf spielerische Weise
auseinanderzusetzen.
Eine wichtige Frage ist, ob Videos, die online und auf diversen Internet-Plattformen sehr
gut funktionieren, ohne Probleme auf ein anderes Format wie zum Beispiel Kino oder
Fernsehen umgelegt werden können. Oft funktioniert das nur bedingt, was auch an der
Interaktion und Steuerung liegt, besonders jugendliche User wollen interaktiv miteinander kommunizieren, da ein Feedback ein Teil eines Selfies, wie auch eines Velfies ist.
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7. Selfies als popkulturelles Massenphänomen
Seit das Wort Selfie im Jahr 2013 als Wort des Jahres gekürt wurde, erlebte es im Bereich der Massenmedien einen kometenhaften Aufstieg. Im August 2013 produzierte
die britische Tageszeitung The Guardian eine Filmreihe mit dem Titel „Thinkfluencer“
in der in mehreren Episoden das Selfie-Phänomen in Großbritannien erkundet wurde.
Alle wollen es, von Präsident Obama über aufgeregte Teenies beim Konzert ihres Idols
oder Flüchtlinge mit Angela Merkel und unserer Oma mit dem Enkelkind. Das Selfie ist in
unser Wohnzimmer, der Facebook Pinnwand und Profilfoto gekehrt. Es ist mehr als ein
Jugendphänomen, denn auch wenn es viele Menschen gibt, die ein Selfie ablehnen oder
belächeln, früher oder später grinsen wir in das Smartphone und drücken auf den Auslöser, um es anschließend via mail, whatsapp, facebook, Instagram, tumblr oder Snapchat
zu teilen und unser Ego mit jedem „like“ und positiven Kommentar zu streicheln.
Bei der Oscarverleihung 2014 wurde ein Selfie von der Schauspielerin Ellen DeGeneres,
das sie unter anderem mit Jennifer Lawrence, Meryl Streep, Julia Roberts, Channing
Tatum, Angelina Jolie, Bradley Cooper, Brad Pitt, Kevin Spacey, Jared Leto und Lupita
Nyong’o zeigte, zum bisher am häufigsten retweeteten Foto aller Zeiten. Das Oskar Foto
war innerhalb kurzer Zeit Nummer eins bei Twitter und hat damit ein Foto von Barack
Obama verdrängt, das er nach seiner Wiederwahl als Präsident im Jahr 2012 getweetet
hatte. Das Selfie der Hollywood Stars wirkt spontan, lustig und soll gute Laune vermitteln, alle Stars wirken in diesem Moment, so wie Millionen andere Menschen, die ein
grinsendes Gruppenselfie machen. Es darf bezweifelt werden, dass diese Aktion zufällig
entstand. Samsung hat 20 Mio Dollar in das Sponsoring gesteckt und hatte mit dieser
Aktion die Aufmerksamkeit von Millionen Fernsehzuschauern in der ganzen Welt gewonnen.
Justin Bieber gilt mit 23 Mio. Followern in Instagram als Gallionsfigur der Selfiebewegung. Mittlerweile ist er sogar Teilinhaber einer eigenen App, die sich ausschließlich um
Selbstfotografie dreht. „Shots“ macht nicht mehr, als Selfies zu verschicken und trotzdem war die Investition in die App gut angelegt , denn erst mit dem Einstieg des Teenie
Idols wurde die App erfolgreich. Selfies sind ein wichtiges Geschäft geworden.
Kim Kardashian hat ein Buch mit dem Titel „Selfish“ veröffentlicht, das aus Selfies von
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ihr selbst in typischen Selfie-Posen besteht: Leicht geöffneter Mund, sexy Blick, das Dekolleté ins rechte Licht gebracht und der Po als Blickfang, schmücken diesen Bildband.
Mit ihrem Buch wird nicht nur die globale Expansion der Marke Kardashian dokumentiert, sondern auch die technische Seite der Selfie Kultur. Vom grob verpixeltem Bild bis
zur Auflösung in HD sind alle Arten von Selbstporträts vorhanden. Kim Kardashian ist
dafür berühmt geworden, sich selber in Szene zu setzen und hat derzeit 61,5 Millionen
follower auf Instagram [Stand: 24.2.2016], damit überholte sie die Sängerin Beyonce,
die von Platz Nr. 1 mit 61,1 Millionen follower verdrängt wurde.
Selbstvermarktung über Selfies sind für Stars aller Branchen sehr wichtig geworden. Es
ist für sie eine Variante sich selbst zu präsentieren und „angebliche“ Einblicke in ihr Privatleben zu geben. Fans belohnen diese Einblicke mit Klicks, Likes und dem „Folgen“ der
Stars, so hat sich ein digitaler Kreislauf von „Geben und Nehmen“ entwickelt, von dem
vermeintlich beide Seiten profitieren.
Der Schauspieler James Franco hat 2013 ein eigenes Essay mit dem Titel: „meaning of
selfie„ über die Bedeutung von Selfies geschrieben. [Derzeit hat er 5,1 Millionen follower
auf Instagram.] Er beschreibt in seinem Essay seine Beobachtungen, bei welchen Fotos
er viele likes bekam und welche Fotos nicht so gut funktioniert haben. Kunstfotos oder
Bilder von Gedichten kamen bei seinen Fans weniger gut an, während Selfies, vielleicht
noch mit einem kleinen Tierbaby oder mit nacktem Oberkörper mehr Aufmerksamkeit
erregten. Und genau darum geht es - um Aufmerksamkeit und die bedeutet Macht. (Vgl.
Franco, 2013)
„Selfies are tools of communication more than marks of vanity [...] We all have
different reasons for posting them, but, in the end, selfies are avatars: MiniMe’s that we send out to give others a sense of who we are.“ (ebd.)
Ein Selfie von Papst Franziskus erreichte 2013 große Aufmerksamkeit in den sozialen
Medien. Das Foto verbreitete sich rasend schnell im Internet und führte wiederum zu
Diskussionen, ob diese gezeigte „Weltoffenheit“ und dem Bruch zu herkömmlichen Konventionen des Vatikans ein gutes Zeichen wäre oder dies den Untergang des gelobten
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Landes einleiten würde. Auch der Papst nützt das Selfie um seinen Anhängerinnen und
Anhängern zu zeigen, dass er einer von ihnen ist. Das Mittel der Vermarktung bleibt bei
allen gleich, ob Hollywoodschauspielerinnen, Stars und Sternchen, Politikerinnen oder
religiöse Oberhäupter, ein Selfie soll uns sagen: „Schaut her, das bin ich!“
Selbst in diverse Computerspiele hat das Selfie Einzug gehalten. In „Grand Theft Auto
V“ haben die Spielerinnen und Spieler die Möglichkeit, ein Selfie zu machen und sich
vor dem Ort des Gemetzels abzubilden. Interessant ist hier, dass die Spielavatare unser
Verhalten in dem starren, verkrampften Blick, den typisch schmalen Bildausschnitt und
dem nicht sehr vorteilhaften Kamerawinkel imitieren.
7.1. Selfies als neue Autogramme
Prominente werden heutzutage kaum noch um ein Autogramm gebeten. Vorbei sind
die romantischen Zeiten wo Autogramme wie Heiligenreliquien behandelt wurden. Fein
säuberlich ins Sammelalbum geklebt, unter einer Plastikfolie, wurden sie früher vielleicht einigen wenigen vertrauenswürdigen Freunden gezeigt. Autogramme waren ein
Zeugnis mystischer Nähe. Heute gilt ein Selfie als neue Trophäe. Vorbei ist es mit zurückhaltender Diskretion und der ehrfürchtigen, stillen Bewunderung. In dieser Form kann
es praktischwerweise sofort weiterverbreitet und für die weitere Form des digitalen Dialogs freigegeben werden.
Diese Entwicklung unterstützt auch die Theorie, dass wir uns immer mehr in einer Welt
der Bilder bewegen. Besonders gut kommt dieses Phänomen in dem Kurzfilm „Aspirational“ von Matthew Frost für das Modemagazin Vs. Magazine mit Kirsten Dunst auf den
Punkt. Zwei junge Mädchen fahren im Auto, entdecken Kirsten Dunst auf der Straße und
stoppen aufgeregt um ein gemeinsames Selfie mit ihr zu bekommen. Ohne einer Unterhaltung stellen sie sich neben Dunst, posieren für mehrere Selfies und beginnen sofort
das Foto auf ihrem Handy hochzuladen. Die Schauspielerin (die sich im Film selbst spielt)
reagiert freundlich, doch etwas verdutzt und bietet den Jugendlichen ein Gespräch an,
fragt sie, ob sie vielleicht irgendetwas wissen wollen. Ein realer Dialog ist für diese aber
völlig uninteressant, die einzige Frage die sie haben, ist ob die Schauspielerin sie „taggen“ könne. Dunst verfinstert nach dieser Frage ihre Miene, die Mädchen steigen in ihr
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Auto und beginnen sofort aufgeregt zu reden, wie viele Likes sie schon jetzt hätten und
dass sie wahrscheinlich auch Follower bekommen werden, die sie nicht einmal kennen.
Abb.12 Screenshot aus Aspirational, Matthew Frost, 2014
Interessant bei der Entwicklung von Selfies als Autogramme ist, dass es nicht mehr um
die Bewunderung einer bekannten Persönlichkeit geht, sondern nur mehr um die eigene
Selbstdarstellung. Der Star wird im Selfie zur Kulisse. Momente im Hier und Jetzt werden
so inszeniert, wie sie uns in Erinnerung bleiben sollen. Dass die Generation Instagram die
Gegenwart nur als vorweggenommene Erinnerungen erleben meint auch der Psychologe Daniel Kahneman. (Vgl. Halter, 2016)
7.2. Selfies in Musikvideos
2012 wurde bei YouTube das Video „Beauty and a Beat“ veröffentlicht, das vorgab aus
gestohlenem, privatem Videomaterial von Justin Bieber zu sein. Es beginnt mit der
Texteinblendung: „In Oktober of 2012 three hours of personal footage was stolen from
musician Justin Bieber. The following footage was illegally uploaded by an anonymous
blogger.“ Das Video beginnt mit einigen kurzen Szenen aus Biebers Privatleben bevor das
eigentliche Musikvideo beginnt. In Wirklichkeit sollte diese Behauptung die Anzahl der
Klicks auf einen neuen YouTube Rekord bringen. Justin Bieber drehte in diesem Video
großteils selber mit einem Selfiestick, die Kamera wird ihm bei einigen Tanzszenen abge50
nommen, bevor er sie wieder selber führt. Das Video endet mit einer Wasserrutschenszene, bei der sich Justin Bieber wieder selbst filmt bevor er im großen Pool in mitten
einer kreischenden Partymeute endet.
Ein Musikvideo, das im Kontext Selfie immer wieder auftaucht, unzählige Male parodiert
wurde und als „Musikunterlage“ für eigene Selfies oder Velfies verwendet wird, ist der
Song „#Selfie“ von „The Chainsmokers“. Es wurde 2014 veröffentlicht und war trotz
herber Kritiken, dass es sich um einfallslose, hirnlose Musik handelt, sehr erfolgreich.
Inhaltlich ist es interessant, da der Liedtext eine junge Frau in einem Club behandelt,
die in „Stakatotempomonolog“ über Selfie Aufnahmen, Hochladen, ihrem Instagram Account und andere Clubbesucher erzählt, bevor sie ihn mit dem Satz „ But first, let me
take a selfie“ beendet. Parallel zur Videoproduktion gab es das Social Media Konzept
den Aufruf zur Einsendung von Selfies zu machen um sie in das Musikvideo einzubauen.
Mittlerweile gibt es unzählige Parodien zu diesem Video, die alle mit einem „But first, let
me take a Selfie“ beginnen. Auf YouTube gibt es eigene „BestVine“ Compilations, eine
davon heisst: „But First, Let Me Take A #Selfie“ March 2014 || BestVine“, in denen Menschen aller Altersgruppen ihre eigene Interpretation in Form eines 7 Sekunden Videos
umsetzen.
Ein etwas anderes Musikvideo hat der französische Künstler Hierophante im Jahr 2016
veröffentlicht. Mit dem Titel „Cliches“ macht er deutlich, dass die Tendenz in sozialen
Medien besteht gut funktionierende Bilder zu kopieren. So gibt es unzählige Aufnahmen
zu den immer gleichen Kategorien und Hashtags, die eigentlich alle gleich aussehen.
Diverse Sehenswürdigkeiten mit unterschiedlichen, aber gleich posierenden Menschen
davor, tausende Aufnahmen von einem Cafe Latte, Selfies im Aufzug oder Bilder zu „followmeto“, wo eine ausgestreckte Hand nach hinten zur Kamera zu sehen ist und eine
Person (meist weiblich), die ihren Rücken vor unterschiedlichen Urlaubskulissen präsentiert. Das Video erreichte erst große Beachtung als es von Vimeo als Empfehlung des
Tages präsentiert wurde.
„I took advantage of our tendency to be unoriginal on social media to make this
animation. [...]Some people point out to me that some similar videos already
exists so it seems that making a video about clichés is a cliché too…“
(Hierophante, 2016)
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7.3. Politische Selfies
Auch Politiker machen Selfies, und besonders eines, das auf dem Begräbnis von Nelson
Mandela aufgenommen wurde, sorgte für Aufregung. Den Medien kam ein Foto zu, das
zeigte, wie der amerikanische Präsident Barack Obama zusammen mit dem britischen
Premierminister David Cameron und der dänischen Ministerpräsidentin Helle ThorningSchmidt gut gelaunt ein Selfie machten, während Michele Obama mit ernster Miene
daneben sitzt. Die Öffentlichkeit reagierte halb empört, halb belustigt auf dieses Selfie.
Doch inzwischen sind Selfies mit Politikern oder sogar dem Papst nichts Außergewöhnliches mehr.
Im Herbst 2015 verbreiteten sich „Flüchtlingsselfies“ mit Angela Merkel in den sozialen Medien. Als die deutsche Bundeskanzlerin eine Erstaufnahmeeinrichtung in Berlin
besuchte, war in diesem Moment der große Wunsch vieler Geflüchteten, ein Selfie mit
der Kanzlerin zu bekommen. Besonders ein Bild fand große Verbreitung, ein Selfie von
Hasan Alasad und Angela Merkel. Dieses Foto (Abb.13) wurde zu einer Ikone der Zeit
und brachten der Kanzlerin den Namen „Mama Merkel“. Zurückgebliebene Verwandte
fragten nach ob sich wirklich „die Chefin von Deutschland“ persönlich um die Neuangekommenen kümmere und zeigten sich sehr beeindruckt von so viel Volksnähe. Der
Migrationsforscher Wolfgang Kaschuba meint dazu:
„In dieser Zeit nun, ist dieses Bild im Grunde genommen eine gewisse Ikone und
zwar deshalb, weil es einen Flüchtling einmal anders zeigt. Nicht abgerissen,
nicht verschreckt, nicht hinter Gittern oder vor einem Zaun, sondern vor einem
Portal einer aufzunehmenden Einrichtung sondern in der freien Welt mit der
mächtigsten Frau Deutschlands im Arm.“ (Kaschuba, 2015)
Dass Tausende von Flüchtlingen ihr Hab und Gut zurücklassen mussten, aber ein Smartphone bei sich hatten, brachte einige Neider laut zum Schreien. Das digitale Allroundgerät, das oft die einzige Verbindung zu ihren Hinterbliebenen ist und als Dolmetscher und
Informationsbringer dient. Die nächste Steckdose sorgt dafür, ob sie die nächsten Tage
mit Informationen versorgt werden können oder nicht.
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Abb.13. Hasan Alasad und Angela Merkel (Quelle: dpa)
Als Beweis, dass es ihnen gut geht, haben Menschen die geflüchtet sind Selfies gemacht
und ihren Hinterbliebenen, Freunden und Verwandten geschickt. Als Beweis, dass sie
noch hier sind, als Beweis ihrer Existenz.
Nach einem 3/4 Jahr und der politischen Wende von einer Willkommenskultur zu einer
Quotenregelung für Flüchtlinge und einer neuen Abschottungspolitik bekommt das Foto
von Hasan Alasad und Angela Merkel einen anderen Beigeschmack, als es noch vor wenigen Monate hatte. Heute käme ein derartiges Foto mit einer deutschen Bundeskanzlerin wohl nicht mehr so gut in den Medien an. Die Kanzlerin wurde für ihre Selfies mit
Flüchtlingen auch heftig kritisiert, da dies als eine bildliche Einladung für alle syrische
Asylbewerber interpretiert wurde. Die eng zusammengesteckten Köpfe, das gemeinsame Lächeln machten Merkel zu einer Ikone von Barmherzigkeit und Hoffnung, die Bilder
suggerierten Nähe und Vertrauen. (Vgl. Halter, 2016)
Keine Politikerin und kein Politiker, der etwas erreichen will, kommt heutzutage an
diesem Marketing-Instrument vorbei. In einem amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf sind mindestens 20 Minuten für Selfies eingeplant. Steht man für eine bürgernahe Politik, ist es wichtig auf Augenhöhe mit den Smartphones der Wählerinnen und
Wähler zu sein. Auch in der aktuellen Präsidentschaftswahl in Österreich versuchen die
aufgestellten Kandidatinnen und Kandidaten Jungwähler mit Selfies zu locken und sich
auf diese Weise besonders „volksnah“ und jugendlich zu geben.
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Selbst Kämper für den Islamischen Staat, sogenannte „Selfie-Dschihadisten“ können der
heroischen Selbstpräsentation nicht widerstehen. Durch das Veröffentlichen solcher Bilder, die meist brutal und heroisch inszeniert sind, konnten schon einige IS Kämpfer identifiziert und ausgeforscht werden.
Doch um Selfies zu veröffentlichen und diese mit einer Öffentlichkeit und/oder den digitalen Freunden teilen zu können, brauchte es die Möglichkeit des Internets, der technischen Entwicklung des Smartphones der Sozialen Netzwerke. Ohne diese Parameter
hätte es die große Verbreitung des Phänomen Selfies nicht gegeben.
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8. Das digitale Bild und die Gefahr der Entfremdung
Es gibt die Tendenz in scheinbar perfekte digitale Bilder zu flüchten und die wirkliche
Welt, die selten so glatt und perfektioniert ist auszublenden. Es entsteht eine Art Parallelwelt, die nur aus Bildern besteht. Man ist tagtäglich mit einer Masse und einem
Wettbewerb an Bildern konfrontiert und designt sein eigenes virtuelles, bildhaftes Abbild in sozialen Netzwerken. Selfies sind so oft digitale Avatare eines Selbst und tragen
maßgeblich zu einem bestimmten Image bei, das man sich oft wünscht, aber mit der
Realität nichts zu tun haben muss.
Bilder, die veröffentlicht werden, sind alle mit Filtern von Apps bearbeitet, ausgewählt
und geteilt werden nur geschönte und manipulierte Fotos. Die Gefahr ist dabei eine digitale Entfremdung, weil Menschen ihrer eigenen scheinbar perfekten Inszenierung nicht
mehr gerecht werden können. Das Selfie steht als Bild für sich alleine und es gibt nichts
was über dieses Bild hinausweist.
Beschäftigte man sich früher mit Gedanken an den Tod und der Endlichkeit des Menschen noch im Geiste, gibt es in der heutigen Zeit den Trend dazu dies nur mehr Bildhaft
auszudrücken. Menschen passen sich optischen Normierungen und Schönheitsidealen
mit Operationen an und streben nach dem idealen Abbild. Der Trend zu ewiger Jugend
und einem angepassten äußeren Erscheinungsbild hat sich in die Welt der Bilder verlagert. Während in früheren Zeiten Eingriffe in das eigene Abbild nur Adeligen vorenthalten war, haben sich diese in der heutigen Zeit demokratisiert und sind für eine große
Masse zugänglich geworden. (Vgl. Tingler, 2014) Stellt man sich die Frage ob und in welcher Form bei Selfies Authentizität möglich ist, vergleicht der Kulturphilosoph Thomas
Macho Selfies mit Selbstrepräsentationen im Laufe der Kunstgeschichte. Bei Gemälden,
Skulpturen oder in den Anfängen der Fotografie war es mit erheblichem zeitlichem Aufwand verbunden ein Abbild herzustellen. Schon früher wurde intendiert und inszeniert
und daher war eine Selbstpräsentation auch nicht wirklich authentisch. In diese Reihe
fügen sich nach der Meinung des Philosophen aber auch Selfies, die sich in die Geschichte von Bildmedien einfügen. Er sieht Selfies als Verständigung über sich selbst mit Hilfe
von Bildern an einem bestimmten Platz und hält den Vorwurf, dass Selfies inszeniert und
nicht spontan sind, als ungerechtfertigt. Eine andere These ist, wonach sich im Dualis55
mus von Körper und Geist in unserer heutigen Zeit viel mehr ins Körperliche transferiert
wird, weil die Menschen weniger Transzendenz haben. (Vgl. Macho, Tingler 2014)
8.1. Trend zum perfekten Bild
Der Trend zur Normierung und dem Streben nach dem „perfekten“ Bild wird immer mehr
verstärkt. Die unzähligen Möglichkeiten von Filtern und Verschönerung des eigenen Bildes gleich direkt am Smartphone haben auch den Druck nach einem „perfekten Abbild“
verstärkt. Passt die Pose, der Blick, die Frisur, ist der Ausschnitt passend oder sollte das
Bild doch von weiter oben aufgenommen werden? Es gibt unzählige Dinge zu beachten,
wenn man Wert auf ein „perfektes“ Bild legt, was auch immer das genau sein mag. Die
Möglichkeit ein Selfie vor einer Veröffentlichung zu kontrollieren und das Gefühl zu haben, dass es doch noch besser gehen könnte, kann auch zu einer Sucht werden. Nach
Medienberichten war ein britischer Teenager so besessen von einem perfekten Selfie,
das ihm aber nicht gelang, dass er schließlich einen Selbstmordversuch beging. Durch
seine Selfie Sucht nahm er an einem Tag bis zu 200 Selfies auf und lebte so in dieser irrealen Welt, dass er nicht mehr imstande war am realen Leben teilzunehmen. Der 19Jährige Jugendliche verlor dreizehn Kilo Gewicht, wurde von der Schule suspendiert und
verließ das Haus für ein halbes Jahr nicht mehr. (Vgl. Wills , 2014) Mittlerweile befindet
sich der Junge in Therapie und wurde nach und nach von seiner Sucht geheilt. Aktuell
wird er in britischen Talkshows herumgereicht um über seine Erfahrungen zu sprechen.
Interessant ist bei einem Streben nach einem „idealen Selfie“, dass es dies in Form eines
Bildes alleine gar nicht geben kann, denn erst die zugehörigen Likes und Kommentare
bestimmen den wirklichen „Wert“ des Bildes. Bringt ein Foto zu wenig positives Feedback, wird dieses als zu schlecht gewertet. Der Trend sich zunehmend mit dem eigenen
Spiegelbild im Smartphone anstatt mit der realen Umwelt zu beschäftigen, forderte auch
schon einige Todesopfer und führte zu Verboten von Selfies.
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8.2. Gefahren durch Selfies
Da es in Russland vermehrt tödliche Unfälle wegen unvorsichtiger Selfie Aufnahmen
gab, beschloss das Innenministerium mit Verbotsschildern auf die Gefährlichkeit von
Selfie Aufnahmen in gefährlichen Situationen zu warnen und entwarf dazu eigene Warnsymbole. Mit 7 tödlich verunglückten Menschen lag Russland nach einer Untersuchung
auf Platz 2.
Abb.14 Warnschilder für Selfieaufnahmen (Quelle: Russian Interior Ministry)
2015 starben mehr Menschen beim Versuch ein Selfie zu machen als durch einen Hai
Angriff. Konkret sind im Jahr 2014, 49 Menschen beim Versuch ein Selfie zu machen
gestorben. „Priceonomics“, eine amerikanische Datenplattform hat alle tödlichen Selfie
Unfälle weltweit ausgewertet. Als Spitzenreiter von tödlichen Selfies liegt Indien dabei
ganz klar an vorderster Stelle. Von insgesamt 49 tödlich verunglückten Menschen haben
19 davon ihr Leben in Indien verloren. Mittlerweile hat die Regierung auf diese traurige
Bilanz reagiert und an bestimmten Orten Strafen bei Selfies angeordnet, da zu viele tödliche Unfälle passierten. (Vgl. Süddeutsche, 2015)
Indien liegt mit 19 tödlichen Unfällen auf Platz 1, Russland mit 7 verstorbenen Menschen an Platz 2, Russland mit 7 auf Platz 2, USA mit 5 auf Platz 3 folgend mit Spanien
und den Philippinen an 4. und 5. Stelle. (McCarthy, statistica, 2014)
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Es gibt unterschiedlichste Formen von Selfies, die tödlich ausgegangen sind. Unvorsichtige Selfies (meist mit Selfiestick) mit Bären in einem Nationalpark in Colorado, der mittlerweile seine Besucher wegen unverantwortlichem Handeln ausgesperrt hat. „Schienen
Selfies“, bei denen sich Jugendliche beweisen wollen und dies leider manchmal mit dem
Leben bezahlen mussten. Manchmal fotografieren Menschen aber auch vor Sehenswürdigkeiten oder Naturschauspielen und sind dabei all zu sehr fokusiert auf ein gutes Bild,
das sie ihre Umgebung vergessen lässt. Todesfälle aufgrund Selfies nehmen immer mehr
zu.
Die tödlichsten Unfallursachen sind: Fallen von großer Höhe mit 16, Ertrinken mit 14,
Züge 8, Schusswaffen 4, Granate 4, Flugzeugabsturz 4, Autounfall 2 und Tiere 1.
Das Durchschnittsalter der tödlich Verunglückten liegt bei 21 Jahren und 75% davon waren männlich. (Vgl.Basu, 2016)
8.3. Selfie als Spiegel, Kunstperformance und Ich Kampagne
Der Mythos von Narziss beeindruckt uns bis heute. Schon im Barock waren die Menschen fasziniert von Spiegeln und ihrem eigenen Abbild darin. Jacques Lacan erklärt in
seiner Spiegeltheorie, dass der Mensch eine entwicklungspsychologische Phase durchlebt, in der er sein Spiegelbild als seinen eigenen Körper wahrnimmt und sich bei diesem
Erlebnis zu ersten Mal ganzheitlich wahrnimmt. Bis zu diesem Erlebnis sieht sich das
Kleinkind symbiotisch mit der Mutter verbunden. In diesem Spiegelstadium entwickelt
sich das Ich und wird in gleicher Weise lustvoll wie auch ängstlich erlebt, da man die eigene Verletzlichkeit entdeckt. Diese Phase ist nur ein kurzer Abschnitt und endet meist
im 18. Lebensmonat. (Vgl. Lacan 1991)
Heute spiegeln wir uns mit Vergnügen im Display unseres Smartphones und brauchen
uns keine Sorgen zu machen an der Unerreichbarkeit des eigenen Spiegelbildes zu ertrinken. Wir sind vielmehr so fasziniert von unserem Anblick, dass wir diesen unentwegt
reproduzieren, teilen und auf Bestätigungen der Anderen angewiesen sind, die uns bestätigen sollen, dass auch wirklich wir es sind. (Vgl. Bucheli, 2015)
Erst die Selbstbeobachtung im Spiegel macht den Menschen zum Individuum, erst in
der Wahrnehmung des Anderen erkennt das Ich sich selbst. Das Selfie ist als Kreuzung,
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als Spiegel einer Kunstperformance und Ich-Kampagne zu sehen. Es gibt Theorien, dass
für Digital Natives nur mehr Erlebnisse und Erfahrungen als wahr und wirklich gelten,
wenn sie in sozialen Netzwerken aufscheinen. Der Psychologe Daniel Kahneman spricht
von einer Generation Instagram, die Gegenwart nur mehr als verschwommene Erinnerung erlebt. (Vgl. Halter, 2016) In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass die
Verwendung von zahlreichen Retro Filtern viele Bilder im 60er, 70er oder 80er Jahre
Look erscheinen lassen und dies den Anschein von Geschichte erweckt. Nicht zufällig
sind Instagram Bilder quadratisch und meist gerahmt, sie haben das Format aus alten
Kodak Bildern wieder hochleben lassen. Stilisierte Fotos sehen so aus als wären sie alte
Aufnahmen, Filter machen Bilder visuell erst interessant und simulieren Geschichte in
Texturen. Es gibt auch Beobachtungen, die festgestellt haben, dass aktuelle Bilder so
aussehen, als wenn die Akteure schon längst verstorben wären. Mit dem ständigen Bebildern der Gegenwart will man vor dem Tod entfliehen. Dadurch, dass das Endliche,
der Tod in unserer Gesellschaft ausgeblendet wird und unser Leben so jugendlich und
schön als möglich ablaufen soll, stellen wir uns schon zu Lebzeiten so dar, als wenn wir
schon Vergangenheit wären. (Vgl. Macho, 2014) Das Selfie zelebriert das Hier und Jetzt
als wäre die Gegenwart schon in der Vergangenheit. Vielleicht hat diese Wahrnehmung
auch etwas damit zu tun, dass es schwer wird Momente ohne Kamera zu erleben. Egal,
ob ein schöner Sonnenuntergang, Konzerte, Ausstellungsbesuche oder andere Events,
die Möglichkeit das Geschehen, das im Hier und Jetzt stattfindet mittels Foto oder Video
aufzunehmen und festzuhalten, ist eine Verlockung, die für die Meisten unwiderstehlich
ist. Die Illusion, sich den Moment für später aufzuheben, die Gegenwart in die Vergangenheit zu transferieren ist eine große Verlockung. Retro Chic ist In, was auch für die
Verbreitung von Retro-Fotoautomaten spricht, die schwarz-weiss Aufnahmen ausgeben
und unser Abbild analog aufleben lässt.
Die Faszination an Selfies könnte auch mit der Theorie von Marshall McLuhan der „Extensions of Man“ erklärt werden, nämlich, dass Narziss sich nicht in sein eigenes Spiegelbild verliebt, weil er seine Spiegelung nicht als Reflexion erkannt hat, sondern dass
er fasziniert war eine Erweiterung von sich selbst in einem anderen Material als seinem
eigenen Körper entdeckt zu haben. (Vgl. McLuhan, 1994, 41)
Betrachtet man den Narziss Mythos mit der Theorie von McLuhan und vergleicht sie mit
59
der Fülle von Selbstdarstellungen auf diversen Plattformen, könnte man diese Bilderflut
auch so interpretieren, dass wir viele verschiedene Versionen von uns selbst produzieren
und immer wieder erstaunt sind in welchen Varianten wir noch erscheinen können. Wir
produzieren unser eigenes Abbild immer wieder und sehen diese als digitale Avatare,
als Erweiterungen von uns selbst. Wir sind auf der Suche nach der idealen Version unserer Selbst. Nachdem diese Version utopisch ist, produzieren wir immer mehr und mehr
Selfies. Nach McLuhan provozieren technologische Prothesen Umwandlungen, die nicht
nur den Körper betreffen, sondern auch den Geist und kollektive Verhaltensweisen. (Vgl.
McLuhan, 1995, 78-79). Nutzer von sozialen Netzwerken tendieren daher auch in die
Richtung solche Selfies zu posten, die kollektive Identitäten unterstützen. Gibt man in
einer Suchmaschine den Begriff „Selfie“ ein, wird man mit unzähligen Bildern konfrontiert, die sich auf den ersten Blick sehr ähnlich sind. Aber nach Rubinstein sind genau
die Unterschiede, die sich aus einem Archiv selbstähnlicher Selfies bilden, das was wir
teilen. (Vgl. Rubinstein, 2015, 176)
Nach Foucault ist unser Ich der Unterschied der Masken. Ein Archiv ist nach Foucault
nicht zur Erhaltung von Erinnerungen, Ideologien oder Identitäten da, sondern es archiviert die Differenzen zwischen Versionen, Stilen und Strukturen. (Vgl. Foucault, 1981,18)
60
12. Moderne Kunst und der Umgang mit Selfies
„Das Selfie ist das erste Kunstwerk des Netzwerkzeitalters, weil es sich nicht mit
Beschreibung, Repräsentation oder Imitation zufrieden gibt. [...] In jedem einzelnen Selfie erfindet sich das Selbst neu, und weil es keine vorgefertigte Identität
besitzt, artikuliert sich das Selbst rein über Stil.“ (Rubinstein, 2015, 166)
Im Jahr 2013 gab es im Rahmen der Moving Image Contemporary Art Fair in London eine
Ausstellung mit dem Titel „National # Selfie Portrait Gallery“, die von Kyle Chayka und
Marina Galperina kuratiert wurde. Die beiden jungen Kuratorinnen wählten für diese
Installation auf zwei Bildschirmen 19 verschiedene Künstlerinnen und Künstler aus Europa und den USA aus, die sich mit dem Medium „Selfie“ in Form von 30 Sekunden (oder
noch kürzeren) Videos auseinandergesetzt haben. Eine der Kuratorinnen, Marina Galperina betont, dass es nicht um Narzissmus gehe, sondern darum sein eigener digitaler
Avatar zu sein. ( Vgl. Galperina, 2015, 38). Die Ausstellung sollte zeigen, dass sich in der
Auseinandersetzung mit dem Thema Selfie eine weitgefasste Form von Performance,
Persönlichkeit und Authentizität ergibt.
“The selfie is a language created by people taking selfie after selfie every single
day . We wanted to see what artists would make of that vernacular language.
[...] Self-portraiture has a long artistic heritage, with devotees including Rembrandt, the compulsive self-documentarian, Courbet, who styled himself a suave,
long-haired Bohemian, and van Gogh, the fragile genius, bandaged at the ear.
Today, the genre belongs to anyone with a camera. Self-portraiture is the most
democratic artistic medium available, not merely as a performative outlet for the
social self, but also as an intimate route of personal catharsis for today’s artists.”
(Chayka, 2013)
Die Botschaft muss in einer halben Minute an die Betrachter kommen. Die National
#Selfie Portrait Gallery entstand nur drei Monate nachdem Instagram seine Videofunktion aktiviert hat und 8 Monate nachdem Twitter sein 6 Sekunden Video namens „Vine“
ins Leben gerufen hat. Die ausgestellten Videos haben die Ästhetik von dekonstruierten
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Vine und Instagram Videos. [Anmerkung der Verfasserin: Auf die genauere Erklärung
dieser Bezeichnungen bin ich im Kapitel „Technische Entwicklungen“ eingegangen.]
Im Jahr 2013 entstand auch die Arbeit „Art in Translation: Selfie, The 20/20 Experience“
von Patrick Specchio, die im Museum of Modern Art zu sehen war. Das erste, das die
Ausstellungsbesucher zu sehen bekamen, nachdem sie aus einem Aufzug stiegen, war
ein großer Spiegel mit eingebauter Kamera. Die Ausstellungsbesucherinnen und Ausstellungsbesucher konnten selber ein Bild machen, es weiterverbreiten und ihr persönliches
„Selfie“ für die Ausstellung freigeben.
Der Kunstkritiker Jerry Saltz meint, dass wir im Zeitalter des Selfies leben und es als eigenes Genre zu sehen ist, das für die Kunst ein riesiges Ereignis ist. (Saltz, 2015, 32)
Museumsbesucherinnen und Museumsbesucher sind fasziniert von Spiegelflächen in
Kunstwerken, wo sie sich der formatierenden Macht des Selfies entziehen. (Vgl. Ullrich,
2015) Künstlerinnen und Künstler erschaffen optische Strukturen oder Landschaften in
denen sich das Publikum nach belieben inszenieren und porträtieren kann. Die Subjektive Inszenierung in Kontext und Rahmen des Kunstwerks bedeutet für die fotografierenden Akteurinnen und Akteure eine Anwendung und Ausweitung des eigenen Ichs in
eine digitale Matrix. So gesehen könnte man Selfies als Schnittstelle zwischen realer und
virtueller Welt sehen und das Selfie als Dialog des Einzelnen. (Vgl. Gries, 2015) Das Motiv des Spiegels hat in der Kunstgeschichte eine lange Tradition und die Faszination von
Spiegelungen oder Eintauchen in andere Dimensionen ist bis heute erhalten geblieben.
Während einige Künstlerinnen und Künstler auf Instagram ihre eigenen Werke dokumentieren und nur selten mit einem Selfie in Erscheinung treten, gibt es andere, die
ihren Instagram Account ohne Redaktion verwalten und diesen für die Präsentation von
sich selbst oder politischen Motiven nützen. Tony Oursler, Olafur Eliasson, Laurie Simmons, Richard Prince oder Jeff Koons haben hinter ihrem Instagram Account eine Redaktion, die bestimmt was online geht und was nicht. Das ist für die Betrachterinnen
und Betrachter zwar interessant, aber „das Private“, das Greifbare hinter der Künstlerin
oder dem Künstler fehlt hier. Wenn Accounts nur zur reinen Public Relations verwendet
werden, ohne persönliche Informationen, haben diese auch weniger Follower. Anders
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nützt dies Plattform Ai Weiwei. Der Künstler zeigt sich in unterschiedlichsten Lebenssituationen, alleine, mit seiner Katze, mit ausgewählten Zeitgenossen oder vor aktuellen
politischen Situationen. Selbst als er in Peking unter Hausarrest stand, veröffentlichte er
ein Foto auf Instagram. Er dokumentierte den Moment als er seinen Reisepass zurückbekam oder er in seinem Atelier Wanzen fand. Auf seinem Account werden Privates,
sein Leben als Künstler, Kunstaktionen und politische Aktivitäten vermischt. Mit seiner
Kampagne „Legs like guns“ wo er sein Bein wie ein Maschinengewehr in der Hand hielt,
motivierte er unzählige User zu ähnlichen Selfies. Diese Aktion lief im Jahr 2014 fast
vollständig über Instagram ab. Zuletzt veröffentlichte er Bilder und Videos von seinem
Besuch im Flüchtlingsauffanglager in Idomeni.
Zu weiteren künstlerischen Positionen, die sich mit der Darstellung des digitalen Selbst
beschäftigen komme ich im Kapitel Post Internet Art.
12.1. Das Museumselfie oder Artselfie
Das “Artselfie” wurde 2012 durch den Kunstkritiker Brian Droitcour ins Leben gerufen,
als er für das Künstlerkollektiv DIS das Hashtag #artselfie definierte. Zeitgleich mit der
Art Basel ging Tumblr zu diesem Hashtag online und alle Beiträge wurden dort gesammelt und veröffentlicht. Heute gibt es bereits ein Buch über das Projekt und online kann
man die Ergebnisse unter artselfie.com betrachten. Er interpretiert ein “Artselfie” ursprünglich in einem Selfie in einem verspiegelten Kunstwerk. Brian Droitcour meint in
seinem Artikel über artselfie:
“...I define the #artselfie narrowly. I limit my use of the tag to cases where the
art itself creates the conditions for the selfie, with mirrors and approximations
of their sheen. I’m aware that as the hashtag has spread over the past week
people have been using it on any photo where they share the frame with art,
or on selfies of artists, or on artsy selfies. I’m fine with these mutations. I know
how memes work! But since DIS is launching its #artselfie blog on the eve of the
Miami fairs, where exhibitors are notorious for grabbing visitors’ attention with
reflective surfaces, I hope that DIS readers will consider the #artselfie’s origins
and photograph themselves in mirrored works whenever possible. Go to the
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fairs, see yourself in art, and let us see you see you.” (Droitcour, 2012)
Hätte Droitcour gewusst, welchen „Hype“ er mit dem Begriff und der Aktion auslösen
würde, hätte er es sich vermutlich nochmal genau überlegt diese ins Leben zu rufen. Der
von Mar Dixon ins Leben gerufene Museum Selfie Day wurde am 22.1.2014 ins Leben
gerufen, als die Engländerin dies auf Twitter deklarierte.
Bei der letzten Art Miami ist die „Selfie Manie“ in fast epidemische Ausmaße geraten.
Besucher die sich in Posen begeben, ihr bestes Grinsen aufsetzen und sich die besten
Kunstwerke für das nächste Art Selfie suchen, kamen massenweise um sich selbst am
besten in Szene zu setzen. Interaktive Auseinandersetzung mit Kunst hat man sich vor
einigen Jahren wohl noch anders vorgestellt. Der Impuls sich selber mit einem ausgewählten Kunstwerk auseinanderzusetzen geht in die Richtung, dass die Aktion sich selbst
mit dem Kunstwerk zu zeigen wichtiger ist, als die Kunst selber. Die meisten Museen
haben in den letzten Jahren nicht kommerzielle Privatfotografie erlaubt, wohl auch aus
dem Grund, dass jedes Selfie im Museum eine potenzielle Werbung für die Institution oder Ausstellung ist, denn so werden vielleicht auch Ausstellungsbesucherinnen und
Ausstellungsbesucher angelockt, die keine potentiellen Kunstinteressierten sind. Unter
#museumselfie findet man auf twitter oder Instagram hunderte Bilder von begeisterten
Museumsbesucher. Und wer sich doch nicht so gerne selber fotografiert, kann immer
noch ein Museum-Selfie machen, wo man vor klassischen Gemälden eine Hand mit einem Smartphone so positioniert als würden die Porträtierten gerade ein Selfie von sich
machen. Manch rätselhafte Posen der Abgebildeten erhalten so eine neue Bedeutung.
Fotos solcher Art können unter „Museum of Selfies“ auf Instagram oder Tumblr abgerufen werden.
Als ich zur Eröffnung der Ausstellung von Olafur Eliasson in Wien ging, war ich zum ersten
mal in einer Ausstellung mit Massen an Displays von Ausstellungsbesucher konfrontiert.
In den barocken Räumen des Winterpalais Prinz Eugen waren Massen von Menschen,
die wie an einem Schilift angestellt von einem Kunstwerk zum nächsten geschoben wurden, meine Person mitten drinnen. Die meisten Besucher hatten das Smartphone in
Händen und warteten ungeduldig bis sie endlich selber fotografieren konnten, meist war
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das Motiv nicht eine Lichtinstallationen von Eliasson, sondern die eigene Person in zigfacher Spiegelung. Zwar war es unmöglich nur sich selber abzulichten, da die Nächsten
schon neugierig den Kopf in die Glasröhre hielten, aber da es bei den meisten Objekten
zwei gegenüberliegende Öffnungen gab, störte das nicht weiter. War man selber an der
Reihe, vergaßen die Ausstellungsbesucher für kurze Zeit die Welt und die Wartenden um
sich. Was in diesem Moment zählte war das perfekte Selfie. Ob alt, jung, groß, klein, dick
oder dünn, alle wollten in diesem Moment das gleiche. Auch ich habe mein Smartphone in Händen, obwohl ich mich ärgere, dass all die anderen um mich den gleichen Plan
verfolgen. Trotz meiner innerlichen Abwehr konnte ich nicht gänzlich widerstehen ein
Selfie von mir zu machen, die unzähligen kleinen Spiegel waren einfach zu verlockend.
Abb.15 Selfie von mir in der Ausstellung von Olafur Eliasson
Im Vergleich zu anderen Ausstellungen im Winterpalais sind bei Eliasson explizit Smartphones und Selfies erwünscht. Schon beim Eingang kommt man an einem “Share your
view” mit einem Kamerasymbol vorbei. Als Unterstützung, dass auch wirklich der “richtige” Hashtag mitgepostet wird, gibt der Künstler freundlicherweise: #OlafurBaroque
vor. Somit sollte nun allen klar sein wohin es mit den Fotos gehen soll. Das Ziel sind soziale Medien. Normalerweise gilt am Ausstellungsort ein striktes Fotoverbot, für Olafur
Eliasson wurde es erstmals aufgehoben. (Vgl. Maier, 2016)
Alle Fotos mit dem richtigen Hashtag können auf Instagram bewundert werden.
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Abb.16 Screenshot aus Instagram #OlafurBaroque
Die Möglichkeiten von technischen Spielereien diverser Apps auf dem Smartphone lassen viele Varianten bei Ausstellungsbesuchen zu, besonders Snapchat bietet hier mit
Funktionen wie „Gesichtertausch“ interessante Möglichkeiten. Was zu hinterfragen
bleibt, ist ob generell jeder Ausstellungsbesuch zu einem Entertainment werden muss
um die Besucherinnen und Besucher bei Laune zu halten.
66
13. Post Internet Art
Da ich im nachfolgenden Teil einige Künstlerinnen und Künstler dieser Generation vorstellen werde, möchte ich den Begriff der Post Internet Art kurz erklären. Was der Begriff
„Post Internet Art“ genau bedeutet, kann man derzeit in keiner festgelegten Definiton
nachlesen. Es soll eine Kunstbewegung einer digital aufgewachsenen Generation beschreiben, die eine gemeinsame Haltung verbindet. Die Art und Weise wie heute Bilder
jeglicher Art betrachtet werden ist mobil und ortlos geworden. Die Geschwindigkeit mit
der sich heutzutage Informationen jeglicher Art verbreiten hat sich in den letzten Jahren extrem beschleunigt. So ist es nur eine natürliche Reaktion der „digital Geborenen“
auf diese veränderten Wahrnehmungsrahmen zu reagieren. Künstlerinnen und Künstler
dieser Generation nutzen neueste technische Möglichkeiten in allen Bereichen mit einem großen Selbstverständnis. Post Internet Art bezeichnet zeitgenössische Kunstformen, die sich Daten und Entwicklungen neuer Technologien zu Nutze machen und deren Auswirkungen auf gesellschaftliche Veränderungen untersuchen. Im Gegensatz zur
Netzkunst der 1990er-Jahre, die im digitalem Raum stattfand, findet Post Internet Art
ihren Ursprung zwar meist im Internet, ihre Präsentation in der Kunstwelt wird jedoch
in einen realen Raum, den White Cube transferiert. Meist sind Projekte parallel im Netz
wie auch in Ausstellungsräumen zu finden.
Es gibt im Kunstbetrieb durchaus kritische Stimmen, die dem Drang zur dauerdröhnenden Selbstvermarktung auf Facebook, Twitter, Instagram oder Tumblr bedenklich, oder
schlicht nervig finden. Der New Yorker Kritiker Brian Droitcour beschreib seine Abneigung gegenüber Post Internet Art so, dass dies oft Karrieristen seien, deren Kunstmethoden von Werbung oder Produktplazierung schwer zu unterscheiden seien. Der Berliner
Kritker Pabo Larios beschreibt eine Netzwerkmüdigkeit, die mittlerweile auch Post Internet Künstler erreicht hat. Diese wende sich gegen Vieles, dass die Bilderkultur vorantreibt, die Auflösung des Bildes in Daten, Reichweite statt Kunst, Format statt Form,
Marke statt Künstler und Spekulation statt Wert. (Vgl. Nedo, 2015)
Die Künstlerinnen und Künstler dieser Generation können meist selbst wenig mit dem
Begriff anfangen. Sie sind mit allen technischen Mitteln, die heute zur Verfügung stehen
aufgewachsen und benutzen auch das Internet mit einer Selbstverständlichkeit. Ob die
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Werke der nachfolgenden Künstlerinnen und Künstler als künstlerisch wertvolle Arbeiten gesehen werden, liegt wie immer im Auge der Betrachterin oder des Betrachters.
13.1. Petra Cortright
Sie gilt als Vorzeigekünstlerin der Post Internet Art und avancierte die letzten Jahre mit
ihren kurzen Filmen über sich selbst zum Kuratoren-Liebling. Die junge kalifornische
Künstlerin (Jahrgang 1986) bewegt sich im endlosen Archiv der digitalen Bilder wie auf
einem Abenteuerspielplatz. Petra Cortrights Arbeiten aus Webcam Videos, digital gemalten Gemälden und ASCII Zeichnungen strotzen vor kindlicher Effektfaszination und
Experimentierfreudigkeit. Ihre ersten Arbeiten veröffentlichte sie auf LifeJournal und der
Künstlerplattform nasty nets. Ihr erstes Video VVEBCAM, das sie 2007 auf YouTube veröffentlichte, wurde im Bereich von Kunstakademien viel diskutiert und als eine wichtige
Arbeit der Post Internet Video Art tituliert. Nach der Veröffentlichung des Videos auf
YouTube wurde die junge Künstlerin von Rhizome, einem Netzkunst Archiv, kontaktiert
um ihre Arbeit dort aufzunehmen und sie in einem New Yorker Museum zu zeigen. Auf
diese erste Ausstellungseinladung folgten viele weitere Gruppen und Einzelausstellungen, wie auch die Teilnahme an der Biennale von Venedig 2009. (Vgl. Becker, 2012, 137)
Cortright filmt sich in der Arbeit VVEBCAM mit einer Webcam, wobei sie eher gelangweilt auf den Monitor starrt, während sie mit Special Effects einer Webcam Software
herumspielt. Elemente wie niedliche Katzen und Hundeköpfe, animierte Pizzaschnitten,
Gewitterwolken, Ufos, Schneeflocken, Marienkäfer und eine Gitarre werden rund um die
Aufnahme von Cortrights Gesicht eingeblendet. Ihr Blick ist leicht nach unten gerichtet
und sie wirkt an dem Geschehen, das sie selber mit der Maus ein und ausblendet, fast
unbeteiligt. Der passive Gesichtsausdruck der Künstlerin spiegelt die wiederum passiven
Konsumentinnen und Konsumenten auf der anderen Seite des Bildschirms. Ihr gelangweilter Blick, kombiniert mit den aufblitzenden, sich bewegenden oder sich abwechselnden Objekte der Software werden durch die Hintergrundmusik (Ceephax: Summer
Frosby) unterstützt, die aus einem Computerspiel stammen könnte, aber zeitgleich mit
der Webcamaufnahme auf iTunes lief.
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Abb.17 Screenshot von VVEBCAM (Quelle: YouTube)
Das Erscheinungsbild des Videos ist der Oberfläche von Snapchat (Anmerkung der Autorin: Stand 2016) sehr ähnlich, die viele Funktionen anbietet, die in der Ästhetik von
Cortrights Arbeiten steht. Als sie das Video auf YouTube veröffentlichte, verwendete sie
Unmengen unterschiedlichster tags, die inhaltlich nichts mit ihrer Arbeit zu tun hatten,
um möglichst viele User, die beispielsweise eigentlich nur nach „Paris Hilton, Britney
Spears, Taco Bell, Kim Kardashian oder blow job “ suchten, auf ihre Arbeit zu lenken und
ihre Arbeiten in Suchmaschinenrankings weiter nach oben zu bringen. Viele ihrer Videos
wurden daher von YouTube gesperrt, da sie durch diverse „tags“ auf explizite Inhalte
verwiesen. Als Petra Cortright nach einer Galerieanfrage einen Preis für ihre Videos angeben sollte, entschied sie sich für einen eher unüblichen Weg in der Kunstszene: Sie
veranschlagte zehn Cents pro Klick auf YouTube. Auch deshalb sind für die Künstlerin
Parameter wie Suchmaschinenoptimierung nicht ganz unwichtig.
2015 gab es in Wien eine Ausstellung mit dem Titel Young Americans im Angewandte
Innovation Laboratory (AIL), wo acht unterschiedliche Positionen der Post Internet Art
vertreten waren. In der von Cornelis van Almsick kuratierten Ausstellung war Cortright
neben Luis Gispert, Alex Ito, Carter Mull, Ken Okiishi, Timur Si-Qin, Ryan Trecartin, Kaari
Upson als einzige Frau vertreten. Was alle teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler
in dieser Ausstellung verbindet, ist ihr Bezug als Digital Natives zum Post-Pop und Post-
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minimalismus und ihre Auseinandersetzung mit der digitalen Welt. (Vgl. ailab, 2015) In
dieser Ausstellung wurde ihr 30 sekündiges Video „sssss“ von 2011 präsentiert.
Abb.18 Screenshot von „sssss“ (Quelle: YouTube)
Wie bei den meisten ihrer Arbeiten filmt sich die Künstlerin selbst und bewegt ihren Kopf
langsam vom linken Bildrand, an der ein Verzerrungsfilter eingeschalten ist zur Bildmitte.
Die Mimik der Künstlerin ist mit dem Effekt verbunden, sie öffnet den Mund, scheint sich
in ihrer Bewegung wie bei einem langgezogenen Kaugummi von der linken Bildhälfte
lösen zu wollen und setzt einen simplen Filter in Szene bis sie unverzerrt in der Bildmitte
ankommt und einen koketten, jugendlichen Blick mit übergrossen Hipsterbrillen in die
Webcam wirft. Die Ästhetik des Videos erinnert mich an frühe Videos der Medienkunst,
wo man mit dem Format Video, Zuschauer und Aktion experimentiert hat. Beispiele dafür lieferten Nam June Paik, Peter Weibel und Bruce Naumann, der mit seiner Arbeit
„Bouncing in the Corner, No.1“ nicht mit Effekten spielt, aber seinen Körper und dessen
Bewegung im Raum bewusst für die Betrachterin oder den Betrachter einsetzt. Valie
Export arbeitete ebenfalls mit dem eigenen Körper und dem Hang zur Selbstzerstörung
oder Selbstverletzung vor der Filmkamera.
In ihrer Arbeit DRK PARA von 2013 sieht man das Abbild der jungen Künstlerin in neun
grüne Balken unterteilt, die ihre Bewegungen leicht zeitversetzt wiedergeben. Cortright
singt zu dem Song Dark Paradise von Lana Del Rey, den man in schlechter Qualität im
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Hintergrund hört, er wird von ihrem Smartphone abgespielt. Ihr direkter Blick in die
Kamera und ihre weichen, fließenden Bewegungen passen sich der Ästhetik der multiplen Abbildungen in den Bänderstreifen an. Während ihrer kokettierenden Bewegungen
lacht sie manchmal im wissendem Blick auf zukünftige, virtuelle Zuseherinnen und Zuseher in die Kamera, zieht ihre Augenbrauen hoch und spielt mit ihrem Videoporträt bis
ihr Bild am Ende des Videos eingefroren wird.
Abb.19 Screenshot von „DRK PARA“ (Quelle: YouTube)
Der Song wird abrupt unterbrochen. Das Video hinterlässt beim Betrachter den Eindruck
Teil von etwas Intimen geworden zu sein, einen heimlichen Blick auf die Künstlerin erhascht zu haben, die sich vor der Webcam inszeniert und präsentiert. In einem Interview
mit Robert Urquhart mit dem Titel „Graphic Psychedelica Now“ beschreibt Petra Cortright ihre Arbeitsweise wie folgend:
“I have so much fun playing with software and all these weird effects, they are
super intuitive. I’ll set up different effects and stuff and watching what’s happening and then something really simple, like I’ll do something with my hand and
it is just really beautiful. I won’t be able to do it again, if I start thinking about
it; and the nicest time is when I have these very natural elegant moments.”
(Cortright, 2014)
71
Bei vielen ihrer Arbeiten lässt sie auch private Einblicke zu. Im Hintergrund ist ihre Wohnzimmereinrichtung, ihr Bett und Kleiderschrank zu sehen oder ihr bellender Hund zu
hören. Wie bei einigen unbedarften Selfies hat auch Petra Cortright anscheinend keine
Scheu davor sich selbst zu präsentieren und kein Problem damit ihre Wohnung mit ihrer
Person ins Bild zu rücken. Zimmerpflanzen, Kommoden, Spiegel, Vasen, Kleiderkästen
oder andere Einrichtungsgegenstände sind Teil der Inszenierungen (siehe Abb.20 bis
23). Es ist nicht der White Cube, kein steriles Studio in dem die Künstlerin performt. Sie
befindet sich bei ihren Produktionen alleine im Raum und experimentiert so lange bis
sie mit dem Ergebnis zufrieden ist. Dabei vergisst sie nicht auf den späteren Blick des
Publikums, aber im Moment der Aktion ist sie auf sich selbst konzentriert. Einige Videos
inszeniert sie sogar vor ihrem Bett, was der Betrachterin oder dem Betrachter besondere
Intimität verspricht. In „True Life: I´m a Selfie“ (Abb.23) sitzt sie in bauchfreiem T-Shirt
stark geschminkt auf einem Stuhl, hinter ihr ist ein Doppelbett zu sehen auf dem ihr
Hund liegt, der ihr dabei zusieht wie sie in übertriebener Manier unzählige Selfies von
sich schießt und verschiedenste Posen mit sexy Blick ausprobiert. Wie bei den meisten ihrer frühen Videos läuft im Hintergrund eine billig anmutende Technomusik. Neben
dem Smartphone hält Petra Cortright auch eine kleine Likör- oder Schnapsflasche in der
Hand und nimmt immer wieder einen Schluck davon. Emma Tolson, eine Youtube Userin
schrieb folgenden Kommentar zu dem Video: „I love this!!! perfect portrayal of teenage
life on the internet! stealing liquor from mum and dads liquor cabernet, dancing to dance
music half naked for all the adoring boys on the popular social media sites and taking
„selfies“. That‘s your average teenagers life in a nut shell! hahaha, fantastic :)“ Interessanterweise ist das Video bei YouTube unter Komödie gelistet. Wie einige ihrer Arbeiten
erscheint dieses Video noch etwas unausgereift und platt. Obwohl das Video zwar klar
als übertriebenes Statement zum Thema Selfies gemeint ist, bleibt beim Betrachter doch
die Frage zurück ob es die Künstlerin nicht vielleicht doch ernst gemeint haben könnte.
Kann sie sich über die „Generation Selfie“ lustig machen, obwohl sie selber genau in
dieses Bild passt und selber so agiert? Sie kann es sehr wohl, aber irgendwie nimmt man
ihr es nicht so richtig ab.
In späteren Arbeiten und verschiedensten Residency Aufenthalten hatte die Künstlerin
auch die Möglichkeit in professionellen Studios zu arbeiten und mit High End Equip-
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ment zu arbeiten, doch sie bevorzugte das Arbeiten mit reduzierter Technik und der
scheinbaren Privatheit zwischen ihr und dem Computer, beziehungsweise der Webcam.
Der Vergleich zu fotografischen Selfies liegt hier sehr nahe. In Selbstinszenierungen und
Aufnahmen einer Person werden meist Privaträume bevorzugt. Man schützt sich so vor
ungewollten und unzensorierten Blicken von Zusehern und kann selber so lange agieren
und performen bis man zum erwünschten Ergebnis kommt und erst das freigegebene
Abbild einer Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Anders als bei Gruppenselfies oder
dem Beweis an einem bestimmten Ort gewesen zu sein, geht es bei Aufnahmen in privaten Räumen um sich selbst. Das freigegebene Ergebnis wird kontrolliert, für gut befunden und so ist man gewappnet für etwaige negative Kommentare, denen man in gleicher Weise antworten kann. Man ist bereit sich auszusetzen und hofft auf Feedback um
selber feedbacken zu können. Nichts wäre schlechter als gar kein Feedback zu bekommen. Ignorieren wäre die härteste und am wenigsten akzeptierte Form einer Reaktion.
links oben nach rechts unten: Abb:20 Das Hell(e) Modell (2011), Abb.21 When you walk through the storm (2009), Abb. 22 snow1
(2011), Abb. 23 True Life: I´m a Selfie (2013)
Für Frieze Art Fair London 2013 wurde die Künstlerin im Rahmen eines zweiwöchigen
Residency Aufenthalts in EMPAC (The Curtis R. Priem Experimental Media and Perfor-
73
ming Arts Center) in New York eingeladen ein maximal drei minütiges Video zu produzieren. Für Cortright war es der erste Residency Aufenthalt und sie hatte zum ersten Mal
die Möglichkeit in einem professionellen Studio zu arbeiten. Ziel war es die Werke aller
ausgewählten fünf Künstlerinnen und Künstler auf dem TV Kanal Channel 4 einmalig
auszustrahlen. Petra Cortright entschied sich für das Video: Bridal Shower, in der sie ihre
eigene Hochzeit thematisierte. Ganz im Sinne der jungen Künstlerin verzichtete sie auf
die Möglichkeiten mit High End Geräten zu Arbeiten, sondern blieb bei ihrem Laptop mit
Webkamera. Zu sehen ist ein Raum, der die Anmutung eines Seminarraums hat, Cortright steht in weißer Kleidung da, ein weißes Hemd ist um ihren Kopf gelegt. Sie bewegt
sich mit überstrahltem, weichgezeichnetem Filter hin zur Kamera, die verschwommenen
Bewegungen haben etwas Traumhaftes. Mit rot geschminkten Lippen zieht sie immer
wieder ihr Hemd, den Hochzeitsschleier, zurecht und kaut auf ihrem Kaugummi herum.
Abb.24 Bridal Shower (Screenshot), 2013. Webcam video, 2 minutes. Courtesy of the artist
and Steve Turner Contemporary, Los Angeles.
Im Hintergrund ist ein atmosphärischer Sound zu hören zu der eine weibliche Stimme
eingeblendet wird, die sich selber als virtuelle Braut beschreibt. Rosenblätter kommen
vom oberen Bildschirmrand, die „Braut“ blickt nach oben, steht auf, geht nach hinten
und nimmt den „Schleier“ ab, sie richtet sich die langen blonden Haare, breitet die Arme
aus, tanzt, spielt mit dem Hemd, er als Schleier dient und „setzt“ ihn wieder auf. Sie
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kommt wieder Richtung Computer, setzt sich hin und schaut auf den linken Bildrand
wo der Computer zu sein scheint. Technomusik setzt ein, der Nachspann beginnt. Petra
Cortright beschreibt in einem Interview mit Robert Urquhart für das Magazin Vice ihre
eher ungewöhnliche Reaktion als sie ihr Video im Fernsehen sah. Sie war aufgeregt ihr
Video im Fernsehen zu sehen, aber plötzlich wurde ihr so übel, dass sie sich übergeben
musste. Die Künstlerin vermutet ihre heftige körperliche Reaktion in der für sie unüblichen Präsentation ihrer Arbeit. Präsentiert sie eine Arbeit im Internet erhält sie Feedback, sie kann genau nachverfolgen, wie viele Personen sich das Video angesehen haben
und hat die Möglichkeit auf Kommentare zu antworten. Im Gegensatz dazu war ihr das
Medium Fernsehen sehr fremd, sie beschreibt das Medium als eine Art Leere, weil sie
nicht wirklich Kontrolle darüber hat wer das Video gesehen hat und was die Zuseherinnen und Zuseher davon halten.
In den Arbeiten von Cortright geht es darum digitale Inhalte in einen physischen Ort zu
bringen. Inhalte, die eigentlich für den Computerbildschirm gedacht waren, bekommen
eine andere Präsenz wenn sie für eine Projektion riesengroß aufgeblasen werden. Die
Künstlerin experimentiert mit diesen Transformationen. (Vgl. Riefe, 2015)
In Vicky Deep in Spring Valley, von 2013, vermischte sie diverse Animationen, die eigentlich für Screensavers konzipiert waren. Tanzende, nackte Frauen, die sich an Pole Stangen räkeln und märchenhafte Landschaften mit Einhörnern und paradiesischen Vögel
wurden neu miteinander kombiniert und so in eine neue Bedeutung zueinander gesetzt.
Anders als in ihren früheren Arbeiten entschied sie sich bei den folgenden Arbeiten die
Videos bewusst nicht auf YouTube zu veröffentlichen, da die Videos wahrscheinlich in
kürzester Zeit gesperrt worden wären (diesmal für den expliziten Bildinhalt) und weil
es ihr wichtig war, dass die tanzenden Frauen überlebensgroß projiziert werden und
nicht wieder auf den Computerbildschirm, wo ihr ursprüngliches Ziel war, landeten. Alle
Bildinhalte hat die Künstlerin von diversen Screensaver Seiten heruntergeladen. Es gibt
mittlerweile viele Bildschirmschoner, die in HD Qualität geladen werden können. Bei
meiner Recherche fand ich heraus dass es neben VirtuaGirl, wo man leicht bekleidete,
tanzende Frauen laden kann, auch VirtuaguyHD gibt. Interessanterweise muss man nur
bei der männlichen Version angeben, dass man über 18 Jahre ist.
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Abb. 25 Screenshot von Vicky Deep in Spring Valley, 2013 (Quelle: YouTube)
In ihrer späteren Arbeit Niki, Lucy, Lola, Viola verwendet Cortright nocheinmal die VirtuaGirls, die sie auf zwei Projektionen im 90 Grad Winkel zueinander positioniert. Die
Künstlerin fand die Plattform mit den Tänzerinnen schon 2009 und kam nach und nach
immer wieder zurück um sich neue Figuren zu holen.
In diesen Arbeiten stellt sich die Künstlerin nicht selber dar, sondern arbeitet mit gefundenem Videomaterial, dass sie bewusst auswählt und neu kombiniert. Es geht einen
Schritt weiter, weg von der eigenen Selbstdarstellung zu frei verfügbaren Inhalten aus
dem Internet. Damit öffnet sich ein breiterer Horizont als in ihren anderen Projekten, wo
sie meist selber vor der Kamera performt.
2013 ging die Künstlerin eine Kollaboration mit der britischen Modedesignerin Stella
McCartney ein. McCartney wollte ihre Modekollektion mit dem hippen, frischen Image
der Künstlerin in Zusammenhang bringen. In einem Interview mit dazedigital meint die
Modedesignerin:
„I was instantly struck by Petra’s work, her effortless cool-girl approach. She represents the next-generation Stella girl to me in every way. Her work is mindblowingly cool and she is the real deal.“ (Gorton, 2015)
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Auch in diesen Videos arbeitet die Künstlerin mit den Hauptmerkmalen ihrer Arbeiten:
mit ihr selbst, Bildstörungen, Effekten einer Webcam und atmosphärischen Sounds.
Abb. 26 Fire (Fantastic Planet) 2015, Abb. 27 Color Block, 2015 (Screenshots, Quelle: Youtube)
Warum Petra Cortright trotz neuerer technischer Möglichkeiten noch immer mit Webcams arbeitet, die eine viel schlechtere Bildqualität haben als neuere HD Kameras, erklärt sie in einem Interview mit der Zeitschrift Debug. Sie sieht die Qualität von älteren
Webcams in der niedrigen Auflösung, da diese wie eine Maske oder ein Schleier für sie
ist. Hochauflösende Kameras sind ihr viel zu nah, da sie sich wie Lupen verhalten und
Cortright eine gewisse Distanz bevorzugt. (Vgl. Becker, 2012, 138)
Die Arbeiten der jungen Künstlerin kann man in ihrer kindlich, naiven anmutenden Art
mit der Selbstdarstellung bei Selfies vergleichen. Die spielerische Auseinandersetzung
mit einfachen Tools von Webcamprogrammen gepaart mit selbstbewusster Aktionen
und Performances vor der Kamera verkörpern eine neue Generation, die sich nicht damit beschäftigt Dinge zu hinterfragen, sondern diese so nimmt wie sie sind und mit einer
Leichtigkeit damit performt. Ich denke, dass diese unschuldige Leichtigkeit des Seins für
viele Kuratoren faszinierend ist, auch wenn einige Arbeiten eine Gratwanderung zwischen Naivität und künstlerischem, jugendlichem Ausdruck sind.
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13.2. Amalia Ulmann
Abb. 28 Screenshot der original archivierten Instagram Seite von 2014 von rhizome.org
Die junge Künstlerin (Jahrgang 1989) wurde in Argentinien geboren, wuchs in Spanien
auf und studierte in London an der Central Saint Martins School of Art and Design, wo
sie 2011 ihren Abschluss machte. Mittlerweile lebt sie wie ihre drei Jahre jüngere Künstlerkollegin Petra Cortright in Kalifornien. Mit ihrer „Instagram Performance“ von 2014
wurde sie schlagartig berühmt. Bevor sie die digitale Performance startete, beschäftigte
sich Ulman mit der Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken, Fotografie, Netzkunst aber
auch mit klassischen Medien wie Malerei und Skulptur. In ihren Arbeiten setzt sie sich
mit Themen wie weibliche Stereotype, Macht, soziale Ängste und Selbstdarstellung im
Zeitalter von Social Media und Photoshop auseinander. (Vgl. Ulman, 2015) Bevor sie ihre
online Aktion startete, bereitete sie sich einen Monat lange vor, die Idee für die „Performance“ hatte sie aber schon länger im Kopf. Im April 2014 startete sie die Aktion mit einem upload eines Fotos mit „Part 1“ und dem Kommentar: „Excellences & Perfections“.
Zu dem Zeitpunkt hatte sie 28 Follower. In die Aktion war niemand eingeweiht, auch
nicht ihre (realen) Freunde. Sie begann eine Geschichte zu erzählen, in der sie ihre Versuche dokumentierte sich als „IT“ Girl in Los Angeles durchzuschlagen. In einem Traum von
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rosa gefärbten Bildern konstruierte sie das Bild einer jungen blonden Frau, die kuschelige Hasen, Katzen und ihren Sonntagsbrunch fotografiert und von ihrem beschaulichen
Leben berichtet. Sie kommentiert ihre eigenen Bilder und manchmal auch Videos wie
tausend andere junge Mädchen wie:
„Good morning! #happy #sunny #retro #vintage #cool #LA.“ (Ulman, 2014)
Schon in dieser „rosa Phase“ stellt die Künstlerin immer wieder leicht bekleidete Fotos
von sich selbst online. In manchen Motiven sitzt sie mit gespreizten Beinen auf dem
Bett und stellt ein Kuscheltier zwischen ihre Beine. Sie bereitet sich auf ein Date vor und
fragt ihre follower wie sie ihre neueste Kette finden oder ihr Outfit ok ist. Nur einmal
veröffentlicht sie ein Bild von sich und ihrem angeblichen Freund, der durch ein Scheinwerferlicht im Hintergrund nicht zu erkennen ist und kommentiert das Bild mit:
„dont be sad because it‘s over, smile because it happened~ after 3 years it has
been time to move on i guess. there were good and bad moments but i will remember the best bits. life goes on“ (Ulman, 2014)
Amalia Ulman lässt ihre follower an ihrem Liebeskummer teilhaben, postet Bilder von
1000 Dollar in der Hand mit dem Kommentar: „1k-1nuit“, lässt sich ihre Oberweite vergrößern und färbt sich die Haare wieder braun. Ihre Fotos sind nun nicht mehr rosa,
sondern schwarz und düster.
Die Geschichte einer jungen Frau, die versucht in einer Großstadt Fuß zu fassen und dabei Höhen und Tiefen erlebt. Sie postet Bilder mit traurigem Gesichtsausdruck und stellt
kurze Videos online auf denen sie weinend und verzweifelt zu sehen ist. Eine Userin
kommentiert dies mit der Frage warum sie so etwas filmt und online stellt, ob Instagram
ihr echtes Leben sei. Eine Woche später kommentiert Amalia Ulman ein Bild von einem
Herzen mit folgendem Text:
„Dear everyone, I’m really sorry for my behavior recently. I was acting weird and
committed many mistakes because I wasn’t at a good place in my life tbh. I’m
recovering now and I feel better, all thanks to the help of my closest friends and
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family. I’m very grateful to my family from rescuing me from such dark void. I was
lost. Also, feeling blessed for all my internet friends who sent wonderful recovery
messages on fb. I’m really sorry if I have offended you. Everything came out from
a soul full of pain, anger and darkness. Thank you so much for being patient with
me, Blessings, Amalia“ (Ulman, 2014)
Ulman postet viele Fotos, Shoppingtouren, schön dekorierten Speisen und schließlich
von einer Reise nach Istanbul und einem neuen Mann in ihrem Leben. Die Instagram
Performance beendet sie mit einem schwarz weiß Bild einer Rose und dem Kommentar
„The End“. Kurze Zeit später gab sie via Instagram und Facebook bekannt, dass sie ihre
Performance „Excellences & Perfections“ beendet hat. Die Aktion dauerte vier Monate.
Die Performance wurde von der jungen Künstlerin einen Monat lang vorbereitet. Sie
schrieb dafür eine Drehbuch in dem der Spannungsbogen festgelegt war. Sie wechselte
ihre Garderobe, färbte sich die Haare und „spielte“ die erfundene Figur. Ulman betont
immer wieder, dass die Figur nichts mit ihr als Privatperson zu hat. Sie analysierte im Vorfeld populäre Instagram Accounts, schlich sich für Fotos in teure Hotels und verwendete
gefundene Operationsfotos von Brust OPs.
Abb.29 Amalia Ulman, Excellences & Perfections (Instagram Update, 1st June 2014), 2015 and Excellences & Perfec-
tions (Instagram Update, 5th September 2014), 2015. Courtesy of the artist and Arcadia Missa.
Die Idee zu dem Projekt kam ihr schon während ihrer Studienzeit, aber sie verschob die
Realisierung auf später, da sie zu wenig Geld für die Umsetzung hatte. Während ihres
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Studiums arbeitete sie in einem Escort Service (ohne sexuellen Dienste) und verdiente
sich so das Geld für ihre Studiengebühren. Ihre Instagram Performance teilte sie bewusst
in drei Teile und spielte so Stereotype Rollenklischees von Mädchen ihres Alters durch.
Der erste Teil ist das Provinzmädchen in der großen Stadt, die ein „Sugar Babe“ wird
als die Beziehung mit ihrem Freund zerbricht. Der zweite Teil befolgt der Ästhetik der
„Ghetto Ästhetik“, sie beginnt verrückte Dinge zu posten und verhält sich als „nasty
girl“, die Drogen nimmt, ihre Brüste vergrößern lässt und einen Nervenzusammenbruch
erleidet. Der dritte Teil lautet „Recovery“, sie postet von Yoga und Smoothies und nimmt
das Image des netten Mädchens von nebenan ein. (Vgl. Sooke, 2016) Zusammenfassend
kann man die online Performance auch als Aufstieg und Fall einer jungen Frau in drei
Szenen sehen, und der Unterteilung in Unschuld, Sünde und Erlösung. (Vgl. Lauriola,
2015, 151)
Das Projekt wurde das meistdiskutierte Netzkunst-Projekt der letzten Jahre und ihr Instagram Account hatte am Ende Zehntausende Follower. (Vgl. Dörig, 2015) Irritierend
ist ihre Schein-Authentizität, weil man dies eigentlich nur von Stars kennt und sich die
Aktion nahtlos an ihre bisherigen Instagram Präsenz einfügte.
Während der Aktion war sie auch mit negativer Kritik konfrontiert. Eine Galerie die sie ein
Jahr vorher entdeckte, bat sie mit den Postings aufzuhören, da man sie sonst als Künstlerin nicht mehr ernst nehmen könne. Andere fanden Gefallen am Leben der blonden Frau
in der großen Stadt. Die Künstlerin selbst versteht ihre Arbeit als Kritik an Stereotypen.
Sie wollte zeigen, dass Weiblichkeit ein Konstrukt sei und nicht etwas Biologisches. Nach
Ansicht von Ulman ist es viel Arbeit um wirklich als Frau gesehen zu werden und dies
sei etwas, was man lerne. Die Idee zum Experiment war es die Sprache des Internets zu
übernehmen. (Vgl. Sooke, 2016)
Wie berühmte Persönlichkeiten oder Menschen, die dies gern wären, stellt Ulman ein
privilegiertes Self-Branding-Lifestyle zur Schau, der auf visuell optimierten und bearbeiteten Bildern basiert. Wie in der Welt der Reichen und Schönen zeigt die Künstlerin
teure Gegenstände, Kleidung, Parfums, Taschen, Hotelzimmer und andere luxoriöse
Ausstattungen inklusive freizügiger Bilder von ihr selbst. Die Arbeit soll mögliche Manipulationen von Fiktion und Wirklichkeit in den sozialen Medien betonen und bestimmte
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stereotype Rollenbilder zur Weiblichkeit hinterfragen.
„How is a female artist supposed to look like? How is she supposed to behave?
How do we consume images and how do they consume us? Are we judgmental?
Maybe? Or not at all? Or ABSOLUTELY YES! All I know is that my words have
less validity now because even my own real body and voice can be fabricated
photoshop images. We live in the electronic economy of looking good; we all
know the prices of your artworks will exponentially grow in relation to your
looks and the likes on your facebook. But the good news is if human‘s perception is so malleable and the tools and the distribution of meaning and images
have now been centralized, it‘s in everyone‘s hand to destroy archetypes, it‘s in
our hands to bring the queer into mainstream narratives. If we can make our
own porn, we can make our own romantic comedies too.“ (Ulman, 2014)
Ein halbes Jahr später wurden einige der 175 Fotografien von Ulman in diversen Ausstellungen gezeigt und die Künstlerin zu Vorträgen, Live Performances oder Seminaren geladen. Im Frühjahr 2015 fand in der Kunsthalle Wien eine Ausstellung von Amalia Ulman
statt, zu dem ein Seminar Namens „Digital Images of the Female“ angeboten wurde und
eine Live Performance mit dem Titel „The Future of Memory“. Bei der Performance liest
sie vor der Projektion ihrer Bilder und Videos Texte von ihrem iPad, in denen es um Formen der aktuellen Selbstpräsentation im Zeitalter von Sozialen Medien, Photoshop und
den damit verbundenen Bildstrategien geht. Ihr Blick auf aktuelle Bilder von Weiblichkeit
wirkt affirmativ, ist aber von einer kritischen Hinterfragung adaptierter Ideale geprägt.
(Vgl. Kunsthalle Wien, 2015)
Die komplette Performance von Ulman wurde wie auch schon die Arbeiten von Petra
Cortright von der Kunstwebsite Rhizome archiviert und bleibt so im Originalformat erhalten und geschützt.
Ulmans Instagram Perfomance wird bei der aktuellen Ausstellung „Performing for the
Camera“ in der Tate Modern in London gezeigt, die bis 12.Juni 2016 läuft. Simon Baker,
der Kurator der Ausstellung begründet die Auswahl von Ulman damit, dass ihre Performance zwar via Instagram lief, aber das eigentliche Ziel immer Gallerien und Museen
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waren. Er sieht die Performance von Amalia Ulman in der fortlaufenden Tradition von
Künstlerinnen und Künstlern, die mittels Fotografie ihre performativen Arbeiten auf unterschiedlichsten Wegen dokumentiert haben. Neben Amalia Ulman werden Arbeiten
von etablierten Künstlerinnen und Künstlern wie Yves Klein, Yayoi Kusama, Eleanor Antin, Niki de Saint Phalle, Cindy Sherman, Andy Warhol und Jeff Koons gezeigt. (Vgl. Neuendorf, 2016)
13.3. Ryan Trecartin und Lizzie Fitch
Das amerikanische Künstlerduo arbeitet seit Jahren zusammen, beide wurden 1981 geboren, Lizzie Fitch in Indiana, Ryan Trecartin in Texas. Beide studierten an der Rhode
Island School of Design und leben und arbeiten in Los Angeles. Mit durchgeknallten
Videos, Installationen und Skulpturen wurden sie bekannt und eroberten die Museen
der Kunstwelt. Als Superstar der Post Internet Art wird jedoch Ryan Trecartin alleine
gehandelt, was vielleicht daran liegt, dass Lizzie Fitch vor allem an der Produktion der
Videos mitwirkt, aber nicht an der Regie und Umsetzung. Vom amerikanischen Magazin The New Yorker wurde Treartin als „the most consequential artist to have emerged
since the 1980s“ bezeichnet und definiert sein visionäres Verständnis einer tiefgreifenden kulturellen und gesellschaftlichen Veränderung unserer aktuellen und zukünftigen
Gegenwart. (Vgl. Kunstwerke Berlin, 2015)
2013 wurde Ryan Trecartin vom Kurator Massimiliano Gioni auf die Biennale in Venedig
eingeladen, wo er einen ganze Halle im Arsenale zur Verfügung gestellt bekam.
Der Kurator erwähnt in einem Interwiew, was ihm in den Sinn kam, als er die erste Arbeit
(I-Be_Area) von Trecartin sah. Er hielt die Arbeit in seinem Tempo und Komplexität so
verrückt, dass er sich plötzlich alt fühlte. Der Einsatz von Farbe, Sprache und Schnitt verglich er mit James Joyce Finnegans Wake auf Twitter. Er sah diese Arbeit als Anspielung
einer neuen Generation mit einer radikal neuen Ästhetik. (Vgl. Reichert, 2014)
Auf der Biennale waren vier Videos zu sehen, jedes mit skulpturalen Sitzarrangements
wie Gartenlauben, Hühnerställe oder Möbelhauskinderecken, die von Lizzie Fitch kreiert
wurden. In den jeweiligen Sitzecken wurde man von bis zu drei Leinwänden gleichzeitig
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mit einem Schnellfeuer aus Schnitten und Soundeffekten beschallt. Seine Videos erkennt
man daran, dass sie die menschlichen Sinne völlig überfordern. Die Ästhetik von hyperschnellen Schnitten, grellen Digitaleffekten und dauerplappernden Selbstdarstellerinnen
und Selbstdarsteller mit nervösen rollenden Echsenaugen und einer surrealen Welt in
der man vergeblich Halt nach einem Erzählstrang sucht, weil jeder Dialog unterbrochen
wird und der eine Schnitt den anderen jagt. (Vgl. Reichert,2014)
In Ryan Trecartin Videos geht alles um Selbstdarstellung. Bilder, die wir scheinbar von
YouTube kennen werden mit Videoauschnitten vermischt, die Reality TV Charakter haben. Die Bilder sind besonders von amerikanischen Formaten geprägt, was für europäische Verhältnisse als zu viel und zu chaotisch gesehen wird, und lassen einige direkte
Vergleiche mit aktuellen amerikanischen Fernsehformaten zu.
In „Center Jenny“ von 2013 vermischt Trecartin Grafiken aus Videospielen mit Avataren,
die synthetische Stimmen haben und Videoaufnahmen, die nach einem genauen Drehbuch von ihm entstanden sind. Auch wenn man nicht den Eindruck hat, aber manche
Sätze lässt der Künstler bis zu 25 mal einsprechen bevor er mit der Aufnahme zufrieden
ist.
Abb.30 Screenshots von Center Jenny, Ryan Trecartin, 2013
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Center Jenny dauert 53 Minuten und ist auf Vimeo zu sehen, wo Trecartin einen eigenen
Kanal hat. Ein fiktiver Universitätsdozent mit Echsen-Kontaktlinsen und lila Glatze erklärt
im Film einer Gruppe junger Zuhörer, die teilweise am ganzen Körper grün geschminkt
sind „Wir stammen von Animationen ab. Und diese Animationen stammen von Menschen ab.“ Die Szene spielt in Räumlichkeiten, die eine Mischung aus Fernsehstudioarchitektur und Saunalandschaft ist. Der Vortrag wird ständig unterbrochen, eine fiktive
Regisseurin mischt sich ein, unmotivierte Sprünge und Schnitte lassen keine fortlaufende
Handlung zu und Trecartin selbst ist mit Perücke und Kamera auch mitten im Geschehen
zu sehen. Das Video kann als Digital-Hippie-Happening gesehen werden, wo sich Figuren fortlaufend ändern, Geschlechter und Namen sich vermischen und die Handlung in
narzistische Selbstbekenntnisse kippt. Man hat das Gefühl das Gesamtgeschehen nicht
mehr mitzubekommen, weil die Kamera immer zu nah an den Personen ist, die sich
abwechselnd als Bildmaterial in einen Markt der Aufmerksamkeiten drängen. Die Videowie auch Ton-Ebenen werden beschleunigt, abgebremst und anschließend in mehreren
Spuren übereinandergelegt und montiert, bis man als Zuschauerin oder Zuschauer das
Gefühl hat, die Schädeldecke würde gleich zerspringen. Für alle Arbeiten schrieb Trecartin Drehbücher. Auch wenn seine Arbeiten wie ein Sammelsurium an Chaos wirken,
wurden manche Sätze mehrmals aufgenommen, bevor er als Regisseur zufrieden war.
Ein hoher Arbeitsaufwand geht in die Postproduktion, wo im Internet gefundene Bilder
wie Desktop Icons, Lenkrädern, Logos usw. mit Bildern von Freunden zu absurd überfrachteten Cyborgs montiert.
In den Arbeiten von Ryan Trecartin gibt es Referenzen auf Künstler wie Paul McCarthy,
Mike Kelley oder dem Regisseur John Waters. Mit ihnen verbinden den jungen Künstler
Themen wie Subversion von Konsumgesellschaft und patriachale Familienstrukturen.
Er selbst kann mit diesen Vergleichen nur wenig anfangen. (Vgl. ebd.) Seine verrückten, schrillen Arbeiten werden aber auch mit dem Pionier der Medienkunst, Nam June
Paik, verglichen, der in den Neunziger Jahren diese damals neue Kunstform mit seinen
raumübergreifenden Installationen beeindruckend inszenierte. In seiner wahrscheinlich
bekanntesten Arbeit „TV-Buddha“ schloss er den Menschen in seiner Closed-Circuit Installation aus und lieferte ein Abbild, man könnte auch Selfie dazu sage, mit Gott.
Seine Ästhetik und Bildsprache, die als absolute Überforderung für die menschliche
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Wahrnehmung gelten, werden mit einem Digital Surrealismus verglichen, der das Verdrängte der medialen Konditionierungen aufzeigt. (Vgl. Reichert, 2014)
Sieht man Ryan Trecartins Arbeiten das erste Mal, ist man paralysiert, hat man sich an
das ungewöhnliche Tempo und die Bildsprache, die nicht wirklich zu durchschauen ist,
etwas gewöhnt, versteht man seine Videos etwas besser. Interessant ist, dass seine Arbeiten queere Theorien, wo sich Identitäten fließend ändern und der Körper selbst nach
Belieben verformt und verändert werden kann, unterstützen und er so einen möglichen
Ausblick in die Zukunft gibt, was mit Hilfe von digitalen Avataren möglich ist.
Ich persönlich habe es nicht geschafft mir seine Arbeit in einem Durchgang anzusehen.
Schon nach einigen Minuten hatte ich das Gefühl mein Gehirn mit seiner schrillen Welt
auf Speed massiv zu überfordern. Zum Glück gibt es am Computer die erlösende Stopp
Taste des Vimeo Players, wo man in die bizarre Welt des Künstlers in erträglichen Dosen
eintauchen kann.
Nicht zufällig haben alle drei Künstlerinnen und Künstler, die ich unter Post Internet Art
in der vorliegenden Arbeit beschrieben habe, ihren Lebensmittelpunkt in Los Angeles.
Die Stadt der Träume, der großen Hoffnungen, die Filmstadt, wo das ganze Jahr über
Sommer ist und Nasen OPs in der Mittagspause gemacht werden bevor man abends
zum Yoga geht. Andererseits gibt es auch in dieser Stadt Gegenden, wo eine gefährliche Mischung zwischen Waffen, Drogen und Aussichtslosigkeit herrscht. Vielleicht ist es
gerade diese Mischung aus Extremen, die junge Künstlerinnen und Künstler dazu animiert sich völlig übertrieben und durchgedreht darzustellen. Während sich Petra Cortright und Amalia Ulman selbst als eigene Person in den Mittelpunkt ihrer Inszenierungen
setzen, spielt Ryan Trecartin zwar in seinen Videos selber mit, ist jedoch als Person nicht
im Mittelpunkt. Sein Spiel mit divergenter Präsentationen von sich selbst, die nicht an
eine Darstellung, einem Körper oder an eine bestimmte Stimme gebunden ist macht
das Betrachten seiner Videos zwar sehr anstrengend, aber genau diese Auflösung von
Selbstdarstellungsformen ist es, die seine Arbeiten interessant machen. Er arbeitet mit
der Übertreibung der immer mehr zunehmenden Möglichkeiten sich selber digital neu
erfinden zu können, er spielt mit den Möglichkeiten der digitalen Avatare, wo nichts
mehr festgelegt ist und Geschlechter wie Dialoge ständig wechseln. Er überspitzt und
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überreizt das in einer Form, in der man als Zuschauerin und Zuschauer nicht mehr weiß
was man eigentlich gerade gesehen hat, weil sich alle Handlungsstränge, Personen und
Töne überlagern.
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14. Richard Prince
Das Recht am eigenen Bild ist nicht wirklich geklärt, wie der Streit um die Rechte am
Affen-Selfie von David Slater von 2011 zeigt. Der Schopfmakake hatte einem Tierfotografen die Kamera entrissen und dabei zufällig ein Selfie von sich gemacht, wo sich der Affe
breit grinsend präsentiert, wie es bei einem „Vorzeige-Selfie“ nicht besser sein könnte.
Das Urheberrecht wurde bis heute nicht endgültig geklärt, wobei das derzeitige Recht
eher den Affen bevorzugen würde. Doch Urheberrechtstreits gibt es nicht nur zwischen
Mensch und Tier.
Bilder aus Instagram, Facebook, tumblr oder wo auch immer sie im Netz abgespeichert
wurden sind nicht vor der Verwendung Dritter geschützt. Viele Künstlerinnen und Künstler arbeiten mit „gefundenen“ Bildern aus dem Netz ohne nach der Erlaubnis für die Verwendung zu fragen, aber es kommt eher selten vor, dass Bilder von „Fremden“ hochpreisig verkauft werden. Der amerikanische Künstler Richard Prince hat genau das gemacht
und dabei für einige Aufregung und Diskussionen rund um den Kunstmarkt gesorgt. Der
Künstler ist ein amerikanischer Maler und Fotograf (Jahrgang 1949) und ein Vertreter
der Appopriation Art. Appropriation bedeutet Zu-, Aneignung, Besitzgreifung. (Definition Duden) Kunst von anderen wird also angeeignet und in einen neuen Zusammenhang
gesetzt. Der wichtigste Vertreter dieser Kunstrichtung ist wohl Marcel Duchamp, der mit
seiner Erhebung von Gebrauchsobjekten zu Kunstobjekten für einige Diskussionen sorgte. Andy Warhol führte diese Aneignungen in seiner Pop Art weiter und fügte mit dem
Mittel der Vervielfältigung durch Siebdruck ein neues Element hinzu.
Richard Prince steht in dieser Tradition und führt die Aneignung auf verschiedenste Weisen weiter. Er braucht Bilder heute nicht mehr abfotografieren, weil sie bereits tausendfach im Internet existieren.
Bekannt wurde der Künstler durch sein Projekt „Cowboys“ von 1980, wo er Werbesujets
von Marlboro Werbeplakaten neu verwendete. Er entfernte jegliche Schrift und zeigte
die Fotos der reitenden, wilden, freiheitsliebenden Cowboys in neuen, gemäldehaften
Formaten. Er bedient sich dabei dem Mythos des Cowboys und befreite diese von allen
Werbeslogans. Der Mythos des Marlboro Man gilt bis heute als ultimative Ikone der
amerikanischen Männlichkeit. Der ursprüngliche Fotograf der Marlboro Kampagnen,
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Hannes Schmid, war alles andere als begeistert, als er von der Aktion von Richard Prince
mitbekam. Doch er verzichtete schlussendlich auf eine Klage. Inzwischen sieht er die Arbeit von Prince als Inspiration für sich selber, da es ihn dazu animiert hatte seinen eigenen künstlerischen Werdegang weiterzutreiben. (Vgl. Bandle, 2010) Inzwischen hat der
Fotograf einige seiner Cowboy Bilder fotorealistisch in Öl nachgemalt und sich so seine
eigene Kunst neu approbiert. Die Erwähnung mehrerer Projekte von Richard Prince sind
im Gesamtzusammenhang seiner aktuellen Arbeit wichtig, weil man erst so deutlich
erkennt, dass der heute sehr etablierte Künstler schon immer Bilder von anderen Menschen für seine Arbeiten verwendet hat, auch wenn es heute einfacher geworden ist, da
die Fotos bereits digital, frei zugänglich, existieren.
In einer anderen Arbeit, Spiritual America von 1983, fotografierte er ein Bild von Gary
Gross ab, das Brooke Shields 1975 als nacktes, eingeöltes und geschminktes Mädchen
zeigt, das am Rand einer dampfenden Badewanne auf laszive Art posiert. Die spätere
Schauspielerin war damals 10 Jahre alt. Das Originalbild entstand mit Einverständnis
von Shields Mutter. Einige Jahre später versuchten Brooke Shields und ihre Mutter eine
Wiederveröffentlichung des Original Fotos zu verhindern. Da das Bild mittlerweile unter dem Schutz von Kinderpornografie steht, wurde es 2009 aus einer Ausstellung in
der Tate Modern entfernt. Der Fotograf des Originalfotos Gary Gross, protestierte zwar
gegen die Verwendung von Prince Kopien, wurde aber nur in Form von 2000 Dollar abgefunden.
Es gab noch weitere Projekte von Prince, wo er mit Fotos von Möbelanzeigen, Amateufotos von Biker Girls oder anderen fremden Bildern arbeitete, die er dann verfremdete.
Erst Ende 2008 klagte ihn der Fotograf Patrick Cariou auf Verletzung der Urheberrechte,
weil Prince Bilder aus seinem Fotoband „Yes Rasta“ übernahm und für eigene Zwecke
benutzte. In einer richterlichen Entscheidung wurde Cariou rechtgegeben, da ein neuerlicher künstlerischer Aspekt bei der Weitervewendung von Prince zu wenig war. In
seinem gesamten künstlerischen Werdegang hat Richard Prince nicht sehr viel Widerstand erlebt. Nachdem der Künstler Werke in Rekordhöhe verkauft, kann er es sich auch
leisten bei allfälligen Klagen auch einmal zu einer Geldstrafe verurteilt zu werden.
Aktuell hat Richard Prince Bilder auf Instagram ausgewählt, abfotografiert, gesammelt
und kommentiert, einen Screenshot inklusive Kommentarfunktion gemacht und diese
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in seinem Studio auf Leinwandgröße von zwei Metern vergrößern lassen und ausgestellt. Zusätzlich schrieb er auf Instagram eigene Kommentare unter die Fotos um diese
inklusive Kommentarfunktion und der Namen derjenigen, die sie hochgeladen hatten
zu veröffentlichen. Fast alle Fotos wurden in kürzester Zeit zu einem Preis von 90 000
Dollar verkauft. Verständlicherweise waren die Betroffenen in Aufruhr und einige beschwerten sich auch öffentlich über das Vorgehen von Prince. Die ausgewählten Bilder
wurden unter dem Namen „New Portraits“ von der Gagosian Gallerie präsentiert und
verkauft. Nicht unwichtig dürfte die Signatur des Künstlers auf den vergrößerten Bildern
sein. Werden die ausgewählten Fotos erst zur Kunst, wenn ein bekannter Künstler sie dafür auswählt und die Bilder signiert? Sind Instagram-Bilder, die öffentlich einsehbar sind
niemandes Eigentum? Gibt man mit dem Hochladen privater Bilder alle Eigentumsrechte an die jeweilige Plattform ab? Darf man Bilder verwenden und weiterverkaufen ohne
jemals die Betroffenen darüber zu informieren oder deren Einverständnis eingeholt zu
haben? Mit Klagen und Anwälten sind der Künstler Richard Prince und seine Gallerie
vertraut, es ist nicht das erste Mal, dass er Werke von Anderen für seine eigene künstlerische Arbeit verwendet. Auf der Seite von Suicide-Girls, ein kommerzielles Erotik-Portal,
werden inzwischen alle Richard-Prince-Motive in der gleichen Technik angeboten und
um 90 Dollar verkauft.
Der Kunstkritiker Jerry Saltz schätzt es, wenn sich Künstler mit kontroversen Projekten in
neue, irreale Räume vorwagen um diese auszuforschen. Kunst wagt sich seiner Ansicht
nach in Bildwelten vor, die nur noch in Fragmenten und Online-Feeds existieren, wo sich
virtuelle Identitäten und Web-Persönlichkeiten begegnen. (Vgl. Lorch, 2015) Jerry Saltz
sieht die Verwendung von Bildern in der Tradition von Andy Warhol und Jasper Johns.
Besonders Andy Warhol setzte mit seiner seriellen Kunst und der engen Verbindung zur
Popkultur und Narzissmus eigene Maßstäbe zur heutigen Selfie Kultur. Dass der Künstler
in Zeiten von digitalen Massenschauen Fotos gar nicht mehr abfotografieren muss, sondern einfach einen Screenshot davon macht und weiterverwendet ist eine Entwicklung,
die besonders die Betroffenen nicht sehr freut.
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Abb. 31 suicidegirls, 2015
Die Betreiberin des Online Foto Erotik Portals veröffentlichte auf der Plattform ein
Statement zu der Kunstaktion von Richard Prince:
„Everyone has been asking me what I thought about famous controversial artist
Richard Prince taking a series of SuicideGirls instagram posts and printing them
out and selling them at a recent gallery show at the Gagosian gallery of beverly
hills for $90,000 a piece.
My first thought was I don’t know anyone who can spend $90,000 on anything
other than a house. Maybe I know a few people who can spend it on a car. As
to the copyright issue? If I had a nickel for every time someone used our images
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without our permission in a commercial endeavour I’d be able to spend $90,000
on art. I was once really annoyed by Forever 21 selling shirts with our slightly
altered images on them, but an Artist?
Richard Prince is an artist and he found the images we and our girls publish on
instagram as representative of something worth commenting on, part of the
zeitgeist, I guess? Thanks Richard!
I’m just bummed that his art is out of reach for people like me and the people
portrayed in the art he is selling.
So we at SuicideGirls are going to sell the exact same prints people payed
$90,000 for $90 each.
I hope you love them. Beautiful Art, 99.9% off the original price. ;)“
(Missy, 2015)
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15. Leo Gabin
Das belgische Künstlerkollektiv, das aus Lieven Deconinck, Gaëtan Begerem und Robin
De Vooght besteht, arbeitet mit Found-Footage Materialien und fügt sie zu neuen Konfiguartionen zusammen. Das Künstlertrio arbeitet im Bereich Video, Malerei, Druck und
Skulptur. Besonders einige Filmprojekte des Trios beschäftigen sich mit der Selbstinszenierung von Jugendlichen. Leo Gabin leben und arbeiten in Belgien.
In „girls room dance“ (Abb.32) verwendeten sie Videomaterial von YouTube, wo sich
junge Frauen in ihren privaten Wohnräumen, meist vor der Couch, selber dabei filmten
wie sie anmutig ins Bild schreiten und beginnen ihren Körper in sexy Anmutungen zu
bewegen. Erstaunlich ist dabei, wie sehr sich die verschiedensten Aufnahmen ähneln.
Diese ähnliche Inszenierung und das Nachmachen von Posen, die sie vermutlich selber
im Internet oder Fernsehen gesehen haben unterstützt die These der normierten Individualität. Fast alle kommen vom linken oder rechten Bildrand, nahe an der Kamera, zur
Bildmitte des Raumes und setzen als erstes ihren Hintern in Szene, bevor sie sich zur
Kamera umdrehen und ihr Gesicht zeigen. Interessant ist hier der Vergleich zu „belfies“
also Selfies, die den Hintern der meist weiblichen Protagonistinnen ins Bild rücken. Die
„Selfie Ikone“ Kim Kardashian hat es mit ihrem künstlich „aufgepushten“ und vergrößerten Hinterteil zu großem Ruhm innerhalb der Instagram Society geschafft.
Jedes Mädchen glaubt für sich in dieser Form der Präsentation etwas Einzigartiges geschaffen zu haben, doch gesammelt ergeben all die gleichen eingelernten Bewegungen
einen Ablauf an normierten Bewegungen. Das Performen der Jugendlichen ist ein wichtiger Teil von Identitätsfindung, in diesen Beispielen kopieren sie „Moves“ die vielversprechende Kommentare und Likes erhoffen lassen. Die Ähnlichkeit der Präsentation
liegt natürlich auch in der Auswahl der Amateurvideos, die Künstlergruppe durchforstet für ihre Arbeiten öffentliche Internetportale wie Medienarchiologen und montiert
sie durch einen neuen Schnitt und einer anderer Tonebene, meist eine durchgehende
Musik, zu einem neuen Clip. Auch Leo Gabin fragen bei den jeweiligen Produzentinnen
wahrscheinlich nicht nach der Erlaubnis für die Weiterverwendung der Clips nach, aber
im Unterschied zu Richard Prince verkauft die Künstlergruppe keine hochpreisigen Bilder weiter.
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Abb.32 Screenshot „girls room dance“, Leo Gabin, 2011
In dem Video „Hair Long“ von 2013 verwenden Leo Gabin ebenfalls Videomaterial aus
YouTube, wo sich jugendliche Mädchen in professioneller Selbstvermarktung und Produktpräsentation versuchen. Lippenstifte, Puder, Spiegel, Rucksäcke, Mascara, Body Lotion, Protein Bar Riegel, Nagellacke werden der Kamera stolz präsentiert. Der Trend zur
Selbstvermarktung, beziehungsweise der freiwilligen Werbung von Markenartikel, wird
hier besonders deutlich. Besonders in Amerika gibt es unzählige weibliche Teenager, die
Social Media Stars wie Essena O´Neil, auf die ich im Kapitel „Trend zur Selbstvermarktung“ näher eingegangen bin, gerne nachahmen würden. Die Möglichkeit sich für ein
paar Minuten wie ein echter Star zu fühlen oder durch die Präsentation von Kosmetikartikel einer werden zu können ist für viele Jugendliche ein enormer Reiz. Sie leben im Hier
und Jetzt und präsentieren ihre Welt und das was sie interessiert in diversen Kanälen um
einem möglichen Traum nachzujagen.
Abb. 33 Screenshot „Hair Long“, Leo Gabin, 2013
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16. Fazit
Selfies sind eine Form von Kommunikationsmittel, die in einer digitalen Unterhaltung
eingesetzt werden. Wir erleben derzeit eine Verschiebung von Sprache auf bildliche
Elemente in der visuelle Botschaften immer wichtiger werden. Selfies werden auch als
„Gesprächsbilder“ bezeichnet, die eine visuelle Kommunikation von bisher unbekannter
Intensität und Direktheit darstellen. (Vgl. Halter, 2015, 3) Zur wirklichen Entfaltung eines
Selfies kommt es erst, wenn es in sozialen Medien geteilt wird und Feedback in Form von
Likes oder Kommentaren erhält. (Vgl. Saltz, 2015) Als Teil einer Kommunikation, kann es
nicht wirklich mit frühen Formen von Selbstporträts verglichen werden, da diese für einen anderen Zweck aufgenommen wurden. Unsere Posen und Gesten bei Selfies haben
große Ähnlichkeiten zu Emoticons, da sie in überzeichneter Form bestimmte Gefühlslagen besser verständlich machen. Wie auch Piktogramme, funktionieren Emoticons weitgehend kulturübergreifend. Je öfter man bestimmte Selfie-Posen einnimmt und je öfter
man mit Selfies konfrontiert ist, desto deutlicher prägen sich ganz bestimmte Gesten,
Kopfhaltungen und Grimassen aus. (Vgl. Ullrich, 2015,13)
Die Möglichkeit ohne eine andere Person Unmengen an Bildern erstellen zu können
führt zu einem kontrollierten, möglichst optimalem Bild, das digital bearbeitet wird, bevor es in den sozialen Netzwerken geteilt wird. Der Trend sein Abbild zu optimieren,
sich selbst zu vermarkten und dabei in eine normierte Individualität zu verfallen, betrifft
besonders Jugendliche. Kein Bild gerät ohne Kontrolle und Bearbeitung in digitale Netzwerke, darum sind Selfies oft weniger spontan als sie auf den ersten Augenblick scheinen. Daraus ergibt sich die Tendenz eines unerreichbaren, digitalen Avataren, der nichts
mehr mit dem wirklichen „Ich“ zu tun hat. Ein Selfie wird darum eher als eine Form von
Inszenierung und weniger als ein Abbild seiner selbst gesehen.
Technische Entwicklungen zeigen die Tendenz von Standbildern zu Videobildern, also
eine Richtung von Selfies zu „Velfies“. Diese können mit eigenen Apps auf dem Smartphone aufgenommen werden oder mit selbstfliegenden Drohnen, die so programmiert
sind, dass sie die „Zielperson“ auch bei schneller Bewegung verfolgt. Jeder Mensch
kann so zu seinem eigenem Star werden und verschiedenste Inszenierungen in der digitalen Welt ausprobieren. Besonders die technischen Möglichkeiten von Smartphones
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und Drohnen versprechen spektakuläre Aufnahmen. Bei einer steigenden Nutzung werden wahrscheinlich einige Probleme auftauchen, da auch der Luftraum nicht uneingeschränkt verfügbar ist.
Wie digitale Inszenierungen eines Selbst in künstlerischen Arbeiten aussehen können,
habe ich in den Arbeiten von Petra Cortright, Amalia Ulman, Ryan Trecartin und Lizzie
Fitch als Vertreterinnen und Vertreter der Post Internet Art beschrieben. Von der eigenen Qualität älterer Webcams, die sich wie ein Schleier oder eine Maske zum wahren
Ich Verhalten (Vgl. Becker, 2012, 138) bis hin zu Schein-Authentizitäten vermischen sich
Bilder, die mit Digitalem Surrealismus beschrieben werden. (Vgl. Reichert, 2014) Nicht
immer arbeiten Künstlerinnen und Künstler mit ihrer eigenen Selbstdarstellung. Richard
Prince bringt mit seiner Appropriation Art eine Diskussion über das Recht am eigenen
Bild auf. In der Fülle von Bildern in digitalen Netzwerken war das Durchstöbern und Wiederverwenden noch nie so einfach. Das Recht am eigenen Bild gibt man bereits bei den
Nutzungserklärungen diverser Plattformen ab, doch heißt das auch, dass jemand anderer die Bilder einfach verwenden darf? Die Antwort darauf sollte eigentlich ein klares
„Nein“ sein, doch ein Künstler wie Prince, der seine Werke zu Rekordpreisen verkauft,
würde sich auch durch etwaige Klagen nicht von der Nutzung abhalten lassen.
Leo Gabin bieten mit ihren Videoarbeiten eine interessante Auseinandersetzung der unterschiedlichen Inszenierungen im privater Umgebung, die den Trend zur normierten
Individualität bei Jugendlichen besonders gut erkennen lassen.
Die Weiterentwicklung vom Selfie zum Velfie stehen in einer direkten Abhängigkeit zu
technischen Entwicklungen, die sich rasant verändern. In ein paar Jahren werden wahrscheinlich gänzlich neue Formen der digitalen Selbstinszenierung möglich sein und neue
Begrifflichkeiten auftauchen. Ich bin gespannt in welche Richtung sich der „Egokult“ entwickelt oder ob sich eine „Trendwende“ abzeichnet. Aus derzeitiger Sicht bieten sich
noch viele Möglichkeiten der digitalen Inszenierungen an.
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Abb.17 Cortright, Petra (2007) Screenshot von Video: „VVEBCAM“. Online unter: https://www.
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Abb.18 Cortright, Petra (2011) Screenshot von Video: „sssss“. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=FRw2EGZHBEw (Stand: 24.4.2016)
Abb.19 Cortright, Petra (2013) Screenshot von Video „DRK PARA“. Online unter: https://www.
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Abb.20 Cortright, Petra (2009) Screenshot von Video: Das Hell(e) Modell. Online unter: Das
Hell(e) Modell (Stand: 24.4.2016)
Abb.21 Cortright, Petra (2009) Screenshot von Video: „When you walk through the storm“.
Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=UwLFmAh5gWE (Stand: 24.4.2016)
Abb. 22 Cortright, Petra (2011) Screenshot von Video: „snow1“. Online unter: https://www.
youtube.com/watch?v=V1kaQNv0Qgc (Stand: 24.4.2016)
Abb. 23 Cortright, Petra (2013) Screenshot von Video: „True Life: I´m a Selfie“
Abb.24 Cortright, Petra (2013) Screenshot von Video: „Bridal Shower“ Online unter: https://
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Abb. 25 Cortright, Petra (2012) Screenshot von Video: „Vicky Deep in Spring Valley“ Online 106
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Abb. 26 McCartney, Stella by Petra Cortright (2015) Screenshot von Video: „Fire (Fantastic Planet)“ 2015, Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=_ZSUercGwFU (Stand: 24.4.2016)
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107
108
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre hiermit, dass ich die Diplomarbeit selbstständig verfasst, keine andere als die
angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten
Hilfen bedient habe, dass diese Diplomarbeit weder im In- noch Ausland (einer Beurteilerin/ einem Beurteiler zur Beurteilung) in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt wurde und dass dieses Exemplar mit der beurteilten Arbeit übereinstimmt.
Mag. art. Elke Mayr, Mai 2016
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110
Danksagung
Mein Dank gilt meinem Freund und Partner Gelati, der mir beim Feinschliff geholfen
hat, meiner Mutter Christine, die mich in all meinen Ausbildungsjahren sowie beim
Korrekturlesen unterstützt hat, meinen Freunden und allen anderen Personen, die mir
während meines Zweitstudiums Mut gemacht haben. Mein Dank gilt auch meinem
Diplombetreuer Roman Horak, der mich mit seinem umfassendem Wissensumfang,
seiner schnellen Auffassungsgabe und unkomplizierten Art unterstützt hat. Danke!
111